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«Wer Glück hat, der findet hier Gold»<br />
Der Schweizer Migrationsforscher Leo Schelbert auf Spurensuche in den USA<br />
Ines Anselmi<br />
Leo Schelbert<br />
Foto: Ines Anselmi<br />
Kaum einer ist auf dem Spezialgebiet der schweizerischen Migrationsgeschichte so bewandert wie er. Der promo-<br />
vierte Historiker Leo Schelbert, selbst eine Spezies der Gattung Auswanderer, wurde 1971 an die University of Illi-<br />
nois nach Chicago berufen. Was ihn dort beschäftigte und was ihn bis heute umtreibt, verrät dieses Porträt ❙<br />
Das Vertraute hinter sich lassen, ins Unbekannte<br />
aufbrechen – die Verheissungen der terra incognita<br />
beflügeln seit jeher die Phantasie des westlichen<br />
Menschen. Doch kein Ereignis hat den Pioniergeist<br />
der Europäer so angestachelt wie die<br />
‹Entdeckung› Amerikas. Legionen von Auswanderern,<br />
darunter nicht wenige aus der Schweiz, sind<br />
dem Ruf von Freiheit, Abenteuer und unbegrenzten<br />
Möglichkeiten gefolgt. Wie gelangten sie in<br />
die Neue Welt? Wie wurden sie dort aufgenommen?<br />
Wie sah ihr Alltag aus? Welche Freuden<br />
und Nöte haben sie erlebt?<br />
Anschaulicher als historische Abhandlungen und<br />
die Zahlen der Statistiken schildern Briefe, Tagebücher<br />
und andere Aufzeichnungen, was Schweizer<br />
Auswanderer in Amerika vor hundert, zwei- oder<br />
dreihundert Jahren bewegte. Mit wissenschaftlicher<br />
Akribie und dem Spürsinn eines Goldgräbers<br />
hat Leo Schelbert in Archiven dies- und jenseits<br />
des Atlantiks verborgene Schätze geortet,<br />
Hunderte mehr oder weniger ungelenk geschriebene<br />
Manuskripte entziffert, die interessantesten<br />
ausgewählt, transkribiert, kommentiert und in<br />
verschiedensten Publikationen der Leserschaft<br />
zugänglich gemacht. Damit eröffnet sich der Migrationsforschung<br />
ein Territorium, das zuvor weitgehend<br />
brach lag.<br />
Monatelange Fahrt über den Atlantik: Wie langwierig<br />
und strapaziös die Reise über den Atlantik<br />
früher war und wie viele Passagiere dabei an Typhus,<br />
Pocken, Cholera oder einem andern ‹Schiffs-<br />
Fieber› verstarben, können wir uns heute kaum<br />
mehr vorstellen. Allein die Anreise – bis die Auswanderungswilligen<br />
nach Liverpool, Le Havre,<br />
Nieuwediep oder eine andere Hafenstadt am Atlantik<br />
gelangten – war mit vielen Wartezeiten,<br />
Zollschranken und anderen zeitraubenden Hindernissen<br />
verbunden, ganz zu schweigen von der<br />
Mühsal der Überfahrt per Segelschiff.<br />
Joggi Thommen, Conestoga Pennsylvania 1736: «Wir<br />
haben fast alle Kranckheiten müssen ausstehen auf dem<br />
Meer. Es geht sehr unlustig zu in Essen und Trincken.<br />
Und die Schiffleuth halten nicht, wass sie versprochen.<br />
Man muss sich selbs versehen mit Brot, Wein, Mähl,<br />
dürrem Zeug und Zuckher. (...) Ich darff Niemand rathen<br />
zu kommen, wegen denen vielen Anstössen auf der<br />
Rayss».*<br />
Die Fortschritte der Technik ermöglichten im 19.<br />
Jahrhundert zunehmend schnelleres und bequemeres<br />
Reisen. 1864 fuhren Reisende mit der Eisenbahn<br />
in 40 Stunden von Basel nach Le Havre, früher<br />
brauchten sie für dieselbe Strecke 20 – 25<br />
Tage. Die ersten Dampfschiffe über den Atlantik<br />
kamen zwar schon um 1820 herum zum Einsatz,<br />
aber erst eine auf den Personentransport spezialisierte<br />
Bauweise führte nach 1870 dazu, dass Ozeandampfer<br />
die Segelschiffe mehr und mehr verdrängten.<br />
1880 betrug die mittlere Reisedauer nur<br />
noch 8 Tage, 1900 nur noch 5 – 6 Tage. Nicht nur<br />
die Fahrzeit verkürzte sich, auch Hygiene und<br />
Verpflegung wurden besser, die Schlaf- und Essquartiere<br />
geräumiger, das Leben an Bord ganz allgemein<br />
immer angenehmer, zumindest für Passagiere<br />
der 1. und 2. Klasse. Zwischendeckpassagiere<br />
mussten sich noch bis zur Jahrhundertwende<br />
mit überfüllten, stickigen und dunklen Räumen<br />
begnügen.<br />
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