Liebe Zartbitter Inhaltsverzeichnis - Cora Verlag
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<strong>Liebe</strong> <strong>Zartbitter</strong><br />
<strong>Liebe</strong> <strong>Zartbitter</strong><br />
von Nina Bergen<br />
© 2008 CORA <strong>Verlag</strong> GmbH & Co KG<br />
Was ist köstlicher als eine handgemachte Praline? Natürlich deren verführerische<br />
Herstellerin, findet Tom. Aber kann er auch ihr Herz zum Schmelzen bringen?<br />
<strong>Inhaltsverzeichnis</strong><br />
1. KAPITEL............................................................................................................................2<br />
2. KAPITEL............................................................................................................................6<br />
3. KAPITEL..........................................................................................................................11<br />
4. KAPITEL..........................................................................................................................14<br />
5. KAPITEL..........................................................................................................................19<br />
6. KAPITEL..........................................................................................................................22<br />
7. KAPITEL..........................................................................................................................28<br />
8. KAPITEL..........................................................................................................................32<br />
9. KAPITEL..........................................................................................................................36<br />
10. KAPITEL........................................................................................................................39<br />
11. KAPITEL........................................................................................................................49<br />
12. KAPITEL........................................................................................................................54<br />
13. KAPITEL........................................................................................................................58<br />
14. KAPITEL........................................................................................................................65<br />
15. KAPITEL........................................................................................................................78<br />
Der CORA-Fortsetzungsroman - jede Woche neu auf www.cora.de Seite 1/83
<strong>Liebe</strong> <strong>Zartbitter</strong><br />
1. KAPITEL<br />
© 2008 CORA <strong>Verlag</strong> GmbH & Co KG<br />
Dieses eine Mal im Leben bin ich auf einen Mann mit Fantasie gestoßen, dachte Panama<br />
Prill, als Marco sein funkelnagelneues BMW-Cabrio durch den Vorsprühbogen von<br />
"Superwash" steuerte. Ein Blick auf die leuchtend rote LCD-Anzeige des Armaturenbretts<br />
verriet ihr, es war genau ein Uhr dreiundzwanzig – nachts.<br />
Kein anderes Date der letzten neun Monate, seit ihrer Trennung von Rick, hatte sich so<br />
prickelnd angefühlt. Marco war unterhaltsam, hatte einen karategestählten Körper und<br />
seine herausfordernd blitzenden blauen Augen sprühten vor Selbstbewusstsein. Für<br />
Panamas Geschmack redete er allerdings eine Spur zu gern über sich – und seinen<br />
neuen Wagen. Aber diese Nebensächlichkeiten zählten nicht. Sie war nicht auf der Suche<br />
nach einer Beziehung. Sie wollte Spaß. Den Traum von der großen <strong>Liebe</strong> hatte sie fürs<br />
Erste begraben. Schönen Dank auch, Rick.<br />
Unaufhörlich prasselte der Sprühregen aus der Sprinkleranlage über die<br />
Windschutzscheibe. Marco schaltete den Scheibenwischer ein und streichelte mit der<br />
rechten Hand sanft über Panamas Schenkel. Er ließ den Wagen langsam vorrollen, bis<br />
der grüne Pfeil erlosch und ein grellrotes "Stopp" aufleuchtete.<br />
"Ab jetzt geht alles automatisch", flüsterte Marco ihr zu und kontrollierte dann, ob er auch<br />
die Handbremse gelöst hatte. Mit einem Ruck setzte sich der Wagen wieder in Bewegung<br />
und schaukelte langsam auf eine riesige rotierende Bürste zu. Als sie über die<br />
Windschutzscheibe wirbelte und das Wageninnere in ein bläuliches Dämmerlicht tauchte,<br />
ließ Marco die Rückenlehne nach hinten sinken. Der Hauch seines Atems streifte<br />
Panamas Ohr. Marco legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Seine<br />
Lippen bahnten sich den Weg von ihrem Mund über ihren Hals zu ihrem Dekolleté.<br />
Marco war Besitzer und Geschäftsführer der Waschstraße "Superwash" am<br />
Klettenberggürtel. Bei Pasta und Wein im "Alfredos" hatte Panama ihm erzählt, wie<br />
erregend sie die Fahrten mit ihrem alten Kombi durch den Dschungel der rotierenden<br />
Bürsten und spritzenden Wasserfontänen fand. Sie hatte kaum ihren Espresso<br />
ausgetrunken, da ließ Marco schon die Rechnung kommen und lud sie zu einer<br />
nächtlichen Waschtour ein. Er hatte nur zehn Minuten gebraucht, um die Anlage<br />
hochzufahren und – dank modernster Steuerungssoftware – die<br />
Durchfahrtsgeschwindigkeit auf "superlangsam" einzustellen.<br />
Marco schob seine Hände unter ihren Rock. Gleichzeitig versuchte Panama, sich ein<br />
wenig zur Seite zu drehen, da sich der Schaltknüppel in ihre Hüfte bohrte. Ein Cabrio war<br />
eine verdammt kleine Spielwiese. Marcos Küsse wurden heftiger. Seine Zunge bewegte<br />
sich in ihrem Mund nur leicht außer Takt mit den kreisenden Textillappen, die über die<br />
Scheiben klatschten.<br />
Was dann passierte, konnte sich Panama erst im Nachhinein zusammenreimen. Sie<br />
musste sich mit ihren roten Stiletto-Pumps gegen das Armaturenbrett gestemmt haben,<br />
Der CORA-Fortsetzungsroman - jede Woche neu auf www.cora.de Seite 2/83
<strong>Liebe</strong> <strong>Zartbitter</strong><br />
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jedenfalls war Marcos Zunge plötzlich nicht mehr der einzige feuchte Lappen, der im<br />
Innenraum umherkreiste. Das Dröhnen der Rotoren und Pumpen schwoll mit einem<br />
Schlag auf die zehnfache Lautstärke an. Ein Schwall warmer Seifenlauge ergoss sich über<br />
beide, und Marcos Zunge erstarrte im Gefecht mit ihrer Zungenspitze. Im nächsten<br />
Moment stieß er Panama grob zur Seite.<br />
"Bist du wahnsinnig?", brüllte er.<br />
Schaumflocken wirbelten um ihre Köpfe.<br />
"Was ist passiert?", rief Panama und versuchte sich den Seifenschaum aus den Augen zu<br />
reiben.<br />
Sie konnte Marcos Gesicht nur verschwommen erkennen. Wild fuchtelte er zwischen ihren<br />
Knien. Die langen Textillappen der Waschanlage peitschten über seine sorgfältig gegelte<br />
Frisur.<br />
"Ich fass es nicht!" Brutal riss er ihr linkes Bein nach oben.<br />
Doch es war schon zu spät. Das Verdeck seines vierzigtausend Euro teuren Wagens hatte<br />
sich bereits vollständig geöffnet. Noch auf der Herfahrt hatte Marco ihr stolz erklärt, dass<br />
die vollautomatische Verdecköffnung nur zehn Sekunden benötigte. Offensichtlich hatte<br />
sie bei der heißen Knutscherei ihren Stilettoabsatz auf den entsprechenden Knopf am<br />
Armaturenbrett geparkt.<br />
"Verdammte Scheiße! Bist du blöd? Die ganze Lederausstattung ist ruiniert!" Hektisch<br />
drückte er auf dem Knopf der Schließautomatik herum. "Was den Grips angeht, sind<br />
anscheinend selbst dunkelhaarige Frauen blond!"<br />
"Schrei mich nicht an! Tut mir leid, aber was kann ich dafür, dass es in deinem Wagen so<br />
eng ist?" Wütend strich sich Panama eine klatschnasse Haarsträhne aus dem Gesicht.<br />
Wenigstens waren die wirbelnden Textillappen keine Gefahr mehr, sie wuschen gerade<br />
die Hintersitze.<br />
"Und mir tut es leid, dass du mir jemals über den Weg gelaufen bist!" Marco schmetterte<br />
die Faust auf das schaumbedeckte Lenkrad.<br />
"Na dann, tschüss! Schöne Fahrt noch durch den Trockner und pass auf, dass dir das<br />
Gebläse nicht deine kümmerliche Macho-Gehirnzelle aus dem Schädel fegt!" Panama<br />
stieß die Wagentür auf und sprang hinaus.<br />
Sie musste mit den Armen rudern, um nicht auf dem glitschigen Fliesenboden<br />
auszurutschen. Zehn Zentimeter hohe Slingpumps waren definitiv keine geeignete<br />
Fußbekleidung für eine Tour durch die Waschstraße. Und noch viel weniger, wenn diese<br />
gerade das Waschprogramm Nummer drei "Firstclass" abspulte – inklusive<br />
Superpflegeschaum, Heißwachsbehandlung, Perlglanzpolitur, Unterbodenspülung und<br />
Felgenspezialreinigung.<br />
Panama versuchte abzuschätzen, in welche Richtung sie am schnellsten nach draußen<br />
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gelangte. Sollte sie sich durch den Trockner wagen? <strong>Liebe</strong>r nicht! Sie hatte wenig Lust,<br />
Marco am Steuer seines Wagens im Rücken zu haben. Wütend wie er war, würde er<br />
vielleicht in Versuchung kommen, aufs Gaspedal zu treten. Besser, sie kämpfte sich durch<br />
das Bürstenlabyrinth zur Einfahrt zurück. Sie presste ihre Samthandtasche vor die Brust,<br />
versuchte mit einer Hand ihre Augen vor den Seifenlaugeflocken zu schützen und rannte,<br />
so schnell es ihre Schuhe zuließen, Richtung Tor.<br />
Bei der schlechten Sicht konnte sie den Zusammenprall mit einem der Bürstenmonster<br />
nicht verhindern. Dem Schmerz nach zu urteilen, würde ein blau geschwollener Oberarm<br />
sie mindestens sechs Wochen lang an dieses Abenteuer erinnern. Je weiter sie sich durch<br />
die angeblich lackschonenden Textillappen – ihr Outfit jedenfalls war komplett ruiniert –,<br />
Seitenrotoren und Radkappenbürsten nach draußen kämpfte, umso leiser drangen Marcos<br />
Flüche an ihr Ohr.<br />
Ihre Augen brannten, als sie endlich in die Nacht hinaustrat. Das korallenfarbene Top und<br />
ihr smaragdgrüner Bleistiftrock klebten wie eine zu eng gewordenen Haut an ihrem<br />
Körper. Panama atmete tief durch und ließ den Blick über den Himmel schweifen, an dem<br />
ein unverschämt orange schimmernder Mond prangte. Seufzend streifte sie ihre Schuhe<br />
ab und überquerte barfuß den Vorplatz mit den Staubsaugerstationen. Der Asphalt war<br />
noch warm von der Hitze des Tages.<br />
"Wieso schaffe ich es jedes Mal, mir zielsicher die größten Idioten an Land zu ziehen?",<br />
murmelte sie kopfschüttelnd. Sie hätte es als Alarmzeichen werten sollen, dass Marco bei<br />
ihren Restaurantbesuchen immer auf einen Tisch bestanden hatte, von dem aus er seinen<br />
Wagen im Auge behalten konnte.<br />
Das Schicksal hatte Panama ein Abonnement auf Irrtümer ausgestellt. So schien es ihr<br />
zumindest.<br />
Und mit ihrem Vornamen musste alles angefangen haben.<br />
Als Panamas Vater überglücklich die Ankunft seiner erstgeborenen Tochter mit Sekt<br />
begossen und, an Onkel Carl geklammert, auf dem Standesamt erschienen war, hatte er<br />
"Panama" statt "Pamela" in das Geburtsanzeigeformular eingetragen. Er hatte wenige,<br />
aber entscheidende Silben durcheinandergebracht.<br />
Der Irrtum wurde nie korrigiert, da Panamas Mutter nach dem ersten Schock Gefallen an<br />
dem exotischen Namen fand. Panama fragte sich oft, ob das Schicksal dies nicht als<br />
Einladung verstanden hatte, lustig weiter Irrtum über Irrtum ihres Weges zu schicken – die<br />
Geschichte mit ihrem Exfreund Rick war da nur ein Beispiel.<br />
Vor neun Monaten, als sie früher als erwartet von einem Besuch bei einer Freundin in<br />
Berlin nach Hause kam, hatte sie ihn mit einer dämlich kichernden Brünetten im Bett<br />
überrascht. Wie sie später herausfand, hatte er sie von Anfang an mit anderen Frauen<br />
betrogen. Es war mehr als bitter gewesen zu erkennen, dass sie über zwei Jahre ihres<br />
Lebens an einen absoluten Fehlgriff verschwendet hatte.<br />
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In der folgenden Woche hatte sie sich die Augen ausgeheult und jede Mahlzeit verweigert.<br />
Zwei weitere Wochen verbrachte sie damit, abwechselnd einen Berg von Taschentüchern<br />
vollzuschniefen oder sich mit Schokolade vollzustopfen, bis ihr schlecht wurde. Dann war<br />
die Selbstmitleidphase überstanden, und zurück blieb die blanke Wut. Auch auf sich<br />
selbst. Wie hatte sie nur so naiv sein können!<br />
Doch damit war Schluss! Die große <strong>Liebe</strong> konnte ihr gestohlen bleiben. Alles nur Betrug!<br />
Sie jedenfalls hatte nicht die Absicht, sich den Spaß am Leben wegen eines treulosen Ex<br />
verderben zu lassen. Wenn ihr ein süßer Typ über den Weg liefe, würde sie ihn<br />
vernaschen, aber ihr Herz bliebe künftig erst einmal unter Verschluss. Das Leben war ein<br />
Abenteuer – und sie würde sich überraschen lassen, wo es sie hinführte. An diesem<br />
Abend leider – wieder so ein Irrtum – ins "Superwash".<br />
Anscheinend hatte sie bei der Auswahl ihrer Zielobjekte noch ein wenig Übung nötig.<br />
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2. KAPITEL<br />
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"Laut einer Studie verbringen wir sechzehn Stunden unseres Lebens mit sexuellen<br />
Höhepunkten", sagte Li Mei. "Hört sich ziemlich wenig an, auf die absolute Lebenszeit<br />
gerechnet. Findest du nicht auch?"<br />
Sie schob schwungvoll einen Rollkorb vor die Chocolaterie "Zarte Versuchung" in der<br />
Apostelnstraße. Tüten voll daumengroßer Geleefrüchte und mit Mokkacreme gefüllter<br />
Schokobohnen stapelten sich verführerisch bis fast über den Rand.<br />
"Der gestrige Abend hat meinen Schnitt jedenfalls nicht erhöht", antwortete Panama. "Du<br />
hättest mal Marcos Gesicht sehen sollen, als ihm plötzlich die Waschlappen um die Ohren<br />
fegten."<br />
Sie lachte und legte den Arm um Li Meis Schulter. "Komm, du musst unbedingt meine<br />
Vanille-Pistazien-Trüffel probieren. Als Stärkung, bevor deine Mittagsgäste das Restaurant<br />
stürmen."<br />
Li Mei war Panamas beste Freundin, seit sie in der Grundschule ihr gemeinsames Faible<br />
für Barbiepuppen mit Wechselperücken und für Fünf-Freunde-Bücher entdeckt hatten. Li<br />
Meis Vater besaß das Chinarestaurant "Ming's Garden", das direkt gegenüber von<br />
Panamas Chocolaterie lag.<br />
"Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht", erwiderte Li Mei lächelnd, sobald<br />
sie die kunstvoll aufgeschichtete Pyramide der mit weißer Schokolade überzogenen<br />
Kugeln erblickte. Panama griff mit der Silberzange eine davon und reichte sie ihr.<br />
Genüsslich schob Li Mei sie in den Mund.<br />
"Hmmm! Zum Dahinschmelzen. Die solltest du unbedingt in dein Standardprogramm<br />
aufnehmen." Li Mei leckte sich die Finger und ging zur Tür.<br />
"Wenn die Kunden danach Schlange stehen, bestimmt", rief Panama und schickte leise<br />
hinterher: "Ein bisschen mehr Umsatz wäre dringend nötig."<br />
Panama hatte vor drei Monaten den alten Süßwarenladen ihrer Tante Tilly übernommen,<br />
die nun mit sechsundsechzig Jahren ihren Ruhestand genießen wollte. Obwohl Ruhestand<br />
in ihrem Fall definitiv der falsche Begriff war. Tilly Stern und Giuseppe, ihr italienischer<br />
Lebensgefährte, waren berüchtigt für ihre stürmische Beziehung und<br />
unternehmungslustigen Einfälle.<br />
Mit ihren zusammengekratzten Ersparnissen hatte Panama das alte Interieur aufgemöbelt<br />
und den Laden in eine schicke Chocolaterie verwandelt, in der sie süße Köstlichkeiten aus<br />
aller Welt und dazu eigene Pralinenkreationen verkaufte. Die Renovierung hatte sie erst<br />
vor zwei Wochen beendet.<br />
Hoch konzentriert, schichtete Panama nun Fruchtgeleekugeln und Fondants auf eine<br />
dreistöckige Silber-Etagere.<br />
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"Das sieht ja zum Anbeißen lecker aus, Frau Prill."<br />
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Sie zuckte erschrocken zusammen und hob den Kopf. Vor ihr stand, lässig mit einem<br />
Ellbogen auf die Pralinentheke gestützt, Arndt Hirning. Er war Mitte vierzig und führte vor<br />
seinem Hohlkreuz einen tief sitzenden Bauch spazieren. Seine Tage verbrachte er mit der<br />
Verwaltung seines frisch geerbten Immobilienbesitzes von mehr als zehn Geschäfts- und<br />
Mehrfamilienhäusern, die sich strategisch über die Kölner Innenstadt verteilten. Das Haus,<br />
in dem sich Panamas Ladenlokal befand, gehörte leider dazu.<br />
"Herr Hirning, wie schön, dass Sie mich einmal besuchen", begrüßte ihn Panama. Es gab<br />
kaum einen Menschen, den sie mehr verabscheute – von Rick einmal abgesehen.<br />
Arndt Hirning hatte seinen Vater Siegfried, der vor sechs Monaten einen Schlaganfall<br />
erlitten hatte, für geschäftsunfähig erklären lassen, so schnell er nur konnte. In den<br />
ganzen zehn Jahren davor war er nur dann aufgetaucht, wenn er Geld brauchte. Tilly und<br />
Panama hingegen hatten für den alten Herrn eingekauft und ihn zum Arzt gefahren. Vor<br />
drei Wochen war der Senior, mit dem sein Sohn nur den Nachnamen, nicht aber seinen<br />
herzensguten Charakter teilte, gestorben.<br />
"Der Laden ist ja nicht mehr wiederzuerkennen. Sie haben aus der Bonbon-Klitsche Ihrer<br />
Tante ein echtes Prachtstück gemacht." Arndt Hirning ließ den Blick anerkennend über die<br />
geschmackvoll aufpolierten nostalgischen Möbel, den Kronleuchter und die riesigen<br />
Kristallspiegel mit den Goldrahmen wandern.<br />
Panama hatte die Stücke auf Trödelmärkten im belgischen Grenzland billig erstanden.<br />
Den Blickfang des Ladens bildete ein antiker Kamin, der aus einer abbruchreifen Villa in<br />
den Ardennen stammte. Davor luden zwei Sessel im Empirestil die Kunden ein, sich bei<br />
einer Tasse duftender Trinkschokolade von ihren Einkäufen zu erholen.<br />
"Es hat viel Zeit und Schweiß gekostet, aber ich finde auch, es hat sich gelohnt." Panama<br />
war stolz, mit ihren bescheidenen Ersparnissen das Maximum an Wirkung erzielt zu<br />
haben. Giuseppe, von Beruf Schreiner, hatte sie dabei tatkräftig unterstützt.<br />
"Mit so einem Luxus-Shop fahren Sie sicher ordentlich was ein", meinte Arndt Hirning und<br />
musterte die altmodische Registrierkasse.<br />
"Ich habe den Laden erst vor zwei Wochen wiedereröffnet. Bis zum Herbst wird das<br />
Geschäft hoffentlich brummen." Panama fragte sich, warum er hergekommen war.<br />
"Gut zu hören." Arndt Hirning griff in seine Jackett-Tasche und zog einen Umschlag<br />
hervor. "Ich habe den Mietvertrag, den ihre Tante zuletzt vor einem Jahr mit meinem Vater<br />
verlängert hat, prüfen lassen. Mein alter Herr hatte ein weiches Herz, insbesondere, wenn<br />
es um seine alte Schulfreundin Tilly Stern ging. Die Miete liegt weit unter dem, was man<br />
für schicke Geschäftsräume in dieser Lage verlangen kann. Ab November erhöht sich die<br />
Miete um dreißig Prozent." Er legte den Umschlag auf die Verkaufstresen.<br />
Für Panama war das wie ein Schlag in die Magengrube. "Moment, das können Sie nicht.<br />
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Im Vertrag wurde doch festgehalten, dass ich dieselben Konditionen wie meine Tante<br />
bekomme."<br />
"Das ist leider nicht zu ändern", antwortete er. "Zum Glück hat mein Vater bei der<br />
Formulierung vergessen, den Mietpreis zu erwähnen. Alzheimer hat doch auch sein<br />
Gutes."<br />
"Dann wünsche ich Ihnen alles Gute der Welt!", rief Panama wütend. "Nur weil ich den<br />
Laden aufgepeppt habe, heißt das nicht, dass sich mein Umsatz gleich in astronomische<br />
Höhen schwingt."<br />
"Das sollte er aber besser. Es gibt solvente Interessenten, die schon ein Auge auf das<br />
Lokal geworfen haben." Sein Handy klingelte. Er zog es aus seiner Brusttasche und<br />
klappte es mit einer Bewegung seines Zeigefingers auf. "Grüße Sie, Doktor Behrens! Wir<br />
können uns noch heute im Objekt treffen …" Er nickte ihr herablassend zu und<br />
verschwand durch die Tür.<br />
Panama hätte sich am liebsten eines der Schokofonduetöpfchen geschnappt und ihm mit<br />
einem gezielten Wurf den Hinterkopf gespalten.<br />
Sie streifte den dünnen Plastikhandschuh ab, den sie zum Pralinensortieren übergezogen<br />
hatte, griff nach einer großen Fruchtgelee-Erdbeere und schob sie sich in den Mund. Ihr<br />
Hirn brauchte dringend einen Zuckerkick. Kauend dachte sie über eine geeignete<br />
Strategie nach. Sie hatte nicht die Absicht, sich von "Herrn Hirnlos" aus dem Laden treiben<br />
zu lassen. Irgendwie musste sie es schaffen, bis November ihren Umsatz anzukurbeln,<br />
denn keine Bank würde ihr einen Kredit gewähren. Bisher hatte sie sich von Monat zu<br />
Monat gehangelt, und mittlerweile war ihre Kapitaldecke wie Schokolade in der<br />
Augustsonne zusammengeschmolzen. Sie sollte sich dringend etwas einfallen lassen.<br />
Zumindest hatte der Vormittag einen Hoffnungsschimmer in Form einer größeren<br />
Bestellung beschert. Panama überprüfte noch einmal den großen cremefarbenen<br />
Lackkarton, in den sie zwei Kilo ihrer feinsten Pralinen gepackt hatte. Jede einzelne hatte<br />
sie sorgsam in eine Papiermanschette gesetzt. Der Faltkarton war bis zum Rand gefüllt<br />
mit Marc-de-Champagne-Trüffeln, Amarettomousse-Pralinés, Mokkalikör-Cremestäbchen,<br />
Pistazien-Orangenmarzipan, Nougatherzen und Panamas Starkreation für die<br />
Sommersaison: Panama Delight – Mini-Ananasfrüchte aus Edelbitterschokolade, gefüllt<br />
mit Ananasrumcreme.<br />
Panama betrachtete zufrieden das harmonische Farbspiel der verschiedenen Schokotöne<br />
und Verzierungen. Die Sorten waren in perfekter Ausgewogenheit verteilt. Vorsichtig<br />
schloss sie den Deckel und band eine rote Satinschleife um den Karton.<br />
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon halb drei: keine Zeit mehr zu verlieren.<br />
Rasch hängte sie das handgemalte "Bin gleich zurück"-Schild an die Tür und schloss<br />
hinter sich ab.<br />
Behutsam legte sie den Karton in die gepolsterte Kühlbox ihres speziell für den<br />
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Schokotransport umgebauten Firmenfahrrads und schwang sich in den Sattel. Sie würde<br />
nur fünf Minuten für den Weg zur Maastrichter Straße und zurück brauchen und hoffte,<br />
dass sie keinen Kunden warten ließ. Aber die Lieferung war wichtig und ihre Fracht zu<br />
empfindlich, um sie einem Taxikurier anzuvertrauen. Zap Entertainment Productions, eine<br />
der größten Fernsehproduktionsfirmen der Stadt, hatte die Lieferung für das Prominenten-<br />
Catering während der Show Duell der Stars bestellt, die am Abend aufgezeichnet werden<br />
sollte.<br />
Panama rollte im Slalom durch die verstopfte Ehrenstraße. Vor der Kreuzung Friesenwall<br />
wäre sie fast auf die Stoßstange eines Mercedes-Sprinters geprallt, der ihr die Vorfahrt<br />
nehmen wollte. Nur mit Mühe konnte sie das Gleichgewicht halten. Panama schüttelte<br />
wütend die Faust. Doch der – nach der Kraterlandschaft auf seinem Gesicht zu urteilen –<br />
noch tief in der Spätpubertät steckende Fahrer grinste nur blöde.<br />
Jetzt nur keinen Sturz hinlegen, betete Panama im Stillen. Das hätte gerade noch gefehlt.<br />
Wenn sie auf regelmäßige Bestellungen der Firma hoffen wollte, musste sie einen<br />
professionellen Eindruck hinterlassen: Panama Prill, der Inbegriff einer souveränen<br />
Geschäftspartnerin, deren Ware und Service in dieser Stadt ihresgleichen suchte.<br />
Zap Entertainment hatte sich in einer ehemaligen Brotfabrik an der Maastrichter Straße<br />
niedergelassen. Schon in der Eingangshalle machten zwanzig an die Wand montierte<br />
Bildschirme, auf denen lauter verschiedene Programme liefen, deutlich, welche Art von<br />
Brötchen hier nun gebacken wurde.<br />
Den Faltkarton vorsichtig balancierend, ging Panama auf den Empfangstresen zu. Die<br />
Absätze ihrer mit Kirschen aus rotlackiertem Holz verzierten Sandalen klackerten über den<br />
glänzenden Marmorboden.<br />
Die Empfangsdame, die sich in ein anthrazitfarbenes Jackett gepresst hatte, das eine<br />
Nummer zu klein war, schaute auf und verzog ihren Mund zu einem mechanischen<br />
Lächeln.<br />
"Guten Tag, ich habe hier die Pralinenlieferung für die Produktion Duell der Stars."<br />
"Vorderer Aufzug. Dritter Stock. Links", antwortete die Platinblonde gedehnt, ohne ihr in<br />
die Augen zu sehen.<br />
Sie hat mich mit einem Wimpernschlag in die niedere Lebensform einer Lieferantin<br />
einsortiert, dachte Panama, während sie dem Aufzug zustrebte.<br />
Die Tür öffnete sich mit einem Gongton und spuckte zwei mit Headsets und<br />
Klemmbrettern ausgestattete Jungs in weiten Hip-Hop-Hosen aus. Vor Panama betraten<br />
ein gedrungener Anzugträger und ein großer breitschultriger Mann mit dunkelblondem<br />
welligem Haar den Aufzug. Die ausgewaschene blaue Jeans des Letzteren modellierte<br />
perfekt sein knackiges Hinterteil.<br />
Immer schön die Augen auf der Pralinenkiste halten, ermahnte sich Panama.<br />
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Der Mann präsentierte ein attraktives Profil, als er sich nach rechts drehte und auf einen<br />
der Knöpfe drückte. Im selben Augenblick ertönte ein Klingelton. Der Anzugträger klopfte<br />
hektisch seine Brusttasche ab und zog ein Handy hervor. Als Panama durch die<br />
Aufzugstür trat, drängelte er, das Telefon ans Ohr gepresst, wieder nach draußen.<br />
Panama drehte sich blitzschnell zur Seite und versuchte, die Pralinen aus dem Weg zu<br />
halten. Fast hätte der Kerl sie ihr vom Arm gerissen.<br />
Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die Kabine und die Tür schnappte zu. Beim<br />
Umbau des Gebäudes hätte die Firma besser auch in die Modernisierung des<br />
vorsintflutlichen Aufzugs investieren sollen. Die Türkante drückte Panama den Lackkarton<br />
vor die Brust. Er platzte auf.<br />
Marc-de-Champagne-Trüffel, Amarettomousse-Pralinés und alles, was noch an<br />
Raffinessen darin verpackt war, prasselten rechts und links von ihr nieder. Panama konnte<br />
förmlich spüren, wie sich die Cremefüllungen auf ihrem Top verteilten. Fassungslos starrte<br />
sie auf eine Modekreation hinunter, die sich selbst der durchgeknallteste Avantgarde-<br />
Designer nicht hätte ausdenken können: Ihren cremefarbenen Seidentraum schmückten<br />
alle Pralinenfüllungen des Sortiments, und im Takt mit ihren Atemzügen wippte ein<br />
Nougatherz auf ihrem Dekolleté.<br />
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3. KAPITEL<br />
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Nach acht Jahren Privatfernsehen und drei Jahren als Redaktionsleiter der Guten Morgen<br />
Show war Tom Jordan fest davon überzeugt, dass ihn nichts mehr überraschen konnte.<br />
Doch als er sich zur Tür drehte und plötzlich Pralinés wie Minigeschosse auf ihn<br />
einprallten, war er zu verblüfft, um auch nur zur Seite springen zu können. Vielleicht hatte<br />
das auch damit zu tun, dass sein Blick auf ein schokoladenverziertes, äußerst attraktives<br />
Dekolleté fiel, dessen Besitzerin sich keuchend gegen die Aufzugstür stemmte.<br />
