11.07.2015 Aufrufe

A U F N U L L N I V E A U - Stadtgespräche Rostock

A U F N U L L N I V E A U - Stadtgespräche Rostock

A U F N U L L N I V E A U - Stadtgespräche Rostock

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Magazin für Bewegung, Motivation und die nachhaltige Kultivierung der Region <strong>Rostock</strong>12. JahrgangGründung: 1994ISSN 0948-8839Einzelverkaufspreis: 2,50 €Jahresabo (4 Ausgaben): 10,00 €www.stadtgespraeche-rostock.deAusgabe Nr.AUF NULLN I VEAUA. Atemlos: Neuigkeiten aus der Provinz ... Interview mit Georg Scholze ... André Specht: Ein unpopulärer aber unvermeidlicherKonsolidierungsprozess ... J.-G. Jaeger: Bürgerschaft zwischen Schön-Wetter-Demokratie“ und „schweremFahrwasser“ ...Ph. Rössner: Indiziensammlung für die neue Zeitrechnung ... S. Bachmann: GELD oder LEBEN? ... St.Wandschneider: Haushaltskonsolidierung ist notwendig, muss sich aber an Werten orientieren ... T. Schulze: ZwischenBaum und Borke ... P. Köppen: Von Nachhaltigkeit, Geld und gutem Willen ... G. Maeß: Zur aktuellen Hochschulpolitik ... C.Mannewitz: Hundert Jahre Ignoranz ... J. Langer: Dienstschluss beim Kunstdienst


KommentiertDamit Sie verstehen, was andere meinen.Jetzt mal ganz anders:LICHTWOCHE lightWährend inzwischen auch der letzte Amerikaner begriffen hat, dass Strom nicht aus der Steckdose kommt, sondern maßgeblich mit derpolitisch-militärischen Destablisierung ganzer Regionen „gesichert“ wird, feiern die <strong>Rostock</strong>er Stadtwerke munter Ihr alljährliches Lichterfest,wo dann rund um die Uhr mal so richtig dekadent wie einfallslos mit den Megawatts um sich geschmissen wird. Aus Sicht der Stadtwerkeist das auch nur konsequent: Zum einen bezahlen das Lichterfest ja die Kunden mit den Tarifen für Strom und Gas. Zum anderensichert hoher Verbrauch auch hohe Einnahmen. So gesehen ist die aktuelle Kampagne ja politisch schön korrekt, aber irgendwie auchkontraproduktiv, oder?


EDITORIAL / INHALTLiebe LeserinnenundLeserdie allgemeine Situation bedarf wohl keiner grundsätzlichen Erklärung - von „pleite“bis „Konsolidierungsdruck“ reicht das Begriffsspektrum, mit dem die Beiträgerdes aktuellen Heftes Ihre Ausführungen einleiten. Was jedoch auffällig war, in denletzten Wochen und Monaten: so häufig wie <strong>Rostock</strong>s immenser Schuldenbergund immer neue Hiobsbotschaften im Zusammenhang mit dessen Reduzierung inder Lokalpresse erörtert wurde, so wenig waren umfassendere Konzepte zu finden,die aufzeigen, wie denn die nächsten Jahre in <strong>Rostock</strong> aussehen könnten, um allesvielleicht nicht zum Guten aber doch zum Besseren (meint vor allem: Planbarenund Verlässlichen) zu wenden.Deshalb soll es auf den folgenden Seiten vor allem darum gehen, einer diffusenKrisenstimmung, die sich bis vor allem in zu kurz gefassten Schlagzeilen äußerte,eine konstruktivere Auseinandersetzung gegenüberzustellen – Beiträge wie die vonSibylle Bachmann, Philip Rössner, André Specht und Steffen Wandschneider bemühensich um fundierte Kritik und stellen konzeptionelle Überlegungen an. Anliegenwar es, zur Verbesserung einer Situation beitragen, in der es offenbar nichtum Budgets sondern auch um inhaltliche Konzepte und ein Leitbild für <strong>Rostock</strong>geht, das greifbarer ist als Schlagworte wie „Masterplan 2020“.Inhalt dieses HeftesEditorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Was sonst noch passierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Titelthema „Finanzen auf Nullniveau“K. Koebe: Interview mit Georg Scholze . . . . . . . 5A. Specht: Ein unpopulärer aber unvermeidlicherKonsolidierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8J.-G. Jaeger: Bürgerschaft zwischen Schön-Wetter-Demokratie“ und „schwerem Fahrwasser“ . . . . . 9Ph. Rössner: Indiziensammlung für die neue Zeitrechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11S. Bachmann: GELD oder LEBEN? . . . . . . . . . 14St. Wandschneider: Haushaltskonsolidierung istnotwendig, muss sich aber ... . . . . . . . . . . . . . . . . 16T. Schulze: Zwischen Baum und Borke . . . . . . .20P. Köppen: Von Nachhaltigkeit, Geld und gutemWillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Und außerdem:G. Maeß: Zur aktuellen Hochschulpolitik . . . . .26C. Mannewitz: Hundert Jahre Ignoranz . . . . . .30J. Langer: Dienstschluss beim Kunstdienst . . . .32Wie die Liste der Beiträger zeigt, haben wir uns bemüht, verschiedene Positionenund Perspektiven zu Wort kommen zu lassen – das Spektrum reicht von FinanzsenatorScholze als Vertreter der Verwaltungsspitze bis zu Vertretern der politischenParteien und freier Kulturträger. Und das Ergebnis scheint mir ein überaus erfreuliches:Es gibt sie durchaus, die Ideen und Vorschläge! In der Hoffnung, dass damitBewegung in die Situation kommt und Sie sich zum Weiterdenken und Mitdiskutierenangeregt fühlen, wünsche ich Ihnen und <strong>Rostock</strong> das Beste für 2007 und bineinmal mehr auf Ihre Rückmeldungen gespannt!Ihre Kristina KoebeFOTO: TOM MAERCKERHauptsache: Spaß.1


WAS SONST NOCH PASSIERTEMecklenburg-Vorpommern und die Welt -ein Rückblick auf die letzten Monate des Jahres 2006*2. OktoberDer Siemens-Vorstand verzichtet auf die geplanteGehaltserhöhung um 30 %. Dafür gabes viel Lob, sodass bei einem kräftigen Gehaltszuschlagim nächsten Jahr keine Protestezu erwarten sind. Frau Merkel zeigte sich begeistertvon diesem Modell. Erfolg durch Verzicht!Sie kündigte an, dass Rentner undHartz IV Empfänger für den Erfolg der Wirtschaftein bisschen verzichten sollen. ImGegenzug werde sie dafür auf Sympathien undAnsehen verzichten.Der deutsche Aufschwung ist nun auch inZahlen und Geld messbar. Die Bundesagenturfür Arbeit (BA) wird in diesem Jahr einenÜberschuss von 12 Milliarden Euro erwirtschaften.In Regierungskreisen gibt man sicheuphorisch: Die BA hat das Geld erwirtschaftet,indem sie es nicht an die über 4 MillionenArbeitslose auszahlte. Wenn die Arbeitslosenzahlenkräftig steigen würden, hätte die BAviel mehr Möglichkeiten Geld nicht auszuzahlen.So müssten sich bereits mit 7 bis 8Millionen Arbeitslosen um 30 Milliarden Euroerzielen lassen.Für die ewig Skeptischen wurde ergänzt, dassbei den derzeit aktiven Politikern dauerhaftsinkende Arbeitslosenzahlen definitiv ausgeschlossenwerden können.Bundeskanzlerin meinte dazu, dass das nichtso tragisch sei. Den meisten ihrer Kabinettskollegenhätten auch 8 Klassen gereicht.22. NovemberIn <strong>Rostock</strong> sind zwei Tonnen Gammelfisch,die regionale Variante des Gammelfleisches,aufgetau(ch)t. Der Inhaber des Fischhandelserklärte, dass der Gammelfisch im Rahmender Touristengewinnung vom Wirtschaftsministeriumangefordert worden sei.17. OktoberSchwarz/Weiß in Graustufen: Die Leistungsindividualisten(11 Prozent); die EtabliertenLeistungsträger (15 Prozent); die KritischeBildungselite (9 Prozent); das Engagierte Bürgertum(10 Prozent); die Zufriedenen Aufsteiger(13 Prozent); die Bedrohte Arbeitnehmermitte(16 Prozent); die SelbstgenügsamenTraditionalisten (11 Prozent); die AutoritätsorientiertenGeringqualifizierten (7 Prozent);das Abgehängte Prekariat (8 Prozent).19. OktoberSeit dem EU-Beitritt sind die Polen mit derSicherung ihrer Grenze sichtlich überfordert.Während die polnische Küstenwache eindeutsches Ausflugsschiff beschießt, können240 weißrussische Kälber ungehindert denBug durchschwimmen und nach Polen gelangen.Die mutige Tat der Kälber wird leidernicht belohnt. Sie werden in den nächsten Tagennach Weißrussland abgeschoben. EineReaktion Lukaschenkos auf den Vorfall istnoch nicht bekannt.23. Oktober31. OktoberRegier noch mal, Harry! SPD und CDU inMecklenburg-Vorpommern haben sich auf eineKoalition geeinigt, bei der man lieber nichtvon Größe spricht. Bei dem Postengerangel istder SPD dann auch noch das Innenministeriumabhanden gekommen. Das ficht HaraldRingstorff aber nicht an. Die Verkörperungmecklenburg-vorpommerscher Dynamik antworteteauf Journalistenfragen, während er amHorizont die Wetteraussichten abschätzte:„Wir haben uns etwas länger Zeit genommen.“Ja, Harry. Danke!11. NovemberKünftig soll es einen Quiz „Wer wird Bundesbürger“geben. Einbürgerungswillige Ausländersollen in einem 60-Minuten-Test staatsbürgerlichesGrundwissen nachweisen. EinEntwurf für den geplanten bundesweiten Testschlägt 33 Aufgaben vor, die im Jauch-Modusgelöst werden sollen. Horst Köhler wird dieRolle des Telefonjokers übernehmen und alsPublikum soll die Schweriner Landtagsfraktionder NPD fungieren.17. NovemberLaut PISA-Nachfolgestudie lernen sehr vieleSchüler in der 10. Klasse in Mathematik undNaturwissenschaften nichts hinzu. Die24. NovemberDie EU ist gespalten wie polnische Schweinehälften.Beim Gipfeltreffen in Helsinki scheitertenKooperationsvereinbarungen zwischender EU und Russland an einem Veto der Polen.Es war aber nicht das Verhalten der Russenin Tschetschenien, das die Polen erregte,sondern das Importverbot Russlands für polnischesFleisch. Die Haltung Polens wurde bereitsdurch Solidaritätsbekundungen vonFrankreich und Litauen gestärkt.Auch die Engländer zeigten sich nicht begeistertvon den Russen. Wenn sie sich schon vergiften,sollen sie es doch zu Hause tun. Undmusste es ausgerechnet Polonium 210 sein?26. NovemberDer konjunkturelle Aufschwung der deutschenWirtschaft droht durch den Mangel anFachkräften gebremst zu werden. Oliver Heikaus,Arbeitsmarktexperte beim DeutschenIndustrie- und Handelskammertag (DIHK)forderte deshalb: „Wir müssen unseren Arbeitsmarktstärker als bisher für qualifizierteAusländer öffnen.“ Die Bundesregierung verhandeltbereits mit Rumsfeld als Jung-Nachfolger.¬Auszüge aus einer Zusammenstellungvon Holger Blauhut2


Neuigkeiten aus der Provinz - liebevoll hinterfragtDer Stadt <strong>Rostock</strong> geht´s momentan finanziellnicht gut. Steht ja jeden Tag in der Zeitung.Dabei wird gebaut, gebaut, gebaut.Zum Beispiel wurde die Stadthalle umgebaut.Neue Technik, neue Zuschnitte der Räumeund außenrum eine Bauchbinde in den <strong>Rostock</strong>erFarben. Zwar klappt es nicht so richtigmit der neuen Technik und die Klos sind verstopft,aber das wird schon noch. Und das <strong>Rostock</strong>erStadtsäckel wurde mit den Umbaukostenvon 3,4 Millionen Euro nicht belastet.Alles aus eigener Tasche bezahlt. Und RolandMethling ist hoch erfreut, wie das die Stadthallegeschafft hat und überweist weiterhinjährlich drei Millionen Euro an die Stadthalle.Was wäre eigentlich passiert, wenn der Zoodirektorverkündet hätte, man bräuchte keineSpenden fürs neue Affenhaus, das würde manaus Eigenmitteln aufbringen? Oder wenn die„Stubnitz“-Crew ihr Schiff für ne halbe Millionaus Eigenmitteln überholen lassen würde?Der Rotstift des Finanzsenators wärewohl kaum zu bremsen.Mitte Dezember zog die <strong>Rostock</strong>er MesseundStadthallengesellschaft dann ein Jahresresümeeund alle Printmedien ergossen sich inLobliedern. (Wer verliert schon gern Anzeigenkunden.)Messehalle und Stadthalle stündenwirtschaftlich auf gesunden Füßen, weildie Stadt auch 2007 3 Millionen überweisenwürde. Und ab 2008 (wenn die Stadt Zuschüssestreicht) würde sich auch das Land finanziellauch beteiligen. Warum nicht eher?Und natürlich muss die OZ im Schlusssatz ihresBeitrags zum genannten Thema erwähnen,dass Messe und Stadthalle wichtige Werbefaktorenseien. Sicher, mit der Stadthalle kannman Werbung für grausigste DDR-Architekturmachen und mit der Messehalle für grausigsteAkustik. Keiner der Schreiberlinge fragtnach, warum für solche wundervollen Starswie Carmen im Nebel auch noch Steuergelderverschleudert werden, wobei es doch schonverboten sein müsste, derartigen Schwachsinnüber GEZ-Gebühren zu finanzieren.Die Stadthalle hat noch mehr umgebaut, z.B.ihre Internetpräsenz. Die Navigation zumTicketservice ist gewöhnungsbedürftig undeine zielgenaue Platzbuchung gibt’s auchnicht, dafür wurden aber sogar Karten für dieMitarbeiterversammlung der Stadtverwaltungangeboten. Leider war schon ausverkauft. Beidem Gesprächsbedarf kein Wunder. Außerdemwar ausverkauft, weil es bei derartigenVeranstaltungen immer super Jobs zu gewinnengibt. Wer Herrn Methling am dämlichstenkommt, wird arbeitslebenslang mit einenPosten als Frühstücksdirektor mit 2500 Euronetto im Monat belohnt. Es soll allerdings sogarLeute geben (wie den Herrn Horcher), dieso undankbar sind, solche Posten auch nochzurückzugeben.Die nächste Baustelle ist der Doberaner Platz.Der Platz wurde am 14. Oktober eingeweiht.Zwei Monate später war das Ende der Bauarbeitenimmer noch nicht in Sicht. Zur Einweihungsang Bernhard am Brink, obwohlauch der nicht fertig war (ich meine den Platz,der Bernhard ist schon lange fertig, sonst würdeder nicht auf Baustellen singen).Und wenn der Platz mal fertig ist, wird es fürRadfahrer nicht besser. Radwege gibt es keine,die Gehwege (irgendwo muss man ja lang)sind teilweise schmaler als vorher. Aber für dieRadfahrer gibt es jetzt doch eine Lösung. DieStraßenbahngleise dürfen ab sofort befahrenwerden, wenn man die entsprechende Genehmigunghat. Die bekommt man im Kundenzentrumder RSAG für 20 Euro, als Beleg gibtein schönes T-Shirt dazu, dass beim Befahrender Gleise immer zu tragen ist. Es trägt dieAufschrift: „Ich bin eine Straßenbahn“.Die Wartezonen an den Straßenbahnen sindjetzt so groß wie ein Tennisplatz. Leute, dienicht ganz so schnell sind, können sich jetztnicht mehr im Wartehäuschen unterstellen.Die Bahn ist nämlich schon wieder weg, eheman den Weg vom Häuschen zur Bahn zurükkgelegthat.Und wie auch auf dem Neuen Markt und demKonrad-Adenauer-Platz (das ist der Bereichvorm Bahnhof ) gibt’s auf dem DoberanerPlatz keine Bäume. Das ist vorausschauend sogemacht worden, wegen der Videoüberwachungzum G8-Gipfel. Man stelle sich nur vor,Osama bin Laden würde nicht entdeckt werden,weil er sich auf dem Doberaner Platz hintereiner deutschen Eiche versteckt hatte.Wegen der Sicherheit (und nur deswegen) sollnun auch noch der Brunnen auf dem NeuenMarkt für die Gipfel-Zeit abgebaut werden.Der Osama würde nämlich überhaupt nichtauffallen, würde er neben den traurigen Männernsitzen. Zur weiteren Sicherheit wurdenin 5 Metern Höhe über dem Doberaner Platzacht Heiligenscheine angebracht, die im Dunkelnleuchten. Da stellt sich kein islamischerTerrorist drunter.Und nun noch auf die Schnelle einige Bemerkungenzur Chefetage der Stadtverwaltung.Es wurde ja schon berichtet, wieviel die WI-RO für die Rom-Reise des Aufsichtsrats ausgegebenhat. Nun gibt es neue Gerüchte. BausenatorGrüttner musste nämlich aufgrundseines Gesundheitszustandes (Folgen einesFahrradunfalls!) in seinem Spezialbett übernachtenund soll deshalb täglich um 15.30Uhr von der Flugbereitschaft der Stadtverwaltungvon Rom nach Schwerin (!) ausgeflogenworden sein. Am nächsten Morgen ging esdann zurück nach Rom. Und so ging das vierNächte lang. Und bezahlt hat das die Stadtund nicht die WIRO.Bei unserem Finanzsenator, Herrn Scholze,weiß ich nie, ob er es ernst meint, was er so erzähltoder ob der Rheinländer karnevalistischeScherze macht. Bei solchen Wortschöpfungenwie z.B. Stellenverstärkungspool (dasollen Mitarbeiter rein, die zum Abschuss freigebensind) muss man wohl von einem Scherzausgehen. Und damit es Herr Scholze so richtigkrachen lassen kann, will er sich unter demTarnnamen „Haushaltskonsolidierung“ dreiweitere Jecken in den drögen Norden holen.Aber irgendwo hört der Spaß dann doch auf,finde ich. Und deswegen wollte ich HerrnScholze auf diesem Wege darauf hinweisen,dass er es auch als gestresster und gehetzter Senatorunterlassen sollte, Bushaltestellenhäuschenmit dem Auto rechts zu überholen. Jawohl,Herr Senator, ich habe Sie genau erkannt.Zum Jahresende überraschte uns der Oberbürgermeisterdann noch mit dem Vorhaben,dass <strong>Rostock</strong> endlich wieder Großstadt werdensolle und dazu nur noch 1000 Einwohnerfehlen würden. Und alle Zeitungen titelten imChor, dass <strong>Rostock</strong> bald wieder Großstadt sei.Als ob 1000 Einwohner wirklich den Ausschlaggeben könnten, ob eine Stadt Großstadtist oder nicht. Eine Großstadt solltenicht nach Einwohnern gemessen werden,sondern an der Infrastruktur, an Arbeitsplätzen,an kulturellen und Bildungsangeboten,an Lebensqualität. Und so ganz nebenbei,Großstadt darf sich jede Stadt nennen, diemindestens 100000 Einwohner hat. Aber dieseErbsenzählerei überlasse ich gern HerrnMethling, der nichts Wichtigeres zu tun zuhaben scheint, als 1000 Leute einzufangen.Ich habe mir meinen Entschluss wirklichnicht leicht gemacht, aber: ich bleibe hier.Ihre Alma Atemlos ¬3


