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Universität Hamburg - Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst ...

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<strong>Universität</strong> <strong>Hamburg</strong><br />

Fakultät <strong>für</strong> Geisteswissenschaften<br />

Fachbereich Evangelische Theologie<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Praktische Theologie<br />

Bachelorarbeit<br />

zur Erlangung des akademischen Grades<br />

„Bachelor of Arts“<br />

im Fach Evangelische Religion<br />

Das Konzept der Heterotopie bei Michel Foucault <strong>und</strong> seine Bedeutung <strong>für</strong> die<br />

praktisch-theologische Diskussion um Kirchenräume am Beispiel der<br />

Kommunität Taizé<br />

von<br />

Lena Steinmann<br />

1. Gutachterin: Juniorprof. Dr. Ilona Nord<br />

2. Gutachter: Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann<br />

E-mail: Lena.Steinmann@studium.unihamburg.de<br />

Abgabetermin: 18.08.2011


Inhalt<br />

1. EINLEITUNG ........................................................................................................................ 4<br />

2. FOUCAULTS HETEROTOPIE IM KULTURWISSENSCHAFTLICHEN KONTEXT .... 5<br />

2.1 EINE WÜRDIGUNG FOUCAULTS ......................................................................................... 5<br />

2.2 DAS KONZEPT DER HETEROTOPIE ..................................................................................... 8<br />

2.3 EXEMPLARISCHE REZEPTION IN DEN KULTURWISSENSCHAFTEN ..................................... 11<br />

3. DIE REZEPTION DES HETEROTOPIE-KONZEPTS IN DER THEOLOGIE ................ 14<br />

3.1 RAUM UND KÖRPER BEI WOLF-ECKART FAILING ............................................................ 15<br />

3.2 GLAUBE UND RÄUME BEI ANDREAS MERTIN .................................................................. 17<br />

3.3 KIRCHENRAUM IM RAUM BEI TOBIAS WOYDACK ............................................................ 18<br />

3.4 KIRCHE ALS ZEICHEN IN DER STADT BEI PETRA BAHR ................................................... 20<br />

3.5 KIRCHE ALS KIRCHE IN DER STADT BEI PATRICK FRIES .................................................. 22<br />

3.6 KOMPLEMENTÄRRÄUME BEI ECKHARD FRICK ................................................................. 24<br />

3.7 DER GEDANKE DER HETEROTOPIE IN DER REFLEXION VON KIRCHENRÄUMEN ............... 26<br />

4. SYSTEMATISCHE BETRACHTUNG DER KOMMUNITÄT TAIZÉ ............................ 32<br />

4.1 TAIZÉ – EINE ERSTE ANNÄHERUNG ................................................................................. 32<br />

4.2 TAIZÉ – HETEROTOPOLOGISCH BETRACHTET .................................................................. 34<br />

4.2.1 Taizé – ein realer Ort .............................................................................................. 35<br />

4.2.2 Taizé – Homotopie <strong>und</strong> Heterotopie ....................................................................... 36<br />

4.2.3 Gründungsursachen <strong>und</strong> erste Entwicklungen ........................................................ 37<br />

4.2.4 Die alte Dorfkirche wird zur Abweichungsheterotopie – erstes Merkmal ............. 38<br />

4.2.5 Die Wandlung der Funktion der Heterotopie – zweites Merkmal .......................... 40<br />

4.2.6 Der Gottesdienstraum: Räume im Raum – drittes Merkmal ................................... 42<br />

4.2.7 Heterotopie <strong>und</strong> Heterochronie – viertes Merkmal ................................................ 46<br />

4.2.8 Öffnung <strong>und</strong> Schließung – fünftes Merkmal ............................................................ 47<br />

4.2.9 Die eigentliche Funktion im Gegenüber – Die Bedeutung von Taizé ..................... 48<br />

4.3 TAIZÉ – KRITISCH GESTREIFT ........................................................................................... 50<br />

4.4 TAIZÉ - VERNETZT ........................................................................................................... 52<br />

4.4.1 Taizégebet in einer Citykirche ................................................................................. 53<br />

4.4.2 Die Franternitäten in der Welt ................................................................................ 54<br />

4.4.3 Der Pilgerweg <strong>und</strong> sein Hafen ................................................................................ 54<br />

II


4.4.4 Die Wirkung eines Zeichens ................................................................................... 55<br />

4.4.5 Was Taizé geben kann ............................................................................................. 56<br />

4.4.6 Die mediale Präsenz ................................................................................................ 57<br />

5. FAZIT ................................................................................................................................... 58<br />

LITERATUR ............................................................................................................................ 66<br />

ANHANG ................................................................................................................................. 73<br />

RELEVANTE AUSZÜGE DER VERWENDETEN INTERNETQUELLEN............................................ 73<br />

ERKLÄRUNG ÜBER DIE AUSLEIHE DER ARBEIT IN DEN BIBLIOTHEKSBESTAND ...................... 76<br />

EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG.......................................................................................... 77<br />

III


1. Einleitung<br />

„Für den Verzehr in Kirchen, Opern <strong>und</strong> Bibliotheken leider zu knusprig.“<br />

Ritter Sport Keks + Nuss. Mit Kekskugeln <strong>und</strong> knackigen Haselnuss-Stückchen.<br />

Mit diesem Spruch wirbt Ritter Sport aktuell auf deutschen Bahnhöfen <strong>für</strong> eine neue Sorte, im<br />

250g-Großformat. Was steckt dahinter, mit welcher Assoziation sollen potentielle<br />

Genießerinnen <strong>und</strong> Genießer von der „Knusprigkeit“ überzeugt werden? Die drei benannten<br />

Orte sind irgendwie anders, als andere. Es sind Orte an denen „Knuspriges“, also<br />

Geräuschvolles keinen Platz hat, denn es sind – so die Konnotation – Orte der Stille.<br />

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit solch gegensätzlichen Orten im öffentlichen<br />

Raum, in denen eigene Ordnungen gelten <strong>und</strong> in denen man sich der öffentlichen<br />

Wahrnehmung nach anders zu verhalten hat als dort, wo man, um an das Eingangszitat<br />

anzuknüpfen, ohne gesellschaftlich aus der Rolle zu fallen, Schokolade „knuspern“ kann.<br />

Michel Foucault skizzierte 1967 ein Konzept mit dem sich diese anderen Orte, die sich<br />

dennoch inmitten der Gesellschaft befinden <strong>und</strong> die er als heterotopisch bezeichnete,<br />

beschreiben lassen. Er zählte Bibliotheken dazu <strong>und</strong> auch die Opern lassen sich den von ihm<br />

benannten Theatern zuordnen, aber Kirchen führt er darin nicht explizit auf.<br />

Im Zuge der neuen Beachtung, die dem Raum seit den 1980er Jahren in den<br />

Kulturwissenschaften entgegengebracht wird, erfolgt eine vielfältige Rezeption. Seit Mitte der<br />

1990er Jahre findet das Konzept auch zunehmend Aufnahme in die Zusammenhänge<br />

Praktischer Theologie <strong>und</strong> die Diskussion um Kirchen <strong>und</strong> ihre Räume.<br />

In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob sich die Kommunität von Taizé im Sinne<br />

Foucaults als Heterotopie bestimmen lässt. Um dieser Frage nachgehen zu können muss<br />

zuerst geklärt werden, wie Foucault Heterotopien bestimmt <strong>und</strong> wie er sie beschrieben hat.<br />

Zudem gilt es den Wert <strong>und</strong> die Leistung des Konzepts in der Betrachtung von Kirchen <strong>und</strong><br />

religiösen Räumen in der Praktischen Theologie eingehend zu beleuchten um festzustellen<br />

inwiefern diese – von ihm unbenannt – als Foucaultsche Heterotopien bestimmt werden<br />

können.<br />

Im zweiten Kapitel werde ich den Versuch einer knappen, aber achtungsvollen Würdigung<br />

Michel Foucaults unternehmen <strong>und</strong> den Begriff der Heterotopie in sein Werk einordnen.<br />

Danach stelle ich das Konzept der Heterotopie vor, wie Foucault es mündlich <strong>und</strong> schriftlich<br />

hinterlassen hat. Zudem finden sich in diesem Kapitel zwei Rezeptionen des Konzepts in den<br />

Kulturwissenschaften, zum einen betrachte ich knapp die Aufnahme von Foucaults<br />

Raumbegriff in die Überlegungen Martina Löws zu einem soziologischen Raumbegriff <strong>und</strong><br />

4


zum anderen stelle ich eine Anwendung des Konzepts in der Auseinandersetzung mit dem<br />

Roman „Der fliegende Berg“ von Christoph Ransmayr vor. Das dritte Kapitel widmet sich<br />

umfassend der Rezeption des Heterotopie-Konzepts in der Praktischen Theologie, bleibt dabei<br />

aber auf den Kontext von Kirchen <strong>und</strong> religiösen Räumen beschränkt. Der Machtaspekt, der<br />

bei Foucault insgesamt große Relevanz besitzt, ist <strong>für</strong> die Betrachtung dieser Arbeit nicht<br />

primär wichtig <strong>und</strong> bleibt deshalb weitestgehend unbeachtet. Es werden insgesamt sechs<br />

Beiträge, von einer Theologin <strong>und</strong> fünf Theologen, chronologisch vorgestellt, wobei sich zwei<br />

davon auf den Kontext Kirche <strong>und</strong> Stadt beziehen, jedoch mit unterschiedlichen<br />

Schwerpunkten. Dieses Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung, die die Bedeutung des<br />

Heterotopie-Gedankens in der Praktischen Theologie hervorheben soll. Im vierten Kapitel<br />

befasse ich mich mit der Kommunität von Taizé, ihrer Entwicklung <strong>und</strong> Präsenz in der Welt.<br />

Das von Foucault vorgestellte Konzept wird als Schablone verwendet um die Kommunität<br />

von Taizé systematisch zu beschreiben – wobei aufgr<strong>und</strong> der Kürze dieser Arbeit kein<br />

Anspruch auf vollständige <strong>und</strong> umfassende Betrachtung besteht – um damit die<br />

Untersuchungsfrage der Arbeit beantworten zu können. Diese Antwort wird in einem<br />

abschließenden Fazit ausführlich dargelegt <strong>und</strong> es folgt der Versuch den Aspekt der<br />

Vorläufigkeit <strong>und</strong> die gewisse Portabilität Taizés exemplarisch in Beziehung zum<br />

studentischen <strong>Kirchenbau</strong>projekt „Mobile Kirchen“ 1 zu setzen, das beim Kirchentag im Jahr<br />

2009 in Bremen vorgestellt wurde <strong>und</strong> eine „Architektur des Vorläufigen“ anstoßen will.<br />

2. Foucaults Heterotopie im kulturwissenschaftlichen Kontext<br />

2.1 Eine Würdigung Foucaults<br />

Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers geboren <strong>und</strong> starb am 25. Juni<br />

1984 in Paris. Da Foucault selbst die biographische Annäherung an ein Werk <strong>und</strong> dessen<br />

Autor als nicht angemessen empfand, 2 werde ich versuchen, exemplarisch <strong>und</strong> unter den<br />

gegebenen Bedingungen dieser Arbeit stark verkürzt, mich auf andere Weise anzunähern.<br />

Der mit Foucault befre<strong>und</strong>ete Dominikaner Michel Albaric feierte <strong>für</strong> ihn, auf ausdrücklichen<br />

Wunsch der Familie am 29. Juni 1984, eine römisch-katholische Totenliturgie. 3 Albaric<br />

1 Erne, Thomas (Hg.). Mobile Kirchen. Marburg 2010.<br />

2 Vgl.: Schieder, Rolf. Michel Foucault: Religion als Transgressionsdiskurs. In: Drehsen, Volker/ Gräb,<br />

Wilhelm/ Weyel, Birgit (Hg.). Kompendium Religionstheorie. Göttingen 2005, S. 217.<br />

3 Vgl.: Albaric, Michel. Accompagner Foucault en terre chrétienne. Dokumentation einer ungewöhnlichen<br />

Totenliturgie. In: Bauer, Christian/ Hölzl, Michael (Hg.). Gottes <strong>und</strong> des Menschen Tod? Die Theologie vor der<br />

Herausforderung Michel Foucaults. Mainz 2003, S. 219.<br />

5


nimmt dabei den Abschluss von der „Ordnung der Dinge“ auf, in dem es heißt: „Wenn das<br />

Denken über den Menschen beginnt zu verschwinden, kann man Wetten darauf abschließen,<br />

dass der Mensch verschwindet, wie am Meeresstrand ein Gesicht im Sand.“ 4 Foucault, so<br />

Albaric, bleibt <strong>für</strong> die Menschen ein Gesicht unserer Epoche, sein Wort hat die Geister<br />

geöffnet <strong>und</strong> wird dies auch in Zukunft tun, demzufolge sei das Fortdauern seines Denkens<br />

sicher. Albaric bettet „Michels Gesicht“ im Fortgang der Liturgie in ausgewählte Verse der<br />

Bergpredigt ein:<br />

„ ‚Wenn du ein Almosen gibst...’ (Mt 6,2) Michels Gesicht ist das eines großherzigen Menschen, nicht<br />

nur als Professor, der den […] Schatz teilt, sondern auch der seine Zeit, seine Fre<strong>und</strong>schaft, sein Geld<br />

verschenkt ohne es hinauszuposaunen. Er hat sich von ganzem Herzen den Dingen verschrieben, die den<br />

Menschen in seiner Würde verpflichten.“ 5<br />

Foucault „wollte nicht ‚jemand sein’, sondern ‚ein anderer werden.’“ 6 Er bezeichnete seine<br />

Bücher als „kleine Werkzeugkisten“ 7 <strong>und</strong> sich selbst als ‚Archäologen’, ‚Genealogen’ oder<br />

‚Ethnologen’ der Kultur des Abendlandes. 8 Sarasin zeigt in seiner Einführung, dass gewisse<br />

Fragen das Werk strukturieren <strong>und</strong> Foucault sich den „die Moderne prägenden Macht-,<br />

Diskurs-, <strong>und</strong> Subjektverhältnissen“ wieder <strong>und</strong> wieder aus verschiedensten Blickwinkeln<br />

annähert, so dass er in seinen Schriften deutlich „ähnliche Fragen“ behandelt, was aber nicht<br />

zu einer eindeutigen Beantwortung derer führt. 9 Häufig wird eine chronologische Darstellung<br />

<strong>und</strong> Einordnung des Werkes in Phasen versucht um den „Foucault’schen<br />

Theoriebildungsprozess“ zu rekonstruieren, wobei immer im Blick behalten werden muss,<br />

dass alte „Werkzeuge im jeweils neuen Werkzeugkasten“ oft in anderer Weise benutzt <strong>und</strong><br />

gedeutet werden. 10 Foucault wollte sich theoretisch nicht festlegen lassen, sein Privatleben ist<br />

nicht greifbar <strong>und</strong> tritt immer wieder hinter seine schriftstellerische Produktion zurück, schon<br />

zu Lebzeiten war er eine „öffentliche Figur“ über die Grenzen Europas hinaus, wobei er selbst<br />

die alleinige Wirkung durch seine Schriften vorgezogen hätte. 11 Um in diesem Kontext noch<br />

einmal abschließend auf die Liturgie von Albaric zurückzukommen:<br />

„‚Urteilt nicht…’ (Mt 7, 1-2) Michels Gesicht ist das eines Menschen bei dem ein Urteil keine<br />

Verurteilung war, auch keine Vernichtung, sondern eine Provokation zur Öffnung <strong>und</strong> zur Überwindung<br />

seiner selbst.“ 12<br />

4<br />

Vgl.: ebenda. S. 222.<br />

5<br />

Vgl.: ebenda. S. 223. Zitate, die länger als eine Zeile sind werden im weiteren Verlauf kursiv, in Schriftgröße<br />

10 <strong>und</strong> in einfachem Zeilenabstand gesetzt.<br />

6<br />

Vgl.: Kammler, Clemens/ Parr, Rolf/ Schneider, Ulrich Johannes (Hg.). Foucault Handbuch. Leben – Werk –<br />

Wirkung. Stuttgart 2008, S. 1.<br />

7<br />

Vgl.: ebenda. S. 9.<br />

8<br />

Vgl.: Sarasin, Philipp. Michel Foucault zur Einführung. <strong>Hamburg</strong> 2005, S. 9.<br />

9<br />

Vgl.: Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 10.<br />

10<br />

Vgl.: ebenda. S. 11.<br />

11<br />

Vgl.: ebenda. S. 1; 7; 9.<br />

12<br />

Albaric. Accompagner Foucault en terre chrétienne. S.223.<br />

6


Er wollte am liebsten nur durch seine Texte wirken, um frei sein zu können im Schreiben. 13<br />

"Da du nicht weißt, wer ich bin, wirst du nicht in Versuchung kommen, nach den Gründen zu fragen,<br />

weshalb ich sage, was ich hier sage. Sage du dir einfach: das ist wahr, das ist falsch. Das gefällt mir, das<br />

gefällt mir nicht. Ein Punkt, mehr nicht.“ 14<br />

Der Heterotopie-Begriff findet sich bei Foucault nur 1966 direkt, im „Vorwort zur Ordnung<br />

der Dinge“ – wobei er dort dezidiert an die Sprache geb<strong>und</strong>en ist – <strong>und</strong> noch im selben Jahr in<br />

einem Radiovortrag, ‚Die Heterotopien’, dort bezieht er ihn ausdrücklich auf den Raum. 15<br />

Dieser Radiovortrag vom 7. Dezember 1966 war der Auslöser <strong>für</strong> Foucaults Begegnung mit<br />

der Architektur, was ihn, einem Brief nach zu urteilen, überraschte:<br />

„Erinnerst du dich noch an das Telegramm, über das wir so gelacht haben, von einem Architekten, der<br />

ein ganz neues Konzept des Städtebaus zu erkennen glaubte? […] in einem Radiovortrag über die Utopie.<br />

[…].“ 16<br />

Ionel Schein war wohl dieser Architekt <strong>und</strong> ein Mitglied des Cercle d’études<br />

architecturales der Foucault 1967 zu einem Vortrag vor Architekten, mit dem Titel „Von<br />

anderen Räumen“, einlud <strong>und</strong> so erheblich zur darauf folgenden internationalen Rezeption<br />

beitrug. 17 Infolge der Veröffentlichung von „Die Ordnung der Dinge“ 1966, die den<br />

französischen Originaltitel „Les mots et les choses“ trägt <strong>und</strong> sich als „systematische<br />

Beschreibung von Räumen rekonstruieren“ lässt, zeigt sich immer wieder, dass der Raum<br />

in Foucaults Werk ein zentrales Thema ist. 18 Foucault hat den Heterotopie-Begriff ebenso<br />

<strong>für</strong> die Bezeichnung von „Ordnung bzw. […] Un-Ordnung eines Wissens“ gebraucht wie<br />

<strong>für</strong> eine „räumliche Struktur, eine architektonische, eine topologische Anordnung“, das<br />

zeigt, dass ein Nebeneinander von Diskurs- <strong>und</strong> Raumstrukturen sein Denken in diesen<br />

<strong>und</strong> den folgenden Jahren prägte. 19 Indem er sein Konzept der Heterotopie mehrfach Ende<br />

der 1970er <strong>und</strong> Anfang der 1980er Jahre wieder aufgreift, beispielsweise „in einem<br />

Gespräch über Benthams Panopticon“, oder in einem in der „Architekturzeitschrift<br />

Skyline“, bezieht er sich zurück auf seine Besessenheit <strong>für</strong> den Raum, über die er zu den<br />

Themen kam, die <strong>für</strong> ihn gr<strong>und</strong>legend seien, „nämlich die möglichen Beziehungen<br />

zwischen Macht <strong>und</strong> Wissen.“ 20 Noch im Frühjahr 1984 stimmte Foucault der Publikation<br />

des Vortrags von 1967 „Von anderen Räumen“ zu, der der „Internationalen Bauausstellung<br />

13<br />

Vgl.: Kammler, Parr, Schneider. Foucault Handbuch. S. 1.<br />

14<br />

Foucault, Michel. Der maskierte Philosoph. In: Defert, Daniel/ Ewald, Francois/ Lagrange, Jacques (Hg.).<br />

Ästhetik der Existenz. Frankfurt am Main 2007, S. 52.<br />

15<br />

Vgl.: Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 263f.<br />

16<br />

Defert, Daniel. Raum zum Hören. In: Foucault, Michel. Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei<br />

Radiovorträge. Frankfurt am Main 2005, S. 73; 77. Brief an Defert vom 2. März 1967, verfasst in Sidi Bou Said.<br />

17<br />

Vgl.: ebenda. S. 70ff.<br />

18<br />

Vgl.: Simons, Oliver. Raumgeschichten. Topographien der Modernen Philosophie, Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Literatur. München 2007, S. 26f.<br />

19<br />

Vgl.: Sarasin. Michel Foucault. S. 96f.<br />

20<br />

Vgl.: Defert. Raum zum Hören. In: Foucault. Die Heterotopien. S. 86f.<br />

7


in Berlin“ im selben Jahr als Gr<strong>und</strong>lage diente, um über die „Wiedervereinigung der Stadt“<br />

zu diskutieren. 21<br />

2.2 Das Konzept der Heterotopie<br />

Foucault beginnt seinen Radiovortrag über die Heterotopien am 7. Dezember 1966 auf France<br />

Culture wie folgt: „Es gibt also Länder ohne Ort <strong>und</strong> Geschichten ohne Chronologie.“ 22 Diese<br />

Länder <strong>und</strong> Geschichten sind raum- <strong>und</strong> zeitlos, in dem Sinne, dass sie sich nicht einfach auf<br />

Landkarten oder in handelsüblichen Kalendern finden lassen. Trotzdem sind sie existent <strong>und</strong><br />

können einem „Zwischenraum“ oder einem „ortlosen Ort“ zugeordnet werden, welcher sich<br />

(zunächst) im Innen des Menschen befindet. Er bezeichnet jene als Utopien <strong>und</strong> differenziert<br />

sogleich, indem er sagt:<br />

„Dennoch glaube ich, dass es – in allen Gesellschaften – Utopien gibt, die einen genau bestimmbaren,<br />

realen […] Ort besitzen <strong>und</strong> auch eine genau bestimmbare Zeit.“ 23<br />

Er will auf den äußeren Raum als (Lebens-)Kontext hinaus, den er als „gegliederten, vielfach<br />

unterteilten Raum“ beschreibt, in dem sich unser gesamtes Leben abspielt <strong>und</strong> „nicht auf<br />

einem rechteckigen Blatt Papier.“ 24 Der Außenraum, in dem wir uns bewegen ist nicht<br />

homogen, sondern „seinerseits heterogen“, er besteht genauso aus öffentlich zugänglichen,<br />

aus geschlossenen Plätzen sowie aus Durchgangsbereichen; alle diese Orte ließen sich durch<br />

die Bestimmung ihrer jeweiligen „Relationsmenge“ definieren. 25 Foucault geht es in seinem<br />

Vortrag „Von anderen Räumen“ entschieden um den äußeren Raum, den er vom<br />

„phänomenologischen Raumbegriff“ abgegrenzt verstanden wissen will. 26 Sein besonderes<br />

Interesse gilt dabei den Orten, die zugleich auf ihre Umgebungsorte bezogen sind <strong>und</strong> ihnen<br />

widersprechen. Er bezeichnet sie als „Gegenräume“, als „reale Orte jenseits aller Orte“ <strong>und</strong><br />

nennt beispielsweise Gärten, Friedhöfe <strong>und</strong> Irrenanstalten. 27 Das alleinige<br />

Verbindungselement der Räume, die er aufzählt, ist ihre Verschiedenartigkeit an sich <strong>und</strong> in<br />

Bezug auf die sie umgebende Raumordnung. 28<br />

Im erwähnten Radiovortrag entfaltet er die Skizze einer Wissenschaft, die sich mit diesen<br />

Gegenräumen befasst. Diese bezeichnet er in Anlehnung an ihren von ihm festgelegten,<br />

21<br />

Vgl.: ebenda. S. 70; 89.<br />

22<br />

Vgl.: Foucault. Die Heterotopien. S. 9.<br />

23<br />

Vgl.: ebenda.<br />

24<br />

Vgl.: ebenda.<br />

25<br />

Vgl.: Foucault, Michel. Von anderen Räumen. In: Dünne, Jörg/ Günzel, Stefan (Hg.). Raumtheorie.<br />

Gr<strong>und</strong>lagentexte aus Philosophie <strong>und</strong> Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main 2006; S. 319f.<br />

26<br />

Vgl.: auch Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 265.<br />

27<br />

Vgl.: Foucault. Die Heterotopien. S. 11ff.<br />

28<br />

Vgl.: Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 265.<br />

8


Gegenstandsbereich als: „Heterotopologie“, denn diesen „vollkommen anderen Räumen“ –<br />

die er „Heterotopien“ nennt – ist sie vorbehalten. 29 Damit klammert er die Utopien aus <strong>und</strong><br />

möchte so nur noch wirklich ortlose Orte bezeichnet wissen.<br />

Der Heterotopie-Begriff ist keine Wortschöpfung Foucaults, sondern entstammt ursprünglich<br />

der Medizin, dort bezeichnet er die „Entstehung von Gewebe an einem falschen Ort […].“ 30<br />

Bevor ich die fünf Merkmale <strong>und</strong> die innerste Substanz 31 , anhand derer Foucault seine<br />

Heterotopologie skizziert, knapp nachzeichne, möchte ich darauf hinweisen, dass er bereits<br />

wenige Monate nach seinem Radiovortrag, nicht mehr von einer „Wissenschaft“, sondern von<br />

einer „systematischen Beschreibung“ spricht. Möglicherweise steht diese Verschiebung im<br />

Zusammenhang mit dem <strong>für</strong> Foucault überraschenden Anklang, den seine Ausführungen bei<br />

Architekten fanden, wie es der bereits erwähnte Brief an Defert andeutet.<br />

Zuerst postuliert Foucault, dass es sich bei Heterotopien um eine gesellschaftliche Konstante<br />

handelt. Jede Gesellschaft schüfe sie, jene seien aber an sich wandelbar <strong>und</strong> nicht universell.<br />

Er nennt zwei Formen, die Krisen- <strong>und</strong> Abweichungsheterotopien, wobei erstere seiner<br />

Meinung nach durch letztere weitestgehend abgelöst wurden. Die Krisenheterotopien<br />

zeichnen sich dadurch aus, dass sie Abweichendem Raum geben, dabei denkt Foucault an<br />

biologische Krisen, beispielsweise die Geburt, während Abweichungsheterotopien<br />

Abweichendes an einem Ort konzentrieren, um es wieder in die umliegende Ordnung zu<br />

integrieren, dazu führt er neben Psychiatrien interessanterweise auch Altenheime an, die auf<br />

der Grenze der beiden Ausprägungen liegen, denn dieses biologisch bedingte zunehmende<br />

Nichtstun gelte in unserer Gesellschaft als abweichendes Verhalten.<br />

Zweitens beschäftigt er sich mit der Veränderung der Funktion einer Heterotopie durch die<br />

jeweilige Gesellschaft in der Zeit. Der Friedhof habe einen solchen Bedeutungswandel<br />

erfahren <strong>und</strong> sich vom zentralen Ort in der Stadt, an ihren Rand verlagert, deshalb ist er nicht<br />

länger der „heilige <strong>und</strong> unsterbliche Geist der Stadt, sondern die ‚andere Stadt’ in der jede<br />

Familie ihre dunkle Bleibe besitzt.“<br />

Drittens beschreibt er die heterotopische Eigenschaft des Nebeneinanderstellens von<br />

üblicherweise unvereinbaren Räumen an einem Ort. Foucault nennt das Theater, das Kino <strong>und</strong><br />

hebt besonders den Garten hervor, als wohl älteste Heterotopie dieser Art, der die kleinste<br />

Parzelle der Welt <strong>und</strong> zugleich die ganze Welt sei.<br />

29 Foucault. Die Heterotopien. S. 11.<br />

30 Vgl.: Warning, Rainer. Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung. München 2009, S. 12.<br />

31 Foucault beschreibt sechs Gr<strong>und</strong>sätze. Ich möchte in dieser Arbeit von fünf Merkmalen <strong>und</strong> der innersten<br />

Substanz ausgehen, da die fünf ersten Gr<strong>und</strong>sätze meines Erachtens eher Ausprägungen der Heterotopien sind<br />

<strong>und</strong> der sechste Gr<strong>und</strong>satz die Wirkung beschreibt, die sie in ihrer Umgebung haben, das was sie ausmacht.<br />

Die folgenden Ausführungen zur Heterotopologie stammen aus: Foucault. Von anderen Räumen. S. 321-327.<br />

9


Viertens greift Foucault die Beziehung der Heterotopie zur „Heterochronie“ auf, denn<br />

heterotope Orte stehen in Wechselwirkung mit einer anderen Zeit. Einerseits stellt er<br />

„ewigkeitsorientierte“ heterotope Orte vor, wie die Bibliotheken <strong>und</strong> andererseits<br />

„zeitweilige“ Heterotopien wie Jahrmärkte.<br />

Fünftens betrachtet er das heterotopische Merkmal der Öffnung <strong>und</strong> Schließung. Denn das<br />

Betreten einer Heterotopie erfolgt nicht ohne Weiteres, man muss eine Schwelle überwinden,<br />

möglicherweise besteht ein Zwang, im Falle des Gefängnisses oder es ist die Ausführung<br />

eines Eingangsrituals nötig.<br />

Abschließend beschreibt er die innerste Substanz der Heterotopien, wenn er konstatiert, dass<br />

sie alle die sie umgebenden Räume auf verschiedene Weisen hinterfragen. Entweder<br />

erschaffen sie einen illusorischen Raum, der die Wirklichkeit selbst als Illusion aufdeckt, oder<br />

sie konstruieren gegensätzlich einen vollkommen geordneten Realraum, der das umliegende<br />

Chaos kompensiert. Foucault beschreibt beispielhaft den illusorischen Versuch der Jesuiten in<br />

Paraguay, Kolonien zu verwirklichen, in denen sie ein bis ins Detail geplantes Leben lebten.<br />

Die Heterotopien können nicht losgelöst von ihrem Umraum gedacht werden, beide sind<br />

aufeinander bezogen. Vielleicht kann man sich die heterotopen Orte als Bodenwellen<br />

verdeutlichen, die immer mal wieder den ebeneren Untergr<strong>und</strong> unterbrechen, die alltägliche<br />

Ordnung, die Architektur inbegriffen <strong>und</strong> auf diese Art Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Tempowechsel<br />

im Alltag provozieren. Um sie beschreiben zu können muss der dreidimensionale Raum<br />

gedanklich überw<strong>und</strong>en – nicht ausgelöscht – werden, komplementär tritt eine relationale<br />

Raumvorstellung hinzu. 32<br />

Foucault interessierte sich in den 1960er Jahren besonders <strong>für</strong> Schwellen- <strong>und</strong><br />

Übergangsräume, die den substanzhaften Charakter, der sich in ihnen zeigenden Dinge als<br />

real präsent oder nicht hinterfragen, er bezeichnet sie als „Simulakra“. 33 Diese „ontologischen<br />

Reflexionen“ müsste eine umfassende Bestimmung des Begriffs Heterotopie beachten. 34<br />

Seine Überlegungen aus dieser Zeit haben ihren Ursprung in der Beschäftigung mit dem<br />

„Zusammenhang von Sprache <strong>und</strong> Raum“, wobei auch in der „Sprache der Literatur“ der<br />

Raum die bestimmende Rolle übernimmt, die vorher die Zeit innehatte. 35 Foucault benutzt<br />

den Spiegel <strong>und</strong> den Park als zwei provisorische Figuren, um den Raum, um den es geht,<br />

32 Vgl.: Simons. Raumgeschichten. S. 26; 43.<br />

33 Vgl.: Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 265.<br />

34 Vgl.: ebenda.<br />

35 Vgl.: ebenda. S. 264.<br />

10


näher zu bestimmen. Beide werden von ihm als Heterotopien beschrieben. 36 Der Spiegel, „der<br />

den Dingen einen verpflanzten Raum außerhalb“ ihrer selbst verleiht <strong>und</strong> der Park, der eine<br />

Komposition aus Orten ist, die je einer anderen Landschaft entspringen <strong>und</strong> <strong>für</strong> sich natürlich,<br />

aber in ihrer Zusammenstellung künstlich sind. 37 Den Raum, der sich weder als „Widerschein<br />

oder Traum“ noch als „Nachahmung oder Träumerei“ bestimmen lässt, bezeichnet Foucault<br />

mit dem von Klossowski geliehen Wort „Simulacrum“. 38 Ein Zeichen einer verborgenen<br />

Realität. 39 Das Konzept ist ein recht offenes Konstrukt <strong>und</strong> lässt dadurch eine große<br />

rezeptionelle Spannbreite zu.<br />

2.3 Exemplarische Rezeption in den Kulturwissenschaften<br />

Im Folgenden stelle ich beispielhaft zwei Rezeptionen des foucaultschen Raummodells,<br />

beziehungsweise der Heterotopie, stellvertretend <strong>für</strong> eine mittlerweile recht vielfältige<br />

Reflexion <strong>und</strong> Rezeption des Begriffs in verschiedenen Wissenschaften, vor. 40 Sein Vortrag<br />

von 1967 fand, wie bereits erwähnt, 1984 Verwendung bei der Internationalen Bauausstellung<br />

in Berlin <strong>und</strong> erfuhr bereits zuvor einige Rezeptionen, doch dabei blieb vorerst ein wichtiger<br />

Aspekt ausgeklammert, nämlich „die Fähigkeit des Raumes, sich auf sich selbst zu beziehen,<br />

in einem formalen <strong>und</strong> symbolischen Wechselspiel aus Negation <strong>und</strong> Spiegelung […].“ 41 Für<br />

Edward Soja, den Geographen, Stadtplaner <strong>und</strong> Begründer des Lehrstuhls <strong>für</strong> Heterotopologie<br />

an der University of California in Los Angeles, ist es unbegreiflich wie die „neue Bedeutung<br />

des Raumes <strong>und</strong> der Räumlichkeit“ fast zwanzig Jahre unerkannt bleiben konnte, denn<br />

mittlerweile komme bei der Analyse des Raumes niemand mehr an Foucault vorbei. 42<br />