"Ein Krokodilmaul könnte nicht tückischer zuschnappen als dieses Aufzugungeheuer." Die<br />
dunkelhaarige Frau verzog angestrengt das Gesicht, während sie versuchte, die Tür<br />
zurückzuschieben.<br />
Guck nicht so blöd, Tom, hilf ihr. Sein Reaktionsvermögen hatte sich an diesem Tag<br />
offenbar im Zeitlupenmodus aufgehängt. Wahrscheinlich waren die vielen Überstunden<br />
der letzten Monate schuld. Tom streckte seinen Arm aus und wuchtete mit einem Ruck die<br />
Tür ein Stück zurück. "Der ist ein hinterhältiges Biest. Ich bin auch schon dazwischen<br />
geraten."<br />
Er packte den Ellbogen der Frau und zog sie in die Aufzugskabine hinein. "Haben Sie sich<br />
verletzt?" Besorgt sah er ihr in die Augen und bemerkte, dass sie haselnussfarben waren.<br />
Sie schaute auf den zerrissenen Karton in ihren Händen hinunter. "Körperlich nicht. Aber<br />
… Mann, es ist so peinlich, dass es wehtut." Sie versuchte, mit einer Hand die<br />
Schokoladencreme von ihrem Top zu wischen. "Die ganze Lieferung ist ruiniert …", sie<br />
stockte, fasste sich in den Ausschnitt und zog ein nur leicht angeweichtes<br />
Schokoladenherz aus dem Spalt zwischen den beiden – wie Tom bereits festgestellt hatte<br />
– sehr ansehnlichen Wölbungen hervor, "… fast die ganze Lieferung, um genau zu sein",<br />
ergänzte sie und warf ihm dabei ein verschämtes Lächeln zu.<br />
Wie hypnotisiert starrte er auf die Praline. Ein absurdes Verlangen stieg in ihm auf, sie ihr<br />
von den Fingern zu schlecken und sich dann der Stelle zuzuwenden, von der sie diese<br />
hervorgezaubert hatte. Hallo, entspann dich! Er hatte offenbar dringend ein paar Tage<br />
Urlaub nötig. Ihr war ein Unglück passiert, und er hatte nichts Besseres zu tun, als sich<br />
erotischen Fantasien hinzugeben.<br />
Der Aufzug hatte mittlerweile den dritten Stock erreicht, und die Tür sprang auf. "Äh …<br />
kommen Sie, in der Küche kann ich … können Sie die Schokolade abwaschen", sagte<br />
Tom und riss seinen Blick los.<br />
"Bitte keine Umstände. Ich sammle nur schnell das Zeug ein und verschwinde dann lieber,<br />
bevor mich mein Auftraggeber in diesem Zustand zu Gesicht bekommt". Sie ging in die<br />
Hocke und begann die Schokohäufchen vom Boden zu klauben.<br />
Tom betrachtete das hauchdünne Seidentop, das an strategisch wirkungsvollen Stellen<br />
festklebte und jede Linie ihrer Brüste so deutlich nachzeichnete, als trüge sie nichts außer<br />
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einem Bodypainting auf der Haut. "Glauben Sie mir, es wäre keine gute Idee, wenn Sie so<br />
unter die Leute gingen. Um den Aufzug werde ich mich gleich kümmern, kommen Sie."<br />
Zögernd stand sie auf, hielt sich den ramponierten Karton wie einen Schild vor die Brust<br />
und trat aus der Kabine.<br />
Tom führte sie in die Redaktionsküche, die, so kurz nach der Mittagspause, wie verwaist<br />
war. Er nahm ein Küchenhandtuch vom Haken und hielt es unter den Wasserhahn. "Wo<br />
sollte das Paket hingehen?" Er reichte ihr das tropfnasse Tuch und nahm ihr den Karton<br />
aus der Hand. Die Aufschrift "Chocolaterie" und darunter in größerer Schrift "Zarte<br />
Versuchung" fiel ihm ins Auge. Sehr passend, dachte er und schaute, ob er eine Adresse<br />
entdecken konnte.<br />
"Zur Produktion Duell der Stars." Die Schokoladengöttin warf einen Blick auf die Uhr, die<br />
über der Tür hing. "Verflixt, ich muss schleunigst Ersatz herbeischaffen, sonst kann ich<br />
jeden weiteren Auftrag vergessen." Hektisch versuchte sie die Schokoladenmasse von<br />
ihrem Top zu reiben.<br />
Tom musste sich zwingen, seinen Blick abzuwenden. Zwar verschwand bei ihrer<br />
energischen Reinigungsaktion die klebrige Schokoschicht, doch der großzügige<br />
Wassereinsatz hatte den Seidenstoff nun komplett durchsichtig gemacht.<br />
Suchend schaute Tom sich um. Er musste irgendetwas finden, das er ihr umbinden<br />
konnte. Sonst würde er noch den Verstand verlieren oder bei dem Gedanken, dass sie<br />
seinen männlichen Kollegen in diesem Outfit unter die Augen trat, vor Eifersucht<br />
zerplatzen.<br />
Dummerweise war die Büroküche eine unergiebige Fundstelle für<br />
Damenoberbekleidungsersatz. Er konnte ihr ja schlecht ein Tablett vor die Brust binden …<br />
oder zwei Untertassen. Kurzentschlossen knöpfte er sein Hemd auf und zog es aus.<br />
"Komme ich ungelegen?", ertönte es schrill von der Tür. Tom zuckte zusammen und sah<br />
aus dem Augenwinkel, wie die Pralinenfee schützend die Hände vor den Oberkörper hielt.<br />
Bianca Kaiser, Redakteurin bei Zap Entertainment, trat durch die Tür. Vorsichtig auf den<br />
Spitzen ihrer schwarzen Prada-Schuhe tänzelnd, steuerte sie zum Tisch hinüber und<br />
rupfte eine Hand voll Servietten aus dem Spender. Sie ließ sich auf einen der Stühle fallen<br />
und wischte betont sorgfältig die Absätze und Sohlen ihrer Vierhundert-Euro-Prachtstücke<br />
ab. Tom entging nicht, dass sie die dunkelhaarige Unbekannte, von der er nicht einmal<br />
den Namen wusste, mit abschätziger Miene musterte.<br />
Dass ausgerechnet Bianca in die Küche platzte, überraschte Tom kein bisschen. Seit<br />
jenem unseligen One-Night-Stand vor fünf Monaten hatte er das Gefühl, dass sie eine Art<br />
Ortungsradar entwickelt hatte, um immer genau dort auftauchen zu können, wo er sich<br />
gerade aufhielt.<br />
"Kleines Malheur im Aufzug. Wir versuchen nur den Schaden zu beheben", erklärte Tom<br />
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und legte seiner Aufzugsbekanntschaft sein Hemd um die Schultern. "Damit werden Sie<br />
wenigstens heil nach Hause kommen, ohne dass die Polizei Sie verhaftet."<br />
Die Schokoladengöttin schlüpfte in die Ärmel und schlang den Baumwollstoff eng um ihren<br />
Körper. "Die Hilfe nehme ich dankend an, obwohl mich selbst die Polizei nicht davon<br />
abhalten könnte, schleunigst Ersatzpralinen herzubringen", antwortete sie und lächelte.<br />
Bianca Kaiser strich sich eine der streng auf Kinnlänge getrimmten dunkelblonden<br />
Strähnen aus dem Gesicht. "Pralinen? Dann haben Sie die Sauerei im Aufzug<br />
veranstaltet, mit der ich mir beinahe die Schuhe ruiniert hätte?" Sie durchbohrte die<br />
Schokoladengöttin förmlich mit ihrem Blick. "Außerdem ist die Produktionsleitung schon<br />
auf hundertachtzig, weil die Pralinen für die VIP-Garderoben überfällig sind."<br />
"Ich kümmere mich sofort darum", sagte die Schokoladengöttin mit bewundernswerter<br />
Gelassenheit und wandte sich dann an Tom. "Würden Sie mir zeigen, wo ich Eimer und<br />
Lappen finde?"<br />
Tom funkelte Bianca böse an, ging zum Spülschrank und zog beides hervor. "Ich erledige<br />
das. Dann können Sie sofort lossprinten."<br />
Bianca lachte kreischend auf. "Der Redaktionsleiter macht auf Putzkolonne. Nicht<br />
schlecht."<br />
Am liebsten hätte Tom ihr das Wischtuch zwischen die entblößten Zahnreihen gestopft.<br />
"Im Gegensatz zu dir hätte ich dann heute zumindest etwas Sinnvolles getan."<br />
Mit Eimer und Lappen bewaffnet, folgte er der Dunkelhaarigen zur Tür hinaus. "Ich muss<br />
mich für die Unfreundlichkeit meiner Kollegin entschuldigen."<br />
"Ist schon gut. Sie hat ja Recht. Ich hätte das Chaos sofort beseitigen müssen", antwortete<br />
sie. In seinem Hemd sah sie wirklich zum Anbeißen aus.<br />
Er öffnete die Tür zum Treppenhaus. "Nehmen Sie die Treppe, das geht schneller. Ich<br />
kümmere mich um den Aufzug."<br />
Sie ließ ein strahlendes Lächeln aufblitzen und sprang die ersten Stufen hinunter. "Sie<br />
sind ein Engel", rief sie ihm über die Schulter hinweg zu.<br />
Mit höchst unengelhaften Gedanken, dachte Tom. "Wie heißen Sie?", rief er ihr hinterher.<br />
"Panama Prill!"<br />
"Panama?"<br />
"Ja. Wie das schmale Herz des amerikanischen Kontinents."<br />
"Ist das ein Künstlername?", rief Tom und beugte sich über das Geländer.<br />
"Man nennt mich zwar eine Künstlerin der Schokoladenzunft, aber dieser Name verfolgt<br />
mich schon seit meiner Geburt." Sie winkte und verschwand aus seinem Blickfeld.<br />
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4. KAPITEL<br />
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Ein peinlicheres Desaster hätte sich Panama in ihren schlimmsten Albträumen nicht<br />
ausmalen können. Im Nachhinein wunderte sie sich über sich selbst – dass sie nicht<br />
einfach in Schreikrämpfe ausgebrochen oder eine Heulattacke bekommen hatte. Aber sie<br />
war ja schließlich kein überspannter Teenie, sondern eine Geschäftsfrau, die in jeder Lage<br />
zumindest einen Rest an Souveränität bewahren musste. Demnach musste sie wohl stolz<br />
auf sich sein. Genau!<br />
Trotzdem verspürte sie immer noch ein gewisses Bedürfnis danach, ihre Existenz als ein<br />
Klumpen Antimaterie in einem fernen Universum fortzusetzen. Hätte der Typ im Aufzug<br />
nicht wenigstens hässlich oder unfreundlich sein können? Natürlich nicht. Wenn sie sich<br />
schon bis auf die Knochen blamieren musste, dann selbstverständlich vor einem Super-<br />
Adonis, der zu allem Überfluss auch noch sympathisch war!<br />
Auswandern wäre ebenfalls keine schlechte Idee. Gleich morgen früh – am besten ans<br />
entgegengesetzte Ende der Welt … Reiß dich zusammen. So schlimm war es auch wieder<br />
nicht. Sie würde ihm wahrscheinlich nie wieder begegnen. Was sollte also die Aufregung?<br />
Panamas Blick fiel auf die Manschette seines Hemdes, die ihr Handgelenk<br />
umschmeichelte. Das Hemd musste sie ihm zurückbringen. Mist. Sie würde es einfach<br />
einer Sekretärin in die Hand drücken und Schluss. Und Schluss? Mit den Fingerkuppen<br />
strich sie über den weichen Stoff und spürte, wie ein seltsam kribbelnder Schauer durch<br />
ihren Körper lief.<br />
Sie trat noch heftiger in die Pedale, doch selbst das konnte nicht verhindern, dass sie<br />
ununterbrochen an ein Paar grüne Augen denken musste. Augen, die sie auf eine<br />
beunruhigend intensive Art angesehen hatten. Bild dir bloß nichts ein. Schließlich war er<br />
ein Mann. Noch dazu einer, über den sie nicht das Geringste wusste. Außer dass er<br />
verdammt attraktiv aussah und sich besorgt um sie gekümmert hatte. So ein Quatsch. Er<br />
war einfach nur nett gewesen. In seiner Branche hatte er es tagtäglich mit Dutzenden von<br />
Menschen zu tun. Deswegen war er versiert darin, sich höflich zu benehmen, nichts<br />
weiter. Egal. Wenn sie schon nicht auswanderte, so würde sie jedenfalls alles dafür tun,<br />
ihm nie wieder unter die Augen treten zu müssen. Er hielt sie bestimmt für den letzten<br />
Trampel.<br />
Schweißgebadet erreichte sie die Chocolaterie. Das war eindeutig ein Notfall, ein Fall für<br />
Codewort "Jiu Ming". Panama zog ihr Handy aus der Tasche, tippte die sieben<br />
Buchstaben in das Mitteilungsfeld und drückte auf Senden.<br />
Keine zwei Minuten später riss Li Mei die Tür auf. Schon seit ihrer Schulzeit benutzten sie<br />
den chinesischen Hilferuf, wenn eine von ihnen in der Klemme saß. Es war überaus<br />
praktisch, da man ihn sogar im Beisein anderer aussprechen konnte, ohne dass diese<br />
ahnten, was er bedeutete. Die um Hilfe Angerufene brauchte sich dann nur eine<br />
haarsträubende Ausrede einfallen zu lassen, warum ihre Freundin sofort gehen musste.<br />
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Nicht zuletzt ließen sich so penetrante oder – noch schlimmer – langweilige Dates auf<br />
diese Weise elegant verkürzen.<br />
"Du hast Glück, Pa ist da und übernimmt meine Gäste", rief Li Mei atemlos. "Was ist los?"<br />
Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte sie Panamas Hemd und das fleckige Top.<br />
Panama faltete einen Karton auseinander und zog eine Stange Papiermanschetten aus<br />
der Schublade. "Ich brauche deine Hilfe, sonst ist mein Laden bei denen für immer<br />
abgeschrieben."<br />
Während sie mit geübter Hand Pralinen von der rechten Seite der Vitrine in die<br />
Manschetten setzte, berichtete sie von ihrem Lieferabenteuer. Li Meis flinke Finger<br />
verpackten die Sorten von der linken Seite. In weniger als zehn Minuten war der Karton<br />
gefüllt – und soweit Panama das in der Eile sehen konnte – adrett präsentiert. Li Mei bot<br />
ihr an, im Laden zu bleiben und die Kunden zu bedienen, während Panama ihren zweiten<br />
Anlauf bei Zap Entertainment Productions startete.<br />
"Du bist meine Rettung, schöne Pflaumenblüte", sagte Panama und umarmte ihre<br />
Freundin. Wie fast alle chinesischen Namen, klang auch Li Mei übersetzt wie Poesie.<br />
"Aber erst tauschen wir noch die Oberteile."<br />
"Heute strapazierst du unsere Freundschaft ganz schön", erwiderte Li Mei lachend.<br />
Panama ging ins Hinterzimmer und zog Hemd und Top vom Körper. "Tut mir leid, dass ich<br />
dir dieses Pop-Art-Kunstwerk aufdrängen muss, aber du brauchst es damit ja nur über die<br />
Straße zu schaffen", sagte sie und reichte Li Mei, die ihr gefolgt war, das gefleckte<br />
Schoko-Oberteil.<br />
Li Mei schnitt eine Grimasse, doch streifte sie wie gewünscht ihr Tanktop ab. Das Stück im<br />
Raubtierprint war glücklicherweise elastisch, so dass es sich auf die für Panama nötigen<br />
zwei Kleidergrößen mehr dehnen ließ.<br />
Das richtige Outfit für den Angriff, dachte Panama mit einem Blick auf das<br />
Leopardenmuster, als sie zum zweiten Mal an diesem Tag den Firmensitz von Zap<br />
Entertainment betrat.<br />
Die Empfangsdame saß nach wie vor an ihrem Platz. Panama nickte ihr zu, allerdings<br />
telefonierte diese gerade flüsternd und würdigte sie keines Blickes.<br />
Der Aufzug kam, öffnete sich folgsam und blieb zahm. Vielleicht hält ihn der Raubtierlook<br />
in Schach, dachte Panama. Zu ihrer Erleichterung traf sie darin nicht erneut auf ihre<br />
Bekanntschaft von eben. Aber ein Blick auf den Boden zeigte ihr, dass er tadellos sauber<br />
gemacht hatte. Sexy, höflich und dazu noch wischlappenversiert? Aus welchem<br />
Zuchtlabor war er denn entflohen? Der Typ war bestimmt schwul.<br />
Auf der dritten Etage wies ihr ein mit Videobändern bepacktes Mädchen den Weg zur<br />
Produktionsassistenz. Panama durchquerte ein Großraumbüro, das vollgepfercht war mit<br />
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einem Dutzend Schreibtischen. Computermonitore flimmerten, Drucker surrten und ein<br />
Kanon von Stimmen plärrte angestrengt in Hörermuscheln. Ihr würde hier spätestens nach<br />
einer halben Stunde der Kopf rauchen, schoss es ihr durch den Kopf.<br />
"Da sind Sie ja endlich. Tom Jordan vom Morgenmagazin hat schon angekündigt, dass<br />
Sie sich verspäten, weil Sie dem Aufzug zum Opfer gefallen sind." Im Produktionsbüro<br />
angekommen, nahm ihr eine Assistentin mit hektischen roten Flecken am Hals das Paket<br />
ab.<br />
"Ich verspreche Ihnen, die nächste Lieferung wird überpünktlich sein", entgegnete<br />
Panama und lächelte entschuldigend. "Dann bin ich darauf vorbereitet, dass der Aufzug<br />
ein Sabotagemonster ist." Sie zog zwei große Beutel mit Riesengummibären und<br />
Rumkugeln aus ihrer Tasche. "Und als Dank für Ihr Verständnis habe ich Ihnen ein kleines<br />
Entschädigungspräsent mitgebracht."<br />
Die Assistentin lächelte und nahm die Tüten entgegen. "Hmmm. Danke, der Nachmittag<br />
ist gerettet." Schon hatte sie den ersten Beutel geöffnet.<br />
Erneut griff Panama in ihre Tasche und holte das Hemd heraus. "Könnten Sie das bitte<br />
Ihrem Kollegen zurückgeben?"<br />
Die Assistentin blickte sie mit hochgezogenen Brauen an.<br />
"Er hat es mir freundlicherweise geliehen, weil ich völlig bekleckert war", erklärte Panama.<br />
"Tom Jordans Büro liegt den Gang runter auf der linken Seite", antwortete die Assistentin<br />
und schob sich eine Rumkugel in den Mund.<br />
"Er ist bestimmt sehr beschäftigt, ich will ihn nicht stören", entgegnete Panama hastig und<br />
hängte das Hemd über den nächstbesten Stuhl. "Sagen Sie ihm vielen Dank."<br />
Sie winkte und steuerte zurück zum Aufzug. Als sie wieder das Großraumbüro betrat und<br />
schon aufatmen wollte, versperrte ihr ein höchst unwillkommenes Hindernis den Weg.<br />
Panama seufzte und dachte, dass ihr an diesem Tag auch nichts erspart bliebe.<br />
Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, seinen ansprechenden Hintern erkannte sie jedoch<br />
sofort. Gerade hängte er Notizkarten an eine Magnetwand, die sich fast über die gesamte<br />
Raumlänge erstreckte. Schlagworte in Großbuchstaben fielen Panama ins Auge: DER<br />
GROSSE ANTI-CELLULITE-TEST. HUNDE-AEROBIC. PROMI-TALK … Sie versuchte<br />
sich unbemerkt vorbeizuschleichen.<br />
"Was hältst du davon, den Cellulite-Einspieler noch vor die erste Werbepause zu ziehen?",<br />
rief er und drehte sich um.<br />
Na, der Mann hatte vielleicht Nerven. An ihren Schenkeln mochten sich zwar klitzekleine<br />
Dellen zeigen, aber das machte sie noch lange nicht zur Cellulite-Expertin.<br />
"Da ist er bestimmt gut aufgehoben", antwortete sie und stemmte ihren Arm in die Hüfte.<br />
"Oh … äh … Panama! Ich dachte, es sei Bianca." Sein Blick klebte an ihrem Raubtier-Top.<br />
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"Hallo … Ihr Hemd habe ich der Produktionsassistentin gegeben, da ich nicht mal Ihren<br />
Namen wusste", sagte Panama und strapazierte ohne Gewissenbisse ein wenig die<br />
Wahrheit.<br />
"Stimmt, ich hatte mich gar nicht vorgestellt", sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.<br />
"Ich bin Tom Jordan, Redaktionsleiter der Guten Morgen Show."<br />
Panama schüttelte seine Hand. "Ich hätte das Hemd vielleicht besser erst waschen sollen,<br />
aber ich dachte, Sie würden es so schnell wie möglich zurückhaben wollen." Sie konnte<br />
sich das seltsame Gefühl nicht erklären, das vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen durch<br />
ihren Körper prickelte. Konzentrier dich und red was Unverfängliches, versuchte sie sich<br />
abzulenken.<br />
"Nette Themen, mit denen Sie sich beschäftigen", meinte sie und deutete mit dem Kinn<br />
auf die Magnetwand.<br />
Tom grinste und blickte auf die Schlagzeilenreihe. "Jeden Morgen servieren wir den<br />
Zuschauern zum Frühstücksbrötchen einen Querschnitt durch die unverzichtbaren<br />
Themen des modernen Lebens und die neuesten Nachrichten unseres Planeten …" Er<br />
strich sich eine seiner dunkelblonden Strähnen aus der Stirn.<br />
Von einem der Schreibtische kam ein junger Typ mit klimperndem Kettengürtel und<br />
hochgegelten Haaren auf sie zu. "Chef, die Hausbau-Abzocke für Dienstag ist geplatzt.<br />
Sollen wir stattdessen mal wieder eine verpfuschte Schönheits-OP reinnehmen?"<br />
Tom verdrehte die Augen. "Auf keinen Fall, wir haben für übermorgen schon Gesäßlifting<br />
drin. Wir ziehen den Werkstatt-Check von Donnerstag vor. Julia recherchiert die Sache,<br />
schließ dich mit ihr kurz." Der Typ nickte und verschwand in Richtung Aufzug, vermutlich<br />
auf der Suche nach Julia.<br />
"… und ab und zu wiederholen die Dinge sich auch, aber das ist wohl in jedem Job so",<br />
sagte Tom und wandte sich ihr wieder zu.<br />
"Ich habe meinen Laden erst vor zwei Wochen aufgemacht, da ist noch nicht viel mit<br />
Routine", antwortete Panama. "Der heutige Tag ist leider ein besonders krasses Beispiel."<br />
"Ich hatte mich schon gewundert, denn ein Laden namens 'Zarte Versuchung' wäre mir<br />
sonst in der Apostelnstraße bestimmt aufgefallen."<br />
"Sie wissen, wo mein Geschäft ist?"<br />
"Ich habe bei der Produktion nachgefragt."<br />
"Ah … vielen Dank übrigens, dass Sie der Assistentin Bescheid gegeben haben, dass ich<br />
mich verspäte." Panama schluckte und fragte sich, ob sein Interesse an ihrem Laden ein<br />
Zeichen dafür war, dass er sich für sie – als Frau – interessierte. Träum weiter.<br />
Wahrscheinlich hatte er nur wissen wollen, ob die Frau, die sich vor ihm so zum Affen<br />
gemacht hatte, tatsächlich eine real existierende Adresse besaß oder nur eine 3-Danimierte<br />
Comicfigur gewesen war.<br />
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Tom strich sich über die Stirn. "Ich … ich hatte deshalb nachgefragt, weil wir im<br />
Morgenmagazin eine Beitragsreihe über Jobs in verschiedenen Branchen machen. Eine<br />
Chocolaterie wäre auch interessant", sagte er. "Stellen Sie die Pralinen selbst her?"<br />
"Die frischen Sorten ja. Dazu verkaufe ich süße Spezialitäten aus aller Welt", antwortete<br />
Panama.<br />
"Ich würde gerne einmal vorbeikommen und mir Ihr Geschäft ansehen … zur Recherche."<br />
"Dann kann ich mich wenigstens für Ihre Hilfe bei dem Aufzug-Desaster revanchieren." Mit<br />
einem Wahnsinnskuss zum Beispiel. Panama, sein Interesse ist rein beruflich.<br />
"Das habe ich gerne gemacht. Sagen Sie mir vor Ihrer nächsten Lieferung Bescheid. Ich<br />
komme dann runter und bilde die Aufzugeskorte", erwiderte er und lächelte.<br />
"Noch mal gehe ich dem Biest nicht in die Falle", sagte sie. "Ich muss los, bis dann." Sie<br />
drehte sich um und durchquerte schnellen Schrittes das Großraumbüro.<br />
Das Auswandern würde sie fürs Erste verschieben.<br />
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5. KAPITEL<br />
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Der Sendeablauf lag nun schon seit einer halben Stunde vor ihm auf dem Tisch, und Tom<br />
war immer noch nicht über Position drei hinausgekommen. Die Schokofee ging ihm nicht<br />
aus dem Kopf. Er fragte sich, was ihn an dieser Frau, mit der er nur wenige Sätze<br />
gewechselt hatte, so sehr hatte beeindrucken können. Wahrscheinlich spielten einfach<br />
seine Hormone verrückt. Er war schon viel zu lange alleine. Acht Monate seit der<br />
Trennung von Julie – von der Nacht mit Bianca abgesehen. Doch diese Episode war ein<br />
Fehler gewesen, für den er nun täglich in Form von strapazierten Nerven büßte. Selber<br />
schuld – er hätte sich besser vorher überlegen sollen, welche Konsequenzen es hatte, mit<br />
einer Kollegin anzubandeln, der er nicht aus dem Weg gehen konnte.<br />
Er holte tief Luft und versuchte, sich zu konzentrieren. Position vier … Panama war bei<br />
allem so cool geblieben. Sie war weder hysterisch zusammengeklappt noch wütend<br />
ausgerastet, als ihr der Aufzug die Lieferung ruinierte. Es hätte ja auch nichts geändert.<br />
Dennoch fragte er sich, wie Julie an ihrer Stelle reagiert hätte. Sie hatte nicht selten bei<br />
Belanglosigkeiten einen Aufstand gemacht.<br />
Seit gestern jedenfalls war der Aufzug von Zap Entertainment für ihn zu einem magischen<br />
Ort avanciert. Eine sonderbare Spannung hatte von ihm Besitz ergriffen, als er ihn heute<br />
Morgen betreten hatte. Ganz so, als erwartete er, dort Panama wieder zu begegnen. Doch<br />
als er sich zur Tür gedreht hatte, war sein enttäuschter Blick lediglich auf Helmut Klamm<br />
aus der Buchhaltung gefallen, der hinter ihm einstieg.<br />
Tom starrte auf das Hemd, das die Produktionsassistentin ihm auf den Schreibtisch gelegt<br />
hatte. Er nahm es in die Hand und strich über den Stoff. Sie hatte es auf ihrer Haut<br />
getragen. Unwillkürlich hob er es ans Gesicht und schnupperte daran. Der zarte Hauch<br />
eines Blütendufts und darunter eine deutliche Basis von Schokolade und Vanille<br />
streichelte seine Nase.<br />
Tom blickte zur Tür, zog kurzentschlossen sein T-Shirt aus und schlüpfte in das Hemd.<br />
Dass auf der Innenseite Schokoladenkleckse prangten, kümmerte ihn nicht. Von außen<br />
waren sie nicht allzu deutlich zu sehen. Das Souvenir an die Aufzugsgeschichte würde er<br />
auf keinen Fall waschen. Drehst du jetzt komplett durch? Wie konnte er sich nur so<br />
kindisch aufführen? Er hatte Panama bisher erst zweimal getroffen, und schon wollte er<br />
den Duft ihrer Haut auf seinem Körper tragen? Musste wohl ein Symptom für Burn-out<br />
sein.<br />
Tom massierte seine Schläfen und versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen. Als er<br />
gerade aufgestanden war, um das Hemd wieder ausziehen, klingelte das Telefon. Er griff<br />
nach dem Hörer.<br />
"Hallo, Tom. Carsten hier, hast du mal einen Augenblick und kommst in mein Büro?"<br />
"Bin sofort da", antwortete Tom. Ernüchtert streifte er das Hemd wieder ab und zog sich<br />
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sein T-Shirt über den Kopf. Carsten Seidel war Executive Producer der Firma und Toms<br />
direkter Vorgesetzter. Tom ahnte, dass ihn kein vergnüglicher Plausch erwartete. Die<br />
Einschaltquoten der Guten Morgen Show waren um ein Drittel gesunken, seit der<br />
Konkurrenzsender Net5 eine Kopie der Show zur gleichen Sendezeit ins Programm<br />
genommen und ans Moderatorenpult zwei Models gestellt hatte, die mangelnde<br />
journalistische Kompetenz durch Zahnpastalächeln und besonders tiefe Ausschnitte<br />
wettmachten.<br />
"Setz dich. Kaffee?", begrüßte ihn Carsten, der hinter seinem zwei Meter langen<br />
schwarzen Schreibtisch saß. Gierig zog er an einer Zigarette. Der Aschenbecher neben<br />
seiner Kaffeetasse war randvoll mit Kippen gefüllt. Dabei war es erst halb elf.<br />
"Ich hatte eben ein langes Telefonat mit Schönmann", erklärte er. "Der hat mir die Pistole<br />
auf die Brust gesetzt. Entweder gehen die Quoten in den nächsten sechs Wochen um<br />
deutliche Punkte hoch – oder die Sendung wird abgesetzt."<br />
"Dann sollten wir Lena und Bernd am besten in knappen Höschen vor die Kamera stellen<br />
und dazu noch einen deftigen Skandal inszenieren", erwiderte Tom.<br />
"Keine schlechte Idee. Lass dir jedenfalls was einfallen, Junge. Täte mir leid, dich ziehen<br />
zu lassen."<br />
Tom schluckte. Na wunderbar, während der letzten drei Jahre hatte er sich den Arsch für<br />
die Firma aufgerissen und allein schon mehr Überstunden geschoben, als mancher<br />
Beamter pro Jahr im Dienst absaß.<br />
Seidel paffte einen Rauchring in die Luft und fixierte ihn. "Schönmann hat vorgeschlagen,<br />
Pop-Sternchen Janine Armand in einer Beitragsserie zu begleiten. Die ist im siebten<br />
Monat schwanger und braucht dringend Publicity, weil in zwei Wochen ihre neue Single<br />
erscheint. Ein Vier-Minüter in jeder Sendung. Ein bisschen Schwangerschaftsgymnastik,<br />
Babysachen kaufen und so weiter. Bei der Geburt wird unsere Kamera auch dabei sein.<br />
Hier ist die Nummer ihres Managers. Er weiß schon Bescheid." Quer über den Tisch<br />
schnippte er Tom eine Visitenkarte zu.<br />
Tom fing sie auf und kehrte in sein Büro zurück. Müde rieb er sein Gesicht. Janine Armand<br />
war eine publicitygeile Profizicke, die bei jedem ihrer bisherigen Auftritte in der Show das<br />
ganze Team getriezt hatte. Der Gedanke, ihr auch noch zusehen zu müssen, wie sie auf<br />
dem Gebärstuhl hechelte, verwandelte seinen Magen schon jetzt in einen Betonklotz.<br />
Dabei war er einiges gewöhnt. In der zweistündigen Guten Morgen Show auf KVN hatte er<br />
Politiker ausrasten, Filmsternchen aufeinander losgehen, Überlebende von Unglücken<br />
unter Tränen von ihrer Rettung berichten und Wirtschaftsbosse zu Samaritern mutieren<br />
