Entstehung und Bedeutung des Harmel ... - Institut für Zeitgeschichte
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218 Helga Haftendorn<br />
Truppenreduzierungen auf, zu denen Abrüstungs- <strong>und</strong> militärische Experten hinzugezogen<br />
wurden. Aus sehr unterschiedlichen Gründen trat sowohl die belgische als auch<br />
die amerikanische Regierung da<strong>für</strong> ein, <strong>für</strong> die nächste Ministertagung <strong>des</strong> NATO-<br />
Rates im Juni eine Empfehlung auf dem Gebiet der Abrüstung vorzubereiten. Die<br />
USA schlugen vor, eine Resolution zu erarbeiten, in der die bisher erzielten Fortschritte<br />
in der Frage ausgewogener Truppenreduzierungen sowie die Bereitschaft der<br />
NATO, exploratorische Gespräche mit dem Osten vorzuschlagen, zum Ausdruck<br />
kommen sollten.<br />
Das Ergebnis dieser Arbeiten war der „Appell von Reykjavik" vom Juni 1968, in<br />
dem die Allianz dem Warschauer Pakt Verhandlungen über beiderseitige Truppenreduzierungen<br />
anbot 93 . Die NATO reagierte damit sowohl auf die wachsende Tendenz<br />
im Bündnis zu einseitigen Truppenreduzierungen, als sie auch denjenigen Mitgliedern<br />
entgegenkam, welche die östliche Verhandlungsbereitschaft auf die Probe stellen bzw.<br />
der vom Warschauer Pakt vorgeschlagenen europäischen Sicherheitskonferenz ein eigenes<br />
Verhandlungskonzept entgegenstellen wollten. Da keineswegs sichergestellt<br />
war, daß der Osten auf diesen Vorschlag eingehen würde, erhielten zugleich jene Partner<br />
einen Aufschub, die zum damaligen Zeitpunkt multilateralen Verhandlungen kritisch<br />
gegenüberstanden.<br />
Die Invasion der Truppen <strong>des</strong> Warschauer Paktes im August 1968 in der Tschechoslowakei<br />
fiel wie Rauhreif auf die von zahlreichen westlichen Politikern gehegten Blütenträume<br />
einer fortschreitenden Ost-West-Détente. Zugleich bewahrte sie die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
davor, bei einer Diskussion über europäische Sicherheit <strong>und</strong> deutsche<br />
Frage in die Gefahr einer Isolierung zu geraten, wie sie auch das Bündnis vor den zentrifugalen<br />
Tendenzen schützte, die sich aus einer ungebremsten Dynamik bilateraler<br />
Ost-West-Kontakte ergeben konnten. Außerdem wurde die Richtigkeit der im <strong>Harmel</strong>-Bericht<br />
vorgenommenen Funktionsbestimmung der Allianz bestätigt, daß das<br />
Bündnis sowohl zur Abschreckung <strong>und</strong> Verteidigung bereit sein müsse, wie es auch in<br />
seinem Bemühen um Überwindung der Spaltung Europas nicht nachlassen dürfe.<br />
10. <strong>Harmel</strong>-Bericht <strong>und</strong> NATO-Krise<br />
In zweifacher Weise stellte sich die Frage, ob der <strong>Harmel</strong>-Bericht zur Überwindung<br />
der 1966 innerhalb <strong>des</strong> Bündnisses so stark empf<strong>und</strong>enen Malaise beitragen konnte<br />
<strong>und</strong> ob er das einstweilige Scheitern der Entspannungspolitik mit der Niederschlagung<br />
<strong>des</strong> „Prager Frühlings" durch die Truppen <strong>des</strong> Warschauer Paktes im August 1968<br />
überdauern würde.<br />
Zunächst spricht viel da<strong>für</strong>, daß im Herbst 1966, als Außenminister <strong>Harmel</strong> den Vor-<br />
93 Vgl. Kommunique der Tagung <strong>des</strong> NATO-Ministerrates vom 24. <strong>und</strong> 25. Juni 1968 in Reykjavik<br />
sowie Erklärung der Außenminister <strong>und</strong> Vertreter der am NATO-Verteidigungsprogramm beteiligten<br />
Länder über beiderseitige <strong>und</strong> ausgewogene Truppenverminderungen, in: Europa-Archiv,<br />
Folge 15/1968, S. 357-360.