Michael Badura - Zeit Kunstverlag
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<strong>Michael</strong> <strong>Badura</strong> hat sie (sich) geschaffen – für seinen (künstlerischen)<br />
Umgang mit der Natur und deren Wissenschaften bzw.<br />
deren Gewese darum: den Klon.22 Auch hierbei tritt wieder<br />
›1984‹ auf den Plan: das Streben nach dem Lebewesen, das<br />
vollständig zu unterwerfen ist. »Der Klon als Arbeiter, als Steuerzahler<br />
und als Rentenlieferant wäre eine – naive – Vorstellung,<br />
wie man jetzt hier der Menschheit helfen könnte.« Doch um diesen<br />
übelsten Fall eines ›Nach‹-Denkens über Orwellsche<br />
Schreckensbilder geht es ihm nicht tatsächlich. Auch nicht um<br />
vorstellbare künstlerisch »dienstbare Geister, ähnlich den Zauberwesen<br />
bei Goethe, die irgendwelche Dienste einem erweisen<br />
und weitgehend autonom, also frei von menschlichem Einfluß<br />
sind«.23 Entscheidend war, »daß für mich immer schon interessant<br />
gewesen ist, mit den gleichen Methoden zu arbeiten wie<br />
die Wissenschaft. Das heißt, ich wollte selber für mich erst einmal<br />
herausfinden, inwiefern man mit dem Computer, also mit einem<br />
künstlichen Mittel, eine möglichst identische, menschliche<br />
Gestalt produzieren kann.« (Abb. 15 – 17).<br />
Wir betrachten erstaunt Höhlenmalereien, sehen uns gerne antike<br />
Mosaiken an, prüfen den Goldenen Schnitt bei Raffael oder<br />
Tizian, stehen verblüfft vor Caravaggios oder Rembrandts Hell-<br />
Dunkel-Malereien, schwärmen vom Übergang des Impressionismus<br />
in den Expressionismus, diskutieren über Öl- bzw.<br />
Acrylfarben, über Farbauftrag auf grundierten oder nichtgrundierten<br />
Leinwänden sowie photographischen oder Video-Techniken<br />
in ›Installationen‹.24 In der Geschichte der Kunst ist immer<br />
heftig über Neuerungen debattiert worden. Doch dem Computer<br />
steht die Branche nach wie vor höchst skeptisch gegenüber<br />
– obwohl er auch aus der Kunst kaum noch wegzudenken ist.<br />
<strong>Badura</strong> hat lange mit herkömmlichen Mitteln gezeichnet, gemalt,<br />
sich, teilweise so manches Konzept vorwegnehmend25,<br />
mit Farbe auseinandergesetzt, etwa in den Farb-Dossiers (Abb.<br />
4) oder seinen Wunschvorstellungen zur Bundeskunsthalle (Abb.<br />
18); geradezu konterkariert hat er sie als »perfekt geschlossenes<br />
System« in Büro für Orwells 1984 (Abb. 5). Er hat Objekte gestaltet,<br />
mit Draht, Teer, Zement (Abb. 9), mit Materialien aus der<br />
Natur in der Natur (Abb. 11), aber auch im Raum Installationen<br />
erstellt (Abb. 14), mit Photographie gearbeitet. All diese Sujets<br />
sind nach wie vor in seiner Arbeit sichtbar. Nur daß er sich eben<br />
nach 1984 ausschließlich der Computertechnik als künstlerischem<br />
Ausdrucksmittel bedient hat. Sie ist ihm eben das, was<br />
anderen Leinwand, Pinsel und Palette bedeuten (s. Abb. 17).<br />
»Der Computer«, so <strong>Michael</strong> <strong>Badura</strong>, »wird einen Siegesmarsch<br />
antreten, nicht nur durch einzelne Nationen, sondern er wird international<br />