Martina Löw greift Foucaults Äußerungen zum Raum, als hätte sie Sojas Worte gehört,<br />

bezeichnenderweise als letzten bei ihren Überlegungen zu einem soziologischen Raumbegriff<br />

auf. Sie bezieht sich dabei auf den Vortrag „Von anderen Räumen“, in dem Foucault sich<br />

explizit zu seiner Vorstellung von Raum äußert, die er als konsequent relational vorstellt,<br />

diese aber selbst nicht strikt in seinen Werken anwendet. 43 Löw schreibt, dass Foucault Raum<br />

als „Ensemble von Relationen“ begreift, ihn also als „Lageverhältnis“ bestimmt, gleich einem<br />

36<br />

Vgl.: Defert, Daniel/ Ewald, Francois/ Lagrange, Jacques (Hg.). Michel Foucault. Schriften in vier Bänden.<br />

Dits et Ecrits. Band 1, 1954-1969. Frankfurt am Main 2001, S. 374.<br />

37<br />

Vgl.: ebenda. S. 373f.<br />

38<br />

Vgl.: ebenda. S. 374.<br />

39<br />

Vgl.: auch Suárez Müller, Fernando. Skepsis <strong>und</strong> Geschichte. Das Werk Michel Foucaults im Lichte des<br />

absoluten Idealismus. Würzburg 2004, S. 684.<br />

40<br />

Vgl.: auch Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 307ff.<br />

41<br />

Vgl.: Defert. Raum zum Hören. In: Foucault. Die Heterotopien. S. 86.<br />

42<br />

Vgl.: ebenda. S. 91.<br />

43<br />

Vgl.: Löw, Martina. Raumsoziologie. Frankfurt am Main 2001, S. 148.<br />

11


„Netzwerk“, das „Menschen, Dinge oder Handlungen“ ordnet. Damit grenze er sich gegen die<br />

Vorstellung eines Behälterraums ab. 44 Er leitet ihrer Meinung nach keinen Raumbegriff her,<br />

sondern stelle eine Zeitdiagnose: Raum ist dieser zufolge das Ergebnis von<br />

„Lagerungsbeziehungen <strong>und</strong> Platzierungen“, damit würde Raumkonstitution als etwas Tätiges<br />

impliziert <strong>und</strong> Foucault macht außerdem deutlich, dass „Raumkonstitution Durchsetzung von<br />

Macht ist.“ 45 Infolge ihrer Erläuterungen rückt Löw den gesellschaftlichen Prozess der<br />

Raumkonstitution in den Mittelpunkt, indem sie Raum als „eine relationale (An)Ordnung von<br />

Lebewesen <strong>und</strong> sozialen Gütern“ 46 konkretisiert. Um später in Bezug auf Kirchenräume<br />

darauf zurückgreifen zu können möchte ich an dieser Stelle noch zwei Prozesse benennen, die<br />

Löw <strong>für</strong> die Konstitution von Raum gebraucht, nämlich „das Spacing <strong>und</strong> die<br />

Syntheseleistung.“ Die Syntheseleistung erlaubt die Zusammenfassung von Ensembles,<br />

bestehend aus Gütern <strong>und</strong> Menschen, zu einem Element, also zu einem Raum. 47<br />

Da die Literaturwissenschaften als der eigentliche Ursprungsort der Heterotopien gelten 48 ,<br />

möchte ich exemplarisch <strong>für</strong> die dortige Rezeption <strong>und</strong> Anwendung des foucaultschen<br />

Heterotopie-Konzepts eine Diplomarbeit mit dem Titel: „Im anderen Raum“ Homotopie <strong>und</strong><br />

Heterotopie in Christoph Ransmayrs Roman „Der fliegende Berg“ 49 verfasst von Ruth Mader,<br />

aus dem Jahr 2010 vorstellen. Mader nutzt die im Vortrag von 1967 entwickelte Beschreibung<br />

der Heterotopien als theoretische Basis, um die im Roman vorgestellten Räume systematisch<br />

ordnen <strong>und</strong> analysieren zu können. Die von Foucault vorgestellte Heterotopie eröffnet Mader<br />

zufolge die Möglichkeit diese dahingehend zu interpretieren, dass sie durch ihre<br />

Andersartigkeit gegebenenfalls eine Verhaltensänderung bei einem Menschen erwirkt, der<br />

sich in ihr bewegt. 50 Dieser These möchte sie nachgehen, räumt aber auch ein, dass Foucault<br />

gesamtgesellschaftlich gedacht habe, als er den Begriff der Heterotopie prägte. Wohingegen<br />

sie seine Überlegungen auf ein Individuum anwenden wolle, dessen subjektbezogenes<br />

Handeln im Vordergr<strong>und</strong> stünde, wobei es auch als Repräsentant der westlichen Welt<br />

angesehen werden könne. Mader möchte herausfinden, ob dem Berg, den sie als besonderen<br />

Raum im Roman bestimmt, eine Funktion als Heterotopie zukommt <strong>und</strong> wenn ja, wie dieser<br />

von seinem Umraum, den sie mit „Homotopie“ bezeichnet, zu unterscheiden ist. 51<br />

44 Vgl.: ebenda. S. 150.<br />

45 Vgl.: ebenda. S. 149f.<br />

46 Vgl.: ebenda. S. 154.<br />

47 Vgl.: ebenda. S. 160.<br />

48 Vgl.: Defert. Raum zum Hören. In: Foucault. Die Heterotopien. S. 90.<br />

49 http://othes.univie.ac.at/10728/1/2010-07-12_0602373.pdf (zuletzt eingesehen am 15.08.2011)<br />

50 Vgl.: ebenda. S. 22.<br />

51 Vgl.: ebenda. S. 22f.<br />

12


Bevor sie die von Foucault gesetzten Aspekte <strong>für</strong> die Heterotopie in einer Analyse des Berges<br />

anwendet setzt sie sich mit der Homotopie auseinander <strong>und</strong> bestimmt deren Merkmale, auch<br />

in Bezug auf die Hauptfigur <strong>und</strong> ihr Verhalten. Dabei bestätigt sie Foucaults Aussage, dass<br />

unser Lebensraum „seinerseits heterogen“ ist <strong>und</strong> diese verschiedenen Räume ihre Bedeutung<br />

darin haben den homotopischen Boden <strong>für</strong> die Existenz <strong>und</strong> Funktion der Heterotopien zu<br />

bilden. 52 Sie stellt fest, dass der Übergang der Hauptfigur in eine neue Lebensphase, eine<br />

„Neuentfaltung seiner Persönlichkeit“, mit dem Übertritt von der Homotopie in die<br />

Heterotopie korreliert <strong>und</strong> dabei dem Berg die Funktion eines „Übergangsortes“ zukommt,<br />

womit sie ihre These verifizieren konnte. 53 Abschließend bezeichnet Mader die von ihr<br />

durchgeführte <strong>und</strong> an Foucaults „Theorie der ‚anderen Räume’“ angelehnte „Raumanalyse“<br />

als „Schlüssel“, um „einen literarischen Text aufzufächern <strong>und</strong> seine Figuren, ihre<br />

Entwicklungen <strong>und</strong> Beziehungen […] aufzuarbeiten <strong>und</strong> festzulegen. 54 Wenngleich sie auch<br />

auf die durch die „Kürze <strong>und</strong> Reduziertheit“ gegebene Begrenztheit von Foucaults Konzept<br />

<strong>für</strong> Analysen dieser Art hinweist, die eine Ergänzung durch den Homotopiebegriff ihrerseits<br />

notwendig gemacht habe, kann sie festhalten, dass ihre Arbeit den Beweis erbracht hat, dass<br />

sich die „Heterotopologie“ auch auf die lebensweltlichen Bedingungen eines Individuums<br />

anwenden lässt <strong>und</strong> nicht nur <strong>für</strong> gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge Gültigkeit hat. 55<br />

Mader bestätigt die Möglichkeiten, die das relationale Modell bietet <strong>und</strong> es auf literarisch<br />

gestaltete Räume <strong>und</strong> Gesellschaftsräume gleichermaßen anwendbar ist. Die „Homotopie“ ist<br />

bei Foucault aber bereits mitgedacht, bloß nicht explizit so benannt. 56 Auch in meiner<br />

heterotopologischen Betrachtung Taizés wird sich die nötige Ergänzung der „Homotopie“<br />

wieder finden.<br />

Um es mit Albaric zu sagen: Die bisherige Vielfalt der Rezeption Foucaults, die hier nur<br />

knapp <strong>und</strong> exemplarisch gestreift werden konnte, zeigt deutlich, dass das Fortdauern seines<br />

Denkens sicher ist.<br />

Foucault bezieht Kirchen <strong>und</strong> Kirchenräume selbst nicht explizit in seine Betrachtung der<br />

Heterotopien ein. Bei Wolfers findet sich aber eine plausible Begründung, weshalb Kirchen<br />

als Heterotopien verstanden <strong>und</strong> betrachtet werden können. Er bezieht sich auf Foucaults<br />

Zuordnung der Krisenheterotopien zu „primitiven Gesellschaften“ <strong>für</strong> die er bereits „die<br />

52 Vgl.: ebenda. S. 24ff.; 44.<br />

53 Vgl.: ebenda. S.80ff.<br />

54 Vgl.: ebenda. S. 89.<br />

55 Vgl.: ebenda. S. 89f.<br />

56 Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 319f. <strong>und</strong> Warning. Heterotopien als Räume. S. 14.<br />

13


heiligen Orte als Heterotopien anführt.“ 57 Demzufolge könnte man also Kirchen als „heilige<br />

Orte“ der Gegenwart ansehen. Mit Erne gesprochen handelt es sich heute nicht mehr um eine<br />

nicht-rekonstruktive „Topologie des Heiligen“, in der am „heiligen Ort“ die Heiligkeit<br />

identifizierbar wäre. Es ist vielmehr eine rekonstruktive „Topologie des Heiligen“ die sich im<br />

Raum religiöser Erfahrung <strong>und</strong> damit auch im Kirchenraum, immer wieder neu „zwischen<br />

den Polen […] der Beheimatung <strong>und</strong> Irritation […]“ einstellt. 58<br />

Bevor im Folgenden der Rezeptionsbezug des Konzepts der Heterotopie auf Kirchen(-räume)<br />

beschränkt bleibt, sei auf Hans-Joachim Sander verwiesen, der in „Heterotopien – Orte der<br />

Macht <strong>und</strong> Orte <strong>für</strong> Theologie. Michel Foucault“, unter anderem eine heterotopische<br />

Annährung an „Jesus von Nazareth“ vorschlägt, die diesem eher entsprechen würde als eine<br />

über den Personenbegriff. 59<br />

3. Die Rezeption des Heterotopie-Konzepts in der Theologie<br />

Die gegenwärtig andauernde Wiederentdeckung des Raumes ist unverkennbar <strong>und</strong> strahlt<br />

auch auf den <strong>kirchliche</strong>n <strong>und</strong> religiösen Kontext aus. Erne verweist in einem Artikel über die<br />

„Wiederentdeckung des Raumes in der Evangelischen Theologie“ auf Michel Foucault, der<br />

die „aktuelle Epoche eher“ als eine „Epoche des Raumes“ charakterisiert. 60 Auch Patrick<br />

Fries hält fest, dass der Raum in der Praktischen Theologie zunehmend beachtet wird, „bis hin<br />

zu einer praktisch-theologischen Hermeneutik des Kirchenraumes.“ 61 Anscheinend besteht<br />

eine allgegenwärtige „Sehnsucht nach heiligen Räumen“ 62 die sich insbesondere auch in<br />

neueren wissenschaftlichen Arbeiten, in denen der „Raumbezug spirituellen Lebens“ 63 zum<br />

Gegenstand der Untersuchung aufgestiegen ist, manifestiert. Aber auch Foucault <strong>und</strong> sein<br />

Konzept der Heterotopie werden zunehmend in die praktisch-theologischen Überlegungen<br />

zum Kirchenraum aufgenommen – gegensätzlich zu den Modellen des<br />

57 Vgl.: Wolfers, Carsten. Die Foucaultschen Subjekte. Wien 2009, S. 260.<br />

58 Vgl.: Erne, Thomas. Neue Wahrnehmung des Kirchenraumes im Protestantismus. Theologische Reflexionen<br />

<strong>und</strong> Impulse. In: Keller, Manfred/ Vogel, Kerstin (Hg.). Erweiterte Nutzung von Kirchen – Modell mit Zukunft.<br />

Band 3. Berlin 2008, S. 49.<br />

59 Sander, Hans-Joachim. Heterotopie – Orte der Macht <strong>und</strong> Orte <strong>für</strong> Theologie. Michel Foucault. In: Hardt,<br />

Peter/ von Stosch, Klaus (Hg.). Für eine schwache Vernunft? Beiträge zu einer Theologie der Postmoderne.<br />

Ostfildern 2007, S. 91-115.<br />

60 Vgl.: Erne, Thomas. Die Wiederentdeckung des Raumes in der Evangelischen Theologie. In: Arbeitsstelle<br />

Gottesdienst. Raumerk<strong>und</strong>ungen. 21. Jg. 02/2007, S.6.<br />

61 Vgl.: Fries, Patrick. „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“. Kirche in der Stadt als Heterotopie<br />

<strong>und</strong> ‚urban player’. In: Theologie <strong>und</strong> Glaube. Jg. 97.Paderborn 2007, S. 218.<br />

62 Vgl.: Jäggi, Carola. „Heilige Räume“ Architektur <strong>und</strong> Sakralität – Geschichte einer Zuschreibung. In: Nollert,<br />

Angelika/ Volkenandt, Matthias/ Gollan, Rut-Maria/ Frick, Eckhard (Hg.). <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart.<br />

Architektur zwischen Sakralität <strong>und</strong> sakraler Wirklichkeit. Regensburg 2011, S. 27.<br />

63 Vgl.: Zimmerling, Peter. Heilige Räume im Protestantismus – gibt es das? In: Raumerk<strong>und</strong>ungen. S. 24.<br />

Zimmerling verweist hier beispielsweise auf Woydack, Tobias. Der räumliche Gott. Was sind Kirchengebäude<br />

theologisch? Schenefeld 2005.<br />

14


Religionswissenschaftlers Mircea Eliade <strong>und</strong> dem Religionssoziologen Alfred Lorenzer – da<br />

sein Konzept der „Moderne noch heilige Orte“ <strong>und</strong> religiöse Raumerfahrungen zugesteht. 64<br />

Im Folgenden werde ich die Rezeption des Heterotopie-Konzepts in der Praktischen<br />

Theologie vorstellen <strong>und</strong> die dargestellten Aspekte in Bezug auf das Foucaultsche Konzept<br />

<strong>für</strong> die Reflexion von Kirchenräumen beurteilen. Mertin zufolge war Failing der Erste, der in<br />

der religiösen Raumfrage auf Foucaults Heterotopie-Konzept Bezug genommen hat. 65 Ich<br />

betrachte die Rezeption in chronologischer Reihenfolge <strong>und</strong> beginne deshalb bei Failing, der<br />

sich bereits 1995 in seiner Antrittsvorlesung, mit dem Titel „In den Trümmern des Tempels“,<br />

an der Johann-Wolfgang-Goethe-<strong>Universität</strong> Frankfurt, auf Foucault bezogen hat. 66<br />

3.1 Raum <strong>und</strong> Körper bei Wolf-Eckart Failing<br />

Laut Failing ist die Raumfrage im praktisch-theologischen Diskurs bisher, trotz ihrer<br />

Bedeutung <strong>für</strong> die Menschen – ihre „Existenz ereignet sich leiblich-räumlich“ 67 – zu wenig<br />

thematisiert worden. Er bemerkt eine Wiederbelebung religiöser Raumsymbolik <strong>und</strong><br />

konstatiert, dass verallgemeinert betrachtet, religiösen Räumen „die Funktion von<br />

Transzendenzerfahrung, der Orientierung, der Regeneration als Lebenserneuerung <strong>und</strong> das<br />

Angebot des Zuflucht gewährenden Asyls innewohnt.“ 68 Der phänomenologisch orientierte<br />

religiös-praktische Ansatz Failings setzt dem Inneren – vorgestellt als eigentlicher Raum<br />

religiöser Gefühle – eine „Leibberührbarkeit durch den Glauben“ 69 entgegen, als einer<br />

äußerlichen Einwirkung von religiös aufgeladenen Räumen auf den Körper. Dahinter steht<br />

eine phänomenologische Raumauffassung, die dem Behälterraum genau wie dem Raum als<br />

pure subjektive Anschauung eine klare Absage erteilt. Die gelebten Räume, um die es geht,<br />

sind „symbolisches Kristallisationsgeschehen“ 70 das heißt sie bilden sich sinnbildlich aus der<br />

Wechselbeziehung zwischen der Person <strong>und</strong> ihrer veräußerlichten Innerlichkeit, ihrer<br />

Leiblichkeit <strong>und</strong> dem Raum – auch materiell – mit den ihm eingeprägten religiösen<br />

64 Vgl.: auch ebenda. S. 28.<br />

65 Vgl.: Mertin, Andreas. Sakralität <strong>und</strong> liturgischer Raum. Buchvorstellungen. In: Tà katoptrizómena. Heft 70.<br />

2011. http://www.theomag.de/70/am348.htm (zuletzt eingesehen am 15.08.2011). Hier verweist Mertin in der<br />

zweiten Fußnote auf Wolf-Eckart Failings: Die eingeräumte Welt <strong>und</strong> die Transzendenzen Gottes in: Ders./<br />

Heimbrock, Hans-Günter. Gelebte Religion wahrnehmen. 1998. S. 91-122. Foucaults Heterotopie findet sich bei<br />

Failing schon 1995. Die Aspekte sind dieselben.<br />

66 Vgl.: Failing, Wolf-Eckart. „In den Trümmern des Tempels“. Symbolischer Raum <strong>und</strong> Heimatbedürfnis als<br />

Thema der Praktischen Theologie. Eine Annäherung. In: Pastoral-Theologie. Jg. 86. 9/1997, S. 375-391.<br />

67 Geyer, Hermann. „Sprechende Räume“? Fragmente einer ’Theologie’ des Kirchenraumes. In: Glockzin-Bever,<br />

Sigrid/ Schwebel, Horst (Hg.). Kirchen – Raum – Pädagogik. Müster 2002, S. 51.<br />

68 Vgl.: Failing. „In den Trümmern des Tempels“. S. 383.<br />

69 Vgl.: ebenda. S. 383f. Nach Friedrich Wilhelm Marquardt.<br />

70 Vgl.: ebenda. S. 385.<br />

15


Elementen, heraus. Es gab wohl nie eine Kultur, die vollkommen säkularisiert war, gleich<br />

einem „Gegensatzkonstrukt“ zum mythischen Raum <strong>und</strong> Weltverständnis. Failing greift<br />

Foucaults Konzept der Heterotopie im Kontext dieser Gegenüberstellung <strong>und</strong> der Frage nach<br />

unseren heutigen Möglichkeiten „mythische“ heilige Räume zu erleben <strong>und</strong> zu begreifen<br />

auf. 71 Er hebt besonders zwei Aspekte des Foucaultschen Theorems – des ganz anderen<br />

Raums – hervor. Foucaults Ansatz macht es zum einen möglich, orientierende „(Gegen-)<br />

Orte“ „auch über die historisch tradierten Modelle des heiligen Ortes <strong>und</strong> seiner tradierten<br />

Morphologie hinaus“ wahrzunehmen. Um es mit Foucault zu sagen, was <strong>für</strong> die Zeit gilt ist<br />

praktisch <strong>für</strong> die Räume noch nicht eingetroffen, sie sind noch nicht entsakralisiert. 72 Ein<br />

‚Raum des Außen’, also ein anderer Raum der „selbst qualifiziert ist“ <strong>und</strong> in seiner<br />

sonderbaren Bezogenheit auf die übrigen Räume auch „qualifizierend wirksam wird“, ist<br />

inmitten der Gesellschaft auch in der Moderne weiterhin wahrzunehmen. 73 Zum anderen<br />

funktionieren Heterotopien als „Gegenplatzierungen, […], auf die jede Gesellschaft zum<br />

Zwecke von Übergängen <strong>und</strong> Transformationen angewiesen ist.“ 74 Im Anschluss an Victor<br />

Turner, den Failing auch in seine Überlegungen einbezieht, stellt er den Prozesscharakter des<br />

Raumes in den Vordergr<strong>und</strong>, der demnach nicht „statisch-substanzhaft“, als „ab- <strong>und</strong><br />

ausschließende Umfriedung, sondern […], die räumliche Inszenierung des Passagierseins der<br />

Menschen“ 75 betrifft.<br />

Failing konstatiert, dass frühere, vormoderne religiöse Raumkonzepte nur noch gebrochen<br />

gültig sind, wobei heilige Orte bestehen bleiben – nicht substanzhaft gedacht – aber<br />

verstanden als symbolische Orte in der Begegnung mit Gott. 76 Religiöse Räume funktionieren<br />

als Heterotopien, indem sie die Räume des Alltags durchsetzen <strong>und</strong> als Marker <strong>für</strong> die<br />

Differenz wirksam werden, so dass der Mensch symbolisch der Transzendenz gegenübertritt –<br />

auf sich zurückgeworfen <strong>und</strong> verwiesen auf das Bleibende. 77<br />

In Failings Konzept der symbolischen (heiligen) Räume zeigt sich wie bedeutsam die Frage<br />

des Raumes <strong>für</strong> den Menschen ist, da Leben sich immer im „Verhältnis zum Raum“ ereignet<br />

<strong>und</strong> der Mensch jeweils selbst Teil der Raumkonstitution ist. 78<br />

71<br />

Vgl.: ebenda.<br />

72<br />

Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 319.<br />

73<br />

Vgl.: Failing. „In den Trümmern des Tempels“. S. 387.<br />

74<br />

Vgl.: ebenda.<br />

75<br />

Vgl.: Geyer. „Sprechende Räume“? S. 51.<br />

76<br />

Vgl.: Failing. „In den Trümmern des Tempels“. S. 390f.<br />

77<br />

Vgl.: auch Geyer. „Sprechende Räume“? S. 73.<br />

78<br />

Vgl.: Failing. „In den Trümmern des Tempels“. S. 389.<br />

16


3.2 Glaube <strong>und</strong> Räume bei Andreas Mertin<br />

Mertin bezieht sich in seinem Text „‚…<strong>und</strong> räumlich glaubet der Mensch‘. Der Glaube <strong>und</strong><br />

seine Räume“ 79 , nach den Darstellungen der Modelle von Eliade <strong>und</strong> Lorenzer auf Foucault<br />

als „Reflexionshistoriker“, der auch in der heutigen Zeit Räume nicht als „gleich-gültig“<br />

ansieht, sondern sie noch mit einer andauernden „stummen Sakralisierung“ belegt. 80<br />

Gegenwärtig ist die Zunahme einer allgemeinen Religiosität wahrzunehmen, die sich auch auf<br />

Orte <strong>und</strong> Räume bezieht <strong>und</strong> so ein Bedürfnis nach religiösen Räumen artikuliert, wobei sich<br />

der „religiöse Raum der Gegenwart […] durch religiöse Subjekte konstituiert“ <strong>und</strong><br />

insbesondere in historischen Gebäuden erfahrbar wird, aber nicht länger ontologisch real<br />

existiert. 81 Mertin stellt ein Bedürfnis nach religiösen Räumen fest, macht aber auch deutlich,<br />

dass dem heutigen Menschen weitgehend der verständige Zugang zu diesen fehlt. Mit<br />

Foucault wird es möglich derartige Räume auch noch in der Gegenwart zu verorten, da er<br />

darauf hinweist, dass bereits „die dichothome Entgegensetzung von Räumen eine religiös zu<br />

nennende Gr<strong>und</strong>struktur enthält.“ 82 Er findet seine Vermutungen in Foucaults Ausführungen<br />

gestützt, dass Räume zentral <strong>für</strong> Religion sind <strong>und</strong> sie uns die Möglichkeit bieten unseren Ort<br />

in der Welt zu reflektieren <strong>und</strong> uns zu orientieren. Zudem machen diese deutlich, dass nicht<br />

erst <strong>kirchliche</strong> Räume als sakral charakterisiert werden können, sondern dass bereits<br />

räumliche Entgegensetzungen im elementarsten Sinne auf Religion verweisen. 83<br />

Mertin meint, dass Kirchenräume ’Widerlager’ sein könnten, die Jugendlichen heute neue<br />

Zugänge zur Tradition ermöglichen, da wirkliches Verständnis von Räumen sich nicht<br />

unmittelbar einstellt, sondern seiner Meinung nach an „einen bestimmten Erfahrungskontext“<br />

gekoppelt ist, der aber einerseits nicht mehr greifbar ist <strong>und</strong> andererseits durch die<br />

frühkindliche Sozialisation in der Familie nicht mehr vorausgesetzt werden kann. 84 Deshalb<br />

schlägt er vor, dass Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer mit Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern gemeinsam<br />

heterotopologisch tätig werden, indem sie ‚Raum-Lektüre’ betreiben, damit das unbestimmte,<br />

aber noch vorhandene Raumgefühl weicht <strong>und</strong> „das Spiel der symbolischen Formen, das im<br />

Kirchenraum <strong>und</strong> im Gottesdienst stattfindet“ wieder wahrnehmbar wird, dazu muss es jedoch<br />

79 Mertin, Andreas. „…<strong>und</strong> räumlich glaubet der Mensch“. Der Glaube <strong>und</strong> seine Räume. In: Klie, Thomas<br />

(Hg.). Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik <strong>und</strong> religiöses Lernen. Münster 1998, S. 51-76.<br />

80 Vgl.: Mertin. Die Kirche als Jurassic-Park? Oder: Lässt sich religiöses Raumgefühl pädagogisch klonen? In<br />

Glockzin-Bever/ Schwebel. Kirchen – Raum – Pädagogik. S. 125.<br />

81 Vgl.: Mertin. „…<strong>und</strong> räumlich glaubet der Mensch“. S. 52.<br />

82 Vgl.: ebenda. S. 58.<br />

83 Vgl.: ebenda. S. 59.<br />

84 Vgl.: ebenda. S. 73.<br />

17


durch kirchenpädagogische Arbeit an die „Erzählwelt des Christentums“ zurückgeb<strong>und</strong>en<br />

werden. 85<br />

Zwischenzeitlich äußerte sich Mertin immer wieder in Anlehnung an den Heterotopie-Begriff<br />

zur <strong>Kirchenbau</strong>diskussion, zu den kommenden Aufgaben der Kirche oder in Bezug auf <strong>Kunst</strong><br />

<strong>und</strong> Religion. Beispielsweise bestimmt er den <strong>Kirchenbau</strong> als „gr<strong>und</strong>sätzlich […] paradoxe<br />

Aufgabe“, da man versuche bewusst heterotopische Orte im Foucaultschen Sinne zu schaffen,<br />

um „Alteritätserfahrungen“ möglich zu machen, die aber nicht erschaffbar seien, sondern sich<br />

entweder zutragen, oder am Ende einer Entwicklung stünden. 86 2008 bemerkt Mertin in einem<br />

Artikel 87 , dass der Heterotopie-Begriff mittlerweile zu einem „Modewort“ verkommen ist, der<br />

gewissermaßen selbstlobend verwendet wird um zu sagen: ‚Wir bilden den Ort, von dem aus<br />

die Gesellschaft reflektiert wird.’ Doch das entspricht nicht der Verwendung, die Foucault<br />

beabsichtigte, da der wichtige Aspekt der „Fremdheit“ zu wenig beachtet würde.<br />

Heterotopische Orte als Rückzugsorte in einer „als zu komplex <strong>und</strong> hektisch erfahrenen<br />

Umwelt“ einzurichten <strong>und</strong> sie funktional zu begreifen als „religiöse Chill-Out-Szenarien“ ist<br />

Mertin zufolge der falsche Ansatzpunkt. Aber genau dort, so seine Vermutung, schließt die<br />

Mehrzahl derer, die aktuell <strong>für</strong> die Gestaltung religiöser Räume verantwortlich sind, an,<br />

indem sie Religion als eine Art Dienstleistung in Bezug auf das Funktionieren der<br />

Gesellschaft bestimmen. Dagegen könnte man einwenden, dass sich Gesellschaften ihre<br />

Heterotopien selber schaffen, zumindest bringen sie diese hervor <strong>und</strong> ebenso können diese<br />

Heterotopien im Laufe der Zeit eine andere Funktionsweise erhalten. 88 Deshalb wäre es<br />

durchaus denkbar, dass Kirchen <strong>und</strong> religiöse Räume zur religiösen Chill-Out-Zone<br />

umfunktioniert werden. Ich denke aber, genau wie Mertin, dass der Bruch <strong>und</strong> die damit<br />

einhergehende Fremdheit <strong>und</strong> Infragestellung der Gesellschaft, bei Foucault vordergründig zu<br />

denken ist. Dazu finden sich bei Petra Bahr <strong>und</strong> Eckhard Frick interessante Aspekte.<br />

3.3 Kirchenraum im Raum bei Tobias Woydack<br />

Woydack wendet das Heterotopie-Konzept, welches er als „ein sehr allgemein gehaltenes<br />

soziologisches Gedankengebäude“ 89 beschreibt, am Anfang seiner Dissertation „Der<br />

85<br />

Vgl.: ebenda. S. 73ff.<br />

86<br />

Vgl.: Mertin. <strong>Kirchenbau</strong> als Heterotop. In: Tà katoptrizómena. Heft 28. 2004.<br />

http://www.theomag.de/28/am111.htm (zuletzt eingesehen am 15.08.2011).<br />

87<br />

Vgl.: Mertin. Raum-Lektüren. In: Tà katoptrizómena. Heft 54. 2008. http://www.theomag.de/54/am248.htm<br />

(zuletzt eingesehen am 15.08.2011).<br />

88<br />

Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 321f.<br />

89<br />

Vgl.: Woydack, Tobias. Der räumliche Gott. S. 17.<br />

18


äumliche Gott“, beispielhaft an. Er nutzt dessen Kategorien, wie er sagt, als eine erste<br />

Annäherung an ein spezifisches Phänomen <strong>und</strong> an die Raumthematik allgemein.<br />

Zunächst stellt er die sechs Gr<strong>und</strong>sätze dar um diese danach, in systematischer Reihenfolge an<br />

seinem Beispiel, der „St. Gertrud Kirche“ in <strong>Hamburg</strong>-Altenwerder, aufzuzeigen. Die<br />

genannte Kirche ist seiner Meinung nach eindeutig „ein besonderer, ein anderer Ort innerhalb<br />

seiner Umgebung.“ 90 Genau diesen Umgebungsbezug hebt Woydack hervor, wenn er<br />

schreibt, dass „die Heterotopien […] in jedem Fall nicht <strong>für</strong> sich stehen“ können <strong>und</strong> in ihrem<br />

gegebenen baulichen Zusammenhang erst anschaulich werde, „dass Orte <strong>und</strong> Räume<br />

unterschiedliche Qualitäten“ aufweisen. 91 Er hält fest, dass eine alleinige Beschreibung des<br />

Zustands ohne Bezug zur Umgebung nicht ausreichend wäre, um den heterotopischen Gehalt<br />

zu spiegeln, denn wirksam werden Heterotopien erst in einem relationalen Gefüge.<br />

Der Hauptaspekt seiner Betrachtung liegt darin die St. Gertrud Kirche in ihrer Wirkung zu<br />

beschreiben, die ihr insbesondere durch den sie umgebenden Außenraum zukommt. Ich<br />

möchte exemplarisch drei der sechs von ihm beschriebenen <strong>und</strong> zugeordneten Gr<strong>und</strong>sätze<br />

vorstellen. Die Heterotopie hat, gemäß dem zweiten Gr<strong>und</strong>satz, eine Wandlung erfahren.<br />

Während sie in der Zeit bevor der Hafen erweitert wurde „Teil eines funktionierenden<br />

dörflichen Ensembles“ war, besteht ihre Funktion heute in erster Linie darin an dieses zu<br />

erinnern. Weiteren Besuchern, die nicht Teil der Geschichte des Dorfes <strong>und</strong> ihrer Kirche sind<br />

kann sie eine „Oase sein in einer rein industriellen Umgebung.“ 92 Woydack gebraucht das<br />

Wort „Oase“ hier meines Erachtens in anderer Weise, als bei Mertin kritisiert, nämlich in<br />

einer als in dieser Umgebung mit dem Aspekt der Fremdheit konnotiert. Außerdem wurde<br />

diese Kirche dort nicht extra errichtet, sondern war Teil der vorherigen Umgebung. In einer<br />

‚Industrie-Wüste’ markiert sie nun, gleich einer ‚wirklichen Fata Morgana’, etwas was es dort<br />

eigentlich nicht geben kann <strong>und</strong> bildet ein irritierendes Moment.<br />

Die Verknüpfung mit der „Heterochronie“, dem vierten Gr<strong>und</strong>satz, besteht in mehrfacher<br />

Hinsicht. In der Kirche gibt es eine Fotoausstellung, die die frühere Zeit der Kirche inmitten<br />

des Dorfes lebendig hält, in gewissem Maße also die Vergangenheit in der Gegenwart <strong>und</strong><br />

möglicherweise auch in der Zukunft bewahrt <strong>und</strong> so, auch durch den gegenwärtigen<br />

Denkmalschutz, auf die Ewigkeit verweist. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Zeit<br />

dort aufgehoben <strong>und</strong> aus dem Fluss der Umgebung ausgetreten ist. Dieser entsteht zum einen<br />

durch den umliegenden Friedhof, der ja selbst heterotopischen Charakter besitzt, <strong>und</strong> durch<br />

die angrenzende, stark befahrene Autobahn <strong>und</strong> den Hafen, in dem r<strong>und</strong> um die Uhr reges<br />

90 Vgl.: ebenda. S. 14.<br />

91 Vgl.: ebenda. S. 14; 17; 20.<br />

92 Vgl.: ebenda. S. 19.<br />

19


Treiben herrscht. Im Gegensatz dazu „sind Kirche <strong>und</strong> Friedhof Orte der Ruhe <strong>und</strong> Nicht-<br />

Bewegung.“ 93 Woydack bestimmt die St. Gertrud-Kirche gemäß dem sechsten Gr<strong>und</strong>satz in<br />

ihrer Funktion gegenüber der Umgebung als Illusionsheterotopie. Sie stellt sich als<br />