sehen. Angereichert wurde die TV-Sauce mit Service-Häppchen aus einem<br />
Themenstrauß, der von "Wie verschönere ich mein Gästeklo" bis zu "Hilfe, meine Katze ist<br />
zu dick" reichte.<br />
Vielleicht war er in den drei Jahren einfach zynisch geworden. Er hatte den leisen<br />
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Verdacht, in eine Endloszeitschlaufe geraten zu sein, die ihn gefangen hielt. Alles schien<br />
sich zu wiederholen. Die Gesichter der Politiker änderten sich, die Sprechblasen blieben<br />
die gleichen. Zur Frühjahrssaison gab es Spargelrezepte – Reiseapothekenempfehlungen<br />
kamen vor der Urlaubszeit. Verschönerungstipps für die eigenen vier Wände reichten vom<br />
Wohnzimmer über die Küche bis zum Bad und dann wieder von vorn. In den letzten<br />
Monaten hatten ihn zunehmend Déjà-vu-Erlebnisse geplagt, wenn er die Beiträge der<br />
Reporter abnahm. Seine Sinnesorgane waren vermutlich abgestumpft und brauchten eine<br />
Pause.<br />
Er seufzte und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die Mittagspause würde heute<br />
jedenfalls wieder ausfallen. In Schnittraum zwei musste er den Schönheits-OP-Einspieler<br />
für den nächsten Tag abnehmen.<br />
Als er die Tür aufstieß, begrüßte ihn auf der Bildschirmreihe des Schnittplatzes die<br />
Großaufnahme eines nackten Frauenhinterns, auf den eine Operateurshand mit<br />
Kugelschreiber Linien malte, die dem Autobahnnetz im zentralen Ruhrgebiet ähnelten.<br />
Tom fragte sich, was der schnauzbärtige plastische Chirurg an dem runden, aber<br />
wohlgeformten Po verbessern wollte. Je länger er die gespreizten Erklärungen des Arztes<br />
verfolgte, desto mehr drängte sich ihm der Eindruck auf, dass wohl eher der Operateur mit<br />
seinen Hängebacken und der Höckernase eine Verschönerung nötig hatte. Komisch,<br />
bisher hatten alle, die als Experten für Schönheits-OPs aufgetreten waren, ausgesehen,<br />
als könnten sie selber eine OP vertragen. Wieso schreckten gerade sie davor zurück, sich<br />
die Bauchansätze wegsaugen und die Falten unterspritzen zu lassen? Anscheinend fehlte<br />
ihnen das Vertrauen, sich unter die Messer ihrer Kollegen zu legen.<br />
Tom gab Anweisung, dem Einstieg in den Beitrag mehr Tempo zu verleihen und kehrte in<br />
sein Büro zurück.<br />
Er öffnete beide Fensterflügel und holte tief Luft. Nach Julies Auszug hatte er sich noch<br />
tiefer in die Arbeit vergraben. Nicht nachdenken zu müssen, war sein Schutz. Er hatte sich<br />
selbst in einen Watteball gepackt, der ihm so groß wie der Mond schien – und ihm<br />
langsam die Luft abschnitt. Nach dem verunglückten One-Night-Stand mit Bianca hatte er<br />
keiner Frau mehr eine Chance gegeben. Keine hatte ihn reizen können.<br />
Braune Augen, die seinen Blick so magisch gefesselt hatten, blitzten durch seine<br />
Gedanken. Ein Top mit Schokoguss und ein Mund, dessen Lippen er im Traum geküsst<br />
hatte. Panama. Panama? Er musste sie wiedersehen, und er hatte den perfekten Vorwand<br />
dafür. Es gab Gelegenheiten, da war sein Job trotz allem ein Segen.<br />
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6. KAPITEL<br />
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Der riesige Deckenventilator surrte auf Stufe drei. Panama stellte sich genau in das<br />
Zentrum des Luftwirbels und zupfte am Ausschnitt ihres weißen, mit Zitronenzweigen<br />
bedruckten Spaghettiträger-Kleides. Jetzt reichte der Windhauch bis zu ihrem von<br />
Schweißtröpfchen umkränzten Bauchnabel hinunter.<br />
Ein Fünf-Minuten-Plausch vor der Ladentür hatte ausgereicht, sie in der Gluthitze, die sich<br />
wie mindestens sechzig Grad Celsius anfühlte, zerfließen zu lassen. Die alte Klimaanlage<br />
des Ladens ächzte an der Kapazitätsgrenze, und Panama war froh, dass der Ventilator,<br />
den sie eigentlich nur wegen des tropischen Flairs aufgehängt hatte, ihr zusätzlich<br />
Kühlung verschaffte.<br />
Ein Sprung in den Badesee wäre nicht schlecht. Aus dem Radio erklang Lovin' Spoonfuls<br />
"Summer in the City", und sie stimmte mit ein. Es war schon halb zwei, und sie hatte den<br />
ganzen Tag nur eine einzige Kundin bedient, die eine Tüte saure Stäbchen gekauft hatte.<br />
Bei dieser Hitzewelle konnte Schokolade, selbst eisgekühlte, niemanden locken.<br />
Außerdem war Ferienzeit, und die Straßen waren wie leer gefegt.<br />
Leider durfte eine frischgebackene Geschäftsfrau an Urlaub nicht einmal denken. Aber ein<br />
Augusttag in der Stadt hatte schließlich auch seine Vorteile. Er bot die einzigartige<br />
Gelegenheit, einen Weltrekordversuch im Dauerschwitzen aufzustellen – wenn sie denn<br />
auf einen Rekord aus wäre. Oder dem Asphalt bei der Schmelze zuzuschauen. Oder<br />
amüsiert zu verfolgen, wie sich die Angestellten der MPKG-Unternehmensberatung von<br />
schräg gegenüber mit Hemd, Krawatte und Sakko an den Tischen vor dem "Ming's<br />
Garden" durch die Mittagspause schwitzten. Panama fragte sich, ob sie Angst hatten, eine<br />
Bonusprämie aufs Spiel zu setzen, wenn sie in der Mittagspause auf leger machten.<br />
Muskulöse Unterarme und kräftige Hände tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Tom<br />
Jordan hatte unangestrengt lässig ausgesehen, als er sich ihretwegen das Hemd<br />
ausgezogen hatte. Sein T-Shirt hätte er gleich mit ablegen können, denn die Breite seiner<br />
Schultern ließ auf einen appetitanregenden Anblick schließen … Wieso musste sie ständig<br />
an Tom denken? Das war doch absurd. Er war ein bisschen nett zu ihr gewesen, und sie<br />
hatte nichts Besseres zu tun, als ihm gleich hinterherzuschmachten? Lernte sie denn nie<br />
dazu?<br />
Also noch mal von vorn. Es war toll, an einem brütend heißen Augusttag in der Kölner<br />
Innenstadt zu braten, weil: a) sie alleine unter dem Ventilator tanzen konnte, ohne von<br />
Kunden belästigt zu werden, und b) Spiegelbrillen tragende Exfreunde – wie Li Mei aus<br />
gut unterrichteten Kreisen erfahren hatte – am Mittelmeer ihre dumpfe Männlichkeit der<br />
Sonne präsentierten. Keine Gefahr also, Rick in den nächsten zwei Wochen über den<br />
Weg zu laufen. Der Gedanke, dass dieser Mistkerl im Mittelmeer badete, reichte aus, ihr<br />
dieses Reiseziel auf mehrere Jahre zu verleiden. Wie lange würde es wohl dauern, bis<br />
sich das Meer nach seiner Abreise regeneriert hatte? Gut, dass Tante Tilly mit Giuseppe<br />
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auf dem Weg nach Süditalien war. Bis Kalabrien würde sich wohl selbst die<br />
Verpestungskapazität von Rick nicht erstrecken können. Wer weiß?!<br />
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Wie im Theater wurde plötzlich von links ein weißer Vorhang vor das Schaufenster der<br />
Chocolaterie gezogen. Fast erwartete Panama, dass die in der Hitze schmorenden<br />
Unternehmensberater aufstünden, vorträten und sich vor ihr verbeugten. Doch der<br />
Vorhang blieb geschlossen.<br />
Panama ging einen Schritt auf das Schaufenster zu und entdeckte, dass es sich bei dem<br />
Vorhang in Wirklichkeit um ein riesiges Wohnmobil handelte, das direkt vor ihrem Laden<br />
parkte. Es sah dem von Tante Tilly verdammt ähnlich. Sogar die mit spielenden Möpsen<br />
bedruckten Vorhänge waren identisch. Gehörte das etwa zur Serienausstattung? Bisher<br />
hatte sie das Motiv immer als liebenswerte Geschmacksverirrung ihrer Tante angesehen.<br />
Die Seitentür öffnete sich, und Panamas staunenden Augen präsentierte sich ein<br />
schirmmützenbewehrter Kopf, der auf den Schultern eines Klons ihrer Tante saß. Waren<br />
Klonversuche nicht eine Technik, die erst seit wenigen Jahren Erfolge erzielte und bisher<br />
nur an Embryonen durchgeführt wurde? Wie hatten es die Frankensteinforscher geschafft,<br />
ihr Erzeugnis im Eilverfahren auf geschätzte sechsundsechzig Jahre altern zu lassen?<br />
Der Bermuda-Shorts und Espadrilles tragende Klon kam zur Ladentür und öffnete sie.<br />
"Panama. Ich bin wieder Single", sagte er mit der Stimme ihrer Tante.<br />
"Tilly, bist du es wirklich?", fragte Panama entgeistert.<br />
"Wer denn sonst? Wäre ich Claudia Schiffer, hätte mein Teint bestimmt ein paar Fältchen<br />
weniger." Tilly zog die Schirmmütze vom Kopf und bauschte ihre blaugrau schimmernden<br />
Haare auf.<br />
"Wieso bist du nicht in Kalabrien und sonnst dich am Strand?", fragte Panama. Rick fiel ihr<br />
wieder ein. "Hat es etwa eine Algenpest gegeben? Und wo ist Giuseppe?"<br />
"Wieso Algenpest? Aber, wenn du mich fragst, Männer sind eine reine Pest, und Giuseppe<br />
eine ganz besonders üble."<br />
Panama musste sich ein Lächeln verkneifen, denn lautstarke Streits und dramatische<br />
Trennungen gehörten zur Beziehung der beiden wie Eischnee zum Baiser. "Was ist denn<br />
passiert?", fragte sie.<br />
"Schon seit unserer Abfahrt war er in Nörgelstimmung. Bei einer Rast hinter der Schweizer<br />
Grenze hat er mich dann auch noch beschuldigt, ich sei falsch gefahren", berichtete Tilly<br />
mit entrüsteter Miene. "Ich war so wütend, dass ich umgekehrt bin."<br />
"Und Giuseppe?"<br />
"Weiß ich nicht."<br />
"Wie, weißt du nicht?"<br />
"Na, er ist zur Toilette in die Raststätte gegangen. Und ich bin losgefahren."<br />
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Panama traute ihren Ohren nicht. "Du hast ihn einfach in der Schweiz zurückgelassen?"<br />
"Das hat er jetzt davon. Ich lass doch keinen Mann an mir herummeckern!"<br />
Panama schüttelte ungläubig den Kopf. "Von ausgesetzten Hunden las man ja jeden<br />
Sommer in der Zeitung. Aber ein ausgesetzter Mann …?"<br />
Nachdem Panama Tilly ein wenig beruhigt hatte und diese mit ihrem Wohnmobil zu ihrer<br />
Wohnung in der Palanterstraße gefahren war, verlief der weitere Nachmittag ereignislos.<br />
Aus Langeweile hatte sich Panama in der Sitzecke niedergelassen und band<br />
Geschenkschleifen. Als sie gerade über eine innovative Farbkombination nachdachte,<br />
wurde die Tür so schwungvoll aufgestoßen, dass die Ladenglocke schepperte.<br />
"Hey, du musst den Laden ja wegen Überfüllung schließen", rief Li Mei und rollte schnittig<br />
bis vor Panamas Fußspitzen.<br />
Verblüfft blickte Panama auf Li Meis neueste Fußbekleidung. "Baust du dir deine Skates<br />
jetzt schon selbst?"<br />
Li Mei stand, mit engen Shorts und Tanktop bekleidet sowie mit Helm, Knie- und<br />
Ellbogenschonern und Handschuhen bewaffnet, auf schmalen Brettern, unter die Rollen<br />
montiert waren. Vervollständigt wurde ihr Outfit von Skistöcken.<br />
"Das sind keine Skates, sondern Rollski. Mit denen kann man auf der Straße Skilanglauf<br />
trainieren."<br />
"Es ist August, und du betreibst Wintersport auf der Straße, wo der Asphalt in der Sonne<br />
schmilzt?", fragte Panama fassungslos.<br />
"Das ist der allerneueste Trendsport. Solltest du auch mal versuchen", antwortete Li Mei,<br />
nahm den Helm ab und stülpte ihn Panama auf den Kopf.<br />
"Nein danke." Panama lachte. "Das Stöcke schwingende Nordic Walking sieht schon<br />
bescheuert genug aus. Und ganz bestimmt wirst du mich nicht dazu bringen, auf solchen<br />
Dingern über die Straße zu rutschen."<br />
Noch bevor die Trendmagazine einer neuen Sportart den Hipness-Faktor verliehen, hatte<br />
Li Mei es mit Sicherheit darin schon zur Meisterschaft gebracht. Ob Kitesurfing,<br />
Drachenfliegen oder Kangoo'Robic – Li Mei schwamm immer vorweg. Panama hingegen<br />
fand die Touren mit ihrem Schokorad als sportliche Betätigung völlig ausreichend. Und<br />
sosehr sie ihre beste Freundin auch liebte, sie hatte geschworen, sich auf kein<br />
Sportabenteuer mit Li Mei mehr einzulassen, seit diese sie letzten Sommer zu einer River-<br />
Boogie-Tour überredet hatte. Was sich nach harmloser Wassergymnastik im Fluss<br />
anhörte, hatte sich als Höllentrip durch Stromschnellen entpuppt, bei dem sie sich an<br />
nichts außer einem läppischen Schwimmbrett hatte festklammern können. Da zog sie<br />
selbst einen Ritt in ihrer Waschmaschine vor – bei höchster Schleuderstufe.<br />
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Li Mei blickte sich um. "Nix los heute?"<br />
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Panama schüttelte den Kopf und seufzte. "Der Monat ist absolut mau. Und nach meinem<br />
fulminanten Debüt bei Zap Entertainment gestern kann ich mir einen Folgeauftrag sicher<br />
abschminken."<br />
"Warte ab. Deine Pralinen sind die besten. Das werden sie merken und wiederkommen",<br />
meinte Li Mei und rollte im Slalom um die Warentische. "Du brauchst einfach mehr<br />
Werbung. Dein Laden muss erst mal bekannt werden."<br />
"Anzeigen sind für mich im Moment unbezahlbar", antwortete Panama, erhob sich und<br />
ging zur Theke hinüber. "Aber zum Herbst wird die Lust auf Schokolade sicher steigen."<br />
Die Ladenglocke bimmelte, und als Panama sich zur Tür umdrehte, blickte sie direkt in ein<br />
Paar ihr sehr bekannter, unverwechselbarer Augen.<br />
"H…hallo, Tom … ich meine, Herr Jordan."<br />
"Überlassen wir das Siezen doch lieber denen, die es nötig haben …", antwortete Tom<br />
und warf ihr einen amüsierten Blick zu. "… oder denen, die ohne Helm hinter ihrer<br />
Ladentheke stehen."<br />
"Oh!" Panama lächelte und zog den Helm vom Kopf. "Den hatte ich ganz vergessen."<br />
Tom blickte zu Li Mei hinüber. "Interessante Marketing-Strategie mit der Skivorführung."<br />
Li Mei lachte. "Siehst du, Panama, der Mann versteht was von Trends."<br />
"Genau deshalb bin ich hier. In der Guten Morgen Show wollen wir eine Serie über<br />
Existenzgründer machen. Chocolaterien liegen voll im Trend."<br />
"Das gibt mir Hoffnung, die nächsten Monate durchzuhalten", meinte Panama trocken.<br />
Tom ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, schlenderte an den Regalen vorbei und<br />
betrachtete die Auslage. "Der Laden hat wirklich Atmosphäre."<br />
"Und keiner macht bessere Pralinen als Panama", rief Li Mei. "Sie hat Rezepte kreiert, die<br />
so köstlich sind, dass sie sich nur durch übersinnliche Fähigkeiten erklären lassen."<br />
Rasant schwenkte sie die Skistöcke, um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen.<br />
"Dann muss ich die süßen Dinger … die Pralinen unbedingt probieren", sagte Tom mit<br />
heiserer Stimme und blickte Panama dabei so tief in die Augen, dass sie das Gefühl hatte,<br />
sie müsse auf der Stelle den Verstand verlieren – oder Li Mei die Stöcke entreißen, um<br />
sich weiter auf den Beinen halten zu können.<br />
Um ihre Befangenheit zu überspielen, bot sie Tom eine Führung durch die kleine<br />
Pralinenwerkstatt im Hinterzimmer an. Während sie ihm erklärte, wie sie ihre Kreationen<br />
herstellte, hatte sie das Gefühl, ein Außerirdischer hätte die Kontrolle über ihren Körper<br />
und ihre Sprachfähigkeit übernommen. Arme, Beine und ihr Mund bewegten sich zwar,<br />
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doch schien es ihr, als sei ihr Hirn dabei ausgeschaltet. Alles, was sie wahrnahm, waren<br />
Bildfetzen.<br />
Die Kante seiner Schultern.<br />
Die exakten Koteletten.<br />
Der Akazienhonigton seiner Haut.<br />
Dunkelblonde Haarsträhnen, die sich in seinem Nacken ringelten.<br />
"Sehr gut. Das gibt jede Menge her." Wie durch einen Nebel drang Toms Stimme zu ihr<br />
durch. "Wir drehen einen zweiminütigen Beitrag, und danach führst du im Studio ein oder<br />
zwei Rezepte vor. Ein prominenter Studiogast wird dir dabei assistieren."<br />
"Was?", fragte Panama entgeistert. "Ins Fernsehen? Prominenter Gast? Ich bin absolut<br />
nicht kameratauglich."<br />
Tom lächelte. "Glaub mir, das bist du."<br />
"Auf gar keinen Fall. Ich würde kein Wort herausbringen."<br />
"Wir haben in jeder Show Gäste, die zum ersten Mal vor der Kamera stehen. Du brauchst<br />
überhaupt keine Angst haben", entgegnete Tom. "Die beiden Moderatoren stehen dir zur<br />
Seite, und alles wird vorbereitet."<br />
Li Mei riss die Arme hoch. "Panama, das ist eine Superchance. Das wird unschlagbare<br />
Werbung für deinen Laden!"<br />
"Aber nicht, wenn ich mich dabei blamiere", meinte Panama.<br />
"Auch schlechte Publicity ist Publicity. Hauptsache 'Zarte Versuchung' brennt sich den<br />
Leuten ins Hirn", rief Li Mei und sprang aufgedreht auf ihren Skiern herum.<br />
Panama zögerte.<br />
"Da hat deine Freundin völlig recht", pflichtete Tom bei. Im Geiste sah Panama Arndt<br />
Hirning mit seinem Mieterhöhungsschrieb wedeln. Auf keinen Fall durfte sie diesen<br />
Schleimer gewinnen lassen. Es würde schon nicht so schlimm werden. Sie war schließlich<br />
eine Kämpferin. Und wenn es schiefginge, könnte sie immer noch auswandern.<br />
Sie holte tief Luft. "Okay, ich mach's."<br />
Li Mei jubelte.<br />
Sichtlich erfreut nickte Tom. "Dann werden wir in den nächsten Tagen den Einspieler<br />
drehen. Vorzubereiten brauchst du dich nicht. Wir zeigen ein paar Bilder vom Laden und<br />
wie du in der Schokoküche die Pralinen zauberst", sagte er und lächelte ihr aufmunternd<br />
zu. "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Jetzt muss ich los."<br />
Er drehte sich um und ging zur Tür.<br />
"Ich weiß noch nicht, ob ich mich darauf freuen soll", rief Panama ihm hinterher.<br />
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Er blickte über die Schulter, zwinkerte ihr zu und verschwand.<br />
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"Der ist ja zum Vernaschen, Panama", flüsterte Li Mei andächtig, als die Tür ins Schloss<br />
gefallen war. "Du hast verschwiegen, dass deine Aufzugsbekanntschaft ein solcher<br />
Leckerbissen ist."<br />
"Er ist doch nur hergekommen, weil es sein Job ist. Weil er für seine Sendung ein neues<br />
Thema braucht, nichts weiter", entgegnete Panama.<br />
"Oder ein neues Thema für sein <strong>Liebe</strong>sleben", sagte Li Mei und ließ ihre Augenbrauen<br />
tanzen.<br />
"Du bist unmöglich." Panama schüttelte lachend den Kopf. Doch der Gedanke jagte ein<br />
Prickeln durch ihre Magengrube. Ob er sie tatsächlich attraktiv fand? Ach, ein Mann mit<br />
diesem Aussehen und einem solchen Job verbrauchte die Frauen wahrscheinlich<br />
reihenweise. In der Redaktion jedenfalls hatte sie genügend mit Minirock ausstaffierte<br />
Opfer gesehen. Und seit der Sache mit Rick würde sie sowieso niemals wieder einem Kerl<br />
vertrauen – zumindest keinem gut aussehenden. Mein Herz kriegst du nicht, dachte<br />
Panama. Meinen Körper? Vielleicht schon …<br />
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7. KAPITEL<br />
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Um halb acht erklomm Panama, mit Einkaufstüten bepackt, die Stufen zu ihrer<br />
Dachgeschosswohnung in der Engelbertstraße. Sie sehnte sich nach einer kalten Dusche<br />
und hätte den Abend am liebsten im Liegestuhl zwischen den Phloxblüten und<br />
Lavendeltöpfen auf ihrem Minibalkon verbracht.<br />
Doch aus der beschaulichen Dolce Vita würde nichts werden. Sie hatte Tilly angerufen<br />
und sie zum Essen eingeladen. Es war eine Art Vorsichtsmaßnahme. Wer wusste schon,<br />
zu welcher Kurzschlusshandlung ihre Tante heute Abend fähig wäre. Der Gedanke, dass<br />
sie womöglich – noch übermüdet von der langen Fahrt – plötzlich eine Suchexpedition<br />
nach Giuseppe starten würde, ließ Panama sowieso keine ruhige Minute.<br />
Sie setzte einen großen Topf Wasser auf, hackte Knoblauch und zerstückelte Tomaten.<br />
Aber, selbst wenn sie es sich nicht gerne eingestand, insgeheim war sie auch ein wenig<br />
froh über Gesellschaft. Nach neun Monaten zeigte das Single-Leben bisweilen ein fades<br />
Feierabendgesicht. Zu zweit schmeckte das Abendessen jedenfalls besser.<br />
Sie zerrupfte Basilikumblättchen, rieb Pecorinokäse und zerbröselte einen getrockneten<br />
Peperoncino. Als sie die Sauce für die Bucatini alla calabrese ansetzte und ihr der würzige<br />
Geruch in die Nase stieg, konnte sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Willkommen in<br />
der Pastaküche der Friedensfee! Man könnte es auch psychologische Kriegsführung<br />
nennen. Die Bucatini waren Giuseppes Spezialrezept, mit dem er Tilly einst verführt und<br />
immer wieder gerne verwöhnt hatte. Panama hoffte, dass die heraufbeschworene<br />
Erinnerung ihre Tante sanft stimmen und ihren Versöhnungswillen fördern würde.<br />
Nachdenklich rührte sie in der Sauce und schaute durch das Küchenfenster auf das<br />
Panorama grauer Dachfirste und Kamine, das sogar einen Blick auf den Dom einschloss.<br />
Na ja, zumindest auf die Spitzen der beiden Türme. Von ihrem Fensterplatz aus wirkten<br />
sie wie ein gestanztes, für ein vor mehr als siebenhundert Jahren ersonnenes Bauwerk<br />
erstaunlich modern geformtes "M". M wie Mann vielleicht? Quatsch – Mensch, Masern<br />
oder Mansardenwohnung wären genauso nahe liegend.<br />
Sie stellte zwei tiefe Teller auf den Tisch und bereute, dass sie sich von Tom hatte<br />
überrumpeln lassen. Li Mei war an der Sache auch nicht ganz unschuldig gewesen. Ob<br />
sie ihm nicht einfach absagen sollte? Werbung hin oder her, sie hatte keine Lust, sich ihr<br />
Leben von ihm kompliziert machen zu lassen. Er brachte ihre Gefühle durcheinander, und<br />
deshalb wäre es das Beste, wenn sie sich von ihm fernhielte.<br />
Das Waschstraßendebakel mit Marco wäre ihr besser eine Lehre. Von nun an sollte sie<br />
sich auf ihren Laden konzentrieren und ihr Leben auf Kurs bringen. Das hatte oberste<br />
Priorität. Nach ihrer gescheiterten Beziehung und den unbefriedigenden Jobs der letzten<br />
Jahre würde sie sich endlich beweisen, dass sie etwas Erfolgreiches aufbauen konnte. Die<br />
Chance, die Tillys alter Laden ihr bot, durfte sie nicht verspielen.<br />
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Die Türglocke läutete. Panama drückte die Taste für den Türöffner. Einige Minuten später<br />
trat Tilly keuchend durch die Wohnungstür.<br />
"Du solltest hier oben ein Gipfelkreuz aufstellen", begrüßte sie ihre Nichte und schnappte<br />
nach Luft. Fünfter Stock ohne Aufzug war sicher nicht jedermanns Sache. Allerdings war<br />
Panama nach dem überstürzten Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit Rick froh<br />
gewesen, durch Vermittlung der Kioskfrau, Rita, schnell ein hübsches, bezahlbares<br />
Refugium zu finden. Wahrscheinlich war es sogar besser, keinen Aufzug im Haus zu<br />
haben, dachte sie. Bei ihrem Glück wäre ihr vermutlich bereits alles Mögliche darin<br />
zugestoßen.<br />
Sie gab die Bucatini in das sprudelnde Wasser. "Hat sich Giuseppe schon gemeldet?",<br />
fragte sie.<br />
Tilly ließ sich auf einen der Stühle nieder und erforschte die Tiefen ihrer Handtasche.<br />
"Nein", antwortete sie leise, zog ein zerknülltes Stofftaschentuch hervor und wischte sich<br />
über die Stirn. Panama fand, sie sah ernsthaft bedrückt aus.<br />
"Er will dich bestimmt ein bisschen schmoren lassen", meinte sie tröstend. "Sicher ruft er<br />
bald an. Hast du es auf seinem Handy schon versucht?"<br />
"Das würde nichts bringen", erklärte Tilly und knetete das Taschentuch zwischen ihren<br />
Fingern.<br />
"Du kannst ihm doch wenigstens eine Nachricht auf die Mailbox sprechen."<br />
"Sein Handy lag im Handschuhfach. Ich habe es heute Nachmittag beim Ausräumen des<br />
Wohnmobils gefunden", sagte Tilly.<br />
"Dann wird er sich ein Telefon suchen und sich bei dir melden."<br />
"Und wenn er niemanden findet, der ihn umsonst telefonieren lässt?", wandte Tilly ein.<br />
"Wie umsonst?", fragte Panama.<br />
"Im Handschuhfach lag auch sein Portemonnaie."<br />
Panama warf ihr einen ungläubigen Blick zu. "Er hat weder Geld, Papiere noch das Handy<br />
bei sich?"<br />
"Diesmal habe ich wohl etwas zu impulsiv reagiert." Tilly tupfte sich die Augenwinkel.<br />
Panama stöhnte laut und schwor sich, das Impulsivitätsgen, mit dem ihre Familie – sie<br />
leider eingeschlossen – geschlagen war, sorgsam in Schach zu halten. Es beschwor ein<br />
Problem nach dem anderen herauf. Noch ein Grund also, sich in der Sache mit Tom<br />
zurückzuhalten.<br />
Schrill rasselte die Küchenuhr, und Panama goss die Nudeln ab. Sie aßen ohne Appetit.<br />
Nachdem Panama die beiden nur halb geleerten Teller abgeräumt hatte, setzte sie eine<br />
Kanne Espresso auf. "Wir telefonieren erst einmal Giuseppes Familie ab. Bei irgendeinem<br />
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wird er sich sicher gemeldet haben."<br />
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"Diesmal bin ich zu weit gegangen", seufzte Tilly. "Das wird er mir nie verzeihen."<br />
"Ihr habt euch bisher jedes Mal wieder versöhnt", versuchte Panama sie zu beruhigen.<br />
"Eure <strong>Liebe</strong> ist so unerschütterlich, dass ihr ab und zu einfach die Krise kriegen müsst,<br />
weil es euch sonst wahrscheinlich unheimlich würde."<br />
Ihre Tante versuchte ein zaghaftes Lächeln.<br />
"Ich wünschte, ich hätte wenigstens jemanden zum Streiten", sagte Panama und zog ihr<br />
Mobiltelefon aus der Tasche. "Nur eure Beziehung hat verhindert, dass ich den Glauben<br />
an die <strong>Liebe</strong> nicht auf ewig verloren habe."<br />
"Dann hoffe ich, dass meine kindische Dummheit dir diesen Glauben nicht nehmen wird."<br />
Tilly kaute auf ihrer Unterlippe.<br />
Panama reichte ihr den Festnetzapparat. Sie telefonierten erst die Verwandten und<br />
danach die Freunde durch.<br />
Keiner hatte etwas von Giuseppe gehört.<br />
Tilly ließ den Hörer sinken. "Womöglich hat er sich so aufgeregt, dass er eine Herzattacke<br />
bekommen hat und nun irgendwo im Krankenhaus liegt", malte sie sich aus. "Da er seine<br />
Papiere nicht dabeihat, wissen sie dort nicht, wen sie verständigen sollen."<br />
Zwar glaubte Panama weiterhin, dass Giuseppe ihrer Tante nur einen Denkzettel<br />
verpassen wollte, aber dennoch packte sie eine leise Unruhe. Es sah ihm überhaupt nicht<br />
ähnlich, völlig von der Bildfläche zu verschwinden. Selbst wenn er nicht mit ihrer Tante<br />
hätte reden wollen, so hätte er sich auf jeden Fall bei seiner "Ersatztochter" Panama<br />
gemeldet, wie er sie liebevoll nannte.<br />
Über die Auskunft ließ sie sich mit der Raststätte verbinden. Ein kurz angebundener<br />
Kassierer antwortete, dass ihm von den vielen hundert Gästen, die dort jeden Tag<br />
vorbeikämen, niemand aufgefallen sei. Aber da er im Schichtdienst arbeite, solle sie<br />
morgen früh noch einmal bei seinen Kollegen anrufen.<br />
So würden sie nicht weiterkommen. Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Mittlerweile<br />
war es bereits halb zehn. "Wir machen uns völlig unnötig Sorgen. Er ist bestimmt<br />
stinkwütend auf dich und meldet sich deshalb nicht. Zur Sicherheit rufe ich trotzdem Bruno<br />
an, ob er mal bei seinen Kollegen in der Schweiz nachhören kann."<br />
Bruno Trapp war Polizeibeamter der Polizeiinspektion Mitte und ein Freund aus Panamas<br />
alter Teenie-Clique, mit dem sie wilde Disconächte erlebt und ihre erste und einzige<br />
Zigarette geraucht hatte. In letzter Zeit führten ihn seine Streifengänge auffallend oft am<br />
