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passagen - Pro Helvetia

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schen Politik gehalten werden. Doch die Mehrheit<br />

der Amerikaner weiss nur wenig über die Schweiz.<br />

Allerdings: Die Schweiz ist hier für einmal kein<br />

Sonderfall. Genau so vage bleiben die Vorstellungen<br />

über Dänemark, Schweden, die Slowakei oder<br />

Holland. Wer nicht gerade in Schweizer Vereinen<br />

oder bei Schweiz-Spezialisten in Wirtschaft, Politik<br />

oder Kultur herumhört, wird Mühe haben,<br />

über die üblichen Klischees von den hohen Bergen,<br />

klaren Seen, friedlich weidenden Kühen,<br />

Käse, Schokolade, Uhren oder Banken hinaus fündig<br />

zu werden.<br />

Kürzlich habe ich gelesen, dass das amerikanische<br />

Interesse an der Schweiz und anderen europäischen<br />

Ländern wieder steigen könnte. Ich habe<br />

meine Zweifel. Das hat zunächst mit der Tatsache<br />

zu tun, dass die meisten Amerikaner zwar in<br />

der einen oder anderen Form Einwanderer waren<br />

oder sind, aber dennoch Einwanderer, die ihre<br />

alte Heimat verlassen und eine neue gefunden haben.<br />

Manche von ihnen sind zwar stolz, Schweizer-Amerikaner,<br />

Italo-Amerikaner oder Irisch-<br />

Amerikaner zu sein. Aber letztlich sind sie eben<br />

doch in erster Linie Amerikaner. Irisch-Amerikaner<br />

oder Abkömmlinge von Einwanderern aus Sizilien<br />

mögen – in oft verklärender Weise – sich für<br />

ihre alte Heimat in Cork oder Palermo begeistern.<br />

Aber es ist nicht anzunehmen, dass sie sich speziell<br />

auch noch für die Schweiz interessieren. Warum<br />

sollten sie auch?<br />

Vom Atlantik zum Pazifik: Dazu kommt, dass die<br />

USA, noch immer das Einwanderungsland par<br />

excellence, seit Mitte der sechziger Jahre eine<br />

massive Einwanderungswelle aus Lateinamerika,<br />

der Karibik sowie aus Süd- und Ostasien erleben.<br />

Die Einwanderung aus Europa, zumindest aus<br />

Westeuropa, ist in den letzten Jahrzehnten dagegen<br />

so gut wie verebbt. Das hat, ja muss Konsequenzen<br />

für das amerikanische Interesse an Europa<br />

(und damit auch der Schweiz) haben. Dass sich<br />

die Millionen von neu zugezogenen Mexikanern,<br />

Indern, Chinesen oder Vietnamesen als neugebakkene<br />

Amerikaner besonders für Europa interessieren,<br />

ist nicht anzunehmen. Und so wenden<br />

sich die USA – langsam aber sicher – Lateinamerika<br />

und Asien zu. Auch wenn es viele Europäer<br />

und gerade Schweizer nicht so recht wahr<br />

haben wollen: Die USA sind heute – mehr denn je<br />

– weit mehr als nur ein kultureller Wurmfortsatz<br />

Europas, mehr als ein blosser Vorposten der<br />

westlich-atlantischen Zivilisation. Im Gegensatz<br />

zu Europa, das mit der Immigration schon immer<br />

seine Mühe hatte, integriert Amerika trotz aller<br />

Schwierigkeiten nicht-europäische Einwanderer<br />

in grosser Zahl. Und verändert sich als Land mit<br />

ihnen, ethnisch, gesellschaftlich und kulturell.<br />

Gleichzeitig verlagert sich sein Schwerpunkt vom<br />

Atlantik zum Pazifik.<br />

Dennoch: Europa und die USA teilen noch immer<br />

ein bemerkenswertes Mass an kulturellen und intellektuellen<br />

Gemeinsamkeiten und Werten. Europa<br />

hat diesbezüglich durchaus einen erheblichen<br />

Einfluss auf das politische und kulturelle Denken<br />

der Vereinigten Staaten gehabt. Einen Einfluss,<br />

der bis auf den heutigen Tag deutlich nachwirkt.<br />

Hier kommt auch die kleine Schweiz ins Spiel,<br />

und zwar sehr prominent. Schweizerisches politisches<br />

Denken und schweizerische politische Praxis<br />

haben auf die Entwicklung der amerikanischen<br />

Demokratie einen beträchtlichen Einfluss gehabt.<br />

Sie sind auch heute noch im politischen Alltag<br />

deutlich zu spüren. Es gehört zur Ironie der Geschichte,<br />

dass dieser wirklich bedeutende schweizerische<br />

Beitrag zur amerikanischen Geschichte<br />

in der Schweiz weniger bekannt ist als in den<br />

USA selbst.<br />

Die Schwester-Republiken: Im späten 18. und bis<br />

weit ins 19. Jahrhundert hinein war die kleine<br />

Schweiz im fernen Europa so etwas wie ein Vorbild<br />

für die junge amerikanische Republik. Kein<br />

Wunder, dass der Blick der Amerikaner gerade<br />

auf die Schweiz fiel. Die Alte Eidgenossenschaft<br />

war einer der wenigen republikanischen Staaten<br />

in einem Meer von mehr oder weniger straff organisierten<br />

Monarchien. Schon sehr bald begann<br />

man sowohl in der Schweiz wie auch den USA<br />

von einer engen Partnerschaft zu sprechen. Das<br />

Wort von den ‹Sister Republics›, den zwei Schwesterrepubliken,<br />

machte die Runde. Als es in den<br />

USA 1787 um die Niederschrift der ersten republikanischen<br />

Verfassung ging, diskutierte man das<br />

schweizerische Vorbild geradezu leidenschaftlich.<br />

Sollte man sich als lose Konföderation konstituieren,<br />

wie das damals die Alte Eidgenossenschaft<br />

war? Oder sollte man nicht vielmehr etwas grundsätzlich<br />

Neues wagen? Man entschied sich für einen<br />

föderalistisch aufgebauten Staat, der aber<br />

dennoch – anders als das schwache Tagsatzungssystem<br />

der dreizehnköpfigen Eidgenossenschaft<br />

– eine relativ starke Zentralgewalt aufwies.<br />

Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später waren<br />

es die Schweizer, die von der ‹Sister Republic›<br />

jenseits des Atlantiks in Sachen Verfassung lernen<br />

wollten. Die liberal-radikalen Gründungsväter<br />

der neuen Schweiz von 1848 suchten nicht lange<br />

nach möglichen Vorbildern für ihre Bundesverfassung.<br />

Für sie kam da – beinahe zwangsläufig –<br />

nur eine Verfassung in Frage: die amerikanische.<br />

Kein Wunder, denn auch 1848 war eine Republik,<br />

die sich auf die Herrschaft des Volkes berief, immer<br />

noch eine geradezu exotische Ausnahme. In<br />

starker Anlehnung an das amerikanische Vorbild

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