Stolperstein der umgebenden Wirklichkeit entgegen, indem sie deutlich macht, dass diese<br />

nicht nur gut <strong>für</strong> die Stadt <strong>und</strong> die Menschen ist, da hier „wirtschaftliche Interessen“ über<br />

denen der ehemaligen Bewohner standen <strong>und</strong> zudem steht sie einer fortschreitenden<br />

Erweiterung des Hafens begrenzend gegenüber. 94<br />

Das Heterotopie-Konzept findet bei Woydack mindestens schon deshalb Anwendung im<br />

Foucaultschen Sinne, weil er es auf den Außenraum bezieht: Dieser Kirche wird eine<br />

erweiterte heterotopische Funktion zuteil, durch die Wandlung ihres Umraums, dem sie<br />

sozusagen als ein Mahnmal anhaftet. Die „Homotopie“ ist in diesem Beispiel so eindeutig,<br />

dass sie zwar benannt werden muss, um die gegensätzliche Wirkung zu betonen, aber keiner<br />

spezifischen Hervorhebung bedarf. Er hebt noch dezidiert hervor, dass Heterotopien, damit<br />

sie überhaupt ihrer Funktion entsprechend wirken können, immer als kulturelle Räume<br />

identifizierbar sein müssen, die mit dem gegebenen gesellschaftlichen System in Berührung<br />

stehen. 95<br />

3.4 Kirche als Zeichen in der Stadt bei Petra Bahr<br />

In einem überarbeiteten Vortrag mit dem Titel: „Nicht-Orte <strong>und</strong> Anders-Orte. Die Kirche als<br />

Heterotopos in der Stadt“ 96 nimmt Bahr Foucaults Konzept auf. Sie bezieht sich auf den<br />

Radiovortrag <strong>und</strong> findet, dass Foucault dort eine „hilfreiche Kategorie“ vorstellt um die<br />

„symbolischen Ablagerungen, die bestimmten Orten Bedeutsamkeit verleihen, die weit über<br />

das materiell Fassbare hinausgehen“ 97 zu beschreiben. Er trenne dort zwischen einer<br />

alltäglichen Topografie, die uns mit Straßen <strong>und</strong> Plätzen Orientierung biete <strong>und</strong> den<br />

Heterotopien. Bahr erkennt also, ohne sie so zu bezeichnen, in Foucaults Ausführungen die<br />

„Homotopie“. Für sie sind Kirchen solche bedeutsamen, heterotopischen Orte – „mehr als<br />

Architektur“. Sie sind Bezugsorte, die singen, wie sie sagt, die lebendig sind <strong>und</strong> immer über<br />

die topografische Bedeutung, die sie in einer Stadt haben hinausweisen. 98 Bahr beschreibt das<br />

93 Vgl.: ebenda.<br />

94 Vgl.: ebenda. S. 20.<br />

95 Vgl.: ebenda. S. 30.<br />

96 Bahr, Petra. Nicht Orte <strong>und</strong> Anders-Orte. Die Kirche als Heterotopos in der Stadt. Überarbeiteter Vortrag,<br />

gehalten in der Martinskirche zu Kassel, am 5. September 2007. In: Medienverband der Evangelischen Kirche<br />

im Rheinland gGmbH. Sehnsuchtsorte. Düsseldorf 2010, S. 7-11.<br />

97 Vgl.: ebenda. S.8.<br />

98 Vgl.: ebenda.<br />

20


alltägliche Zeitverständnis als linear, wohingegen Kirchen einen anderen Zeitsinn eröffnen<br />

würden, <strong>für</strong> eine „nicht-historische Zeit […]“, der beispielsweise mit dem „christlichen<br />

Festtagszyklus“ der alltäglichen Zeiterfahrung entgegensteht. 99 Die Zeit schreitet also im<br />

Modus des Festes nicht fort, genauso wenig versetzt man sich in eine andere vergangene Zeit,<br />

vielmehr ist die Zeit aufgehoben.<br />

Bahr hebt die geforderte Fremdheit des Heterotopischen deutlich hervor. Sobald man die<br />

Schwelle überw<strong>und</strong>en hat, was das Eintreten in eine Kirche fordert, eröffnet sich ein Raum,<br />

doch in diesem bleibt einem „noch der Vertrauteste fremd“, denn das Heilige bleibt selbst<br />

„als menschenzugewandte Botschaft fremd <strong>und</strong> unverfügbar.“ 100 Wichtig ist der Hinweis auf<br />

die Unverfügbarkeit, denn das Heilige ist das, was sich immer wieder entzieht. Indem jemand<br />

im Kirchenraum steht oder in ihm geht, besteht die Möglichkeit der Wahrnehmung „der<br />

Gegenwart eines Größeren.“ 101 Zu dieser möglichen Erfahrung trägt maßgeblich der Bau des<br />

Kirchengebäudes bei, wenn es beispielsweise durch seine Größe zur „Ablösung von<br />

menschlichen Maßen“ 102 verhilft.<br />

Kirchen als Gegenräume befragen die sie umgebenden Räume nicht nur nach ihrer Funktion,<br />

sondern auch nach ihrem Sinn <strong>für</strong> die Menschen, dazu müssen sie als Bezugsort die<br />

Kommunikation aufrecht erhalten. 103 Foucaults Modell bietet ihrer Meinung nach die<br />

Möglichkeit den Blick auf inhaltliche Fragen zu lenken, wenn es darum geht eine<br />

„Kirche der Orte jenseits der Gemeinde“ <strong>und</strong> in den Städten zu denken <strong>und</strong> danach zu fragen, wie „eine<br />

Stadtkirche […] heterotopischen Charakter behalten <strong>und</strong> ihn vor allem sichtbar <strong>und</strong> erfahrbar werden<br />

lassen“ kann. 104<br />

Bahr zufolge ist das Heterotopische schon in den „notae ecclesiae“ angelegt <strong>und</strong> in ihrer<br />

Vorstellung gehören Gottesdienste – egal welcher Ausprägung – zur Stadtkirche. Um das<br />

Verständnis des heterotopischen Charakters zu unterstützen schlägt sie <strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> Musik vor,<br />

insbesondere um den „Prozess des ‚Wiederfremdwerdens’ des Vertrauten“ in Gang zu setzen,<br />

„weil die Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft ohne Irritation […] nicht auskommt.“<br />

Sie verdeutlicht aber auch, dass zur Kirche elementar auch die Erfahrungen von Heimat <strong>und</strong><br />

„Ankommen“ gehören. 105<br />

99 Vgl.: ebenda. S. 9.<br />

100 Vgl.: ebenda.<br />

101 Dufner, Meinrad. Kirchen verstehen. Münsterschwarzach 2007, S. 29.<br />

102 Böhme, Gernot. Anmutungen. Über das Atmosphärische. Ostfildern 1998, S. 96.<br />

103 Vgl.: Bahr. Nicht-Orte <strong>und</strong> Anders-Orte. S. 8f.<br />

104 ebenda. S. 9.<br />

105 Vgl.: ebenda.<br />

21


„Der riskanteste heterotopische Gedanke, der sich mit den Sandsteinwänden unserer beeindruckenden<br />

Stadtkirchen verb<strong>und</strong>en hat, steckt ja in der Verkündigung Jesu. Gottes Reich ist schon angebrochen. Da<br />

ist er, der evangelische Heterotopos, der sich unter die klugen Überlegungen des französischen<br />

Philosophen legt.“ 106<br />

Das muss sich nach Bahr im theologischen Handeln, das das „Heterotopische der Rede von<br />

der Menschlichkeit Gottes beglaubigt“, konsequent wieder finden, deshalb schlägt sie eine<br />

Verknüpfung von Kultur <strong>und</strong> Diakonie vor, um den Glauben daran wach zu halten, „dass das<br />

was ist, nicht alles ist.“ 107 Problematisch ist, dass sich der „evangelische Heterotopos“ nicht<br />

einfach verorten lässt, sagen lässt sich aber, dass er sich in gewisser Weise in einem<br />

bezogenen Außen befindet. Die Verkündigung, also das Wort vom Reich Gottes hat sich nach<br />

Bahr symbolisch manifestiert. Vielleicht lässt sich hier Foucaults von Klossowski geliehener<br />

Begriff des Simulacrums aufgreifen <strong>und</strong> vereinfacht Kirche als gebautes Zeichen <strong>für</strong> eine<br />

verborgene Realität vorstellen.<br />

3.5 Kirche als Kirche in der Stadt bei Patrick Fries<br />

Fries beschäftigt sich in seinem Text: „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“.<br />

Kirche in der Stadt als Heterotopie <strong>und</strong> ‚urban player’ 108 , mit den aktuellen<br />

Herausforderungen auf die Kirche in der Stadt trifft.<br />

Mit ‚urban player’ bezeichnet Fries eine Kirche, die gemäß ihrem „eigenen Auftrag“ in einer<br />

Stadt wirksam wird, indem sie sich durch ihre spezielle Architektur <strong>und</strong> die ganz eigenen<br />

Regeln zu erkennen gibt, als zugleich zur Stadt zugehörig, als auch über das Sicht- <strong>und</strong><br />

Wahrnehmbare hinausgehend. 109 Mit „Heterotopie“ bezeichnet Foucault die „postmoderne<br />

Gleichzeitigkeit <strong>und</strong> die gleichzeitige Existenz als Heimat <strong>und</strong> Gegenort.“ 110 Während<br />

Foucault das „Zeitalter der Gleichzeitigkeit“ postuliert, erinnert Fries an die frühen Christen,<br />

die sich in Bezug zu ihrer Umgebung immer zugleich in „ausdrücklicher Nähe <strong>und</strong> Distanz“<br />

verorteten <strong>und</strong> sich als Durchreisende betrachten, als „‚Fremdlinge <strong>und</strong> Pilger’ (1 Petr 2,11)<br />

<strong>und</strong> hatten ‚hier keine bleibende Stadt, sondern [suchten] die zukünftige’ (Hebr 13,14).“ 111<br />

Diese (Schwebe-)Lage lässt sich auch auf die heutige Lebenswirklichkeit übertragen, als<br />

einem unsicheren <strong>und</strong> risikobehafteten Gefüge des Lebens, in dem die Kirche nur noch ein<br />

Stimmchen unter vielen ausmacht, das beim „postmodernen Konzert der Anbieter“ 112<br />

106 Vgl.: ebenda. S. 10.<br />

107 Vgl.: ebenda.<br />

108 Vgl.: Fußnote 61. Fries. „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“. S. 209-225.<br />

109 Vgl.: ebenda. S. 214f.<br />

110 ebenda. S. 209.<br />

111 Vgl.: ebenda. S. 212.<br />

112 Vgl.: ebenda. S. 212f.<br />

22


mitspielt. Sie könnte auf diesen Zug aufspringen, doch die Gefahr durch die Reduktion auf<br />

pure Funktionalität ein Fähnchen im Wind zu werden, das nur darauf bedacht ist es den<br />

Leuten recht zu machen, wäre zu groß. 113 Geeigneter wäre eine profilstärkende Reaktion,<br />

damit Kirche gemäß „dem eigenen Auftrag wieder mehr sein kann als ein beliebiger Anbieter<br />

– nichts weniger als ein […] ‚urban player’.“ 114 Kirchen gehören zum Stadtbild, sie sind<br />

„Heimat“, aber sie sind gleichzeitig „Gegen-Ort“, denn ihre Zeit ist eine andere als die des<br />

offenen ‚Marktes’ <strong>und</strong> sie können gleichzeitig „Heimat in der Fremde <strong>und</strong> Fremde in der<br />

Heimat […] sein. 115 Aus dem heterotopen Charakter, der allen Kirchen innewohnt, können<br />

sich vielfältige Chancen <strong>für</strong> die Stadt ergeben, sobald die Kirchen abgerissen, oder umgenutzt<br />

werden verschwinden auch diese. Gemeint sind damit wohl vor allem Außenwirkungen, im<br />

Falle des Abrisses, aber auch im Falle von Umnutzungen gehen Räume <strong>für</strong> Menschen<br />

verloren, die Kirchenräume individuell aufsuchen, also an „Glaube <strong>und</strong> Kirche partizipieren“,<br />

möglicherweise ohne einer „<strong>kirchliche</strong>n Gemeinschaft“ anzugehören. 116<br />

Fries ist der Meinung, dass Foucaults „Theorie der Gegenräume sich im praktisch-<br />

theologischen Diskurs noch kaum“ 117 niedergeschlagen hat. Seine Heterotopologie sei aber<br />

durchaus geeignet um damit die „Aufgaben <strong>und</strong> Möglichkeiten von Kirche als ‚urban player’<br />

aus multireligiösem, sowie ökumenischem Blickwinkel zu präzisieren. 118 Indem Fries<br />

Foucaults Faden aufnimmt <strong>und</strong> wie er sagt „weiterspinnt“, bestimmt er „Kirchen als real<br />

existierende Orte ‚außerhalb aller Orte’“, die als „Orientierungsmarken“ in der Stadt,<br />

öffentlich <strong>und</strong> zugänglich sind. So können sie mindestens in „dreifacher Hinsicht“ als ‚Orte<br />

der Repräsentation’ gelten. 119 Erstens sind sie ‚Bedeutungsträger’, zweitens ‚Heimat des<br />

Glaubens’ <strong>und</strong> drittens ‚Lernorte des Glaubens’, wenn man noch ihren heterotopischen<br />

Charakter hinzunimmt, der bereits in dem Nebeneinander dieser drei ‚Orte’ anklingt, ergeben<br />

sich „explizit ‚ökumenische’ Aufgaben.“ 120 Diese möchte ich nun exemplarisch vorstellen.<br />

Kirchen-Räume werden beispielsweise bei Kirchenführungen „lebendige ‚Bedeutungsträger’<br />

<strong>für</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart“ <strong>und</strong> unter Einbezug ihrer eignen „Symbolik“ zugleich zu<br />

einem ‚Lernort des Glaubens’. 121 Als ‚Heimat des Glaubens’ wird ‚urban players’ in der Stadt<br />

die Aufgabe zuteil „spirituelle […] Beiträge zur ‚öffentlich lebbaren Stadtkultur’ zu<br />

113 Vgl.: ebenda. S. 213.<br />

114 Vgl.: ebenda. S. 214.<br />

115 Vgl.: ebenda. S. 215 <strong>und</strong> Fries. „…jede Art Raum genug“? Zur Predigt Martin Luthers in der Torgauer<br />

Schlosskirche. In: Raumerk<strong>und</strong>ungen. S. 40.<br />

116 Vgl.: Kranemann, Benedikt. Symbole des Religiösen im Urbanen. Ein Versuch über Architektur der<br />

Religionen in säkularer Gesellschaft. In: <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. S. 178.<br />

117 Vgl.: Fries. „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“. S. 217.<br />

118 Vgl.: ebenda.<br />

119 Vgl.: ebenda <strong>und</strong> ‚Orte der Repräsentation’ nach Otto Hermann Pesch, ebenda. S. 213.<br />

120 Vgl.: ebenda. S. 217.<br />

121 Vgl.: ebenda. S. 219.<br />

23


ermöglichen“ <strong>und</strong> diese auch möglichst überkonfessionell zu vernetzen, aber mindestens<br />

aufeinander zu verweisen. 122<br />

Fries sieht Kirchen demnach im städtischen Raum nicht als Einzelspieler, sondern auf gewisse<br />

Weise auch als vernetzt mit anderen Kirchen <strong>und</strong> im Blick auf Multireligiosität in der Stadt,<br />

auch mit religiösen Räumen anderer Religionen. Als Ensemble <strong>und</strong> je <strong>für</strong> sich zeugen sie,<br />

meist durch eine dezidiert religiöse Architektur im städtischen Gesamtbild von einem<br />

Gottesbekenntnis <strong>und</strong> als religiös genutzte Räume können sie als „Zeichen einer personalen<br />

Gottesbeziehung“ 123 wirksam werden.<br />

Indem Kirchen in der Stadt Räume der Stille bergen entlarven sie die ansonsten meist laute<br />

städtische Wirklichkeit als Illusion <strong>und</strong> durch die in ihnen ausgeführte „Liturgie“ markieren<br />

sie zum Umgebungsraum eine vollkommene Ordnung. 124 Zumindest lässt sich die Liturgie als<br />

ein Ritual auffassen das, wenn es bekannt ist, Ankommen an dem Ort, in diesem Fall in der<br />

Kirche, ermöglicht. Kirchen lassen sich also im städtischen Umfeld mit Foucault als Illusions-<br />

<strong>und</strong> Kompensationsheterotopien beschreiben. Mit einem Verständnis von Kirchen als<br />

repräsentativen Orten muss ein „Glaube an die eigene Vorläufigkeit“ einhergehen, eine<br />

Wahrnehmung da<strong>für</strong> in der eigenen Lebensumwelt Gast zu sein.<br />

Kirchen wohnt ein „kritisches […] <strong>und</strong> korrigierendes Potential“ inne, das sie befähigt Gegen-Ort <strong>und</strong><br />

hoffnungsstiftende Heimat gegen die Illusion eines ‚unbedingt gelingen müssenden Lebens’“ zu sein. 125<br />

Sie haben also auch bei Fries eine besondere Funktion in ihrer Umgebung inne, mit der sie in<br />

Wechselwirkung stehen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die sie bedeutsam sind, da sie eine andere Wirklichkeit<br />

bedeuten.<br />

3.6 Komplementärräume bei Eckhard Frick<br />

Frick beschreibt die „Heterotopie des Sakralraums“ die er beispielhaft am Freiburger Münster<br />

vorstellt <strong>und</strong> in Form einer „merkwürdigen, doppelten Räumlichkeit“ näher bestimmt. 126<br />

Diese doppelte Räumlichkeit fasst zwei Aspekte des Raumes, die ihn gleichzeitig ausmachen.<br />

Das Freiburger Münster ist zum einen ein physikalisch fassbarer Funktionsraum, dieser kann<br />

auf einem Platz in Freiburg geortet werden <strong>und</strong> er ist in Länge, Höhe <strong>und</strong> Breite exakt<br />

messbar. Zum anderen konstituiert sich komplementär im Kirchenraum ein anderer Raum;<br />

122<br />

Vgl.: ebenda. S. 221.<br />

123<br />

Kranemann. Symbole des Religiösen im Urbanen. S. 178.<br />

124<br />

Vgl.: Fries. „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“. S. 221f.<br />

125<br />

ebenda. S. 224f.<br />

126<br />

Vgl.: Frick, Eckhard. Spielräume des Heiligen. In: <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. S. 41f.<br />

24


seine Komponenten sind „Beleuchtung, Harfenklänge, Kerzen <strong>und</strong> menschliche Präsenz.“ 127<br />

Diesen weiteren „Raum des Gebetes <strong>und</strong> der Stille“ der mitten im touristischen Treiben<br />

‚Raum greift’ bezeichnet Frick mit Heterotopie <strong>und</strong> bezieht sich dann übergeordnet auf das<br />

heterotopische Merkmal des Nebeneinanderstellens von eigentlich inkompatiblen Räumen. 128<br />

Genau das ist das dezidiert heterotopische Element des Sakralraums, materieller Raum <strong>und</strong><br />

Spielraum bestehen gleichzeitig, parallel <strong>und</strong> vereint. Nach Frick haben die „heterotopen<br />

Gegensätze“ beider Räume, die er tabellarisch gegenüberstellt, ihre gemeinsame Wurzel in<br />

der „anthropologischen Dichotomie von Leib <strong>und</strong> Körper.“ 129 Dem Leib kann eher der<br />

„Spielraum“ zugeordnet werden, der seine „Funktion“ ausübt, indem er gerade durch seine<br />

‚Funktions-Freiheit’ auf die „Transzendenz“ verweist, in ihm wird „Erkenntnis“ durch<br />

Erleben gewonnen <strong>und</strong> der Leib ist im Spielraum immer der Mittelpunkt. Dem materiellen<br />

Raum lässt sich eher der Körper zuordnen, der im Gegensatz zum Leib genutzt wird, in dem<br />

Erkenntnis durch Messen erfolgt <strong>und</strong> dessen Standort immer relativ ist. Der Sakralraum ist<br />

ebenfalls dynamisch <strong>und</strong> immer nur „eher Spiel- als materieller Raum <strong>und</strong> eher erlebter als<br />

euklidischer Raum.“ 130 Dem Leib-Raum entspricht also der erlebte Raum, der nur den eigenen<br />

immer subjektiven Standpunkt kennt <strong>und</strong> als „Leib, der wir sind“ 131 betreten wir auch den<br />

Kirchenraum. Der Kirchenraum selbst ist beides, er kann als physikalischer Raum genutzt<br />

werden, wobei auch eine Umfunktionierung möglich ist, aber gegensätzlich zu anderen<br />

‚Nutzräumen’ kommt ihm als sakraler Raum gerade eine ‚Funktions-Freiheit’ zu. Ihm ist eine<br />

seltsam „provozierende Nutz-Losigkeit“ eigen, die besonders „im Kontrast zur<br />

Zweckorientierung der Gesamt-Kultur“ 132 deutlich wird. Zum einen kommt einer Kirche als<br />

Kirche die Funktion zu, die „gottesdienstliche Versammlung“ zu ermöglichen, aber ihre<br />

besondere Funktion liegt in der eigentlichen „Funktions-Freiheit“, denn es „nutzt“ nichts,<br />

wenn sie über eine von Effizienz geprägte Welt hinausweist – zumindest nicht im Sinne der<br />

Denke jener Welt – sie sind also eine Art „Funktions-Pause“. 133 Sie drücken Differenz aus,<br />

ermöglichen aber zugleich auch Transzendenz. Das entspricht der innersten Substanz der<br />

Heterotopie, denn Kirchen funktionieren in Bezug auf ihre Umgebung vollkommen<br />

entgegengesetzt.<br />

Frick hält fest, dass Sakralräume aufgr<strong>und</strong> ihres heterotopischen Charakters nicht<br />

ausschließlich dem innerlichen Gefühlsraum noch dem Außenraum zugeordnet werden<br />

127 Vgl.: ebenda. S. 42.<br />

128 Vgl.: ebenda.<br />

129 Vgl.: ebenda. S. 42f.<br />

130 Vgl.: ebenda. S. 44.<br />

131 Vgl.: ebenda. S. 43.<br />

132 Vgl.: ebenda.<br />

133 Vgl.: ebenda. S. 46f.<br />

25


können. Seiner Meinung nach wäre eine „Zuordnung des Sakralen“ zu einem Übergangsraum<br />

zwischen „Innen <strong>und</strong> Außen“ besser. 134 Die Verknüpfung der inneren Räume, also des<br />

Leibraums mit dem äußeren Raum wird beispielsweise beim Singen im großen Sakralraum<br />

erfahrbar, wenn die eignen<br />

„inneren Resonanzräume [...] mit denen der Mitsingenden <strong>und</strong> […] mit dem […] umgreifenden äußeren<br />

Raum in Symphonie treten.“ 135<br />

Sakralbauten stehen als Symbol <strong>für</strong> Übergänge <strong>und</strong> machen selbige möglich. 136 Auch bei<br />

Frick findet sich also der Prozesscharakter des Raumes, der bereits bei Failing im Anschluss<br />

an Foucault <strong>und</strong> besonders Turner anklang.<br />

3.7 Der Gedanke der Heterotopie in der Reflexion von Kirchenräumen<br />

Es hat sich gezeigt, dass mit Foucaults Heterotopie-Konzept Kirchen <strong>und</strong> religiöse Räume als<br />

Heterotopien bestimmt <strong>und</strong> beschrieben werden können. „Heilige Räume“ sind im Sinne<br />

religiöser Räume <strong>für</strong> die Gegenwart gewonnen. Laut Failing wird es möglich orientierende<br />

„Gegen-Orte“ in gewandelter Form weiterhin wahr zu nehmen, was einem elementaren<br />

Bedürfnis des Menschen gleichkommt, der in der Religion Sinn <strong>und</strong> Halt sucht <strong>und</strong> „einen<br />

transzendenten Inhalt“ findet. 137<br />

Foucault schwebte eine Art „Raumlektüre“ vor, die Erforschung, Analyse <strong>und</strong> Beschreibung<br />

der Heterotopien. Das findet sich in den Rezeptionen angewendet <strong>und</strong> <strong>für</strong> zukünftige<br />

Aufgaben weitergedacht wieder, beispielsweise bei Bahr <strong>und</strong> Fries, insbesondere Mertin<br />

entwickelt daraus eine Aufgabe <strong>für</strong> die Kirchenpädagogik.<br />

Ich möchte <strong>für</strong> eine zusammenfassende Darstellung der Rezeptionen Aspekte aus<br />

Theoriemodellen zum Kirchenraum aufnehmen, doch zuvor erscheint mir folgende Klärung<br />

notwendig: Foucault trennt den „Raum unserer unmittelbaren Wahrnehmung […]“ mit Hilfe<br />

seiner eigenen Qualitäten – er kann „leicht“ oder „schwer“ sein, „kann fließen wie Wasser“<br />

oder „fest <strong>und</strong> starr sein wie Stein oder Kristall“ – vom „äußeren Raum“, um den es ihm in<br />

seinem Konzept geht. 138 Er bestimmt „seine Heterotopik in klarer Abgrenzung vom<br />

phänomenologischen Raumbegriff“, indem er dezidiert hervorhebt, dass „Heterotopien […]<br />

real existierende, lokalisierbare Orte“ sind <strong>und</strong> „nicht einfach Produkt der Einbildungskraft<br />

134<br />

Vgl.: ebenda. S. 44.<br />

135<br />

Ebenda.<br />

136<br />

Vgl.: ebenda. S.46.<br />

137<br />

Vgl.: von Gerkan, Meinrad/ Schwebel, Horst. Die Ästhetik des Einfachen <strong>und</strong> der Verweis auf das Andere.<br />

Ein Gespräch. In: Raumerk<strong>und</strong>ungen. S. 62.<br />

138<br />

Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 319f.<br />

26


des Einzelnen.“ 139 Meines Erachtens schließt er damit den ‚gelebten Raum’ vielmehr ein, als<br />

aus, da dieser „Raum als Dimension religiöser Erfahrung“ leiblich erschlossen <strong>und</strong> so nur<br />

situativ konkret wird, dabei aber immer gekoppelt bleibt an den materiellen (gebauten)<br />

Raum. 140 Ihm geht es, wie ich glaube, darum die Verbindung der Heterotopien zum<br />

Außenraum zu halten <strong>und</strong> ein gedankliches utopisches Abdriften in die Innerlichkeit zu<br />

unterbinden, nicht weil es keine Bezüge zu Innenräumen gäbe, sondern weil gerade die<br />

Äußerlichkeit im konkreten Raum des Lebens konstitutiv <strong>für</strong> die Heterotopien ist. Der<br />

Sakralraum befindet sich vergleichbar auf einer Grenze zwischen Innen <strong>und</strong> Außen, in einem<br />

Übergangsraum, „er ist weder nur heilig, noch nur profan,“ sondern lässt sich<br />

„raumtheologisch“ betrachtet auf dem schmalen Grat dazwischen lokalisieren. 141<br />

Noch 2007 hat sich Zimmerling gegen eine Betrachtung von Kirchenräumen im alleinigen<br />

Anschluss an Raschzoks „Spurenmodell“ gestellt, da er dessen Perspektive als zu beschränkt<br />

einordnete. Er gesteht dem Modell zwar zu, dass es hilfreich ist um damit am<br />

funktionalistischen „Raumverständnis der Reformatoren“ anzuschließen, aber in der<br />

Ausrichtung allein auf gottesdienstliche Gebrauchsspuren ist es zu begrenzt um „die<br />

Heiligkeit von Kirchenräumen“ 142 näher zu bestimmen. In einem Vortrag zur „Sprache des<br />

Kirchenraumes“ 2010 macht Raschzok selbst deutlich, dass die „spezifische<br />

Öffentlichkeitsdimension von Kirchengebäuden zu beachten“ ist <strong>und</strong> verweist auf die<br />

„gottesdienstliche <strong>und</strong> scheinbar außergottesdienstliche Nutzung“ 143 die ineinander<br />

verschränkt wirken. Meines Erachtens zeigt das schon, dass er die Wirkungen, die ein<br />

Kirchengebäude auf Besucher <strong>und</strong> Besucherinnen hat, einbezieht <strong>und</strong> auch überblickt, dass<br />

diese ihrerseits ihre Spuren einschreiben, denn ich verstehe die „scheinbar<br />

außergottesdienstliche Nutzung“ so, dass auch jene den Raum durch ihre Anwesenheit<br />

„irgendwie“ gottesdienstlich in Gebrauch nehmen <strong>und</strong> sein „spirituelles Potenzial“ 144 auf sie<br />

ausstrahlt. Dazu passt auch der Gedanke Raschzoks, dass im sonntäglichen Gottesdienst alle<br />

diejenigen mitanwesend sind, die im Laufe der Woche in der Kirche<br />

„Zuflucht, Stille <strong>und</strong> das Gebet gesucht haben, <strong>und</strong> diese ‚Alltagsspuren’ nun […] mit den expliziten<br />

Gottesdienstspuren zu einer Einheit verb<strong>und</strong>en werden.“ 145<br />

139 Vgl.: Kammler/ Parr/ Schneider. Foucault Handbuch. S. 265.<br />

140 Vgl.: Erne. Die Wiederentdeckung des Raumes in der Evangelischen Theologie. S. 9.<br />

141 Vgl.: Frick. Spielräume des Heiligen. S. 44f. <strong>und</strong> Woydack. Raum, Glaube, Mensch <strong>und</strong> Kirche. Die<br />

Gottesbeziehung als räumliches Geschehen. In: Raumerk<strong>und</strong>ungen. S. 22.<br />

142 Vgl.: Zimmerling. Heilige Räume im Protestantismus. S. 30.<br />

143 Vgl.: Raschzok, Klaus. Die Sprache des Kirchenraumes.<br />

http://www.ekmd.de/attachment/aa234c91bdabf36adbf227d333e5305b/1df89ed0489cb2689ed11df8035b9dade7<br />

8b32db32d/Raschzok_Die_Sprache_des_Kirchenraumes.pdf (zuletzt eingesehen am 16.08.2011). S. 13f.<br />

144 Vgl.: ebenda. S. 20.<br />

145 Ebenda. S. 25.<br />

27


Wie Raschzok meint erzählt ein Kirchenraum seine Geschichte, die sich aus den in ihm<br />

gefeierten Gottesdiensten <strong>und</strong> den in ihm gesprochenen Gebeten zusammensetzt, wobei ich<br />

letzteren auch die persönliche Andacht zurechnen würde. Wer nun diesen Raum betritt <strong>und</strong> in<br />

der Lage ist die Spuren Christi zu lesen, die sich durch die gottesdienstliche Nutzung im<br />

Raum erhalten, <strong>für</strong> den wird er „im Raum wieder gegenwärtig.“ 146 Für andere ist es eher ein<br />

„diffuses Raumgefühl“ wie Mertin es beschrieben hat <strong>und</strong> wieder andere verlassen den<br />

Kirchenraum vielleicht völlig „unbeeindruckt“. An dieser Stelle zeigt sich das heterotopische<br />

Merkmal der Öffnung <strong>und</strong> Schließung, die Heterotopie, in diesem Falle der Kirchenraum, ist<br />

nicht <strong>für</strong> alle auf die gleiche Weise zugänglich, auch wenn sie ihn gleichermaßen physisch<br />

betreten können.<br />

Wichtig <strong>für</strong> einen religiösen Raum, dementsprechend auch <strong>für</strong> Kirchenräume ist <strong>und</strong> bleibt,<br />

dass in ihnen „religiöse Handlungen vollzogen“ werden, dass in ihnen Gottesdienst gefeiert<br />

wird, denn nur indem sie in den gesellschaftlichen Vollzügen mit ihrem eigenen Auftrag<br />

wirksam <strong>und</strong> wahrnehmbar bleiben, können sie „symbolische Orte des Gottesverhältnisses,<br />

Symbole des Religiösen im Urbanen […]“ sein, eine lebendige „Hoffnung auf Gott.“ 147 Nach<br />

Volps semiotischem Verständnis sind Kirchenräume als Texte zu verstehen, die an ihrer<br />

Oberfläche etwas von ihrer Tiefenstruktur preisgeben. 148 In diese Tiefenstruktur sind<br />

vergangene Erfahrungen der Gottesbeziehung eingelagert, die durch die „körperliche<br />

Ingebrauchnahme des Raumes im Überschreiten der Schwelle zum Kircheraum“ wieder<br />

erfahrbar werden. 149 Volp zufolge spricht der Raum eine „eigene Sprache“ die mitteilt, was<br />

im Raum geschehen kann <strong>und</strong> dadurch ist er nicht neutral. 150<br />

Heterotopien zerstören die Syntax 151 , indem sie einen Bruch in der homotopischen Ordnung<br />

darstellen, sie haben eine eigene Sprache, eigene Gesetze <strong>und</strong> dementsprechend hebeln sie die<br />

gegebene Ordnung <strong>und</strong> Zusammenstellung aus, in ihnen hat eine der „Homotopie“<br />

gegenläufige Ordnung Gültigkeit. Sie entziehen sich also in gewisser Weise der Sprache der<br />

„Homotopie“ <strong>und</strong> irritieren.<br />

„Vom Göttlichen gibt es nur Spuren; es wird nicht Phänomen. Spuren stören die Ordnung der Welt,<br />

zerstören sie aber nicht.“ 152<br />

146 Vgl.: ebenda. S. 18.<br />

147 Vgl.: Kranemann. Symbole des Religiösen im Urbanen. In: <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. S. 178; 180.<br />

148 Vgl.: Raschzok, Klaus. <strong>Kirchenbau</strong> <strong>und</strong> Kirchenraum. In: Schmidt- Lauber, Hans-Christoph/ Meyer-Blanck,<br />

Michael/ Bieritz, Karl-Heinrich (Hg.). Handbuch der Liturgik. 3. Auflage. Göttingen 2003, S. 398.<br />

149 Vgl.: ebenda.<br />

150 Vgl.: Zimmerling. Heilige Räume im Protestantismus. S. 29. <strong>und</strong> Volp, Rainer. Liturgik. Die <strong>Kunst</strong> Gott zu<br />

feiern. Band 2. Theorien <strong>und</strong> Gestaltung. Gütersloh 1994, S. 993.<br />