"Ming's Garden" vorbei, und er hatte Panama betont beiläufig gefragt, ob Li Mei in festen<br />
Händen sei. Diese gab sich ihm gegenüber als die Spröde, doch Panama wusste, dass er<br />
auch Li Meis Interesse geweckt hatte.<br />
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Sie wählte die Nummer. Glücklicherweise hob er gleich ab. "Tut mir leid, dass ich dich so<br />
spät störe, aber du musst mir einen Gefallen tun." Panama erklärte ihm die Lage, und er<br />
versprach, sich gleich morgen früh um die Sache zu kümmern.<br />
Panama stand auf und trat ans Fenster. "Woran hast du damals eigentlich gemerkt, dass<br />
Giuseppe der Mann war, den du wirklich liebst?"<br />
"Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich musste dauernd an ihn denken", antwortete Tilly<br />
zögernd. "An seine gerade Haltung und das Grübchen, das sich beim Lächeln auf seiner<br />
linken Wange zeigt."<br />
Panama drehte sich um und setzte sich wieder an den Tisch. "Ich wüsste nur zu gern,<br />
woran ich den Kerl erkennen kann, der es wirklich wert ist, dass ich mich in ihn verliebe."<br />
"Wenn du ihn triffst, wirst du es erkennen, Liebchen." Tilly tätschelte Panamas Hand.<br />
"Denn wenn es ihm ernst ist, wird er sich um alles in der Welt nicht abschütteln lassen."<br />
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8. KAPITEL<br />
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"Das Gleiche jetzt noch einmal close", rief die Redakteurin Bianca Kaiser. Der<br />
Kameramann, er hatte sich als der Ralf vorgestellt, wuchtete die Kamera auf seine<br />
Schulter.<br />
Das Objektiv rückte bedrohlich nahe, und der Minischeinwerfer, der oben auf der Kamera<br />
steckte, leuchtete Panama direkt ins Gesicht.<br />
"Stopp! Noch mal von vorn. Nicht in die Kamera schauen!"<br />
Panama hätte sich ohrfeigen können, weil sie sich auf diese Fernsehnummer eingelassen<br />
hatte. Aber gerade als sie Tom absagen wollte, hatte er sie angerufen und erklärt, dass<br />
der Dreh in der Chocolaterie am nächsten Tag stattfinden solle. Leider könne er die<br />
Aufnahmen nicht selbst betreuen, weil er einen unaufschiebbaren Termin mit dem<br />
Manager von Janine Armand hätte. Die Redakteurin Bianca Kaiser, die sie bereits in der<br />
Redaktionsküche kennengelernt habe, würde ihn vertreten.<br />
Diese Neuigkeit hatte Panama einerseits mit Erleichterung erfüllt, da sie Tom nun nicht<br />
begegnen musste – andererseits war die Aussicht, sich von der unfreundlichen<br />
Redakteurin herumkommandieren zu lassen, alles andere als einladend. Aber, um der<br />
Zukunft ihres Ladens willen, hatte sie beschlossen, es in Kauf nehmen.<br />
Was jedoch als anderthalbstündiger Termin angekündigt worden war, entpuppte sich als<br />
ungeahnte Materialschlacht, die jeden Winkel ihres Ladens mit einer Invasion von<br />
Lampen, Stativen und Reflektoren in Beschlag nahm. Warentische mussten verrückt und<br />
Bilder wegen spiegelnder Glasrahmen abgehängt werden. Kabelschnüre wanden sich<br />
quer durch den Raum. Panama musste sogar ihr blau-weiß gestreiftes Marine-T-Shirt<br />
gegen eine unifarbene Bluse tauschen. Die Streifen verursachten einen Flimmereffekt im<br />
Bild, hatte der Kameramann erklärt.<br />
Wo es mittlerweile jedoch flimmerte, war vor Panamas Augen. Bereits in fünf<br />
verschiedenen Einstellungen hatte sie Pralinen aus der Vitrine auf die silberne Etagere<br />
geschichtet, bis der Schokoüberzug vom vielen Anfassen anfing zu schmelzen, danach<br />
Gläser mit Geleefrüchten aus dem Regal geholt (drei Einstellungen), diese geöffnet (zwei<br />
Einstellungen) und mit einem Schäufelchen Früchte in einen Zellophanbeutel gefüllt (vier<br />
Einstellungen). Sie hatte Schokofonduetöpfchen zu immer gleichen Türmen aufgebaut und<br />
wie die Queen bei einer Parade mehrfach das Regal mit den dreiunddreißig Sorten<br />
Tafelschokolade abgeschritten.<br />
Schließlich hatte sie unter Beobachtung des Kameraauges in ihrer Pralinenwerkstatt<br />
Rumtrüffelcreme angerührt und in die bereits mit Schokolade ausgegossenen Förmchen<br />
gefüllt. Dabei hatte ihr die Redakteurin so viele Fragen zu ihrem Geschäft und der<br />
Pralinenherstellung gestellt, dass Panama sich fragte, was denn für ihren Live-Auftritt in<br />
der Sendung noch übrig bleiben sollte.<br />
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"Sie können die Ladentür jetzt wieder aufschließen." Bianca Kaiser schob sich einen<br />
Vanilletrüffel in den Mund. "Was uns jetzt noch fehlt, sind ein paar Bilder, wie Sie<br />
Kundschaft bedienen", sagte sie mit von der Crememasse in ihrem Mund halb erstickter<br />
Stimme und schob noch ein großes Stück Mandelsplitter hinterher.<br />
Schon zur Begrüßung hatte Panama eine große Schale voll Pralinés für das Team auf die<br />
Theke gestellt. Die Redakteurin hatte die Einladung, zuzugreifen, wortreich abgelehnt –<br />
sie sei auf Diät. Während der letzten halben Stunde hatte sie den Teller allerdings im<br />
Alleingang leer gefegt, so dass Panama noch einmal auffüllte, damit der von Bianca<br />
Kaiser umhergescheuchte Kameramann und sein Tonassistent auch noch zum Zuge<br />
kämen.<br />
Als Panama die Ladentür aufschloss und das Schild "Heute erst ab elf geöffnet" abnahm,<br />
hoffte sie, dass ihr nicht allzu viele Kunden durch die Lappen gegangen waren.<br />
"Andy, die Achthunderter indirekt an die Decke und dazu die Akkuhandleuchte", wies der<br />
Kameramann den Assistenten an.<br />
Dieser klemmte mit Wäscheklammern etwas, das verdächtig nach Backpapier aussah, vor<br />
die auf der Kamera sitzende Leuchte. Nie hatte Panama deplazierter wirkende<br />
Haushaltsutensilien gesehen.<br />
Die Türglocke bimmelte, und Rita, der Engel vom Kiosk, trat durch die Tür. Panama freute<br />
sich, dass die Aufnahmen nun schnell zum Ende kommen würden – und dazu noch mit<br />
einer so netten Kundin.<br />
"Hallo, Rita. Du kommst gerade recht", sagte Panama. "Das Fernsehteam hier braucht<br />
noch Bilder, wie ich eine Kundin …"<br />
"Bedienen Sie sie schnell, wir nehmen dann die Nächste", schnitt Bianca Kaiser ihr das<br />
Wort ab.<br />
"Aber Rita ist doch hergekommen, um etwas zu kaufen, warum filmen Sie sie dann<br />
nicht?", fragte Panama verwundert.<br />
"Passt nicht zur Zielgruppe", antwortete die Redakteurin und fuhr dann, an Rita gewandt,<br />
fort. "Das hat natürlich mit Ihnen persönlich überhaupt nichts zu tun."<br />
Rita lachte nur und strich über ihre herausgewachsene Dauerwelle. "Danke, ich weiß,<br />
dass ich nicht mehr die Jüngste und Schönste bin", meinte sie und musterte Bianca Kaiser<br />
mit kurzem Blick. "Aber die Zeit gräbt sich irgendwann in jeden, nicht wahr?"<br />
Sie kaufte eine große Schachtel kandierte Früchte für ihre Schwester, die in der Uniklinik<br />
lag und gerade eine Hüftoperation überstanden hatte.<br />
Als Panama ihre Kundin an der Tür verabschiedete, steuerte ein hochgewachsener Mann<br />
im hellgrauen Jackett auf den Laden zu. Es war einer der Unternehmensberater von<br />
gegenüber. Noch bevor Panama etwas sagen konnte, schoss die Redakteurin an ihr<br />
vorbei und erklärte dem verdutzten Mann, dass er genau der Richtige für einen kleinen<br />
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TV-Einsatz sei. Er richtete den Knoten seiner Krawatte und willigte, offensichtlich<br />
geschmeichelt, ein.<br />
"Wenn wir die Szene drehen, müssen wir die Klimaanlage ausstellen", meldete sich<br />
Assistent Andy und zog den Kopfhörer ab. "Das Rauschen versaut die Atmo." Das<br />
Verkaufsgespräch mit Rita hatte dem Kameramann offensichtlich als Probelauf gedient.<br />
"Dann tropft mir die Ware vom Regal", widersprach Panama.<br />
"Wenn Sie nicht patzen, sind wir blitzschnell damit durch", sagte die Redakteurin und<br />
steckte sich eine Geleefrucht in den Mund. "An uns soll's nicht liegen."<br />
Blöde Kuh. Musste eine hochinnovative Diät sein, die es erlaubte, alle zwei Minuten eine<br />
Süßigkeit zu vertilgen, dachte Panama.<br />
Nachdem der Unternehmensberater gemäß Anweisung des Kameramanns noch einmal<br />
um die Ecke verschwunden war, betrat er auf Kommando den Laden und kaufte eine<br />
herzförmige Samtschachtel, in die er ein Pfund frischer Pralinen füllen ließ. Das<br />
Romantikherz war als Geschenk für seine Freundin gedacht, mit der er an diesem Tag seit<br />
einem Jahr zusammen war.<br />
"Der Mann weiß, wie man eine Frau erfreuen kann", seufzte Bianca Kaiser, als die noch<br />
benötigten Zwischenschnitte, wie sie es nannte, abgedreht und der Unternehmensberater<br />
den Laden wieder verlassen hatte.<br />
"Wenn er sich nicht auf die eine Geste beschränkt." Panama rückte einen der Warentische<br />
wieder an seinen alten Platz.<br />
"Für heute wären wir durch", sagte die Redakteurin. "Morgen nach Geschäftsschluss<br />
timen wir noch kurz die Rezepte für die Live-Sendung." Sie bückte sich nach ihrer<br />
überdimensionierten Edeldesignertasche, um das Videoband zu verstauen, das ihr der<br />
Assistent in die Hand gedrückt hatte. Mitten in der Bewegung fasste sie sich an den Bauch<br />
und stöhnte laut auf.<br />
"Ist Ihnen nicht gut?", fragte Panama und ging zu ihr hinüber.<br />
"Mir ist speiübel", antwortete die Redakteurin gepresst.<br />
"Setzen Sie sich am besten erst einmal hin", meinte Panama und wollte sie zu einem der<br />
Sessel vor dem Kamin führen.<br />
"Ich muss mal kurz verschwinden", stöhnte die Redakteurin und rannte los.<br />
"Die linke Tür im Hinterzimmer", rief Panama ihr nach.<br />
Der Kameramann und der Tonassistent warfen sich einen vielsagenden Blick zu und<br />
packten dann schweigend weiter ihr Equipment ein.<br />
Als eine ganze Reihe von Minuten vergangen waren und Panama sich schon Sorgen<br />
machte, ob die Redakteurin ohnmächtig zusammengeklappt wäre, kehrte diese, die<br />
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Hände immer noch vor den Bauch gepresst, zurück.<br />
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"So schlimm, wie ich mich fühle, ist das bestimmt eine Salmonellenvergiftung", ächzte sie<br />
und ließ sich in einen der Sessel plumpsen. "Mit den Pralinen muss etwas nicht in<br />
Ordnung gewesen sein."<br />
"Mit denen war alles in Ordnung. Die wehren sich nur, weil sie alle in ein und denselben<br />
Magen gepresst wurden", entgegnete Panama spitz. Da konnte nur noch Tante Tillys<br />
Magenwunder helfen. Geschah ihr ganz recht. "Bleiben Sie erst einmal sitzen, ich bringe<br />
Ihnen etwas, das die Krämpfe lindert."<br />
Panama stellte den Wasserkocher an und gab einen Löffel von Tillys – wie sie als Kind<br />
schon leidvoll hatte feststellen müssen – scheußlich schmeckender, aber unfehlbar<br />
wirkender Teemischung aus Wacholder, Wermut und Kamille in eine große Tasse.<br />
Dementsprechend verzog auch Bianca Kaiser angewidert das Gesicht, als sie an dem<br />
fertig aufgebrühten Tee nippte.<br />
"Ganz austrinken", befahl Panama und fand, dass die Redakteurin, die Rita abgewiesen<br />
hatte, im Moment selber recht wenig zielgruppenkompatibel aussah.<br />
Panama wandte sich an den Kameramann, der gerade das letzte Kabel aufwickelte. "Sie<br />
sollten sie auf direktem Wege nach Hause fahren, damit sie sich hinlegen kann."<br />
Er nickte. "Größere Umwege würden die Polster sicher übel nehmen."<br />
Das kann ja heiter werden, dachte Panama, als sie wieder alleine im Laden stand. Wenn<br />
der Vormittag ein Vorgeschmack auf ihren Fernsehausflug war, würde sie sich auf einiges<br />
gefasst machen müssen.<br />
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9. KAPITEL<br />
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Nach den außergewöhnlichen Strapazen des Vormittags hatte Panama eine Stärkung<br />
nötig. Um zwei, als der Mittagsansturm im "Ming's Garden" abflaute, flitzte sie auf eine<br />
Portion Chopsuey hinüber.<br />
Sie ging direkt in die Küche. "Ni hao", begrüßte sie Li Meis Vater, der über den großen<br />
Gasherd gebeugt stand. "Ni hao", grüßte er lächelnd zurück und neckte sie wegen der<br />
Fernsehaufnahmen. Lachend versprach Panama ihm das gewünschte Autogramm, und er<br />
füllte ihr einen großen Teller bis zum Rand. Damit sie ihren Laden im Auge behalten<br />
konnte, ließ sie sich an einem der Tische vor dem Lokal nieder.<br />
Li Mei brachte ihr eine Apfelschorle und kassierte die Gäste am Nachbartisch ab.<br />
Gerade als Panama die erste Gabel zum Mund hob, sah sie, wie Bruno Trapp in<br />
Dienstuniform an ihrer Ladentür rüttelte.<br />
"Bruno, hier bin ich", rief sie über die Straße und winkte mit hochgerecktem Arm. Er drehte<br />
sich um und kam schnellen Schrittes auf sie zu.<br />
"Panama, sorry, dass ich dich beim Essen störe, aber es gibt Neuigkeiten von Giuseppe."<br />
"Ist ihm was passiert?" Mit besorgtem Blick versuchte sie in seinem Gesicht zu lesen.<br />
Bruno straffte die Schultern, denn Li Mei trat zu ihnen an den Tisch. "Hallo, Li Mei",<br />
begrüßte Bruno sie mit einem schüchternen Lächeln und fuhr dann, an Panama gewandt,<br />
fort: "Die Kollegen an der Grenze haben ihn aus einem Reisebus gefischt, in den er sich<br />
eingeschmuggelt hatte."<br />
"Oh, Gott. Haben sie ihn etwa verhaftet?", fragte Panama.<br />
"Er konnte sich nicht ausweisen, deshalb haben sie ihn so lange festgehalten, bis seine<br />
Angaben von der Kölner Polizei überprüft werden konnten. Aber das war schon gestern."<br />
"Und wo ist er jetzt? Kann ich mit ihm sprechen?"<br />
"Der Kollege sagte, dass Giuseppe wohl … von einer Bekannten abgeholt worden ist",<br />
antwortete Bruno zögernd. "Er muss ziemlich wütend auf deine Tante gewesen sein,<br />
meinte der Beamte." Er nahm die Mütze ab und fuhr sich durchs Haar.<br />
Eine Bekannte? Wenn er damit das meinte, wonach es klang, würde für Tilly die Welt<br />
untergehen. "Was heißt: 'Bekannte'?", fragte Panama.<br />
"Keine Ahnung, sie wirkten anscheinend sehr vertraut", antwortete Bruno, dem die Sache<br />
offensichtlich unangenehm war.<br />
"Oje, wie soll ich das nur meiner Tante beibringen?", seufzte Panama. "Das mit der<br />
Bekannten verschweige ich ihr lieber vorerst." Anscheinend hatte Tilly den Bogen diesmal<br />
wirklich überspannt.<br />
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Krächzend meldete sich eine Stimme aus Brunos Funkgerät, und er verabschiedete sich<br />
eilig.<br />
Panama und Li Mei blickten sich schweigend an. Nachdenklich nahm Panama einen<br />
großen Schluck aus ihrem Glas und wischte einen Tropfen ab, der an der Außenseite<br />
hinunterlief.<br />
Tilly hatte sich das natürlich selbst zuzuschreiben. Aber dass Giuseppe sich so schnell mit<br />
einer fremden Frau einließ, erschütterte Panama dennoch bis ins Mark. Sie hatte immer<br />
geglaubt, dass es Dinge auf der Welt gebe, die unzerstörbar waren. Auch wenn die<br />
Ozonschicht und die Amazonaswälder nicht dazugehörten, so doch die mehr als<br />
zwölfjährige temperamentvolle Beziehung zwischen den beiden Menschen, die ihr so nahe<br />
standen.<br />
In düstere Gedanken versunken, kehrte Panama wieder in ihren Laden zurück. Sie stellte<br />
das Thermostat der Klimaanlage hoch, denn sie merkte, dass sie fror.<br />
Während sie die Bestellungen durchging, klingelte das Telefon. Sie riss den Hörer ans<br />
Ohr.<br />
"Hallo, Piccola." Es rauschte in der Leitung.<br />
"Giuseppe, bin ich froh, deine Stimme zu hören", sagte Panama, erleichtert über das<br />
Lebenszeichen.<br />
"Ich wollte mich nur melden, damit du dir keine Sorgen machst." Seine Stimme klang<br />
ungewohnt ernst.<br />
"Nach Tillys Beichte habe ich mir natürlich Sorgen um dich gemacht", erwiderte Panama.<br />
"Bruno war eben hier und hat von der Grenzkontrolle erzählt."<br />
"Deine Tante ist ein Teufelsweib, und diesmal reicht es mir", erklärte Giuseppe. Im<br />
Hintergrund waren Stimmen zu hören. "Die Leute im Reisebus und die Polizisten haben<br />
mich ausgelacht, als sie meine Geschichte hörten. Tilly hat mich komplett zum Narren<br />
gemacht, das kann ich ihr nicht verzeihen."<br />
"Giuseppe, glaub mir, es tut ihr ganz fürchterlich leid. Und sie hat nicht gewusst, dass dein<br />
Portemonnaie und dein Mobiltelefon im Wohnmobil lagen", versuchte Panama ihn zu<br />
beruhigen. "Sie würde so gerne mit dir sprechen. Willst du sie nicht anrufen?"<br />
"Nein, punto e basta! Auf gar keinen Fall."<br />
Panama konnte nur beten, dass seine Wut über kurz oder lang verrauchen würde. Aber<br />
würde sich dann auch die Bekannte in Luft auflösen? "Wie kommst du denn nach Köln<br />
zurück? Soll ich dir Geld schicken?"<br />
"Bin hier bei Bekannten in Lörrach untergekommen, brauchst dir keine Sorgen machen",<br />
erwiderte er. "In ein paar Tagen fahre ich für sie eine Ape nach Köln hoch."<br />
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"Das müssen doch mehr als vierhundertfünfzig Kilometer sein", sagte Panama verblüfft.<br />
"Die willst du mit einem klapprigen Dreiradtransporter bei siebenunddreißig Kilometer pro<br />
Stunde zurücklegen?"<br />
"Die Apes sind doch alle frisiert. Bis siebzig fährt die Kiste senza problemi. Über<br />
Landstraße schaffe ich das gemütlich in zwei Tagen", meinte Giuseppe und lachte<br />
plötzlich. "Da freue mich drauf. Erinnert mich daran, wie ich mit achtzehn auf der Vespa<br />
über die Alpen bis nach Köln-Ehrenfeld gefahren bin."<br />
"Soll ich Tilly sagen, dass du bei … bei Bekannten bist?"<br />
"Von mir aus. Aber Grüße bestellst du nicht!"<br />
Sie verabschiedeten sich, und Panama legte den Hörer auf. Wehmütig dachte sie an die<br />
unbeschwerten Abende mit Tilly und Giuseppe zurück und hatte das Gefühl, dass etwas<br />
unwiederbringlich zu Ende gegangen war.<br />
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10. KAPITEL<br />
Tom drückte die Stoppuhr. "Und los!"<br />
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Panama rührte Butter und Puderzucker schaumig und gab kandierte Ananasstückchen,<br />
Rum und geschmolzene weiße Schokolade hinzu.<br />
Fasziniert beobachtete Tom, wie ihre langen Ohrringe im Takt zu den Armbewegungen<br />
ihren Hals streiften.<br />
"Okay, die Füllung ist nun fertig", sagte sie und stellte den Mixer beiseite.<br />
Tom drückte auf Stopp. "Einsfünfzehn. Das können wir am Stück nehmen, und du erklärst<br />
dabei, was du tust." Er notierte die Zahl auf seinen Block und wünschte, die Probe ginge<br />
niemals zu Ende.<br />
Panama strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Wenn ich die Pralinen für den Laden<br />
mache, gebe ich die Füllung in vorgegossene kleine Ananasfrüchte aus<br />
<strong>Zartbitter</strong>schokolade. Zum Nachmachen für zu Hause ist es jedoch einfacher, wenn man<br />
Tupfen formt und sie mit Kuvertüre überzieht. Kostprobe gefällig?", fragte sie und hielt ihm<br />
einen Löffel hin.<br />
Er hob den Kopf und lächelte ihr zu. "Gern." Er tauchte den Löffel in die Schüssel und<br />
schleckte ihn ab. "Hmmm, lecker."<br />
Die für die Sendung ausgewählte Pralinenkreation nannte sie "Panama Delight". Tom<br />
dachte, dass die cremefarbene Füllung passenderweise den Farbton von Panamas Haut<br />
besaß und wahrscheinlich nur diese noch fruchtig-süßer schmeckte als die Nascherei<br />
selbst.<br />
"Jetzt sollte der prominente Gast auch etwas zu tun kriegen", sagte er und versuchte<br />
angestrengt, sich auf seinen Job zu konzentrieren.<br />
"Weißt du schon, wer es sein wird?", fragte Panama und füllte die Pralinenfüllung in einen<br />
Spritzbeutel.<br />
"Jan Givrets neuer Film startet diese Woche in den Kinos. Deshalb beehrt er sogar unser<br />
Morgenmagazin", antwortete er und verschwieg ihr lieber, dass der Starschauspieler mit<br />
seinen rüden Ausfällen vor laufender Kamera als Interview-Ekel berüchtigt war. Das würde<br />
sie nur verunsichern. Zwar hätte er ihr gerne einen zahmeren Gast zur Seite gestellt, doch<br />
Givrets Manager hatte am Vormittag den ursprünglichen Termin um einen Tag<br />
vorgezogen.<br />
"Hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich mal mit einem Kinostar Pralinen formen<br />
würde", sagte sie und reichte ihm den Spritzbeutel.<br />
Bianca hatte sich nach den Dreharbeiten in Panamas Chocolaterie am Vortag<br />
krankgemeldet. Deshalb war Tom eingesprungen, um Panama für den Auftritt in der Show<br />
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zu briefen. Als Redaktionsleiter war das normalerweise nicht seine Aufgabe. Aber das<br />
Schicksal stand offenbar auf seiner Seite und hatte ihm eine willkommene Ausrede<br />
serviert, den Job zu übernehmen, ohne in der Redaktion Verwunderung auszulösen.<br />
Er nahm den Beutel entgegen. "Die Ausstrahlung von Givret kann ich natürlich nicht<br />
bieten, aber ich werde mir Mühe geben, seinen Part zu mimen", sagte er und warf sich<br />
theatralisch in Positur.<br />
Panama lachte und füllte einen zweiten Spritzbeutel mit Creme. "Herr Givret, dann setzen<br />
Sie bitte kleine Tupfen nebeneinander auf das Backpapier."<br />
Tom freute sich, dass sie endlich auftaute. Sie war ihm äußerst reserviert begegnet, als<br />
nicht Bianca, sondern er zu der Probe in ihrem Laden erschienen war. Ob es daran lag,<br />
dass sie die Zusage zu der Fernsehnummer bereits bereute? Oder hatte sie keine Lust<br />
darauf gehabt, den Auftritt mit ihm durchzuspielen? Vielleicht fand sie ihn unsympathisch.<br />
Normalerweise verschwendete er keinen Gedanken daran, wie er auf andere wirkte.<br />
Allerdings hatte er sich tatsächlich dabei ertappt, wie er noch sorgfältig seine Haare<br />
gekämmt hatte, bevor er sich um sieben auf den Weg zur "Zarten Versuchung" gemacht<br />
hatte.<br />
"Im Kunstunterricht war ich eine Niete", sagte Tom und verharrte unschlüssig mit dem<br />
Spritzbeutel in der Hand über der mit Backpaper ausgelegten Platte. "Und meine Hände<br />
sind für filigrane Schnörkel fürchterlich ungeeignet."<br />
"Meisterwerke müssen es ja auch nicht werden. Es ist ganz einfach." Panama begann mit<br />
dem anderen Spritzbeutel Tupfen auf das Papier zu setzen.<br />
Tom beobachtete sie aufmerksam. Nur heftete sich sein Blick nicht auf ihre Hände,<br />
sondern wanderte hinauf zu ihrem Gesicht. Eine dunkle Locke war ihr in die Stirn gefallen,<br />
ihre Lippen waren leicht geöffnet …<br />
"So, jetzt du", riss sie ihn aus seiner träumerischen Versenkung.<br />
Er schluckte und fuhr sich durchs Haar. Dann umfasste er den Beutel mit beiden Händen,<br />
beugte sich über die Platte und drückte zu.<br />
Helle Creme schoss hinaus. Doch nicht unten durch die Tülle, wie geplant, sondern in<br />
einem breiten Schwall zwischen seinen Händen hindurch nach oben. Ein großer Klecks<br />
landete auf seinem Hemd und – wenn das klebrige Gefühl auf der Haut ihn nicht täuschte<br />
– musste sein Gesicht aussehen, als hätte er ein neues Beauty-Treatment für extrazarte<br />
Haut ausprobieren wollen.<br />
Den Spritzbeutel immer noch mit beiden Händen umklammert, verharrte er, blickte<br />
ungläubig auf das Malheur hinunter und lachte dann so schallend los, dass sein ganzer<br />
Körper bebte.<br />
Hüte dich vor Männern, deren Bauch beim Lachen nicht wackelt, war Li Meis chinesisches<br />
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Lieblingssprichwort. Gerne zitierte sie es auch zu den unpassendsten Gelegenheiten.<br />
Wenn auch nur ein Funken Wahrheit darin läge, schoss es Panama durch den Kopf, dann<br />
wäre Tom ganz offensichtlich ein Exemplar, dem sie keinesfalls mit Argwohn begegnen<br />
müsste.<br />
Jedenfalls war sein Lachen ansteckend, und nach einer Schrecksekunde stimmte sie<br />
lauthals mit ein. Er sah einfach zu komisch aus mit seinem von Cremetupfen übersäten<br />
Gesicht. Im ersten Moment, als das Unglück passierte, hatte sie schon gedacht, er würde<br />
jetzt "einen Marco hinlegen" und in die Luft gehen. Doch Tom war offensichtlich ein Mann,<br />
dem der Humor nicht gleich abhandenkam.<br />
"Herr Givret, wollten Sie etwa einige Schritte überspringen und die Kreation auf direktem<br />
Wege in Ihren Mund befördern?", fragte sie, noch immer von Lachsalven geschüttelt.<br />
"Anscheinend wirken menschliche Körper wie Magneten auf deine Pralinen", antwortete<br />
Tom und rieb sich mit einem Tuch über das Gesicht. "Erinnert mich doch stark an die<br />
Szene von neulich im Aufzug."<br />
"Die Mehrzahl findet glücklicherweise den Weg in den Magen meiner Kunden – hoffe ich<br />
zumindest", erwiderte Panama grinsend. "Aber jetzt, da du es sagst: Vielleicht sollte ich<br />
besser einmal nachhören, ob auch andere Leute ungewöhnliche Flugeigenschaften<br />
meiner Pralinés bemerkt haben." Sie feuchtete ein frisches Tuch an und reichte es ihm.<br />
Selbst wenn es ihr nicht passte, musste sie sich eingestehen, dass sie sich in seiner<br />
Gesellschaft amüsierte und ihn mehr als nur sympathisch fand. Anders als die meisten<br />
Männer, denen sie bisher begegnet war, machte er keinen Wind um sich, war aufmerksam<br />
und besaß viel Humor. Er stellte alles auf den Kopf, was sie sich als Selbstschutz in<br />
Gedanken an Vorurteilen über ihn zusammengezimmert hatte, um seine Attraktivität zu<br />
schmälern. Das Schicksal hatte ihn offenbar als Test vorbeigeschickt: Zweifellos stellte er<br />
ihre Entschlossenheit, ihren guten Vorsätzen die Treue zu halten, auf eine harte Probe.<br />
Aber die Verletzungen durch Ricks Treuebruch waren noch zu frisch, und die Angst,<br />
erneut hintergangen zu werden, lauerte sprungbereit wie eine Raubkatze im Chaos ihrer<br />
Gedanken.<br />
"Für die Sendung wäre das kein schlechter Gag, aber ich male mir lieber nicht aus, wie<br />
Jan Givret darauf reagieren würde", meinte Tom und wischte die Vorderseite seines<br />
Hemds ab. "Doch wer weiß, vielleicht hätte er sogar Spaß daran, wenn einmal etwas nicht<br />
nach Routine liefe."<br />
Panama nahm den Spritzbeutel zur Hand und zeigte Tom, wie er ihn oben mit der Faust<br />
fest umschlossen halten musste.<br />
"Scheint, als hätte ich eben nicht genau aufgepasst", sagte er. Seine tiefgrünen Augen<br />
hielten ihren Blick fest, und Panama spürte ein unerklärliches Kribbeln in ihrem ganzen<br />
Körper.<br />
"Dann fehlt jetzt noch das Schokofondue", sagte sie schnell und wandte den Blick ab.<br />
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Chinesische Weisheit hin oder her – ein Spruch bleibt ein Spruch bleibt ein Spruch … und<br />
ein gebranntes Kind scheut sowieso das Feuer. Sie musste höllisch achtgeben, dass die<br />
Gefühle nicht ihren Verstand überlisteten.<br />
"Werden die Cremetupfen nicht noch mit Kuvertüre überzogen?", fragte Tom und lehnte<br />
sich gegen den Tisch.<br />
"Ah … stimmt", antwortete Panama. "Ich werde in der Sendung einfach zwei oder drei<br />
bestreichen und hole dann schon fertige Pralinen aus dem Kühlschrank." Wo war sie nur<br />
mit ihren Gedanken?<br />
Tom machte sich eine Notiz.<br />
Sie setzte den Porzellaneinsatz in den Fonduetopf und bröckelte Schokolade hinein.<br />