Titelthema: Finanzen auf Nullniveau„Die Lage ist dramatisch,aber die Aufgabe ist lösbar.“4FOTO: TOM MAERCKER


TITELTHEMA: INTERVIEWInterview mit Georg Scholze, Senator fürFinanzen, Verwaltung und Ordnung derHansestadt <strong>Rostock</strong>DAS INTERVIEW FÜHRTE KRISTINA KOEBE, REDAKTIONSMITGLIEDStadtgespräche: Herr Scholze, als interessierterEinwohner der Hansestadt <strong>Rostock</strong> konnteman in den letzten Tagen und Wochen denEindruck gewinnen, dass vielen Akteuren(noch) gar nicht wirklich klar ist/war, wie ernstdie Lage der Hansestadt ist und welche Auswirkungender Erlass aus Schwerin auf den„konkreten Alltag der Stadt“ und den Wert der„kommunalen Selbstverwaltung“ hat. Wie dramatischist aus Ihrer Sicht die aktuelle <strong>Rostock</strong>eFinanzsituation?Georg Scholze: Die Haushaltslage ist sehr angespannt.Das Unternehmen Hansestadt <strong>Rostock</strong>ist ein Sanierungsfall. Die Hansestadt<strong>Rostock</strong> hat kein Einnahme-, sondern einAusgabeproblem. Wenn man den derzeitigenHaushalt betrachtet, ist ein geplanter strukturellerFehlbedarf von 70 Mio. Euro festzustellen.Dieser Fehlbedarf setzt sich im Wesentlichenaus zu niedrig kalkulierten Einnahmenund überhöhten Personalkosten der Verwaltungzusammen. Für die Konsolidierungder städtischen Finanzen dürfen zudem diekommunalen Betriebe und Gesellschaftennicht außer Betracht bleiben. Es wird perspektivischdarum gehen, auf welche Art undWeise die städtischen Unternehmen einenBeitrag zur Konsolidierung leisten könnenund dass eventuelle Risiken für den städtischenHaushalt minimiert werden. Nach meinenbisherigen Erfahrungen bin ich aber gutenMutes, dass wir die dramatische Lage gemeinsamund eigenständig in den Griff bekommenwerden.Stadtgespräche: Also ist die Lage gar nicht sodramatisch?Georg Scholze: Unser Haushaltsproblemsteht natürlich deshalb im Fokus, weil dieHansestadt <strong>Rostock</strong> als größte und wichtigsteStadt des Landes Mecklenburg-Vorpommerneine herausragende Position innehat. Die Lageist dramatisch, aber die Aufgabe ist lösbar.Stadtgespräche: Ist die jetzige Situation das Resultatder Misswirtschaft oder der falschen Finanzpolitikin den letzten Jahren?Georg Scholze: Eine vorsorgliche Finanzpolitikwäre besser gewesen, wobei nicht alle zumTeil einschneidenden Veränderungen derkommunalen Finanzlage in den vergangenenJahren vorhersehbar waren. Die ganz erheblicheBelastung unseres Haushaltes, beispielsweiseaus der neuen Gesetzgebung nach HartzIV, ist nur ein Beispiel, wo wir ohne eigenesVerschulden in fiskalische Schwierigkeiten gekommensind. Hätte man aber in der Vergangenheitdie Risiken frühzeitig erkannt undentsprechend gegengesteuert, wäre die Situationheute günstiger. Meine Aufgabe ist esaber nicht, den Blick zurück zu richten. MeineAufgabe sehe ich vielmehr darin, mit den politischenund gesellschaftlichen Kräften unsererStadt an tragfähigen Lösungen für die Zukunftzu arbeiten. Die kommunalen Unternehmensind aufgefordert, sich in diesenschwierigen Prozess entsprechend einzubringen.Gleiches gilt für unsere Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter.Stadtgespräche: Sie sind in einer sehr undankbarenSituation in das Amt gekommen – wieviele Gestaltungsmöglichkeiten haben Sie angesichtsder Schweriner Vorgaben und der Sachzwänge?Georg Scholze: Wir sind ein Sanierungsfall,ohne Wenn und Aber. Der aus dieser Situationentstehende Konsolidierungsdruck setztKräfte für die erforderlichen Anpassungen inder Stadt frei. Mein Ziel besteht darin, die Bedingungenfür die Wiederherstellung der finanziellenund damit der politischen Handlungsfähigkeitin <strong>Rostock</strong> zu schaffen. Dies istVoraussetzung dafür, dass die Bürgerschaft alshöchstes Organ unserer Stadt ihre Gestaltungsaufgabezurückgewinnt. Deshalb bin ichauch gar nicht unglücklich darüber, dass unsdie Kommunalaufsicht auf diesem Weg unterstützt.Stadtgespräche: Wie intensiv verläuft der Arbeits-und Abstimmungsprozess mit dem OB,der ja sicherlich maßgeblich für das weitere Vorgehenist?Georg Scholze: Der Herr Oberbürgermeisterund ich pflegen eine intensive und konstruktiveZusammenarbeit. Wir sind uns hinsichtlichder Konsolidierungserfordernisse, die wir fürdie Stadt erreichen müssen, in jeder Hinsichteinig.Stadtgespräche: Wie lässt sich das Konzept derVerwaltungsspitze für den Umgang mit der Situationin den nächsten 2 Jahren in wenigenWorten zusammenfassen?Georg Scholze: Wir stehen am Anfang desauf Nachhaltigkeit angelegten Konsolidierungsprozesses,der zum Ergebnis haben soll,dass der städtische Haushalt von 2009 an ausgeglichengestaltet wird. Die Erreichung diesesZieles setzt erhebliche Einschnitte voraus,auf die wir uns politisch werden verständigenmüssen. Wichtige Vorarbeiten sind bereits geleistet.So hat die Bürgerschaft am 1. Februar2006 ein beachtliches Haushaltssicherungskonzeptverabschiedet, das zwar das Konsolidierungszielnoch nicht vollständig erreicht,aber eine wichtige Grundlage für unsere Arbeitdarstellt. Gleiches gilt für die sehr hilfreicheUnterstützung durch das Landesrechnungshof-Teamvon Herrn Direktor Dr.Hempel.Stadtgespräche: Nun stehen sich aber zweiInteressen gegenüber, auf der einen Seite dieSchweriner und auf der anderen Seite die <strong>Rostock</strong>erInteressen!Georg Scholze: Ich sehe keine Gegensätze.Bezogen auf die Wiederherstellung der finanziellenHandlungsfähigkeit decken sich vielmehrdie Interessen der Hansestadt <strong>Rostock</strong>mit denen der Kommunalaufsicht, wie imÜbrigen auch der Bürgerinnen und Bürgerunserer Stadt.Stadtgespräche: Sie haben also nicht das Gefühl,dass die Vorgehensweise in Schwerin sehr drastischwar?Georg Scholze: Angesichts der Problemdimensionwar nichts anderes zu erwarten.5


ImpressumStadtgespräche: Wenn man hier aber den sozialen und den kulturellen Bereich zu sehr beschneidet,haben wir irgendwann ein gravierendes soziales Problem, eine zunehmende Radikalisierung innerhalbder Gesellschaft?Georg Scholze: Eine übermäßige Beschneidung des kulturellen und sozialen Bereichs wird mitmir nicht stattfinden. Im Übrigen denke ich, dass eine zunehmende Radikalisierung innerhalbvon Teilen unserer Gesellschaft vielerlei Ursachen hat. Von daher muss unsere Gesellschaftdurch zusätzliche Präventionsleistungen der Radikalisierung entschlossen entgegentreten. Aberauch die Realisierung dieser Zielsetzung erfordert finanzielle und damit politische Handlungsfähigkeit.Stadtgespräche: Das ist aber die Diskrepanz zwischen ökonomischer Kalkulation, dem Ziel „Schuldenfreiheit“,andererseits den Bedarf nach einem funktionierenden Gemeinwesen, dazu zählen essentiellFrauenhaus, Institut für neue Medien, Musikschule und Kontaktladen. Es kann gut sein,dass wir in zehn Jahren schuldenfrei sind, aber das Gemeinwesen in sich zusammengebrochen ist.Wie schafft man den Vermittlungsprozess?Georg Scholze: Kommunikation ist eine demokratische Schlüsselkompetenz, Überzeugungskrafteine demokratische Schlüsseltugend. Ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam für dieHansestadt eine Vision im Sinne einer politischen Leitidee von „<strong>Rostock</strong> 2020“ entwickeln sollten.Ausgehend von unseren hanseatischen Stärken müssen wir heute Antworten auf die Fragenvon morgen entwickeln. Beispielsweise: Welchen Stellenwert haben Bildung und Erziehung?Welche Perspektive bieten wir jungen Menschen? Was hinterlassen wir der nachfolgenden Generation?Wie gestalten wir unser kommunales Angebot angesichts einer wegen der demographischenEntwicklung älter werdenden Bevölkerung?Stadtgespräche: Aber ohne Geld?Georg Scholze: Ich kehre zum Anfang zurück. Wir haben heute kein Einnahmen-, sondern einAusgabenproblem. Auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit ist eine Fortführungder früheren Verschuldungspolitik nicht zu vertreten. Wir müssen unsere Mittel konzentrieren.Stadtgespräche: Aber Einrichtungen wie das Frauenhaus werden nie wirtschaftlich sein …Georg Scholze: Richtig! Für die Verteilung der Finanzmittel sind politische Prioritäten zu setzen.Ich denke, das Frauenhaus gehört dazu. Als Kommune mit einer Verpflichtung zur Daseinsvorsorgekönnen selbstverständlich nicht alle Aktivitäten finanziell ertragreich sein. Wichtigist nur, dass wir unsere Finanzmittel in diesen Bereichen der Daseinsvorsorge zielgerichtetund wirksam einsetzen.Stadtgespräche: Sind Sie in dem Konflikt mit Schwerin Interessenvertreter <strong>Rostock</strong>s?Georg Scholze: Welch’ eine Frage! Die Bürgerschaft hat mich zum 1. August 2006 für siebenJahre zum Senator der Hansestadt <strong>Rostock</strong> bestellt. Schon dadurch beantwortet sich Ihre Frage,zumal ich von meinem Werdegang her zutiefst von der Leistungsfähigkeit der kommunalenSelbstverwaltung in Deutschland überzeugt bin. ¬Stadtgespräche Heft 45:„Finanzen auf Nullniveau”Ausgabe Dezember 2006(Redaktionsschluss: 28. Dezember 2006)Herausgeber:Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft e.V.<strong>Rostock</strong> in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt<strong>Rostock</strong> e.V.Redaktion und Abonnement:Redaktion »Stadtgespräche«Kröpeliner Tor18055 <strong>Rostock</strong>Tel. 0381-1216413Fax 0381-1216413E-Mail: redaktion@stadtgespraeche-rostock.deInternet: www.stadtgespraeche-rostock.deVerantwortlich (V.i.S.d.P.):Tom MaerckerDr. Kristina KoebeRedaktion:Dr. Kristina KoebeTom MaerckerDr. Peter KoeppenDr. Jens LangerBjörn KlugerDie einzelnen Beiträge sind namentlich gekennzeichnetund werden von den Autorinnen und Autorenselbst verantwortet.Layout:Tom Maercker, be:deuten.deMediadaten:Gründung: 1994Erscheinung: 12. JahrgangISSN: 0948-8839Auflage: 250 ExemplareErscheinung: quartalsweiseEinzelheftpreis: 2,50 EURHerstellung: durch Kopieren (Copy-Team <strong>Rostock</strong>)Kopie auf 100% Recycling-PapierAnzeigenpreise (Kurzfassung):(ermäßigt / gültig für 2006)3. Umschlagseite (Spalten-Millimeter-Preis): 0,25EUR4. Umschlagseite (nur komplett): 145,00 EURDetails auf unserer Website im InternetVerkausstellen:Unibuchhandlung Thalia, Breite Str. 15-17Unibuchhandlung Weiland, Kröpeliner Str. 80die andere Buchhandlung, Ulmenmarkt 1Evangelische Buchhandlung. Am Ziegenmarkt 4Kröpeliner Tor, Kröpeliner Str.KaffeeLager<strong>Rostock</strong>, Margaretenstraße 47Bankverbindung(für Abo-Überweisungen und Spenden)Kto.: 207350082BLZ: 76060561bei der Evangelische Kreditgenossenschaft e.G.NürnbergAbonnement:Jahresabonnement (4 Ausgaben): 10,00 EUREinen Aboantrag finden Sie auf S. 15 (bzw. alsPDF-Datei zum Ausdrucken und Ausfüllen aufunserer Website im Internet).7


TITELTHEMA: STANDPUNKTEin unpopulärer aber unvermeidlicherKonsolidierungsprozessVON ANDRÉ SPECHT (JG. 1972), RECHTSANWALT UND FACHANWALT.SEIT JULI 2006 IST ER CDU-FRAKTIONSVORSITZENDER IN DER ROSTOCKER BÜRGERSCHAFT, DER ER SEIT 2004 ANGEHÖRTDie Hansestadt <strong>Rostock</strong> befindet sich in der größten finanziellen Kriseihrer Geschichte und endlich wird auch deren wahrer Umfang offenkommuniziert: Die Stadt ist „finanziell handlungsunfähig“, wie es vornehmausgedrückt wird. Mit anderen Worten lässt sich sagen: <strong>Rostock</strong>ist pleite!Die derzeitige Situation zeichnete sich bereits seit langem, mindestensschon seit dem Jahr 2001, ab. Aber es wurde Jahr um Jahr versäumt,nachhaltig gegenzusteuern. Erst jetzt wird aus der Not der Mut geboren,konsequente Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Oder liegt esetwa doch (nur) an den handelnden Personen? Wir <strong>Rostock</strong>erinnenund <strong>Rostock</strong>er können wirklich froh sein, dass sich der parteiloseOberbürgermeister einem unpopulären Konsolidierungskurs verpflichtetund sein neuer „Sparsenator“ allen Widerständen zum Trotzden notwendigen Konsolidierungsprozess vorantreibt.Leider machen einige Teile der Stadtverwaltung sowohl rathausinternals auch in der Öffentlichkeit Stimmung gegen den notwendigen Konsolidierungsprozess.Ich halte dies schlichtweg für verantwortungslos.Solange nur gegen die notwendigen Umstrukturierungen polemisiertwird, wird allenfalls Verunsicherung geschürt. Wäre es hier frühzeitigzu der notwendigen Einsicht und einer konstruktiven Zusammenarbeitgekommen und wäre der unvermeidliche Konsolidierungsprozessinnerhalb der Verwaltung bereits früher vorangetrieben worden, stündenwir heute nicht vor so gravierenden Einsparungen.Auch wenn an erster Stelle sicherlich die Verwaltungsführung, allenvoran der ehemalige Oberbürgermeister und sein damaliger Finanzsenator,für die bislang unzureichenden Konsolidierungsbemühungenverantwortlich sind, verbieten sich einseitige Schuldzuweisungen.Letztendlich muss sich auch die Bürgerschaft eingestehen, dass sie sichüber Jahre hinweg gescheut hat, die notwendigen, aber eben oftmalsunpopulären Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung zu fassen. Diesscheint nun endlich anders zu werden und es bleibt inständig zu hoffen,dass die Mehrheit der Bürgerschaft diesen Prozess durchhält. Parteipolitischdürfte es (nicht nur, aber insbesondere für die SPD) durchausverlockend sein, sich der Konsolidierung und der damit verbundenenVerantwortung zu entziehen. Die PDS hat sich ja bereits gänzlichdie „Oppositionsrolle“ geflüchtet und heizt im Interesse zukünftigerWahlerfolge die Stimmung in unserer Stadt gegen den schmerzhaftenKonsolidierungsprozess auf. Helfen wird uns dies nicht!Um die derzeitige Situation unserer Stadt noch mal klar zu machen:Wir nehmen zurzeit Schulden auf, um unser teilweise nicht ausgelastetesPersonal zu bezahlen. Mit anderen Worten: Jüngere und zukünftigereGenerationen zahlen unser Personal, welches wir zumindest inTeilen gar nicht mehr brauchen. Ich finde dies unerträglich. <strong>Rostock</strong>braucht keinen derartig großen Verwaltungsapparat. <strong>Rostock</strong> brauchtaber auf jeden Fall auch weiterhin das Engagement seiner Bürgerinnenund Bürger in Vereinen und Verbänden, bei Kulturträger und im Bereichder Jugendhilfe. Wir dürfen die Zukunft dieser Strukturen nichtzugunsten eines (überflüssigen) Teils der Stadtverwaltung opfern.Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, sich zunächst über die vonder Hansestadt <strong>Rostock</strong> zu erfüllenden Aufgaben zu verständigen undim Rahmen eines längerfristigen Prozesses den notwendigen Personalbedarfhieran „sozial verträglich“ anzupassen. Dieser Versuch ist jedochgescheitert. Seit 10 Jahren wurde versucht, über eine Aufgabenkritikund ein Personalentwicklungskonzept langfristige Strukturen zu definieren.Da dies nicht gelungen ist, sind wir heute gezwungen, die zukünftigzu erfüllenden Aufgaben danach auszurichten, was wir unsnoch leisten können.In diesem Zusammenhang waren das Prüfergebnis der VEBERAS undder Bericht des Landesrechnungshofes wichtige Beiträge für den notwendigenKonsolidierungsprozess. Wir waren und sind auch zukünftigauf externe Hilfe angewiesen, um die notwendigen Entscheidungender Haushaltskonsolidierung durchzusetzen.Ich wünsche mir den Mut und das Durchhaltevermögen des Oberbürgermeisters,der Senatoren und der Bürgerschaft, den harten Konsolidierungsprozesszügig abzuschließen. Wir müssen jetzt nachhaltigeVeränderungen herbeiführen, vor allem im Bereich unserer ausuferndenVerwaltungs- und Personalausgaben. Andernfalls werden wir auchzukünftig immer nur vom Veränderungsdruck der uns einholenden Realitätgetrieben werden, anstatt selbstbestimmt die Realität zu gestalten.Je schneller wir wieder politische Gestaltungsräume und Handlungsfähigkeitzurück erlangen, umso besser ist dies für unsere Stadt,deren Bürgerinnen und Bürger, deren Vereine, Kulturträger und Verbände.¬8


