TITELTHEMAals Vorbote einer sich anbahnendenUlzeration anzusehen. Es muß jedochdaran erinnert werden, daß eine bestehendeNeuropathie – oder deren Fehlen– nicht unbedingt an eine Kallusbildunggekoppelt ist. Dies legt die Vermutungnahe, daß hier auch andereFaktoren, wie Lebensalter und Schuhwerk,verantwortlich sein könnten.Die Einwirkung erhöhten Drucks aufdie Fußsohle stimuliert den normalenProzeß der Hornhautbildung. Der Kalluswird als die „natürliche Reaktion”des Körpers auf die erhöhte Druckbelastungbetrachtet. Ist sie erst einmalausgebildet, leitet die Schwiele dannDruckkräfte in tiefere, unter der Hautgelegene Gewebsschichten hinein.Neben erhöhtem Druck führt dieserProzeß auch zur Hämatombildung infolgeBlutaustritts aus den regionärenKapillaren. Dies kann auf dem Bodeneiner Mikroangiopathie geschehen undfindet sich signifikant häufiger bei Plantarschwielendiabetischer Patienten –im Gegensatz zu Schwielen nichtdiabetischerPatienten. Die Abtragungdes Kallusgewebes senkt den Plantardruckund ist wesentlicher Bestandteilder Behandlungskonzepte von Patientenmit diabetischer Fußkrankheit.NEUROPATHIEDas Vorliegen einer somatischen nebeneiner autonomen Neuropathie istein signifikanter Risikofaktor für die Entstehungvon Fußgeschwüren (Abb. 1).Die Auswirkungen einer autonomenNeuropathie sind – bezüglich der Entstehungeines Fußgeschwürs – eineverringerte Schweißabsonderung (diesführt zu trockener Haut und Neigungzur Schwielenbildung) und Veränderungender Blutzirkulation. Letzteresführt zu erweiterten Venen am Fußrükkenund zu zwar warmen, aber gefühllosenFüßen.Zusätzlich zu dieser Folgeerscheinung,der Gefühllosigkeit, erhöht diesomatische Neuropathie das Risiko derAusbildung einer abnormalen Fußstellung,einer Schwächung mit Schwundder tiefen Fußmuskeln und, im Anschlußdaran, einer erhöhten Druckeinwirkungauf die Metatarsalköpfchenund die Ferse. Rechtzeitiges Erkenneneiner sensomotorischen Läsion undder Einsatz prophylaktischer Maßnahmenwird dazu beitragen, das Risikoder Fußgeschwürbildung zu verringern.Bei leprösen Patienten ermöglichtes die Früherkennung einerNeuropathie, die schulungsrelevanten,prophylaktischen und behandlungsbezogenenBemühungen gezielt auf dieIdentifikation von Nervenläsionen auszurichtenund deren verheerende Folgenzu verhüten.Während manche Patienten aufgrundder Schmerzhaftigkeit ihrer Neuropathiemedizinischen Rat suchen,kommt es bei vielen anderen zur Entstehungeiner chronischen, schmerzlosensensomotorischen Neuropathie,und der Arzt wird erst aufgesucht,wenn signifikante Probleme auftreten(z. B. ein Geschwür). So waren sichbeispielsweise 41% der Patienten, diePeriphereGefäßkrankheitPeriphereGefäßkrankheitSomatische(sensomotorische)NeuropathieverminderteSchmerzwahrnehmungund PropriozeptionGefahr:Neuroischämischer FußSchwundder tiefenMuskelnNeuro-ischämischesGeschwürDiabetes mellitusverminderteGelenkbeweglichkeitErhöhterFußdruckTraumaPsychologische/Verhaltensproblemesich am US Veterans AdministrationMedical Center einer Amputation unterzogen,ihres sensorischen Defizitsnicht bewußt.Die für Neuropathie bei Patienten mitDiabetes mellitus vom Typ I bzw. vomTyp II angegebene Prävalenz variiertzwar beträchtlich (von 15 bis 47%),doch weisen alle Untersuchungsergebnissedarauf hin, daß diese Prävalenzmit dem Alter und der Dauer derDiabeteserkrankung zunimmt. Desgleichenkorreliert ein höheres Alter imFalle nichtdiabetischer Patienten miteiner verminderten peripheren Nervenfunktionsleistungund mit Abnormalitätender Füße. Es ist zwar wohlbekannt,ENTSTEHUNG VON FUSSGESCHWÜREN BEI DIABETKERN (ABB. 1)verminderteSchweißabsonderungTrockeneHautAutonomeNeuropathieKallusveränderteBlutzirkulationErweiterteFußvenen,warme FüßeGefahr:Neuropathischer FußNeuropatischesGeschwürHARTMANN WundForum 3/9911
