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Eco- Nomics<br />

Software zu den politischen<br />

Implikationen der Technologie.<br />

Genauer gesagt, setzt er sich für<br />

etwas ein, das Multimedia Arcade<br />

genannt wird. Das Projekt mag<br />

nach einem CD-ROM Spieleverleger<br />

mit beschränkter<br />

Phantasie klingen, aber Eco will<br />

damit die Gesellschaft wie wir sie<br />

kennen verändern.<br />

Das Center wird mit einer<br />

Multimediabibliothek ausgestattet<br />

sein, einem Computerausbildungszentrum<br />

und Terminals<br />

mit Netzzugang - alles unter<br />

der Leitung des Stadtrats von<br />

Bologna.<br />

Dort können die ortsansässigen<br />

Bürger gegen ein geringes<br />

Entgelt im Netz surfen, emails<br />

versenden, neue Programme kennenlernen<br />

und search engines verwenden<br />

- oder einfach nur im<br />

Cybercafe herumhängen.<br />

Die Multimedia Arcade, die<br />

Ende 19<strong>97</strong> eröffnet werden soll,<br />

wird mit ungefähr 50 state-ofthe-art<br />

Terminals ausgestattet<br />

sein, die untereinander zu einem<br />

lokalen Netzwerk verbunden sind<br />

und eine schnelle Verbindung zum<br />

Netz haben. Es wird eine große<br />

Multimedia-, Software- und Printbibliothek<br />

bieten, außerdem eine<br />

Belegschaft von Lehrern, Technikern<br />

und Bibliothekaren.<br />

Die Prämisse ist einfach: wenn<br />

Gewandtheit im Umgang mit dem<br />

Netz ein Grundrecht ist, soll es<br />

für alle Bürger vom Staat garantiert<br />

werden. Wir verlassen uns<br />

nicht darauf, daß der freie Markt<br />

unseren Kindern das Lesen beibringt,also<br />

warum sollten wir uns<br />

darauf verlassen, daß er unseren<br />

Kindern das Surfen im Netz beibringt?<br />

Eco sieht das Zentrum in<br />

Bologna als das Pilotprojekt für<br />

eine das ganze Land und - warum<br />

nicht? - sogar die ganze Welt<br />

umspannende Kette von hochtechnologischen<br />

öffentlichen Bibliotheken.<br />

Erinnern Sie sich, das ist der<br />

Mann mit dem altbackenen<br />

europäischen humanistischen<br />

Glauben in die Bibliothek als ein<br />

Modell für gute Gesellschaft und<br />

geistige Erholung - ein Mann, der<br />

sogar soweit ging zu sagen, daß<br />

"Biblio-theken den Platz Gottes<br />

einnehmen könnten."<br />

Marshall: Sie sagen, das neue Multimedia<br />

Arcade Projekt sei vor allem dazu da, sicherzustellen,<br />

daß die Cybergesellschaft ein<br />

demokratischer Lebensraum wird -<br />

Eco: Es besteht das Risiko, daß wir<br />

uns auf ein online-1984 zubewegen, in<br />

dem Orwell's "proles" durch die passive,<br />

durchs Fernsehen gesättigten<br />

Massen repräsentiert wird, die keinen<br />

Zugang zu dem neuen Werkzeug haben<br />

und es auch nicht bedienen könnten,<br />

wenn dem so wäre. Über ihnen wird es<br />

natürlich eine winzige Bourgeoisie von<br />

passiven Benutzern geben - Büroangestellte,<br />

Fluglinienpersonal. Und<br />

letztendlich werden wir die Herren des<br />

Spiels haben, die Nomenklatura im<br />

sowjetischen Sinn des Wortes. Das hat<br />

nichts mit Klasse im traditionellen marxistischen<br />

Sinne zu tun - die<br />

Nomenklatura können genausogut<br />

irgendwelche Hacker in der Großstadt<br />

oder reiche Manager sein. Aber sie werden<br />

eines gemeinsam haben: Das<br />

Wissen, das Macht bringt. Wir müssen<br />

