Martin Kasper K - Zeit Kunstverlag
Martin Kasper K - Zeit Kunstverlag
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der hat sich keiner unerlaubten Assoziation schuldig<br />
gemacht.<br />
Attraktion<br />
Es ist der nämliche Drive, der Kafkas schuldig Unschuldigen<br />
durch gespenstische Treppenhäuser in leere Verhörzimmer<br />
lenkt und einen mit Macht auf die Bühnen<br />
zieht, auf denen <strong>Martin</strong> <strong>Kasper</strong> seine magischen Raumbilder<br />
aufgebaut hat. Auch im malerischen Werk gibt<br />
es ein Verhörzimmer 8 . Heizkörper, Dielenbretter, alter<br />
Polstersessel, Wasserrohr an der Decke, Spiegelfenster<br />
mit Blick auf den Vernehmungstisch. Wie dicke Stoffbahnen<br />
überziehen die olivgrün braunen Farben Wände,<br />
Decke und Boden und machen die Zelle stumpf, als sollte<br />
sie schalltot sein. Was sollte uns hindern, den Langen<br />
Flur und das Verhörzimmer zusammen zu sehen?<br />
Was spräche dagegen, die Bilder zur verschwiegenen<br />
Geschichte zu verknüpfen und noch einmal Herrn K.<br />
zu folgen, wie er am nächsten Sonntag wieder auf Prozessraum-Suche<br />
ging: „… geradewegs über Treppen<br />
und Gänge; einige Leute, die sich seiner erinnerten,<br />
grüßten ihn an ihren Türen, aber er musste niemanden<br />
mehr fragen und kam bald zu der richtigen Tür. Auf sein<br />
Klopfen wurde ihm gleich aufgemacht, und ohne sich<br />
weiter nach der bekannten Frau umzusehen, die bei<br />
der Tür stehenblieb, wollte er gleich ins Nebenzimmer.<br />
‚Heute ist keine Sitzung‘, sagte die Frau. ‚Warum sollte<br />
keine Sitzung sein?‘ fragte er und wollte es nicht glauben.<br />
Aber die Frau überzeugte ihn, indem sie die Tür<br />
des Nebenzimmers öffnete. Es war wirklich leer und<br />
sah in seiner Leere noch kläglicher aus als am letzten<br />
Sonntag. Auf dem Tisch, der unverändert auf dem Podium<br />
stand, lagen einige Bücher. ‚Kann ich mir die Bücher<br />
anschauen?‘ fragte K., nicht aus besonderer Neugierde,<br />
sondern nur, um nicht vollständig nutzlos hier gewesen<br />
zu sein. ‚Nein‘, sagte die Frau und schloss wieder<br />
die Tür, ‚das ist nicht erlaubt. Die Bücher gehören dem<br />
Untersuchungsrichter.‘ ‚Ach so‘, sagte K. und nickte, ‚die<br />
Bücher sind wohl Gesetzbücher und es gehört zu der Art<br />
4<br />
Der Anhalt und die Leere berühren sich auf <strong>Martin</strong><br />
<strong>Kasper</strong>s Bildern wie zwei, die sich vorsichtig an den<br />
Händen halten«<br />
dieses Gerichtswesens, dass man nicht nur unschuldig,<br />
sondern auch unwissend verurteilt wird.‘ ‚Es wird<br />
so sein‘, sagte die Frau, die ihn nicht genau verstanden<br />
hatte.“ 9<br />
Freilich ist es nicht so sehr die wahnhafte Schuld-<br />
Unschuld-Verstrickung, aus der die Parallele stammt.<br />
Wohl ist es wahr, dass sich der Maler mit sichtbarer<br />
Vorliebe in Räumen nicht ganz zweifelsfreier Bestimmung<br />
aufhält. Wie Edward Hopper mit seinen einsamen<br />
Tankstellen, Bars, Bungalows eine Szenografie geschaffen<br />
hat, die sich über die Neuengland-Romantik hinaus<br />
unschwer als illustrative Grundierung einer modernen<br />
„condition humaine“ lesen lässt, gehören auch die Kulissenteile,<br />
die <strong>Martin</strong> <strong>Kasper</strong><br />
auswählt und anpasst, zur Bühneneinrichtung<br />
einer zeitgenössischen<br />
Dramaturgie. Nur<br />
ist sein Stück kein moralisches<br />
Stück und keines, das von der<br />
Dynamik untergründiger Energien und Obsessionen handelte.<br />
Aus den Foyers, Wartehallen, Observationsräumen,<br />
U-Bahn-Stationen, Flughafen-Entrees und aufgelassenen<br />
Festsälen im Stile altsozialistischer Repräsentation wird<br />
kein politisches Programm. 10<br />
Zwar ist mit der Einladung in solche Bildräume nicht<br />
gerade Aufgehobenheit versprochen, gar angenehmes<br />
Unterkommen, Behüttung oder Behütung. Kalt erscheinen<br />
die Interieurs. Immer herrscht dieses kranke Licht,<br />
die labortechnische Ordnung, die Asepsis der Pathologie.<br />
Zum Wohlfühlen ist das wahrlich nicht. Aber als<br />
Metapher für die Unbehaustheit des Menschen wären<br />
die Ingredienzien der befremdlichen, der abstoßenden<br />
Anmutung gänzlich missverstanden. Abstoßung findet ja<br />
auch nicht statt. Was <strong>Martin</strong> <strong>Kasper</strong>s Bildorte mit dem<br />
Ambiente verbindet, in das Kafkas K. gerät, ist nichts<br />
weniger als eben dieses Hineingeraten, die kolossale,<br />
ganz und gar erstaunliche Anziehungskraft, die von ihnen<br />
ausgeht. Das Gericht werde von der Schuld angezogen,<br />
erklärt sich der Protagonist im Roman die eigentümliche<br />
Selbstbeobachtung, dass er auch ohne Wegleitung<br />
an den Verhandlungsort findet, dass es ihn gleichsam<br />
hintreibt, wo sein Prozess stattfinden soll. Nicht anders<br />
ergeht es einem vor <strong>Martin</strong> <strong>Kasper</strong>s Bildern, wo man<br />
zur Erklärung der unwiderstehlichen Attraktion keinen<br />
moralischen Wirkmechanismus braucht, wo alle Erfah-