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MOVI E MENTODAS ÄLTESTE KINO DEUTSCHLANDS – GERMANY‘S OLDEST CINEMAAls Sebastian an einem Donnerstag im Frühjahr2012 aufwacht, hat er Haare im Mund.Er richtet sich auf, fasst sich an den Kopfund kann kaum glauben, was er spürt und sieht:Sein Kissen ist bedeckt mit Haarbüscheln, an seinemKopf ertastet er kreisrunde kahle Stellen.Danach geht alles ganz schnell. Innerhalb vondrei Wochen verliert Sebastian sein gesamtesKopfhaar, ein Drittel davon bei einer einzigen Dusche.Es vergehen keine zwei Monate, bis der damals19-Jährige auch von Augenbrauen und WimpernAbschied nehmen muss, kurz darauf findetsich kein einziges Haar mehr an seinem Körper.Binnen kürzester Zeit verändert sich SebastiansÄußeres völlig. Der Schicksalsschlag reißt nichtnur ein tiefes Loch in den Alltag des Abiturienten –sein Lebenslauf gerät ins Stocken.Kurz vor seinem Abitur erkrankte Sebastian anAlopecia areata universalis, genannt »kreisrunderHaarausfall am gesamten Körper« – eine Krankheit,bei der das Immunsystem plötzlich körpereigeneOrgane bekämpft. Derzeit sind etwa zweiProzent aller Menschen von der einfachsten Formdieser Krankheit betroffen. Die genaue Ursachedes Haarausfalls ist immer noch unbekannt. Zwarist es möglich, dass seine Haare irgendwann wiederwachsen. Die Therapien aber, die Sebastianschon hinter sich hat, blieben bislang ohne Erfolg.Zur psychischen Belastung kommt für Betroffenewie ihn auch eine enorme finanzielle: Haare erfüllenkeine lebenswichtige Funktion, ihr Fehlen wirdvon den Krankenkassen als »kosmetisches Problem«betrachtet. Daher muss Sebastian die Kostenfür viele Leistungen selbst aufbringen.Mit dem äußeren Erscheinungsbild verändertensich auch Alltag und Lebenseinstellung desdamals 19-Jährigen drastisch. »Ich bin anfangsnicht mehr aus dem Haus gegangen und habemir durch meine ständige depressive Stimmungdas Leben regelrecht selbst vorenthalten«, erzähltSebastian. Er dachte an Selbstmord. Die Reaktionenseiner Mitmenschen auf sein neues Aussehenwaren oft unsensibel. Besonders traf ihn die Frageseines Schuldirektors, ob er »unter die Radikalengegangen« sei. Manche Freunde begannen, ausAngst oder Scham, Sebastian zu meiden.Auch der kommende Lebensabschnitt sahplötzlich düster aus. Viele von Sebastians Plänenfür die Zeit nach der Schule wurden durch dieKrankheit durchkreuzt: Sein Ausflug in die Modelbranchewar beendet, das gesparte Geld für dieerste eigene Wohnung investierte er in Behandlungen.Seine Krankheit schränkte sogar die Wahlseines Studienortes ein: Für die Therapie mussteer in der Nähe von Berlin bleiben.Um seinen Ängsten entgegenzutreten, begannSebastian, sein Leben mit Alopecia in einemBlog festzuhalten. Das war nur der Beginn einerlangen und schwierigen Auseinandersetzung mitsich selbst und seinem Umfeld: »Die größte Herausforderungwar es, mein Selbstbewusstseinrein auf meine charakterlichen Stärken zu bauen– nicht auf mein Spiegelbild.« Über eine Perückedachte er lange nach. Doch bei den Männerperücken,erzählt er, sei nie eine für ihn dabei gewesen.»Außerdem hätte mich eine Perücke nie zudem selbstbewussten Menschen gemacht, der ichheute bin«, fügt er hinzu.Er findet, dass seine Krankheit ihm frühzeitigLektionen erteilt hat, die andere erst später odernie lernen: »Einige oberflächliche Bindungen gingendurch die Krankheit kaputt«, erzählt er, »andereentwickelten sich dafür umso intensiver.«Das gilt auch für die Partnersuche: »Ich lerne zwardeutlich weniger Leute kennen, jedoch sind dieseKontakte oftmals ehrlicher und weniger auf dasäußere Erscheinungsbild fixiert.«Auf die häufigen Fragen nach seinem Erscheinungsbildreagiert Sebastian gelassen – wenn siein angemessener Form gestellt werden. Doch erhat nicht den Eindruck, im Alltag angestarrt zuwerden: »So wie man in den Wald hinein ruft, soschallt es heraus«, sagt er. Er bemühe sich, anderegenauso wenig nach ihrem Äußeren zu beurteilen,wie er es sich umgekehrt von ihnen wünscht.Seinen neuen Lebensmut gewann er durch dieErfahrungen nach der Schule. Ein spezieller Hilfsantragsicherte ihm einen Platz für Geografie undEnglisch an der Uni Potsdam, in der Nähe seinerHeimat. Eine Erleichterung für Sebastian. »So einBruch im Leben bindet sehr stark an die Familie«,sagt er. Seine Ängste vor der Begegnung mit denKommilitonen erwiesen sich schnell als unbegründet.»Ich wurde ganz normal angeschaut undkonnte somit auch selbstsicher auf Leute zugehenund neue Freunde finden.«Die kleinen Alltäglichkeiten, die für anderelästige Pflicht sind, vermisst er immer noch, soetwa das Rasieren und Haaremachen morgensvor dem Spiegel. Doch Sebastian findet, dassihn die Krankheit menschlich vorangebracht hat,wenn auch zu einem hohen Preis. Er schätze seineGesundheit viel höher und habe gelernt, anderenMenschen unvoreingenommen zu begegnen,sagt er. Von kleineren Sorgen lässt er sich nichtmehr so schnell aus dem Gleichgewicht bringen.Anderen Betroffenen rät er, nicht aufzugeben undoffensiv mit der Krankheit umzugehen: »Je aufgeschlossenerman das Thema behandelt, destobesser ist die Resonanz der Mitmenschen.«Heute ist Sebastian ein Student unter vielen: Erstrebt nach einem erfolgreichen Studienabschlussund träumt vom Reisen und einem erfüllten Leben.Er hat gelernt, sein Leben ohne Haare zu leben– auch wenn es sein größter Traum bleibt, dieMütze eines Tages wieder einmotten zu können.Foto: Lisa KirchnerMareike-Vic Schreiber studiertDeutsche Philologie. Sebastiankennt sie schon seit der Schulzeitund hat besonders Respekt vorseinem Mut.ab 20.6.Promised Land (OmU)ab 13.6.Die Jungfrau, die Kopten & ichCODENAME KINOTragt Euch aufWWW.MOVIEMENTO.DEin den Newsletter ein und besuchtausgewählte Veranstaltungen zumFreundschaftspreis.ab 27.6.A Silent Rockumentaryab 27.6.Papadopoulos & Söhneim KinoCanım KreuzbergMOVIEMENTOKottbusser Damm 22Berlin Kreuzbergwww.moviemento.de030 . 6924785

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