151 Vgl.: auch Sander. Heterotopien – Orte der Macht <strong>und</strong> Orte <strong>für</strong> Theologie. S. 110.<br />

152 Nach Peter Biehl. In: Umbach, Helmut. Heilige Räume – Pforten des Himmels. Vom Umgang der<br />

Protestanten mit ihren Kirchen. Göttingen 2005, S. 304.<br />

28


Auch die Heterotopien zerstören sie nicht, denn sie brauchen die „Homotopie“ um wirksam<br />

zu werden, sie unterbrechen sie vielmehr.<br />

Ehrfurcht ist gegenüber dem Raum, „die dem Spurencharakter angemessene Verhaltensweise, die die<br />

Balance zwischen ontologischem <strong>und</strong> funktionalem Verständnis des Kirchenraumes wahrt.“ 153<br />

Das Heterotopie-Konzept ist anschlussfähig an explizite Theoriemodelle <strong>für</strong> den<br />

Kirchenraum, die es möglich machen den Raum körperlich-leiblich wahrzunehmen <strong>und</strong> in<br />

ihm zu „lesen“. In der bisherigen Rezeption zeichnet sich das Potenzial der Heterotopologie<br />

ab, dass beispielsweise Bahr <strong>und</strong> Fries ihr zugestehen, wenn sie darin je eine „Folie“ <strong>für</strong> die<br />

Betrachtung von zukünftigen Aufgaben der Stadtkirche sehen, beispielsweise <strong>für</strong><br />

ökumenische Aufgaben in einem multireligiösen Umfeld. Bahr findet in Foucaults<br />

Heterotopie-Begriff eine Kategorie, die es möglich macht ein „Mehr“ zu beschreiben, das<br />

Kirchenräume aus ihrer „homotopischen“ Umgebung heraushebt. Dieses „Mehr“ nennt sie<br />

„symbolische Ablagerungen“ <strong>und</strong> bestimmt diese später als explizit evangelischen<br />

Heterotopos, den sie in Foucaults Überlegungen auszumachen meint. Das ist spannend, denn<br />

diesen „eschatologischen Zug“ findet auch Schieder in Foucaults Heterotopiebegriff, wenn er<br />

Heterotopien als „markante Einsprüche gegen eine ganz <strong>und</strong> gar verzweckte <strong>und</strong><br />

durchrationalisierte Wirklichkeit […]“ bestimmt. 154 Fries hebt besonders das kritische <strong>und</strong><br />

korrigierende Potential der Kirchen hervor, die „[…] hoffnungsstiftende Heimat gegen die<br />

Illusion eines ‚unbedingt gelingen müssenden Lebens’“ sind. Daraus folgt bei Bahr <strong>und</strong> Fries<br />

praktisches Handeln in der direkten Umgebung, in der „Homotopie“, auf die die Kirche als<br />

Heterotopie bezogen ist. Bahr macht deutlich, dass der notwendigen Fremdheit, die unbedingt<br />

zur Heterotopie gehört <strong>und</strong> die sie besonders betont, die Unverfügbarkeit Gottes <strong>und</strong> seines<br />

Wortes angehört. Aber auch der Aspekt der Heimat, der bei Fries noch deutlicher hervortritt,<br />

ist bei ihr vorhanden. Bei Woydack wird der Bruch, den Heterotopien in ihrer Umgebung<br />

auslösen, besonders deutlich <strong>und</strong> ihre innerste Funktion wird offensichtlich. Die Kirche stellt<br />

hier als Denkmal, welches sie in diesem Falle ist, als Fremdkörper in ihrer neuen<br />

verwandelten Umgebung ein unübersehbares mahnendes Fragezeichen an den Umraum dar.<br />

Auch bei Frick wird deutlich, wie sich der Sakralraum der Gesamtkultur als „Funktions-<br />

Pause“ entgegenstellt. An seinem Beispiel des Freiburger Münsters, in dem sich gerade viele<br />

Touristen aufhalten, fleißig Fotografieren <strong>und</strong> Erzählen, veranschaulicht er wie ein anderer<br />

Raum im Raum entsteht – ein Raum aus Klang, Licht <strong>und</strong> Menschen – der auf eine Art ein<br />

153 Nach Brunner. In Raschzok. <strong>Kirchenbau</strong> <strong>und</strong> Kirchenraum S. 400.<br />

154 Vgl.: Schieder, Rolf. Dorfkirchen als Orte der Identifikation. Kirchbaufördervereine in praktischtheologischer<br />

Perspektive. In: Pastoral-Theologie. 95. Jg. 10/2006, S. 447.<br />

29


irritierendes Moment <strong>für</strong> die vorherigen Aktivitäten darstellt. Hier wird meines Erachtens<br />

anschaulich, was Löw mit „Spacing“ <strong>und</strong> „Syntheseleistung“ meint. 155 Der Raum im materiell<br />

umbauten Raum entsteht durch Platzierungen, es werden eine Harfenistin, ihr Instrument <strong>und</strong><br />

Kerzen platziert, <strong>und</strong> dementsprechend auch relational im Raum positioniert. Das geschieht<br />

einerseits durch das aktive Handeln der Harfenisten <strong>und</strong> der Franziskanerin, die das folgende<br />

Geschehen mündlich ankündigt <strong>und</strong> andererseits durch die anwesenden Besucher <strong>und</strong><br />

Besucherinnen, die sie dazu einlädt. Damit nun ein Raum gänzlich entsteht, braucht es<br />

ebenfalls ein „Spacing“ der Menschen, die sich mindestens auf zwei Weisen platzieren <strong>und</strong><br />

positionieren können. Entweder platzieren sie sich, um den Raum mit aufzuspannen, oder sie<br />

wenden sich ab <strong>und</strong> verlassen sozusagen diesen Raum. Dabei passiert schon die<br />

„Syntheseleistung“, denn man kann sich nur platzieren, indem man zugleich das Umgebende,<br />

beispielsweise Menschen <strong>und</strong> Materielles, aber auch Symbolisches zu Räumen verknüpft.<br />

Genau das machen wir permanent, um uns im Verhältnis zu dem uns Umgebenden zu<br />

verorten. 156 Unter anderem wird es nun möglich das vorgef<strong>und</strong>ene Ensemble aus Menschen,<br />

Licht, Klang <strong>und</strong> sprachlicher Stille durch die eigene Wahrnehmung als einen Raum<br />

aufzufassen, da sich die Elemente zueinander verhalten, damit erfolgt die Raumwahrnehmung<br />

je subjektiv. In diese spielt wechselwirkend mit der konstruierenden Wahrnehmung des<br />

Raumes auch die Außenwirkung, die von den sozialen Gütern <strong>und</strong> Menschen ausgeht, hinein.<br />

Aus beidem ergibt sich das, was wir als Atmosphäre bezeichnen.<br />

An dem zunehmenden Tourismus in Kirchen, aber auch an der Annahme des von Frick<br />

beschriebenen „Spielraums des Heiligen“, inmitten des touristischen Treibens, zeigt sich das<br />

Bedürfnis nach religiösen Räumen, das Mertin bereits in den späten 1990er Jahren feststellt.<br />

Er merkt aber auch an, dass Räume <strong>für</strong> Alteritätserfahrungen nicht gebaut werden können.<br />

Das mag sicherlich zutreffen, aber wie sich am vorherigen Beispiel ablesen lässt, gibt es<br />

„Arrangements“, denen eher eine Möglichkeit <strong>für</strong> solche gegenläufigen Erfahrungen<br />

innewohnt.<br />

Woydack hat Foucaults Heterotopie-Konzept als ein offenes soziologisches Konstrukt<br />

beschrieben. Diese Offenheit ermöglicht unter anderem eine Nutzung in Bezug auf die<br />

Gesamtgesellschaft, <strong>und</strong> wie durch die exemplarische Rezeption in der Literaturwissenschaft<br />

gezeigt, ebenso <strong>für</strong> ein einzelnes Individuum, um dessen Verhaltensänderung zu beschreiben,<br />

die anscheinend mit dem physischen Wechsel von der Homo- in die Heterotopie korreliert.<br />

Das gilt auch <strong>für</strong> Kirchenräume, in denen zumeist Stille als eine angemessene<br />

155<br />

Vgl.: Löw. Raumsoziologie. S. 152ff; 229. Die folgenden Ausführungen haben hier ihre theoretische<br />

Gr<strong>und</strong>lage.<br />

156<br />

Vgl.: Woydack. Raum, Glaube, Mensch <strong>und</strong> Kirche. S. 18.<br />

30


Verhaltensweise erscheint <strong>und</strong> die sich scheinbar „automatisch“ beim Übertreten der<br />

Schwelle einstellt. Das geschieht größtenteils durch die unbewusste Wahrnehmung der<br />

Atmosphäre <strong>und</strong> der „räumlichen Struktur […] die Handlungs- <strong>und</strong><br />

Bewegungsmöglichkeiten“ 157 vorgeben.<br />

Schieder verweist in seiner Auseinandersetzung mit „Kirchen als Heterotopien“ auf Foucaults<br />

Konzept als einer „bescheideneren Topologie“ einer nicht „religiösen Theorie“, mit der der<br />

Ort Kirche in seinem Ensemble von anderen Orten, auf die er bezogen ist <strong>und</strong> von denen er<br />

sich gleichzeitig unterschiedet, beschreibbar wird. 158 Ähnlich geht das Konzept der<br />

Heterotopie auch in Diskussionen um den <strong>Kirchenbau</strong> ein: „Ein idealer zukunftsweisender<br />

<strong>Kirchenbau</strong> sollte sich im Sinne der viel zitierten Foucault’schen ‚Heterotopie’ von seiner<br />

Umgebung <strong>und</strong> von gewohnter Wahrnehmung absetzen.“ 159 Es handelt sich also um zweierlei,<br />

Kirchen sollten sich von ihrer Umgebung durch ihre Architektur abheben <strong>und</strong> das Moment<br />

der Fremdheit, der Irritation <strong>und</strong> eben aber auch der Heimat integrieren um andere als die<br />

alltäglichen Wahrnehmungen zu ermöglichen. Diese Alteritätserfahrungen, wie sie bei Mertin<br />

benannt wurden, sind nicht konstruierbar. Dennoch glaube ich, dass es gestaltete Orte gibt, die<br />

diese Erfahrungen eher ermöglichen, sozusagen „Starthilfe“ geben können, als andere.<br />

Damit ist folgendes in jedem Fall gegeben <strong>und</strong> auch deutlich: Kirchen(-räumen) kommt die<br />

von Foucault beschriebene „merkwürdige Eigenschaft“ zu, sich auf alle anderen Orte zu<br />

beziehen, die durch sie bezeichneten Beziehungen zu spiegeln <strong>und</strong> so „der Reflexion<br />

zugänglich“ zu machen. 160 Dadurch wird eine Perspektive eröffnet, welche die Welt, ihre<br />

Lebenszusammenhänge, die Funktionen <strong>und</strong> den Sinn des Lebens durch Kirchen reflektierbar<br />

macht <strong>und</strong> eine Deutung anbietet. Das was gegenwärtig ist, wird in Frage gestellt <strong>und</strong> kann<br />

auf diese Weise als nicht „alles“ <strong>und</strong> bedingungslos sinnvoll <strong>und</strong> richtig entlarvt werden.<br />

Abschließend <strong>und</strong> weiterführend möchte ich folgendes anmerken: Fries meint, dass Kirchen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als heterotopisch zu charakterisieren sind, wie er in einer Rezension, zu<br />

Woydacks „Der räumliche Gott“, hervorhebt. Dieser heterotopische Charakter konstituiert<br />

„seinerseits Gottesbeziehung als räumliches Geschehen, oder besser: Geschehen im<br />

(konkreten) Raum.“ 161<br />

157 Vgl.: Woydack. Der räumliche Gott. S. 70.<br />

158 Vgl.: Schieder. Dorfkirchen als Orte der Identifikation. S. 445.<br />

159 Vgl.: Braun, Helmut. Statement. In: <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. S. 22.<br />

160 Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 320.<br />

161 Vgl.: Fries. Rezension: Woydack. Der räumliche Gott. Was sind Kirchengebäude theologisch? Schenefeld<br />

2005. In: Raumerk<strong>und</strong>ungen. S. 92.<br />

31


4. Systematische Betrachtung der Kommunität Taizé<br />

4.1 Taizé – eine erste Annäherung<br />

Gibt man bei einer bekannten Suchmaschine im Internet die Begriffe „Taizé; Frankreich“ ein,<br />

dann bekommt man erst an dritter Stelle eine Karte angezeigt, auf der das Dorf Taizé in<br />

Frankreich zu finden ist. Die vorherigen Stellen sind von der Homepage der Kommunität<br />

belegt. An dieser Auflistung zeichnet sich schon ab, dass Taizé mehr ist als ein kleines <strong>und</strong><br />

wie es so oft heißt, verschlafenes Dorf in Burg<strong>und</strong>. Taizé liegt zwischen Cluny <strong>und</strong> Cîteaux –<br />

beide blühten im mittelalterlichen Christentum – doch sind sie kaum mehr von Bedeutung.<br />

Gleichwohl ist die „spirituelle Dimension Burg<strong>und</strong>s“ heute lebendig <strong>und</strong> multireligiös. 162<br />

Frère Roger, der Gründer der Kommunität von Taizé, betrachtete die besondere Lage später<br />

als symbolisch. 163 Er gründete in jenem Dorf die erste Kommunität, „die im vergangenen<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert im Raum des Protestantismus in der Traditionslinie vorreformatorischer Orden<br />

entstand.“ 164 Das Gründungsjahr ist nicht eindeutig bestimmbar, einiges spricht <strong>für</strong> das Jahr<br />

1940, in dem Roger Schutz ein leerstehendes Haus in Taizé kaufte. Weitere mögliche<br />

Datierungen wären 1942, als die „Urzelle“ der späteren Kommunität entstand <strong>und</strong> sich ihm<br />

Max Thurian <strong>und</strong> Pierre de Souvairan anschlossen, oder aber Ostern 1949 „als die ersten<br />

sieben Brüder ihre Profeß ablegten“ – nach Stökl ist diese Ungewissheit „bezeichnend <strong>für</strong> das<br />

Desinteresse der Brüder an der Vergangenheit ihrer Gemeinschaft.“ 165 Festgelegt wird das<br />

‚Geburtsdatum’ der Kommunität schließlich auf die letzte der drei Möglichkeiten. 166 Aktuell<br />

findet sich auf der Homepage, dass Taizé im Jahr 2010 sein 70-jähriges Bestehen feierte. 167<br />

Die „Regel von Taizé“ verfasste der Prior Frère Roger erst 1952/53 auf „Bitten seiner<br />

Brüder“, dabei beschränkte er sich auf Wesentliches um die Möglichkeit einer späteren<br />

Anpassung an „neue Verhältnisse“ zu wahren, wobei der „ökumenische Gedanke“ von<br />

Beginn an eine bedeutsame Rolle spielte. 168 1969 wurde der erste Katholik Bruder der<br />

Kommunität, doch bereits zuvor gab es Annährungen an die katholische Kirche <strong>und</strong><br />

besonders „Papst Johannes XXIII. hatte wesentlichen Anteil an der Intensivierung des<br />

ökumenischen Engagements der Kommunität“, dem ebenfalls die „Ökumene ein<br />

162<br />

Vgl.: Strack, Christoph. Taizé bei Cluny, Cluny bei Taizé. In: Nientiedt, Klaus (Hg.). Taizé – Weltdorf <strong>für</strong><br />

innere Abenteuer. Freiburg im Breisgau 2006, S. 61ff.<br />

163<br />

Vgl.: Paupert, Jean-Marie. Taizé <strong>und</strong> die Kirche von morgen. Luzern 1969, S. 43.<br />

164<br />

Vgl.: Zimmerling, Peter. Die Communauté von Taizé – eine ökumenische Herausforderung an den deutschen<br />

Protestantismus. In: Una Sancta. 1/2007, S. 199.<br />

165<br />

Vgl.: Stökl, Andreas. Taizé. Geschichte <strong>und</strong> Leben der Brüder von Taizé. 3. Auflage. Gütersloh 1977, S. 16.<br />

166<br />

Vgl.: ebenda. S. 35.<br />

167<br />

Vgl.: http://www.taize.fr/de_article11167.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

168<br />

Vgl.: Stökl. Taizé. S. 103; 108. <strong>und</strong> Zimmerling. Die Communauté von Taizé. S. 200.<br />

32


Herzensanliegen“ war. 169 Den wöchentlichen Jugendtreffen von heute – dem „Pilgerweg des<br />

Vertrauens auf der Erde“ 170 – gingen sogenannte Baugemeinschaften voraus, zu ihnen<br />

gehörten beispielsweise auch zwei Gruppen der ‚Aktion Sühnezeichen’, „die 1961/62 die<br />

Versöhnungskirche bauten.“ 171 Nach der Einweihung der Kirche am „6. August 1962 – Tag<br />

der Verklärung Christi“, zu der die „Crème der Ökumene“ – führende Vertreter der<br />

verschiedenen Kirchen – <strong>und</strong> tausende Besucher kamen, riss der Gästestrom nicht mehr ab. 172<br />

Seit 1966 gibt es die interkontinentalen ökumenischen Jugendtreffen, deren Form sich in der<br />

Zeit immer wieder wandelte, 1974 wurde das vorbereitete „Konzil der Jugend“ eröffnet <strong>und</strong><br />

die Treffen gingen Ende der 1970er Jahre in den Pilgerweg des Vertrauens über. 173 Heute<br />

leben in der Kommunität von Taizé fast einh<strong>und</strong>ert Brüder, sie gehören teilweise der<br />

katholischen Kirche an, viele sind aber auch „Mitglieder verschiedener evangelischer<br />

Kirchen“ <strong>und</strong> sie kommen aus mehr als 25 verschiedenen Ländern. 174<br />

Es ist gar nicht leicht, diesen besonderen Ort <strong>und</strong> das Geschehen, das sich dort Woche <strong>für</strong><br />

Woche immer wieder neu ereignet, in Worte zu fassen. Wenn man Menschen von Taizé<br />

erzählt, die noch nicht dort waren <strong>und</strong> die eigene Atmosphäre erlebt haben dann reicht ein<br />

Bericht des Tagesablaufes nicht aus, um ihnen etwas von der persönlichen Berührung <strong>und</strong><br />

Faszination zu vermitteln – was auch nicht weiter verw<strong>und</strong>ert. Dennoch kurz zu diesem<br />

Rahmen: Der Tag wird von drei gemeinsamen Gebeten der Brüder <strong>und</strong> der Besucher in der<br />

Versöhnungskirche bestimmt. Das Glockenläuten ist das Zeichen <strong>für</strong> alle sich dort je vor dem<br />

Frühstück, dem Mittagessen <strong>und</strong> nach dem Abendessen zu versammeln. Frère Alois<br />

bezeichnet diese Gebete als „Herz des Lebens“. 175 Nach dem Frühstück gibt es eine<br />

Bibelarbeit die von einem Bruder angeleitet wird <strong>und</strong> im Anschluss daran folgt ein Austausch<br />

über die behandelte Bibelstelle in wöchentlich gleich bleibenden Kleingruppen von annährend<br />

gleichaltrigen Besucherinnen <strong>und</strong> Besuchern. Für den Nachmittag kann man auswählen, ob<br />

man an einer weiteren Bibel- oder Themengruppe teilnehmen oder arbeiten möchte.<br />

Diese sehr verkürzte Beschreibung der Tage in Taizé 176 würde die meisten Jugendlichen <strong>und</strong><br />

Erwachsenen wohl nicht dazu veranlassen umgehend dorthin, auf „den Hügel“ nach<br />

169<br />

Vgl.: Zimmerling. Die Communauté von Taizé. S. 201.<br />

170<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. „Es gibt eine Stimme des Herzens“. Fragen an den Prior <strong>und</strong> Gründer<br />

der Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra.<br />

2004, S. 5.<br />

171<br />

Vgl.: Stökl. Taizé. S. 187.<br />

172<br />

Vgl.: ebenda. S. 152ff.<br />

173<br />

Vgl.: ebenda. S. 184ff. Ausführliche Darstellung der Entwicklungen.<br />

174<br />

Vgl.: http://www.taize.fr/de_article6599.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011). Nicht alle leben vor Ort.<br />

175<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. In der Versöhnungskirche. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 25.<br />

176<br />

Vgl.: http://www.taize.fr/de_article5503.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011). Für eine ausführliche<br />

Beschreibung der Jugendtreffen in Taizé.<br />

33


Frankreich, zu reisen. Es ist aber eine Tatsache, dass genau diesen Weg, jede Woche bis zu<br />

6000 Menschen aus der ganzen Welt auf sich nehmen. 177<br />

Um das Geschehen, welches sich vor Ort ereignet, zu erfassen bedarf es eines subjektiven<br />

Erlebens <strong>und</strong> auch nur als solches ist es kommunizierbar. Für mich bedeutet Taizé zuerst: Der<br />

Sehnsucht der Menschen nach einem Leben in Gemeinschaft <strong>und</strong> in Einfachheit Raum zu<br />

geben. Besonders die Gebete in der Versöhnungskirche tragen zu der besonderen Erfahrung<br />

bei, das gemeinsame Singen der ganz eigenen Taizélieder – die „Einsprachigkeit in der<br />

Mehrsprachigkeit“ 178 – <strong>und</strong> das gemeinsame Schweigen, indem man ganz bei sich <strong>und</strong><br />

zugleich verb<strong>und</strong>en mit allen anderen ist. In der Versöhnungskirche sitzen alle auf dem mit<br />

Teppich ausgelegten Boden um die Brüder, die im vorderen Teil der Kirche ihren Platz haben,<br />

symbolisch getrennt durch eine Buchsbaumhecke. Im Winter 1967/68 haben sie den „Altar<br />

samt Podest, Kanzel <strong>und</strong> der niedrigen Mauer“ um ihre Plätze abgebrochen um eine<br />

„anpassungsfähigere […] Raumaufteilung“ möglich zu machen, denn laut Frère Roger macht<br />

„Beton […] starr <strong>und</strong> ruft den Eindruck von Stärke hervor.“ 179 Die Differenz zwischen<br />

Brüdern <strong>und</strong> Gästen bleibt auch ohne feste Grenzen gewahrt <strong>und</strong> bedarf keiner Verstärkung.<br />

Der gesamte Innenraum ist durch die in der Apsis angebrachten orangefarbenen Tücher in ein<br />

warmes Licht getaucht, das durch die beinahe unzähligen Kerzen, die im Altarbereich in<br />

gestapelten Tonrahmen angeordnet sind, sanft verstärkt wird. Ein sehr dezentes eisernes<br />

Kreuz befindet sich im direkten Sichtfeld, dessen Kreuzbalken laufen sich in „vier Herzen aus<br />

[…] – ein Ausdruck der Liebe.“ 180 Das Miteinander von Taizé hat mich stark beeindruckt,<br />

tausende Menschen an einem Ort, an Ostern besonders viele, im lebendigen Austausch über<br />

Glauben <strong>und</strong> Leben.<br />

4.2 Taizé – heterotopologisch betrachtet<br />

Man kann sicher sagen, dass Taizé ein besonderer Ort ist, hervorgerufen durch das<br />

Geschehen, das sich dort zuträgt. Aber handelt es sich auch um eine Heterotopie im Sinne<br />

Foucaults? Das soll nun untersucht werden. Im bisherigen Verlauf haben wir gesehen was<br />

dazu gegeben sein muss <strong>und</strong> das religiöse Räume, wie bei Mertin beschrieben, <strong>und</strong> Kirchen<br />

an sich „heterotopischen Charakter“ haben. Taizé ist ein spezieller Fall, wie noch deutlich<br />

177<br />

Vgl.: auch Repges, Walter. Burg<strong>und</strong>. Auf den Spuren Bernhards von Clairvaux in Citeaux, Cluny <strong>und</strong> Taizé.<br />

Frankfurt am Main 1999, S. 104.<br />

178<br />

Vgl.: Kreuels, Matthias. Singende Meditation. In: Nientiedt, Klaus (Hg.). Taizé - Weltdorf <strong>für</strong> innere<br />

Abenteuer. Freiburg im Breisgau 2006, S. 130.<br />

179<br />

Stökl. Taizé. S. 109.<br />

180<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Vier Herzen am Kreuz. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 11.<br />

34


werden wird, denn es handelt sich mit Nientiedt gesprochen um ein „Weltdorf <strong>für</strong> innere<br />

Abenteuer.“ 181 Wie sich gleich herausstellen wird lässt sich Taizé als Dorf <strong>und</strong> als Raum des<br />

Lebens der Kommunität verorten. Zudem ist Taizé aber auch ein „Weltdorf“ in dem Sinne,<br />

dass beinahe jede Woche dort real Menschen aus nahezu allen Teilen der Welt<br />

zusammenkommen, was es in jedem Fall heterotopisch macht. Auch die verschiedenen<br />

Häuser <strong>und</strong> Bereiche auf dem Gelände der Kommunität tragen Bezeichnungen von Ländern<br />

<strong>und</strong> bedeutsamen Orten der Welt, so kommt die Welt auch symbolisch<br />

zusammen. 182 Außerdem gehen die Brüder selbst in die Welt <strong>und</strong> leben an anderen Orten, was<br />

die Kommunität auch anderswo – netzartig – verortbar werden lässt. Die „inneren Abenteuer“<br />

geben einen Hinweis auf „Räume“, die noch mit einem Außen korrelieren, sich zu einem<br />

großen Teil aber im Inneren entfalten <strong>und</strong> möglicherweise von dort wieder nach außen<br />

wirken.<br />

4.2.1 Taizé – ein realer Ort<br />

Foucault interessierte sich <strong>für</strong> „reale Orte, jenseits aller Orte“, solche die also gleichzeitig im<br />

physischen Raum verortbar <strong>und</strong> auf eine besondere Weise „jenseitig“ sind, im Sinne eines<br />

deutlichen Bruchs mit dem Umraum. Taizé findet sich auf Landkarten – 46° Nord, 4° Ost –<br />

<strong>und</strong> dementsprechend kann man das Dorf bei Google Earth auch virtuell aus verschiedenen<br />

Perspektiven betrachten. 183 Dabei ist bemerkenswert, dass die festen <strong>und</strong> temporären Gebäude<br />

der Kommunität – mit letzteren sind die großen blauen Zelte <strong>und</strong> die vielen Privatzelte<br />

gemeint – sich links der Dorfstraße ansiedeln, wie eine Art Neubaugebiet, das „jedes Jahr im<br />

Februar“ 184 neu aufgebaut wird <strong>und</strong> ihnen gegenüber, entlang der rechten Seite befinden sich<br />

die älteren Baracken, die Versöhnungskirche <strong>und</strong> sozusagen ein Dorfplatz, auf dem sich ein<br />

Großteil des Lebens in Taizé ereignet, beispielsweise finden dort Bibelarbeiten statt <strong>und</strong> es<br />

wird gemeinsam gegessen. So entsteht aus der Vogelperspektive ein viereckiger Raum, mit<br />

kleinen Anhängen südlich <strong>und</strong> nördlich. Von Süden kommend, befindet sich der alte Teil des<br />

Dorfes, in dem die Häuser der ca. 165 Dorfeinwohner stehen <strong>und</strong> wo sich auch die<br />

181<br />

Vgl.: Buchtitel bei Nientiedt.<br />

182<br />

Vgl.: beispielsweise „Douala“ ist die größte Stadt in Kamerun <strong>und</strong> bezeichnet in Taizé den Zeltplatz.<br />

http://www.kdjc.de/taize_chemnitz/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=14 (zuletzt eingesehen am<br />

16.08.2011).<br />

183<br />

Vgl.: Taizé-Map. http://www.maplandia.com/france/bourgogne/saone-et-loire/macon/taize/ (zuletzt<br />

eingesehen am 16.08.2011).<br />

184<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Die Zeltstadt. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 24.<br />

35


omanische Dorfkirche aus dem 12. Jahrh<strong>und</strong>ert befindet. 185 Es ist wahrscheinlich, dass die<br />

Brüder in der Zahl bereits mit eingerechnet sind. Verlässt man das Dorf nach Norden in<br />

Richtung Ameugny, dann befinden sich vor dem Ortsausgang rechtsseitig noch weitere<br />

Zeltplätze der Kommunität <strong>und</strong> der Zugang zur „Quelle St. Etienne“, einer parkähnlichen<br />

idyllischen Anlage mit eigener Kapelle, die zum Spazierengehen <strong>und</strong> Nachdenken in der<br />

Stille geöffnet wird. Die „riesige“ Versöhnungskirche befindet sich zentral. Schaut man sich<br />

auch unter diesem Gesichtspunkt das Gelände der Kommunität entweder bei Google Earth,<br />

oder dem Plan, den man vor Ort bekommt an, wird der Eindruck, dass es sich dem Aufbau<br />

nach dabei um ein ganz eigenes Dorf handelt, verstärkt.<br />

4.2.2 Taizé – Homotopie <strong>und</strong> Heterotopie<br />

Im Gegensatz zu dem Taizé, das bereits vor der Gründung der Kommunität existierte <strong>und</strong><br />

auch heute noch existiert, ist das Taizé der Kommunität, dieses eigene <strong>und</strong> beinahe<br />

unabhängige Dorf, eines mit nur temporären <strong>und</strong> meistens sehr vielen Bewohnern. Fast<br />

ganzjährig ist es – Weihnachten ausgenommen – von wöchentlichen Besuchern, oder auch<br />

Menschen, die länger mit den Brüdern leben, bevölkert. Es gibt scheinbar kaum mehr Bezüge<br />

zum alten Taizé – welches wie eine aus Stein gebaute Kulisse wirkt, wenngleich sich das<br />

Haus der Brüder dort befindet woran die romanische Dorfkirche angrenzt. Sie war bereits zu<br />

Gründungszeiten der Kommunität verlassen <strong>und</strong> der damalige Pfarrer der Gegend stimmte<br />

sofort zu, als die Brüder ihn darum baten dort beten zu dürfen. 186 Heute ist die Dorfkirche<br />

genau wie die Versöhnungskirche ganztägig geöffnet <strong>und</strong> lädt zur Stille ein, außerdem wird<br />

dort jeden Freitagabend ein evangelischer Gottesdienst mit Abendmahl gefeiert. 187 Das<br />

Gelände der Kommunität bildet einen starken Kontrast zum alten Dorf <strong>und</strong> seiner Dorfkirche,<br />

in dem man eher Eidechsen antrifft, die sich auf den alten Steinmauern der Häuser sonnen, als<br />

dass man einem Einwohner oder einer Einwohnerin begegnet. Die kleine Kirche mit dem<br />

angrenzenden Friedhof – der selbst als heterotopisch zu charakterisieren ist – auf dem sich<br />

auch das schlichte Grab von Frère Roger befindet, strahlt, unterstützt durch ihre Bauart 188 <strong>und</strong><br />

den Baustoff, die sichtbaren Steine, „Festigkeit <strong>und</strong> Ruhe aus.“ 189 Die Zeit scheint<br />

185<br />

Vgl.: Burg<strong>und</strong>: Taizé. http://www.frankreich-experte.de/fr/2/2804/taize.html (zuletzt eingesehen am<br />

16.08.2011).<br />

186<br />

Vgl.: auch Stökl. Taizé. S. 33.<br />

187<br />

Vgl.: auch Zimmerling. Die Communauté von Taizé. S. 205.<br />

188<br />

Vgl.: „Romanische Kirchen mit ihren dicken Wänden <strong>und</strong> ger<strong>und</strong>eten Fenstern vermitteln Schutz <strong>und</strong><br />

Geborgenheit wie eine feste Burg.“ Aus dem Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe <strong>für</strong> die Evangelische Kirche<br />

im Rheinland […] 1996, S. 1232. In: Klie. Der Religion Raum geben. S. 68.<br />

189<br />

Böhme. Anmutungen. S. 99.<br />

36


stillzustehen, in der Kirche ist es im Sommer angenehm kühl <strong>und</strong> es riecht „nach Kerzen <strong>und</strong><br />

Messing, immer gleich“ 190 <strong>und</strong> doch ist sie durch die vielen Besucher in Berührung mit dem<br />

Leben – kann wirken. Außerdem prägt sie das Profil des Dorfes, ihr Turm ist sichtbar, wenn<br />

man auf Taizé zukommt. Den Glockenturm der Kommunität <strong>und</strong> die Versöhnungskirche,<br />

beide befinden sich nicht am selben Ort, kann man hingegen nicht auf Anhieb sehen. Das<br />

Dorf steinerne Festigkeit aus, doch das wirkt eher kulissenhaft-unbelebt, wie um den starken<br />

Bruch zur Kommunität noch hervorzuheben, die gewollt provisorisch 191 ist, in Beziehung zur<br />

Welt bleibend, bereit auf Entwicklungen einzugehen, lebendig. 192 Die kleine Dorfkirche<br />

könnte als eine Art Brücke zwischen der Kommunität <strong>und</strong> dem Dorf beschrieben werden, da<br />

sie ursprünglich zum Dorf gehörend, dessen Profil prägt, „ihr haftet die Aura des Alten an“ 193<br />

– wurde sie doch von der Kommunität neu belebt <strong>und</strong> bleibt in deren Bezüge aufgenommen.<br />

Das alte Dorf Taizé lässt sich als Homotopie der Kommunität <strong>und</strong> ihres „Dorfes“ fassen,<br />

beide sind wechselseitig aufeinander bezogen.<br />

4.2.3 Gründungsursachen <strong>und</strong> erste Entwicklungen<br />

Die Kommunität Taizé lässt sich als ein anderer Ort beschreiben, dessen Entwicklung die<br />

Gesellschaft, denkt man dabei an die Besucher, die sich bereits ziemlich zu Anfang immer<br />

zahlreicher nach Taizé begaben, mindestens mitbestimmt hat, bis heute.<br />

Nach Stökl können die beiden Ursachen, nämlich „die besondere Situation der Kriegs- <strong>und</strong><br />

Nachkriegszeit“ <strong>und</strong> „ein Gemeinschaftserlebnis“, die oft benannt werden um die „Entstehung<br />

<strong>und</strong> die Existenz der Communauté“ zu beschreiben, diese nicht erklären. 194 Seiner Meinung<br />

nach sind die Ursprünge bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Schutz lebendig <strong>und</strong> nur dort<br />

zu suchen, denn wie „alle großen Ordensgründungen in der Geschichte der Kirche verdankt<br />

auch die Communauté ihre Entstehung einzig <strong>und</strong> allein der kühnen Vorstellungskraft <strong>und</strong><br />

unerschrockenen Beharrlichkeit nur eines Mannes.“ 195 Die entscheidende Zeit zur späteren<br />