TITELTHEMADiabetische UlcerationenAbb. 2Typisches „Mal perforans“,ein durch Druck induziertesUlcus neuropathischerGenese.Abb. 3Zehengangrän als Ergebnisvon Durchblutungsstörungenund Ischämie (angiopathischesUlcus).2 3daß der normale Alterungsprozeß voneiner Verminderung der peripheren Vibrationsempfindungsfähigkeitund desAchillessehnenreflexes begleitet wird,doch liegen nur spärliche Kenntnisseüber die Prävalenz der Neuropathieoder über das Risiko der Fußgeschwürentstehungbei nichtdiabetischen Personenvor. Sollten sich die Ergebnisseeiner kürzlich durchgeführten Studiebestätigen, nach welcher 18% dernicht an Diabetes erkrankten Alterspatientenmit Fußleiden auch eine Neuropathieaufwiesen, sind die Konsequenzenfür die eine zunehmend älter werdendeBevölkerung versorgendenKliniker deutlich absehbar.Eine sorgfältige neurologische Untersuchungder Füße aller Risikopatientenund älterer Patienten sollte regelmäßigdurchgeführt werden. Währendeine Verminderung der Reflexe, desperipheren Vibrationsempfindens undder Propriozeption den normalen Alterungsprozeßwiderspiegeln mögen, erhöhtsich doch mit jedem einzelnen Risikofaktor(Tab.1) die Wahrscheinlichkeitfür den einzelnen Patienten, einFußgeschwür zu entwickeln.Das Aussehen des neuropathischenFußes in seiner klassischen Erscheinungsollte dem Arzt die Diagnose erleichtern.Der Fuß erscheint gut ernährt,mit einer normalen Behaarungund normalem Gewölbe, gesunden Zehennägelnund normalen Pulsen. DieHaut neigt zur Trockenheit. Die tiefeFußmuskulatur kann atrophiert sein undeine Krallenstellung der Zehen verursachen.Die Metatarsalköpfchen könnenhervortreten, insbesondere wenndie Fettpölsterchen verschoben sind.Als Vorbote einer Geschwürbildungscheint das bei diabetischer Neuropathiebeobachtete sensorische Defiziteine größere Rolle zu spielen als einebestehende Gefäßerkrankung.BLUTVERSORGUNGDurchblutungsstörungen tragen zurEntwicklung von Geschwüren bei undverzögern die Heilung. Unabhängigvom Vorliegen von Durchblutungsstörungenkommt es zu Gewebeanoxieund Zelltod, wenn das Gewebe längererDruckeinwirkung, Scherkräften oderReibung ausgesetzt wird. Während dieMehrzahl der Geschwüre der Fußsohlezwar bei Diabetikern gefunden wird,dürfen die schädlichen Auswirkungeneiner Durchblutungsstörung – insbesondereüber knöchernen Vorsprüngenwie Knöchel oder Fersen – beikeinem Patienten übersehen werden.Eingeschränkte Mobilität, ein beeinträchtigtergesundheitlicher AllgemeinoderErnährungszustand sowie Erkrankungen,welche die sensorische Wahrnehmungbeeinträchtigen (z. B. Neuropathie),erhöhen alle das Risiko, Druckgeschwürezu entwickeln.Eine verringerte Durchblutung desGewebes aufgrund einer Makro- oderMikroangiopathie trägt gleichfalls zurEntstehung diabetischer Fußgeschwürebei und beeinträchtigt die Heilungbestehender Geschwüre. Die hohePrävalenz der Makroangiopathie beiPatienten mit Diabetes mellitus vomTyp I oder Typ II steht im Zusammenhangmit dem Vorliegen von so gut wieallen wesentlichen Risikofaktoren einschließlichabnormaler Lipoproteinkomponentenoder hämostatischerParameter sowie Erkrankungen des arteriellenGefäßsystems. In der Framingham-Studiebeispielsweise betrug diekorrigierte durchschnittliche Claudicatio-Inzidenz12,6/1000 bei diabetischen,im Vergleich zu 3,3/1000 beinichtdiabetischen männlichen Patientenund 8,4/1000 bei diabetischenweiblichen Patienten gegenüber 1,3/1000 bei nichtdiabetischen weiblichenPatienten.Bei Diabetikern verläuft die Progredienzvon Erkrankungen der kleinerenund der größeren Gefäße nicht immerparallel, und es kommt nicht seltenvor, daß zum Beispiel kleinere ZehengefäßeAnzeichen einer Ischämie aufweisen,während die Pulse der Arteriadorsalis pedis oder Arteria tibialis posteriordurchaus tastbar und von hinreichendguter Qualität sind. Oft findetsich das „klassische“ ischämischeGeschwür daher an den Zehen, währendeine Kombination von Neuropathieund peripherer Gefäßerkrankungzum häufiger beobachteten Fußgeschwürin jenen Bereichen der Fußsohleführen, die einem erhöhten Druckausgesetzt sind.Die körperliche Untersuchung liefertetliche Hinweise zur Diagnostik einerIschämie beim diabetischen Patienten.Die Haut ist glänzend und atrophisch,die Pulse sind schwach oder nicht tastbar,und gewöhnlich finden sich Fissurenan den Fersen. Die Zehennägelsind verdickt und mit trockenen Schuppenüberzogen. Mikroabszesse, dieunterhalb oder längs der Nägel und inder Tiefe von Fissuren entstehen, könnenbeim Laufen äußerst schmerzhaftsein. An den Zehen können kleine,punktförmige Hautulzerationen miteinem flachen, trocken-nekrotischenZentrum vorkommen. Das die Wundenunmittelbar umgebende Gewebe kannaufgrund maximaler kapillarer Gefäßerweiterungdunkel-erythematös erscheinenund dadurch das Aussehen einerpurpurroten Korona haben. Kleine Infektionsherdekönnen zu einer Lymphgefäßzeichnungoder Zellulitisausbreitungführen. Diese ist bei einem diabetischenPatienten als ein Notfallanzusehen. Gelegentlich führt die Infektionzu einer lokalisierten Zehengefäßthromboseund in der Folge zueiner „schwarzen“ Zehe.12 HARTMANN WundForum 3/ 99