"Das Schmelzen der Schokolade überspringen wir im Studio", sagte Tom und notierte es<br />
auf seinen Block. "Du nimmst dann einfach einen zweiten, schon vorbereiteten Topf, in<br />
den du nur noch die anderen Zutaten rühren musst."<br />
Panama nickte und goss Sahne, Rum und Gewürze in die Masse. "Das wäre es dann<br />
auch schon", sagte sie, nachdem sie alles verrührt hatte, und drapierte leuchtend rote<br />
Süßkirschen, Erdbeeren und Himbeeren in eine Porzellanschüssel.<br />
"Fertig ist der Hochgenuss", sagte sie, fasste eine Kirsche am Stängel und tunkte sie in<br />
die Schokomasse.<br />
"Sehr gut, dann werden die Moderatoren und Givret das Fondue probieren. Danach folgt<br />
die Abmoderation für diesen Teil der Sendung, und du bist erlöst."<br />
"Hätte ich es nur schon hinter mir", sagte Panama und steckte sich die Kirsche in den<br />
Mund.<br />
"Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, sei einfach du selbst", beruhigte Tom sie.<br />
"Schließlich bist du souverän, und schlagfertig noch dazu."<br />
Sie entdeckte einen Schokoladenklecks, der von der Kirsche auf ihren Arm getropft war.<br />
"Ich finde, ich war in letzter Zeit ziemlich anfällig für Missgeschicke", erwiderte sie.<br />
"Vielleicht sollte ich mich zur Sicherheit mit einer Dosis 'Fu' wappnen." Mit dem Finger<br />
wischte sie den Klecks weg.<br />
"Mit Fu?"<br />
"Meine Freundin Li Mei hat uns vor den Klassenarbeiten in der Schule immer das<br />
chinesische Schriftzeichen für Glück auf den Arm gemalt", erklärte sie und löschte die<br />
Flamme unter dem Fonduetopf. "Sie hat mir beigebracht, wie es geht. Leider ist es das<br />
Einzige, das ich zeichnen kann." Ein Zeichen, dass sie unempfänglich für die Wirkung<br />
seiner Blicke machte, hätte sie noch viel nötiger, schoss es ihr durch den Kopf.<br />
"Sollte ich vielleicht auch mal ausprobieren", meinte Tom lächelnd. "Wie sieht es denn<br />
aus?"<br />
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"Auf den ersten Blick kompliziert. Doch wenn man es in drei Elemente teilt und sie<br />
nacheinander aufmalt, ist es ganz einfach", antwortete sie und wünschte, dass es<br />
genauso einfach wäre, seine Anwesenheit zu ignorieren.<br />
Sie nahm einen Pinsel, mit dem sie normalerweise Pralinen verzierte, tauchte ihn in das<br />
Schokofondue und begann damit, auf die Tischplatte zu zeichnen.<br />
"Stopp!", rief Tom und trat neben sie.<br />
"Was denn?" Sie hob den Kopf und sah ihn fragend an.<br />
Vorsichtig tauchte er eine Fingerspitze in den Topf, nickte dann und leckte den Finger ab.<br />
"Kleiner Temperaturtest", sagte er, krempelte einen Hemdärmel hoch und streckte ihr den<br />
entblößten Unterarm entgegen. "Wenn schon, denn schon. Ich muss morgen zwar keine<br />
Klassenarbeit schreiben, aber ein bisschen Glück würde mir im Moment ebenfalls nicht<br />
schaden." Sein Blick schien ihr unergründlich.<br />
Sie lächelte verlegen und zögerte. Um das Zeichen auf seinen Arm zu malen, würde sie<br />
ihn berühren müssen. Das war keine gute Idee. Nur würde er sie bestimmt für eine<br />
verklemmte Zicke halten, wenn sie sich so anstellte. Sie sollte ihm schließlich nur ein<br />
kleines Tattoo auf die Haut malen, nichts weiter. Noch dazu auf seinen Arm, also eine<br />
völlig unverfängliche Stelle.<br />
"Ich fürchte, das Glück wird nicht lange haltbar sein", sagte sie schließlich und tauchte den<br />
Pinsel in die Schokomasse. "Aber wer weiß, vielleicht entfaltet es gerade deshalb<br />
ungeahnte magische Kräfte, weil es aus Schokolade ist." Und wenn sie einen Wunsch frei<br />
hätte, würde es die verflixten Signale abstellen, die seine bloße Anwesenheit an ihren<br />
Körper aussendete.<br />
Sie griff seinen Arm, der sich angenehm kräftig anfühlte. Nicht übertrieben muskulös, aber<br />
stark. Die Wärme seines Körpers ließ ihre Fingerspitzen prickeln. Der Pinsel glitt über die<br />
leicht gebräunte Haut, auf der dunkelblonde Härchen mit einem goldenen Schimmer<br />
blitzten.<br />
Panama merkte, dass der Pinsel in ihrer Hand leicht zitterte. Sie versuchte, es zu<br />
kaschieren, und beeilte sich, den letzten Strich zu setzen.<br />
Tom beugte sich vor und musterte das Werk. "Und wie kann ich sicher sein, dass du mich<br />
nicht auf den Arm nimmst und das Zeichen zum Beispiel 'blöder Fernsehfuzzi' bedeutet?",<br />
fragte er und zog die Augenbrauen hoch.<br />
Er war einfach zum Anbeißen.<br />
"Wenn ich dir mit dem Bodypainting einen Streich hätte spielen wollen, wären mir viel<br />
kreativere Bezeichnungen eingefallen", antwortete sie und lachte. "Da wirst du mir wohl<br />
vertrauen müssen."<br />
"Ich glaube, genau das tue ich", sagte er und schaute ihr tief in die Augen.<br />
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<strong>Liebe</strong> <strong>Zartbitter</strong><br />
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Ein Schauer überlief sie, und eine Stimme in ihrem Hinterkopf warnte, dass sie gerade auf<br />
einen gefährlichen Punkt zusteuerten.<br />
"Ich sollte vielleicht Schoko-Bodypainting in meine Produktpalette aufnehmen", sagte sie,<br />
um den Bann zu brechen. "Ich könnte ein kleines Geschenk-Set gestalten. Mit<br />
verschiedenen Geschmacksvarianten … und dazu Pinsel … und Tattoosticker, die man<br />
auf die … Haut kleben und ausmalen kann."<br />
Schon während sie noch sprach, wurde ihr klar, dass dieses Ablenkungsmanöver<br />
gründlich misslungen war. Bei dem Gedanken an zartbitterer Schokolade auf seiner Haut<br />
wurde ihr ganz heiß.<br />
Sein Blick war irritierend intensiv. "Würde die Schokolade denn auf der Haut halten …<br />
trotz der Körperwärme?"<br />
"Kommt auf die Zusammensetzung an", antwortete sie, um einen betont sachlichen Ton<br />
bemüht, und sah angelegentlich auf die Tischplatte. "Ich müsste wohl eine Testreihe<br />
starten, um die geeignete Konsistenz zu ermitteln." Oh Gott, was rede ich bloß für einen<br />
Müll, dachte sie und strich sich über die Stirn.<br />
"Ich stelle mich gerne als Testobjekt zur Verfügung", sagte Tom heiser und rückte einen<br />
Schritt näher. "Aber zuerst werde ich mich noch für das Glückspainting revanchieren."<br />
Er nahm den Pinsel und griff nach ihrer Hand. Panama zuckte zusammen und versuchte<br />
den Arm zurückzuziehen, doch Tom hielt ihn fest.<br />
"Das Glückszeichen brauche ich erst zur Sendung", versuchte sie erneut abzulenken und<br />
spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten.<br />
Tom tunkte den Pinsel ein. "Das kann ich sowieso nicht zeichnen", erwiderte er und<br />
beugte sich über ihren Arm. "Ich hatte an etwas anderes gedacht."<br />
Die Berührung seiner Hand und der sanfte Pinselstrich jagten eine Gänsehaut über ihren<br />
Nacken. Aus Angst, etwas Unsinniges würde ihr über die Lippen kommen, wenn sie den<br />
Mund auch nur einen Millimeter öffnete, traute sie sich kaum zu atmen. Er hatte seine<br />
Stirn konzentriert in Falten gelegt. Mühsam widerstand sie der Versuchung, die Linien mit<br />
ihrer Fingerkuppe nachzuzeichnen. Der Hauch seines Atems streifte ihre Haut.<br />
Er setzte den Pinsel ab und schaute auf. "Voilà", sagte er, löste seine Hand jedoch nicht<br />
von ihrem Arm.<br />
Panama betrachtete sein Werk. Es war ein verschnörkeltes Tattoo, das wie ein<br />
chinesisches Schriftzeichen aussah.<br />
"Auch ein Schriftzeichen?", fragte sie und hob den Kopf.<br />
"Ja, aber nur Eingeweihte können es entziffern", antwortete er leise und beugte sich zu ihr.<br />
"Was bedeutet es?" Sie hielt den Atem an.<br />
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"Das verrate ich nicht", antwortete er und kam noch näher.<br />
Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Komm schon, sag es mir."<br />
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Unverwandt schaute er sie an. Seine Augen waren so nah, dass das Funkeln seiner Iris<br />
sie geradezu hypnotisierte. "Es bedeutet: Ich will dich küssen", flüsterte er.<br />
Auf jede andere Antwort wäre sie womöglich gefasst gewesen, aber ehe sie sich versah,<br />
hatte er sie schon an sich gezogen. Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, ihr<br />
Stammeln erstickte jedoch, als er seine Lippen auf ihren Mund presste.<br />
Ein warmes Gefühl durchflutete ihren Körper, und sie musste eingestehen, dass es Dinge<br />
gab, die unvermeidlich waren, egal welche Vorsätze ihnen im Wege standen. Himmel,<br />
dachte sie. Wogegen hatte sie eben noch protestieren wollen …? Alles, was sie spürte,<br />
waren seine Lippen, die mit den ihren verschmolzen, und es schien ihr das Natürlichste<br />
der Welt.<br />
Ohne ihr Zutun schienen ihre Hände sich über seine Brust zu bewegen. Sie hatte das<br />
Gefühl, der Boden unter ihren Füßen schwankte.<br />
Ihre Lippen lösten sich voneinander, und Panama blickte in seine Augen. Sie waren leicht<br />
zu lesen. Ein Verlangen loderte ihr entgegen, das sein Spiegelbild in ihrem eigenen fand.<br />
"Du schmeckst so gut", murmelte er, küsste ihren Hals und fand ihr Ohrläppchen. Er grub<br />
seine Hände in ihr Haar und ließ sie dann langsam ihren Rücken hinabgleiten. Panama<br />
schlang ihre Arme um seinen Nacken und erkundete mit ihren Lippen die Grube neben<br />
seinem Schlüsselbein. Wovor nur hatte sie sich gefürchtet? Die Erkenntnis, dass sie<br />
unstillbar ausgehungert war, überwältigte sie.<br />
Schließlich drehte sie sich zur Seite, nahm den Pinsel in die Hand und tauchte ihn in die<br />
Schokomasse. "Hier küssen" malte sie auf die Innenseite ihres Arms. Ein Lächeln huschte<br />
über sein Gesicht, und er kam dieser Aufforderung unverzüglich nach. Genießerisch<br />
küsste er jeden Buchstaben einzeln weg.<br />
Er nahm ihr den Pinsel aus der Hand und schrieb mit Schokolade die gleiche Aufforderung<br />
auf die Innenfläche seiner Hand. Unendlich langsam ließ Panama ihre Zunge der<br />
Schokospur folgen. Tom keuchte und schloss die Augen.<br />
Panama zog den Saum ihres Rocks hoch und malte eine Zielscheibe auf ihr Knie. Der<br />
Blick, den Tom ihr zuwarf, brannte nicht weniger leidenschaftlich als der Kuss, der ihm<br />
folgte und der nicht die winzigste Schokoladenspur auf ihrer Haut zurückließ.<br />
Sie hatte das Gefühl, vor Leidenschaft zu zerbersten. Ungeduldig warf sie den Pinsel<br />
beiseite und tauchte ihren Finger in den Schokoladentopf – Zeit für die nächste<br />
Beschleunigungsstufe. Mit der anderen Hand öffnete sie die Knöpfe seines Hemds und<br />
schrieb mit ihrem schokoladeumhüllten Finger "TOM" quer über seine Brust. Als sie ihre<br />
Zunge langsam über die Buchstaben wandern ließ, stöhnte er auf, schob den Träger ihres<br />
Tops zur Seite und tröpfelte Schokolade auf den Ansatz ihrer Brüste. Seine Zunge glitt<br />
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zärtlich über ihre Haut. Er öffnete die Druckknöpfe ihres Tops und tastete nach dem<br />
Verschluss ihres BHs.<br />
Sie sank rückwärts auf den Tisch und zog Tom an sich.<br />
"Ich habe die Ursache für die Klimakatastrophe entdeckt", flüsterte er. "Die Erwärmung<br />
geht definitiv auf dein Konto."<br />
Als Antwort strich Panama Schokolade über seine Lippen, und sie versanken in einem<br />
hemmungslosen Kuss.<br />
Nach Atem ringend, hielten sie inne und schauten sich in die Augen. Panama spürte, wie<br />
ihr Herz pochte, und sie konnte seinen Puls, Haut auf Haut, an ihrer Brust spüren.<br />
Lächelnd schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Sie spürte, wie er den<br />
Reißverschluss ihres Rocks öffnete und ihn langsam von ihren Hüften zog.<br />
Tastend fand sie die Knöpfe seiner Jeans. Er küsste ihren Bauch und ließ seine Lippen<br />
den Bund ihres Slips entlanggleiten. Gänsehaut bedeckte jeden einzelnen Zentimeter<br />
ihres Körpers. Mit den Zähnen packte er sanft den Spitzenstoff und zog ihr den Slip aus.<br />
Die Jeans, die dabei seine Schenkel hinunterrutschte, brachte ihn fast zu Fall. Lachend<br />
klammerten sie sich aneinander und zögerten den Moment, an dem sie nichts mehr<br />
trennen würde, verschwörerisch hinaus.<br />
Schokolade fand den Weg zu den undenkbarsten Stellen auf ihren Körpern, von denen<br />
ihre Lippen und Zungen sie anschließend wieder entfernten. Sie entdeckten, dass<br />
Himbeeren hervorragend in Bauchnabel passten und sich, ohne davonzurollen, mit<br />
Schokolade beträufeln ließen und dass sich der Tisch, auf dem Panamas süße Kreationen<br />
entstanden, auch für Spezialitäten ganz anderer Art bestens eignete. Das Fensterbrett<br />
zum Hinterhof hatte geradezu ideale Höhe, und die Palette mit den Zuckersäcken bot eine<br />
rutschfeste Unterlage. Tom hatte es im Gebrauch des Spritzbeutels mittlerweile eindeutig<br />
zur Meisterschaft gebracht. Der Ananasgeschmack der schaumigen Füllung verband sich<br />
mit dem Geschmack seiner Haut zu einer ganz eigenen Genuss-Symphonie, die ihr die<br />
Sinne raubte.<br />
Die zarteste Stelle ihres Körpers streichelte Tom so sanft, bis sie es nicht länger aushielt<br />
und gierig ihre Schenkel um seine Hüften schlang. Als habe er nur auf diese Aufforderung<br />
gewartet, schob er sich über sie.<br />
Wie von einem fernen Horizont kam die Welle auf Panama zu. Immer höher trug sie sie<br />
hinauf, bis jede einzelne Zelle ihres Körpers erlösend vibrierte. Der Moment der Ekstase<br />
schien alle Grenzen zwischen ihnen hinwegzuspülen. Toms Stöhnen drang an ihr Ohr,<br />
und sie spürte seine Wärme tief in ihrem Innern.<br />
Eng umschlungen, ihre Körper verschwitzt und bedeckt von einem Glanz aus Schokolade,<br />
blieben sie erschöpft auf dem Boden liegen.<br />
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Die Kälte auf ihrer Haut weckte Panama auf. Ihr Fuß war eingeschlafen, weil etwas<br />
Schweres quer darüber lag. Sie hob den Kopf. Ein Männerbein! Mit einem Ruck war sie<br />
hellwach und die Erinnerung an die letzten Stunden ernüchterte sie mit der Wucht eines<br />
Schlags.<br />
Sie drehte den Kopf und blickte in Toms schlafendes Gesicht. Eine Haarsträhne fiel über<br />
seine Stirn, dichte Wimpernreihen säumten friedlich entspannte Augenlider. Wie lange<br />
mochte sie wohl neben ihm geschlafen haben?<br />
Innerlich fluchte sie und fragte sich, was, um alles in der Welt, nur in sie gefahren war. In<br />
ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Zum Teufel mit diesem hirnrissigen<br />
biologischen Programm, das sich jedes Mal unaufhaltsam abspulte, wenn Mann und Frau<br />
ihre Attraktion füreinander entdeckten. So schnell hätte das zwischen ihnen auf keinen Fall<br />
passieren dürfen.<br />
Hektisch drehte sie sich zur Seite und setzte sich auf. Sie griff nach ihrem Rock, der<br />
zusammengeknüllt vor dem Tisch lag. Die Schokolade hatte ihn mit einem eigenwilligen<br />
Muster versehen.<br />
Tom schlug die Augen auf und hob den Kopf.<br />
"Es tut mir leid", stammelte sie. "Das war ein großer Fehler."<br />
"Weil wir von Kopf bis Fuß mit Schokolade bekleckert sind?" Er lachte und streckte den<br />
Arm nach ihr aus. "Lass uns zu mir gehen und duschen. Und anschließend, oder vielmehr<br />
gleich dabei, falle ich wieder über dich her."<br />
"Tom, ich meine das ernst", sagte Panama und streifte das Top über ihre klebrige Haut.<br />
"Ich weiß nicht, wie das passieren konnte."<br />
Er stand auf, kam auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. Seine Augen<br />
hielten ihren Blick fest. "Ich liebe dich", sagte er leise.<br />
Panama schüttelte den Kopf. Das letzte Mal hatte sie diese Worte von einem Mann<br />
gehört, der nackt mit einer fremden Frau zwischen den zerwühlten Laken ihres eigenen<br />
Betts gesessen hatte. "Tom, das war nichts weiter als eine Art elektrischer Entladung. Wir<br />
kennen uns doch kaum."<br />
Seine Augen schienen plötzlich dunkler. "Du weißt selbst, dass es mehr war als das. Ich<br />
…"<br />
"Ich bin nicht bereit für so was wie <strong>Liebe</strong>, verliebt sein oder was auch immer", schnitt sie<br />
ihm das Wort ab. "Dafür habe ich zu viel Mist erlebt, und der ist so frisch, dass er noch<br />
immer zum Himmel stinkt." Sie zupfte an ihrem Rock.<br />
"Willst du damit sagen, dass du es nicht auch unsagbar genossen hast?", fragte er und<br />
schaute sie unverwandt an.<br />
Panama blickte zur Seite. "Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir nicht<br />
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gefallen hat", antwortete sie. "Dennoch wird es sich auf keinen Fall wiederholen."<br />
Wieso gehorchte er nicht einfach seinen männlichen Genen, die ihm bestimmt nach einem<br />
solchen Gelage eilig die Flucht diktierten? Allerhöchstens dilettantisch verschleiert durch<br />
die Frage nach der Telefonnummer, die er dann nie wählen würde. Und wenn doch –<br />
würde es nur dazu führen, dass er sich über kurz oder lang als treuloser Mistkerl<br />
entpuppte. Sie würde um keine Beziehung betteln. Auf einen neuen Mann in ihrem Leben<br />
konnte sie gut verzichten.<br />
"Bitte geh", sagte sie.<br />
"Panama …" Er streckte die Hand aus.<br />
"Es war ein Fehler", sagte sie heftig und verschränkte die Arme.<br />
Seine Gesichtszüge spannten sich an. Sie hatte ihn verletzt, aber das war gut so.<br />
Er öffnete den Mund, als ob er etwas erwidern wollte. Anscheinend überlegte er es sich<br />
anders, denn er bückte sich nach seinen Kleidern und zog sich wortlos an.<br />
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er hinaus. Die Tür fiel ins Schloss, und Panama<br />
barg das Gesicht in ihren Händen.<br />
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11. KAPITEL<br />
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Die restliche Nacht zog an ihr als endloser Schwarm schlafloser Stunden vorbei. Selbst<br />
der stärkste Kaffee vermochte es am nächsten Morgen nicht, das bleierne Gefühl in<br />
Panamas Schädel zu vertreiben.<br />
Den Weg über den Hohenstaufenring und die Mittelstraße zur Chocolaterie stapfte sie<br />
missmutig durch den Regen. Sie warf einen wütenden Blick zum Himmel. Auch die Sonne<br />
verweigerte heute den Trost.<br />
Seufzend drehte sie den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf.<br />
Ein Geruch von Schokolade lag in der Luft, der stärker war als gewöhnlich. Schokospuren<br />
ließen sich von der Ladentür ins Hinterzimmer zurückverfolgen. Keine Chance, einfach so<br />
zu tun, als sei das gestern Abend nur der erotische Traum eines ausgehungerten Singles<br />
gewesen. Ihr Arbeitstag würde mit der Beseitigung der klebrigen Rückstände beginnen<br />
müssen.<br />
Panama holte tief Luft und steckte den Kopf durch die Tür zur Pralinenwerkstatt.<br />
Eine Horde tollwütiger Vandalen hätte kein wüsteres Schlachtfeld hinterlassen können.<br />
Die Tischplatte war mit einem wilden Muster aus Ananascreme und Schokoladenklecksen<br />
überzogen, das jedes Gemälde eines vollgekoksten Nachwuchs-Picassos in den Schatten<br />
stellte. Die Schamesröte schoss ihr ins Gesicht, weil sie den unverkennbaren Abdruck<br />
ihres eigenen Pos erkannte.<br />
Fenster und Fensterbank waren genauso wenig verschont geblieben wie der Boden. Die<br />
Stelle, an der sie in einander verschlungen geschlummert hatten, war so deutlich<br />
auszumachen, als hätte die Spurensicherung der Polizei den Fundort zweier Leichen<br />
markiert.<br />
Die Erinnerung an die Berührungen seines Körpers und an die Dinge, die sie miteinander<br />
angestellt hatte, ließ ihre Haut erglühen. Ein Pochen meldete sich in ihrem Unterleib. Die<br />
Wahrheit, nämlich dass sie die Stunden mit Tom unsagbar genossen hatte, konnte sie<br />
nicht ignorieren.<br />
Sie spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals ausbreitete. Wieso mussten ihre Gefühle so<br />
widersprüchlich sein, wenn es für sie doch nur die eine Lösung gab? Sie hatte ihn<br />
weggestoßen. Richtig so. Wenn sie wieder völlig Herrin ihrer Sinne war, würde sie<br />
bestimmt froh darüber sein.<br />
Es war nicht ihre Schuld, dass der Abend derart eskaliert war. Es hatte ganz einfach<br />
passieren müssen – mit einer Zwangsläufigkeit, gegen die selbst höhere Mächte nichts<br />
hätten ausrichten können. Die Spannung, die sich zwischen ihnen schon seit ihrer ersten<br />
Begegnung im Aufzug aufgebaut hatte, musste sich irgendwann entladen. Es war nur eine<br />
Frage von wann und wie gewesen. Dass es mit der überwältigenden Wucht eines<br />
Gewitters wie vom Anbeginn der Zeiten geschehen war, lieferte nur den letzten Beweis.<br />
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"Ist dein Schokoladenkessel explodiert?"<br />
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Mit einem Ruck drehte Panama sich um. Li Mei lehnte im Türrahmen. Sie hielt zwei<br />
dampfende Kaffeebecher in der Hand.<br />
"Ich wünschte, das wäre der Grund für das Chaos", erwiderte Panama und seufzte.<br />
"Scheint bei euch beiden gestern Abend heiß hergegangen zu sein", meinte Li Mei und<br />
ließ den Blick durch den Raum schweifen. Grinsend musterte sie die verräterische Stelle<br />
am Boden.<br />
"Ich schäme mich, wenn ich nur daran denke", gestand Panama mit einem Seufzen. Sie<br />
holte einen Eimer aus dem Schrank und hielt ihn unter den Wasserhahn.<br />
"Ich finde, das war längst fällig", erwiderte Li Mei. Vorsichtig den größten Schokoflecken<br />
auf den Fliesen ausweichend, ging sie zum Tisch und stellte die Tassen ab. "Eigentlich<br />
hatte ich dich schon länger an deinen guten Vorsatz erinnern wollen, dich nach der<br />
Geschichte mit Rick auszutoben. Außer ein paar verunglückten Dates war da ja bisher<br />
nicht viel."<br />
"Ich fürchte, mit diesem Vorsatz habe ich mir nur selber etwas vorgemacht." Panama<br />
verzog das Gesicht zu einem kläglichen Lächeln. "So wollte ich verhindern, dass ich zu<br />
meinem Vertrauen auch noch den Stolz verliere. Aber anscheinend kann man sich<br />
genauso wenig vornehmen, Spaß zu haben, wie sich zu verlieben."<br />
Li Mei bückte sich, las eine Kirsche und zwei Himbeeren vom Boden auf und präsentierte<br />
sie auf der Handfläche. "Scheint, ich sollte mir vornehmen, etwas von dir zu lernen",<br />
meinte sie zwinkernd.<br />
Panama verdrehte die Augen. "Ich wünschte, ich könnte die Uhr um einen Tag<br />
zurückdrehen."<br />
"Du würdest alles wieder genauso tun", erwiderte Li Mei. "Manche Dinge passieren, weil<br />
sie passieren müssen. Gegen Naturgesetze kannst du dich nicht auflehnen."<br />
"Leider hat mich dieses Naturgesetz völlig überrumpelt", sagte Panama, "und ich habe<br />
dadurch alles kaputt gemacht, was vielleicht mit Tom hätte entstehen können."<br />
"So schlimm kann es nicht sein", meinte Li Mei. "Wetten, er ruft heute noch an? Nach dem<br />
Grad der Verwüstung deiner Zauberwerkstatt zu urteilen, ist er garantiert auf den<br />
Geschmack gekommen." Sie lachte. Doch sobald sie Panamas Gesicht sah, verschwand<br />
das Lachen von ihren Lippen.<br />
"Es ist schlimmer, als du dir vorstellen kannst", stöhnte Panama, wandte sich um und<br />
lehnte ihre Stirn gegen das Fensterglas. Den Cremeklecks, den sie mit ihrer Stirn platt<br />
drückte, bemerkte sie erst, als es zu spät war. Verflucht, das Leben war anstrengend.<br />
Sie ging zur Spüle hinüber und rupfte ein Blatt von der Küchenrolle. "Ich habe hinterher<br />
völlig panisch reagiert und ihn ruppig abserviert", sagte sie und wischte sich über die Stirn.<br />
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"Er hasst mich jetzt."<br />
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Li Mei trat neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. "Komm, ich habe uns Kaffee<br />
mitgebracht. Setz dich erst mal und erzähl." Sie zog ihre Freundin zu dem am wenigsten<br />
in Mitleidenschaft gezogenen Tischende.<br />
Stockend berichtete Panama vom bewegten Verlauf des Abends. Es fiel ihr schwer, davon<br />
zu erzählen, während ihr Blick überall auf allzu deutliche Zeugnisse des Geschehens fiel.<br />
Die interessantesten Details enthielt sie Li Mei lieber vor.<br />
"Du hast aus Panik völlig überreagiert", diagnostizierte Li Mei und setzte ihren Becher ab.<br />
"Das ist völlig verständlich nach deiner bösen Erfahrung mit Rick. Nur kannst du Tom nicht<br />
für den miesen Charakter eines anderen bestrafen."<br />
Panama zeichnete mit ihrem Finger Linien auf die Tischplatte. "Als ich neben ihm<br />
aufgewacht bin, habe ich mich so ausgeliefert und wehrlos gefühlt." Sie hob den Kopf.<br />
"Auf einen Schlag ist mir klar geworden, wie groß meine Angst vor einer neuen<br />
Enttäuschung ist."<br />
"Du musst das lockerer sehen", sagte Li Mei und legte ihre Hand auf Panamas Arm. "Ihr<br />
hattet einen unvergesslichen Abend, und der Rest wird sich zeigen."<br />
"Es wird keinen Rest geben", erwiderte Panama unglücklich. "Ich kann ihm doch nie<br />
wieder unter die Augen treten, so wie wir uns gestern hier herumgewälzt haben."<br />
"Bei der Sendung wirst du ihm wohl zwangsläufig noch einmal begegnen müssen."<br />
"Oh Gott. Das kann ich nicht. Er hält mich jetzt bestimmt für ein Flittchen – und für eine<br />
eiskalte Zicke noch dazu, so wie ich ihn behandelt habe." Panama hielt es auf dem Stuhl<br />
nicht länger aus. Sie holte einen Putzlappen und begann energisch den Tisch<br />
abzuwischen. "Die Sendung sage ich einfach ab."<br />
"Sie haben aber schon den Beitrag in deinem Laden gedreht. Das hat bestimmt eine<br />
Menge Geld gekostet", erwiderte Li Mei.<br />
"Mir doch egal", sagte Panama und rieb so heftig, als wollte sie sich mit dem Lappen<br />
durch die Tischplatte hindurcharbeiten. "Schon gut, du hast ja Recht", ergänzte sie,<br />
nachdem sie einen Blick in Li Meis Gesicht geworfen hatte. Irgendwie würde sie die<br />
Sendung nun durchstehen müssen. Selbst wenn es sie an den Rand des Wahnsinns<br />
brächte.<br />
"Du darfst das alles nicht so dramatisch nehmen. Ihr seid schließlich erwachsen", meinte<br />
Li Mei. "Ihr habt zusammen Spaß gehabt. Schön. Es geht nicht weiter? Na und? Wir leben<br />
schließlich nicht mehr im Mittelalter."<br />
"So einfach ist das nicht", erwiderte Panama und nahm den Schrubber in die Hand.<br />
"Irgendwie macht es mir etwas aus."<br />
Li Mei musterte sie mit prüfendem Blick. "Du hast dich in ihn verliebt!"<br />
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"Wie kommst du denn auf die blöde Idee?", fragte Panama eine Spur zu entrüstet und<br />
begann den Boden zu wischen.<br />
"Gib's auf. Vor deiner besten Freundin kannst du das nicht verbergen."<br />
"Da liegst du völlig falsch", entgegnete Panama und bückte sich. Konzentriert widmete sie<br />
sich dem Boden, damit sie Li Mei nicht in die Augen schauen musste.<br />
Unter dem Tisch lag ein bekleckerter Schreibblock. Sie streckte ihre Hand danach aus. Es<br />
waren Toms Notizen. Im Eifer des Gefechts waren sie offensichtlich vom Tisch gefegt<br />
worden.<br />
"Na gut. Ob nun verliebt oder nicht, du solltest jedenfalls wenigstens mit ihm reden und<br />
erklären, was mit dir los ist", meinte Li Mei. Sie stand auf, griff einen Putzlappen und<br />
begann die Fensterbank abzuwischen. "Der Kerl weiß ja überhaupt nicht, warum du so<br />