„ökumenischen <strong>und</strong> monastischen Berufung“ sei die Jugendzeit Schutz’ gewesen, in der er<br />

sich selbst als ungläubig bezeichnet <strong>und</strong> gerade diese „Unberührtheit“ hätte es ihm ermöglicht<br />

die eigene protestantische Familie <strong>und</strong> die katholische Familie, in der er zu dieser Zeit lebte,<br />

zu beobachten. Ihn beschäftigte, „wie sie Gott <strong>und</strong> den Nächsten lieben konnten <strong>und</strong> trotzdem<br />

190<br />

Schutz, Roger. Besuch bei Frère Roger. Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé erzählt aus seinem Leben.<br />

In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 15.<br />

191<br />

Vgl.: Stökl. Taizé. S. 12.<br />

192<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Der Platz vor der Kirche. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 22.<br />

193<br />

Schieder. Dorfkirchen als Orte der Identifikation. S. 449.<br />

194 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 17.<br />

195 Vgl.: ebenda. S. 17f.<br />

37


getrennt blieben“, <strong>und</strong> charakterisierte dies als einen „absurden Zustand.“ 196 Schutz beschreibt<br />

seine Jugendzeit, als eine „in der es viele Risse <strong>und</strong> Auseinandersetzungen unter den<br />

Menschen quer durch ganz Europa gab.“ Er stellte sich die zwei folgenden Fragen: „Warum<br />

dieses gegenseitige Sichbekämpfen […]. Und: „Gibt es auf unserer Erde einen Weg, der so<br />

weit führt, alles vom anderen zu verstehen?“ Er gab sich eine Antwort darauf, indem er an<br />

einem Tag, den er genau bestimmen kann „einen Entschluß faßte. […] Wenn es diesen Weg<br />

gibt, beginne bei dir selbst <strong>und</strong> engagiere dich selbst.“ 197 Die weiteren Entwicklungen können<br />

hier nicht näher erläutert werden, es wurde bereits erwähnt, dass Schutz 1940 ein Haus in<br />

Taizé kaufte. Seine Entscheidung dazu wird in der Literatur immer wieder mit einer<br />

Begegnung mit einer Frau im damaligen Taizé begründet, die ihn aufforderte dort zu bleiben,<br />

weil die Dorfbewohner „allein <strong>und</strong> einsam“ seien <strong>und</strong> Schutz meinte darin Christus zu<br />

hören. 198 In den ersten Jahren der Gemeinschaft bauten sich die Brüder eine eigene<br />

Landwirtschaft auf, kümmerten sich um deutsche Kriegsgefangene <strong>und</strong> um Kriegswaisen. Zu<br />

dieser Arbeit <strong>und</strong> dem Gebet, die ihr Leben bestimmten kamen viele Gäste, es gab manche<br />

mit theologischem Hintergr<strong>und</strong>, „viele Priester <strong>und</strong> Mönche“, aber auch welche, die einfach<br />

neugierig auf die protestantische Gemeinschaft waren. 199<br />

4.2.4 Die alte Dorfkirche wird zur Abweichungsheterotopie – erstes Merkmal<br />

Auch wenn Stökl den Entstehungsgr<strong>und</strong> Taizés dezidiert vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

bestimmt, so tritt dennoch hervor, dass darin krisenhaftes Erleben eine Rolle spielte <strong>und</strong> auch<br />

in der Entscheidung das Haus in Taizé zu kaufen schwingt so etwas mit. Schutz bezeichnete<br />

den Zustand der Trennung unter den Christen als „absurd.“ Er stellte die (kriegerischen)<br />

Auseinandersetzungen der Menschen infrage <strong>und</strong> beschloss selbst zu handeln <strong>und</strong> in seinem<br />

Leben herauszufinden, ob Gegenteiliges möglich ist. Die Anekdote mit der Dorfbewohnerin<br />

versprachlicht, ob sie sich so zugetragen hat sei dahingestellt, ebenfalls eine Krise, nämlich<br />

die des Dorfes. Taizé lässt sich nicht direkt im Sinne der biologischen Krisen, die Foucault<br />

vorschwebten, bestimmen, aber die wahrgenommen zwischenmenschlichen Krisen bewegten<br />

Schutz dazu, die Kommunität zu gründen <strong>und</strong> auch der Ort, wo er sie gründete lag derzeit „im<br />

Sterben“. Demnach kann Taizé – abweichend von Foucault – dennoch als Krisenheterotopie<br />

196 Vgl.: ebenda, nach Schutz. S. 20.<br />

197 Vgl.: ebenda. S. 22.<br />

198 Vgl.: ebenda. S. 25.<br />

199 Vgl.: ebenda. S. 30f.<br />

38


estimmt werden, denn die Kommunität sollte Raum <strong>für</strong> anderes Leben bieten, als <strong>für</strong> das,<br />

welches bisher als absurd <strong>und</strong> unverständlich erfahren wurde.<br />

Durch die steigende Zahl der Gäste, besonders der nicht-katholischen, brauchten die Brüder<br />

eine Alternative <strong>für</strong> ihre kleine „provisorische Kapelle“ im Haus <strong>und</strong> traten mit dem<br />

damaligen Bischof Lebrun in Kontakt <strong>und</strong> stellten ihn vor die Wahl entweder ein<br />

„Simultaneum“ in der Kirche einrichten zu dürfen, (wodurch eben heterotopisch Räume<br />

nebeneinander gestellt würden), oder eine neue protestantische Kirche zu bauen – was ihnen<br />

sehr widerstrebte. Er entschied sich mit folgender Begründung <strong>für</strong> ersteres: „Taizé hat heute<br />

73 Einwohner. Es ist ein sterbendes <strong>und</strong> entchristlichtes Dorf.“ 200 Mit dieser Aussage ist<br />

unterstrichen, dass sich das Dorf Taizé zur damaligen Zeit in einer Krise befand – es gab dort<br />

kaum noch dörfliches <strong>und</strong> noch weniger damit verknüpftes <strong>kirchliche</strong>s Leben. Die Kirche<br />

lässt sich in ihrem neu entstandenen Kontext eher als „Abweichungsheterotopie“ bestimmen,<br />

denn sie bot – ehemals römisch-katholisch genutzt – der Kommunität, einer protestantischen<br />

Mönchsgemeinschaft, in den folgenden Jahren Raum <strong>für</strong> Gebete <strong>und</strong> Gottesdienste, in einer<br />

zwar „entchristlichten“, aber dennoch katholisch geprägten Umgebung. Die Kirche hatte in<br />

ihrem vormaligen Ensemble, in dem sie sich räumlich auch heute noch befindet, ihre Funktion<br />

verloren, denn als dezidiert christliches Gebäude wurde sie kaum noch gebraucht. Doch mit<br />

der Kommunität, deren Lebendigkeit <strong>und</strong> Vergrößerung sie Entfaltungsraum eröffnete, stellte<br />

sie sich als „Gegenort“ in einer „sterbenden“ Umgebung dar, der sie räumlich selbst<br />

angehörte.<br />

Foucault dachte bei „Abweichungsheterotopien“ an „Orte, an denen man Menschen<br />

unterbringt, deren Verhalten vom Durchschnitt oder von der geforderten Norm abweicht.“ 201<br />

Das ist hier im eigentlichen Sinne nicht gegeben, auch wenn die Brüder als protestantische<br />

Gemeinschaft die ersten waren, die seit der Reformation ein Leben nach dem Vorbild von<br />

römisch-katholischen <strong>und</strong> orthodoxen Mönchen lebten. 202 Da die Kirche nicht <strong>für</strong> diese<br />

„Abweichung“ errichtet wurde <strong>und</strong> noch weniger dazu dienen sollte, die Brüder wieder in die<br />

umliegende Ordnung zu integrieren, blieb sie vielmehr in die Bezüge der Kommunität <strong>und</strong><br />

baulich in das Dorf eingeb<strong>und</strong>en.<br />

200 Vgl.: ebenda. S. 32. Nachricht vom 22. Mai 1948.<br />

201 Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 322.<br />

202 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 9.<br />

39


4.2.5 Die Wandlung der Funktion der Heterotopie – zweites Merkmal<br />

Heterotopien können von der jeweiligen Gesellschaft im Laufe der Zeit umfunktioniert<br />

werden. Ich werde mich bei diesem Punkt nahe an die Kirchen von Taizé halten, die<br />

zumindest immer mit den Veränderungen korrelieren <strong>und</strong> sich sicher als Heterotopien<br />

bestimmen lassen. Wie im vorherigen Punkt schon deutlich wurde hat die alte Dorfkirche eine<br />

Funktionsveränderung erfahren, sie wurde zwar räumlich in ihrem Umraum belassen, aber<br />

relational in den sich entwickelnden Zusammenhang der Brüdergemeinschaft hineingestellt.<br />

Rudolf Roth meint, es sei schwer zu beschreiben, was sich in Taizé verändert, „denn […] es<br />

verändert sich ständig.“ 203 Ich beschränke mich deshalb hier auf ausgewählte Aspekte, welche<br />

die Veränderung des Kirchenraumes <strong>und</strong> die Liturgie betreffen. Es ist deutlich, dass gerade<br />

die Offenheit <strong>und</strong> das Reagieren auf Entwicklungen elementar zur Kommunität gehören. Als<br />

auch die Dorfkirche zu klein wird kommt es zum Bau der Versöhnungskirche, aus der die<br />

Brüder bereits nach wenigen Jahren den Beton entfernen. Als auch die Versöhnungskirche <strong>für</strong><br />

die Besucher nicht mehr ausreicht machen die Brüder kurzen Prozess <strong>und</strong> reißen die<br />

Vorderwand samt großem Glasfenster heraus <strong>und</strong> erweitern die Kirche erst durch ein großes<br />

Zirkuszelt <strong>und</strong> später durch Fertigbauteile. 204 Der Zustrom der Gäste regelte quasi die<br />

(baulichen) Veränderungen, denn die Brüder hätten sich auch anders entscheiden können, sie<br />

wollten die Gäste aber bewusst nicht wegschicken. Frère Alois beschreibt diese<br />

Entscheidungen als „Zeichen da<strong>für</strong>“, wie die Kommunität leben will, sie will die aktuellen<br />

Herausforderungen annehmen. 205<br />

Die kleine Dorfkirche hat durch die Veränderungen einen weiteren Funktionswandel erfahren.<br />

Sie ist nicht mehr Hauptort des Gebets <strong>und</strong> damit des zentralen Geschehens der Kommunität,<br />

aber weiterhin in das Leben auf dem Hügel eingebetet, denn es findet dort, wie bereits<br />

erwähnt, jeden Freitag ein evangelischer Gottesdienst mit Abendmahl statt, die Kirche bildet<br />

ihrerseits einen „Gegenort“ der Stille <strong>und</strong> relativen Abgeschiedenheit. Und der zugehörige<br />

Friedhof beherbergt das Grab von Frère Roger <strong>und</strong> anderen Brüdern der Gemeinschaft.<br />

Die Liturgie hat sich mit der Zeit gewandelt – auch sie bleibt ein Provisorium. 206 In der<br />

Anfangszeit der Kommunität gab es in den Gottesdiensten der Brüder keine Predigt,<br />

stattdessen lasen sie beim Frühstück einen Text aus der Bibel <strong>und</strong> sprachen im Anschluss<br />

203<br />

Rudolf Roth. Seiterich-Kreuzkamp. Heimat im weiten Sinn. Was bedeutet Ihnen Taizé? Fragen an Rudolf<br />

Roth. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 20.<br />

204<br />

Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Der Platz vor der Kirche. S. 22.<br />

205 Vgl.: ebenda.<br />

206 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 120.<br />

40


darüber. 207 Als die Anzahl der Brüder <strong>und</strong> Gäste zunahm wurden die „Tischrede-Predigten“<br />

[…] durch die übliche Gestalt einer Sonntagspredigt“ ersetzt, deren Zeit Frère Max schon<br />

1946 auf eine Viertelst<strong>und</strong>e begrenzte. 208 Es folgten weitere Veränderungen, hin zu<br />

dialogischen Formen <strong>und</strong> seit den 1970er Jahren sind Sonntagspredigten in Taizé sehr selten<br />

geworden. 209 Heute gibt es während des Gebets nur noch eine kurze Schriftlesung in<br />

verschiedenen Sprachen <strong>und</strong> am Donnerstagabend, während des Abendgebets, eine<br />

Ansprache des Priors Frère Alois die simultan über Kopfhörer in verschiedene Sprachen<br />

übersetzt wird. Als Ende der 1960er Jahre immer mehr Besucher nach Taizé kamen begannen<br />

die Brüder eine Gebetsform zu suchen an der alle teilhaben konnten, so entstanden die<br />

„Gesänge aus Taizé.“ 210 Die Liturgie sollt die „Aktion aller“ sein <strong>und</strong> das hört man,<br />

beispielsweise im „Gesang der Psalmen“, denn „im gemeinsamen Gesang der von Gelineau,<br />

Samson <strong>und</strong> Berthier […] vertonten Psalmen zeigt sich unnachahmbar die ‚mitreißende Kraft<br />

der Gemeinschaft’, weil es hier keine Trennung mehr gibt zwischen den Brüdern <strong>und</strong> den<br />

Besuchern ihrer Gottesdienste.“ 211<br />

Bezeichnend <strong>für</strong> den Wandel, die gewollte Veränderung <strong>und</strong> <strong>für</strong> das Wachsen der<br />

Gemeinschaft ist, dass es kein Archiv gibt: „Wir verbrennen alles; wir bewahren nichts<br />

auf.“ 212 Betrachtet man die Entwicklung der Kommunität, dann gehen die Veränderungen mit<br />

dem Wachsen der permanenten <strong>und</strong> temporären Gemeinschaft einher. Die permanente<br />

Gemeinschaft meint die Anzahl der Brüder <strong>und</strong> die temporäre die der Gäste. Zu Anfang lebten<br />

in der Kommunität nur protestantische Brüder. „Wir lebten lange Zeit in gewollter<br />

Einsamkeit, ohne allerdings isoliert zu sein. […] Nach zwanzig Jahren gemeinsamen Lebens<br />

befanden wir uns plötzlich wie in die Öffentlichkeit geworfen.“ 213 Denn aus Taizé war ein<br />

Anziehungspunkt <strong>für</strong> die Jugend <strong>und</strong> Gäste „von außerhalb, außerhalb Frankreichs <strong>und</strong><br />

außerhalb der evangelischen Kirche […] auch derer, die überhaupt keiner Kirche mehr<br />

angehören wollten […]“ geworden. 214 Diese Entwicklungen waren nicht von langer Hand<br />

geplant, sie haben sich sozusagen von außen ergeben <strong>und</strong> die Kommunität – gewollt<br />

provisorisch – konnte sie annehmen <strong>und</strong> aus dem ökumenischen Gedanken, der von Beginn<br />

an vorhanden war, wurde zunehmend gelebte Ökumene.<br />

207 Vgl.: ebenda. S. 124f.<br />

208 Vgl.: ebenda. S. 125.<br />

209 Vgl.: ebenda.<br />

210 Vgl.: Frère Wolfgang. Beten – mit Gesängen aus Taizé. Das Geheimnis der Einfachheit <strong>und</strong> der gelassenen<br />

Wiederholung. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 18.<br />

211 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 119f.<br />

212 Vgl.: auch Paupert. Taizé <strong>und</strong> die Kirche von morgen S. 37.<br />

213 Vgl.: nach Schutz. In: Stökl. Taizé. S. 153. Zu den Entwicklungen <strong>und</strong> der Öffentlichkeitsdimension der<br />

Einweihung der Versöhnungskirche.<br />

214 Vgl.: Repges. Burg<strong>und</strong>. S.99.<br />

41


4.2.6 Der Gottesdienstraum: Räume im Raum – drittes Merkmal<br />

Glockenläuten. Aus allen Richtungen strömen Menschen in kleinen Gruppen oder alleine auf<br />

die Versöhnungskirche zu. Die Stimmung ist zumeist fröhlich <strong>und</strong> ausgelassen, Gespräche in<br />

verschiedensten Sprachen fließen ineinander. An den kleineren Eingängen staut es sich, neben<br />

den Türen steht jemand <strong>und</strong> hält ein großes weißes Schild mit schwarzer Schrift – Silence –<br />

die Schritte werden zwangsläufig langsamer <strong>und</strong> beim Eintreten in die Versöhnungskirche<br />

verstummen die meisten Gespräche. Man bekommt ein Liederheft <strong>und</strong> nimmt sich<br />

gegebenenfalls ein Tuch um freie Schultern zu bedecken. Der Übergang vom Außen- in den<br />

Gottesdienstraum erfolgt hier nicht direkt über einen physischen Schwellenraum 215 ,<br />

wenngleich die Eingänge doch wie „Schleusen“ wirken, so wird die Schwelle hier eher, durch<br />

die Stille <strong>und</strong> die Vorbereitung durch die Annahme des Liederheftes <strong>und</strong> zusätzlich einer<br />

kleinen weißen Kerze am Samstagabend, inszeniert. Häufig ist der weite Raum bereits gut<br />

gefüllt <strong>und</strong> viele Besucher haben auf dem braunen Teppich Platz genommen, dessen Fläche<br />

sich in Sitzbereiche <strong>und</strong> kleine Wege gliedert, die mit weißem Klebeband markiert sind <strong>und</strong><br />

sich durch den gesamten Raum ziehen. Man platziert sich wo man möchte. Das Licht ist je<br />

nach Tageszeit verschieden, aber immer auf eine eigene Art feierlich gedämpft, im Altarraum<br />

brennen viele Kerzen, die orangefarbenen Segeltücher, die sich in der Apsis aufspannen<br />

wechselwirken mit dem einfallenden Außen- <strong>und</strong> dem Kerzenlicht. Von den Seiten kurz unter<br />

der Decke fällt das Licht durch einen schmalen Streifen bunter Glasfenster. Peripher befinden<br />

sich noch die angestrahlten Ikonen, die zum Lichtspiel beitragen. Es ist ruhig, vereinzelt<br />

flüsternde Stimmen, eine erwartungsfrohe Atmosphäre breitet sich aus. Der von hinten nach<br />

vorne leicht abfallende Raum erinnert an einen Kinosaal, nur gibt es keine Sitze <strong>und</strong> keine<br />

Leinwand. Dennoch ist der Blick aller meist nach vorne, zum Altarraum gerichtet. Die Brüder<br />

in ihren weißen Gewändern betreten die Kirche, meist zu zweit nebeneinander ziehen sie<br />

nacheinander in einen <strong>für</strong> sie abgetrennten Bereich <strong>und</strong> füllen diesen noch freien Raum im<br />

vorderen Mittelteil der Kirche auf, wobei sie sich zu je zwei langen Zweierreihen an den<br />

Seiten platzieren – kniend, wie im Fersensitz auf Gebetshockern, bek<strong>und</strong>en sie „den immer<br />

Größeren“ 216 – so, dass ein Zwischenraum im Gegenüber zum Altar entsteht, um den Weg<br />

von der Gegenwart in die Zukunft zu öffnen. 217 In ihrem Bereich sitzend treffen sich die<br />

Brüder „zu ihrer Gebetszeit inmitten einer jeweils hinzukommenden Gemeinde.“ 218 In Taizé<br />

215<br />

Vgl.: auch Woydack. Der räumliche Gott. Zum Übergangsraum/ zur Schwelle. S. 50.<br />

216<br />

Dufner. Kirchen verstehen. S. 29.<br />

217<br />

Vgl.: nach Grünberg: „Der Weg auf der Ost-West-Achse ist die Gegenwart.“ In: Woydack. Der räumliche<br />

Gott. S. 68.<br />

218<br />

Kreuels. Singende Meditation. In: Nientiedt. Taizé. S. 125.<br />

42


gibt es „keine liturgisch leitende Person im Gottesdienst“ dort entfaltet sich „mit einer<br />

frontalen Sitzordnung ein offener Spielraum.“ 219 Die Entstehung eines persönlichen<br />

Beziehungsraumes wird möglich, einer „Beziehung zu Christus“ 220 wird Raum gegeben.<br />

Dieser „sakrale Spielraum“, wie er sich ähnlich auch bei Frick beschrieben findet, entsteht in<br />

Taizé maßgeblich durch das gemeinsame Singen, bei dem die eigenen „inneren<br />

Resonanzräume […] mit denen der Mitsingenden <strong>und</strong> dem uns umgreifenden äußeren Raum<br />

in Beziehung treten.“ 221 Joseph Gélineau meint, dass durch die „fortgesetzten Gesänge, die<br />

beginnen <strong>und</strong> dann irgendwann viel später wieder aufhören […] ein Freiraum“ entsteht,<br />

„indem der Geist zum Tragen kommen kann.“ 222 Er entsteht aber nur, wenn man sich hinein<br />

gibt, in den Gesang <strong>und</strong> eintaucht, ohne die „Wiederholungen zu ‚zählen’. 223 Zusätzlich zu<br />

dem persönlichen Freiraum entsteht ein Gemeinschaftsraum, denn „Singen […] schweißt<br />

zusammen, ohne zu uniformieren.“ 224 Genau das zeigt sich meines Erachtens in Taizé<br />

deutlich, da die Lieder zum einen fast immer einsprachig, der jeweiligen Sprache des Liedes<br />

entsprechend, gesungen werden <strong>und</strong> das gemeinsame Singen allen Anwesenden eine<br />

gemeinsame Sprache ermöglicht, trotz ihrer verschiedensprachigen Herkunft. Zum anderen<br />

bringt sich jede <strong>und</strong> jeder selbst ein <strong>und</strong> bringt sich selbst zum Ausdruck, denn sie ist „Teil<br />

des eigenen Leibs, eng verwoben mit unbewussten <strong>und</strong> bewussten Eigenschaften […]“ – man<br />

erfährt sich selbst <strong>und</strong> tritt gleichzeitig mit den anderen in Beziehung. 225 Im gemeinsamen<br />

Gesang ist auch die Trennung zwischen den Brüdern <strong>und</strong> der Gemeinde aufgehoben, da alle<br />

Anwesenden Anteil haben <strong>und</strong> mit ihrer Stimme den Klang-Raum erschaffen.<br />

Die Stille ist eine weitere wichtige Komponente des Gebets, in der der zuvor durch Klang<br />

erfüllte Raum plötzlich zu einem weiteren Freiraum wird – einem der von Stille erfüllt ist.<br />

Das ist immer wieder eine beeindruckende Erfahrung, wenn man bedenkt wie viele Menschen<br />

bei den Gebeten anwesend sind <strong>und</strong> wie still, ja lautlos, es dann wirklich <strong>für</strong> diese Zeit ist.<br />

Diese Stille ist anders als beispielsweise die in einem Dom, sie ist nicht mächtig <strong>und</strong> umfängt<br />

einen nicht, man ist nicht verloren in ihr, sondern vielmehr geborgen. In Taizé verbindet sich<br />

die Stille nicht mit Erhabenheit, man hat nicht das Gefühl sich in der Weite des<br />

physikalischen Raumes zu verlieren <strong>und</strong> dadurch auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. 226<br />

219<br />

Vgl.: Nord, Ilona. Realitäten des Glaubens. Zur virtuellen Dimension christlicher Religiosität. Berlin. 2008. S.<br />

256.<br />

220<br />

Vgl.: ebenda. S. 255.<br />

221<br />

Frick. Spielräume des Heiligen. S. 44.<br />

222<br />

Frère Wolfgang. Beten – mit Gesängen aus Taizé. S. 19.<br />

223<br />

Vgl.: Kreuels. Singende Meditation. S. 130.<br />

224<br />

Bubmann, Peter. Musik – Religion – Kirche. Studien zur Musik aus theologischer Perspektive. Leipzig 2009,<br />

S. 78f.<br />

225 Vgl.: ebenda. S. 69.<br />

226 Vgl.: Böhme. Anmutungen. S. 96f.<br />

43


Sie ist demütig, in ihr kann man Atemholen <strong>und</strong> bei sich sein, den entstehenden<br />

„Leerraum“ 227 füllen (lassen), beispielsweise „sich in Beziehung zu […] einem Psalm […]<br />

setzen“ 228 , der zuvor singend gebetet wurde, ihn in Ruhe nachklingen lassen. Gebet ist, wie<br />

Frère Alois es beschreibt, nicht nur Ausdruck, sondern auch Hören. Zur kurzen Bibellesung<br />

wenden sich alle „zur Schrift hin um“ 229 , wenn ein Bruder an das kleine Pult hinter den<br />

Brüdern tritt <strong>und</strong> in die Kirche hinein spricht, dann wenden sich ihm alle zu, so dass das Wort<br />

in dem Sinne auch räumlich zentral wird. Das Wort bleibt stehen <strong>und</strong> kann mit in die Stille<br />

genommen werden, das ist neben der Bibelauslegung ein weiterer Umgang mit dem Wort<br />

Gottes in Taizé, ihm wird Raum gegeben, es muss „gehört werden um wirksam zu<br />

werden.“ 230<br />

Nach dem Abendgebet leert sich zwar der Raum, da nach <strong>und</strong> nach Menschen die Kirche<br />

verlassen, aber der Klangraum bleibt, denn oft wird noch mehrere St<strong>und</strong>en ununterbrochen<br />

weiter gesungen. Gelineau ist der Auffassung, dass Musik das „Unhörbare hörbar machen“<br />

soll <strong>und</strong> er träumte von einer Musik als einem einfachen<br />

„Symbol, ganz einfach […] wie […] die Flamme einer Kerze […]. Eine Musik, die nicht mehr von sich<br />

selbst erfüllt ist, sondern Stille <strong>und</strong> Anbetung trägt.“ 231<br />

Die „Heilige Dämmerung“ als „typisch <strong>kirchliche</strong> Atmosphäre“ 232 sucht man in der<br />

Versöhnungskirche vergeblich. Es gibt in Taizé drei Lichtquellen, das einfallende Außenlicht,<br />

welches im Altarbereich <strong>und</strong> durch die kleinen bunten Glasfenster an den Seiten hinein<br />

gelangt, viele Kerzen, die sich überwiegend im Altarbereich befinden sowie seitlich bei den<br />

Ikonen <strong>und</strong> es gibt elektrisches Licht aus sehr vielen, in Reihe angeordneten Hängelampen<br />

von der Decke. Besonders die hohen orangefarbenen „Segel“ in der Apsis, die durch weiteres<br />

Licht von außen <strong>und</strong> künstliche Quellen von hinten betont werden verbinden sich mit den<br />

vielen Kerzen <strong>und</strong> erzeugen so im Altarbereich einen warmen Lichtraum, der die visuelle<br />

Aufmerksamkeit immer wieder in diesem Bereich bündelt. 233<br />

Der weiße Raum, der sich durch die Gewänder der Brüder im Sichtfeld davor befindet, lässt<br />

symbolisch <strong>und</strong> visuell konkret eine Einheit erkennen, eine Einheit inmitten derer, die mit<br />

ihnen zusammengekommen sind. Betrachtet man beide Räume zusammen, also den Raum der<br />

Einheit, der durch die Brüder symbolisiert wird <strong>und</strong> den vor ihnen befindlichen lichten<br />

227<br />

Frère Wolfgang. Beten – mit Gesängen aus Taizé. S. 19.<br />

228<br />

Nord. Realitäten des Glaubens. S. 249.<br />

229<br />

Vgl.: Nientiedt. Interview mit Frère Alois: Aus dem Glauben heraus. In: Ders. Taizé. S. 154.<br />

230<br />

Vgl.: Bubmann. Musik – Religion – Kirche. S. 61.<br />

231<br />

http://www.st.stephan.at/beheimatet/taize/kompon.htm (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

232<br />

Böhme. Anmutungen. S. 92.<br />

233<br />

Für weitere Überlegungen zum Licht vgl.:<br />

http://www.bauches-lust.de/wocheintaize/oertlichkeiten/inneneinrichtung.php (zuletzt eingesehen am<br />

16.08.2011.)<br />

44


Altarraum, der im Osten „die Zukunft […] repräsentiert“ 234 , dann könnte man daraus ein<br />

Zukunftssymbol interpretieren, das bereits durch die Brüder in der Gegenwart präsent ist. Sie<br />

nehmen die Einheit der Kirche gleichnishaft vorweg. 235 Außerdem bleibt der symbolisch<br />

abgegrenzte Raum der Brüder meistens frei, wenn diese ihn nach dem Abendgebet verlassen<br />

haben – als ob sie weiterhin anwesend wären. Jeden Samstagabend findet die „Nacht der<br />

Lichter“ statt, zu der alle beim Betreten der Versöhnungskirche eine kleine Kerze bekommen.<br />

Diese werden gegen Ende des Gebets entzündet, das Licht wird von den Brüdern aus durch<br />

die gesamte Kirche weitergegeben – ein Geben <strong>und</strong> Nehmen. „Es wandert <strong>und</strong> erfüllt den<br />

weiten Raum.“ 236 Alles taucht ein in ein Lichtermeer <strong>und</strong> es entsteht ein Gefühl von Wärme,<br />

Geborgenheit <strong>und</strong> Hoffnung, bei mir war es jedenfalls so. Und Klang- <strong>und</strong> Lichtraum<br />

vermischen sich im weiteren Verlauf des Gebetes. Nach jedem Abendgebet bleiben einige<br />

Brüder in der Kirche, platzieren sich verteilt im Raum <strong>und</strong> sind ansprechbar <strong>und</strong> schaffen <strong>für</strong><br />

eine begrenzte Zeit einen konkreten dialogischen Kommunikationsraum zu den Gästen, die<br />

mit ihnen sprechen möchten.<br />

Fasst man mit Raschzok „den Gottesdienst selbst als Raum […] in dem es zur Begegnung mit<br />

dem lebendigen Gott kommt“ 237 , dann lassen sich ihm die eben entfalteten Räume zuordnen.<br />

In diesem Begegnungsraum, als einem Kommunikationsraum, der jedes Mal neu entsteht 238<br />

<strong>und</strong> dem auch die „inneren Abenteuer“ zuzuordnen sind, gibt es akustische Räume, aus<br />

Gesang, Bibelwort <strong>und</strong> Stille, optische Räume, aus Licht, Farben <strong>und</strong> Anordnungen <strong>und</strong> aus<br />

menschlicher Präsenz, die ihrerseits ineinander verwoben sind <strong>und</strong> zusätzlich noch in<br />

Beziehung zum physisch materiellen Außenraum stehen. Durch Interaktion, durch das<br />

gemeinsame Handeln – mit allen vorhandenen materiellen, leiblichen <strong>und</strong> symbolischen<br />

Elementen – entsteht im gemeinsamen Gebet ein Raum, den man mit Löw als komplexes<br />

„Beziehungsgeschehen“ bezeichnen kann. 239 Hinweisen möchte ich noch auf das symbolisch-<br />

räumliche Nebeneinanderstellen in Taizé, denn von der Krypta aus, in der morgens vor dem<br />

Gebet ein katholischer Gottesdienst gefeiert wird <strong>und</strong> deren Zugang sich etwas versteckt<br />

befindet, führt ein kleiner Gang zu einer noch versteckteren griechisch-orthodoxen Kapelle.<br />

Von außen sind orthodoxe Doppelkreuze auf den Zwiebeltürmchen der Versöhnungskirche<br />

erkennbar <strong>und</strong> im Kirchenraum befinden sich, wie bereits erwähnt, einige Ikonen. Dadurch<br />

234 Nach Grünberg. In: Woydack. Der räumliche Gott. S. 68.<br />

235 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 9.<br />

236 Seiterich-Kreuzkamp. Die Ikonen <strong>und</strong> das Kreuz. In: Taizé. Den Geist Gottes atmen. S. 26.<br />

237 Raschzok, Klaus. Der Feier Raum geben. In: Klie. Der Religion Raum geben. S. 125.<br />

238 Vgl.: Erne. Neue Wahrnehmung des Kirchenraumes im Protestantismus. S. 46.<br />

239 Vgl.: Wüthrich, Matthias D. Raumtheoretische Erwägungen zum Kirchenraum. In: Sigrist, Christoph (Hg.).<br />

Kirchen Macht Raum. Beiträge zu einer kontroversen Debatte. Zürich 2010. S. 85.<br />

45


werden also auch konfessionelle Räume in der Versöhnungskirche symbolisch <strong>und</strong> räumlich<br />

neben- <strong>und</strong> ineinander gebracht.<br />

4.2.7 Heterotopie <strong>und</strong> Heterochronie – viertes Merkmal<br />

Heterotopien entfalten ihre Funktionskraft erst gänzlich, wenn sie mit der gewöhnlichen,<br />

gesellschaftlichen Zeiterfahrung brechen. 240<br />

Die Zeit scheint in Taizé im Fluss zu sein, sie ist erfüllte Zeit, wenn man sich auf das<br />

Geschehen einlassen kann. Eine Uhr braucht man dort nicht, da sich die Tagesstruktur aus den<br />

drei Gebeten ergibt, zu denen die Glocken rufen. Zusammen machen die festgelegten<br />

Gebetszeiten etwa drei Zeitst<strong>und</strong>en des Tages aus, bleibt man nach am Abend noch länger,<br />

dann sind es entsprechend mehr. Da die Gebete Priorität haben ist diese Zeit bereits<br />

eingeräumt. Sie lässt sich zwar in Zeitst<strong>und</strong>en messen, verknüpft sich aber mit einer anderen<br />

Wahrnehmung. Ein Gefühl von Zeitlosigkeit kann sich beim Singen einstellen, durch die<br />

„Wiederkehr, diese Ewigkeit suggerierende Wiederholung“ 241 , die die Liturgie unberechenbar<br />

werden lässt. Die Kommunität besitzt wie bereits erwähnt kein Archiv, die Wandregale mit<br />

den Lesungs- <strong>und</strong> Gesangszetteln in der Sakristei ausgenommen. Die Brüder beabsichtigen<br />

„das ‚Heute Gottes’ zu leben, die ‚Dynamik des Provisorischen’ zu nutzen. 242 Damit leugnen<br />

sie die Vergangenheit nicht, lassen sich aber auch nicht an sie binden. Zudem impliziert der<br />