Bürgerschaft zwischen „Schön-Wetter-Demokratie“ und „schwerem Fahrwasser“VON JOHANN-GEORG JAEGER (GEB. 1965); VORSITZENDER DER BÜNDNIS-90-BÜRGERSCHAFTSFRAKTION UND SPRECHER DES ROSTOCKER KREISVERBANDES VON BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENARBEITET ALS SELBSTSTÄNDIGER PROJEKTENTWICKLER IM BEREICH REGENERATIVE ENERGIEJedes Jahr gibt die Stadt mehr Geld aus, als sie einnehmen kann. Diesessogenannte „strukturelle Defizit“ lässt den Schuldendberg in 2007 aufüber 200 Mio. Euro anwachsen. Der Druck der Kommunalaufsicht inSchwerin wächst mit dem Schuldenberg: das strukturelle Defizit sollbis 2009 beseitigt und die bislang aufgelaufenen Altschulden jedes Jahrum 10% reduziert werden.Bis zu diesem Punkt besteht Einigkeit im Rathaus – interessanter sinddie Lösungsvorschläge aus dieser Krise.Drei Punkte kommen in Frage:1. Einnahmen erhöhen2. Kostenreduktion durch Personalabbau3. sogenannte freiwillige Leistungen reduzierenDie Einnahmen könnten durch Anhebung von Gebühren (z.B. Parkgebühren),die Anhebung von Steuern (Gewerbesteuer und Grundsteuer),den Verkauf von kommunalem Eigentum (WIRO-Wohnungenoder das Südstadtklinikum) oder ein mögliches Anspringen derallgemeinen wirtschaftlichen Konjunktur und der dadurch bedingtenEinnahmeverbesserungen erhöht werden.Der Stellenabbau geht seit Jahren kontinuierlich, aber zu langsam, voran.Von den über 900 zu streichenden Stellen werden, z. B. durch Abfindungsreglungen,Altersteilzeit und Ruhestand, fast 700 Stellen sozialverträglichabgebaut – bei über 200 Stellen wird es aber Diskussionengeben. Auf Grund einer sehr komplizierten Rechtslage sind betriebsbedingteKündigungen kaum bzw. nur extrem schwer möglich. Eigentlichbleibt nur die Variante der Landesverwaltung: Arbeitszeitreduzierungbei gleichzeitigem Lohnverzicht.Die freiwilligen Leistungen, vor allem im Kulturbereich, lassen sich besonderseinfach streichen oder reduzieren. Der Personalrat der Stadtverwaltungist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesenBereichen nicht zuständig und wird eher pflichtgemäß protestieren.Aber in kaum einem anderen Bereich bekommt die Stadt soviel Leistungfür sowenig Geld. Denn die städtischen Gelder sind nur ein,wenn auch entscheidender, Teil der Finanzierung dieser Leistungen.Bündnis 90 wird auch deshalb im Erhalt eines möglichst breiten Angebotesim Bereich der freiwilligen Leistungen einen politischen Schwerpunktsetzen.Nicht unerwähnt bleiben darf die scheinbare 4. Möglichkeit: Weltrevolution,der Christine Lehnert von der SAV und Teile der PDS anhängen.Kleinteilige Lösungssuche verlängert aus dieser Perspektivenur das Elend und behindert die Schaffung der revolutionären Situation.Vier Fraktionen versuchen zurzeit eine Lösungssuche innerhalb desEntscheidungsrahmens der Bürgerschaft. CDU, SPD, Bündnis 90 undFDP sind sich bisher vor allem im Ziel der notwendigen Haushaltskonsolidierungeinig. Allerdings ist die Bürgerschaft als ehrenamtlicheInstitution auf die Zuarbeit der und die Zusammenarbeit mit der Verwaltungund dem Oberbürgermeister angewiesen.Das Interessengeflecht innerhalb einer Stadt wie <strong>Rostock</strong> ist kaum zudurchschauen und bietet viele Ansätze für die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien.Diese untergraben aber eine vertrauensvolle Zusammenarbeit,der an dem Prozess Haushaltskonsolidierung Beteiligten.Wenn Informationen aus dem nichtöffentlichen Teil der Bürgerschaftssitzungam nächsten Tag in der Presse stehen, dann spricht dassicherlich für die Leistungsfähigkeit der Presse, aber macht eine Zusammenarbeitzwischen der Stadtverwaltung und der Bürgerschaft fastunmöglich. Auch Stellenbewerber oder Unternehmen werden durchsolche Indiskretionen abgeschreckt.Für Bündnis 90 gibt es bisher keine Alternative zu einer Kooperationder oben genannten vier Fraktionen. Zu klären ist dabei vor allem dieFrage, ob es innerhalb der Kooperation eine klare Bereitschaft aller Beteiligtenzur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeistergibt. Die vier Fraktionen haben sehr unterschiedliche politischeAusrichtungen. Zudem bleibt es für alle Beteiligten schwierig, eineHandlungsfähigkeit der Stadt wiederherzustellen, die dann von anderengenutzt werden könnt, um gegen die eigenen politischen Ziele zuarbeiten.Folgende Eckpunkte beginnen sich derzeit abzuzeichnen:- Personalreduzierung möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen- Kostenreduzierung beim Volkstheater durch Fusion mit Schwerin/ kein Theaterneubau mit städtischen Mitteln in den nächstenJahren- Einnahmeverbesserungen durch z. B. die moderate Anhebung derGrundsteuer und der Parkgebühren- Überprüfung der Leistungen im freiwilligen Bereichen, ohne einegenerelle Streichung der Zuschüsse der Stadt- Reduzierung von Leistungen, z. B. bei der Anzahl der Ortsämter- Verkauf von kommunalem Eigentum zur Haushaltskonsolidierunginnerhalb eines Gesamtprozesses.Nur wenn die Haushaltskonsolidierung gelingt, bleibt die Handlungsfähigkeitder Stadt erhalten. Nur dann können beispielsweise die freienTräger mit Geldern der Stadt rechnen, lässt sich ein breites kulturellesAngebot, die ökologische Forstbewirtschaftung in der <strong>Rostock</strong>er Heide,eine ökologisches Verkehrkonzept und eine bürgernahe Verwaltungerhalten bzw. entwickeln. ¬9


FOTO: TOM MAERCKER


AKTUELL: RECHERCHIERTIndiziensammlung für dieneue ZeitrechnungVON PHILIP RÖSSNERDie Nachwendezeit in <strong>Rostock</strong> ist vorüber. Lange vorbei die Aufbruchsstimmung,in der privat, politisch und kulturell improvisiert undausprobiert wurde, vorbei aber auch die Zeiten der ergriffenen oderverpassten Möglichkeiten. Während es die Städte Schwerin, Wismar,Stralsund oder Greifswald geschafft haben, hauptsächlich mit positivenNeuigkeiten von sich hören zu lassen, hat <strong>Rostock</strong>s Image immer einDoppelgesicht gehabt. Das stolze Zentrum des Landes, aber in allzuvielen Belangen undefiniert und wie amputiert – der Stadthafen, einexklusives, postkartenmotivisches und identitätsstiftendes Areal einerjeden Stadt mit Wasser, ist jahrelang das Symbol für <strong>Rostock</strong>s Problemegewesen. Wenn auch durchaus nicht alles misslang, und Verzögerungenin der Entwicklung teilweise erklärlichen oder vernünftigen Hintergrundhatten und mitunter sogar nützlich waren, indem sie keinenSchaden anrichteten, ist das Stimmungsklima nicht das beste gewesen.Der Eindruck ab Mitte und Ende der 90er Jahre, irgendwie säßen anden entscheidenden Stellen zu viele ungeeignete Leute, verbreitete sichangesichts regelmäßiger politischer Possen und Skandale allmählichbis in breiten Bevölkerungsschichten. Nun heißt es, dass die Lage besondersübel sei, die Hütte quasi am brennen, und die Schwierigkeiteneine Folge und Fortsetzung stadttypischen Dilettierens. So kann manes durchaus sehen, zumal das Haushaltsdesaster tatsächlich ein politischesVermächtnis ist. Aber die Zeiten, und mit ihnen der Blickwinkel,haben sich geändert. Ab sofort darf verbesserte Laune herrschen. EinigeIndizien:Indiz 1: Erfahrungswert DemokratieDie Mehrheit der <strong>Rostock</strong>er Bürgerinnen und Bürger haben im Frühjahr2005 Roland Methling zum Oberbürgermeister gewählt. Damithaben sie zunächst eine grunddemokratische Erfahrung gemacht:Machtverhältnisse, Stimmungen, lobbyistische Traditionen lassen sichändern. Und die Parteien, insbesondere die drei großen, haben wenigstenshier einsehen müssen, dass Hickhack, Hackfleisch und Hackordnungnicht so gut ankommen.Indiz 2: TransparenzDass Roland Methling im Rathaus ohne Hausmacht regieren muss,zwingt sowohl ihn als auch die Parteien zum Miteinander. Dieses Miteinanderist relativ: miteinander will man sich auch gerne den schwarzenPeter zuschieben. Das gute daran: es handelt sich nicht um innerparteilicheoder innerkoalitionäre Schiebungen hinter den Kulissen,sondern um recht transparente Machtkämpfe zwischen politischen Institutionen.Wenn Herr Methling wieder mal beleidigt ist oder die eineoder andere Partei einen Beschluss verweigert, dann steht das am nächstenTat genau so in der Zeitung.Indiz 3: Aufmerksame MedienUnd apropos Zeitung. Die Verlagschefs der NNN wollten mehr Boulevardund mit einem verdienten Journalisten wie Ulrich Vetter nichtlange diskutieren. Das ist ein betrüblicher Verlust. Die OZ allerdings,größeres und wichtigeres Blatt, hat endlich, wenn auch spät, die Aufgabeeiner Lokalredaktion begriffen und widmet sich komplexeren Angelegenheitengerne und wiederholt mit einer ganzen Seite. Auch inden Anzeigenblättern steht regelmäßig Hintergründiges, das lesenswertist. Sogar unser TV.<strong>Rostock</strong>er-Sender macht sich allmählich.Indiz 4: Bauwesen unter AufsichtUm hier gleich anzuknüpfen: Dass Wiro-Chef Bernhard Küppers seinenArbeitsvertrag nicht mehr findet, mit einem umfangreichen Wohnungsverkaufmal so nebenbei für Cash-Flow in der Wiro-Kasse sorgenwill, das sind Meldungen, wie man sie von früher her kannte. Neu ist,dass es Nachfragen und Aufschubsverordnungen aus dem Rathaus gibt.Ein solcher politischer Verantwortungsbegriff hat einst eine Interims-Oberbürgermeisterin zur Abwahl gebracht, jetzt titelt sogar die OZ:Niederlage für Küppers. Der durfte früher im gleichen Blatt ausführen,warum Marian K. sich an keine Regeln zu halten braucht. Dieserwiederum hat jetzt lästige Gerichtstermine am Hals. Wurde im Bauamtmehr an Geschenken entgegen genommen als Kugelschreiber oderSchreibblöcke? Sabine O. ist vom Dienst suspendiert, Amtsleiter PeterGrüttner darf weiterhin sein sehr stilles Amtsverständnis pflegen. MarianK. wird sich über diese Nachfragen nach lächerlichen Hubschrauberflügenund Hotelübernachtungen ärgern. Um die geht es zwar juristisch,aber nicht realiter: Es geht um den Stil, mit Geld protzen, in einAmt hineinzupoltern und ultimativ und sofort Zuarbeit zu verlangen.Die baulichen Ergebnisse sind pompös, architektonisch dürftig. Wasindes Harald Lochotzke, vom Volk auch gerne als hintertriebener Jongleureingeschätzt, in <strong>Rostock</strong> hingestellt hat, kann sich sehen lassen.Das Eckgebäude an der Kreuzung zur Silohalbinsel und das Gebäudeam Vögenteich sind hochwertige, den hiesigen Proportionen angepassteBauten. Dass <strong>Rostock</strong> mit ihm einen Investor hat, der nicht nurolympische Träume für die Stadt hat, sondern auch bauliche, ist besserals mit nem dreckigen Stock ins Auge. (s.o.)Indiz 5: Bedingte Fähigkeit statt bedingungsloser FilzUm die Einschätzung diverser Beobachter von Roland Methlings Eig-11