heftig reagiert hast."<br />
"Selbst wenn ich es wollte, redet er bestimmt kein Wort mehr mit mir", meinte Panama und<br />
legte den Block auf den Tisch.<br />
"Das kannst du doch gar nicht wissen." Li Mei seifte das Fensterglas ein. "Du weißt rein<br />
gar nichts über ihn." Sie drehte sich zu Panama um. "Du hast ihn zwar bereits in seiner<br />
ganzen Pracht nackt gesehen, aber wissen tust du nichts über ihn."<br />
"Danke, dass du mir meine Entgleisung so plastisch unter die Nase reibst", antwortete<br />
Panama und seufzte.<br />
"Du kannst dich nicht für den Rest deines Lebens hinter einer schlimmen Erfahrung mit<br />
Rick verstecken", meinte Li Mei und zog mit dem Lappen exakte Bahnen über die<br />
Scheibe. "Dann hätte dieser miese Kerl doch gewonnen."<br />
"Was hat das denn jetzt mit Rick zu tun?"<br />
"Das hat alles mit Rick zu tun", erwiderte Li Mei. "Nur weil Rick ein Arschloch war, kannst<br />
du nicht allen Männern auf ewig misstrauen. Du solltest Tom wenigstens eine Chance<br />
geben."<br />
"Jetzt wird er sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben wollen", wandte Panama ein.<br />
"Auch wenn er es gestern behauptet hat. Aber da war er bestimmt noch vom Sex<br />
benebelt."<br />
"Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass er vielleicht auch blöde Erfahrungen hinter<br />
sich hat?", fragte Li Mei. Sie stemmte die Hand in die Hüfte und schaute Panama<br />
eindringlich an. "Du bist nicht die Einzige auf der Welt, die von einem anderen Menschen<br />
verletzt worden ist."<br />
Panama stützte sich auf den Schrubber und schluckte. "Du hast Recht, ich rede die ganze<br />
Zeit nur von meiner dämlichen Story. Aber ich habe Angst, dass ich Tom nicht gewachsen<br />
bin", sagte sie leise. "Er ist mir schon zu nahe gekommen. Ich glaube, ich könnte mich<br />
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tatsächlich in ihn verlieben. Doch wieder verletzt zu werden, verkrafte ich einfach nicht."<br />
"Wenn du dein Glück finden willst, musst du etwas riskieren", antwortete Li Mei. "Willst du<br />
etwa die nächsten zwanzig Jahre wie gelähmt darauf lauern, ob unter der Maske jedes<br />
Mannes das Betrügergesicht von Rick steckt?"<br />
Panama legte den Kopf in den Nacken und biss sich auf die Unterlippe. Wahrscheinlich<br />
hatte Li Mei, die Unerschütterliche, Recht. Trotzdem hätte sie sich ein bisschen mehr<br />
Mitgefühl gewünscht. "Ich dachte, du würdest meine Angst verstehen", sagte sie leise,<br />
bückte sich und wischte mit dem Lappen über den Boden.<br />
Li Mei kam auf sie zu und kniete sich zu ihr nieder. "Du weißt genau, dass ich das tue",<br />
erwiderte sie. "Nur lasse ich nicht zu, dass du immer noch nach hinten schaust."<br />
Panama wrang den Wischlappen aus und hob den Kopf. "Du hast Recht. Ich muss mit ihm<br />
reden", sagte sie. Ihr Blick fiel auf den schokoverzierten Schreibblock. Sie stand auf, ging<br />
zum Tisch hinüber und nahm ihn in die Hand. "Den hier hat Tom gestern liegen lassen."<br />
"Na wunderbar, dann hast du einen perfekten Grund, ihn zu besuchen", sagte Li Mei und<br />
lächelte ihr aufmunternd zu.<br />
"Ich bringe ihn morgen vorbei", meinte Panama zögernd und legte den Block zurück auf<br />
den Tisch.<br />
"Heute ist mein freier Tag", erwiderte Li Mei. "Und mein Wing-Chun-Kurs beginnt erst um<br />
fünf. Wichtige Dinge sollte man nie aufschieben." Sie nahm den Block und stopfte ihn in<br />
Panamas Handtasche. "Wenn wir hier Klarschiff gemacht haben, gehst du los. Ich<br />
schmeiße so lange den Laden."<br />
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12. KAPITEL<br />
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Das Rätsel Panama war seit gestern noch um einen Schatten dunkler geworden. Tom<br />
kickte eine leere Kölschdose zur Seite, die zerbeult auf dem Gehsteig lag.<br />
Er hatte sich in eine frühe Mittagspause verabschiedet und war ohne Ziel losgelaufen. Den<br />
ganzen Tag schon fühlte er sich müde und zerschlagen – nicht wegen des<br />
<strong>Liebe</strong>smarathons in der Chocolaterie, sondern weil er in der Nacht danach kaum ein Auge<br />
zugemacht hatte. Der Zorn in ihrem Blick, als sie ihn fortgeschickt hatte, ging ihm nicht aus<br />
dem Kopf.<br />
An einem Stand am Friesenplatz kaufte er sich ein Sandwich. Er ließ sich damit auf eine<br />
der unbequemen Eisengitterbänke nieder, die unter kümmerlichen, neu gepflanzten<br />
Bäumen standen. Die Portale der umliegenden Bürohäuser begannen das mittägliche<br />
Heer pausierender Angestellter auszuspucken. Tom hielt das Gesicht in den Wind und<br />
biss in sein Käsebaguette.<br />
Die Stunden mit Panama, bevor der Abend sein abruptes Ende fand, hatten etwas in ihm<br />
aufgewühlt, das er nicht benennen konnte. Schon seit Monaten hatte er sich nicht mehr so<br />
lebendig gefühlt. Es war nicht der Sex. Gut, er musste zugeben, allein die Erinnerung an<br />
die Leidenschaft, die er gespürt hatte, jagte erneut einen Hitzeschwall durch seinen<br />
Körper. Doch es war mehr. Schon während der Probe hatte er das Gefühl gehabt, an<br />
keinem anderen Ort der Welt sein zu wollen als genau dort mit ihr. Er mochte ihre Art, zu<br />
lachen, und ihre ungekünstelte Selbstständigkeit. Sie machte den Eindruck, genau zu<br />
wissen, was sie vom Leben wollte. Dagegen schien es ihm, als seien ihm sein eigenes<br />
Wissen und seine Wünsche an einem unbemerkten Punkt seines Weges<br />
abhandengekommen.<br />
Eine Taube schritt im Halbkreis an ihm vorbei. Vorsichtig beäugte sie ihn. Tom brach ein<br />
Stück von seinem Brot ab und warf es ihr hin. Gierig schoss sie darauf zu und schlang es<br />
hinunter.<br />
Panama war ihm ein Rätsel, und er würde es nur zu gerne entschlüsseln. Was war in<br />
ihrem Kopf vorgegangen, als sich plötzlich alles gewendet und sie ihn zum Teufel gejagt<br />
hatte?<br />
Eine zweite Taube stolzierte unerschrocken unter seiner Bank hervor und blickte ihn<br />
erwartungsvoll an. Auch sie bekam ihren Anteil. Tom steckte sich den letzten Bissen in<br />
den Mund und klopfte die Hände ab. Die beiden Tauben zogen weiter zur nächsten Bank.<br />
Er fragte sich, ob sie wohl zusammengehörten.<br />
Spätestens zur Sendung würde er Panama wiedersehen, wenn sie nicht einen Vorwand<br />
finden und absagen würde. Dann hätte er noch ein zusätzliches Problem. Er würde<br />
Carsten Seidel gegenüber den Dreh in Panamas Laden verantworten müssen, zu dem der<br />
nötige Studioauftritt fehlte. Aber das war völlig egal, er würde schon eine Lösung finden.<br />
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Viel schwieriger war es hingegen, eine Lösung für das enge Gefühl in seiner Brust zu<br />
finden, das sich jedes Mal meldete, wenn er an sie dachte.<br />
Verdammt, er hätte mehr Geduld aufbringen sollen. Wieso war er an dem Abend so<br />
unbesonnen vorgeprescht? Er hatte alles zerstört. Eine ernst gemeinte Beziehung ließ<br />
sich so bestimmt nicht aufbauen. Nur, wenn er jetzt nicht aufhörte, solch ein Problem<br />
daraus zu machen, würde er noch wahnsinnig werden. Vielleicht sollte er das Ganze<br />
einfach abhaken und als nette Geschichte in Erinnerung behalten. Toller Sex, und nichts<br />
weiter. Allerdings konnte er nicht so tun, als reiche ihm das. Diesmal nicht.<br />
Er stand auf, warf das Sandwichpaper in einen Mülleimer und ging Richtung<br />
Friesenstraße. Die Lust packte ihn, weiter zu laufen und nicht mehr ins Büro<br />
zurückzukehren.<br />
Der Morgen war unerträglich gewesen. Schönmann vom Sender war in Carsten Seidels<br />
Büro aufgeschlagen und hatte über die angeblich langweilige Themenmischung der<br />
gestrigen Sendung gemeckert. Es schien ihm entfallen zu sein, dass er jeden einzelnen<br />
Teil höchstpersönlich abgenickt und noch einen Talkgast hineingedrückt hatte, dessen<br />
Auftritt sich als echtes Quotenloch entpuppt hatte. Aber wenn die Einschaltquoten sackten,<br />
waren immer die anderen schuld. Falls hingegen etwas erfolgreich lief, verbuchte<br />
Schönmann es selbstverständlich auf sein alleiniges Konto. "Das wäre meine nächste<br />
Idee gewesen", war ein Spruch, der ihm wie ein Reflex aus dem Mund schoss, wenn<br />
jemand einen Erfolg versprechenden Vorschlag machte. Toms nächste Idee präsentierte<br />
sich dann gewöhnlich als kaum zu bezähmender Impuls, Schönmann auf der Stelle den<br />
Hals umzudrehen.<br />
Missmutig beobachtete Tom ein Pärchen, das eng umschlungen an den Schaufenstern<br />
vorbeiflanierte. Die beiden blieben stehen und küssten sich selbstvergessen. Er sog die<br />
abgasschwangere Innenstadtluft tief in seine Lungen und überholte sie eilig.<br />
Der mit unbefristetem Arbeitsvertrag auf einem risikofreien Posten sitzende Schönmann<br />
hatte überflüssigerweise wieder einmal betont, dass die nächsten drei Wochen darüber<br />
entschieden, ob die Sendung abgesetzt würde. Anschließend hatten Schönmann und<br />
Carsten durchgespielt, welche skandalträchtigen Gäste sich neben Janine Armand zum<br />
Pushen der Quoten einladen ließen. Was jedoch ein wenig aussichtsreiches Unterfangen<br />
war, da in der Morgenschiene nicht genug Geld steckte, um wirkliche Knüller an den Start<br />
zu bringen. Die Guten Morgen Show war daher, wie alle anderen Morgenmagazine auch,<br />
das Tummelfeld für Werbetrommelrührer: Schauspieler, die ihren neuen Film, Autoren, die<br />
ihr neuestes Buch, und Bands, die ihre neueste Scheibe an den Mann bringen mussten.<br />
Tom seufzte. Aber auch wenn ihn das banale Tamtam schon seit einiger Zeit langweilte,<br />
so sorgte es zumindest dafür, dass er jeden Monat seine Miete bezahlen konnte. Doch<br />
egal, ob die Guten Morgen Show im Programm blieb oder nicht, er würde sich so oder so<br />
nach einer neuen Herausforderung umsehen. Noch ein weiteres Jahr im alten Trott würde<br />
ihn um den Verstand bringen, das war ihm durch die Begegnung mit Panama klar<br />
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geworden.<br />
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Im Schaukasten von Sotheby's warben Plakate für eine Fabergé-Ei-Auktion. Gebannt vom<br />
faszinierten Schrecken, den der Anblick der protzigen Kleinode auslöste, für die Menschen<br />
unvorstellbare Summen hinblätterten, hätte Tom fast übersehen, dass er sich dem Ende<br />
der St.-Apern-Straße näherte. Unbewusst hatten ihn seine Füße in gefährliche Nähe zur<br />
"Zarten Versuchung" geführt.<br />
Nachdenklich blieb Tom stehen. Am anderen Ende der Kreuzung begann die<br />
Apostelnstraße. Nicht mehr als zweihundert Meter trennten ihn noch von Panama.<br />
Er blickte auf seine Armbanduhr: schon nach halb zwei. Eigentlich müsste er dringend<br />
zurück ins Büro. Also bog er nach rechts in die Ehrenstraße, die zur Firma führte.<br />
Mitten im Schritt hielt er jedoch plötzlich inne. Ein auf einem Tretroller heransprintender<br />
Mann musste deswegen einen Haken schlagen und fluchte. Tom ignorierte ihn und<br />
machte kehrt.<br />
Er musste wissen, ob alles in Ordnung war. Ein schneller Blick durch die Scheibe würde ja<br />
schon reichen. Okay, wenn sie alleine im Laden wäre, würde er vielleicht sogar<br />
hineingehen. Schließlich hatte er dort seinen Notizblock vergessen. Nicht dass er ihn etwa<br />
brauchte. Die Zeiten, die Panama für die einzelnen Zubereitungsschritte benötigte, hatten<br />
sich genauso in sein Gedächtnis eingebrannt wie jedes andere Detail dieses<br />
unvergesslichen Abends.<br />
Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Fensterfront der "Zarten Versuchung". Er<br />
spürte ein Ziehen in der Magengrube und holte tief Luft. Sein Herz klopfte, und auf einmal<br />
hatte er das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Das war doch verrückt!<br />
Mit angehaltenem Atem spähte er durch die Scheibe. Der breite Rücken eines Kunden<br />
versperrte die Sicht. Als dieser ein Stück zur Seite trat, sah Tom, dass es nicht Panama<br />
war, die hinter der Ladentheke stand. Es war ihre Freundin, die er kürzlich kennengelernt<br />
hatte, die mit den Rollskiern.<br />
Wo Panama wohl stecken mochte? Er fragte sich, ob es ihr gut ging. Blödsinn,<br />
wahrscheinlich lieferte sie gerade nur eine Bestellung aus.<br />
Ob er hineingehen und Grüße bestellen lassen sollte? Bloß hatte er keine Lust, sich zum<br />
Narren zu machen, denn wahrscheinlich hatte sie ihrer Freundin bereits vom gestrigen<br />
Abend erzählt. Wie Julie ihm nach der Trennung mit schadenfroher Bissigkeit unter die<br />
Nase gerieben hatte, konnten es sich Frauen selten verkneifen, selbst intimste Details<br />
miteinander auszutauschen.<br />
Zwei Mädchen mit neonfarbenen Schulranzen stürmten an ihm vorbei in die Chocolaterie.<br />
Er beschloss den Rückzug anzutreten, bevor Panamas Freundin ihn durchs Fenster<br />
starren sähe. Eilig drehte er sich um und hastete die Straße entlang.<br />
Eine Gruppe halbwüchsiger Jungs mit Baseballkappen johlte einem Mädchen hinterher,<br />
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das auf einem Fahrrad an ihnen vorbeisauste. Tom fragte sich, warum es ihm nicht<br />
gelang, sich einfach unbekümmert über seine gestrige Eroberung zu freuen. Männer<br />
waren doch gewöhnlich Meister darin, zu genießen und Episoden dieser Art<br />
leichtzunehmen. Verkehrte Welt. Sie hatte ihn in die Wüste geschickt.<br />
Einer der Jungs warf in hohem Bogen eine leere Safttüte auf den Boden. Sie kullerte direkt<br />
vor Toms Füße. Er holte aus und versetzte ihr einen Tritt.<br />
Egal, was Panama dazu veranlasst haben mochte zu reagieren, wie sie reagiert hatte – er<br />
würde es herausfinden.<br />
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13. KAPITEL<br />
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Den Aufzug begrüßte Panama wie einen alten Freund und tätschelte im Vorbeigehen<br />
seine hinterhältige Schnapptür. Ohne Pralinenpaket im Arm konnte er sie nicht schrecken.<br />
Von der Begegnung, die ihr bevorstand, ließ sich das leider nicht behaupten. Doch egal,<br />
wie Tom reagieren würde, sie hätte dann zumindest gesagt, was zu sagen war, und ihr<br />
schlechtes Gewissen erleichtert.<br />
Panama war froh, dass sie vor dem Eingang von Zap Entertainment Maja, die<br />
Produktionsassistentin von Duell der Stars, getroffen hatte. Es war eine glückliche<br />
Fügung, da es ihr die Peinlichkeit ersparte, bei der unfreundlichen Empfangszicke nach<br />
Tom fragen zu müssen. Maja hingegen hatte ihr bereitwillig den Weg zu seinem Büro<br />
erklärt und sie plaudernd am Empfangstresen vorbeigeschleust. Das hätte Panama<br />
gerade noch gefehlt, dass ihr die eiskalte Platinblonde mit arrogantem Blick verkündete,<br />
dass Tom bedauerlicherweise keine Zeit für sie habe.<br />
Sie durchquerte die Redaktionsetage und überflog die Türschilder. Das Büro hinter dem<br />
Kopierer musste Toms sein. Die Tür stand offen. Panama zögerte und betete, dass sie vor<br />
Nervosität nicht unsinnig herumstammeln würde. Sie gab sich einen Ruck und klopfte an<br />
den Türrahmen. Keine Antwort. Vorsichtig steckte sie den Kopf durch die Tür. Das Zimmer<br />
war leer.<br />
Unschlüssig blieb sie stehen. Ob sie ihm den Block einfach auf den Tisch legen sollte?<br />
Eine grimmige Frauenstimme ließ Panama zusammenzucken. Die Stimme drang aus dem<br />
Nebenzimmer. Ich sollte lieber verschwinden, bevor mich jemand entdeckt, dachte<br />
Panama. Wenn Stress in der Luft hing, war es definitiv der falsche Zeitpunkt, um eine<br />
Aussprache wegen eines Schoko-Sexgelages zu ersuchen.<br />
Sie wandte sich hastig ab. Doch bevor sie einen Schritt machen konnte, wurde sie von der<br />
Stimme gestoppt.<br />
"Frau Prill, kann ich Ihnen weiterhelfen?"<br />
Panama wirbelte herum. Hinter ihr stand mit verkniffener Miene Bianca Kaiser, die ihre<br />
Magenverstimmung augenscheinlich auskuriert hatte. Dem Ausdruck auf ihrem Gesicht<br />
nach zu urteilen, galt das allerdings nicht für ihre chronische Gemütsverstimmung.<br />
"Geht es Ihnen wieder besser?", fragte Panama.<br />
"Bis eben ja", antwortete die Redakteurin frostig.<br />
Panama wollte schon wegen der unverschämten Antwort protestieren, da fuhr Bianca<br />
Kaiser fort: "Bis mir diese unfähige Praktikantin ihre unbrauchbaren Rechercheergebnisse<br />
unter die Augen hielt." Ein etwa achtzehnjähriges Mädchen mit rot verquollenen Augen<br />
schlich aus dem Zimmer und eilte den Korridor entlang.<br />
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"Sie ist jetzt schon mehr als zwei Wochen hier und weiß immer noch nicht, wie man ein<br />
fehlerfreies Gästedossier zusammenstellt."<br />
"Ich dachte, Praktikanten sind dazu da, zu lernen und auch Fehler zu machen",<br />
entgegnete Panama und blickte dem Mädchen hinterher.<br />
"Dann sollte sie sich besser eine andere Branche aussuchen", sagte die Redakteurin kühl.<br />
"Wer nach zwei Wochen nicht kapiert, was Sache ist, ist hier fehl am Platz."<br />
Sie warf Panama einen prüfenden Blick zu. "Liefern Sie wieder Pralinen aus?", fragte sie.<br />
"Von Süßigkeiten werde ich jedenfalls in den nächsten Monaten die Finger lassen."<br />
Klar, und Elefanten können fliegen. "Ich wollte Tom seine Aufzeichnungen vorbeibringen",<br />
antwortete Panama. "Er hat sie gestern Abend im Laden vergessen."<br />
Die Redakteurin musterte den mit Klecksen übersäten Block und blickte Panama<br />
entgeistert an. "Ist er etwa gestern für mich eingesprungen?", fragte sie. "Wieso hat er<br />
denn nicht einen der Jungredakteure geschickt?"<br />
"Das kann ich Ihnen nicht sagen", erwiderte Panama.<br />
"Hat er wirklich gestern Abend mit Ihnen zusammen die Rezepte durchgetimt?", wollte<br />
Bianca Kaiser wissen. In ihrer Stimme schwang ein Ton, den Panama nicht einordnen<br />
konnte.<br />
Panama strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ja, wir haben beide Rezepte<br />
durchgespielt." Und nicht nur das, dachte sie und lächelte mühsam.<br />
Bianca Kaiser schien währenddessen unerfreuliche Gedanken zu wälzen. Sie runzelte die<br />
Stirn. "Den Block können Sie mir geben. Herr Jordan hat einen Termin außer Haus",<br />
meinte sie schließlich, wobei sie das Herr Jordan übertrieben betonte. Sie riss Panama<br />
den Notizblock aus der Hand.<br />
"Wann kommt er denn zurück?", erkundigte sich Panama. "Ich würde gerne mit ihm<br />
sprechen." Und zwar bald, sonst verlässt mich der Mut, dachte sie.<br />
"Fragen zur Sendung besprechen Sie bitte mit mir", antwortete Bianca Kaiser. "Jetzt, da<br />
ich die Vergiftung durch die verdorbene Schokolade überstanden habe, bin ich wieder Ihre<br />
Ansprechpartnerin."<br />
Falls die Bemerkung über die Pralinen eine Beleidigung sein sollte, hätte sie sich die Mühe<br />
sparen können, dachte Panama und ging nicht darauf ein. "Mit der Sendung hat es nicht<br />
direkt zu tun", antwortete sie zögernd. "Es ist etwas Persönliches."<br />
Bianca Kaiser erstarrte. Ihr Blick wurde unübersehbar giftig. "Etwas Persönliches?" Sie<br />
kam einen Schritt näher und beugte sich vor. "Welcher Art?"<br />
Panama straffte die Schultern. "Das möchte ich nur mit ihm selbst besprechen."<br />
Nun entglitt der Redakteurin vollends die Kontrolle über ihre Mimik. "Vielleicht sollte ich<br />
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etwas klarstellen, dass Ihnen offensichtlich unbekannt ist", zischte sie und kniff die Augen<br />
zusammen. "Tom Jordan und ich, wir sind seit fünf Monaten liiert."<br />
Panama blieb die Luft weg. Ungläubig starrte sie die Redakteurin an.<br />
"Hat sich Ihr Anliegen hiermit erledigt?", fragte Bianca Kaiser mit eisiger Stimme.<br />
Könnte man so ausdrücken, dachte Panama wie betäubt. Sie hatte das Gefühl, dass sich<br />
ein Abgrund vor ihr auftat. Ihre Angst hatte nicht getrogen. Ein Mann bleibt ein Mann bleibt<br />
ein Mann …<br />
So ein Schwein. Schuldgefühle übermannten sie. Sie hatte Bianca Kaiser genau dasselbe<br />
angetan, was Rick ihr mit seinen ganzen Gespielinnen angetan hatte. Welch bittere Ironie.<br />
Dass sie ahnungslos gewesen war, bot nicht den leisesten Trost.<br />
Aber sie hatte es sich selbst zuzuschreiben. Wieso hatte sie sich gestern Abend auch<br />
dermaßen gehen lassen müssen? Dabei hatte sie nicht das Geringste über Tom gewusst.<br />
Li Mei hatte es ganz richtig ausgedrückt, doch leider mit einem völlig anderen Gedanken<br />
als Hintergrund. Jetzt zeigte die Geschichte ihr wahres, widerliches Gesicht.<br />
"Es war nicht so wichtig", brachte sie tonlos heraus. Sie drehte sich um und ließ die<br />
Redakteurin stehen.<br />
Nein, sie würde nicht heulen, verflucht. Zumindest nicht in diesem Gebäude. Sie rannte<br />
am Aufzug vorbei die Treppe hinunter und betete, dass ihr niemand begegnete.<br />
Was war sie nur für eine dämliche Dilettantin. Sie hatte sich selbst etwas vorgemacht. Von<br />
wegen Männer vernaschen! Nicht nur, dass sie fast schon geglaubt hatte, sich in den<br />
Typen verliebt zu haben – sie hatte sich darüber hinaus auch noch mit unfehlbarem<br />
Instinkt einem gewissenlosen Herzensbrecher an den Hals geworfen.<br />
Panama stürmte an Li Mei vorbei ins Hinterzimmer. Sie versetzte der Palette<br />
Kakaopäckchen, die im Weg stand, einen Tritt und beugte sich über das Waschbecken.<br />
Bis zum Anschlag drehte sie den Wasserhahn auf und ließ das eiskalte Wasser über ihr<br />
Gesicht laufen, bis es taub wurde.<br />
"Was ist los?", fragte Li Mei, die ihr gefolgt war.<br />
Panama tupfte sich mit einem Handtuch über das Gesicht und versuchte keuchend wieder<br />
zu Atem zu kommen. Sie war die ganze Strecke zurück zum Laden gerannt.<br />
"Er … ist mit dieser Redakteurin zusammen. Schon seit … fünf Monaten", antwortete sie<br />
und rang um Fassung. "Dieses Schwein. Warum habe ich nichts gemerkt?"<br />
Li Mei schnappte hörbar nach Luft. "Das hat er dir eben erzählt?"<br />
Panama schüttelte den Kopf. "Er war nicht da. Bianca Kaiser hat es mir selbst erzählt." Sie<br />
ließ sich auf einen Stuhl sinken und warf Li Mei einen hilflosen Blick zu. "Wenn ich nur<br />
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daran denke, wie wir uns hier zusammen herumgewälzt haben …"<br />
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"Mir fehlen die Worte." Li Mei stützte sich am Türrahmen ab. "Das hätte ich ihm niemals<br />
zugetraut. Er wirkte so sympathisch."<br />
"Das ist der Standardspruch aus dem Bekanntenkreis eines jeden überführten<br />
Serienkillers", erwiderte Panama. "Man kann Menschen leider nicht ins Hirn schauen."<br />
Li Mei setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter. "Du hast dir nichts<br />
vorzuwerfen. Du wusstest schließlich nicht, dass er eine Freundin hat."<br />
Ob er wohl die Wahrheit gesagt hätte, wenn sie ihn danach gefragt hätte? "Ja, aber<br />
vielleicht hätte ich doch ein paar Takte mehr mit ihm reden müssen, bevor ich mich auf<br />
Sex mit ihm einließ."<br />
Energisch schüttelte Li Mei den Kopf. "Ist das nicht wieder mal typisch Frau? Er betrügt<br />
seine Freundin, und du suchst die Schuld dafür bei dir!"<br />
"Natürlich bin ich nicht schuld. Vielleicht sollte ich nur das nächste Mal besser auf meinen<br />
Instinkt hören."<br />
"Ich dachte, genau das hättest du getan", erwiderte Li Mei. "Okay, okay. War nicht so<br />
gemeint", wiegelte sie ab, als Panama das Gesicht verzog.<br />
"Er war übrigens vor einer halben Stunde hier", fuhr sie fort. "Hätte ich die Geschichte<br />
schon gekannt, er wäre in den Genuss einer kostenlosen Wing-Chun-Lektion gekommen."<br />
Panama riss die Augen auf. "Er war hier? Was hat er gesagt?"<br />
"Er ist nicht reingekommen", erwiderte Li Mei. "Er stand draußen vor dem Fenster und hat<br />
durch die Scheibe geguckt. Als er sah, dass ich an deiner Stelle hier war, hat er sich<br />
umgedreht und ist gegangen."<br />
Panama drückte ihre Hände gegen die Schläfen. "Bianca Kaiser sagte, dass er einen<br />
Termin außer Haus hätte."<br />
"Vielleicht wollte er die Mittagspause für eine kleine Schäkerei mit dir nutzen", überlegte Li<br />
Mei. "Sich einen Nachschlag holen, sozusagen."<br />
Panama ballte die Fäuste. "Den Nachschlag verpasse ich ihm gerne. Nur anders, als er<br />
sich das vorstellt."<br />
Das Telefon klingelte. Panama eilte in den Verkaufsraum und hob den Hörer ab.<br />
"Zap Entertainment Productions, Sekretariat. Ich möchte eine Bestellung aufgeben",<br />
meldete sich eine weibliche Stimme.<br />
"Einen Moment bitte", hektisch tastete Panama nach einem Stift.<br />
Die Produktionsfirma schien sich zu einem wertvollen Kunden zu entwickeln. Doch wenn<br />
sie bedachte, was ihr Zap außer den Aufträgen noch beschert hatte, wünschte sie, sie<br />
hätte mit dem Namen dieser Firma niemals Bekanntschaft gemacht. "Wieder eine<br />
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Lieferung für Duell der Stars?", fragte sie.<br />
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"Nein, hier ist das Sekretariat von Tom Jordan. Ich gebe die Bestellung für ihn auf."<br />
Panama schnappte nach Luft. Toms Dreistigkeit war unglaublich.<br />
"Haben Sie herzförmige Pralinenschachteln?", säuselte die Stimme.<br />
"Ja, aus rotem Samt", antwortete Panama und fragte sich, wo das hinführen würde.<br />
"Dann liefern Sie bitte die größte, die Sie im Sortiment haben."<br />
"Und wo geht die Lieferung hin?", fragte Panama zögernd.<br />
"Ins Büro von Bianca Kaiser. Es soll eine Überraschung sein", antwortete die Frau. "Ach,<br />
und stecken Sie bitte eine Karte dazu."<br />
"Eine Karte …?" Panama überlegte, ob sie den Anruf als Scherz auffassen sollte. Das<br />
konnte doch alles nicht wahr sein.<br />
"Ja, die haben Sie doch bestimmt auch, oder etwa nicht?"<br />
"Sicher. Was soll denn darauf stehen?", fragte Panama mechanisch und kritzelte wie wild<br />
auf ihrem Notizblock herum.<br />
"Sie soll ganz schlicht bleiben. Schreiben Sie 'Love you', sonst nichts. Keine Unterschrift.<br />
Herr Jordan möchte nicht, dass es die Kollegen mitbekommen, verstehen Sie?"<br />
Panama verspürte den übermächtigen Drang, loszuschreien und den Hörer auf die Gabel<br />
zu knallen.<br />
"Was wird das Präsent kosten?", fragte die Sekretärin.<br />
"Es … fünfundfünfzig Euro …", antwortete Panama stockend.<br />
"Ich schicke dann einen Taxikurier mit dem Geld vorbei, der das Paket in einer Stunde<br />
abholt."<br />
"Moment, ist Herr Jordan zu sprechen?", fragte Panama, doch die Sekretärin hatte schon<br />
eingehängt.<br />
Ungläubig starrte Panama auf die Hörermuschel. Was fiel Tom nur ein? War er ein Sadist,<br />
oder was? Sollte das seine Rache sein, weil sie ihn so abrupt abserviert hatte? Es hatte<br />
ihr längst leid getan, und sie hatte sich sogar bei ihm entschuldigen wollen. Aber das war<br />
sowieso komplett überflüssig, seit sie wusste, dass er ein mieser, instinktgesteuerter,<br />
treuloser Dreckskerl war.<br />
Panama riss den Zettel vom Notizblock und entdeckte, dass sie neben Toms Namen<br />
einen riesigen Totenkopf gekritzelt hatte. An einigen Stellen hatte der Kugelschreiber<br />
