Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
fühl, während der Schweizer Stil bei mir eher Rückenschauer<br />
und Blutwallungen hervorruft.» Cody gibt<br />
ihm recht: «Der Schweizer Jodel ist viel energischer,<br />
plakativer. Der Sänger steht leidenschaftlich für eine<br />
Sache ein (Liebe, Politik, Natur) und ist vollkommen<br />
überzeugt, dass dies mitgeteilt werden muss.»<br />
Janet McBride, die texanische Grande Dame des<br />
Cowgirl-Jodelns, sagt: «Der Schweizer Jodel basiert<br />
stärker auf harmonischen Begleitstimmen, deren Zusammenwirken<br />
die schönsten Jodelklänge ergibt, die<br />
man sich nur denken kann.» Der Tschecho-Texaner<br />
Randy Erwin, Meister in vielen Jodelstilen, bemerkt:<br />
«Der Blues-Jodel ist gewissermassen der Hauptgang,<br />
und die schnellen Schweizersachen sind das Dessert,<br />
das auf einer langen Tradition beruht und relativ stark<br />
reglementiert ist. Der Cowboyxstil ist ein Bastard, der<br />
sich umtun kann, ganz wie es ihm beliebt, weil niemand<br />
weiss, woher er eigentlich stammt. Wenn ich meine<br />
Jodel singe, höre ich Afrikaner, Iren, Blues, Hawaiigitarren,<br />
Hillbilly und Burschen in Lederhosen, die sich<br />
auf die Kniee klatschen.»<br />
Kommunikative Magie: Somit ist alles, was Sie<br />
jemals über das Jodeln gehört haben, falsch. Unsere<br />
Kultur hat uns darauf konditioniert, das Jodeln<br />
als etwas Marginales, Ärgerliches wahrzunehmen<br />
– als Symptom dafür, dass unsere Kultur mit<br />
schwerwiegenden Mängeln behaftet ist. In Wirklichkeit<br />
ist das Jodeln aber eine hochwirksame<br />
Kommunikationsform. Dieser Umstand wird satirisch<br />
verarbeitet in Tim Burtons Film Mars Attacks:<br />
die Helme der anrückenden Marsbewohner zerspringen,<br />
ihre knolligen Köpfe zerplatzen, so dass<br />
ihre grünliche Hirnmasse hoch aufspritzt, wenn<br />
sie den theatralisch übersteigerten Jodel des Sängers<br />
Slim Whitman hören. In Disneys Home on the<br />
Range, erfährt der Schurke Alameda Slim, dass<br />
sein Jodeln nicht nur Rindvieh, sondern auch Menschen<br />
hypnotisiert. Er hofft, diese Gabe zur Beeinflussung<br />
der Massen verwenden zu können,<br />
damit er zum Präsidenten gewählt wird. In George<br />
und Ira Gershwins Musical Strike Up The Band<br />
(1927), einer bissigen Antikriegssatire, wird das<br />
Jodeln als Geheimwaffe eingesetzt, um die Schweizer<br />
Armee aus ihrem Versteck hervorzulocken<br />
und damit einen lächerlichen Krieg zu beenden.<br />
Jodeln als entwaffnendes Stimmexercitium!<br />
Das mag weit hergeholt erscheinen, ist es aber keineswegs.<br />
In seiner 1936 erschienenen Abhandlung<br />
Magic & Technique in Alpine Music beschrieb Manfred<br />
Bukofzer die magischen Kräfte verschiedener<br />
Alpenklänge in Verbindung mit bestimmten<br />
mystischen Worten. Der Kuhreihen war mystisch,<br />
weil er den Kuhhirten an seine Herde band und<br />
böse Geister und Krankheiten verscheuchte. Quellen<br />
aus dem 17. Jahrhundert beschreiben, wie<br />
heimwehkranke Schweizer Söldner desertierten,<br />
Amok liefen oder sogar starben, wenn sie bestimmte<br />
Alpengesänge hörten. Es wurde ein Gesetz<br />
erlassen, das das hysterieerregende Jodeln in<br />
Gegenwart von Schweizer Soldaten untersagte.<br />
Tatsächlich beeinflusst der für das Jodeln charakteristische<br />
Oktavsprung das Nervensystem anders<br />
als gewöhnlicher Gesang.<br />
Was ist nun eigentlich ein Jodel? Begrüssung?<br />
Warnung? Freudiger Ausbruch? Frommes Geheul?<br />
Aufmunterungsruf eines Hirten an die mit dem<br />
üppigsten Euter ausgestattete Kuh der Herde?<br />
Oder eine nervenstrapazierende ‹Variation über<br />
Eselslaute›, wie Walter Scott im Jahr 1830 befand?<br />
Wahrscheinlich all dies zusammen.<br />
Der Jodel unterscheidet sich von anderen Gesangspraktiken<br />
durch seine Betonung des abrupten Luftstosses,<br />
der entsteht, wenn die Stimme vom tieferen<br />
Register der Bruststimme zur hohen Kopfstimme<br />
(Falsett) überwechselt und umgekehrt.<br />
Ohne Kehlkopfhüpfen kein Jodel. Ein echter Juutz<br />
ist wortlos und stellt keine eigentliche ‹Musik›<br />
dar, sondern ein akustisches Signal, das meist<br />
von Hirten verwendet wird, um sich untereinander<br />
und mit ihren Herden zu verständigen. Ed<br />
Sanders von der Gruppe ‹The Fugs› nennt es «einen<br />
hausgemachten Morsecode für Bergbewohner.»<br />
Jodeln ist geografisch allgegenwärtig und kommt<br />
in jeder musikalischen Sparte vom Jazz bis zur<br />
Oper, vom Hip-Hop bis zum Techno vor, obwohl es<br />
immer noch meist mit der Welt der Alpen assoziiert<br />
wird.<br />
Das Jodeln kommt in Amerika auf: Wohl eines der<br />
umstrittensten Themen meiner Nachforschungen<br />
ist die Frage, wann und wie das Jodeln nach<br />
Amerika importiert wurde. Die gängige, herkömmliche<br />
Ansicht ist die, dass dies nicht vor 1815, also<br />
200 Jahre nach den ersten Einwanderungen von<br />
Europäern, geschah. Das heisst, dass die amerikanischen<br />
Ureinwohner wohl damals bereits jodelten.<br />
Ihre Gesänge enthalten oft ‹stimmliche<br />
Pulsationen, Falsett, Nasaltöne.› Es gibt Anhaltspunkte<br />
dafür, dass westafrikanische Sklaven ihre<br />
Jodel via die afrikanische ‹Sklavenküste›, u.a. aus<br />
den von den jodelnden Pygmäen bewohnten Gegenden,<br />
mitbrachten. Der Landschaftsarchitekt<br />
Frederick Olmstead hörte in den 1850er Jahren in<br />
South Carolina ein seltsames ‹Negerjodeln›, das<br />
er als «langen, lauten musikalischen Ruf» beschrieb,<br />
der sich «abwechselnd hob und senkte und dann in das<br />
Falsett übersprang», Klänge, wie sie bei den formlosen<br />
Rufen der schwarzen Landarbeiter üblich<br />
waren. Laut Harold Courlander waren diese zweckgebundenen<br />
Rufe, die «afrikanische Vokaltechniken<br />
wie Jodel und echeoartige Falsetti verwendeten», eine<br />
Art Soulmusik der Erntefelder. Einige dieser Skla-<br />
53