TITELTHEMA: INTROnung und die seit nun bald zwei Jahren entwickelten Fähigkeiten aufden Punkt zu bringen, so ist es wohl das Kopfschütteln. Die Geschichten,die in gewissen Kreisen über ihn im Umlauf sind, zeugen jedenfallsnicht von ausgeprägten Führungsqualitäten. Aber er ist der gewählteMann, und er ist vielleicht der goldrichtige. Denn die ultimativenSchwerpunkte, die er ausruft, sind gesetzt. Auch jeder andere OBkönnte nicht anders als zu sagen, dass nichts mehr heilig sei und jedeLeistung auf den Prüfstand komme. Methling hat die undankbare Aufgabe,den <strong>Rostock</strong>er Haushalt zu sanieren, und dazu muss er nicht beliebtsein, sondern ziemlich hartnäckig. Manche meinen, Methlingagiere weniger hartnäckig als vielmehr unerfahren und eigensinnig.Wenn Methling es aber nicht lernt, Stadtvater zu werden, zu einer Persönlichkeitzu reifen, die mit Autorität auch Parteien für sich einzunehmenweiß, dann wird er am Ende isoliert dastehen und abgewähltwerden.Das mag auch konkrete und betrübliche Aspekte zeitigen, aber es wirdnicht einen solchen Schaden verursachen wie die gutsherrliche Maniervor allem der SPD, die sich und die Stadt über die Jahre in so vieleSchwierigkeiten verwickelt hat. Sebastian Schröder, OB-Kandidat undehemaliger Finanzsenator, hat sich beruflich nach Schwerin abgesetzt.Dass er als Verantwortlicher das sinkende Schiff rechtzeitig verlassenhabe, wird allerorten gemutmaßt – der Verdruss über eine gewachsenekommunale Parteistruktur, die immer noch eine große Zahl von Ämternmit Genossen besetzt hält und öffentliche Gefolgschaft auch daverlangt, wo ein gesunder Mensch lieber schweigt, ist als Motiv wahrscheinlicher.Und alle Parteien in <strong>Rostock</strong> können jetzt zeigen, wie potentsie im Geschäft sind. Wäre der OB aus SPD, PDS oder CDU,würde die jeweilige Partei unweigerlich an Ansehen verlieren, und dieBevölkerung würde den Glauben an die Demokratie noch mehr verlieren.Jetzt können alle Parteien in <strong>Rostock</strong> zeigen, wie potent und profiliertsie ihr Geschäft verstehen: eine einmalige Chance.Indiz 6: Kompetenz an richtiger StelleMit dem neuen Finanzsenator Georg Scholze scheint <strong>Rostock</strong> immerhingut bedient zu sein. Von burschikosem Auftreten war bislangnichts zu bemerken, ein Mann vom Fach, erfahren, nicht profilierungssüchtig,umsichtig. Auch die Kultursenatorin Ida Schillen kommt verändertrüber – sicherlich dank einer vorurteilsfreieren Presse, wohl aberauch aufgrund der Tatsache, dass die Berlinerin über die Jahre Rostokkeringeworden ist und ihren Exotenstatus verloren hat. Und sie istnicht mehr der Blitzableiter bei jedem Donnerwetter, das <strong>Rostock</strong>sRathaus ereilt – diese Rolle spielen nun andere. Dadurch kann sichauch die Debatte um die Bestandserhaltung und Entwicklung im Kulturbereichweiter versachlichen. Das muss Meinungsverschiedenheitenoder Kritik nicht ausschließen, im Gegenteil: in einem einigermaßenausgewogen begleiteten Wettbewerb der Argumente kann auchdie öffentliche Diskussion an relevantem Gehalt gewinnen. Die Vorzeichenstehen nicht schlecht, und bei den Senatoren verhält es sich wiemit den Parteien allgemein. Was sie tun und sagen, geschieht vor Publikumund kann diskutiert und beurteilt werden.Indiz 7: Handlungszwang bringt KlärungDer Sparzwang. Von dem war früher auch öfters die Rede, jetzt ist erda, in Form von Landes-Behörden, die allerhand diktieren: 900 Stellenin der Verwaltung sollen abgebaut, die Senatsbereiche zusammengelegt,das Volkstheater mit dem Schweriner Staatstheater fusioniert, dieKultur in eine neue Rechtsform übergeleitet, die Tickets für RSAGspürbar teurer werden. Alles Dinge, die man früher auch schon, undvor allem schonender und zweckmäßiger, weil geplanter hätte umsetzenkönnen. Jetzt wird es wehtun. Man muss keine Meinung dazu haben,nur ein Einsehen: es muss sein. Dass insbesondere der Kulturbereichim Visier der Sparer ist, bringt jede gute Seele zum Heulen und istnicht nur ein traditionelles Schlachten der Schwachen, sondern aucheine strukturelle Zwangsläufigkeit. Denn obgleich die kommunalenAusgaben für die Kultur am Gesamtetat geringfügig sind, bietet dieKultur, weil sie freiwillige Ausgabe ist, eben Einsparmöglichkeiten, undzwar relativ schnell umsetzbare.Bislang wurde ein Plan, wie die Kulturlandschaft langfristig aufgestelltund positioniert sein sollte, lediglich für die Schublade erstellt. Erstgar nicht von eingeschränkten Angeboten reden, lautete die Devise.Um den Wert von Kultur an sich zu unterstreichen, hat Ida Schillenbislang immer von der Bestandssicherung sämtlicher Kultureinrichtungender Stadt gesprochen. Das hat sich bislang ausgezahlt, wennman die Selbstaufopferung mancher Macher im freien Kulturbereichfür selbstverständlich nimmt. Jetzt aber wird es Entscheidungen gebenmüssen. Dass eine Fusion des Volkstheaters mit Schwerin der Effektivitätsknüllerwäre, bezweifeln nicht nur Kenner der Materie. Aber dassdie Inspiriertheit im Volkstheater selbst nicht nur durch pauschale undletztlich desinteressierte Einlassungen von außen, sondern auch durchinterne Kommunikationseigenheiten gebremst ist und einen Ruckbrauchen könnte, sagen eben auch Interne. Der kann, da Steffen Piontekseinen Vertrag trotz unablässiger und berechtigter Kritik an unhaltbarenZuständen dann doch verlängert hat, nur durch die Erklärungder Stadt kommen, worauf sie Wert legt – wenn sie die bisherigeGrößenordnung nicht mehr halten kann oder will.Und darauf könnte es hinauslaufen: Fusion lediglich der beiden Orchester,die fortan beide Häuser bedienen, Streichung der Ballettsparte,spürbare Erhöhung der Eintrittspreise mittels eines 5-Euro bzw. 10-Euro-Obulus,der in den Topf für den Neubau geht. Und die freie Kulturszenewird möglicherweise auch einen, zwei, oder drei Schläge bekommen.Dann aber hat das nie enden wollende Bedrohungsszenarioendlich ein Ende: dann wird es endlich konkret, dann gilt es zu kämpfen,zu mobilisieren. Für die, die überleben, wird es um eine Reifeprüfunggegangen sein, und sie wird belohnt sein mit dem Attribut ‚etabliert’.Bislang ist das ja – dank unverbindlicher Zuspruchsbekundungfür alle – bloß ein Anspruch.Indiz 8: Das Bürgertum engagiert sichDie Kulturinitiative, die sich aus diversen Vereinen im letzten Jahr gegründethat, artikuliert sich offenbar mehr als Wehrhaftigkeit. Insbesonderedie städtischen Einrichtungen Theater und Museen, die hiergeschlossenen Geleitschutz erhalten, bekommen durch eine professionalisierteKampagne die Aufmerksamkeit, die sie ihrer Natur undFunktion nach verdienen: Repräsentanten des geistigen Selbstverständnisseseiner jeden Stadt. Die Verkündung von strukturpolitischenund architektonischen Ideen entspricht dem Plan, den man bislang ausdem Kultursenatsbereich vergeblich erwartet hat. Vielleicht ist dieseArbeitsteilung sinnvoll. Wenn engagierte und prominente Bürger nichtnur bekunden, was sie wollen, sondern konkrete Konzepte erstellen,dann bekommt die städtische Kulturpolitik die möglicherweise entscheidendenImpulse. Dass man hier nicht die freien Träger mit eingebundenhat, ist ein wenig snobistisch, aber vielleicht auch zuviel verlangt.Die Idee, einen Neubau für das Volkstheater gegenüber demSchifffahrtsmuseum zu bauen, in letzterem Kunst zu hängen, Schiff-12


fahrt an den Hafen zu verlegen, ist ebenso bestechend wie – an denvorhandenen Optimierungschancen gemessen – alternativlos. Auchdie Kunsthalle, eine wunderbare, ideale Architektur, könnte man danngleich daneben Ecke Schwaansche Straße umsetzen.Indiz 9: Veränderte GroßwetterlageEine Ostdeutsche am Führungshebel einer Großen Koalition in Berlin:das ist aus <strong>Rostock</strong>er Sicht eine umfassende Wende des Mitsprache-und Objektivitätsgefühls nicht nur wegen unserem heimischenOB und der Zwangsversachlichung der Arbeit in Parteigremien. Sogarin Schwerin haben wir aus unserer Perspektive realistische Verhältnisse:Der uns angenehm bodenhaftige Harald Ringsdorf bleibt Landesvater,aber gefordert von der politischen Gegenseite CDU, was als Kompromissvor allem deshalb willkommen ist, weil der alte Kompromiss mitWolfgang Methling, gewiss ein integrer und ebenso geachteter Rostokker,an Bewegung eingebüßt hatte. Also ein Wechsel, und nicht nurdas. Gottseidank wurde endlich die NPD in den Landtat gewählt unddamit eine Realität in das politische Alltags- und Medienleben eingeführt,die jetzt auch die Menschen kümmern muss, die nichts mit Extremitätenzu schaffen haben wollen. Denn dafür stehen die Wählerder NPD in erster Linie: für Leute mit einem verbitterten Lebensgefühl,das nicht mit Erfolg, Konsum oder linken Weltverbesserungsträumensediert und in der Gesellschaft aufgehoben ist. Offenbar sinddie Integrationsbemühungen um Menschen am Rand ungenügend.Wenn wir Demokraten tatsächlich klüger und lebenskundiger sind,dann können wir es jetzt beweisen, und wir müssen es, weil wir ja dieNPD nicht im Landtag haben wollen. Also los.Indiz 10: Kleinigkeiten und Spielräume<strong>Rostock</strong>er Uni, macht nicht nur fachlich von sich reden, sondern istseit einiger Zeit endlich ein Teil des Stadtlebens. Gute Initiativen, vielResonanz; wir sind eine Universitätsstadt. Autobahnanbindung nachWest wie Ost – profan, aber für jeden, der diese Richtungen befährt,spürt am Kreuz Dummerstorf, dass <strong>Rostock</strong> durch die Autobahnverbindungenin drei Richtungen und die Fährverbindungen in RichtungNorden jetzt tatsächlich eine Stadt ist, die auf andere verweisen kann,und auf die von allen Himmelsrichtungen verwiesen wird. VerbesserteBahnanbindung wird das Übrige tun. Auch die Stimmung in der Wirtschaftist nicht mehr die allermieseste, und auf die kommt des dem Vernehmennach an. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen und die Abwanderungsquotenach wie vor eine schwierige Situation markieren, istdies ein Grundproblem des Nordostens, das <strong>Rostock</strong> nur relativ betrifft.Für ein noch verlockenderes Investitionsklima zu sorgen, dafür müsstedie Stadt bereit sein, Geschenke zu machen. Sie hat bescheiden und ineinigen Fällen auch allzu unbesonnen damit angefangen, aber allmählichmüssten auch hier die gesicherten Spielräume wachsen. Dass esdem Hafen leidlich gut geht, Warnemünde ein stark frequentierter Ortfür Kreuzfahrten ist, das sind Aspekte, die dem Selbstverständnis derHafenstadt wohl tun. Während keiner weiß, wie sich Schiffbau in <strong>Rostock</strong>auf Dauer wird durchsetzen und halten können, sorgen andereBranchen allmählich für ein krisensicheres Profil. Und dass Ikea in <strong>Rostock</strong>eine Filiale eröffnet, kann man getrost als Vertrauensbonus in dieZukunft werten. Ansonsten braucht die Touristik an der Küste Sonne,und selbst die Klimaentwicklung gibt hier Anlass zur Hoffnung. ¬FOTO: TOM MAERCKER13


TITELTHEMA: STANDPUNKTGELD oder LEBEN?Zur Haushaltsdebatte zwischen alten Denkschemata und der Suche nach neuen WegenVON DR. SIBYLLE BACHMANNLeben auf Pump bis in die nächsten Generationen– wer das fortsetzen will, muss es deutlichsagen und die Konsequenzen benennen.Wer es ändern will, macht sich unbeliebt, hataber die Zukunft vielleicht mehr im Auge alsVerteidiger des Status quo, die sich gegenüberfällige Veränderungen stellen. Worum esgeht, ist eine Perspektive für die Bürger <strong>Rostock</strong>sund die Mitarbeiter der Stadtverwaltung.Was fehlt, sind Hintergrundinformationen,eine Zukunftsdebatte und politischeSchwerpunktsetzungen.Kommunen gehen nicht Pleite, das weiß jeder.Doch diese Binsenweisheit hat da ihreGrenzen, wo Kommunen keine Kredite mehrerhalten, wo sie bei jeder Investition im Innenministeriumanfragen müssen und angesichtsaufgehäufter Schulden keine Zustimmung erhalten.Das Leben geht dann zwar immernoch weiter. Auch Pflichtaufgaben wie Schulen,Kosten der Unterkunft, Kita-Beteiligung,Gehaltszahlungen usw. wird nachgekommen.Aber in allen sogenannten nichtpflichtigenBereichen sieht es mau aus. Da geht es um dieblanke Existenz.Jetzt kann man mit einem Definitionsstreitreagieren und Kultur sowie Soziales zur„Pflichtaufgabe“ erheben, zur Daseinsvorsorge,was auch meine Grundüberzeugung ist,aber aktuell hilft das niemandem angesichtsder Gesetzeslage. Oder aber man kommt mitNeuansätzen bei Strukturen, Finanzierungswegenund Organisation, um auf diesem Wegenicht nur zu bewahren und zu erhalten,sondern auch weiterzuentwickeln.Um nur ein Beispiel herauszugreifen: DieGründung einer Theater GmbH wäre betriebswirtschaftlichnoch immer kein Renner,sondern lediglich ein Handeln nach dem Prinziplinke Tasche – rechte Tasche, aber denWillen zur Veränderung und Umstrukturierungin Richtung Aufsichtsbehörde hätte manschon mal gezeigt und damit Zeit gewonnenfür neue Konzepte. Bewahrendes Ablehnenhat sowieso weder politische Mehrheitennoch ein konkretes Konzept. Und der Traumvom Theater als Eigenbetrieb, den ich persönlichsogar vor Jahren der Kultursenatorin, demFinanzsenator und dem Bildungsminister vorschlug,scheitert noch immer an der fehlendenGesetzesinitiative einer Landtagsparteizur Änderung der EigenbetriebsverordnungM-V. Als „Nebeneffekte“ einer GmbH-Umwandlungwürden sich zugleich eine größereFlexibilität, die Möglichkeit des Abschlusseseines Übergangstarifvertrages, neue Tätigkeitsfelderund Finanzierungsmöglichkeiteneinstellen. Hinzu käme die Herausnahme von350 Stellen aus dem Stellenplan der Stadtverwaltung,womit die Auflagen fast erfüllt wären.Viele Einzelbereiche der Stadtverwaltungkönnte man so durchgehen, wobei klar seinsollte, dass man ein Theater gar nicht „verwalten“kann, wie manch’ anderes auch nicht.Als nächstes großes Thema gelten die Personalkosten.Auch hier zwei gegensätzliche Positionen:Soviele Kürzungen wie möglich, evtl.sogar mittels betriebsbedingter Kündigungen,oder größtmögliche Beibehaltung des Statusquo, weil angesichts der Arbeitsfülle keineKürzungen möglich seien. Der Mittelweg einesan Strukturen orientierten, gemäßigtenund sozial verträglich gestalteten Abbaus hates derzeit äußerst schwer.Da gibt es bereits lautstarke Proteste, wennStellen (nicht Menschen!!!) in Bleibepotential,Kreispotential und Abbaupotential eingeteiltwerden. Und das, obwohl niemand etwasgegen das Bleibepotential hat, das Kreispotentialseinen Job gar nicht verliert und sogarweitgehend in der eigenen Verwaltung bleibenkönnte, wenn die Stadt ihre Optionsrechte aufWeiterführung der Aufgaben Jugend- und Sozialhilfesowie Trägerschaft für die Gesamtschulenund die Gymnasien wahrnimmt, unddas Abbaupotential eine tatsächliche Problemhöhevon „lediglich“ 382 Stellen besitzt,da die anderen durch Fluktuation, Altersteilzeit,Abfindung etc. abgebaut werden.Wäre es da nicht klüger, Kampfparolen in derSchublade zu belassen und nach Konzeptenzu suchen? Zum Beispiel nach sozial verträglichenLösungen für Mitarbeiter, die abzubauendenStellen zugeordnet sind und nicht umgesetztwerden können. Oder nach Konzepten,die dazu führen, dass gar nicht abgebautwerden muss. Und natürlich nach Strukturen,die dem verbleibenden Personal den Arbeitsalltagerträglich werden lassen, denn selbstverständlichmuss die Aufgabenfülle bei reduziertemPersonal ebenfalls gemindert oder andersorganisiert werden. Für all’ dies benötigt manZeit, denn bis dato hat es keine wirkliche Aufgabenkritikgegeben.Zeit erhält man unter den aktuellen Umständenauf zwei Wegen. Zum einen durch die Erlangungvon zeitlichem Aufschub für dieHaushaltssanierung beim Innenministerium,z.B. bis 2012, wofür jedoch der Willen zuStrukturänderungen unter Beweis gestelltwerden muss. Zum anderen durch den Abschlusseines Haustarifvertrages mit Kündigungsschutz.Binnen dreier Jahre (2007 –2009) dürften Strukturen geprüft und verändertsowie Alternativen aufgezeigt sein. Bedarfes für diese Lösungsvarianten tatsächlichdes bekannten öffentlichen Schauspiels vonGewerkschaftsdemos und anschließender Einigungoder könnte man sich nicht gleich zielorientiertan einen Tisch setzen? Auf jedenFall aber wären Besonnenheit und Suche nachAlternativen angebrachter als die Panikmacheder letzten Wochen.Vielleicht ließen sich Personaleinschnitte überdie natürliche Fluktuation und das Altersausscheidenhinaus sogar vermeiden, indem dieVerwaltung ihre Hausaufgaben in zwei Feldernerfüllt: Die Bereiche Kämmerei, Hauptamt,Controlling auf Vordermann bringenund die kommunalen Unternehmen zur Sanierungder städtischen Finanzen heranziehen.Auch hierfür wäre Zeit erforderlich.Und: Beides würde einen enormen Eingriff inbisherige Strukturen, Verflechtungen handelnderPersonen und Kompetenzen bedeuten.Wer traut sich da ran, ohne selbst Teil desSystems zu werden oder resigniert aufzugeben?Öffentlich niemand, auch nicht derOberbürgermeister, der nach dem (vorerst)gescheiterten WIRO-Wohnungsverkauf zwarvollmundig davon spricht, aber selbst ein Jahrlang von den Vorgängen wusste und sie guthieß.14