sogar das Papier durchbohrt. Sie zerknüllte den Zettel und warf ihn gegen die Wand.<br />
"Die Pralinen würde ich am liebsten vergiften", rief sie und schlug mit der Faust so fest auf<br />
die Theke, dass die Scheiben der Vitrine wackelten.<br />
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Offenbar hatte ihn sein schlechtes Gewissen dazu getrieben, seinem Schatz ein<br />
Geschenk zu machen. Wie konnte er sie nur so demütigen?<br />
"Welche Pralinen?", rief Li Mei und kam aus dem Hinterzimmer nach vorn.<br />
Panama schilderte ihr, was geschehen war.<br />
"Falls ich je Menschenkenntnis besaß, hat sie anscheinend das Haltbarkeitsdatum<br />
überschritten", entfuhr es Li Mei. "Ich glaub's einfach nicht."<br />
"Dem Kerl würde ich am liebsten Spezialpralinen anrühren." Wütend raufte Panama sich<br />
die Haare. "WC-Reiniger-Trüffel … oder Granitsplitterbissen … oder Insektengelee …<br />
Schuhcreme-Nougat …" Sie ließ die Schultern sinken. "Aber das Schlimmste ist, dass die<br />
Redakteurin, der er die Schachtel schenkt, nichts dafür kann. Er hat sie genauso hinters<br />
Licht geführt wie mich." Sie wischte sich eine Träne von der Wange. "Was war ich für eine<br />
naive Kuh."<br />
Energisch schnäuzte sie sich die Nase. "Auf die Pralinen kann er jedenfalls lange warten,<br />
und den Auftritt in der Sendung sage ich ab", fügte sie hinzu. "Die blöde Werbung kann er<br />
sich sonst wohin stecken."<br />
Li Mei schaute sie nachdenklich an. "Ich finde, du solltest die Schachtel wie bestellt fertig<br />
machen", sagte sie langsam. "Er wollte dich demütigen und rechnet bestimmt nicht damit,<br />
dass du ganz cool reagieren könntest."<br />
"Aber …", protestierte Panama.<br />
"Ich meine das ernst", unterbrach Li Mei sie und griff ihre Hand. "Schau mich an. Der Kerl<br />
ist das Letzte, und du wirst ihn nicht gewinnen lassen, indem du dich verschämt<br />
zurückziehst und vor Kummer zergehst."<br />
Panama senkte den Kopf. "Ich fürchte schon. Ich werde nach Hause gehen, mir die<br />
Bettdecke über den Kopf ziehen und die nächsten Wochen nicht mehr aufstehen."<br />
"Das wirst du nicht. Wegen der Ricks und Toms dieser Welt wirst du dich nicht<br />
zerfleischen", sagte ihre Freundin und schaute sie eindringlich an. "Du wirst ihm zeigen,<br />
dass er nicht an ein hilfloses Weibchen geraten ist, mit dem er herumspielen kann."<br />
Nachdenklich strich Panama sich über das Haar. "Wahrscheinlich rechnet er wirklich nicht<br />
damit, dass ich die Schachtel für Bianca liefere."<br />
Li Mei nickte energisch. "Nichts wird ihn mehr verunsichern, als wenn du die Lieferung<br />
losschickst, als sei es das Normalste der Welt, und cool deinen Auftritt absolvierst."<br />
Panama riss die Augen auf. "In die Sendung gehe ich auf keinen Fall. Das stehe ich nicht<br />
durch."<br />
"Lass dir die Chance nicht wegen eines solchen Vollidioten entgehen. Denk daran, die<br />
Werbung für deinen Laden ist unbezahlbar", erwiderte Li Mei. "Und wenn du absagst,<br />
bestrafst du wahrscheinlich nicht einmal ihn, sondern Bianca Kaiser und ihre Kollegen, die<br />
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dann einen Ersatz für dich auftreiben müssen."<br />
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Panama massierte ihre Stirn. Wild trudelten die Gedanken in ihrem Kopf durcheinander.<br />
"Stell dir nur vor, wie sehr es ihn verunsichern wird, wenn du einfach so tust, als sei nichts<br />
vorgefallen", meinte Li Mei und lachte leise. "Es wird ihm den letzten Nerv rauben, weil er<br />
immer damit rechnen muss, dass du irgendwann explodierst."<br />
Panama fixierte nachdenklich die roten Samtherzen im Regal. Sie straffte die Schultern.<br />
"Den Triumph, mich leiden zu sehen, werde ich ihm nicht gönnen", sagte sie schließlich<br />
und reckte den Arm nach der größten Schachtel. "Na warte, Kleiner, die Regeln für das<br />
Spiel haben sich geändert. Nur, du hast es noch nicht mitbekommen."<br />
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14. KAPITEL<br />
"Bitte die Augen schließen."<br />
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Panama gehorchte und spürte, wie die handtellergroße Quaste über ihr Gesicht tupfte.<br />
Anschließend glitt ein weicher Pinsel in kurzen senkrechten Strichen über ihre Haut und<br />
nahm den überschüssigen Puder ab.<br />
Während Maskenbildnerin Natalie sich mit klimpernden Armreifen Panamas Augenlidern<br />
zuwendete, wünschte diese inständig, sie hätte den Auftritt schon hinter sich.<br />
Seit ihrem fehlgeschlagenen Besuch in Toms Büro waren zwei Tage vergangen, an denen<br />
sie ihn weder gesehen noch gesprochen hatte. Alle Vorbereitungen für die Sendung waren<br />
allein über Bianca Kaiser gelaufen.<br />
Bianca hatte Tom sicherlich von ihrem Besuch im Büro erzählt, überlegte sie. Und deshalb<br />
hatte er sich genötigt gefühlt, die Pralinen ausgerechnet in ihrem Laden zu bestellen, um<br />
das Misstrauen seiner Liebsten zu zerstreuen. Kaltblütig hatte er in Kauf genommen, dass<br />
sie auf diese miese Art von seiner Beziehung erfuhr und vertraute darauf, dass sie aus<br />
Scham ihren Mund hielte.<br />
"Sie können die Augen wieder öffnen."<br />
Panama gehorchte und ihre Lider gaben den Blick auf ein Paar Augen frei, denen sie<br />
einmal gefährlich nahe gekommen war. Auf das Spiegelbild dieser Augen, um genau zu<br />
sein, da sie direkt vor einem großen beleuchteten Spiegel saß. Sie fragte sich, wie lange<br />
Tom in der Tür gelehnt und sie beobachtet haben mochte, während sie nichts ahnend mit<br />
geschlossenen Augen im Maskensessel ausgeharrt hatte.<br />
"Hallo Panama", begrüßte er sie. "Ich wollte nachhören, ob alles klar ist oder du noch<br />
Fragen hast."<br />
Und ob sie Fragen an ihn hatte! Zum Beispiel: Wie schaffst du es, den Anblick deines<br />
Gesichts im Spiegel zu ertragen, ohne knallrot anzulaufen? Wie hast du Bianca die<br />
Schokoladenflecken auf deinem Körper erklärt?<br />
"Eben ist Frau Kaiser den Ablauf mit mir durchgegangen", antwortete sie eisig. "Wenn ich<br />
kein Blackout vor der Kamera bekomme, sollte alles klar gehen."<br />
Am liebsten wäre sie in ihrem Drehsessel herumgewirbelt und hätte ihm ihr Knie in seine<br />
empfindlichste Stelle gerammt. Doch da die Maskenbildnerin ihr gerade die Haare<br />
kämmte, war ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt.<br />
Er rührte sich nicht von der Stelle.<br />
"Du siehst umwerfend aus", sagte er.<br />
Erst jetzt nahm sie wahr, was Natalie mit ihrem Schminkwerkzeug gezaubert hatte. Sie<br />
war überrascht, einer Frau im Spiegelbild zu begegnen, die zwar immer noch vertraut<br />
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aussah, aber irgendwie glamouröser – ziemlich sexy sogar. Die Maskenbildnerin hatte<br />
nicht an kirschrotem Lippenstift gespart und ihn noch zusätzlich mit Gloss überzogen.<br />
Rauchgrauer und auberginefarbener Lidschatten ließ ihre Augen geheimnisvoll erstrahlen.<br />
Tom besaß die Unverschämtheit, ihr zuzulächeln.<br />
"Zeig deinen Arm", sagte er.<br />
"Was?", fragte sie verständnislos.<br />
"Ich wollte nur sehen, ob du dein Fu-Zeichen aufgemalt hast."<br />
Das hatte sie komplett vergessen oder, wahrscheinlicher noch, verdrängt.<br />
Hautverzierungen jeglicher Art, ob mit Kugelschreiber oder Schokolade waren ihr seit dem<br />
gewissen Abend zuwider. "Meine Schulzeit liegt glücklicherweise hinter mir", antwortete<br />
sie und verschränkte die Arme.<br />
"Dem Glück nachzuhelfen, schadet doch auch außerhalb der Schule nicht", sagte er.<br />
Unter seinem ruhigen Blick packte sie ein irritierendes Unbehagen. "Wer glaubt, dem<br />
Glück nachhelfen zu können, dem ist sowieso nicht zu helfen", antwortete sie frostig.<br />
Ihre Kurzangebundenheit schien ihn zu wundern, stellte sie wütend fest. Was für ein<br />
Schauspieler!<br />
"Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück." Er legte die Hand auf die Türklinke. "In zehn<br />
Minuten holt dich der Aufnahmeleiter ins Studio", sagte er. "Wir sehen uns dann<br />
anschließend, hoffe ich." Er blickte ihr eine Sekunde länger in die Augen als nötig, drehte<br />
sich um und verschwand.<br />
Nicht, wenn ich es verhindern kann, dachte Panama. Nach der Sendung würde sie<br />
schleunigst von hier verschwinden. Wie schaffte Tom es nur, ein solches Pokerface durch<br />
die Gegend zu tragen?<br />
In Gedanken versunken, strich sie über ihren Unterarm. Das Fu-Zeichen würde sie sich<br />
trotzdem aufmalen – nur zur Sicherheit. Mit Tom hatte das natürlich nicht das Geringste zu<br />
tun. Sie würde eine Stelle wählen, auf der sein neugieriger Blick es nicht entdecken würde.<br />
Sonst dachte er womöglich, sie hätte es ihm zum Gefallen oder als Andenken an den<br />
Abend getan. Bei dem Gedanken schüttelte Panama sich. Sie durchsuchte ihre<br />
Handtasche und zog einen Stift hervor. Bei einem Besuch auf dem Damenklo würde sie<br />
schon die richtige Stelle finden, auf der sie ihre magische Glücksantenne sicher würde<br />
verstecken können.<br />
Durch die offen stehende Tür sah sie hektisch hin und her laufende Menschen mit<br />
Klemmbrettern und Kopfhörern, die laute Kommandos riefen und sich ab und zu<br />
beschimpften.<br />
Rechts im Spiegel konnte sie den Mann beobachten, der ihr Partner vor der Kamera sein<br />
würde. Jan Givret wurde gerade am Nachbarplatz geschminkt.<br />
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Er hatte Panama nur kurz zugenickt, als die Redakteurin sie beide bekannt gemacht hatte<br />
und sich gleich darüber beschwert, dass ihm die falsche Mineralwassermarke serviert<br />
worden sei. Panama hatte er keines Blickes mehr gewürdigt und sich in das Studium eines<br />
Hochglanz-Immobilienmagazins vertieft.<br />
Fasziniert beobachtete Panama, wie seine fahle Haut unter einer dicken Schicht Make-up<br />
verschwand und sein Maskenbildner ihm blassroten Lippenstift auf den Mund pinselte. Der<br />
frische Farbton vermochte es allerdings nicht, seine missmutig hängenden Mundwinkel<br />
nach oben zu biegen.<br />
Sie schätzte ihn auf Ende vierzig, doch die betont modische Jeans, sein enges bunt<br />
bedrucktes T-Shirt und der obligatorische Tattookranz um den trainierten Oberarm<br />
verrieten überdeutlich, dass er als heißer Mittdreißiger durchgehen wollte. Panama fragte<br />
sich, ob es ihm helfen würde, wenn er sich für eine Minute von außen betrachten könnte.<br />
Doch selbst dann würde er vermutlich die Vergeblichkeit seiner Verjüngungsversuche<br />
bestreiten.<br />
Nachdem auch die letzte widerspenstige Strähne mit Haarspray fixiert war, nahm die<br />
Maskenbildnerin ihr den Umhang ab. Panama verschwand kurz auf der Damentoilette. Als<br />
sie zurückkehrte, stürmte ein von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideter Blonder herbei, der<br />
laut in die Hände klatschte.<br />
"Los geht's", rief er und sprach anschließend unverständliche Anweisungen in das Mikro<br />
seines Headsets.<br />
Er führte Panama und Jan Givret, der anzüglich ihren Busen musterte, über einen langen<br />
Korridor. Vor einer breiten Stahltür, über der in grellroter Leuchtschrift ein "Achtung<br />
Aufnahme"-Schild vor dem unbedachten Eintritt warnte, blieb er stehen.<br />
Ein weiterer junger Typ klemmte ihr ein schwarzes Päckchen an den Gürtel ihrer Hose.<br />
Das daran befestigte Kabel solle sie unter ihrem T-Shirt bis zum Ausschnitt hinaufziehen,<br />
erklärte er ihr. Sie kehrte Givrets flegelhaften Augen den Rücken zu und kam der<br />
Aufforderung nach. Das Ende des Kabels, auf dem ein nur kaffeebohnengroßes Mikro<br />
saß, klemmte der Tonassistent ihr an den Kragen.<br />
Bei Givret wiederholte er die Prozedur. Allerdings schien dieser geübt darin zu sein, denn<br />
bei ihm ging es viel schneller.<br />
Verwundert bemerkte Panama, dass sie, anders als gedacht, nicht die Spur aufgeregt war.<br />
Die Wut auf Tom, die in ihrem Inneren wütete, ließ für Lampenfieber offenbar keinen Platz.<br />
Im nächsten Moment schärfte ihnen der Aufnahmeleiter ein, leise zu sein. Er öffnete die<br />
Tür und führte sie und Givret durch das Kulissenlabyrinth auf eine hell erleuchtete Ecke<br />
des Studios zu.<br />
Dort standen die beiden Moderatoren Lena Keller und Bernd Heyne an einem Pult. Drei<br />
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Kameras hatten sie ins Visier genommen.<br />
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Plötzlich ertönte ein Jingle, die Scheinwerfer wurden gedimmt und die Mitarbeiter, die<br />
regungslos im Dunkeln verharrt hatten, verließen geschäftig ihre Positionen. Auf einem<br />
Bildschirm erkannte Panama, dass Werbung lief.<br />
Der Aufnahmeleiter führte Panama zur Studioküche hinüber, die an die Moderatorenecke<br />
grenzte. Jan Givret gesellte sich zu den Moderatoren ans Pult.<br />
Mit prüfendem Blick musterte Panama noch einmal die Schalen mit den Zutaten, die sie<br />
bereits vorbereitet hatte. Alles stand am richtigen Platz.<br />
Wieder ertönte ein Jingle, und Spots tauchten die Bühne in gleißendes Licht. Panama<br />
fragte sich, ob irgendwo im Schatten der Scheinwerfer, die auf sie gerichtet waren, Tom<br />
stand und sie beobachtete.<br />
Die Moderatoren begrüßten Givret und redeten mit ihm über seinen neuen Film. Ein<br />
Ausschnitt daraus wurde gezeigt.<br />
Auf die Fragen der Moderatoren antwortete er kurz angebunden und, wie Panama fand,<br />
reichlich arrogant. Das ließ auf kein entspanntes Pralinenbasteln mit ihm hoffen, dachte<br />
sie.<br />
Als die Moderatorin Lena Keller ihn fragte, ob sich die Rollen, die er angeboten bekäme,<br />
mit den Jahren verändert hätten, antwortete er pampig, sie wolle ihn wohl in die Ecke des<br />
alternden Schauspielers stellen. Er sehe immerhin mindestens zehn Jahre jünger aus als<br />
sie und hätte außerdem weniger Falten, setzte er nach. Panama blieb fast die Luft weg,<br />
dass dieser Schnösel sich das Recht herausnahm, sich dermaßen unhöflich aufzuführen.<br />
Die fröhliche Morgenstimmung im Studio schlug um wie ein der Sonne ausgesetzter<br />
Karton Milch. Tapfer mühten sich die beiden Moderatoren durch den Rest des Interviews,<br />
doch Givret beantwortete keine einzige Frage, die nicht unmittelbar mit dem Film zu tun<br />
hatte. Sein Privatleben sei seine Sache.<br />
Damit hat er Recht, dachte Panama. Aber wieso hatte er dann letztes Jahr einen wüsten<br />
Scheidungskrieg in den Gazetten ausgefochten und sich erst vor einem Monat zusammen<br />
mit seiner zwanzig Jahre jüngeren dritten Ehefrau im VIP Magazine ablichten lassen? In<br />
einem vielseitigen und üppig bebilderten Artikel hatte er stolz seine Villa am Starnberger<br />
See samt Fuhrpark vorgeführt, der aus mehreren Porsches und einem Ferrari bestand.<br />
Hätte die Redaktion nicht einen sympathischeren Gast mit ihr zusammen einladen<br />
können? Oder hatte Tom extra das ungenießbarste Ekel aufgetrieben, das er finden<br />
konnte, um sich an ihr zu rächen? Allerdings fiel ihr dann ein, dass er bereits vor der<br />
Schoko-Orgie erzählt hatte, dass Givret in die Sendung käme.<br />
Das Interview war beendet. Die Moderatorin leitete nun zum Pralinenpart über. "Herr<br />
Givret, Sie sind dafür bekannt, ein Genussmensch zu sein. Deshalb haben wir heute<br />
etwas Besonderes mit Ihnen vor. Sie werden mit einer echten Fachfrau für Genuss<br />
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Pralinen zaubern."<br />
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Professionell spielte Givret den Erstaunten, denn natürlich war er informiert, was als<br />
Nächstes auf dem Programm stand. "Eine Fachfrau für Genuss? Und das schon im<br />
Morgenprogramm? Ich dachte, hier schauen auch Kinder zu." Er lachte selbstgefällig.<br />
Panama verdrehte die Augen. Was für ein aufgeblasener Chauvi! Lena Keller lächelte<br />
gequält und moderierte den Film an, der Panama und ihren Laden vorstellte.<br />
Während er abgespielt wurde, führte die Moderatorin Givret zur Küchenecke hinüber.<br />
Noch einmal holte Panama tief Luft. Showtime, dachte sie und suchte Halt an der<br />
Tischkante.<br />
"Und hier ist sie, die Pralinenkünstlerin, heute live bei uns im Studio", sagte Lena Keller,<br />
als das Rotlicht an der Kamera wieder aufleuchtete. "Was haben Sie uns mitgebracht,<br />
Panama?"<br />
"Als erstes ein Sommerpralinenrezept, das schön fruchtig schmeckt, und danach zeige ich<br />
Ihnen, als Nachtisch für einen nicht ganz so heißen Tag, wie man blitzschnell ein<br />
Schokofondue zaubert, in das sich wunderbar frische Beeren tunken lassen."<br />
Kein Blackout. Hey, ist gar nicht so schlimm. Da sie die Zuschauer vor den<br />
Fernsehapparaten zu Hause nicht sehen konnte, und der Rest des Studios im Dunkeln<br />
lag, erschien ihr die Situation im Grunde nicht anders als die Gespräche, die sie tagtäglich<br />
mit ihren Kunden im Laden führte.<br />
Lena Keller wandte sich zur Kamera und erklärte, dass die Zuschauer die Rezepte auf der<br />
Internetseite der Guten-Morgen-Show abrufen konnten.<br />
"Jan Givret ist schon ganz neugierig auf Ihre Kreationen", fuhr die Moderatorin fort und<br />
wandte sich dann dem Schauspieler zu. "Herr Givret, bei Schokolade scheiden sich die<br />
Geister. Die einen stehen auf herbe, andere auf Vollmilchsorten. Wie ist es bei Ihnen?"<br />
"Ich bin für alle zu haben, wenn sie nur gut schmecken", antwortete er und ließ den Blick<br />
über die Batterie von Schälchen schweifen, die auf dem Tisch stand. "Ob Sie mich hiermit<br />
überzeugen können, werden wir ja gleich sehen", fuhr er an Panama gewandt fort und<br />
drehte sich dann direkt zur Kamera. "Und, verehrte Zuschauer, Sie wissen, ich bin für<br />
mein gnadenloses Urteil bekannt."<br />
Er warf Panama einen Blick zu, den sie als hämisch empfinden musste, und verschränkte<br />
die Arme.<br />
Will er mich in aller Öffentlichkeit vorführen, fragte sie sich und versuchte, sich ihren<br />
Unmut nicht anmerken zu lassen. Steckte da etwa Tom dahinter? Wut kochte in ihr hoch.<br />
Das würde sie sich auf keinen Fall bieten lassen.<br />
Panama wandte sich ebenfalls zur Kamera. "Leider gibt es noch keinen<br />
fernsehkompatiblen Test, mit dem wir die Funktionstüchtigkeit von Herrn Givrets<br />
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Geschmacksknospen testen können", sagte sie und setzte dabei ihr allersüßestes Lächeln<br />
auf. "Aber über Geschmack lässt sich sowieso nicht streiten", fuhr sie fort und musterte<br />
dabei mit beredtem Blick sein Outfit.<br />
Givret schnappte nach Luft, sie wandte sich jedoch blitzschnell von ihm ab und blickte<br />
wieder in das mit Rotlicht markierte Kameraobjektiv. "Probieren Sie die Rezepte aus, Sie<br />
werden begeistert sein."<br />
Sie hatte genug von ihm mitbekommen, um zu wissen, dass sie es bei Givret mit einem<br />
Mann zu tun hatte, dem sie keinen Raum geben durfte, sich weiter aufzuspielen. Entweder<br />
übernahm sie das Ruder und sorgte dafür, dass sie es sich nicht wieder entreißen ließ,<br />
oder er würde sie gnadenlos fertigmachen.<br />
Sie schob Jan Givret eine Schüssel zu und drückte ihm einen Schneebesen in die Hand.<br />
Eigentlich war der Mixer vorgesehen, aber er sollte sich ruhig abmühen müssen. Vielleicht<br />
würde die Anstrengung ihn für eine Weile ruhigstellen.<br />
Die Moderatorin, offensichtlich um Givrets Laune bemüht, beschäftigte ihn<br />
glücklicherweise mit weiteren Fragen zu seinem Film. Darin mimte er den Besitzer eines<br />
Fünf-Sterne-Lokals, der nach amourösen Verwicklungen mit verschiedenen Damen aus<br />
der verwöhnten Gästeschar in seiner Köchin die <strong>Liebe</strong> seines Lebens findet.<br />
Auf die Frage nach der Lieblingsszene aus dem Film, antwortete er, es sei eine heiße<br />
<strong>Liebe</strong>sszene, die sich hauptsächlich auf dem Tisch der Restaurantküche abspiele.<br />
Während er sprach, blickte er in Panamas Richtung.<br />
Sie hielt die Luft an und fragte sich, ob sie nun auch alles, was ihr begegnete, als<br />
Anspielung auf den Abend in der Chocolaterie auffasste. Zu allem Überfluss entdeckte sie,<br />
dass Tom sich inzwischen neben der Bühne auf einen Stuhl niedergelassen hatte. Er<br />
wollte offensichtlich ihre Blamage aus direkter Nähe verfolgen. Diesen Triumph jedoch<br />
würde sie ihm keinesfalls gönnen.<br />
Die Moderatorin wandte sich wieder an Panama und bat sie, die Zutaten für das erste<br />
Rezept aufzuzählen. Froh, nicht länger herumstehen zu müssen und ihre Augen davor zu<br />
bewahren, in Toms Richtung zu schweifen, legte Panama los und leerte die ersten<br />
Schälchen in eine größere Schüssel.<br />
Givret beugte sich währenddessen eine Spur zu dicht an sie heran und fragte, ob Panama<br />
ihr echter Vorname sei. Freimütig gab sie die Verwechslungsgeschichte ihres Vaters zum<br />
Besten, die der Schauspieler mit Heiterkeit aufnahm.<br />
"Mein Vater hat meine Ankunft zwar auch feuchtfröhlich begossen, doch leider blieb es<br />
nicht bei diesem einen Anlass", sagte er leichthin. "Er hat zwar nicht meinen Namen<br />
verwechselt, doch sein Durst führte dazu, dass er eines Tages vergaß, dass es mich und<br />
meine Mutter überhaupt gab." Sein Lachen war eine Spur zu laut. "Rückblickend hatten<br />
wir beide wahrscheinlich Glück." Er tunkte den Schneebesen in die Schüssel und begann,<br />
im Zeitlupentempo die Zutaten miteinander zu verquirlen.<br />
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"Hört sich nach einem schweren Start ins Leben an", meinte Panama.<br />
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"Nun, das war wohl ein Grund, warum ich Schauspieler geworden bin", antwortete er und<br />
hielt im Rühren inne. "Schon als Kind bin ich am liebsten in Rollen geschlüpft, in denen ich<br />
der strahlende Held aus dem Märchen sein konnte."<br />
"Dann wird es Ihnen nicht schwer fallen, heldenhaft und – vor allen Dingen – lange und<br />
kräftig zu schlagen", sagte Panama und deutete mit einer Handbewegung an, wie schnell<br />
er den Schneebesen bewegen sollte.<br />
"Da fällt mir ja der Arm ab!", stöhnte er theatralisch.<br />
"Stellen Sie sich einfach vor, der Schneebesen sei ein Fitnessgerät für das<br />
Armmuskeltraining", erwiderte sie trocken.<br />
Lena Keller lachte amüsiert. "Den Trick merke ich mir, um meinem Mann die Hausarbeit<br />
schmackhaft zu machen."<br />
Flugs zog Jan Givret den Ärmel seines T-Shirts bis zur Schulter hoch und spannte seinen<br />
Bizeps an. "Sehe ich etwa aus, als hätte ich mehr Training nötig?", fragte er mit einem<br />
Gesichtsausdruck, als erwartete er, dass Panama vor Anbetung auf die Knie sinke.<br />
"Was die Muskeln angeht nicht", antwortete sie und fuhr ungerührt fort: "Und zum<br />
Abschluss kommen noch kandierte Ananasstücke hinein." Sie leerte die Schale in die<br />
Schüssel.<br />
Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch sie ließ ihn erst gar nicht zu Wort<br />
kommen. "Nicht schlappmachen, Herr Givret, immer schön weiterrühren", rief sie und<br />
schraubte die Tülle an den Spritzbeutel.<br />
Dessen Anblick beschwor prompt Erinnerungen herauf, die nicht nur deshalb<br />
unwillkommen waren, weil drei Kameraobjektive plus Tom ihren Blick auf sie gerichtet<br />
hatten. Vermutlich würde sie dieses Küchenutensil bis in alle Ewigkeit nicht mehr<br />
unbefangen in die Hände nehmen können.<br />
Die Erinnerung hatte sie eine Sekunde zu lange aus dem Tritt gebracht, was Givret sofort<br />
ausnutzte. "Alte Frauen werden frisch und jung, der Fleischeslust verleiht's ganz neuen<br />
Schwung, es stärkt das Begehr, du weißt schon Bescheid, der Schokolade scharfe<br />
Süßigkeit", deklamierte er, während er brav rührte.<br />
"Die stimulierende Wirkung von Schokolade ist allgemein bekannt", meinte Panama. "Aber<br />
dass der Anblick allein Sie sogar zu dichterischen Höchstleistungen animiert, ist<br />
erstaunlich."<br />
"Der Spruch stammt leider nicht von mir." Jan Givret lachte und drehte sich zur Kamera.<br />
"Nicht der Anblick von Schokolade treibt mich zu Höchstleistungen, liebe Zuschauer.<br />
Finden Sie nicht auch, dass eine Frau, die den Namen einer Bananenrepublik trägt, ein<br />
ziemlich leckeres Früchtchen sein muss?", sagte er und zwinkerte ins Objektiv.<br />
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"An der Sie sich jedoch den Magen verderben würden, Herr Givret", parierte Panama und<br />
musterte ihn streng.<br />
"Und ein freches Früchtchen noch dazu", raunte Givret hinter vorgehaltener Hand und<br />
beugte sich weit zur Kamera vor. An Panama gewandt, ergänzte er: "Machen Sie sich<br />
keine Sorgen, man sagt mir einen Krokodilmagen nach. Und mein Appetit ist unersättlich."<br />
Er lachte. Die Sache begann ihm sichtlich Spaß zu machen.<br />
"Die Geleefrüchte in meinem Laden können Sie gerne probieren", meinte Panama. "Die<br />
sind nicht frech, aber sehr empfehlenswert."<br />
"Mein Arzt sagt immer, ich soll mehr Obst essen", erwiderte Jan Givret. "Deshalb nehme<br />
ich Sie vielleicht beim Wort."<br />
Panama fing einen Blick von Lena Keller auf, die sie ungläubig anstarrte. So hat sie sich<br />
den Gesprächsverlauf wohl nicht vorgestellt, dachte Panama. Aber Sendung hin oder her,<br />
sprücheklopfende Männer würden ihr nicht die Sprache verschlagen – auch nicht, wenn<br />
sie prominent waren.<br />
Und bei Givret hatte sie augenscheinlich den richtigen Ton getroffen, denn er taute<br />
merklich auf. Offenbar gehörte er zu der Sorte Menschen, denen man erst den Kopf<br />
geraderücken musste, bevor sie einen respektierten.<br />
Die Füllung war fertig, und Panama zeigte dem Schauspieler, wie er mit dem Spritzbeutel<br />
Tupfen nebeneinander setzen sollte. An die Zuschauer gewandt, erklärte sie, dass die<br />
Cremetupfen, um fest zu werden, eine Stunde gekühlt werden müssten. Sie drehte sich zu<br />
dem großen Edelstahlgefrierschrank um und zog ein Blech mit schon vorbereiteten Tupfen<br />
hervor.<br />
"Danach werden sie nur noch mit geschmolzener <strong>Zartbitter</strong>schokolade überzogen",<br />
erklärte sie und bestrich mit dem Pinsel zwei der kleinen Cremeberge.<br />
"Und dann sind die Pralinen fertig?", fragte Givret.<br />
"Damit die Kuvertüre fest wird, kommen sie noch einmal in den Kühlschrank und dann<br />
steht dem Genuss nichts mehr im Wege", antwortete sie und holte eine Schale mit fertigen<br />
Pralinés hervor.<br />
Jan Givret rieb sich die Hände. "Der Moment der Wahrheit ist gekommen." Er blickte in die<br />
Kamera. "<strong>Liebe</strong> Damen und Herren vor den Bildschirmen, Sie können gewiss sein, auch<br />
eine noch so hübsche Pralinenexpertin wird mich nicht davon abhalten können, ein<br />
ehrliches Urteil zu fällen."<br />
"Sie machen es aber spannend", meinte Panama und hielt ihm die Schale hin. Als er die<br />
Hand ausstreckte, zog sie sie zurück. "Das wäre doch sehr unhöflich", meinte sie<br />
schmunzelnd. "Ladies first, selbstverständlich". Sie bot der Moderatorin die Pralinen an.<br />
