SUBWAY Mai 2009
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FILMtIPPS<br />
Interview mit Francois ozon zu „ricky“<br />
»Ich spiele gern mit den<br />
Ängsten der Zuschauer«<br />
Francois Ozon<br />
spielt gern mit<br />
Baby-Puppen<br />
Er ist der Kino-Liebling der Grande Nation.<br />
Sein Kinodebüt „Sitcom“ durfte Francois<br />
Ozon ebenso wie „Swimming Pool“ in Cannes<br />
präsentieren, auf der Berlinale zeigte er die<br />
Theaterverfilmung „Tropfen auf heiße Steine“,<br />
das Lustspiel „8 Frauen“, das Kostümdrama<br />
„Angel“ und zuletzt „Ricky“, die wundersame<br />
Geschichte eines fliegenden Babys. <strong>SUBWAY</strong><br />
unterhielt sich mit dem 41-jährigen Regisseur.<br />
Von Melodram über Krimi zum<br />
Kostümfilm und nun zu Fantasy –<br />
wie kommt es zu diesen extremen<br />
Schwankungen?<br />
Ich bin ja selbst ebenfalls ex-<br />
trem. Nach „Die Zeit die<br />
bleibt“, der sehr simpel und<br />
pur war, hatte ich einfach<br />
Lust auf ein aufwändigeres<br />
Projekt. Bei jedem Film möchte<br />
ich etwas Neues erleben und<br />
das Gefühl haben, dass ich etwas<br />
ganz anderes ausprobiere.<br />
Ohne diese Lust auf das Neue<br />
würde mir der Antrieb für das<br />
Filmemachen völlig fehlen.<br />
Was sagen Sie Leuten, die eine<br />
erkennbare Handschrift in Ihren<br />
Filmen vermissen?<br />
Das ist mir egal. Solange ich<br />
mich selbst im Film wiederfinde,<br />
genügt mir das. Wenn mich<br />
andere in meinen Filmen nicht<br />
erkennen, stört mir das nicht<br />
besonders. Ich möchte lieber<br />
überraschen als mich zu wie-<br />
derholen. Wenn die Zuschauer<br />
wissen, wohin die Reise geht,<br />
wird es doch langweilig.<br />
Was fesselt Sie an dieser Geschichte<br />
über ein fliegendes Baby?<br />
Mich interessiert das Thema<br />
Familie, davon hat schon einer<br />
meiner ersten Filme „Sitcom“<br />
gehandelt, in dem eine große<br />
Ratte plötzlich alle Beziehungen<br />
durcheinanderbringt.<br />
Diese Funktion übernimmt<br />
hier das ungewöhnliche Baby:<br />
Zum ersten Mal in ihrem Leben<br />
besucht diese ungebildete<br />
Mutter eine Bibliothek. Sie<br />
ist glücklich mit ihrer älteren<br />
Tochter. Und sie entdeckt,<br />
dass sie keine Männer mehr<br />
nötig hat, auch nicht den Vater<br />
des Kindes.<br />
Ein unschuldiges Gesicht und dazu<br />
noch Flügel – wie viel Engel steckt<br />
in Baby Ricky?<br />
Wir wollten dieses Image so<br />
gut wie möglich vermeiden.<br />
Zu Beginn sehen diese kleinen<br />
Flügel aus wie bei einem<br />
Hühnchen. Die Farbe der Flügel<br />
ist bewusst nicht weiß, sondern<br />
braun, bisweilen blutverklebt.<br />
Ihr späteres Wachstum<br />
sollte an Horrorfilme wie „Die<br />
Fliege“ von David Cronenberg<br />
erinnern. Das Bild eines<br />
Engels entsteht erst am Ende,<br />
wenn man es mit der Mutter in<br />
dem kleinen See sieht. Manche<br />
vergleichen diese Szene mit<br />
der Jungfrau Maria – aber das<br />
überlasse ich ganz der Interpretation<br />
der Zuschauer.<br />
Darf man überhaupt verraten,<br />
dass Ihrem Baby Flügel wachsen?<br />
Wir hatten lange Diskussionen,<br />
wie viel wir von dem<br />
Film vorab verraten können.<br />
<strong>Mai</strong> <strong>2009</strong><br />
Es gab einen Trailer, bei dem<br />
das Baby auf dem Schrank<br />
sitzt – darauf reagierten alle<br />
schockiert und dachten, es<br />
wäre ein Horrorfilm. Deshalb<br />
einigten wir uns darauf, dass<br />
wir ein wenig von den Flügeln<br />
des Babys zeigen und damit<br />
ein bisschen vom Geheimnis<br />
preisgeben. Wenn es nach mir<br />
gegangen wäre, hätte ich überhaupt<br />
nichts verraten – aber<br />
man muss ja die Zuschauer ins<br />
Kino locken.<br />
Wenn das Baby fast vom Schrank<br />
auf den Boden fällt, könnte man<br />
eine Stecknadel im Kino fallen hören<br />
– haben Sie da mit dem Kleinkind<br />
in Gefahr eines der letzten<br />
Tabus gefunden?<br />
Klar, ich bin ja ein Perverser<br />
(lacht)! Natürlich macht<br />
es Spaß, mit den Ängsten der<br />
Zuschauer zu spielen. Dazu<br />
eignen sich Säuglinge ausgezeichnet,<br />
schließlich findet sie<br />
jeder sehr süß und unschuldig.<br />
Dabei können Babys durchaus<br />
mächtig werden: Sie verschieben<br />
die Koordinaten in<br />
der Familie, verändern das<br />
Verhältnis der Ehepartner<br />
und können für Depressionen<br />
der Mütter sorgen. Über diese<br />
Thematik wollte ich sprechen.<br />
Deswegen wirkt unser Baby<br />
mit seinen Hühnerflügelchen<br />
am Anfang wie ein Monster –<br />
trotzdem wird es von der Mutter<br />
abgöttisch geliebt.<br />
Relativ überraschend für Sie ist<br />
der Stil im ersten Drittel, der an<br />
den Sozialrealismus des britischen<br />
Kinos erinnert …<br />
Die Vorlage, eine Kurzgeschichte,<br />
spielt in armen Verhältnissen,<br />
deswegen habe<br />
FOTOS: CONCORDE FILMVERLEIH GMBH