Das Versagen von Kämmerei, Hauptamt,Controlling und Organisation ist nicht nurim Bericht des Landesrechnungshofes manifestiert,es ist seit Jahren Rathausflurgespräch.Die Erklärung hierfür scheint einfach zu sein:Personalbesetzungen erfolgten überwiegendpolitisch motiviert mit teilweise fachfremdenPersonen. Daraus resultierende fachlicheMängel führen fast automatisch zu einer langenMitzeichnerkette und verstärktem Dirigismusbestreben.Die Eigenständigkeit derAmtsbereiche hinsichtlich Personal- und Ressourceneinsatzwird zwangsläufig abgelehnt.Wenn aber dieselben Personen zu Hauptakteurenvon Haushaltssanierung und Verwaltungsreformernannt werden - was soll dabeirauskommen? Noch aber steht kein anderesTeam zur fachlich fundierten Sanierung desHaushaltes zur Verfügung. Zugleich könnenVorschläge von außen (VEBERAS, Landesrechnungshof) nur mit eigener Sachkompetenzbewertet, abgelehnt oder modifiziert umgesetztwerden. Ein NEIN alleine reicht nichtaus, um VEBERAS, den Landesrechnungshofund das Innenministerium zu überzeugen undso die viel beschworene Zwangsverwaltung zuverhindern.Eng verbunden mit der Problematik in denBereichen Kämmerei und Controlling sinddie kommunalen Beteiligungen. Seit Jahrenerfüllen die meisten nicht die Kriterien derKommunalverfassung hinsichtlich Ausschüttungenan die Stadt. Über die RVV [RostkckerVersorgungs- und Verkehrs-HoldingGmbH – Anm. d. Red.]sind viele miteinanderverbunden, fast filzartig, gestützt durch Aufsichtsratsmitglieder,die das eine oder andereGeschäft mit dem zu kontrollieren Unternehmentätigen (siehe WIRO und RSAG).Die Stadtwerke liefern überwiegend die Gewinne,die der Abdeckung der Defizite insbesondereder RSAG, aber auch anderer Unternehmendienen. Ein Steuersparmodell. Nur,dass der Chef der RVV zugleich der Chef derRSAG ist und dieses Unternehmen auf einmalkeine Schwierigkeiten hat, im Rahmen derHaushaltskonsolidierung mit 5 Mio EuroStadtzuschuss weniger auszukommen. Ja womag denn das Geld herkommen oder welcheStrukturen können so schnell so effektiv geändertwerden? Was war in den Vorjahren tatsächlichlos?Dass die Unternehmen sich nicht wirklich indie Karten schauen lassen wollen, erlebten wirjüngst beim versuchten Verkauf von WIRO-Wohnungen. Nach außen hin angeblich keinErfordernis für das Unternehmen, sieht es inden Berichten des Landesrechnungshofes undder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst &Young ganz anders aus. Genau das sollte abernicht öffentlich werden. Der WIRO GmbHallerdings bleibt ihr Problem, und wenn dasUnternehmen nicht zügig saniert wird, könntenwir in zwei Jahren vor ganz anderen Aufgabenstehen.Diese ganz anderen Aufgaben scheint <strong>Rostock</strong>sowieso lösen zu müssen, betrachtetman nur folgende Ereignisse: Die Verurteilungeines WIRO-Mitarbeiters wegen Vorteilsnahmebei Auftragsvergaben, die gerichtlicheBestätigung der außerordentlichen Kündigungder rechten Hand des Bausenatorswegen Vorteilsnahme, das offene Verfahrengegen die linke Hand des Bausenators undAmtsleiterin für Liegenschaften wegen möglicherVorteilsnahme, die Nichtausschreibungdes WIRO-Wohnungspaketes unter Verantwortungdes Aufsichtsratsvorsitzenden undBausenators, der Verkauf eines Grundstücksan einen Mittelsmann der Rotlichtszene (Blücherstr.55).Baubereich, Immobilienwirtschaft, Rotlichtmilieu– sollte es tatsächlich funktionierendeVerbindungen geben? Dann könnte die Überschriftnoch zutreffender werden…Nur Transparenz, Strukturveränderungen,Personalwechsel, politische Schwerpunktsetzungund breite Zukunftsdiskussion können<strong>Rostock</strong> aus dem Dilemma helfen, damit esam Ende heißen kann: (Ausreichend) Geldfür (kommunales) Leben! ¬Ausschneiden, Ausfüllen, Unterschreiben und bitte per Post an die Redaktionsadresse (oder Sie bestellen im Internet: www.stadtgespraeche-rostock.de)AbonnementRechnungsanschrift (=Abonnent):Ja, hiermit abonniere ich ............. Exemplar(e) des Magazins »Stadtgespräche« ab der nächstenverfügbaren Ausgabe zum Jahresabonnement-Preis (4 Ausgaben) von 10,00 EUR. Ich kanndieses Abonnement jederzeit zum Jahresende kündigen, andernfalls verlängert es sich um einweiteres Jahr. Hier meine Angaben:Wer bekommt das Heft (=Postanschrift)?Firma/Organisation: ....................................................................Abonnent: ....................................................................Anschrift: ....................................................................Land, PLZ, Ort: ....................................................................(falls abweichend von der Rechnungsanschrift)Firma/Organisation: ....................................................................Empfänger: ....................................................................Anschrift: ....................................................................Land, PLZ, Ort: ....................................................................für Rückfragen:Vorwahl - Telefon: .............................................E-Mail: ....................................................................Widerrufsrecht: Die Bestellung kann innerhalb von 10 Tagen bei der Bestelladressewiderrufen werden. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitigeAbsendung des Widerrufs.Datum/Unterschrift: ....................................................................15


TITELTHEMA: STANDPUNKTHaushaltskonsolidierung ist notwendig,muss sich aber an Werten orientierenVON STEFFEN WANDSCHNEIDER (JAHRGANG 1979), 1. STELLVERTRETENDER VORSITZENDER DER SPD-BÜRGERSCHAFTSFRAKTIONARBEITET ALS WISSENSCHAFTLICHER MITARBEITER AN DER JURISTISCHEN FAKULTÄTDer folgende Beitrag beleuchtet die Stadt insbesondere aus finanzpolitischer Sicht. Auf Grund der Begrenzung ist es nicht möglich, auf andere wichtigeBereiche im Detail einzugehen. Die Langfassung eines Positionspapiers der SPD-Fraktion kann über die Fraktionsgeschäftsstelle bezogen werden.Die momentane Situation der HansestadtDie Hansestadt <strong>Rostock</strong> leidet seit 2001 unter einem strukturell defizitärenHaushalt. Trotz fortgeschriebener Haushaltssicherungskonzepteist es bisher nicht gelungen, den gesetzlich geforderten ausgeglichenenHaushalt zu erreichen. Auch die aktuellen Planungen für 2007weisen so ein strukturelles Defizit von 31,5 Mio. Euro auf. Die Ursachendes Problems sind vielseitig: Einnahmeverluste, erhöhte - auchvon anderer Stelle vorgegebene - Ausgaben, immer noch vorhandeneIneffizienzen in der Verwaltung, aber auch zum Teil fehlender Mut derpolitischen Entscheidungsträger.Mit dem rigiden Handeln der Rechtsaufsicht ist nach jahrelangem Zögernmassiver Druck auf <strong>Rostock</strong> aufgebaut worden, der zu drastischenMaßnahmen auf Seiten der Stadt führte (vollständige Sperre des Haushalts,Diskussion um Kündigungen verbunden mit Angst der Beschäftigten,Infragestellung vieler sozialer und kultureller Angebote). DasZiel, dass die Stadt künftig wieder einen ausgeglichen Haushalt vorlegenmuss, ist dennoch richtig, um eine langfristige Handlungsfähigkeitzu gewährleisten. Und eine sozial gerechte Politik ist in einer Marktwirtschaftauf einen handlungsfähigen Staat angewiesen. Nur so könnenseine Instrumente gezielt dafür eingesetzt werden, jene Menschenzu unterstützen, die besonders auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesensind. Noch immer gilt daher die Formel Willy Brandts: Nurreiche Bürger können sich einen armen und wirkungslosen Staat leisten.Alle anderen Menschen sind darauf angewiesen, dass der Staatbzw. eine Stadt handlungsfähig und in der Lage ist, der reinen Profitorientierungim Interesse der Menschen Grenzen zu setzen.<strong>Rostock</strong> wird sich in Zukunft nicht mehr alles leisten können. Es müssenheute Entscheidungen getroffen werden, welche Leistungen in Zukunftnoch in welchem Umfang erbracht werden können. Dies geschiehtauch in Verantwortung gegenüber den zukünftigen Bürgernund Bürgerinnen sowie Entscheidungsträgern, denn heute nicht getroffeneEntscheidungen rufen zusätzliche Konsolidierungsbedarfe inder Zukunft hervor. Daher ist es sozial ungerecht, laufende Ausgabendes Verwaltungshaushaltes durch Kredite zu finanzieren. Hinzu kommenZinszahlungen aus kommunalen Mitteln an Kapitalgeber und somiteine Umverteilung von unten nach oben. Bereits der bis Ende 2006aufgelaufene Schuldenstand von etwa 218.600.000 Euro zwingt dieStadt zur Zahlung von Zinsen in Millionenhöhe! Geld, das auchmittelfristig für zukunftsweisende Entscheidungen fehlen wird.Ziel der HaushaltspolitikDaher ist es notwendig, den Haushalt zeitnah zu konsolidieren. Nurwenn heute die Weichen gestellt werden, sind noch härtere Einschnittein Zukunft zu vermeiden. Deshalb ist das Ziel eines ausgeglichenenHaushalts im Jahr 2009 richtig. Allerdings darf die Haushaltskonsolidierungnicht zum Selbstzweck verkommen, sondern muss im Kontextmit den Aufgaben und Funktionen einer Stadt gesehen werden. Haushaltssanierungund -konsolidierung ist ohne Orientierung an Wertenund Zielen nicht möglich. Im Mittelpunkt müssen die Menschen derStadt stehen. Um Sparmaßnahmen zu begründen und sie für Bürgerund Bürgerinnen sowie die Beschäftigten nachvollziehbar zu machen,muss klar sein, welche Ziele mit den wiedererlangten finanziellen Spielräumenverfolgt werden. Sparprogramme zur Haushaltskonsolidierungmüssen Zuversicht schaffen und nicht Angst verbreiten. Insofern ist eineausschließlich betriebswirtschaftliche Betrachtung der Stadt nureingeschränkt sinnvoll. Die dahinter liegende Metapher „KonzernStadt“ verführt zu falschen Schlussfolgerungen. Ziel eines Wirtschaftskonzernsist die finanzielle Gewinnmaximierung. Ziel des „KonzernsStadt“ kann nur die Maximierung des Gewinns für die Menschen sein.Ansätze zur Haushaltskonsolidierung müssen daher auch die Frage beantworten,nach welchen Werten, außer den betriebswirtschaftlichenZielen, diese erfolgt.Ziel guter Kommunalpolitik ist die Herbeiführung von sozialer Gerechtigkeit,soweit sie in die Zuständigkeit der kommunalen Ebenefällt. Erfolgreiche und nachhaltige Haushaltskonsolidierung darf dahernicht zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten oder Armut in derStadt führen. Es ist immer teuerer, die Folgen negativer sozialer Entwicklungenzu beheben als deren Entstehung zu verhindern. Die Verschärfungsozialer Gegensätze gefährdet nicht nur den sozialen Frieden,sie gefährdet letztlich auch die Demokratie, wie die jüngsten Wahlergebnisseder NPD auch in <strong>Rostock</strong> zeigen.16


Wege aus der Krise?Die Haushaltskonsolidierung ist Aufgabe der ehrenamtlichen Bürgerschaft,vor allem aber auch der Kernverwaltung. Die Entwicklung tragfähigerKonzepte muss jedoch seitens der hauptamtlichen Verwaltungund des Oberbürgermeisters vorangetrieben werden. Dabei ist es sinnvoll,sich an dem vom Landesrechnungshof ermittelten Konsolidierungsrahmenauszurichten, ohne jedoch allen Einzelvorschlägen zu folgen.Insbesondere sind diejenigen Vorschläge abzulehnen, die langfristigeine soziale Spaltung der Stadt und damit noch höhere Folgekostenerwarten lassen.Der bislang durch die Verwaltungsspitze beschrittene Weg ist zum Teilkritikwürdig, da er einen offenen Umgang mit den Problemen und einehrliches Miteinander vermissen lässt. Als Beispiel hierfür kann genanntwerden, dass politische Vorgaben der Bürgerschaft (Priorität derSchulsanierung) zur Mittelfreigabe nach der Haushaltssperre nur bedingtbeachtet wurden. Auch die zögerliche Haltung, einen Haushaltsentwurf2007 entsprechend der gesetzlichen Vorgaben bereits im Jahr2006 vorzulegen, trägt nicht zur intensiven und kritischen Diskussionmit den politischen Entscheidungsträgern bei. Eine Dringlichkeitsvorlage(!)zu den Eckwerten des Haushalts wurde kurz vor der Sondersitzungder Bürgerschaft am 18. Dezember zurückgezogen; der Entwurfdes Stellenplans liegt immer noch nicht offiziell zur Beratung vor. BeidePapiere enthalten jedoch derart weitgehende und zum Teil fragwürdigeEntscheidungen, dass sie noch intensiver Beratung bedürfen.Auf Seiten der Bürgerschaft werden durch die laufenden Kooperationsgesprächevon vier Fraktionen - auch unter Beteiligung der SPD -stabile und verlässliche Verhältnisse in der Bürgerschaft gesucht. Beiverständlichen Meinungsverschiedenheiten im Detail besteht Einigkeit,die dringenden Haushaltsprobleme der Hansestadt zu lösen. DieWeichen dafür sind nicht zuletzt mit dem Beschluss des Haushalts fürdas Jahr 2007 zu stellen. Dabei wird es auch darum gehen im Rahmender Haushaltskonsolidierung Einschränkungen bei direkten Leistungenfür die Bürgerinnen und Bürger soweit wie möglich zu vermeidenund stattdessen in erster Linie Effizienzreserven in den Verwaltungsabläufenzu erschließen. Ziel muss sein, dass <strong>Rostock</strong> auch in Zukunftüber ein breites Spektrum freiwilliger Leistungen in den Bereichen Soziales,Kultur, Bildung und Sport verfügt. Hierzu gehört, dass nichtnur über Einsparungen, sondern auch über neue Konzepte gesprochenwird, die die Qualität der derzeit bestehenden Angebote verbessern.Langfristige und nachhaltige EntscheidungenNötig ist z.B. ein langfristiges Museumskonzept, das die Besucherzahlendauerhaft steigen lässt und zur überregionalen Ausstrahlung beiträgt.Auch die diskutierte Fusion des Volkstheaters <strong>Rostock</strong> mit demMecklenburgischen Staatstheater ist betriebswirtschaftlich und konzeptionellzu prüfen. Die mögliche Einsparung von Personalkostendarf jedoch nicht durch Folgekosten aufgezehrt werden. Als Alternativekann auch eine enge Kooperation dienen, bei der sich beide Standorteauf bestimmte Sparten konzentrieren und so das Gesamtniveaudes Angebotes verbessern. Wenn heute nicht eine klare Entscheidungzu den künftigen Inhalten getroffen wird, wird sich in wenigen Jahrendie Frage um den Bestand des Theaters ergeben.In einer Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Angebote, alsoim Verkauf städtischen Eigentums oder in der Übertragung von Leistungenan Private (Outsourcing), kann kein Allheilmittel gesehenwerden. Die Finanzsituation darf nicht dazu verleiten, kurzsichtigeEntscheidungen zu treffen, wenn dadurch langfristige Entwicklungszielesowie die Qualität der öffentlichen Leistungen und vor allem dieZukunftsfähigkeit der Stadt auf der Strecke bleiben. Beispielhaft darfder durchaus diskutable und geplante Verkauf eines Teils der WIRO-Wohnungen nicht als Einmaleffekt im städtischen Haushalt verschwinden,ohne die strukturellen Probleme auf der Ausgabenseite zubeseitigen.Diskussionswürdig sind jedoch neue organisatorische Lösungen, beidenen z.B. gemeinnützige Träger ehemals städtische Leistungen erbringenund dabei kostengünstiger dasselbe Angebot realisieren oderbei gleichem Budget das Leistungsspektrum ausweiten. Jedoch dürfensolche Lösungen nicht zu Dumpingprozessen führen und sollten aufder Grundlage von Leistungsvereinbarungen erfolgen, um den Einflussder Stadt auf die Art der Leistungserbringung zu garantieren.17


TITELTHEMA: STANDPUNKTVerantwortung für das PersonalEine gute Personalpolitik, die sich klar zur Verantwortung für das Personalund zu solidarischen Lösungen bekennt, wird Kern der Haushaltskonsolidierungsein. Das klare Ziel ist hier weiterhin, betriebsbedingteKündigungen zu vermeiden. Stattdessen ist ein Personalentwikklungskonzeptnotwendig, das den Konsolidierungsprozess beschreibt,jedoch auch Perspektiven für die Personalentwicklung eröffnet und vorallem für die Beschäftigten Berechenbarkeit und klare Perspektivenschafft. In diesem müssen zunächst alle Möglichkeiten des altersbedingtenund vorzeitigen Ausscheidens von Mitarbeitern sowie dieNichtwiederbesetzung von freiwerdenden Stellen ausgeschöpft werden.Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, plädieren wir für tarifvertraglicheLösungen, die die Lasten der Konsolidierung solidarischund sozial ausgewogen verteilen. Neben der notwendigen Reduzierungdes Personals darf die Gewinnung des Nachwuchses nicht vernachlässigtwerden, da anderenfalls die Stadt bereits in wenigen Jahren nichtlänger arbeitsfähig sein wird.Es darf bei einem Personalentwicklungskonzept also nicht nur um dieReduzierung von Stellen gehen. Vielmehr sind Maßnahmen zu ergreifen,um die Verwaltung der Stadt Schritt für Schritt zu modernisierenund effizienter zu gestalten. Regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmensind in diesem Zusammenhang ebenso von Bedeutung wie ein vertrauensvollerund kooperativer Umgang der Verwaltungsspitze mit den Beschäftigtender Stadt, dem Personalrat und den Gewerkschaften. DieModernisierung der Verwaltung kann nicht gegen, sondern muss mitden Beschäftigten der Stadt erfolgen.Als zweiter Schritt wird im Rahmen der Zielvereinbarungen ein Budgetausgereicht, mit dem klar definierte Ziele sowie Budgetregelungenverbunden werden. Grundlage des Budgets sind dabei auch die Zahlenaus der Kosten-Leistungs-Rechnung. Nach der herben Kritik des Landesrechnungshofesan ihrer jetzigen Form bedarf es einer konsequentenFortentwicklung unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen.Die Entscheidung, die Budgetierung und auch die gebildetenRücklagen aufzulösen, ist dennoch falsch. Durch Budgets lassen sichneben einem effizienten Mitteleinsatz auch Auswirkungen auf die Leistungsbereitschaftund damit auf die nicht materiell steuerbare Leistungsproduktiondurch die Beschäftigten erzielen. Ohne konsequenteflächendeckende Budgetierung sind die strukturellen Mängel der klassischenbürokratischen Verwaltungsorganisation nicht zu beheben.Als dritter Schritt ist das lange geforderte zentrale Controlling als umfassendes,fachbereichsübergreifendes Steuerungs- und Koordinierungskonzeptaufzubauen. Dieses plant und kontrolliert nicht selbst,sondern überprüft die Teilpläne auf Zielkonflikte und fasst sie zu einemabgestimmten Gesamtplan zusammen. In Abgrenzung zur Verwaltungsleitungist das Controlling damit steuerungsunterstützende Tätigkeit.Der gesamte Umsetzungsprozess sollte mit der Kreisreform undFunktionalreform II im Sommer 2009 abgeschlossen werden.Die politische Arbeit bis zum Jahr 2009 entscheidet daher in mehrfacherHinsicht darüber, wie die Stadt aussehen wird. <strong>Rostock</strong>s Zukunftals soziale, weltoffene Stadt mit ihrem hohen Entwicklungspotenzial inForschung und Entwicklung, der maritimen Wirtschaft, der Gesundheitswirtschaftund der Ausrichtung auf den Ostseeraum wird im Wesentlichendavon abhängen, dass heute die anstehenden Probleme gelöstwerden. ¬Eine moderne Verwaltung aufbauenDie Verwaltung der Hansestadt <strong>Rostock</strong> bedarf bei der mittelfristiganstehenden personellen Reduzierung der Reform, um ihre Aufgabenauch künftig wahrnehmen zu können. Dabei sollte ein „Neuer Dreiklang“im Rahmen eines neuen Steuerungsmodells angestrebt werden.Die Steuerung der Verwaltungstätigkeit muss dabei verstärkt über dasInstrument der Zielvereinbarungen erfolgen. Hierdurch wird die Bürgerschaftals politische Seite der Verwaltung von Detailarbeit entlastetund kann sich auf ihrer Aufgabe besinnen, die zu erreichenden Ziele zuformulieren und lenkend tätig zu werden. Entsprechend der Aufgabenorganisationund des Produktplanes der Hansestadt bietet sich derAbschluss amtsbezogener Zielvereinbarungen an.Die Steuerung der Verwaltungseinheiten durch Zielvereinbarungen eröffnetauch die Möglichkeit, über die jeweiligen Produkte den Dialogzu den Bürgern und Bürgerinnen zu suchen. Die Diskussion der zu erreichendenZiele steht damit auch im Kontext zur beabsichtigen Einführungeines Bürgerhaushaltes, wie er bereits in einer früheren Ausgabeder „Stadtgespräche“ vorgestellt wurde. Dieser Bürgerhaushalt sollkünftig eine verstärkte Teilhabe an der Haushaltsplanung ermöglichen.Politik und Verwaltung haben die Chance - aber auch die Pflicht -durch die Erörterung der Schwerpunkte des Haushalts mit den Menschenzu erfahren, ob die Verteilung der finanziellen Mittel in ihremSinne erfolgt.18