„Pilgerweg des Vertrauens“ die Vorstellung eines Fortschritts, im Sinne eines Weitergehens –<br />

nicht nur räumlich-symbolisch, sondern vielmehr innerlich, auf die Einheit zu, was dann im<br />

Umgang miteinander zum Ausdruck kommen kann.<br />

Den Brüdern gilt der Sonntag, der eigentliche An- <strong>und</strong> Abreisetag der wöchentlichen Treffen<br />

in Taizé als der „schwierigste Tag.“ 243 Das widerspricht mindestens meiner Vorstellung von<br />

einer christlichen Brudergemeinschaft, ist aber durch den Aufbau der Jugendtreffen bedingt<br />

<strong>und</strong> deshalb einleuchtend. Gilt doch der Sonntag noch häufig als Unterbrechung des<br />

(Arbeits-)Alltags, dann meistens in dem Sinne, dass er den anderen Wochentagen dient, um<br />

dort „funktionsfähig“ zu sein. Doch genau das meint Kirche <strong>und</strong> Gebet in Taizé nicht. Das<br />

Gebet lässt sich im Sinne einer „Funktions-Pause“ begreifen, ähnlich der<br />

Kirchenbeschreibung bei Frick. Die lineare Zeit, die allgemein betrachtet als die des Alltags<br />

gilt, wie Bahr festhält, ist, obgleich auf andere Weise, durch den sehr strukturierten Rhythmus<br />

240 Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 324.<br />

241 Baumann-Lerch, Eva. In die Stille eintauchen. Zeitlosigkeit, Absichtslosigkeit – das Geheimnis der Lieder<br />

von Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 4.<br />

242 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 11.<br />

243 Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Monate, Tage <strong>und</strong> Zeiten. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 8.<br />

46


auch in Taizé existent. Er wird im gemeinsamen Gebet durch eine andere Zeitwahrnehmung<br />

aufgehoben. Gerade das ist interessant, denn die Gebete sind von ihrer täglichen dreimaligen<br />

Wiederkehr äußerlich betrachtet purer Alltag. Durch ihre andere Funktionsweise, in der sie<br />

gedacht sind, nämlich nicht als ein „um zu“ sondern absichtslos, sind sie der alltäglichen Zeit<br />

enthoben. Zu dieser Dimension des Gebets, „zur Absichtslosigkeit“, kann man laut Gélineau<br />

durch das wiederholende Singen, wie es in Taizé geschieht, kommen.<br />

Symbolisch <strong>für</strong> die Auferstehung steht die „Kreuz-Ikone“ während der Woche vorne rechts in<br />

der Kirche, am Freitag wird sie beim Abendgebet, zum Gebet vor dem Kreuz, in die Kirche<br />

gelegt. Dann findet am Samstag eine „Auferstehungsfeier, […] mit vielen Kerzen“ statt <strong>und</strong><br />

damit ist eigentlich, wie Frère Alois meint, jeder Sonntag „ein Fest der Auferstehung.“ 244<br />

Taizé ist nicht <strong>für</strong> die Ewigkeit erbaut, die Brüder wollen im Provisorium leben. Trotzdem<br />

bleibt es mit eben dieser in Berührung, durch die Rückbindung an die Quellen des Lebens.<br />

Die Ähnlichkeit mit einer Ferienkolonie, die Foucault als Beispiel <strong>für</strong> eine zeitweilige<br />

Heterotopie benennt 245 , findet sich wenigstens ansatzweise in der Betrachtung der „Zeltstadt“<br />

wieder, deren Größe sich je nach Besucherzahl reguliert. Und das Zelt als archaisches Symbol<br />

markiert die „Spannung zwischen Vorläufigkeit <strong>und</strong> Kontinuität“, denn in seiner gebauten<br />

Flüchtigkeit ist es dennoch ein (vorübergehender) „Ort <strong>für</strong> Heimat.“ 246<br />

4.2.8 Öffnung <strong>und</strong> Schließung – fünftes Merkmal<br />

Bevor man nach Taizé fahren kann muss man sich in der Regel anmelden, unter Angabe des<br />

letzten Aufenthaltes, <strong>und</strong> eine Bestätigung abwarten. Jeder der in Taizé ankommt bezahlt am<br />

kommunitätseigenen „Ortseingang“, in einem kleinen Häuschen, einen Tagessatz, den er oder<br />

sie selbst leisten kann, wobei es je nach Land einen vorgeschlagenen Rahmen gibt <strong>und</strong><br />

bekommt Essensmarken, die bei jeder der Mahlzeiten abgestempelt werden. Eine Woche<br />

beträgt die eigentliche Aufenthaltszeit, wie auf der Homepage betont wird. Man kann aber<br />

auch nach Absprache länger mit den Brüdern leben. Die Einladung nach Taizé zu kommen<br />

gilt <strong>für</strong> alle, insbesondere aber <strong>für</strong> Menschen zwischen 15-29 Jahren. Ab 30 Jahren gibt es<br />

Zeiteinschränkungen im Jahr <strong>und</strong> man darf maximal <strong>für</strong> eine Woche im Jahr nach Taizé<br />

kommen. 247<br />

244 Vgl.: Seiterich-Kreuzkamp. Die Ikonen <strong>und</strong> das Kreuz. S. 26.<br />

245 Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 325.<br />

246 Vgl.: Erne. Neue Wahrnehmung des Kirchenraumes im Protestantismus. S. 49.<br />

247 Vgl.: http://www.taize.fr/de_article5502.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

47


Die Stille ist als Eingangsritual bestimmbar. Sie gilt beim Betreten der beiden Kirchen <strong>und</strong><br />

auch auf dem Gelände um die Quelle „St. Etienne“, sobald man das Tor, welches nur zu<br />

bestimmten Zeiten geöffnet ist, passiert. Die Dorfkirche, wie auch die Versöhnungskirche<br />

sind nie verschlossen. Man kann sich dort also auch außerhalb der offiziellen Gebete<br />

aufhalten <strong>und</strong> vor allem Stille finden.<br />

Es besteht kein Zwang in Taizé etwas Bestimmtes zu tun, trotzdem gibt es sogenannte<br />

„guards“, die ebenfalls zu Gast sind <strong>und</strong> deren Aufgabe es ist andere Besucher <strong>und</strong><br />

Besucherinnen zu fragen was sie gerade tun, wenn sie scheinbar nichts tun, vergleichbar<br />

einem selbstorganisierten inneren Kontrollsystem.<br />

4.2.9 Die eigentliche Funktion im Gegenüber – Die Bedeutung von Taizé<br />

Heterotopien erfüllen in ihrer Umgebung eine Funktion, die sich zwischen den Polen der<br />

Illusion <strong>und</strong> der Kompensation einordnen lässt.<br />

Meiner Meinung nach ist die Funktion von Taizé in Bezug auf die Umgebung nur aus einer<br />

erweiterten Perspektive zu beschreiben. Zum einen kann sie nicht auf die direkte Umgebung<br />

beschränkt bleiben, sondern muss sich beispielsweise auf die vorgestellten Lebensverhältnisse<br />

in den Lebensräumen der Gäste ausweiten <strong>und</strong> diese als „Homotopie“ annehmen. Auf diese<br />

Weise werde ich mich der Funktion annähren, die Taizé heute bedeutsam machen kann. Taizé<br />

ist nicht illusorisch, im Sinne einer Täuschung, obschon es Züge einer Wunschvorstellung hat,<br />

die aber dort Wirklichkeit sind. Es wird nichts vorgespielt, oder die Wahrnehmung<br />

manipuliert. Es handelt sich um einen „Gegenort“, der erstmal irritiert. In Taizé zeigt sich<br />

etwas, das man ‚normalerweise’ nicht erwarten würde – dass es ‚funktioniert.’ Weil es der<br />

homotopischen, allgemeingültigen Ordnung <strong>und</strong> Vorstellung in einer Weise widerspricht, ihr<br />

vor allem fremd ist.<br />

Nach Foucault decken Illusionsheterotopien die umgebenden Orte im Lebensraum als noch<br />

größere Illusion auf. Das lässt sich <strong>für</strong> Taizé nur beschreiben, wenn man annimmt, dass dort<br />

einer falschen Vorstellung, allgemein gesprochen: wie Leben <strong>und</strong> Kirche zu sein haben, durch<br />

deren Umkehrung widersprochen wird, indem quasi das Gegenteil – das was in der<br />

„Homotopie“ nicht möglich erscheint – vorgelebt <strong>und</strong> damit bewiesen wird.<br />

Taizé bildet durch das Leben der Brüder – auf eine Art provozierend – ein „Gleichnis der<br />

Gemeinschaft“, ein Gleichnis <strong>für</strong> „eine Kirche, die in ihrer Vielfalt versammelt ist“, als<br />

Erinnerung daran, dass „die zerissene Kirche eins ist.“ 248 Die Stille lässt sich als<br />

248 Clément, Olivier. Taizé. Einen Sinn <strong>für</strong>s Leben finden. Freiburg im Breisgau 2006, S. 55.<br />

48


Infragestellung der Lebensumwelt der Gäste begreifen, die mindestens zu einem Teil aus<br />

einem städtischen Milieu stammen, in dem es selten so lautlos zugeht wie beispielsweise in<br />

der Zeit der Stille in den Gebeten. Auch der Umgang miteinander, das meist sehr offene<br />

Aufeinanderzugehen, die Möglichkeit der Gespräche <strong>und</strong> Begegnungen hinterfragen das oft<br />

zurückhaltende <strong>und</strong> anonyme Leben <strong>und</strong> Verhalten, beispielsweise in deutschen Großstädten.<br />

Das Gefühl von verrinnender, ungenutzter oder vertaner Zeit verflüchtigt sich in eingeräumte<br />

Zeit. Im Einklang mit der Zeit vergehen die Tage <strong>und</strong> ein Großteil der Zeit ist zweckfrei<br />

verstrichene Zeit, sie ist absichtslos, gegensinnig zur Leistungsgesellschaft, in der eine<br />

Leistung (fast) immer an eine Gegenleistung <strong>und</strong> gegebenenfalls an Vorleistungen geknüpft<br />

ist. Nichts weniger als die Frage nach dem Sinn <strong>und</strong> dem Gr<strong>und</strong> des Lebens verknüpft sich<br />

mit der Infragestellung, die dem funktionsorientierten, leistungsbezogenen <strong>und</strong> unbedingt<br />

gelingen müssenden Leben, wie es Fries benannt hat, etwas entgegenzuhalten hat, nämlich die<br />

Liebe Gottes. Das Leben in Gemeinschaft <strong>und</strong> Einfachheit steht der Konsummentalität der<br />

westlichen Welt entgegen <strong>und</strong> besonders dem damit vielerorts gleichgesetzten „glücklichen<br />

Leben.“ Gerade <strong>für</strong> viele Gäste aus den westlichen Ländern ist dies eine Kontrasterfahrung<br />

<strong>und</strong> viele osteuropäische Besucherinnen <strong>und</strong> Besucher machen in dieser Beziehung ebenfalls<br />

eine Erfahrung, die häufig nicht ihrer Vorstellung vom Westen entspricht. 249 Das „simplify<br />

your life“, das in der Wohlstandsgesellschaft Einzug hält berührt nur oberflächlich die in<br />

Taizé gelebte Einfachheit, die eben nicht meint Überflüssiges wieder wegzuschaffen, sondern<br />

es erst gar nicht entstehen zu lassen. 250 Speziell die Kirchen-(räume) in Taizé stehen als<br />

„Gegenorte“ – insbesondere der Stille – allen anderen gegenüber. Außerdem stehen diese<br />

Kirchen, die Dorfkirche durch die Nutzung durch die Kommunität <strong>und</strong> besonders die<br />

Versöhnungskirche dem Phänomen der sinkenden Gottesdienst-Besucherzahlen, insbesondere<br />

durch Jugendliche, entgegen. Deutlich wird ebenfalls, dass es keine immer neuen Superlative<br />

in Jugendgottesdiensten braucht, sich also Pastorinnen <strong>und</strong> Pastoren nicht mit szenischen<br />

Einlagen überschlagen müssen <strong>und</strong> dass heute noch laut <strong>und</strong> ausgiebig gesungen kann.<br />

Taizé zeigt auch, dass es noch möglich ist, ohne neuartige Technik, neueste<br />

Kommunikationsmittel <strong>und</strong> sogar ohne warmes Wasser zu leben. Sicherlich muss man die<br />

eigenen Bedingungen vor Ort mit bedenken <strong>und</strong> es geht auch gar nicht darum die genannten<br />

Dinge abzulehnen, sondern sich ihrer vermeintlichen Unentbehrlichkeit bewusst zu werden.<br />

Die Kompensationsheterotopien erschaffen nach Foucault einen völlig geordneten Realraum<br />

in einer chaotisch empf<strong>und</strong>enen Umgebung, zu der sie gewissermaßen einen Ausgleich<br />

anbieten.<br />

249 Vgl.: Nientiedt. Gott zuerst. In: Taizé – Weltdorf. S. 145.<br />

250 Vgl.: ebenda.<br />

49


Der Tagesablauf der Jugendtreffen ist sehr klar strukturiert. Das steht einem schnelllebigen<br />

<strong>und</strong> immer komplexer erscheinenden Leben entgegen, in dem jeder immer flexibler <strong>und</strong><br />

scheinbar mobiler sein muss. Auch die Liturgie folgt einem klaren <strong>und</strong> wiederkehrenden<br />

Rhythmus, wobei sie wie bereits erwähnt nicht exakt messbar ist. Diese klaren Strukturen<br />

können so entlastend sie auch sein mögen, sehr einengen! Wenn beispielsweise entstandene<br />

oder genommene Freizeiten von „guards“ hinterfragt werden <strong>und</strong> so unterschwellig Kontrolle<br />

vermittelt wird.<br />

Die beispielsweise in den Kirchen, oder bei der Quelle erfahrbare Ruhe <strong>und</strong> Konzentration<br />

lässt den alltäglichen „Wahrnehmungs-Stress“ der sonst durch Dauerberieselung mit<br />

„Alltagsgeräuschen <strong>und</strong> musikalischen Klängen“ 251 in der „Homotopie“ vorherrschend ist<br />

abfallen <strong>und</strong> können einen wieder zuhören lassen. Die Stille kann aber auch belasten, eben<br />

weil sie häufig fremd geworden ist. Taizé hinterfragt in jedem Fall die Verhältnisse <strong>und</strong><br />

allgemein anerkannten Vorstellungen <strong>und</strong> Regeln des Lebens, des Umgangs miteinander <strong>und</strong><br />

der Kirche.<br />

Bevor ich die Beschreibung der Funktion von Taizé als Heterotopie abschließe möchte ich<br />

noch kurz auf ein Ereignis eingehen: den gewaltsamen Tod Frère Rogers. Er wurde während<br />

des Abendgebets des 16. August 2005 in der Versöhnungskirche erstochen. Diese Tat ist<br />

erschütternd <strong>und</strong> der Ort derselben trägt sein Übriges dazu bei. Frère Francois schreibt über<br />

die Faszination, die Frère Roger unbewusst auf Menschen ausübte <strong>und</strong> dass diese auch in<br />

„Misstrauen oder Aggressivität“ umschlagen kann. 252<br />

„Wenn das Licht zu hell leuchtet, <strong>und</strong> ich denke, was von Frère Roger ausging, konnte blenden, ist das<br />

nicht immer einfach zu ertragen. Dann bleibt nur die Lösung, diese strahlende Lichtquelle auszulöschen,<br />

indem man sie beseitigt.“ 253<br />

Hier fand die denkbar heftigste Form der Kompensation Anwendung <strong>und</strong> damit wird deutlich,<br />

dass Gewalt sich auch an so vermeintlich friedfertigen Orten Bahn brechen kann <strong>und</strong> unter<br />

Menschen nie exkludiert werden kann.<br />

4.3 Taizé – kritisch gestreift<br />

Bereits Anfang der 1970er Jahre kritisierte die französische Zeitung „Le Monde“ die<br />

„‚manipulierte Atmosphäre Taizés’, die Emotionen <strong>und</strong> Sentimentalitäten Jugendlicher<br />

unkontrolliert hervorbrechen ließe.“ 254 Stökl stellt dagegen, dass dies sich am „Auftreten<br />

251 Bubmann. Musik – Religion – Kirche. S. 59.<br />

252 Vgl.: Frère Francois. Wenn das Licht zu hell leuchtet. In: Taizé – Weltdorf. S. 25.<br />

253 Ebenda. S. 26. Der Arzt Bernard de Senaclens über die Mörderin Frère Rogers.<br />

254 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 204f.<br />

50


gleichförmiger Gefühle <strong>und</strong> Reaktionen“ bemerkbar machen würde, sich aber genau das<br />

Gegenteil in Taizé beobachten ließe. 255 Da würde ich mich ihm einerseits anschließen, denn in<br />

Taizé lässt sich vielfältiges Verhalten beobachten, andererseits muss man aber auch bedenken,<br />

dass Räume auch bewusst inszeniert werden 256 <strong>und</strong> gerade Taizé hat mit den vielen Kerzen,<br />

den orangefarbenen Tüchern <strong>und</strong> den Ikonen, um nur einige visuelle Elemente zu nennen,<br />

einen hohen Wiedererkennungswert.<br />

Vieles was sich kritisch gegen Taizé vorbringen lässt, wird neutralisiert, wenn man die<br />

Gegebenheiten beachtet, die sich aus der Vielfalt der Gäste, ihrer Muttersprachen, ihrem<br />

Alter, ihrer Hintergründe <strong>und</strong> Motive nach Taizé zu kommen ergibt. Es wird unmittelbar<br />

einleuchtend, wie sinnvoll die gewollte Niedrigschwelligkeit beispielsweise im Gebet <strong>und</strong> in<br />

der Bibelarbeit ist, wenn das erklärte primäre Ziel der Versuch ist alle zu erreichen <strong>und</strong> gleich<br />

einem inklusiven Ansatz, Teilhabe zu ermöglichen. Dennoch lässt mich der Eindruck von<br />

seichter verklärender Literatur, die die Seele streichelt, nicht los. Ähnlich dem Anselm Grün<br />

„Phänomen“, scheinen auch diese Bücher einer Sehnsucht nach Einfachheit <strong>und</strong> emotionaler<br />

Berührung Ausdruck zu verleihen. Es gibt kaum Wissenschaftliches über die Kommunität.<br />

Mit der Absicht Stökls eine Doktorarbeit über die Kommunität zu schreiben waren die Brüder<br />

nicht einverstanden, da sie ihre Gemeinschaft <strong>für</strong> ungeeignet <strong>für</strong> wissenschaftliche Arbeiten<br />

befanden, zuwenig sei definiert. 257 Die meisten Bücher sind entweder von Frére Roger selbst<br />

verfasst <strong>und</strong> Selbstdarstellungen der Kommunität, Bibeleinführungen <strong>und</strong> relativ<br />

oberflächliche Gedanken zu Glaubensfragen. Die Sek<strong>und</strong>ärliteratur beschäftigt sich<br />

überwiegend von Frère Roger ausgehend mit der Kommunität. Kritisches findet sich wie<br />

bereits Stökl feststellte kaum 258 , bis heute nicht, zumindest nicht in Buchform, in Foren im<br />

Internet schon eher, auch wenn das dort Geschriebene kaum f<strong>und</strong>iert ist, sondern eher<br />

Eindrücke spiegelt. Vielen ist Taizé heute zu wenig politisch, es ist nicht mehr wie in den<br />

„gesellschaftskritischeren“ 1970er Jahren. 259 Allerdings ist gerade die Präsenz, die gelebte<br />

„Absichtslosigkeit“ der Brüder ein Einspruch 260 gegen den Funktions- <strong>und</strong> Leistungszwang<br />

der heutigen Gesellschaft.<br />

255 Vgl.: ebenda. S. 205.<br />

256 Vgl.: auch Woydack. Der räumliche Gott. S. 64.<br />

257 Vgl.: Stökl. Taizé. S. 231.<br />

258 Köhler, Heike. Zur Bedeutung von Taizé <strong>und</strong> der Arche <strong>für</strong> öffentliche Schulen. Eine Analyse christlicher<br />

Gemeinschaften bezüglich ihrer auf Schule <strong>und</strong> Religionsunterricht übertragbaren pädagogischen <strong>und</strong><br />

religionspädagogischen Gr<strong>und</strong>sätze. Frankfurt am Main 2001. Köhler verweist in einem Abschnitt auf Oscar<br />

Cullmanns Kritik an Taizé. Beispielsweise warnt er „[…] vor einem ‚schwärmerischen Ökumenismus’, der eine<br />

Einheit der Kirchen vorwegnimmt, die theologisch noch nicht erarbeitet ist <strong>und</strong> somit nicht garantiert werden<br />

kann.“ S. 89.<br />

259 Vgl.: Nientiedt. Gott zuerst. S. 146.<br />

260 Vgl.: ebenda.<br />

51


Michael Kunze hat die Kommunität nach 16 Jahren gemeinsamen Lebens wieder verlassen<br />

<strong>und</strong> verdeutlicht, dass der hohe „Gemeinschaftsanspruch“ dazu beitrug Auseinandersetzungen<br />

<strong>und</strong> individuelle Probleme eher nicht vor- <strong>und</strong> auszutragen. 261 Er glaubt, dass besonders das<br />

Charisma Frère Rogers „die Brüder bisher auch ohne Diskussionen zusammengehalten<br />

hat.“ 262 Ob es heute in Taizé mehr Diskussionen gibt kann ich nicht beurteilen. Bedenklich<br />

finde ich aber, dass einige Brüder angeblich an ihm vorbeischauen, wenn er zu Besuch in<br />

Taizé ist. 263 Es ist menschlich, sicherlich. Aber es widerspricht in gewisser Weise dem<br />

Gr<strong>und</strong>gedanken Taizés – der Versöhnung.<br />

4.4 Taizé - vernetzt<br />

Der sogenannte „Pilgerweg des Vertrauens“ zieht seine Kreise seit 1978 von Taizé –<br />

ausgehend von den wöchentlichen Jugendtreffen – über die großen europäischen<br />

Jugendtreffen zum Jahreswechsel in einer europäischen Großstadt. Mittlerweile finden auch<br />

Treffen außerhalb Europas statt <strong>und</strong> besonders die Präsenz der kleinen Fraternitäten – die sich<br />

ganz bewusst nicht als „Entwicklungshilfeagentur“ 264 verstehen – von Brüdern aus Taizé in<br />

meistens sehr armen Regionen der Welt trägt dazu bei, dass sich ein Netz von Beziehungen<br />

ausgehend von Taizé aufspannt.<br />

Die Versöhnung der Menschen ist immer noch das Hauptanliegen <strong>und</strong> Hoffnung da<strong>für</strong> spricht<br />

aus den Worten von Frère Alois:<br />

„Unterwegs auf dem ‚Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde’, der Jugendliche […] zusammenführt,<br />

begreifen wir eines immer tiefer: Alle Menschen bilden ein <strong>und</strong> dieselbe Familie, <strong>und</strong> Gott bewohnt<br />

ausnahmslos jeden Menschen.“ 265<br />

Die Absicht der Kommunität bestand nie darin eine eigene Bewegung zu gründen, sie<br />

ermuntern die Gäste vielmehr sich zu Hause, in ihren Gemeinden zu engagieren. 266 Eine<br />

solche Weiterführung ist beispielsweise auch das Taizé-Gebet in der St. Petrikirche in<br />

<strong>Hamburg</strong>, welches dort seit dem großen Jugendtreffen 2003/04 jeden Samstag stattfindet.<br />

261<br />

Vgl.: Baumann-Lerch. Kein Weg <strong>für</strong> das ganze Leben. Begegnung mit einem ehemaligen Mitglied der<br />

Brüdergemeinschaft von Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 32.<br />

262<br />

Vgl.: ebenda.<br />

263<br />

Vgl.: ebenda.<br />

264<br />

Nientiedt. Gott zuerst. S. 147.<br />

265<br />

Frère Alois. Brief aus Kalkutta. http://www.taize.fr/de_article6137.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

266 Vgl.: Clément. Taizé. S. 90.<br />

52


4.4.1 Taizégebet in einer Citykirche<br />

Es ist Samstagmittag, 13 Uhr, in der Innenstadt von <strong>Hamburg</strong>. Die Stadt ist gut besucht<br />

überall wimmelt es von Touristen <strong>und</strong> konsumfreudigen <strong>Hamburg</strong>ern. Die Glocken von St.<br />

Petri in der Mönckebergstraße, der ältesten Pfarrkirche <strong>Hamburg</strong>s läuten. Im Innenraum<br />

verweisen Schilder auf Ruhe <strong>und</strong> ein Gebet – „keine Besichtigungen“ steht dabei. Während<br />

das touristische Treiben trotzdem weitergeht <strong>und</strong> einige Menschen, teilweise scheinbar<br />

versunken in den Bänken sitzen verstummen die Glocken <strong>und</strong> es ist mit einem Mikrophon<br />

verstärkt, eine Frauenstimme aus dem Altarraum zu vernehmen, die „Laudate omnes gentes“<br />

anstimmt, zaghaft fallen die anderen zwölf die mit ihr dort auf dem Boden oder dahinter in<br />

wenigen extra aufgestellten Stuhlreihen sitzen mit ein. Vor ihnen auf dem Altar brennen zwei<br />

Kerzen, davor stehen etwa ein Dutzend Teelichter <strong>und</strong> zwei Ikonen; auf allen Stühlen <strong>und</strong> in<br />

den Bankreihen liegen Gesangbücher – die „Gesänge aus Taizé“. Das Gebet geht etwa eine<br />

Dreiviertelst<strong>und</strong>e, die meiste Zeit wird gesungen, auf Latein, Schwedisch, Französisch <strong>und</strong><br />

Deutsch, die Liedtafeln geben die Lieder <strong>und</strong> die Stille nach etwa der Hälfte der Zeit <strong>für</strong> alle<br />

sichtbar vor. Nur beim „Magnificat“ kommt wirklich „Taizé-Atmosphäre“ auf, die<br />

insbesondere durch die Vielzahl der Stimmen geprägt ist, es wird ein richtig Kanon daraus<br />

<strong>und</strong> aus den Reihen im Kirchenschiff hinter mir höre ich erstmals etwas anderes als hallende<br />

Schritte <strong>und</strong> mal mehr, mal weniger bemüht flüsternde Stimmen. Als das letzte „Bóg jest<br />

miloscia“, was allerdings auf Deutsch gesungen wurde mit einem Amen ausklingt <strong>und</strong> ich<br />

aufstehe <strong>und</strong> mich zum Gehen umdrehe bin ich ziemlich überrascht, wie viele Menschen doch<br />

in den Reihen sitzen, sie müssen alle nach Beginn des Gebets in die Kirche gekommen sein.<br />

Ein Großteil von ihnen, so meine Vermutung, dürfte touristisch motiviert dort gewesen sein<br />

<strong>und</strong> hat sich zum Bleiben <strong>und</strong> Platznehmen entschieden.<br />

Das was sich jeden Samstagmittag in der Innenstadt von <strong>Hamburg</strong> ereignet lässt sich mit der<br />

von Frick beschriebenen „Heterotopie des Sakralraums“ beschreiben. In der St. Petri Kirche<br />

entsteht ein gelebter Raum – ein Raum des Gebets, angelehnt an die Liturgie Taizés – aus<br />

wenigen Menschen, die dort zum Gebet zusammenkommen, ihrem Gesang, Kerzen, einigen<br />

Gebetshockern, Stühlen <strong>und</strong> zwei Ikonen. Dieser Raum ‚greift Raum’, irritiert<br />

möglicherweise touristische Motivationen – da ist es, das heterotopische, das fremde Element<br />

– <strong>und</strong> drängt zum Verweilen zum Innehalten, bevor es wieder hinausgeht in das laute <strong>und</strong><br />

hektische Treiben der Stadt. Ich jedenfalls habe ein nachklingendes „Confitemini Domino,<br />

quoniam bonus. Confitemini Domino, alleluia…“ mit hinaus in die Stadt <strong>und</strong> auf den<br />

Heimweg genommen.<br />

53


Nicht immer wird der Kontrast so deutlich. Andachten mit Liedern aus Taizé gibt es in vielen<br />

Gemeinden, wie auch auf vielen Homepages zu finden ist. Ich kann mich noch schemenhaft<br />

an Taizé-Gebete in den Jahren 1999/2000 bei Pastor Stökl in der Franz von Assisi-Kirche in<br />

Neu-Allermöhe erinnern. Sie fanden immer Freitagabend statt <strong>und</strong> das Besondere waren die<br />

vielen Teelichter vor dem Altar, wo jeder Besucher <strong>und</strong> jede Besucherin noch ein weiteres<br />

entzündete <strong>und</strong> hinzustellte. Mir sind überwiegend Lieder auf Latein in Erinnerung geblieben.<br />

Diese Andachten werden mittlerweile von Ehrenamtlichen weitergeführt. Geblieben ist auch<br />

die Patenschaft mit Alagoinhas, Brasilien, wo es eine Fraternität von Taizé gibt, die ihren<br />

Lebensunterhalt selbst erwirtschaftet, aber <strong>für</strong> die Projekte, die sie vor Ort umsetzen, Spenden<br />

von außerhalb benötigt. 267<br />

4.4.2 Die Franternitäten in der Welt<br />

Die Fraternitäten verdeutlichen „was die Brüder mit ‚Präsenz’ meinen.“ 268 Es gibt diese<br />

ebenfalls provisorisch zu charakterisierende „<strong>Institut</strong>ion“ innerhalb der Kommunität seit 1952<br />

<strong>und</strong> sie bezeichnet je kleine Gruppen von Brüdern, die <strong>für</strong> eine gewisse Zeit in anderen<br />

Ländern der Welt leben, „ohne große Hilfsmittel, absichtlich in ökonomisch <strong>und</strong> menschlich<br />

aussichtslosen Lebensbedingungen.“ 269 Sie organisieren ihr dortiges Leben wie in Taizé <strong>und</strong><br />

sind deshalb nicht „autonome Ausgründungen, sondern zeitweilige Exklaven“, gleichwohl<br />

müssen sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von Taizé bestreiten. Die Fraternitäten sprechen<br />

durch ihr Leben vor Ort, indem sie ein Zeichen der Gemeinschaft leben – in „absichtsloser<br />

Präsenz“ – auch ‚nichtreligiös’ von Gott. 270 Über die Zeit entwickelte sich über die<br />

Fraternitäten auch eine Eigendynamik in der Kommunität, so dass Brüder die unsicher über<br />

ihr Leben dort waren zeitweise in Fraternitäten im Ausland lebten <strong>und</strong> es manchmal darüber<br />

zu einem ‚diskreten Ausstieg’ kam. 271<br />

4.4.3 Der Pilgerweg <strong>und</strong> sein Hafen<br />

Für mich ist Taizé nicht so „portable“ wie es der ehemalige Landesbischof Christian Krause<br />

beschrieben hat. 272 Wenn ich die Gesänge höre, dann verorte ich mich gedanklich in der<br />

Versöhnungskirche. Das passiert einfach, unbewusst. Für mich ist Taizé <strong>und</strong> damit meine ich<br />

267<br />

Vgl.: http://www.bergedorfer-marschen.de/patenschaft.0.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

268<br />

Vgl.: Stökl. Taizé. S. 132.<br />

269<br />

Vgl.: ebenda.<br />

270<br />

Vgl.: Holzhauer, Johanna. „Gleichnis der Gemeinschaft“. In: Nientiedt. Taizé – Weltdorf. S. 38.<br />

271<br />

Vgl.: ebenda.<br />

272<br />

Vgl.: Krause, Christian. Der weite Raum. In: Taizé – Weltdorf. S. 169.<br />

54


in dem Fall den konkreten Ort, ein besonderer Ort <strong>und</strong> kein „Zirkus“, der überall sein Zelt<br />

aufschlagen kann – auch wenn das in gewisser Weise dem Verständnis des Pilgerwegs<br />

entgegensteht. Denn auch Frère Roger wäre gerne wieder aufgebrochen, was seiner geistigen<br />

Freiheit <strong>und</strong> Mobilität Ausdruck verleiht. 273 Vielleicht lässt sich die Portabilität aber auch wie<br />

folgt verstehen: Die „Kreuz-Ikone“ ist beispielsweise bei den Gebeten auf den Kirchentagen<br />

immer dabei <strong>und</strong> wirkt wie ein versetzbares Symbol Taizés. Als ob es am je aktuellen,<br />

ambulanten Standort dazu verhilft, sich von jener Station des Pilgerwegs nach Taizé, an den<br />

zwar provisorischen, aber doch stationären Ort der Kommunität, zurückzuversetzen. Die<br />

weitere Inszenierung der Gebete trägt das Übrige zur geistigen Vernetzung bei. Dies lässt sich<br />

durch eine Vermutung stützen, dass am Kreuzgebet auf dem Kirchentag überwiegend<br />

Menschen teilnehmen, die es aus Taizé kennen. Und auch wenn Taizé ausdrücklich keine<br />

eigene Bewegung sein will, so braucht es einen geistigen, innerlichen Hafen, der sich<br />

menschlich-räumlich in Taizé verorten lässt.<br />

4.4.4 Die Wirkung eines Zeichens<br />

Der Gr<strong>und</strong>stein <strong>für</strong> diese mögliche, auch räumliche Vernetzung liegt, wie bereits weiter oben<br />

beschrieben im Frankreich der 1940er Jahre, wo Roger Schutz Menschen aufnahm, „die auf<br />

der Flucht vor Hitlerdeutschland waren.“ 274 Den Entschluss eine Gemeinschaft zu gründen,<br />

die geprägt sein sollte von „Gebeten <strong>und</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft“ 275 , hatte er bereits zuvor gefasst<br />

<strong>und</strong> auch als er das Haus <strong>und</strong> das Land zwischenzeitlich verlassen musste, da es vor Ort zu<br />

gefährlich wurde, kehrte er zurück. Er kam zurück um mit zwei Brüdern gemeinsam zu leben<br />

<strong>und</strong> sie begannen deutschen Kriegsgefangenen zu helfen. 276 Ein Zeichen der Versöhnung, er<br />

kümmerte sich um die Menschen, auch wenn die einen zuvor vor den anderen geflohen<br />

waren. Viele Jahre später, beim europäischen Jugendtreffen 1996 in Stuttgart half ein „älterer<br />