überall sich als das entscheidende Instrument herausstellen<br />
[...]. Und die andere Sache ist, daß für mich ein<br />
Künstler eigentlich ein Realist sein sollte [...] im Sinne eines<br />
10<br />
möglichst totalen Verständnisses als Ausgangspunkt von allem.<br />
Und wenn Künstler den Computer nicht verstehen, würde ich<br />
ihnen heute auch absprechen, daß sie die Chance hätten, die<br />
Welt zu verstehen. Und wenn ein Künstler nicht mehr die Welt<br />
versteht, kann er eigentlich für mich kein Künstler mehr sein,<br />
sondern er wird dann automatisch zur Folklore. [...] Wenn zum<br />
Beispiel ein Maler ein Sonnenblumenblatt malt, muß er gar<br />
nichts von der Sonnenblume verstehen. Wenn er aber anfängt,<br />
mit dem Computer ein Sonnenblumenblatt nachzubauen, wird<br />
er auf einmal merken, er muß sich mit der Sonnenblume beschäftigen.«<br />
Und damit mit der Welt.<br />
Anmerkungen<br />
1 Aus: Die Verkleinerung des Lebens. Für Konrad<br />
Zuse und den Rest der Welt. Wuppertal, 4. 4.<br />
1984, veröffentlicht in: Andreas Seltzer/Katharina<br />
Meldner (Hrsg.), KÜNSTLERPECH/KÜNST-<br />
LERGLÜCK, 3 Galerie Friedrichstrasse, Berlin<br />
1985, Talwerkarchiv; hier zitiert nach: http://badura.in.hagen.de/ZUSE.htm<br />
2 a. a. O.<br />
3 Esoterik ist abgeleitet vom griechischen ›esotoros‹<br />
und bedeutet das Verborgene, Innere; ursprünglich:<br />
Geheimwissen für Eingeweihte (Orden,<br />
Logen). Es fand zunächst als<br />
Gegenbewegung zur Aufklärung Verbreitung,<br />
die sich, vor allem in der Person Voltaires, in erster<br />
Linie gegen die Politik der katholischen Kirche<br />
und den ihr anhängenden Adel richtete,<br />
dann verstärkt nach der französischen Revolution,<br />
als weite Teile der verunsicherten Bevölkerung<br />
sich einer verdrängenden, ins Innere<br />
zurückziehenden Romantik zuwandten. Doch<br />
heutzutage kommt Esoterik eher als kostenpflichtiges<br />
Nicht-Wissen daher.<br />
4 Ebenfalls aus dem Griechischen: ›oikos‹ = Haus,<br />
›logos‹ = Wissenschaft, also die Lehre von der<br />
Haus-Wirtschaft, wobei auch die Umgebung<br />
des Hauses gemeint ist.<br />
Doch es ist Florian Felix Weyh zuzustimmen, der<br />
diese Definition für einen »archaischen Begriff<br />
von Ökonomie« hält (eMail vom 2. März 2007 an<br />
den Autor). Das verweist, passend zu Geiz-istgeil,<br />
auf ein neuerliches deutsches (Gesellschafts-)Phänomen:<br />
Bio. Bio-Äpfel aus Chile?<br />
Hauptsache gesund. Und billig. Egal, was es<br />
(die Welt) kostet.<br />
5 <strong>Michael</strong> <strong>Badura</strong>: Die Verkleinerung des Lebens,<br />
a. a. O.<br />
6 <strong>Michael</strong> <strong>Badura</strong>: Ich bin auf dem Mond geboren<br />
..., in: Die Eingeweckte Welt. Das Totale System.<br />
Eine Projektion. Verfaßt 1966, in:<br />
http://badura.in.hagen<br />
7 Soweit nichts anders gekennzeichnet, entstammen<br />
die Zitate aus Gesprächen, die der Autor<br />
und der Künstler zwischen dem 9. und dem 11.<br />
Januar 2007 in <strong>Badura</strong>s Haus geführt haben.<br />
Dank an Michelle Westedt fürs Protokollieren.