FOTO: TOM MAERCKER


TITELTHEMA: ERFAHRUNGSBERICHTZwischen Baum und BorkeZur Situation des MAU-ClubVON TOM SCHULZEWir befinden uns im Jahr 2007 und wenn man das nicht wüsste, könnteeinem der Gedanke kommen, dass es sich bei dem was wir in derfreien Kulturlandschaft <strong>Rostock</strong>s erleben um eine unvorstellbare Zukunftsvisionhandelt.Alle freien Kulturträger leben seit Oktober des vergangenen Jahres inder unerträglichen Situation, dass ihre Projekte akut von der Schließungbedroht sind. Nach dem Gezerre um die Mittel für die MonateNovember und Dezember 2006 beginnen wir auch dieses neue Jahr ohnebelastbare Aussagen über die zukünftige Förderung der Projekte.Damit wird für die Vereinsvorstände dieser Träger eine unzumutbareSituation geschaffen, da sich die Vorstandsmitglieder in Haftung fürdie Vereinsgeschicke verantwortlich zeichnen. Auf der anderen Seitemöchte niemand der Verantwortungsträger das Projekt beenden, fürdas er nicht selten 10 oder 15 Jahre seines Lebens gekämpft hat, solangenoch die Hoffnung besteht, dass die politisch verantwortlichen Personenzu Gunsten des Projektes entscheiden.Was heißt das nun für den MAU-Club konkret? Welche Auswirkungenhat diese Situation für die Projekte um das Jugendkulturhaus <strong>Rostock</strong>s?Zuerst betrifft es natürlich die Planungssicherheit für das Projekt. Eskönnen keine langfristigen Verträge mit Künstlern abgeschlossen werden,und wenn dann nur mit der Einschränkung versehen, dass wirnicht wissen was morgen sein wird.Langfristige Partner, wie z.B. Vermieter, Technikfirmen, Hotels etc.,sind verunsichert. Aktuell liegen die Anträge für die Abschlussprüfungfür drei Auszubildende im Bereich Veranstaltungstechnik auf Eis. Diesemüssen bis zum 15.01.2007 bei der IHK eingereicht sein, damit imJuni die Abschlussprüfung stattfinden kann.Vier Auszubildende befinden sich noch bis 2008 bzw. 2009 bei uns inder Ausbildung. Auch die Kooperation, die wir mit der Hochschule fürMusik und Theater zum Zwecke des Austauschs der Auszubildendenbeider Institutionen unterhalten, würde sich im Falle der Schließungunserer Einrichtung sehr einseitig gestalten.Die Teilnehmer unseres Jugendberufshilfeangebotes und etliche Praktikantenwissen nicht, ob ihr Einsatzort weiterhin besteht.Den Skatern und den DJ`s die an unseren Workshopangeboten teilnehmen,würde die Möglichkeit zum Austoben und Ausprobieren fehlen.Auch die Behinderten der DRK-Werkstätten müssten sich nach einemneuen Ort für ihre Diskotheken umsehen.Wir planen für den Juni und Juli 2007 gemeinsam mit unseren europäischenPartnern eine Europatournee mit Nachwuchsbands aus vier Nationenim Rahmen eines Austauschprojekts, können jedoch auch diesbezüglichkeine ernsthaften Planungen machen.Unsere Einrichtung ist offizieller Kooperationspartner des StettinerKulturhauses Slowianin zur Umsetzung der Feierlichkeiten anlässlichdes 50-jährigen Bestehens der Partnerschaft der Städte Stettin und <strong>Rostock</strong>im Juli und August 2007.Was jedoch am schwersten wiegt ist der Umstand, dass die Gäste unsererEinrichtung um den Ort bangen müssen, welcher für musikalischeVielfalt in ihrer Stadt sorgt.Das MAU ist seit fast 100 Jahren ein Ort in <strong>Rostock</strong> an dem Kultur gelebtwird. Dies geschah und geschieht auch immer im Zusammenhangmit Sozialisationsprozessen. In den letzten 16 Jahren bestand ein wesentlicherinhaltlicher Faktor auch in dem Angebot alternative Jugendkulturzu fördern.Gerade diese Alternativen sind es, die das Leben abwechslungsreichund spannend gestalten. Alternativen zu erkennen und zu leben bedeutetzudem Emanzipation und Selbstbestimmtheit. Die Kultur alleindem Markt zu überlassen, verursacht hingegen Monokultur und Einheitsdenken.Es gehört schon eine Menge Mut dazu, sich vorzustellen,wie sich eine solche Entwicklung auf gesellschaftliche Prozesse auswirkt.Die Angebote der freien Kulturträger sind originär dem Bereich derpräventiven sozialisationsfördernden Maßnahmen zuzuordnen. ImGegensatz zu südwestdeutschen Regionen, in denen sich allmählichdie Erkenntnis durchsetzt, dass Prävention um Vieles billiger ist alsIntervention, hält sich im Norden hartnäckig die Mär, dass man Kostenspare wenn präventive Maßnahmen gestrichen werden. Das Gegenteil20


ist der Fall! Wenn man diese Entwicklung fortschreibt werden genaudiese Regionen noch ärmer, da sie durch die Masse der gesetzlichpflichtigen Interventionen erdrückt werden. Der Teufel sch…. alsoauch hier immer auf den größten Haufen!Auch die Armutsdebatte lässt sich an diese Thematik andocken. Spätestensseit den 1990er Jahren hat sich die Betrachtung von Armutüber die rein materiell orientierte Definition hinaus entwickelt. AlsFaktoren für Armut gelten unter anderem auch Bildung, Kultur- undFreizeitangebote oder Eingebundenheit in gesellschaftliche Prozesse.Die Folgen, die aus prekären Lebenssituationen für heranwachsendeMenschen entstehen, sind nicht selten gefährlich für demokratischeGesellschaftsordnungen.Als multifunktionelles Veranstaltungshaus mit einem breiten Spektruman Kultur- und Sozialangeboten haben wir unser Angebot immerverstanden und haben es auch in dieser Weise entwickelt. Die Weiterentwicklungunserer Projekte ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal.Das bedeutet, neue Bedarfe zu erspüren und daran zu arbeiten,dass diese gedeckt werden. Dabei arbeiten wir stets eng mit anderenPartnern zusammen. Nun kommt dieser Prozess ins Stocken und dasist sehr bedauerlich für die Stadt <strong>Rostock</strong>! Für die Bevölkerung von<strong>Rostock</strong> und für uns als Verein ist es wichtig, dass eine klare Linie entwickeltwird, wie das Kulturangebot der Stadt in Zukunft aussehensoll. Keinem ist mit einer solchen Situation wie der jetzigen geholfen.Sie reduziert die Qualität der betroffenen Einrichtungen, da diese mitZukunftsängsten und bürokratischem Mehraufwand belastet werden.Der Blick nach vorn und das Umsetzen von Visionen bleiben ebensoauf der Strecke.Es tut vielleicht ganz gut, in einer solchen Situation zwölf Jahre zurükkzuschauen.Vom 01.01.1995 bis zum 01.05.1996 gab kein MAU in<strong>Rostock</strong> und auch die Ausweichvariante für alternative Konzerte, diegroße Mensa, war zu diesem Zeitpunkt nicht bespielbar. Es war einegruselige Zeit für Konzertliebhaber!Aber wenn wir uns schon in Gedanken in dieser Zeit befinden, dannmacht sich das Herz auch weit vor Freude, wenn man an die spektakulärenDemonstrationen von MAU, JAZ und Stubnitz denkt, die soviele Bürger unserer Stadt unterstützt haben. Und letztlich haben auchdiese Aktionen dazu beigetragen, dass alle drei Einrichtungen nochstehen bzw. schwimmen.Es bleibt zu hoffen, dass zeitnah zukunftsfähige Entscheidungen gefundenwerden um diese Stadt nicht ihrem Alleinstellungsmerkmal inM/V zu berauben, nämlich dass <strong>Rostock</strong> eine offene, bunte Stadt unddamit ein wirkliches Oberzentrum ist. ¬Ida Schillen, Senatorin für Jugend, Kultur, Schuleund Sport in der Hansestadt <strong>Rostock</strong>,zu den Möglichkeiten, die für die Konsolidierungdes Haushaltes der Stadt notwendigen finanziellenMittel zu gewinnen(aus einem Gespräch mit Frank Schlösser, HanseAnzeiger 134.12.06, S.5)„Die Stadt ist verpflichtet, das Gemeinwohlzu sichern. Dazu gehören die Aufgaben Sport,Bildung und Kultur. Die sind für mich unumstößlich.Es gibt andere Bereiche, die ich fürdiskussionswürdig halte, weil sie eben nicht zuden kommunalen Aufgaben gehören: Das istzum einen die Beteiligung am Flughafen.Dann die Millionenzuschüsse für eine Messegesellschaft- das könnte eine Aufgabe für dasLand sein, aber sie dient sicher nicht der kommunalenDaseinsfürsorge. Der Bau und dieBewirtschaftung von Parkhäusern ist keinekommunale Aufgabe, das können privateUnternehmen besser. Auch der Bau von neuenEigenheimen und teuren Mietwohnungen,wie sie die WIRO jetzt angeht, gehört nichtzur Daseinsfürsorge und sollte nicht die Aufgabeeines städtischen Unternehmens sein.Die Hauptaufgaben der WIRO und der <strong>Rostock</strong>erGesellschaft für Stadterneuerung,Stadtentwicklung und Wohnungsbau mbH(RGS), also die Wohnungsmodernisierungund Stadtsanierung, sind weitestgehend abgeschlossen.Die beiden Unternehmen WIROund RGS mit ihren hohen Stundensätzen undGeschäftsführergehältern könnten reduziertwerden. Dann könnten auch die kommunalenWohnungsmieten niedriger sein. Die Stadtbraucht nur einen Baubetrieb. Der KommunaleEigenbetrieb KOE könnte die AufgabenImmobilienverwaltung, Schulsanierung undSoziale Stadt-Programme kostengünstigerübernehmen. Für drei Bauunternehmen istschon der Verwaltungsaufwand zu groß, daverschwinden Steuermittel auf Nimmerwiedersehen.Das Geld ist also da, es ist eineFrage des politischen Willens, wo man es investiert.[…Der Landesrechnungshof ]fordert seit Jahren,die Beteiligungen der Stadt in den Unternehmenzu überprüfen. Bisher ist nichts geschehen.Der Beteiligungspopanz wurde stattdessenweiter aufgebläht. Zu Lasten der regionalenWirtschaft. Das sind die Bereiche, vondenen sich die Stadt trennen muss, wenn siedie Sparvorgaben erfüllen will. Sie sind mitüberbordenden Bürokratien und entsprechendenPersonalkosten ausgestattet, und erfüllenkeine kommunalen Aufgaben.“ ¬21


FOTO: TOM MAERCKER


TITELTHEMA: ANALYSEVon Nachhaltigkeit, Geld und gutem Willen -Die Leitlinien zur Stadtentwicklung,1. Umsetzungsbericht 2006VON PETER KÖPPEN, REDAKTIONSMITGLIEDDie Leitlinien zur Stadtentwicklung aus dem Jahr 2000Kaum jemand bezweifelt die Feststellung: Eine nachhaltige Entwikklungist weltweit, national und regional/lokal geradezu existentiellnotwendig. Geht es doch darum, die Lebensqualität aller Menschen(in der gesamten Welt) zu sichern, ohne die Entwicklungsmöglichkeitenzukünftiger Generationen (in aller Welt) zu gefährden.1995 legte die <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaft fest, die 1992 auf der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 170Staaten beschlossene Agenda 21 auf lokaler Ebene umzusetzen. Mitvielem Hin und Her und über lange Jahre hin wurden Leitlinien derStadtentwicklung erarbeitet und schließlich, im Jahr 2000, verabschiedet(vgl. dazu auch Stadtgespräche, Heft 32, S.14ff, Peter Köppen,Leitlinien, Masterplan und die Nachhaltigkeit).In der Präambel der Leitlinien heißt es: „Mit den Leitlinien zur Stadtentwicklungverfügt die Stadt über einen langfristigen Handlungsrahmen[…] Die Leitlinien sind handlungsorientiert formuliert - das Handelnaller Akteure in <strong>Rostock</strong> soll sich an ihnen orientieren und so objektivbewertbar werden. Mit den Leitlinien wird ein Zeithorizont von10 - 15 Jahren umrissen.“ Sie seien „[…]entsprechend der sich veränderndenRahmenbedingungen und der Fortschritte auf dem Weg zurzukunftsbeständigen Stadt und Region bei Notwendigkeit, mindestensalle 4 Jahre, fortzuschreiben.“ (Text vgl. http://www.rostock.de/Internet/stadtverwaltung/agenda21/start.htm)Der 1. Umsetzungsbericht aus dem Jahr 2006Vor einiger Zeit, etwas später als nach 4 Jahren, veröffentlichte das Bürofür nachhaltige Stadtentwicklung/Agenda 21 der Hansestadt <strong>Rostock</strong>(kurz Agenda-Büro genannt) den 1. Umsetzungsbericht (herausgegebenvon der Pressestelle, veröffentlicht in einer Broschüre und unterhttp://www.rostock.de/Internet/stadtverwaltung/download/leitfaden05.pdf). Es zog eine Bilanz der Entwicklung 2000 – 2005. Auf 46großformatigen, bebilderten Seiten bilanzieren die Verfasser in übersichtlicherForm einzelne Positionen der Leitlinien mit Hilfe vonNachhaltigkeits-Indikatoren, jeweils mit einer positiven (in der Regelsehr ausführlichen) und einer negativen (in der Regel sehr viel knapperen)Bilanz. Daraus abgeleitet erscheint das Fazit für die Fortschreibungder Leitlinien, also der Vorschlag für politisches Handeln.Die Leitlinien lagen also nicht – wie ich im Heft 42 der Stadtgesprächevom März 2006 schrieb - in der Schublade, sondern man arbeitete mitihnen unter anderem im Agenda-Büro (Näheres zum Büro in der leiderlange nicht überarbeiteten Website http://www.rostock.de/Internet/stadtverwaltung/agenda21/start.htm).Gerne nehme ich meineAussage aus dem Artikel zurück. Mit umso größerem Interesse habe ichden vorliegenden Bericht gelesen, manchem zugestimmt, bei anderemgezweifelt oder es als falsch empfunden. Meine skeptische Meinungzum gegenwärtigen Stand des Agenda-Prozesses in <strong>Rostock</strong> (und darüberhinaus) vermochte der Bericht allerdings nicht zu überwinden,sondern hat sie eher bestärkt.Demografische Entwicklung und Verwaltungsreformfallen ausEine der größten Schwächen benennt die Leiterin des Büros in ihrerEinführung selbst: „Noch nicht durchgehend berücksichtigt wurdendie demografischen Entwicklungen und Perspektiven.“ Aber wie kannman dann zu einigermaßen sicheren Aussagen gelangen? Wie wird <strong>Rostock</strong>in der Zukunft fertig mit den „Erbschaften und Erblasten“, dieAuswirkungen haben auf Siedlung, Arbeit und Einkommen, Bildung,Zuwanderung, Natur, Energie, Mobilität und vieles andere mehr?Wird <strong>Rostock</strong> eine schrumpfende oder eine wachsende Stadt? WelcheChancen für <strong>Rostock</strong> bestehen im demographischen Wandel, welcheneuen Probleme entstehen, auf die die Stadt reagieren muss?<strong>Rostock</strong> besitzt hervorragende Bedingungen, gerade zu diesem Problemwissenschaftlich abgesicherte Aussagen zu erhalten. Es muss nurzur engen Zusammenarbeit der Stadt mit dem <strong>Rostock</strong>er Zentrum zurErforschung des Demografischen Wandels kommen (Universität undMax-Planck-Institut für demografische Forschung, vgl.http://www.zdwa.de/ und http://www.demogr.mpg.de/?/staff/byname.htm).Konkrete Hinweise vermisst man in nahezu allen Schlussfolgerungen(Fazit) für die Fortschreibung der Leitlinien. Was nutzt es, wenn alsFazit unter „B9. Die Potenziale von Universität und Hochschule mitdenen der Stadt vernetzen“ so wunderbar allgemein gesagt wird: „DieZusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung, der Wirtschaft undden Hochschul- und Forschungseinrichtungen ist weiterhin unverzichtbarund ist entsprechend auszubauen.“ Wer fühlt sich da angesprochen?Wie ist da etwas zu kontrollieren?23