"Köstlich", sagte diese genießerisch, während sie die erste auf der Zunge zergehen ließ.<br />
"Sehr fruchtig, und nicht zu süß."<br />
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"Deshalb sind sie für die Sommerzeit ideal", erklärte Panama, drehte sich zu Jan Givret<br />
um und hielt ihm die Schale erneut hin. Er nahm eine Praline, steckte sie in den Mund und<br />
kaute schweigend.<br />
Schließlich verzog er das Gesicht und räusperte sich.<br />
Panama fragte sich, was jetzt käme und machte sich auf alles gefasst.<br />
Die Spannung musste schuld daran sein, dass sie ihre Augen nicht im Zaum halten konnte<br />
und kurz zu Tom hinüberblickte. Er beugte sich vor und lächelte ihr zu. Offensichtlich<br />
dachte er, jetzt sei der große Moment ihres Verrisses gekommen.<br />
"Es fällt mir zwar schwer, das sagen zu müssen, aber leider muss ich zugeben, dass sie<br />
hervorragend schmecken", sagte Givret endlich und griff wieder in die Schale."Ich nehme<br />
gleich noch eine."<br />
"Ein Lob aus Ihrem Munde bekommen wahrscheinlich nicht viele Menschen zu hören",<br />
meinte Panama und zog den Fonduetopf hervor.<br />
"Nur die, die es verdienen", antwortete er.<br />
Bei der Zubereitung des Fondues funktionierte die Zusammenarbeit schon wie bei einem<br />
eingespielten Team.<br />
Die Moderatorin versuchte sich wieder ins Spiel zu bringen und unterbrach Givrets<br />
Flirterei, indem sie von Panama mehr über die bereits erwähnte stimulierende Wirkung der<br />
Schokolade wissen wollte.<br />
Panama erklärte, dass der Zucker in der Schokolade die Bildung von Serotonin, einem<br />
Botenstoff für das Glücksempfinden, ankurbele und dass das Fett der Kakaobutter<br />
Endorphine freisetze.<br />
Jan Givret hielt mit dem Rührlöffel in der Hand inne. "Die Damen im alten Spanien fanden<br />
den Geschmack des neuen Genussmittels so vorzüglich, dass der Überlieferung nach<br />
eine von ihnen wünschte, es möge doch eine Sünde mit dem Genuss verbunden sein.<br />
Allein diese Sünde könne ihn noch erhöhen", erzählte Givret.<br />
"Schon damals wussten Frauen, was gut ist", meinte Panama und drapierte Beerenobst<br />
und Süßkirschen für das Fondue auf eine Platte.<br />
"Und dass Schokolade glücklich macht", ergänzte die Moderatorin.<br />
"Der Genuss galt jedoch gleichzeitig als gefährlich, weil er der Sünde und dem Laster<br />
Vorschub leiste", fuhr Givret fort. "Lust auf Schokolade kann tatsächlich zu einer<br />
kriminellen Karriere führen, wie ich zu meiner Schande gestehen muss", ergänzte er.<br />
"Eine kriminelle Karriere?", fragte Panama. "So schlecht waren Ihre Filme doch gar nicht."<br />
"Netter Witz, aber ganz ehrlich, als Kind hat meine <strong>Liebe</strong> zu Schokolade einen Meisterdieb<br />
aus mir gemacht."<br />
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Lena Keller trat einen Schritt auf ihn zu. "Einen Dieb?"<br />
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Konzentriert rührte Givret die Schokomasse im Fonduetopf glatt. "Ich bekam damals kaum<br />
Taschengeld, denn mein Vater hatte uns verlassen und meine Mutter bekam nur mickrig<br />
bezahlte Jobs. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung. Jedenfalls habe ich mir mindestens<br />
einmal pro Woche meine Lieblingssorte Vollmilch-Nuss in dem Tante-Emma-Laden<br />
geklaut, an dem mein Schulweg vorbeiführte."<br />
"Hatten Sie kein schlechtes Gewissen?", fragte Panama.<br />
Er legte die Stirn in Falten. "Damals war es ein aufregendes Spiel, doch heute bereue ich,<br />
dass ich die nette Besitzerin geschädigt habe."<br />
"Sind Sie nie erwischt worden?", fragte Panama.<br />
"Ich hielt mich für unbesiegbar. Ich war Schoko-Bond, der kühne Spezialagent, und mir<br />
sicher, dass keiner mir auf die Schliche kommen würde", erzählte er. "Meine kriminelle<br />
Karriere fand erst an dem Tag ein Ende, als die alte Frau Klein, die Besitzerin des Ladens,<br />
mich zurückrief. Ich hatte mir für zehn Pfennig Karamellbonbons einpacken lassen und<br />
wieder eine Tafel unter die Jacke geschoben. Sie sagte: 'Ich weiß, du isst gern<br />
Schokolade, Junge.' Und dann hat Frau Klein mir eine Tafel zugesteckt und mich<br />
bedeutungsvoll angesehen. Ab dem Tag habe ich nie wieder etwas genommen."<br />
Er drehte sich zur Kamera. "<strong>Liebe</strong> Kinder, bleibt ehrlich und nehmt euch bloß kein Beispiel<br />
an mir." Lächelnd deutete er auf seine Brust. "Seht doch, was aus mir geworden ist, ein<br />
Schauspieler!"<br />
"Der Lust auf Schokolade kann wohl kaum jemand widerstehen", meinte Panama, warf<br />
einen Blick in den Topf und rührte noch einmal kräftig durch. Sie erklärte, dass das<br />
Fondue jetzt fertig sei und man es je nach Geschmack mit Rum und Gewürzen<br />
abschmecken könne.<br />
"Mein Favorit wäre ein Hauch von Chili", schlug Givret vor.<br />
Panama nickte. "Und dazu würde ich noch ein wenig Kardamom und Ingwer empfehlen."<br />
"Servieren Sie das abends Ihrem Schatz, dann klappt's auch mit der <strong>Liebe</strong>", sagte Givret<br />
zur Kamera gewandt und ließ seine Augenbrauen tanzen.<br />
Schon wieder diese Anspielungen, dachte Panama seufzend und konnte nicht verhindern,<br />
dass ihr Blick kurz zu Tom hinüberhuschte.<br />
Der sah äußerst selbstzufrieden aus. Fragte sich nur warum. Schließlich hatte sie Givret<br />
bisher ganz gut Paroli geboten, fand sie. "Und ich dachte, Sie würden sich allein auf Ihre<br />
Ausstrahlung verlassen", meinte sie zu Givret.<br />
"Am Anfang reicht der bloße Anblick des Objekts der Begierde, um den Körper in Wallung<br />
zu versetzen. Kennt man sich jedoch schon eine Weile, reicht das meist nicht mehr",<br />
konterte Givret und tunkte seinen Finger in den Fonduetopf.<br />
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"Vorsicht, heiß!", rief Panama, doch die Warnung kam zu spät.<br />
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"Autsch!", rief er, zog blitzschnell den Finger zurück und leckte ihn ab. "Wie man sieht, bin<br />
ich ein gieriger Mensch und kann selten meine Finger im Zaum halten."<br />
"Solange Sie sie nur in Schokotöpfe stecken, beschwert sich keiner", meinte Panama,<br />
öffnete das Gefrierfach und zog die Eiswürfelschale heraus. Die Würfel drückte sie in ein<br />
Glas und reichte es ihm. "Stecken Sie ihren Finger lieber hier hinein, das ist besser für<br />
Sie."<br />
Jan Givret lachte und nahm es dankbar entgegen. "Sie gefallen mir."<br />
Er senkte seinen Finger in das Glas und ließ die Eiswürfel klimpern. "Aber, um beim<br />
Thema zu bleiben, Schokolade plus Chili ist das beste Aphrodisiakum überhaupt", fuhr er<br />
fort. "Wenn ich mich mit meiner Frau streite, koche ich ihr zur Versöhnung eine Tasse<br />
Schokolade und gebe eine gute Prise Chili hinein. Das verfehlt niemals seine Wirkung und<br />
beschert uns jedes Mal eine schlaflose Nacht", erzählte er mit vergnügtem Gesicht und<br />
blickte in das Kameraobjektiv. "Tut mir leid, Christine, dass ich das hier so ausplaudere.<br />
Aber vielleicht können die Zuschauer auch von unserem Ehe-Frischhalterezept<br />
profitieren."<br />
"Dann sollten Sie unbedingt etwas von meiner Chilischokolade probieren", sagte Panama.<br />
"Die ist der Renner bei den Herren", fügte sie hinzu. "Jetzt weiß ich auch warum."<br />
Jan Givret griff nach einem Löffel. "Kann ich das Fondue jetzt endlich probieren?", fragte<br />
er. "Der Duft lässt mir schon das Wasser im Mund zusammenlaufen."<br />
Panama nahm ihm den Löffel aus der Hand. "Den brauchen Sie nicht." Sie hielt ihm die<br />
Schale mit den Früchten und eine Dose mit Holzstäbchen hin. "Spießen Sie die Beeren<br />
auf und tunken Sie sie einfach hinein."<br />
Givret bewaffnete sich mit gleich zwei Stäbchen, spießte eine Himbeere und eine Kirsche<br />
auf und dippte sie in den Topf.<br />
"Erst pusten, bevor sie sie in den Mund stecken", ermahnte sie ihn kopfschüttelnd.<br />
Die Moderatorin nahm eine Kirsche und tauchte sie ebenfalls in die warme Masse. "Hm,<br />
lecker." Dann wandte sie sich Richtung Kamera und wiederholte noch einmal, dass die<br />
Zuschauer die Rezepte auf der Internetseite nachlesen könnten.<br />
Sie verabschiedete Panama und Jan Givret, wobei sie Panama bat, noch einmal die Platte<br />
mit den Pralinen hochzuhalten, damit die Kamera sie besser einfangen konnte.<br />
Nachdem Bernd Heyne zuletzt die Themen angekündigt hatte, mit denen es nach der<br />
Werbepause weiterging, erloschen die Lampen, und die Kameraleute streckten ihren<br />
Rücken.<br />
Panama schickte ein erleichtertes Seufzen in den Scheinwerferhimmel. Überstanden.<br />
Wahrscheinlich war bloß die Moderatorin jetzt sauer, dass das Gespräch so aus dem<br />
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Ruder gelaufen war. Ungeduldig wartete Panama, dass ihr der Tonassistent das Mikro<br />
abgesteckte, damit sie schleunigst verschwinden konnte.<br />
Tom stand glücklicherweise am anderen Ende des Studios und war in ein Gespräch mit<br />
einem großen Mann im dunklen Jackett vertieft. Plötzlich schauten beide zu ihr hinüber.<br />
Hastig wandte sie sich ab.<br />
Mit strahlendem Gesicht kam Lena Keller auf sie zu und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich weiß<br />
nicht, wie Sie das gemacht haben, aber es hat großartig funktioniert. Danke." Sie drückte<br />
Panamas Schulter und eilte dann wieder zurück ans Moderatorenpult zu ihrem Kollegen.<br />
In wenig mehr als einer Minute würde sie erneut auf Sendung sein.<br />
Der Aufnahmeleiter führte Panama und Givret aus dem Studio. Nachdem die Stahltür<br />
hinter ihnen geschlossen wurde, drehte Jan Givret sich zu ihr um. "Hatte lange schon nicht<br />
mehr so viel Spaß in diesen dämlichen Quatschshows", sagte er und steckte sich eine der<br />
Pralinen in den Mund, die er in seiner Hand aus dem Studio geschmuggelt hatte.<br />
"Ich dachte, Ihre Diebeskarriere sei beendet." Grinsend deutete Panama auf seine Hand.<br />
"Betrachten Sie es als Vorschuss", antwortete er. "Ihre Panama Delights würde ich<br />
jedenfalls gerne bestellen." Er zückte eine Visitenkarte. "Schicken Sie bitte zwei Pfund an<br />
diese Adresse. Und die Chilischokolade. Sie haben mich neugierig gemacht."<br />
Panama lächelte. "Das Paket mache ich heute noch fertig."<br />
"Meine Frau wird begeistert und Ihnen zu Dank verpflichtet sein." Jan Givret schüttelte ihre<br />
Hand und verschwand in seiner Garderobe.<br />
Panama kehrte zur Maske zurück und holte ihre Handtasche.<br />
Als sie wieder auf den Korridor trat, stürmte Bianca Kaiser auf sie zu.<br />
"Das war ein super Auftritt! Er hat geredet wie ein Wasserfall." Zum ersten Mal sah<br />
Panama ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie wunderte sich, wie viel attraktiver<br />
Bianca so plötzlich wirkte. Bisher hatte sie sich immer gefragt, wie Tom ausgerechnet an<br />
eine derart missmutige Frau geraten war.<br />
Sie zwang sich, zurückzulächeln. Es war schließlich nicht die Schuld der Redakteurin,<br />
dass Tom ein solch mieses Spiel getrieben hatte. Hastig verabschiedete sie sich.<br />
Während sie über den Korridor zum Ausgang eilte, winkte ihr der Aufnahmeleiter zu und<br />
verschwand mit drei in lilafarbene Sporttrikots gepackten Schönheiten Richtung Studio.<br />
Die Sendung würde mit einer Fitness-Präsentation weitergehen.<br />
Gerade als sie die Hand auf die rettende Türklinke zum Foyer legte, hörte sie hinter sich<br />
die Stimme, der sie so eilig aus dem Weg hatte gehen wollen.<br />
"Panama warte!"<br />
Am besten tat sie so, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie drückte die Klinke und stieß die Tür<br />
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auf.<br />
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"Warte", wiederholte Tom. Seine Stimme war direkt hinter ihr. Keine Chance also,<br />
vorzugeben, sie sei taub. Seufzend drehte sie sich um.<br />
Er blickte ihr direkt in die Augen. Keine Spur von Befangenheit. Der Typ war vielleicht<br />
abgebrüht. "Du hast Givret geknackt. Das war einfach unglaublich", sagte er.<br />
"Ich hätte lieber jemand anderen geknackt", erwiderte Panama und reckte ihr Kinn.<br />
Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, sein Blick wurde unsicher. "Hör mal.<br />
Wegen des Abends …"<br />
"Bitte verschone mich mit Ausreden", unterbrach sie ihn. "Ich weiß Bescheid." Sie würde<br />
sich keine dämlichen Erklärungen von ihm anhören, und schon gar nicht hier auf dem<br />
Firmenflur.<br />
"Worüber weißt du Bescheid?", fragte er.<br />
Sein Blick verriet nicht das leiseste Schuldempfinden. Was für ein Schauspieler, dachte<br />
sie. "Heb dir deine Spielchen für eine Dümmere auf. Lass mich in Ruhe und sprich mich<br />
nie wieder an!", fauchte sie, drehte sich um und stapfte wütend zum Ausgang.<br />
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15. KAPITEL<br />
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"Auf die Prominenten-Flüsterin." Li Mei hob das Cocktailglas und prostete Panama zu.<br />
Sie ließen sich an der Bar des "Ming's Garden" nieder und nahmen einen großen Schluck<br />
von ihren Drinks. Li Mei hatte es sich nicht nehmen lassen, eigenhändig zwei extragroße<br />
Pink Elephants zu mixen, um Panamas überstandenen Auftritt gebührend zu feiern.<br />
"Es ist unglaublich", sagte sie. "Als ich heute Nachmittag im Supermarkt war, haben sich<br />
Leute in der Schlange an der Kasse über Givrets Schokobeichte unterhalten. Die<br />
Kassiererin hatte lachend gemeint, sie habe die Anweisung bekommen, alle Kunden nach<br />
versteckten Tafelschokoladen abzutasten."<br />
"O Gott. Ich hab ihn am Anfang richtig angefahren", meinte Panama. "Er hat meine ganze<br />
Wut auf Tom abgekriegt. Nur hatte er sich schon vor der Sendung als dermaßen<br />
arroganter Chauvi präsentiert, da muss ich wohl einen Männerhassflash gekriegt haben."<br />
Sie nippte an ihrem Glas und schlug die Beine übereinander. "Aber in Wahrheit ist Givret<br />
gar kein übler Kerl. Er benimmt sich so unmöglich, weil er provozieren will, damit ihm<br />
endlich mal einer Kontra gibt und ihn als normalen Menschen behandelt."<br />
"Die Show war jedenfalls lustig. Ihr habt die Moderatorin kaum noch zu Wort kommen<br />
lassen", meinte Li Mei lachend.<br />
Nachdenklich rührte Panama mit dem Strohhalm in ihrem Glas. "Die haben sich die<br />
Kochnummer sicher ganz anders vorgestellt. Hinterher haben sie zwar gesagt, es sei gut<br />
gelaufen, aber wer weiß, was die wirklich davon halten."<br />
"Was sollen sie schon davon halten? Du warst großartig", entgegnete Li Mei. "Wenn sogar<br />
im Supermarkt davon geredet wird, kann es den Leuten vom Sender doch nur Recht sein."<br />
Die Klingel aus der Küche ertönte, und drei dampfende Platten erschienen in der<br />
Durchreiche. Li Mei stand auf und servierte sie einem jungen Paar mit Kind, das an einem<br />
Ecktisch saß.<br />
"Warst du denn gar nicht aufgeregt?", fragte sie, sobald sie wieder an die Bar<br />
zurückgekehrt war.<br />
"Komischerweise überhaupt nicht", meinte Panama. "Es waren keine Zuschauer im<br />
Studio, die Scheinwerfer beleuchten den Bereich, in dem du stehst. Selbst von dem Team<br />
bekommst du kaum etwas mit." Sie hielt kurz inne. Toms Anwesenheit war ihr natürlich<br />
nicht entgangen. "Es ist letztlich auch nicht anders, als wenn ich mich mit meinen Kunden<br />
unterhalte. Die benehmen sich in der Regel zwar netter als Givret am Anfang, aber ich<br />
kenne sie auch nicht und komme trotzdem mit ihnen ins Gespräch."<br />
Panama fragte sich im Stillen, was sie von den Reaktionen der Moderatorin und von<br />
Bianca halten sollte. Das Gespräch im Studio war anders gelaufen als geplant. Es würde<br />
sie nicht wundern, wenn sie einen Anruf bekäme, dass der Sender und Givret, der seine<br />
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öffentliche Beichte bereute, ihr mit einer Klage drohten. Allerdings hatte er die Geschichte<br />
freiwillig zum Besten gegeben, beruhigte sie sich.<br />
Sogar Tom hatte sie gelobt. Nur war das bestimmt nicht ehrlich gewesen. Wozu war er in<br />
der Maske aufgetaucht? Er hatte vor der Sendung wahrscheinlich bloß gute Stimmung<br />
machen wollen, um zu verhindern, dass sie vor seiner Freundin eine Szene machte. Seine<br />
Versuche, über den Abend in der Chocolaterie zu reden, waren einfach lächerlich. Glaubte<br />
er tatsächlich, sie würde ihm jetzt erzählen, dass alles nicht so schlimm sei und er sich<br />
keine Gedanken um sie machen solle?<br />
Panama nippte an ihrem Cocktail und streichelte gedankenverloren über ihren Schenkel.<br />
Es würde sich erst noch zeigen müssen, ob das Fu-Zeichen, dass sie dort unerreichbar für<br />
Toms Blicke aufgemalt hatte, ihr tatsächlich Glück gebracht hatte. Noch konnte sie sich da<br />
absolut nicht sicher sein.<br />
"Wie hat Tom reagiert?", fragte Li Mei.<br />
"Der hat so getan, als sei zwischen uns nichts vorgefallen", erzählte Panama und wischte<br />
mit der Serviette über den Fuß ihres Glases. "Er wollte mich sogar nach der Sendung<br />
treffen, um mit mir zu reden, doch ich habe ihn abserviert. Warum sollte ich mir blöde<br />
Erklärungsversuche von ihm anhören. Nur damit er sich besser fühlt?"<br />
"Gut gemacht, der soll ruhig …", Li Mei hielt inne und starrte über Panamas Schulter<br />
hinweg zur Tür. "Da kommt jemand, über dessen Besuch du dich nicht freuen wirst."<br />
Gerade hatte Panama ihr Glas an den Mund führen wollen und erstarrte nun mitten in der<br />
Bewegung. "Hatte ich ihm heute Morgen nicht deutlich genug erklärt, dass ich ihn nicht<br />
mehr sehen will?", sagte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch und<br />
bezähmte ihren Impuls, sich umzudrehen.<br />
Kaum merklich schüttelte Li Mei den Kopf. "Nicht der unerfreuliche Besuch, an den du<br />
denkst. Der hier ist noch schlimmer."<br />
"Rick!", entfuhr es Panama, und sie schnellte herum.<br />
"Hallo, Panama, dachte ich doch, dass ich dich hier finde." Ihr Ex kam mit breitbeinigen<br />
Schritten und durchgedrücktem Rückgrat auf sie zu. Li Mei bedachte er mit einem<br />
knappen Kopfnicken.<br />
"Was willst du?" Panama funkelte ihn böse an. Sie konnte es kaum fassen, wie fremd ihr<br />
der Mann geworden war, mit dem sie zwei lange Jahre ihres Lebens Herz und Bett geteilt<br />
und Zukunftspläne geschmiedet hatte.<br />
Seine Haut zeigte eine gesundheitsschädlich tiefe Bräune. Offensichtlich hatte er seinen<br />
Spanienurlaub dazu benutzt, von morgens bis abends in der Sonne zu braten. Als er dicht<br />
vor ihr stand, bemerkte sie, dass sich seine Nase bereits pellte.<br />
"Hast du den Aus-Knopf deiner Sonnenbank nicht mehr gefunden?", fragte Panama<br />
scheinheilig und fantasierte, dass ihm noch an viel empfindlicherer Stelle die Haut in<br />
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Fetzen hing.<br />
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"Ich war im Urlaub", sagte er und fuhr sich durchs schulterlange dunkle Haar, das sie<br />
früher einmal attraktiv gefunden hatte.<br />
Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und wünschte, sie könnte mit ihrem Blick ein Loch<br />
in seine Aufgeblasenheit pieksen und diese wie einen Ballon zum Platzen bringen.<br />
"Du bist heute in der Guten Morgen Show aufgetreten", brach er das Schweigen.<br />
"Mein Kurzzeitgedächtnis funktioniert tadellos", erwiderte sie. "Es ist überflüssig, dass du<br />
hier auftauchst, um mir zu sagen, was ich heute Morgen gemacht habe."<br />
"Ich finde, wir sollten uns mal wieder sehen", antwortete er und trat einen Schritt näher.<br />
"Ganz bestimmt nicht!", fuhr sie ihn an. Glaubte er etwa, sie sei so verzweifelt auf der<br />
Suche nach einem Kerl, dass sie ihn zurücknehmen würde?<br />
"Mir ist klar geworden, dass ich damals einen großen Fehler gemacht habe", sagte er.<br />
Er hielt den Kopf leicht geneigt, doch die scheinheilige Büßergeste konnte Panama nicht<br />
täuschen.<br />
"Du vielleicht – ich ganz sicher nicht. Und jetzt verschwinde endlich!", sagte sie und<br />
wandte sich ab.<br />
"Panama!" Er versuchte ihren Arm zu greifen, doch sie zog ihn blitzschnell zur Seite.<br />
"Wenn du deine Finger nicht bei dir behältst, landet der Pink Elephant mitten in deinem<br />
Gesicht", zischte sie und hob drohend das Glas.<br />
Er presste die Lippen aufeinander. Panama konnte buchstäblich mitverfolgen, wie sich<br />
einander widersprechende Gedanken den Weg durch seine Gehirnwindungen bahnten.<br />
Ein Knöllchen für Geschwindigkeitsübertretung würden sie sich nicht einfangen.<br />
"Irgendwann wird dir das noch leidtun", brachte er schließlich heraus.<br />
"Wenn du mich nicht sofort in Frieden lässt, wird es dir noch leidtun", sagte Panama und<br />
zog den Strohhalm aus ihrem Glas.<br />
Er blickte zu Li Mei hinüber, dann wieder zu ihr. Fluchend drehte er sich um und stolzierte<br />
aus dem Lokal.<br />
"Seine Neue hat im Urlaub mit ihm Schluss gemacht, habe ich eben von Rita gehört",<br />
sagte Li Mei.<br />
"Scheint ein kluges Mädchen zu sein", erwiderte Panama und stieß ihren Strohhalm wie<br />
einen Dolch zurück in ihr Glas. Klüger als sie selbst zumindest.<br />
Eigentlich gut, dass er hier aufgekreuzt ist, dachte sie und wunderte sich, dass längst<br />
eingetreten war, was ihr immer undenkbar schien. Selbst wenn sie es bis jetzt nicht für<br />
möglich gehalten hatte, Rick nach all den Monaten wieder gegenüberzustehen, hatte ihr<br />
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sein Auftritt eben klargemacht, dass sie endgültig über ihn hinweg war. Wut und Trauer<br />
waren verflogen, sie war lediglich noch genervt – und verwundert bei dem Gedanken,<br />
dass ihr dieser Mann einmal so viel bedeutet hatte.<br />
Sie seufzte. Leider war sie dumm genug gewesen, blind in die nächste Enttäuschung zu<br />
rennen. Sie fragte sich, ob Tom den Abend mit Bianca verbrachte.<br />
Wieso geisterte er ständig durch ihre Gedanken? Sie schüttelte den Kopf in dem<br />
vergeblichen Versuch, sie abzuschütteln.<br />
"Was ist?" Li Mei schaute sie fragend an.<br />
"Nicht wichtig. Ich konnte es mir gerade nur nicht verkneifen, an den anderen Betrüger zu<br />
denken." Mit dem Finger zog sie eine Linie durch das Tröpfchenmuster, das an der<br />
Außenseite ihres Glases hing.<br />
"Es wird eine Weile dauern", meinte Li Mei. "Aber bald wirst du ihn vergessen haben."<br />
Panama leerte das Glas und stellte es auf die Theke. "Jetzt ist die Sendung zum Glück<br />
vorbei, und ich muss ihn nicht mehr sehen."<br />
Li Mei nickte. "Die Welt ist voll von Männern, du wirst den Richtigen finden."<br />
Panama erinnerte sich, dass Li Mei sie mit dem gleichen Spruch bereits nach der<br />
Trennung von Rick getröstet hatte. Sie seufzte. "Schließlich gibt es noch anderes im<br />
Leben." Zum Beispiel den Ehrgeiz, sich selbst zu belügen?<br />
"Ich glaube, der da hinten am Tisch findet dich attraktiv", flüsterte Li Mei. "Er starrt dich die<br />
ganze Zeit an."<br />
Verstohlen drehte Panama sich um und folgte Li Meis Blick. Tatsächlich, ein gut<br />
aussehender Mann mit kantigen Gesichtszügen lächelte ihr zu. Ihr Blick wanderte hinüber<br />
zu seiner Begleitung. "Hm, komisch. Die Frau, die bei ihm sitzt, starrt mich aber auch an."<br />
Ob etwas mit ihrem Aussehen nicht in Ordnung war? "Ist mein Lippenstift verschmiert,<br />
oder habe ich eine Vogelspinne auf den Haaren sitzen?", fragte sie Li Mei.<br />
"Nein." Li Mei lachte glucksend. "Du siehst blendend aus, wahrscheinlich starren die<br />
beiden deshalb so."<br />
Panama zuckte die Achseln.<br />
"Entschuldigen Sie", eine Frau mit perfekt geföhnter Außenwelle trat auf sie zu. "Sind Sie<br />
nicht die junge Dame, die heute im Morgenmagazin mit Jan Givret aufgetreten ist?", fragte<br />
sie.<br />
Panama schaute sie überrascht an. "Ja, das stimmt."<br />
"Ich bin echt sauer auf Sie", sagte die Frau.<br />
Panama schluckte. Oh Gott, jetzt würden sich wahrscheinlich alle Jan-Givret-Fans dieser<br />
Welt mit Flüchen und Fäusten auf sie stürzen.<br />
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"Sie sind schuld, dass ich heute Morgen zu spät zur Arbeit gekommen bin", fuhr die Frau<br />
fort. "Ihr Gespräch mit ihm war so faszinierend, dass ich komplett die Uhr vergessen und<br />
meinen Bus verpasst habe." Sie lächelte und hielt ihr ein Notizbuch hin. "Würden Sie mir<br />
bitte ein Autogramm geben?"<br />
"Ein Autogramm?" Ungläubig blickte Panama sie an. "Von mir? Ich bin doch gar nicht<br />
bekannt."<br />
"Seit heute Morgen schon", sagte ein junger Typ mit langen Haaren und gesellte sich zu<br />
ihnen.<br />
"Genau", ergänzte eine sportliche Blonde in Caprihosen. "Der Ausschnitt mit Ihnen beiden<br />
wurde im Mittagsmagazin und in den Boulevard-News wiederholt. Sogar im Radio wurde<br />
darüber gesprochen."<br />
Wie aufs Stichwort öffnete Li Meis Vater die Küchentür und deutete auf den Fernseher,<br />
der im Hintergrund flimmerte. "Panama, ihr seid sogar bei Promis heute", rief er.<br />
Die Umstehenden reckten die Hälse.<br />
Zu Panamas Entsetzen füllte ihr eigenes Gesicht den Bildschirm. Dann war sie mit Jan<br />
Givret zusammen im Bild. Sie zeigte ihm gerade, wie er den Schneebesen bewegen sollte.<br />
Laut tönte ihre Stimme durch das Restaurant, während sie ihn aufforderte, den Quirl als<br />
Fitnessgerät zu betrachten.<br />
"Panama, du bist berühmt", rief Li Mei vergnügt.<br />
"Quatsch, ich habe doch nur ein paar Rezepte vorgeführt", entgegnete sie und fragte sich,<br />
wieso alle einen solchen Wind um eine blöde Kocheinlage machten.<br />
"Und Ihr Rezept, wie knacke ich ein Prominenten-Ekel, hat hervorragend funktioniert", warf<br />
der Langhaarige ein.<br />
Alle lachten.<br />
Als noch mehr Leute nach Autogrammen fragten, entschuldigte sich Panama hastig und<br />
verließ das Lokal.<br />
Auf was hatte sie sich da nur eingelassen? Das war nicht auszuhalten! Sie hatte gedacht,<br />
mit einem unschuldigen Auftritt sei die Sache abgehakt. Jetzt wurde ihre Pampigkeit, die<br />
hauptsächlich durch ihre Wut auf Tom verursacht worden war, auf allen Kanälen rauf und<br />
runter gedudelt. Wahrscheinlich hatte Tom einen Wahnsinnsspaß an ihrer Blamage und<br />
vergnügte sich gerade irgendwo mit seiner Liebsten.<br />
Sie ärgerte sich, weil dieser Gedanke ihr einen Stich versetzte. Es war nicht vorbei. Leider<br />
hatte es gerade erst angefangen, wehzutun. Verdammt. Sie würde sich mächtig<br />
anstrengen müssen, Tom aus ihrem Kopf hinauszujagen. Würde es wieder Monate<br />
dauern, in denen sie stumpfsinnig Lebenszeit verschwendete?<br />
Ein Extremsportabenteuer mit Li Mei wäre eine gerechte Strafe für sie. River-Boogie hatte<br />
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jedenfalls im Vergleich zu den Herzmuskelausrenkungen, die ihr die Männer aufnötigten,<br />
jeglichen Schrecken verloren.<br />
Ob sich Tom durch Fallschirmspringen aus ihrem Hirn blasen ließe? Gute Idee! Gleich<br />
morgen würde sie sich nach einer Sprungschule umsehen.<br />
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