Herr“ besonders mit <strong>und</strong> nahm selbst „fünf junge Kroaten auf“. Als man ihn nach seinem<br />

Engagement fragte,<br />

„erzählte er von der Zeit als Kriegsgefangener in Burg<strong>und</strong>, […] von der Einladung eines jungen Bruders<br />

zur Weihnachtsmette. Nach dem Gottesdienst ging plötzlich eine Tür auf, <strong>und</strong> es hieß: Kommt bitte herein<br />

<strong>und</strong> setzt euch. […].“ 277<br />

Nach der „konkret gelebten Barmherzigkeit der ersten Jahre […] folgte nach Mitte der 1970er<br />

Jahre eine bewusstere geistliche Ausprägung.“ 278 Die Kommunität versteht sich als ein<br />

273 Vgl.: Nientiedt. Gott zuerst. S. 143.<br />

274 Vgl.: Schutz. Besuch bei Frère Roger. S. 13.<br />

275 Strack, Christoph. Ort der Versöhnung, Pilgerweg des Vertrauens. In: Taizé – Weltdorf. S. 27.<br />

276 Vgl.: Schutz. Besuch bei Frère Roger. S. 14.<br />

277 Vgl.: Strack. Ort der Versöhnung, Pilgerweg des Vertrauens. S. 27.<br />

55


„prophetisches Zeichen“ <strong>und</strong> solche sind niemals Modelle, sie rufen nicht zur „Nachahmung,<br />

sondern nur zum Nachdenken über das Bezeichnete auf.“ 279 Auch Zimmerling betont, dass<br />

das „ökumenische Modell von Taizé […] einmalig <strong>und</strong> nicht auf die Ebene der Ortsgemeinde<br />

oder gar das Verhältnis der verschiedenen Kirchen übertragbar“ ist. 280<br />

Im Gegensatz zur Geschichte, in der Cluny <strong>und</strong> Cîteaux tonangebend in Burg<strong>und</strong> waren, ist<br />

die Gegend heute multireligiös geprägt <strong>und</strong> es gibt neben Moscheen dort auch – „in einem<br />

einsamen Tal“ – seit 1987 den größten buddhistischen Tempel Europas. 281<br />

Horst Köhler meint: „Wahrscheinlich gibt es in Europa kein internationaleres Dorf als Taizé.“<br />

Und bezeichnet Taizé als ein „kleines, aber wirkmächtiges Zeichen <strong>für</strong> eine bessere Welt, ein<br />

leises, aber höchst lebendiges Kraftzentrum in <strong>und</strong> <strong>für</strong> Europa.“ 282<br />

4.4.5 Was Taizé geben kann<br />

„Wenn das Gebet ganz <strong>und</strong> gar Sache des Verstandes würde, wenn es so säkularisiert würde, dass es<br />

keinen Sinn <strong>für</strong> das Mysterium, <strong>für</strong> die Poesie mehr kennen würde, so dass <strong>für</strong> das Betreten des Leibes,<br />

<strong>für</strong> Intuition, <strong>für</strong> das Gemüt kein Platz mehr vorhanden wäre…[…] wo gäbe es dann noch einen Ort der<br />

Gemeinschaft <strong>für</strong> alle Menschen?“ 283<br />

Das Gebet, als Handlung gehört f<strong>und</strong>amental zur „Religion als […] Lebensäußerung“, die<br />

zunehmend wieder in den „kulturellen Erfahrungskontext“ integriert wird. 284 In Taizé wird<br />

Religion gelebt, auf eine glaubwürdige <strong>und</strong> inklusive Weise. Im Leben der Brüder drückt sich<br />

die bedingungslose Annahme eines jeden Menschen aus. Sie hören zu, ohne davon etwas <strong>für</strong><br />

sich zu erwarten beispielsweise nach dem Abendgebet in der Kirche. Aber auch die<br />

„Väterlichkeit“, die sie auf eine besondere Weise ausstrahlen <strong>und</strong> die „ein Stück<br />

Geborgenheit“, in einer Gesellschaft vermitteln kann, in der das Aufwachsen mit einem Vater<br />

lange keine Selbstverständlichkeit mehr ist. 285 Eine anscheinend vorhandene „Sehnsucht nach<br />

einem Wir, das dem Individuum genügend Raum lässt <strong>für</strong> eine ganz persönliche Gottsuche<br />

[…]“ 286 , lässt sich in Taizé stillen. In einem klaren Rhythmus wird erfahrbar, wie sehr man<br />

selbst durch die Übernahme einer kleinen Aufgabe <strong>und</strong> eigene Beteiligung dazu beitragen<br />

kann, dass das Leben in einer Gemeinschaft gelingt.<br />

278<br />

Ebenda. S. 30.<br />

279<br />

Vgl.: Stökl. Taizé. S. 10.<br />

280<br />

Vgl.: Zimmerling. Die Communauté von Taizé. S. 207.<br />

281<br />

Vgl.: Strack. Taizé bei Cluny, Cluny bei Taizé. S. 263.<br />

282<br />

Köhler, Horst. Zeichen <strong>für</strong> eine bessere Welt. In: Taizé – Weltdorf. S. 168.<br />

283<br />

Frère Roger. Ein Fest ohne Ende. In: Leben, um zu lieben. Worte des Vertrauens. Freiburg im Breisgau<br />

2010, S. 24.<br />

284<br />

Vgl.: Schieder. Michel Foucault: Religion als Transgressionsdiskurs. S. 224.<br />

285<br />

Vgl.: auch Clément. Taizé. S. 39.<br />

286<br />

Bode, Franz-Josef. Sehnsucht nach dem Wir. In: Taizé – Weltdorf. S. 170.<br />

56


Der französischer Philosoph Paul Ricoeur, der sich Taizé sehr verb<strong>und</strong>en fühlte, suchte dort<br />

eine Erprobung dessen, was er zutiefst glaube: „Dass das, was man gemeinhin ‚Religion’<br />

nennt, etwas mit Güte zu tun hat.“ 287 Viele Erwachsene kommen nach Taizé, die in ihrer<br />

eigenen Jugend bereits dort waren. Vielleicht um Erinnerungen aufleben zu lassen <strong>und</strong> um<br />

„Orientierung […] gelebte Zuversicht, Güte <strong>und</strong> auch Hoffnung“ 288 zu finden.<br />

4.4.6 Die mediale Präsenz<br />

Symbolisch präsent war Taizé beispielsweise durch Lena Meyer-Landrut, die im Jahr 2010<br />

den Eurovision Song Contest gewann <strong>und</strong> bei allen Fernsehauftritten ein Kreuz von Taizé, das<br />

den Heiligen Geist symbolisiert, trug.<br />

Die Kommunität selbst hat eine ziemlich umfangreiche <strong>und</strong> stets aktuelle Homepage, die in<br />

34 Sprachen übersetzt wird. Dort sind gr<strong>und</strong>legende Informationen zur Kommunität <strong>und</strong> zu<br />

den Jugendtreffen zu finden, aber auch Hinweise zur Gebetsgestaltung <strong>und</strong> man kann<br />

zahlreiche visuelle, aber auch akustische Eindrücke sammeln. Es gibt im Netz weitere<br />

Informationsseiten zu Taizé-Gebeten, zur „Nacht der Lichter“ in verschiedenen Städten <strong>und</strong><br />

mit persönlichen Reiseberichten. Eine weitere Vernetzung, die in „kleinen Pilgerwegen“<br />

stattfindet <strong>und</strong> im Internet zu verfolgen ist, ist die Wanderung von Nachbildungen der<br />

„Fre<strong>und</strong>schaftsikone“, die seit dem Jugendtreffen in Zagreb 2006/07 in jedem Land, das dort<br />

teilgenommen hat unterwegs sind. 289 Man kann sich auch virtuell nach Taizé begeben 290 <strong>und</strong><br />

durch „Klicks“ auf einem Plan gelangt man zu einigen Fotos der Örtlichkeiten in Taizé <strong>und</strong><br />

erhält ein paar Informationen dazu. Ebenso finden sich auf der Plattform „youtube“ unzählige<br />

persönliche Videos von Taizéreisenden, sowie „Gesänge aus Taizé“ <strong>und</strong> ein Ausschnitt der<br />

Trauerfeier von Frère Roger.<br />

Jeden Samstagabend überträgt das Dom Radio Köln von 22-23 Uhr zeitversetzt das<br />

Abendgebet aus Taizé, auch im Internet. 291 Über die Medien Radio <strong>und</strong> Internet wird also ein<br />

akustischer <strong>und</strong> auch optischer Raum geschaffen, der einen beinahe „live dabei“ sein lässt.<br />

Außerdem stehen diese <strong>und</strong> vorherige Lichterfeiern weiterhin als Podcasts zur Verfügung.<br />

287 Ricoeur, Paul. Was ich in Taizé suche? Seit vielen Jahren kommt der französische Philosoph Paul Ricoeur<br />

nach Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen. S. 29.<br />

288 Seiterich-Kreuzkamp. Heimat im weiten Sinn. S. 21.<br />

289 Vgl.: http://fre<strong>und</strong>schaftsikone.de/ (zuletzt eingesehen am 16.08.2011). Die Ikone unterwegs in Deutschland.<br />

290 Vgl.: http://www.taize.de.gg/ (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

291 http://www.domradio.de/podcast/ (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

57


Die „Gesänge aus Taizé“ lassen sich heute als die am „weitesten verbreitete christliche<br />

Musik“ 292 einordnen.<br />

5. Fazit<br />

Die Heterotopologie Foucaults, mit ihren fünf Merkmale <strong>und</strong> der Funktion die die Heterotopie<br />

in ihrer Umgebung ausübt, lässt sich auf Taizé anwenden, soviel ist klar. Es ist aber auch<br />

deutlich geworden, dass einige Merkmale in der Form, wie sie von Foucault gedacht waren<br />

nicht zutreffend sind, beispielsweise die Krisen- <strong>und</strong>/oder die Abweichungsheterotopie lassen<br />

sich nur zuordnen, indem auch Gründungsursachen <strong>und</strong> die veränderte Nutzung der<br />

Dorfkirche einbezogen wurden. Außerdem hat Foucault nirgends festgehalten, wie viele<br />

Merkmale erfüllt sein müssen, damit es sich im Vollsinn um eine Heterotopie handelt. Ich<br />

gehe davon aus, dass bereits ein Merkmal ausreicht um einen Ort als heterotopisch zu<br />

bestimmen, doch dass macht es umso nötiger die „Homotopie“, die die Heterotopie braucht<br />

um wirksam werden zu können eindeutig zu bestimmen. Daran zeigt sich, dass das<br />

Foucaultsche Konstrukt der räumlichen Komplexität nur durch zusätzliche Anpassungen<br />

bezogen auf den jeweiligen anderen Ort, der gerade betrachtet wird, gewachsen ist. Allerdings<br />

werden diese Anpassungen auch erst durch die Offenheit des Konzepts möglich, darin liegt<br />

sein Potential.<br />

Schieders Bestimmung des Konzepts, als bescheidene <strong>und</strong> nicht religiöse Topologie, die nur<br />

kurz benannt wurde <strong>und</strong> mit der sich auch Kirchen als Ort in ihrer Umgebung beschreiben<br />

lassen, von der sie sich (architektonisch) unterscheiden <strong>und</strong> auf die sie zugleich bezogen sind,<br />

ist eigentlich das, was man mit dem Konzept machen kann. Kirchen, im Fall dieser Arbeit, als<br />

herausragende Orte in ihrer „Homotopie“ bestimmen. Vor allem optisch <strong>und</strong> davon<br />

ausgehend ihre Wirkung auf die Orte der „Homotopie“ anhand der heterotopologischen<br />

Merkmale bestimmen. Braun münzt Foucaults Heterotopie auf den zukünftigen <strong>Kirchenbau</strong>,<br />

wenn er sagt, dass Kirchen sich von ihrer Umgebung <strong>und</strong> von gewohnter Wahrnehmung<br />

absetzen sollen.<br />

Wie bereits zu Beginn angekündigt konnte Taizé nicht in allen Einzelheiten betrachtet<br />

werden. Dennoch sollte sich infolge der auswertenden Zusammenfassung eine Antwort auf<br />

die Untersuchungsfrage formulieren lassen.<br />

Taizé ist eindeutig als realer Ort zu bestimmen, den man auf Landkarten finden <strong>und</strong> physisch<br />

besuchen kann. Es handelt sich auch in gewissem Sinne um einen Ort jenseits aller Orte,<br />

292 Vgl.: http://www.spiegel.de/lexikon/65406793.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

58


ezogen auf die direkte Umgebung, aber auch bezogen auf die Einmaligkeit in dieser Form.<br />

Viele Klöster <strong>und</strong> monastische Gemeinschaften nehmen Gäste auf, aber schon die<br />

Größenordnung unterscheidet Taizé von allen anderen. Das Dorf Taizé kann als direkte<br />

„Homotopie“ des Geländes der Kommunität gr<strong>und</strong>gelegt werden, von dem es sich<br />

unterscheidet <strong>und</strong> auf das es bezogen ist. Als indirekte, aber nicht minder wichtige<br />

„Homotopie“ müssen auch die Lebensräume <strong>und</strong> Lebensverhältnisse 293 der Gäste betrachtet<br />

werden, da Taizé sich von ihrem alltäglichen Leben unterscheidet <strong>und</strong> zugleich auf dieses<br />

bezogen ist, indem die Gäste in Taizé Erfahrungen machen <strong>und</strong> diese mit in ihren Alltag<br />

nehmen.<br />

Bestimmt man das Dorf insgesamt als „Homotopie“ wird es kniffelig, da die Dorfkirche an<br />

sich ja auch heterotopischen Charakter hat. Entweder lässt man sie als eigene Heterotopie<br />

stehen, oder man bestimmt sie <strong>für</strong> den Kontext der Betrachtung der Kommunität als<br />

heterogenes Element, denn auch die „Homotopie“ ist nach Foucault nicht homogen, sondern<br />

in sich heterogen. Jedenfalls ist die Dorfkirche <strong>für</strong> Taizé, in dem auch die Kommunität ihren<br />

Raum hat, profilprägend, denn sie weist über das Dorf hinaus <strong>und</strong> ist äußerlich erkennbar, die<br />

Kommunität hingegen nicht – allenfalls aus der Luft. Was macht das Dorf aber zu einer<br />

„Homotopie“, inwiefern lässt es sich abgrenzen? Betrachtet man die aus beigem Naturstein<br />

gebauten Häuser, wie sie dem Wetter trotzen <strong>und</strong> die Eidechsen in der Sonne, dann scheint<br />

dort die Zeit still zu stehen. Es drängt sich der Eindruck einer Kulisse auf, eben einer<br />

„Homotopie“. Zudem hat Taizé nur noch sehr wenige permanente Bewohner <strong>und</strong><br />

Bewohnerinnen, die zumeist französischer Abstammung <strong>und</strong> älter an Jahren sein dürften.<br />

Damit sind die beiden Gr<strong>und</strong>voraussetzungen um eine Heterotopie beschreiben zu können<br />

bereits identifiziert. Die Kommunität kann einem realen Ort zugeordnet werden <strong>und</strong> es lässt<br />

sich eine „Homotopie“ ausmachen, sogar in direkter <strong>und</strong> indirekter Weise, die auch die<br />

Ausstrahlung von Taizé einbezieht.<br />

Das erste Merkmale, das der kulturellen Konstante ist damit bestätigt, dass die Kommunität<br />

Taizé als kulturelles Element innerhalb der Gesellschaft steht, in Kontinuität der<br />

monastischen Gemeinschaften, aber auch in neuem Sinne, da dort „Gemeinschaft unter<br />

Christen“ wächst. 294 Foucault hatte die Krisenheterotopien eher mit biologischen Krisen<br />

verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> diese auch als nahezu aus der Gesellschaft verschw<strong>und</strong>en eingeordnet. 295<br />

Diese sind hier auch nicht direkt auszumachen. Und doch lag das Dorf im übertragenen Sinne<br />

293<br />

Das kann hier nicht in individueller Weise, sondern nur stark verallgemeinert geschehen.<br />

294<br />

Vgl.: auch Clément. Taizé. S. 46.<br />

295<br />

Vgl.: Foucault. Von anderen Räumen. S. 322. (Foucault geht hier von der französischen Gesellschaft der<br />

1960er Jahre aus.)<br />

59


„im Sterben“ <strong>und</strong> war von Einsamkeit geprägt, darin könnte die konkrete Gründung im Ort<br />

Taizé, der sich in einer Krise befand, die Schutz nicht direkt betraf, der er sich aber auf eine<br />

Art annahm, eingebettet werden. Zudem erwuchs Schutz‘ Entscheidung, eine Gemeinschaft<br />

aufzubauen aus einem krisenhaften Erleben der Gesellschaft: Da war die <strong>für</strong> ihn „absurd“<br />

erscheinende Trennung der Christen <strong>und</strong> das unverstandene „gegenseitige Sichbekämpfen.“ In<br />

diesen Bezügen lässt sich die Gründung der Kommunität als ein Raum, entsprechend einer<br />

Abweichungsheterotopie fassen, allerdings nur zur Hälfte im Sinne Foucaults, denn in der<br />

Kommunität sollte Raum <strong>für</strong> ein anderes Leben sein, aber nicht in der Absicht sich von dort<br />

aus wieder in die vorherigen Bedingungen einzugliedern <strong>und</strong> auch nicht in der einer völligen<br />

Abspaltung. Es sollte ein Bezug zu Gesellschaft bestehen bleiben, was sich in einer einsamen,<br />

aber nicht isolierten Lebensweise ausdrückt. In ähnlicher Weise lässt sich auch die Dorfkirche<br />

als Abweichungsheterotopie bestimmen, denn sie bietet diesem anderen Leben Raum,<br />

besonders <strong>für</strong> den wichtigen Teil der gemeinsamen Gebete. Als dem Abweichenden Raum<br />

gebend kann sie bestimmt werden, da sie ehemals römisch-katholisch genutzt, nun<br />

protestantischen Brüdern zum Gebet dient <strong>und</strong> indem dies in einer entchristlichten, aber<br />

katholisch geprägten Umgebung geschieht, der auch diese Kirche noch in ihrem baulichen<br />

Ensemble angehört.<br />

Das zweite Merkmal, demnach eine Gesellschaft im Laufe der Zeit eine Heterotopie auch in<br />

anderer Weise nutzen kann, lässt sich ebenfalls an der Dorfkirche zeigen, denn diese wurde<br />

durch die Nutzung der Kommunität zu einem „Simultaneum“, was seinerseits heterotopischen<br />

Charakter trägt, da dort nun zwei konfessionelle Räume nebeneinander standen.<br />

Die Veränderungen <strong>und</strong> Entwicklungen der Kommunität sind zu einem großen Teil durch die<br />

Gäste ausgelöst worden, denn die Menschen fanden sich zunehmend dort ein. Frère Roger<br />

äußerte sich dazu: „Nach zwanzig Jahren gemeinsamen Lebens befanden wir uns plötzlich<br />

wie in die Öffentlichkeit geworfen.“ Aber die Kommunität war offen da<strong>für</strong> der Entwicklung<br />

Raum zu geben <strong>und</strong> dadurch die eigene Lebensvorstellung auszudrücken, die keiner<br />

systematischen Planung 296 folgte. Das gelebte Provisorium lässt es zu, sich auf den Zustrom<br />

der Gäste einzulassen <strong>und</strong> dementsprechend zu handeln. So wurde es nötig die<br />

Versöhnungskirche zu bauen, die Frère Roger zuerst <strong>für</strong> zu groß befand. 297 Erst wurde sie im<br />

Innenraum baulich verändert <strong>und</strong> dann durch Zelte <strong>und</strong> später durch Fertigbauteile vergrößert.<br />

Auch die Liturgie gilt in Taizé als provisorisch <strong>und</strong> veränderte sich unter anderem auch in<br />

Reaktion auf den Zustrom <strong>und</strong> die Ermöglichung eines gemeinsamen Gebets, an dem<br />

möglichst jede <strong>und</strong> jeder teilhaben kann. Durch das Zulassen der entstehenden Veränderungen<br />

296 Vgl.: Clément. Taizé. S. 52.<br />

297 Vgl.: ebenda. S. 52f.<br />

60


<strong>und</strong> das Wachsen der Gemeinschaft wurde der ökumenische Gedanke immer mehr mit Leben<br />

gefüllt!<br />

Das dritte Merkmal, das Nebeneinanderstellen verschiedener Räume, eigentlich unvereinbarer<br />

Räume, an einem Ort war durch den ökumenischen Gedanken von Beginn an impliziert.<br />

Taizé entwickelte sich in gewissem Sinne <strong>und</strong> in mehrfacher Hinsicht zu einem „Weltdorf“.<br />

Jede Woche sind Menschen aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen<br />

Muttersprachen, verschiedenartigen Kulturen <strong>und</strong> anderen Konfessionen gemeinsam zu Gast.<br />

Diese Komposition einer Welt im Kleinen – die auch die Brüder gleich einem „Gleichnis“<br />

leben – stellt derartige Räume nebeneinander <strong>und</strong> entspricht wohl am ehesten dem was<br />

Foucault damit gemeint hat, als er beispielsweise den Garten nannte. Auch im Gottesdienst,<br />

der sich mit Raschzok als Raum bestimmen lässt entstehen verschiedenste Räume, gleich<br />

einem „komplexen Beziehungsgeschehen“, wie es Löw gefasst hat <strong>und</strong> bleiben<br />

nebeneinander. Hierin hat sich nicht nur die „doppelte Räumlichkeit“ des Sakralraumes, wie<br />

sie von Frick beschrieben wurde gezeigt, sondern vielmehr eine vielfache Räumlichkeit des<br />

Gottesdienstraumes.<br />

Die Heterochronie lässt die Heterotopie mit der alltäglichen Zeiterfahrung brechen <strong>und</strong><br />

beschreibt das vierte Merkmal. In Taizé ist die Heterochronie besonders in den Gebeten<br />

erfahrbar, in denen die Zeit beispielsweise durch die wiederkehrenden Gesänge<br />

unberechenbar wird <strong>und</strong> darin aufgehoben scheint. Foucault kannte auch Heterotopien in<br />

denen beide Formen, „die des Festes <strong>und</strong> die der endlos akkumulierten Zeit“ vereint waren. In<br />

Taizé gilt das in besonderer Weise, wenn durch den wiederkehrenden Wochenrhythmus, dem<br />

Gebet vor dem Kreuz, dem Abendgebet mit dem Osterlicht <strong>und</strong> der sonntäglichen<br />

Auferstehung Fest <strong>und</strong> Ewigkeit durch die Rückbindung an die Quellen des Lebens<br />

ineinander greifen.<br />

Das gewollte Leben im Provisorium <strong>und</strong> die Vorläufigkeit zeigen sich in Taizé auch baulich,<br />

es ist nicht <strong>für</strong> die Ewigkeit gebaut. Und dennoch verweist der „Pilgerweg des Vertrauens auf<br />

der Erde“ darauf, dass das was ist, nicht alles ist.<br />

Das fünfte Merkmal bezeichnet ein eigenes System der Öffnung <strong>und</strong> Schließung. In Taizé<br />

gibt es zum einen den Tagessatz, den alle die <strong>für</strong> eine Woche kommen bei der Ankunft<br />

entrichten müssen <strong>und</strong> da<strong>für</strong> bekommen sie dann Essensmarken. Die beiden Kirchen von<br />

Taizé sind immer geöffnet, damit ist der Zugang zu jeder Tages- <strong>und</strong> Nachtzeit möglich. Als<br />

Eingangsritual <strong>und</strong> Schwelle lässt sich die Stille bestimmen. Auch wenn Taizé bewusst<br />

niedrigschwellig daherkommt, so muss man selbst <strong>für</strong> die Erfahrungen offen sein <strong>und</strong> sich auf<br />

61


das Leben <strong>und</strong> die Begegnungen dort einlassen, sonst bleibt einem selbst dieser vermeintlich<br />

offene Ort verschlossen.<br />

Welche Bedeutung hat nun Taizé <strong>für</strong> die direkte <strong>und</strong> indirekte „Homotopie“, welche Wirkung<br />

geht von dort aus? Foucault hat zwischen Illusions- <strong>und</strong> Kompensationsheterotopien als die<br />

beiden Extreme unterschieden. Meiner Meinung nach lässt sich die Wirkung die von Taizé<br />

ausgeht nur zwischen diesen Polen einordnen, indem die Wirkung immer eher in Richtung der<br />

Illusion oder der Kompensation geht. Ich denke beispielsweise an Irritation, Provokation <strong>und</strong><br />

Infragestellung, aber auch Sehnsucht. Die Gemeinschaft beispielsweise, die die Brüder durch<br />

ihr Leben gleichnishaft vorwegnehmen, kann man als Provokation betrachten, eben das<br />

Streben nach der „Einheit der Christenheit nicht aufzugeben.“ 298 Die Stille lässt sich als ein<br />

Element betrachten, welches seine Wirkung im ersten Moment durch eine Fremdheit entfaltet,<br />

sie ist vielen fremd geworden <strong>und</strong> Taizé zeigt auf, wie wichtig diese Zeiten der Stille <strong>und</strong> des<br />

wirklichen Hörens sind <strong>und</strong> wie sehr Menschen danach suchen – ja, Sehnsucht nach ihr<br />

haben. Die Klarheit des Tagesablaufs <strong>und</strong> auch die der Liturgie, lässt aufatmen. Dahinter<br />

verbirgt sich möglicherweise der Wunsch das Chaos im Sinne der Komplexität des Alltags zu<br />

kompensieren. Die Zeit des Gebets die sich als zweckfreie, als gelebte Zeit der Alltagszeit<br />

<strong>und</strong> dem Funktionieren in der Leistungsgesellschaft entgegenstellt <strong>und</strong> damit die Illusion des<br />

„immer gelingen müssenden Lebens infrage stellt. In diese Schneise schlägt auch das<br />

Angenommensein, die bedingungslose Liebe Gottes, die Frère Roger immer <strong>und</strong> immer<br />

wieder betonte: „Gott ist Liebe“. 299 Diese scheinbar so klare Aussage kann sehr irritierend<br />

<strong>und</strong> unverständlich sein.<br />

Es konnte gezeigt werden, dass sich alle von Foucault aufgestellten Merkmale, wie ich sie<br />

nenne, wenn auch zum Teil in abgewandelter Form, verifizieren lassen. Taizé, womit die<br />

Kommunität <strong>und</strong> ihr räumliches Gelände gemeint sind, eingeschlossen ihrer Orte,<br />

insbesondere der Versöhnungskirche, lässt sich mit einigen Anpassungen als Heterotopie, im<br />

Sinne des von Foucault beschriebenen Konzepts, bestimmen.<br />

Taizé ist, wie Stökl es in Anlehnung an das Selbstverständnis der Kommunität formulierte ein<br />

„prophetisches Zeichen“ <strong>und</strong> solche „Zeichen sind nie Modell. Sie rufen […] zum<br />

Nachdenken über das Bezeichnete auf.“ 300<br />

Abschließend möchte ich dennoch das „portable“ Taizé, wie es Krause einmal nannte, mit<br />

einem Projekt in Verbindung bringen. Damit etwas im Sinne des Foucaultschen Konzepts als<br />

heterotopisch gelten kann muss es räumlich verortbar sein. Dazu dürfte auch eine bloß<br />

298 Bode. Die Sehnsucht nach dem Wir. S. 172.<br />

299 Vgl.: Frère Roger. Gott kann nur lieben. In: Leben um zu lieben. S.68.<br />

300 Stökl. Taizé. S. 10.<br />

62


vorläufige Verortbarkeit ausreichen. Dieser entsprechen nämlich die „mobilen Kirchen“, wie<br />

sie von Studentinnen <strong>und</strong> Studenten im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentags in<br />

Bremen 2009 entworfen <strong>und</strong> aufgestellt wurden. Erne zufolge sind mobile Kirchen in einer<br />

Gesellschaft wie der heutigen – die mobil ist – sinnvoll. Diese könnten überall, <strong>für</strong> einen<br />

begrenzten Zeitraum, aufgestellt werden <strong>und</strong> so zu den Menschen kommen <strong>und</strong> ihnen<br />

„Heimat <strong>und</strong> Geborgenheit“ bieten. 301 Taizé lässt sich in Bezug auf den „Pilgerweg des<br />

Vertrauens“ <strong>und</strong> die dazugehörigen großen Jugendtreffen zum Jahreswechsel auch als mobil<br />

<strong>und</strong> zu den Menschen kommend beschreiben. „Am Ende … werden Stellwände, Ikonentafeln<br />

<strong>und</strong> Stoffbänder wieder ab- <strong>und</strong> an einem neuen Ort aufgebaut. Nirgendwo sieht man Spuren<br />

eines Definitivums.“ 302 Ist das aber die gleiche Mobilität, an die Erne denkt? Meiner Meinung<br />

nach ist bei Erne eine Ausprägung gemeint, die sich eher auf die physische Mobilität bezieht,<br />

während die Mobilität Taizés primär geistiger Ausprägung ist, wenngleich sie durch den<br />

„Pilgerweg“ auch physisch erfahrbar ist.<br />

Erne denkt an einen neuen Kirchentyp: „keine festen Gebäude, sondern Provisorien […]. Sie<br />

sind Provisorien aus Prinzip.“ 303 Auch die Brüder in Taizé leben, wie bereits mehrfach<br />

benannt, in einem gewollten Provisorium, ihre Kirche besteht, zumindest zum Teil, aus<br />

festem Material. Die „Transzendenz-Anmutung“ der mobilen Kirchen liegt in ihrer<br />

„Übergänglichkeit“, sie bilden „eine dynamische Form zwischen Beheimatung <strong>und</strong><br />

Befremdung.“ 304 Sie sollen den Menschen im Alltag „einen Augenblick der Transzendenz“<br />

ermöglichen, die „Begegnung mit einem Fremden“ <strong>und</strong> danach wieder gehen, wie die<br />

Menschen auch. 305 Die dreischrittige Erfahrung, die in einem Sakralraum möglich ist:<br />

„Rückzug – Begegnung – Aufbruch“ <strong>und</strong> die „eine spirituelle Erfahrung“ ermöglichen kann,<br />

soll auch in ihnen, auf vereinfachte Weise, erlebbar sein. 306<br />

Die Idee Ernes lässt sich in gewisser Weise mit Brauns Auffassung vom <strong>Kirchenbau</strong> der<br />

Zukunft, ausgehend von Foucaults Heterotopie, verbinden. Denn auch die „mobilen Kirchen“<br />

setzen sich in jedem Fall sowohl von der Umgebung, als auch von gewohnter Wahrnehmung<br />

ab. Bei der Umgebung macht es kaum einen Unterschied wo sie stehen, sie werden sich<br />

abheben, nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> ihrer temporären, zumeist ungewöhnlichen Bauweise <strong>und</strong> des<br />

nicht festen Materials. Außerdem widersprechen sie der gewohnten Wahrnehmung von<br />

Kirchen mindestens dreifach: Kirchengebäude sind zumeist aus Stein oder festem Material<br />

301<br />

Vgl.: Erne. Mobile Kirchen. S. 6.<br />

302<br />

Nach Vera Rüttimann. In: Nientiedt. Gott zuerst. S. 143.<br />

303<br />

Vgl.: Erne. These 1. Für eine Kirchenarchitektur des Vorläufigen. In: Mobile Kirchen. S. 10.<br />

304<br />

Vgl.: ebenda. S. 11.<br />

305<br />

Vgl.: ebenda.<br />

306<br />

Vgl.: Ayerle, Hartm<strong>und</strong>. These 3. Einige Gedanken zum Projekt. In: Mobile Kirchen. S. 25-29.<br />

63


gebaut, sie sind gewöhnlich größer als andere „alltägliche“ Häuser <strong>und</strong> allgemein verbindet<br />

sich mit Kirchen die Vorstellung von Kontinuität, welche die mobilen Kirchen nicht aufrecht<br />

erhalten.<br />

Eine der sechs mobilen Kirchen, die beim Deutschen Evangelischen Kirchentag aufgebaut<br />

wurden, heißt: „Nachrichten aus einer anderen Welt“. 307 Sie wird als „Ander-Ort“<br />

beschrieben, „ein Ort der anders ist <strong>und</strong> auf einen anderen Ort verweist, auf eine<br />

transzendente Welt, die […] mitten unter uns beginnt, <strong>und</strong> die noch weit über uns<br />

hinausweist.“ Das ist eindeutig die Beschreibung einer Heterotopie, einer Kirche, wie sie<br />

beispielsweise Bahr beschrieben hat, auch wenn hier stattdessen eine Übersetzung des<br />

Begriffs benutzt wird. Dieser Ort definiert der Beschreibung nach einen „deutlichen<br />

Unterschied zum öffentlichen Raum“, da er aus seiner homotopischen Umgebung herausragt.<br />

In der Mitte dieser mobilen Kirche gibt es einen „Raum-im-Raum“, bestehend aus einer<br />

„Säule mit […] Bildschirmen, sie symbolisieren „das Andere am Ander-Ort“ […] die Quelle,<br />

von der die Nachrichten aus einer anderen Welt stammen.“ Hier ist das heterotopische<br />

Element des Nebeneinaderstellens eigentlich unvereinbarer Räume benannt, denn der „Ander-<br />

Ort verbindet das archaische Symbol, des Zelts, mit dem modernen Symbol, dem<br />

Bildschirm.“ Auch die anderen Merkmale der Heterotopie könnten noch <strong>für</strong> diese mobile<br />

Kirche bestimmt werden, das soll hier aber nicht mehr geschehen.<br />

„Nachrichten aus einer anderen Welt“ soll vor allem Jugendliche ansprechen. Ich kann mir<br />

vorstellen, dass diese mobile Kirche einige Jugendliche anspricht, genauso kann ich mir aber<br />

auch vorstellen, dass viele sich von ihrer Gestaltung nicht angesprochen fühlen, oder mit<br />

Ablehnung reagieren. Meiner Meinung nach lässt der Aufbau durch die direkte Ansprache<br />

über den Bildschirm zu wenig Raum <strong>und</strong> gibt dadurch zuviel vor, um sich auf eine<br />

Begegnung mit einer transzendenten Welt einzulassen, wie es beabsichtigt ist. Das zwar<br />

vorhandene Zelt, als „archaisches Symbol“, kann aufgr<strong>und</strong> der Zentralität des Bildschirms<br />

kaum wirken, besonders weil die Säule mit dem Bildschirm von außen direkt einsichtig ist.<br />