TITELTHEMA: ANALYSEWie sehr solide demographische Aussagen für die Fortschreibung derLeitlinien notwendig sind, wird gleich im ersten Punkt des Umsetzungsberichtesdeutlich: „<strong>Rostock</strong> schafft positive Lebensbedingungenfür Familien, Kinder und Jugendliche“. Das Fazit für die Fortschreibungder Leitlinien in diesem Punkt erschöpft sich in allgemeinen Forderungennach neuen Angeboten für Kinder, Jugendliche und Familien,neuen Formen der Kooperation und Ressourcennutzung undKonzepten zu generationenübergreifenden Angeboten und zur Zusammenarbeitvon Schule und Jugendhilfe. Was sind denn neue Angeboteunter zukünftig stark veränderten Bedingungen, die dann tatsächlichpositive Lebensbedingungen für Familien, Kinder und Jugendlicheschaffen, wer soll kooperieren usw.?Während noch erwähnt wird, dass die demografischen Entwicklungen„nicht durchgehend berücksichtigt“ wurden, fehlt ein Hinweis auf dasAusblenden der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern völlig.Aber im Jahr 2009, also noch vor dem nächsten Umsetzungsbericht,gibt es nach dem Willen der Landesregierung den neuen KreisMittleres Mecklenburg mit den Gemeinden der bisherigen LandkreiseBad Doberan und Güstrow sowie die bisher kreisfreie Hansestadt <strong>Rostock</strong>.Sitz des Kreises ist <strong>Rostock</strong>. Hat das denn gar keine Auswirkungenauf die Entwicklung der Stadt <strong>Rostock</strong>? Oder hofft man, wie somancher, auf das Scheitern der Reform?Ökologische StadtDie im Umsetzungsbericht unter „C - Ökologische Stadt“ genanntenFakten über den positiven Ist-Zustand sind – sicher abhängig von derQualität der Zuarbeiten – in der Regel aussagekräftig, im Fazit für dieFortschreibung der Leitlinien aber wieder oft sehr allgemein. Das istumso bedauerlicher, als viele Fragen, wie z.B. die des Klimawandels,auf Antworten warten, die auch von einer Kommune kommen könnten.Wenn in der positiven Bilanz zu „C1 - Sicherung und Verbesserung derUmweltsituation durch Umweltqualitätsziele“ zu Recht auf die vorliegendenvorsorgeorientierten Umweltqualitätsziele und -standards verwiesenwird, kann man sich nur schwer damit abfinden, wenn in dernegativen Bilanz lediglich erklärt wird: „Es konnte nicht überprüftwerden, ob die Datengrundlagen langfristig ausreichen, um die Erreichungder Ziele kontinuierlich zu überwachen.“ Was nutzen dann dieschönsten Ziele?Hier – wie an vielen anderen Stellen - zeigt sich aber auch, wie begrenztder Handlungsspielraum der Stadt ist. Was und wie in dieserzentralen Frage nachhaltiger Entwicklung geschieht, hängt in großemMaße von globalen Entwicklungen ab, und davon wie diese von der Politikinternational und national wahrgenommen und in Handlungsvorgabenformuliert werden. So wenig es bisher auch nur annäherndausreichende Festlegungen auf internationaler Ebene gibt, so sehr fehltauch der Bundesrepublik eine „nationale Nachhaltigkeitsstrategie“.Auf Landesebene ist nur zu hoffen, dass z.B. die vom bisherigen Umweltministeriumunter Wolfgang Methling erarbeiteten Grundsatzdokumente,die einzelne Schritte für eine nachhaltige Entwicklung imUmweltbereich einleiteten (vgl. dazu Lexikon der Nachhaltigkeit:http://www.nachhaltigkeit.info/), unter dem neuen Ministerium fürLandwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz (Till Backhaus) weiterkonsequent verfolgt werden. Umweltverbände meldeten bereits erheblicheZweifel an.FOTO: J.-G. JAEGEREnger Handlungsspielraum der StadtDas von der Stadt selbst gestellte Ziel, „ein ganzheitliches, das heißtökologische, soziale und ökonomische Zielvorstellungen zusammenführendesund auf Zukunftsbeständigkeit angelegtes Denken undHandeln“ zu befördern, ist derzeit im besten Fall ansatzweise erreichbar.Die Stadt kann sich immer weniger den von außen auf sie wirkendennegativen finanziellen, ideologischen und machtpolitischen Zwängenentziehen.Im Augenblick – und die Zukunft lässt wenig anderes erwarten – wirdauch die Kommunalpolitik (Verwaltung, Parlament, Parteien, Vereineu.a.) durch die bundes-(und welt-)weite Grundorientierung auf eineneoliberale Politik geprägt. Tatsächliche und angebliche Finanzierungszwängebedrohen ein notwendiges Handeln. Hinzu kommen eineschwache Bürgerschaft mit sich befehdenden und dann wieder partiellzusammengehenden, aber in sich selbst all zu oft zerrissenen Parteien,ein schwer berechenbarer OB, der schwankt zwischen Suchenach einer Hausmacht und dem Versuch einer eigenständigen Politikgegenüber einer über viele Jahre entstandenen festgefügten Strukturgegenseitiger Bekanntschaft und Abhängigkeit, eine (unter anderemob der Personalpolitik) verunsicherte Stadtverwaltung und eine zunehmendgrößere Zahl desillusionierter und inaktiver Bürgerinnenund Bürger. Kein sehr verheißungsvoller Zustand für erfolgreichenachhaltige Politik.Umso notwendiger ist es, den erhaltenen kommunalpolitischen Raumauszuschöpfen und schrittweise weiter auszubauen. Dazu gehört aucheine sehr viel effektivere, aussagekräftigere und folgenreichere Arbeitmit den Leitlinien. Es ist völlig richtig, wenn die Leiterin des Agenda-Büros als Ziel der Diskussion über den Umsetzungsbericht nennt, „dieLeitlinien zu aktualisieren, sie in ihren Formulierungen konkreter, verbindlichersowie möglichst quantifizierbar und damit besser kontrollierbarzu machen.“Nachhaltigkeit benötigt eine starke Politik, nicht das Zurückziehenaus Verantwortung und Überlassen eines Feldes nach dem anderendem Markt, der alles richten soll, dessen erstes Ziel aber der Gewinn ist.Eine wirksame nachhaltige Politik braucht Vorausschau, nicht alleinReaktion auf den Augenblick der Tagespolitik. Sie benötigt Variantendes möglichen politischen Handelns, denn leider (oder zum Glück)können die Menschen Zukunft noch nicht exakt voraussagen. Und siebedarf der Kontrolle und Einflussnahme auf die Umsetzung des alsnotwendig Erkannten. Heute sind die Leitlinien immer noch nichtmehr als demokratisches Dekor. Man berücksichtigt sie oder auchnicht.Das liebe GeldIn der Einführung des Umsetzungsberichtes heißt es sehr zu Recht:„Auch aufgrund der schwierigen finanziellen Rahmenbedingungenmüssen im Prozess der Fortschreibung neue Handlungsansätze undEntwicklungsziele für die jeweilige Leitlinie abgeleitet werden.“ Welchessind denn aber die neuen Handlungsansätze und Entwicklungsziele?Eine Antwort darauf ist unter Umständen ein ganzes Programm,das selbstverständlich nicht alleine vom Agenda-Büro erarbeitet werdenkann.Ausgangspunkt von Nachhaltigkeitspolitik ist der oben genannteGrundsatz: die Lebensqualität aller Menschen in der Stadt ist zu si-24


chern, ohne die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationenzu gefährden. Da gilt es, Prioritäten festzulegen und zu entscheiden,was die Stadt und ihre Bewohner sich mit Blick auf die Nachhaltigkeitleisten können. Besitzt der Bau von neuen Straßen und die Umgestaltungalter Plätze Vorrang? Oder die qualitative Ausgestaltung des Bildungswesensin dieser Stadt? Werden durch Privatisierungen Haushaltslöchergestopft oder die Ursachen für die desolate Haushaltslagegefunden und überwunden (vgl. dazu auch den Beitrag von SybilleBachmann, „GELD oder LEBEN? Zur Haushaltsdebatte zwischen altenDenkschemata und der Suche nach neuen Wegen“ in diesem Heft).VorschlägeKommen wir zum Ausgangspunkt zurück, dem in der Präambel derLeitlinien formulierten Grundsatz: „Die Leitlinien sind handlungsorientiertformuliert - das Handeln aller Akteure in <strong>Rostock</strong> soll sichan ihnen orientieren und so objektiv bewertbar werden.“vorhanden und sollte weiter genutzt werden. Allerdings nicht als Notnagelund zum Überdecken der gröbsten Defekte, nicht als folgenlosesPalaver, sondern als demokratische Teilhabe im Sinne von Mit- undSelbstbestimmung. Die Erarbeitung eines Bürgerhaushaltes durch Bürgerinnenund Bürger gemeinsam mit den Fraktionen und den Ämternwäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung (vgl. dazu „Stadtgespräche“Heft 42, Steffen Wandschneider und Hans-Joachim Engster:Kommunaler Bürgerhaushalt in <strong>Rostock</strong>).Wir werden sehen, ob sich etwas ändert, die Stadt sich ihrer Verantwortungfür eine nachhaltige Entwicklung stellt und dann der 2. Umsetzungsbericht– spätestens in 4 Jahren – mehr als eine zu erledigendePflichtaufgabe ist. ¬Das könnte heißen:1. Eine sehr viel größere Konkretheit der Fortschreibung der Leitlinienmit erkennbaren und abrechenbaren Vorgaben für die Kommunalpolitik.2. Weitere Ausformulierung der Nachhaltigkeitsindikatoren für alleBereiche der Kommunalpolitik als Controlling-Instrument für dieUmsetzung der Leitlinien. Sie müssen stärker auf qualitativen Analysenstatt – wie bisher - auf alleiniger Datenauswertung basieren und möglichstdie konkreten Bedingungen <strong>Rostock</strong>s berücksichtigen.3. Das Büro für nachhaltige Stadtentwicklung/Agenda 21 der Hansestadt<strong>Rostock</strong> sollte in die Lage versetzt werden, stärker selbständige inhaltlicheArbeit zu leisten. Der 1.Umsetzungsbericht ist vorrangig eineZusammenfassung der von den Ämtern erfragten Bilanzen, die – werkann es den Ämtern in der augenblicklichen Situation verdenken – inerster Linie positiv und außerdem zu wenig zukunftsweisend sind.Wichtig ist eine ganzheitliche Sicht auf die Stadtentwicklung, die bekanntlichsehr viel mehr ist als die Summe einzelner Teilbereiche.4. Das Potential der Universität und anderer Einrichtungen ist zu nutzen,etwa durch die Arbeit von Expertengruppen und vielfältige vertraglicheFestlegungen. Die Universität unter dem Rektorat von Prof.Dr. Thomas Strothotte ist dazu sicher bereit, andere Einrichtungen,Verbände, Vereine, Einzelpersonen gewiss ebenfalls.5. Ein Abweichen von den Leitlinien muss für die Verwaltung Folgenhaben. Wer kümmert sich denn derzeit um die Aussagen in den Leitlinienoder im Umsetzungsbericht? Der wird höchstens wieder beimnächsten Umsetzungsbericht aktuell. Dieser wiederum steht dann wiederauf dem Papier, bis zum dann folgenden… und so weiter. - Dem BereichControlling kommt hier eine wichtige Aufgabe zu.6. Dem ehrenamtlich tätigen Agendarat sollte endlich das Recht zugestandenwerden, in der Bürgerschaft nicht nur angehört zu werden,sondern auch Anträge einreichen zu dürfen. Unter Umständen musssich die Stadt für eine generell notwendige Änderung der Kommunalverfassungeinsetzen.7. Die Bereitschaft zum Engagement und zum Mitgestalten ist (erstaunlicherweisenoch immer) bei vielen Bürgerinnen und Bürgern25


UNIVERSITASZur aktuellen HochschulpolitikVON GERHARD MAEßSchul- und Hochschulpolitik – ein schier unermesslichesBetätigungsfeld für Politiker undsolche, die es werden wollen. Reguliert und„umstrukturiert“ wurde ja gelegentlich auchschon früher, damals nicht selten begründetmit dem Spruch „Von der SU lernen, heißt siegenlernen“.Heutzutage wechseln die Regierungen schneller.Folglich reguliert und strukturiert mannicht mehr in Abständen von 10 bis 15 Jahren,sondern nahezu permanent. Als Begründungwerden dabei ähnliche Sprüche wie früherherangezogen. Nur die Reihenfolge derbeiden Buchstaben hat sich umgekehrt, undvom Siegen ist kaum noch die Rede. Schließlichbefindet sich Deutschland bei einschlägigen„Rankings“, wie man nationale oder internationaleVergleiche heutzutage nennt, trotz(oder vielleicht wegen?) der permanenten Regulierungnicht gerade an der Spitze. Mandenke an „Pisa“! Ob nun Grundschule oderHauptschule, ob Grund-Haupt-Schule, obPrivatschule oder Ganztagsschule, ob Realschuleoder Gymnasium, ob 4 oder 6 oder 8gemeinsame Jahre, ob 12 oder 13 oder wieder12 Schuljahre bis zum Abitur – für ein gesundesKind sind diese Formalien vergleichsweisebelanglos. Nur ändern sollten sie sich möglichstnicht jedes zweite Jahr. Wichtiger als dieForm ist der Inhalt. Den aber vermitteln nachden Eltern in erster Linie engagierte Lehrer.Ihre Schüler können sie aber nur dann motivieren,wenn sie nicht selbst durch – häufigvon Sparmaßnahmen verursachte – permanenteSchulreformen, verbunden mit Änderungender Arbeitsstelle, des Stundensolls, derKlassenfrequenzen und der Bezahlung, verunsichertund demotiviert werden. Ich empfehledeshalb, die schulische Vielfalt durch nur wenigeEckpunkte einzugrenzen und diese dannüber einen großen Zeitraum stabil zu halten.Natürlich kann man auch in einer auf Wettbewerbbasierenden pluralistischen Gesellschaftnicht vollständig auf Regelungen verzichten.Nachdem viele europäische Grenzen weggefallenund außereuropäische zumindestdurchlässig geworden sind, wächst erfreulicherweisedas Interesse mancher Schüler undvieler Studenten, zumindest einen Teil derAusbildung außerhalb des eigenen Landes zuabsolvieren und – manchmal notgedrungen –das Interesse vieler Absolventen, im Auslandeine Anstellung zu finden. Dafür ist es nützlich,wenn alle Bildungseinrichtungen anderswoerworbene Teilleistungen oder Abschlüssegegenseitig anerkennen.Das deutsche Diplom, das unsere Universitätenfür Studierende der Natur- und Technikwissenschaftenseit vielen Jahrzehnten vergeben,hat international einen guten Ruf, übrigensunabhängig von der früher in Ost undWest unterschiedlichen Länge der Schul- undStudienzeit. Beispielsweise versichern Managervon Weltfirmen wie Siemens oder Daimler,Absolventen ostdeutscher Universitäten –wenn sie derer denn habhaft werden konnten– nach einer nur 12jäh¬ri¬gen Schulzeit undeinem straffen 9-10semestrigen Studium mindestensebenso gern eingestellt zu haben, wieetwas ältere westdeutsche Absolventen nach13 Schuljahren und einigen Jahren Selbstverwirklichungan westdeutschen Massenuniversitäten.Obwohl vergleichbar mit dem amerikanischen„Masters Degree“, hat das deutsche Diplomallerdings einen Nachteil: Es ist – wiedie Fachleute sagen – der erste „berufsqualifizierendeAbschluss“. Amerikanische Hochschulenverleihen demgegenüber nach einemTeil der Ausbildung bereits den niedrigerenGrad eines „Bachelor“. Diese Diskrepanz ist,vereinfacht gesprochen, einer der Gründe, diezu dem sogenannten Bologna-Prozess geführthaben: Alle deutschen Hochschulen sollennun ebenfalls bereits nach 5-6 Semestern einen„Bachelor“ vergeben. Dieser könnte insbesondereauch denjenigen Studenten einenfrühen Einstieg ins Berufsleben ermöglichen,die nach einigen Semestern glauben, den Anforderungeneines Diplomstudiums nicht gewachsenzu sein. Anzuzweifeln ist allerdings,ob aber zur Verwirklichung dieses an sich vernünftigenVorhabens die von der deutschenoder – besser gesagt – europäischen Bürokratieentwickelte Detailregulierung mit einemausgeklügelten System von „Credit Points“tatsächlich erforderlich ist.Während also gewisse überregionale, vereinheitlichendeRegelungen für den Studienablaufdurchaus sinnvoll erscheinen, halte ichden Eingriff in die Fächerstruktur der Hochschulenfür sehr problematisch. Beim Hochschulwesenzeigt sich besonders deutlich, dassdas föderale System der Bundesrepublik fürdie Länder von großem Nutzen aber auch vonbeträchtlichem Schaden sein kann. Die Verfasserdes Grundgesetzes haben die Kultur (imweitesten Sinne) in die Hoheit der Länder gegeben.Dadurch haben diese – neben derMöglichkeit, Besonderheiten zu bewahrenund weiter zu entwickeln – die Chance, regionaleund überregionale Schwer¬punkte zusetzen. Landesregierungen können andererseitsaber auch kaum gehindert werden, ihrLand in die Provinzialität zu führen.26