eine Nomenklatura der Massen erzeugen.<br />

Wir wissen, daß state-of-the-art<br />

Modems, ein ISDN Anschluß und<br />

Hardware nach dem letzten Schrei für<br />

die meisten potentiellen Benutzer unerschwinglich<br />

sind - besonders, wenn man<br />

alle sechs Monate aufrüsten muß. Also<br />

geben wir den Leuten freien Zugang<br />

oder zumindest Zugang um den Preis<br />

eines Telephonanschlusses.<br />

Warum nicht einfach die Demokratisierung<br />

des Netzes dem Markt überlassen - ich meine,<br />

den fallenden Preisen die durch die starke<br />

Konkurrenz entstehen?<br />

Schauen Sie sich das von einer anderen<br />

Seite an: Als Benz und die anderen<br />

das Automobil erfanden, hatten sie<br />

keine Ahnung, daß die Massenproduktion<br />

mit Henry Fords Model T<br />

einsetzen würde - und der kam nur 40<br />

Jahre später. Also, wie bringen sie Leute<br />

dazu, ein Transportmittel zu benutzen,<br />

daß für niemanden außer den sehr<br />

Reichen erschwinglich ist? Einfach: Sie<br />

verleihen nach Minuten, mit Fahrer,<br />

und nennen das Ganze ein Taxi. Das war<br />

es, was den Leuten den Zugang zur<br />

neuen Technologie erlaubte, aber das<br />

war es auch, was der Industrie erlaubte,<br />

sich zu jenem Punkt fortzuentwickeln<br />

zu dem der Model T Ford vorstellbar<br />

wurde. In Italien ist das Marktareal Netz<br />

noch winzig: Es gibt vielleicht 300.000<br />

ständige Benutzer, was in dieser Sparte<br />

lächerlich ist.<br />

Aber wenn Sie ein Netzwerk von<br />

städtischen Zugangspunkten haben -<br />

von denen jeder das Bestreben hat, den<br />

Benutzern die mächtigsten Systeme<br />

nach dem letzten Stand zur Verfügung<br />

zu stellen - dann sprechen Sie von einem<br />

respektablen Umschwung, der wiederum<br />

dazu führt, den Massen Model T<br />

Hardware, Anschlüsse und Bandbreite<br />

zu geben.<br />

Glauben sie wirklich, daß Mechaniker und<br />

Hausfrauen Multimedia Arcade stürmen<br />

werden?<br />

Nein, nicht von Anfang an. Als<br />

Gutenberg die Druckpresse erfand<br />

haben die arbeitenden Klassen auch<br />

nicht sofort Exemplare der 42-Zeilen<br />

Bibel bestellt, aber sie haben sie ein<br />

Jahrhundert später gelesen. Und vergessen<br />

Sie nicht Luther. Trotz des weitverbreiteten<br />

Analphabetismus fand<br />

seine Übersetzung des Neuen<br />

Testaments in allen Gebieten<br />

Deutschlands des 16. Jahrhunderts<br />

Verbreitung. Was wir brauchen ist ein<br />

Luther des Netzes.<br />

Aber was ist so besonders an Multimedia<br />

Arcade? Ist es nicht nur ein staatliches<br />

Cybercafe?<br />

Das Ganze soll natürlich nicht zu<br />

einem Warteraum eines Ministeriums<br />

der italienischen Regierung werden, das<br />

ist klar. Aber wir hier haben den Vorteil<br />

eine Mittelmeerkultur zu sein. Das<br />

angelsächsische Cybercafe stellt eine Art<br />

peep show dar, weil die angelsächsische<br />

Bar ein Ort ist, zu dem Leute gehen, um<br />

ihrer Einsamkeit gemeinsam mit anderen<br />

nachzuhängen. In New York kann<br />

es sein, daß sie "Hi! - Schöner Tag<br />

heute!" zu der Person auf dem nächsten<br />

Barhocker sagen, aber dann versinken<br />

sie wieder in ihr Sinnieren über die Frau,<br />

die Sie verlassen hat. Das Modell für<br />

Multimedia Arcade ist aber die mediterrane<br />

Osteria. Das sollte sich in der<br />

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