Vielleicht ist der dieser Kirche zugr<strong>und</strong>e liegende Kausalzusammenhang trügerisch:<br />

„Wir leben in einer Welt der digitalen Kommunikation. Die Jugend spricht digital, denkt digital <strong>und</strong><br />

reagiert auf digitale Angebote.“ 308<br />

Hier fehlt möglicherweise das fremde Element, was aber durch denselben Aufbau, allein<br />

durch die Abschaltung des Bildschirms gegeben sein könnte. Allerdings ist ihr Innerstes,<br />

bereits von außen, durch die vier Ein- <strong>und</strong> Ausgänge, sichtbar. Offenheit ist nicht per se<br />

307 Vgl.: Erne, Thomas/ Huran, Jowan. Kirche 6. Nachrichten aus einer anderen Welt. S. 70. Die folgenden<br />

Belege sind ebenfalls aus S. 70 dieses Werks entnommen.<br />

308 Vgl.: ebenda.<br />

64


einladend <strong>und</strong> auf mich wirkt der Raum wie eine Übergangszone, die er ja auch gewollt<br />

markieren soll. Immerhin steht einem zum direkten Durchgang die Säule im Weg, die aber<br />

nicht zum Verweilen aufzufordern scheint, sondern höchstens dazu, einen Impuls des<br />

Bildschirms aufzunehmen <strong>und</strong> wieder hinauszugehen. Wenn ich diese mobile Kirche<br />

betrachte, dann denke ich an „Kirche to go“. Einfach durchrauschen, da fehlt das Ankommen,<br />

denn ohne gibt es keine Beziehung. Mir erscheint diese Gestaltung zu funktional, zu sehr an<br />

menschliches Interesse <strong>und</strong> die Schnelllebigkeit des Alltags angepasst, zu wenig Irritation –<br />

auch wenn digitale Nachrichten vom ganz Anderen irritierend genug sein könnten. Ich möchte<br />

jedenfalls nicht in die Kirche gehen um einmal schnell etwas abzuholen. Außerdem frage ich<br />

mich, ob eine Kirche die zu den Menschen kommt wirklich eine Kirche ist, denn im<br />

Umkehrschluss ist ja auch eine Kirche in die niemand mehr kommt <strong>und</strong> in der kein<br />

Gottesdienst gefeiert wird im Vollsinn keine Kirche.<br />

Für mich sind die „mobilen Kirchen“ Andachtsräume, die in der Pluralität der Menschen <strong>und</strong><br />

Religionen durchaus ihre Berechtigung haben <strong>und</strong> Begegnungen ermöglichen können. Sie<br />

entsprechen einer erweiterten Form religiöser Räume, so sie denn zu Räumen gelebter<br />

Religion werden, die sich die Gesellschaft zu Eigen machen kann <strong>und</strong> die dann auf diese<br />

Weise heterotopisch wirksam würden.<br />

Ich denke nicht, dass diese mobilen „Kirchen“ dem alleinigen zukünftigen <strong>Kirchenbau</strong><br />

entsprechen können, vielmehr sind sie eine Ergänzung zu vorhandenen <strong>kirchliche</strong>n Räumen,<br />

denn sie sind trotz ihrer Anders-Räumlichkeit gesellschaftlich zu funktional. Kirchen müssen<br />

„Orte der kulturellen Kontrapunktion“ 309 bleiben. Taizé kommt als „Pilgerweg des<br />

Vertrauens“ zu den Menschen, aber vielmehr noch kommen die Menschen nach Taizé, um am<br />

„Herzen“ Taizés, wie es Frère Alois nannte, an diesem Kommunikationsgeschehen Anteil zu<br />

haben, das im Sinne des Gebets – der Versammlung der Gläubigen, die miteinander<br />

Gottesdienst feiern – die Kirche ist.<br />

309 Redepenning, Marc/ Werlen, Benno. Vom Kirchenraum zu <strong>kirchliche</strong>n Räumlichkeiten. In: <strong>Kirchenbau</strong>ten in<br />

der Gegenwart. S. 163.<br />

65


Literatur<br />

Primärliteratur<br />

Foucault, Michel. Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge.<br />

Zweisprachige Ausgabe, übers. von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel<br />

Defert. Frankfurt am Main 2005, S. 7-22.<br />

Foucault, Michel. Von anderen Räumen. In: Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan (Hg.).<br />

Raumtheorie. Gr<strong>und</strong>lagentexte aus Philosophie <strong>und</strong> Kulturwissenschaften.<br />

Frankfurt am Main 2006, S. 317-329.<br />

Sek<strong>und</strong>ärliteratur<br />

Albaric, Michel. Accompagner Foucault en terre chrétienne. Dokumentation einer<br />

ungewöhnlichen Totenliturgie. In: Bauer, Christian/ Hölzl, Michael (Hg.). Gottes <strong>und</strong> des<br />

Menschen Tod? Die Theologie vor der Herausforderung Michel Foucaults. Mainz 2003,<br />

S. 219-224.<br />

Ateliers et presses de Taizé. Artikel von der Homepage der Kommunität<br />

http://www.taize.fr/de_article11167.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

http://www.taize.fr/de_article6599.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

http://www.taize.fr/de_article5503.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011)<br />

http://www.taize.fr/de_article5502.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

http://www.taize.fr/de_article6137.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Ayerle, Hartm<strong>und</strong>. These 3. Einige Gedanken zum Projekt. In: Erne. Thomas. Mobile<br />

Kirchen. Marburg 2010, S. 23-31.<br />

Bahr, Petra. Nicht-Orte <strong>und</strong> Anders-Orte. Die Kirche als Heterotopos in der Stadt.<br />

In: Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland gGmbH. Sehnsuchtsorte.<br />

Mit einem Fotoessay von Martin Brockhoff. Düsseldorf 2010, S. 7-11.<br />

Baumann-Lerch, Eva. In die Stille eintauchen. Zeitlosigkeit, Absichtslosigkeit – das<br />

Geheimnis der Lieder von Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum<br />

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Baumann-Lerch, Eva. Kein Weg <strong>für</strong> das ganze Leben. Begegnung mit einem ehemaligen<br />

Mitglied der Brüdergemeinschaft von Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> Leben.<br />

Publik-Forum Extra 2004, S. 31-32.<br />

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innere Abenteuer. Freiburg im Breisgau 2006, S.171-172.<br />

Böhme, Gernot. Anmutungen. Über das Atmosphärische. Ostfildern 1998.<br />

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Frick, Eckhard (Hg.). <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. Architektur zwischen Sakralität <strong>und</strong><br />

sozialer Wirklichkeit. Regensburg 2011, S. 22.<br />

Bubmann, Peter. Musik – Religion – Kirche. Studien zur Musik aus theologischer<br />

Perspektive. Leipzig 2009.<br />

Clément, Olivier. Taizé. Einen Sinn <strong>für</strong>s Leben finden. Freiburg im Breisgau 2006.<br />

David, Werner. http://www.bauches-lust.de/wocheintaize/oertlichkeiten/inneneinrichtung.php<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Defert, Daniel. Raum zum Hören. In: Foucault, Michel. Die Heterotopien. Der utopische<br />

Körper. Zwei Radiovorträge. Frankfurt am Main 2005, S. 67-92.<br />

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Bänden. Dits et Ecrits. Band I, 1954-1969. Frankfurt am Main 2001.<br />

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Dufner, Meinrad. Kirchen verstehen. Münsterschwarzach 2007.<br />

Enzinger, Christoph. Die Taizé-Komponisten.<br />

http://www.st.stephan.at/beheimatet/taize/kompon.htm (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Enzinger Christoph. Ortsnamen in Taizé.<br />

http://www.kdjc.de/taize_chemnitz/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=14<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

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Erne, Thomas. These 1. Für eine Kirchenarchitektur des Vorläufigen. In: Ders. Mobile<br />

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Erne, Thomas/ Huran, Jowan. Kirche 6. Nachrichten aus einer anderen Welt. In: Ders. Mobile<br />

Kirchen. Marburg 2010, S. 70-75.<br />

Erne, Thomas. Neue Wahrnehmung des Kirchenraumes im Protestantismus. Theologische<br />

Reflexionen <strong>und</strong> Impulse. In: Keller, Manfred/ Vogel, Kerstin (Hg.). Erweiterte Nutzung von<br />

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Erne, Thomas. Die Wiederentdeckung des Raumes in der Evangelischen Theologie. In:<br />

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Alagohinhas, Brasilien. http://www.bergedorfer-marschen.de/patenschaft.0.html ( zuletzt<br />

eingesehen am 16.08.2011).<br />

Failing, Wolf-Eckart. „In den Trümmern des Tempels“. Symbolischer Raum <strong>und</strong><br />

Heimatbedürfnis als Thema der Praktischen Theologie. Eine Annäherung. In: Pastoral-<br />

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Frère Roger. Leben, um zu lieben. Worte des Vertrauens. Freiburg im Breisgau 2010.<br />

Frère Wolfgang. Beten – mit Gesängen aus Taizé. Das Geheimnis der Einfachheit <strong>und</strong> der<br />

gelassenen Wiederholung. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra.<br />

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Gollan, Rut-Maria/ Frick, Eckhard (Hg.). <strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. Architektur<br />

zwischen Sakralität <strong>und</strong> sozialer Wirklichkeit. Regensburg 2011, S. 41-48.<br />

Fries, Patrick. „…jede Art Raum genug“? Zur Predigt Martin Luthers in der Torgauer<br />

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Fries, Patrick. Rezension. Tobias Woydack: Der räumliche Gott. Was sind Kirchengebäude<br />

theologisch? Schenefeld 2005. In: Arbeitsstelle Gottesdienst. Raumerk<strong>und</strong>ungen. 21. Jg.<br />

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Fries, Patrick. „Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum“. Kirche in der Stadt als<br />

Heterotopie <strong>und</strong> ‚urban player’. In: Theologie <strong>und</strong> Glaube. Jg. 97. 2007, S. 209-225.<br />

von Gerkan, Meinrad/ Schwebel, Horst. Die Ästhetik des Einfachen <strong>und</strong> der Verweis auf das<br />

Andere. Ein Gespräch. In: Arbeitsstelle Gottesdienst. Raumerk<strong>und</strong>ungen. 21. Jg. 02/2007, S.<br />

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der Religionen in säkularer Gesellschaft. In: Nollert, Angelika/ Volkenandt, Matthias/ Gollan,<br />

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Mader, Ruth. Diplomarbeit: „Im anderen Raum“. Homotopie <strong>und</strong> Heterotopie in Christoph<br />

Ransmayrs Roman „Der fliegende Berg“.<br />

http://othes.univie.ac.at/10728/1/2010-07-12_0602373.pdf (zuletzt eingesehen am<br />

15.08.2011.)<br />

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pädagogisch klonen? In: Glockzin-Bever, Sigrid/ Schwebel, Horst (Hg.). Kirchen-Raum-<br />

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In: Klie, Thomas (Hg.) Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik <strong>und</strong> religiöses Lernen.<br />

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Paupert, Jean-Marie. Taizé <strong>und</strong> die Kirche von morgen. Luzern 1969.<br />

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am 19.6.2010 in der Theologischen Fakultät Halle (Saale). S. 1-26.<br />

http://www.ekmd.de/attachment/aa234c91bdabf36adbf227d333e5305b/1df89ed0489cb2689e<br />

d11df8035b9dade78b32db32d/Raschzok_Die_Sprache_des_Kirchenraumes.pdf<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011)<br />

Redepenning, Marc/ Werlen, Benno. Vom Kirchenraum zu <strong>kirchliche</strong>n Räumlichkeiten. In:<br />

In: Nollert, Angelika/ Volkenandt, Matthias/ Gollan, Rut-Maria/ Frick, Eckhard (Hg.).<br />

<strong>Kirchenbau</strong>ten in der Gegenwart. Architektur zwischen Sakralität <strong>und</strong> sozialer Wirklichkeit.<br />

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Repges, Walter. Burg<strong>und</strong>. Auf den Spuren Bernhards von Clairvaux in Citeaux, Cluny <strong>und</strong><br />

Taizé. Frankfurt am Main 1999.<br />

Ricoeur, Paul. Was ich in Taizé suche? Seit vielen Jahren kommt der französische Philosoph<br />

Paul Ricoeur nach Taizé. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra<br />

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Sander, Hans-Joachim. Heterotopie – Orte der Macht <strong>und</strong> Orte <strong>für</strong> Theologie.<br />

Michel Foucault. In: Hardt, Peter/ von Stosch, Klaus (Hg.). Für eine schwache Vernunft?<br />

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Sarasin, Philipp. Michel Foucault zur Einführung. <strong>Hamburg</strong> 2005.<br />

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In: Drehsen, Volker/ Gräb, Wilhelm/ Weyel, Birgit (Hg.). Kompendium Religionstheorie.<br />

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Schieder, Rolf. Dorfkirchen als Orte der Identifikation. Kirchbaufördervereine in praktischtheologischer<br />

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Schutz, Roger. Besuch bei Frère Roger. Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé erzählt aus<br />

seinem Leben. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 12-<br />

16.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. „Es gibt eine Stimme des Herzens“. Fragen an den Prior <strong>und</strong><br />

Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong><br />

leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 5-6.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. Monate, Tage <strong>und</strong> Zeiten. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen<br />

<strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 8.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. Vier Herzen am Kreuz. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong><br />

leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 11.<br />

70


Seiterich-Kreuzkamp. Heimat im weiten Sinn. Was bedeutet Ihnen Taizé? Fragen an Rudolf<br />

Roth. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 20-21.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. Der Platz vor der Kirche. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen<br />

<strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 22.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. Die Zeltstadt. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen <strong>und</strong> leben.<br />

Publik-Forum Extra 2004, S. 24.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. In der Versöhnungskirche. In: Taizé: Den Geist Gottes atmen<br />

<strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 25.<br />

Seiterich-Kreuzkamp, Thomas. Die Ikonen <strong>und</strong> das Kreuz. In: Taizé. Den Geist Gottes atmen<br />

<strong>und</strong> leben. Publik-Forum Extra 2004, S. 26.<br />

Simons, Oliver. Raumgeschichten. Topographien der Moderne in Philosophie, Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Literatur. München 2007.<br />

Spiegel online. Lexikon: Schutz, Roger. http://www.spiegel.de/lexikon/65406793.html<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Stökl, Andreas. Taizé. Geschichte <strong>und</strong> Leben der Brüder von Taizé. 3. durchgesehene<br />

Auflage. Gütersloh 1977.<br />

Strack, Christoph. Ort der Versöhnung, Pilgerweg des Vertrauens. In: Nientiedt, Klaus (Hg.).<br />

Taizé – Weltdorf <strong>für</strong> innere Abenteuer. Freiburg im Breisgau 2006, S. 27-31.<br />

Strack, Christoph. Taizé bei Cluny, Cluny bei Taizé. In: Nientiedt, Klaus (Hg.). Taizé –<br />

Weltdorf <strong>für</strong> innere Abenteuer. Freiburg im Breisgau 2006, S. 59-64.<br />

Suárez Müller, Fernando. Skepsis <strong>und</strong> Geschichte. Das Werk Michel Foucaults im Lichte des<br />

absoluten Idealismus. Würzburg 2004, S. 684.<br />

Taizé-Map. http://www.maplandia.com/france/bourgogne/saone-et-loire/macon/taize/<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Umbach, Helmut. Heilige Räume – Pforten des Hilmmels. Vom Umgang der Protestanten mit<br />

ihren Kirchen. Göttingen 2005.<br />

Virtuelles Taizé. http://www.taize.de.gg/ (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

Volp, Rainer. Liturgik. Die <strong>Kunst</strong> Gott zu feiern. Band 2. Theorien <strong>und</strong> Gestaltung. Gütersloh<br />

1994, S. 993.<br />

Warning, Rainer. Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung. Paderborn 2009, S. 11-41.<br />

Wolfers, Carsten. Die Foucaultschen Subjekte. Wien 2009, S. 249-263.<br />

Woydack, Tobias. Der räumliche Gott. Was sind Kirchengebäude theologisch? Schenefeld<br />

2005.<br />

71


Woydack, Tobias. Raum, Glaube, Mensch <strong>und</strong> Kirche. Die Gottesbeziehung als räumliches<br />

Geschehen. In: Arbeitsstelle Gottesdienst. Raumerk<strong>und</strong>ungen. 21. Jg. 2/2007, S. 14-22.<br />

Wüthrich, Matthias D. Raumtheoretische Erwägungen zum Kirchenraum. In: Sigrist,<br />

Christoph (Hg.). Kirchen Macht Raum. Beiträge zu einer kontroversen Debatte. Zürich 2010,<br />

S. 71-87.<br />

Zimmerling, Peter. Heilige Räume im Protestantismus – gibt es das?<br />

In: Arbeitsstelle Gottesdienst. Raumerk<strong>und</strong>ungen. 21. Jg. 02/2007, S. 23-32.<br />

Zimmerling, Peter. Die Communauté von Taizé – eine ökumenische Herausforderung an den<br />

deutschen Protestantismus. In: Una Sancta. 1/2007, S. 199-209.<br />

72


Anhang<br />

Relevante Auszüge der verwendeten Internetquellen<br />

Mader, Ruth. Diplomarbeit: „Im anderen Raum“. Homotopie <strong>und</strong> Heterotopie in Christoph<br />

Ransmayrs Roman „Der fliegende Berg“.<br />

http://othes.univie.ac.at/10728/1/2010-07-12_0602373.pdf (zuletzt eingesehen am<br />

15.08.2011.)<br />

Fußnote 50: […] „Wenn nun der „andere Raum“ derart anders konstruiert ist als die<br />

Homotopie, so ergibt sich folgende Überlegung: möglicherweise erzeugt eine Heterotopie<br />

durch ihre andere Beschaffenheit eine Veränderung im Verhalten der Menschen, die sich in<br />

ihr aufhalten. Eben diese Interpretationsmöglichkeit der foucault'schen Ausführung ist es, die<br />

dessen Theorie so attraktiv <strong>für</strong> die Auseinandersetzung mit Christoph Ransmayrs Text<br />

macht.“ […]<br />

Fußnote 51: […] „Ziel der Untersuchung ist es zu ergründen, ob der Berg als Heterotopie<br />

funktioniert, <strong>und</strong> falls ja, worin er sich von der ihm zugehörigen Homotopie unterscheidet.<br />

Diese Vorgehensweise soll schlussendlich dazu dienen herauszufinden, inwieweit die<br />

Beschaffenheit des Raumes sich auf den Ich-Erzähler <strong>und</strong> dessen Entwicklung auswirkt. […]“<br />

Fußnote 52: […] „Foucault gibt in seiner Abhandlung „Von anderen Räumen“ nur wenige<br />

Hinweise zum „realen Raum der Gesellschaft“ [AR, S. 320]. Er verweist lediglich auf dessen<br />

heterogenen Charakter:“ […].<br />

[…] „Die Homotopie ist als Raum zu verstehen, welcher sich aus mehreren Räumen<br />

zusammensetzt, die sehr verschieden <strong>und</strong> sogar zum Teil widersprüchlich zueinander sein<br />

können. Dennoch gibt es eine große gemeinsame Komponente. Es ist dies die Bedeutung,<br />

welche dem „Raum, in dem wir leben“ [AR, S. 319] im Bezug auf die Heterotopie zukommt.<br />

Die Homotopie ist die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Heterotopie, die Beziehungen, die in ihr „gespiegelt<br />

<strong>und</strong> über sie der Reflexion zugänglich gemacht werden“, werden in der Heterotopie<br />

„suspendiert[t], neutralisiert[t] oder in ihr Gegenteil verkehr[t]“ [AR, S. 320]. […]“<br />

Fußnote 53: […] „Immer deutlicher wird, dass der Protagonist im „anderen Raum“ einer<br />

Wandlung des eigenen Charakters <strong>und</strong> eine Neuentfaltung seiner Persönlichkeit erlebt. […]“<br />

„[…] Die Funktion der Heterotopie ist somit eindeutig festgelegt: der Raum des Phur-Ri stellt<br />

<strong>für</strong> den Protagonisten Pad einen Übergangsort dar, wo er sich selbst neu entfalten kann. […]“<br />

Fußnote 54: […] „Die praktizierte Raumanalyse wird hier zum Schlüssel, der es ermöglicht,<br />

einen literarischen Text aufzufächern <strong>und</strong> seine Figuren, ihre Entwicklungen <strong>und</strong><br />

Beziehungen zu einander aufzuarbeiten <strong>und</strong> festzulegen. […]“<br />

Fußnote 55: […] „Zunächst wurde festgestellt, dass Foucaults Ansatz, so beachtenswert <strong>und</strong><br />

ergiebig er <strong>für</strong> den obigen Diskurs auch ist, in seiner Kürze <strong>und</strong> Reduziertheit doch nur einen<br />

limitierten Arbeitsgebrauch ermöglicht. Eine eigenständige Erweiterung der<br />

Heterotopietheorie durch den Begriff der Homotopie war nötig, um die Voraussetzung <strong>für</strong><br />

eine sinnvolle Analyse des behandelten Romans zu schaffen. Im Übrigen gelang es gerade<br />

durch die Anwendung des Konzepts an Ransmayrs Text zu beweisen, dass Foucaults<br />

„Heterotopologie“ [AR, S. 321] keinesfalls nur auf Räume der Gesellschaft bzw. auf die<br />

Gesellschaft in ihrer Gesamtheit anwendbar ist. Der Versuch, die sechs Gr<strong>und</strong>sätze an die<br />

Lebenswelt eines einzelnen Individuums anzulegen, hat sich als eindeutig durchführbar<br />

erwiesen. […]“<br />

Fußnote 65: Mertin, Andreas. Sakralität <strong>und</strong> liturgischer Raum. Buchvorstellungen.<br />

http://www.theomag.de/70/am348.htm (zuletzt eingesehen am 15.08. 2011.)<br />

[2] Vgl. Verf. Und räumlich glaubet der Mensch. Der Glaube <strong>und</strong> seine Räume; in: Thomas<br />

Klie (Hg.), Der Religion Raum geben, Münster 1998, S. 51-76. M.E. war es Wolf Eckart<br />

Failing, der zuerst Foucaults Thesen <strong>für</strong> die religiöse Raumfrage fruchtbar gemacht hat:<br />

Failing, Wolf-Eckart (1998): Die eingeräumte Welt <strong>und</strong> die Transzendenzen Gottes. In: Wolf-<br />

73


Eckart Failing <strong>und</strong> Hans-Günter Heimbrock (Hg.): Gelebte Religion wahrnehmen.<br />

Lebenswelt - Alltagskultur - Religionspraxis. Stuttgart, Berlin: Kohlhammer, S. 91–122, hier<br />

insbes. Punkt 5.2: Der ganz andere Raum: Michel Foucaults Theorem der Heterotopie.<br />

Fußnote 86: Mertin, Andreas. <strong>Kirchenbau</strong> als Heterotop.<br />

http://www.theomag.de/28/am111.htm (zuletzt eingesehen am 15.08.2011.)<br />

[…] „Zunächst einmal aber kann <strong>Kirchenbau</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich als die paradoxe Aufgabe<br />

beschrieben werden, bewusst Heterotope, das heißt Andere Räume im von Michel Foucault[2]<br />

beschriebenen Sinne zu schaffen - <strong>und</strong> damit Alteritätserfahrungen zu ermöglichen -, die als<br />

solche freilich gar nicht geschaffen werden können, sondern allenfalls das Ergebnis eines<br />

Zufalls oder einer längeren Entwicklung sind.“ […]<br />

Fußnote 87: Mertin, Andreas. Raum-Lektüren. http://www.theomag.de/54/am248.htm<br />

(zuletzt eingesehen am 15.08.2011).<br />

[…] „Heterotopie ist zwischenzeitlich ein Modewort geworden, ohne dass das in der Sache<br />

liegende Motiv befördert worden wäre. Genutzt wird das Wort quasi als schulterklopfende<br />

selbstermächtigende Zuweisung („wir bilden den Ort, von dem aus die Gesellschaft reflektiert<br />

wird“). Dass Foucault auch Bordelle, Kolonien <strong>und</strong> Friedhöfe als Heterotopien bezeichnet<br />

hatte, wird dabei gerne unterschlagen. Das aber bildet erst die notwendige Fremdheit aus. Die<br />

Klientel, die im Augenblick über die religiöse Raumgestaltung entscheidet möchte nämlich<br />

gar keine Heterotopien im Foucault’schen Sinne, sie möchte auch keine Utopien, sondern sie<br />

möchte Sicherheit stiftende Orte des vertrauten Rückzugs aus einer als zu komplex <strong>und</strong><br />

hektisch erfahrenen Umwelt. Funktional geht es um religiöse Chill-Out-Szenarien. Aber wie<br />

in der Disco dienen diese nur als entlastendes Beiwerk zum eigentlichen Geschehen. Der<br />

Chill-Out-Raum ist nicht die Heterotopie des Techno-Geschehens, sondern dessen<br />

revitalisierender Bestandteil. Ich vermute, dass die Mehrzahl derer, die heute religiöse Räume<br />

gestalten, die Religion in einer ähnlichen Dienstleistung im Blick auf das Funktionieren der<br />

Gesellschaft sehen.“ […]<br />

Fußnote 143: Raschzok, Klaus. Die Sprache des Kirchenraumes.<br />

http://www.ekmd.de/attachment/aa234c91bdabf36adbf227d333e5305b/1df89ed0489cb2689e<br />

d11df8035b9dade78b32db32d/Raschzok_Die_Sprache_des_Kirchenraumes.pdf (zuletzt<br />

eingesehen am 16.08. 2011).<br />

[…] „Primär gottesdienstliche <strong>und</strong> scheinbar außergottesdienstliche Nutzung eines Kirchen-<br />

gebäudes sind jedoch eng aufeinander bezogen. Es ist daher danach zu fragen, welche<br />

wechselseitigen Zusammenhänge sich dabei entfalten <strong>und</strong> zu wirken beginnen. Entscheidend<br />

ist, die spezifische Öffentlichkeitsdimension von Kirchengebäuden zu beachten. Sie gehören<br />

nicht nur dem kleinen Kreis der binnengemeindlich kirchlich Engagierten.“ […]<br />

Fußnote 144: […] „Der Kirchenraum ist als ein transparenter Übergangsraum zwischen<br />

Lebens- <strong>und</strong> Glaubensgestaltung zu verstehen, im Sinne eines spirituellen Potenzials, das in<br />

die jeweils eigene Lebensgestalt transformiert werden kann.“ […]<br />

Fußnote 145: […] „Es ist <strong>für</strong> gar nicht immer erforderlich, dass sich in ihm eine auch im<br />

empirischen Sinne repräsentative Gemeinde versammelt. Vielmehr genügt eine<br />

stellvertretende (<strong>und</strong> im Extremfall zahlenmäßig sehr kleine) feiernde „Gemeinde“, da der<br />

Kirchenraum ja bereits mit den Lebens-, Glaubens- <strong>und</strong> Gebetsspuren derer angefüllt ist,<br />

welche die Woche über dort Zuflucht, Stille <strong>und</strong> das Gebet gesucht haben, <strong>und</strong> diese<br />

„Alltagsspuren“ nun erneut mit den expliziten Gottesdienstspuren zu einer<br />

Einheit verb<strong>und</strong>en werden.“ […]<br />

Fußnote 146: […] „Ein Kirchenraum erzählt seine Gottesdienst- <strong>und</strong> Gebetsgeschichte. Für<br />

den, der die Christus-Spuren zu lesen vermag, wird Christus im Raum wieder<br />

gegenwärtig.“[…]<br />

Fußnote 167: Ateliers et Presses de Taizé. Taizé feiert sein 70-jähriges Bestehen.<br />

Artikel auf der Homepage der Kommunität Taizé. http://www.taize.fr/de_article11167.html<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011. […] „Taizé feiert sein 70-jähriges Bestehen“ […]<br />

74


Fußnote 174: Ateliers et Presses de Taizé. Ein „Gleichnis der Gemeinschaft“.<br />

Artikel auf der Homepage der Kommunität Taizé. http://www.taize.fr/de_article6599.html<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2001). […] „Heute zählt die Communauté de Taizé an die<br />

h<strong>und</strong>ert Brüder, Katholiken <strong>und</strong> Mitglieder verschiedener evangelischer Kirchen. Sie<br />

stammen aus über fünf<strong>und</strong>zwanzig Ländern.“ […]<br />

Fußnote 176: Ateliers et Presses de Taizé. Worum geht es bei den Treffen?<br />

Artikel auf der Homepage der Kommunität. http://www.taize.fr/de_article5503.html (zuletzt<br />

eingesehen am 16.08.2011). Vgl.: <strong>für</strong> eine ausführlichere Beschreibung der Jugendtreffen.<br />

Fußnote 180: Enzinger, Christoph. Ortsnamen in Taizé.<br />

http://www.kdjc.de/taize_chemnitz/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=14<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011). […] „Douala. Zeltplatz größte Stadt in Kamerun,<br />

Hafenstadt in der Bucht von Biafra Nach der Eröffnung des "Konzils der Jugend" am 30.<br />

August 1974 in Taizé fand Ende Dezember 1975 in Douala das erste afrikanischen "Fest des<br />

Konzils der Jugend" statt.“ […]<br />

Fußnote 182: Burg<strong>und</strong>: Taize. Frankreich Experte.<br />

http://www.frankreich-experte.de/fr/2/2804/taize.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

[…] Taizé: „Einwohner 165 […] Gemeindekirche (12.Jh.)“ […]<br />

Fußnote 228: Enzinger, Christoph. Die Taizé-Komponisten.<br />

http://www.st.stephan.at/beheimatet/taize/kompon.htm (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

[…] „Ebenso wie die Heiligenbilder zur Betrachtung des Unsichtbaren führen sollen, so soll<br />

die Musik das Unhörbare hörbar machen. Ich sehe unter anderem zwei Arten, dieses Ziel zu<br />

erreichen. […]Ein Symbol, ganz einfach, fast rein <strong>und</strong> nackt, wie das Taufwasser, die Flamme<br />

einer Kerze oder das gebrochene Brot. Eine Musik, die nicht mehr von sich selbst erfüllt ist,<br />

sondern Stille <strong>und</strong> Anbetung trägt, wie die Jungfräuliche Mutter das eingeborene Wort." […]<br />

Fußnote 245: Ateliers et Presses de Taizé. Wer kann wann kommen?<br />

http://www.taize.fr/de_article5502.html (zuletzt eingesehen am 16.08.2011).<br />

[…] „Erwachsene über 30 können höchstens einmal im Jahr <strong>für</strong> eine Woche - von Sonntag bis<br />

Sonntag oder <strong>für</strong> ein Wochenende - kommen.“ […]<br />

Fußnote 263: Ateliers et Presses de Taizé. Ein Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde. Frère<br />

Alois. Brief aus Kalkutta. http://www.taize.fr/de_article6137.html (zuletzt eingesehen am<br />

16.08.2011). […] „Unterwegs auf dem ‚Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde’, der<br />

Jugendliche aus zahlreichen Ländern zusammenführt, begreifen wir eines immer tiefer: Alle<br />

Menschen bilden ein <strong>und</strong> dieselbe Familie, <strong>und</strong> Gott bewohnt ausnahmslos jeden Menschen.“<br />

[…]<br />

Fußnote 265: Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Bergedorfer Marschen. Unsere<br />

Patenkinder in Alagoinhas, Brasilien. http://www.bergedorfer-marschen.de/patenschaft.0.html<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011). […] „Ihren Unterhalt finanzieren sie durch eigene<br />

Einnahmen, wie der Vermietung ihrer Räume <strong>und</strong> handwerklichen Tätigkeiten, doch um die<br />

existierenden Projekte weiter fortzusetzen, benötigen sie Unterstützung von außen.“ […]<br />

Fußnote 283: Die Fre<strong>und</strong>schaftsikone unterwegs in Deutschland.<br />

http://fre<strong>und</strong>schaftsikone.de/ (zuletzt eingesehen am 16.08.2011). […] „Diese Seite dient<br />

dazu, den Weg der Fre<strong>und</strong>schafts-Ikone, die am Ende des Europäischen Jugendtreffens in<br />

Zagreb übergeben wurde, zu verfolgen <strong>und</strong> Absprachen zu vereinfachen.“ […]<br />

Fußnote 285:<br />

Spiegel online. Lexikon: Schutz, Roger. http://www.spiegel.de/lexikon/65406793.html<br />

(zuletzt eingesehen am 16.08.2011). […] „Bis heute erlebten sie an die 90 Ausgaben <strong>und</strong><br />

werden weltweit in 50 Sprachen gesungen, womit sie wohl als die am weitesten verbreitete<br />

christliche Musik anzusehen sind. Einige Lieder fanden auch Aufnahme in verschiedensten<br />

Kirchengesangbüchern.“ […]<br />

75


Erklärung über die Ausleihe der Arbeit in den Bibliotheksbestand<br />

„Ich erkläre mich einverstanden, dass meine Bachelor-Arbeit an die Fachbereichsbibliothek<br />

der Evangelischen Theologie der <strong>Universität</strong> <strong>Hamburg</strong> ausgeliehen wird.“<br />

……………………………………………………………………………………………..<br />

Datum/ Unterschrift<br />

76


Eigenständigkeitserklärung<br />

„Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig <strong>und</strong> unter Benutzung<br />

keiner anderen Quellen als der genannten (gedruckte Werke, Werke in elektronischer Form<br />

im Internet, auf CD <strong>und</strong> anderen Speichermedien) verfasst habe. Alle aus solchen Quellen<br />

wörtlich oder sinngemäß übernommenen Passagen habe ich im Einzelnen unter genauer<br />

Angabe des F<strong>und</strong>ortes gekennzeichnet. Quellentexte, die nur in elektronischer Form<br />

zugänglich waren, habe ich in den wesentlichen Auszügen kopiert <strong>und</strong> der Ausarbeitung<br />

angehängt. Die schriftliche Fassung entspricht derjenigen auf dem elektronischen<br />

Speichermedium. Die vorliegende Arbeit habe ich vorher nicht in einem anderen<br />

Prüfungsverfahren eingereicht.“<br />

…………………………………………………………………………………………<br />

Datum/ Unterschrift<br />

77

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