Nach dem Zusammenbruch 1945 setzte Bayern auf Bildung und Wissenschaft,Forschung und Entwicklung, baute seine Universitäten ausund holte vom Bund geförderte Institute der Spitzenforschung insLand. Heute steht es in den meisten Leistungsparametern – nicht nurden auf Bildung und Wissenschaft bezogenen – an der Spitze der deutschenLänder. Und – vergleichbar mit dem Teufel und dem berüchtigtenHaufen – überweist der Bund als Belohnung auch noch Forschungsmittelin Millionenhöhe aus seinen Exzellenzinitiativen an diegut ausgestatteten Bayrischen Universitäten.In Mecklenburg-Vorpommern war 1989/90 nach dem nach dem Zusammenbruchfast aller industriellen Strukturen auch die Industrieforschungvöllig zum Erliegen gekommen. Statt gegenzusteuern reduziertedie Landesregierung – übrigens unter der Anleitung bundesdeutscherMinisterialbeamten – auch den Wissenschaftlerbestand seinerHochschulen drastisch. Zum Vorbild nahm man das Mittelmaß westdeutscherMassenuniversitäten, obwohl diese wegen ihres schlech¬tenBetreuungsverhältnisses und ihrer Langzeitstudenten schon seit den1970er Jahren in die Kritik standen. Der Personalbestand der RostokkerUniversität (die Medizinische Fakultät ausgenommen) wurde z.B.1992 von über 4800 auf etwa 1600 Stellen zusammengestrichen. Dafürerrichtete das Land – ebenfalls unter der Anleitung bundesdeutscherMinisterialbeamten – eine gigantisch anmutende Landesverwaltung.Es eroberte damit eine Spitzenposition in der Rubrik „Verwaltungskräfteje 1000 Einwohner“. In anderen, für die Innovationsfähigkeit einesLandes etwas bedeutsameren Leistungsparametern, z.B. der Wissenschaftlerdichteoder dem Lebensalter seiner Bevölkerung, steht esinzwischen am Ende nicht nur aller deutschen, sondern auch der meisteneuropäischen Länder.Dabei wären die Voraussetzungen im Lande eigentlich nicht schlechtgewesen. Relativ ausgewogen befinden sich in den Landesteilen Mekklenburgund Vorpommern je eine Universität sowie in Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Vorpommern je eine Fachhochschule.Das passt in die (zumindest bisherige) Konzeption der deutschenHochschullandschaft. Fachhochschulen zeichnen sich durch eineschnelle, praxisorientierte Ausbildung aus, die auf dem gegenwärtigenWissensstand beruht und die Absolventen zu einer Umsetzungdieses Wissens befähigt. Universitäten dagegen stützen sich auf einetiefergehende, bis an die aktuelle Forschung führende Ausbildung. IhreAbsolventen sollen in der Lage sein, das vorhandene Wissen nicht nuranwenden, sondern es auch weiterzuentwickeln.Das funktioniert natürlich nur, wenn die Universitäten materiell undpersonell in die Lage versetzt werden, Spitzenforschung zu betreibenund damit überregional oder noch besser international Studierendenuniversitäre Lehre auf höchstem Niveau anzubieten. Es wäre ein Katastrophefür das Land, wenn man – manchen Bundes- und einigenLandespolitikern folgend – unsere Hochschulen auf provinzielle Lehranstaltenreduzieren würde, um dort lediglich die bildungsfähigen und-willigen „Landeskinder“ dem jeweiligen Bedarf entsprechend zu regionaleinsetzbaren Lehrern, Pastoren, Ärzten oder Advokaten auszubilden.(Nach dem Motto: Wozu benötigt Niedersachsen ein VW-Werk, so viele Autos können die Landeskinder doch gar nicht benutzen).Anscheinend wird übersehen, dass sich die Hochschulen des Landesbereits jetzt durch das Engagement ihrer Mitarbeiter und Professorenzu anerkannten Zentren von Aus- und Weiterbildung sowie von Entwicklungund Forschung und zu den jeweils größten Arbeitgebern ihrerRegion entwickelt haben. Sie holen Studentinnen und Studenten injährlich wachsender Zahl in unser Land, werben – oft gemeinsam mitden zu wesentlichen Teilen vom Bund finanzierten An-Instituten –Forschungsmittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vonBundesministerien und Stiftungen sowie europäischen Fonds ein. Inden besten Bereichen der <strong>Rostock</strong>er Universität übersteigt die Anzahlder über „Drittmittel“ finanzierten Stellen bereits die Anzahl der vomLand finanzierten Haushaltsstellen. Dazu fördert die Universität seitJahren systematisch und erfolgreich Absolventen, die Unternehmengründen wollen, u.a. in so innovativen Gebieten wie der Informationstechnologieoder der Biomedizin. Sie arbeitet mit den Technologie-Zentren und der Wirtschaft – häufig nicht nur der regionalen – zusammenund sichert auf diese Weise weitere Arbeitsplätze.Schätzungen besagen, dass ein einziger haushaltsfinanzierter Arbeitsplatzan der Universität auf die dargelegte Weise zusätzlich fünf (inder Regel natürlich befristete, aber nicht vom Landeshaushalt zu finanzierende)Arbeitsplätze für die Region sichert. Dem Kabinettscheint nicht klar zu sein, dass es mit seinen fast im Zweijahres-Rhythmusvorgenommenen Kürzungen und Streichungen bereits unzähligedieser Arbeitsplätze vernichtet und dabei nicht nur die Stelleninhabersondern jeweils mindestens weitere fünf – und zwar in der Regel junge– Arbeitskräfte in die Arbeitslosigkeit gestürzt oder zur Abwanderungveranlasst hat.Universitäten werden international seit längerem als weitgehend autonomhandelnde Unternehmen betrachtet und geleitet. Sie sollen sichzu „Bildungs- und Forschungsunternehmen“ entwickeln. Und welchesUnternehmen lässt sich von einer Landes- oder Bundesregierung in seineUnternehmensstrategie, in seine Produktpalette (an der Universitätalso das Fächerspektrum) oder in die Auswahl seiner Manager (an derUniversität also die Berufungspolitik) hineinreden. Die Bundesrepublikstellt in ihrer „Exzellenzinitiative“ in den kommenden Jahren zusätzlicheMilliardenbeträge für die Forschung bereit. Die Hochschulrektorenkonferenzprognostiziert einen „Studentenansturm“ und rechnetin ihrer neuesten Schätzung bis 2014 mit einer Zunahme der Studierendenzahlin Deutschland von etwa 36%.Die Landesregierung wäre gut beraten, wenn sie alle Kräfte aufbietenwürde, die „Bildungs- und Forschungsunternehmen“ des Landes fürden Wettbewerb um diese Forschungsmittel ebenso wie um die künftigenStudierenden zu rüsten. Für die Grundausstattung mit Gebäuden,Geräten und Personal ist bekanntlich das jeweilige Land zuständig. Indie angestrebten Zielvereinbarungen mit den Universitäten gehörenkeine – notwendigerweise auf momentanen Bedarfserhebungen beruhendenund deshalb mit Sicherheit in wenigen Jahren überholten -kleinkarierten Eingriffe in die Fächerstruktur. Stattdessen bedarf es verlässlicherZusagen für die Universitätshaushalte. (Vorbild dafür könntendie Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Max-Planck-Gesell¬schaftsein, die von einem jährlichen Zuwachs von etwa 5% ausgehen.)Die letzten 15 Jahre zeigen, wie konzeptionslos, ja kontraproduktiv dieEingriffe der Landesregierung in die Fächerstruktur der Hochschulenwaren: Als der Wissenschaftsrat Anfang der 1990er Jahre empfahl, diein Greifswald personell wie materiell auf dem Nullpunkt befindlicheZahnmedizin nicht weiterzuführen und wirtschaftswissenschaftlicheStudiengänge dort nicht aufzubauen, tat das Land unter dem Einflussvon Lobbyisten das Gegenteil und setzte in großem Stil Steuergelderfür Neuberufungen und Bauinvestitionen ein. Wenige Jahre später aber27


UNIVERSITAS– die Investitionen waren noch nicht abgeschlossen – begann das Wehklagenüber die Fächerdopplungen. Interessanterweise wurden dieselbennun als Argument für Fächerschließungen in <strong>Rostock</strong> verwendet.Dort wurde in den letzten 15 Jahren in buntem Durcheinander jedeFakultät mindestens einmal in Frage gestellt. Was diese Verunsicherungfür die neuberufenen (oder zu berufenden) Hochschullehrer und die inden Norden gekommenen (oder die künftigen) Studierenden bedeutet,braucht nicht erläutert zu werden. Sie verstärkt den Trend der Abwanderungvon Leistungsträgern und von jungen Leuten statt ihn endlichumzukehren.Ausgerechnet im Agrarland Mecklenburg-Vorpommern meinte dieLandesregierung die (uni¬versitären) Agrarwissenschaften abschaffenzu müssen, und zwar genau in dem Zeitpunkt, als diese ihr Profil aufdie für Deutschland neuen Studienrichtungen Landeskultur und Umweltschutzsowie Agrarökologie ausgerichtet hatten. In diesem Falleverhinderte zwar der Landtag die Streichung, stellte aber keine Stellenzur Verfügung sondern zwang die Universität, die benötigten Stellendurch interne Umwidmung bereitzustellen. Unzureichend ausgestattetist die Agrarökologie demzufolge bis heute. Die Fortführung der Lateinamerikawissenschaften,eines international anerkannten Kompetenzzentrumsan der <strong>Rostock</strong>er Philosophischen Fakultät, wurde auspolitischen Gründen untersagt. Dabei hätten die vorhandenen Kontaktenicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Wirtschaft desLandes Wege in wichtige Schwellenländer Lateinamerikas ebnen können.Wesentliche exportträchtige wirtschaftliche Impulse hätten auchvom (ebenfalls inzwischen geschlossenen) Bauingenieurwesen ausgehenkönnen, z.B. durch einen Ausbau interes¬santer Ansätze im Küstenbau(schließlich hat M-V die längste Küstenlinie unter allenBundesländern) und durch eine Orientierung auf Bauen in ländlichenRäumen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Landeskultur undUmweltschutz (Wasseraufbereitung, regenerative Energien, nachwachsendeRohstoffe).Zugegeben, die Festlegung von Forschungs- und Studienrichtungen istschwierig. Aber, bei allem Respekt vor eifrigen Abgeordneten oder fleißigenMinisterialbeamten: Beim Oktroyieren vom grünen Tisch auswaren in der Vergangenheit weder die östlichen Planer noch die westlichenMinisterialbürokraten sehr erfolgreich. Wissenschaftler undFachkommissionen (die übrigens auch das Hochschulgesetz unseresLandes vorschreibt) sind da sehr viel vorsichtiger und – bei aller Bescheidenheit– vielleicht auch etwas kompetenter. Die Universität <strong>Rostock</strong>hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie sich – trotz der permanentenSchließungsdrohungen – auf aktuelle Erfordernisse einstellenkann. Die Umwidmung von Stellen der Mathematik und des Maschinenbausin Richtung Informatik bzw. Demographie sind da nurzwei Beispiele von vielen. Kompetenzzentren entstehen dort, wo kompetenteWissenschaftler arbeiten. Und kompetente Wissenschaftler gehenan Einrichtungen, die sowohl materiell als auch personell gut ausgestattetsind, keinesfalls aber an Einrichtungen, deren Existenz jedesJahr aufs Neue in Frage gestellt werden.Wilhelm von Humboldt, 1809 zum Leiter des Kultus- und Unterrichtswesensins Preußische Innenministerium berufen, gründete dieBerliner Universität und fasste deren Zweck in vier Grundsätzen zusammen:Unabhängigkeit von äußeren Zwängen und vordergründigenNützlichkeitserwägungen, Interdisziplinarität der Wissenschaft, Wettbewerbder Universitäten untereinander um die besten Forscher undLehrer und schließlich die enge Verbindung von Forschung und Lehre.Der Staat habe die personellen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungenzu schaffen, dürfe aber nicht in die wissenschaftlichenAngelegenheiten hineinregieren. Denn wenn die Universitäten ihreZwecke erreichen, seien auch die Zwecke des Staates „und zwar von einemviel höheren Standpunkt aus“ erfüllt.Dem ist – fast 200 Jahre später – eigentlich nichts hinzuzufügen. ¬Völlig unverständlich ist die Idee, fast zeitgleich mit der Ost¬erweiterungder EU ausgerechnet die Slawistik zu schließen. Kenntnisse vonSprache und Kultur unserer östlichen Nachbarn und Erfahrungen ausjahrzehntelanger Kooperation haben eine große – auch unmittelbarwirtschaftliche – Bedeutung für die an der <strong>Rostock</strong>er Universität auszubildendenIngenieure, Ökonomen, Juristen und Wissenschaftler andererDisziplinen, die in naher Zukunft Arbeit in den östlichen Nachbarländernfinden könnten. Der wirtschaftliche Schaden, den die Landesregierung(en)dem eigenen Land durch diese konzeptionslosen Eingriffein die universitäre Fächerstruktur zugefügt hat, ist kaum zu ermessen.28


FOTO: TOM MAERCKER


REZENSIONEN: GEHÖRTESHundert Jahre IgnoranzVON CORNELIA MANNEWITZWieder ist ein Jahr vorbei. Die Saison amVolkstheater hat gut wieder angefangen; dieKunst hat – ganz abgesehen von den Inhalten:Justizmisere, Machtmissbrauch, „Clash of cultures“– uns schon manche ästhetische Zumutungbeschert: einen „Krug“, der fast nichtmehr zerbrechen muss, so expressionistisch ister; Ophelias Perückenteile, die, unter die nakktenAchseln geklemmt, erheblich mehr anAtem rauben als der ausführlich zelebrierteGeschlechtsakt des Königspaars, und einenHamlet, von dem ein Rezensent schrieb, er seiRock’n’Roll; eine Kolonialromanze, dereneklatante Herausforderungen an politischesDenken, guten Geschmack und Bühnentechnikmit so unbeirrter Hand in Szene gesetztsind, dass selbst der bissigste Stadttheaterzerstöreres schafft, seine Spitzen in einer vergleichsweisemoderaten Kritik zu begraben.Kreativität lässt sich eben nicht bändigen.Aber keine Angst - die größten Zumutungenkommen immer noch von den Kreativitätsverstehern:Ende Oktober, eine Veranstaltung der PhilharmonischenGesellschaft mit dem GMD.Die Rede kommt auf den Theaterneubau.2006 war auch Schostakowitschs hundertsterGeburtstag. Das mag ein führendes Mitgliedeines <strong>Rostock</strong>er Wirtschafts-Verbandes undMitglied des Beirats des Theaterfördervereinsdazu angeregt haben, folgendermaßen zu argumentieren:Man müsse sich darüber klarsein, dass ein Theaterneubau in absehbarerZeit nicht kommen werde. Es sei ja auch zumBeispiel kontraproduktiv, künstlerisches EngagementJugendlicher dadurch zu bremsen,dass man ihnen sage, erst müsse ein neuesTheater her, dann könnten sie anfangen.Kunst, und sogar besonders gute, könne auchunter widrigen Umständen entstehen. Mandenke an Schostakowitsch in Leningrad.Leningrad? Schostakowitschs Siebente Sinfoniewurde in Leningrad zum ersten Mal am 9.August 1942 gespielt; die Blockade bestandseit genau elf Monaten. Uraufgeführt in Kuibyschew,war sie bereits durch die Konzertsälevon Moskau, London, Taschkent, Nowosibirskund New York gegangen. In Leningradging das nicht. Das Leningrader Rundfunkorchesterwurde erst seit Februar neu zusammengestellt.Karl Eliasberg, der designierteDirigent, war auf einem Kinderschlitten insKrankenhaus gezogen worden. Er litt an Dystrophie2. Grades. Ab April wurde zusammengeprobt, aber erst als Musiker von der Frontdie ihren Instrumenten nicht mehr gewachsenenBläser ablösten und die OrchestermitgliederZutritt zur Kantine des Stadtsowjets erhielten,gingen die Unterbrechungen durchOhnmachtsanfälle zurück. Schostakowitschwar im Oktober 1941 evakuiert worden. InLeningrad konnte er nicht mehr komponieren.Die Elite wurde aufgespart. Sein Foto alsfreiwilliger Feuerwehrmann auf dem Dach desKonservatoriums soll gestellt gewesen sein. Esging durch die Zeitungen im In- und Auslandals Zeichen, dass Leningrad noch widerstand.Frauen und Jugendliche banden sich in denFabriken an den Maschinen fest; auch dieMakkaronifabrik produzierte Schießpulver,die Brauerei „Rotes Bayern“ Bomben.Der Erste Sekretär des Gebietsparteikomitees,Kulturspezialist Andrej Shdanow, der Schostakowitschnach dem Krieg um seine Lehrämterbrachte, unterstützte den Plan, denDeutschen im Falle der Eroberung Leningradsverbrannte Erde zu hinterlassen: 325 TonnenSprengstoff waren unter Fabriken, Infrastruktureinrichtungenund strategisch wichtigenGebäuden deponiert. Im Rundfunksenderwurde für das Mikrofon ein Holzgestell gebaut,auf das sich die Sprecher stützen konnten.Am 10. Dezember hatte man im Vortragssaalder Eremitage den 500. Geburtstagdes usbekischen Dichters und Gelehrten AlischerNawoi gefeiert und den täglichen Alarmignoriert. Im Februar erarbeiteten Architektenim Keller des Gebäudes, dem sogenannten„Bunker Nr. 3“, einen Plan zur Neugestaltungder Stadt. Die Tausende Arten zählendePflanzensamenbank im Institut des GenetikersNikolai Wawilow blieb unberührt.Zu Hause rissen die Menschen die Tapetenvon den Wänden und kochten den anhaftendenKleister heraus. Die seuchenbringendenRatten wurden nicht mehr vergiftet, weil manwusste, dass die Leningrader auch sie aßen,wenn sie sie noch zu fangen bekamen; einzelneExemplare wurden mit für Menschen ungefährlichemRattentyphus infiziert und wiederin ihre Populationen entlassen. Man kenntdie schon im Dezember 1941 entgleisendenSchriftzüge im exakt geführten Tagebuch des16-jährigen Jura Rjabinkin an Stellen, wo erdavon schrieb, wie er zu Hause Brotkrumenstahl und seiner kleinen Schwester die Kinderkarteneidete, auf die es Kekse gab, und wiesehr er leben wollte; seine Mutter konnte kurzdarauf nur sie in den Zug setzen und kamnicht mehr heraus, als er anfuhr – Jura hattenicht mehr gehen, und sie hatte nicht beidetransportieren können. Man weiß auch, dassTanja Sawitschewa, die bis Mai 1942 den Todihrer gesamten Familie protokollierte, bevorsie gefunden wurde, noch nach zwei Jahrenärztlicher Behandlung starb. Im Juni hatte esin Leningrad nur noch 56 standrechtliche Erschießungenwegen Kannibalismus gegeben.Im Februar noch 612.Die Philharmonie war am 9. August hell erleuchtet.Es gab wieder Strom, seit April fuhrendie Straßenbahnen. Gleichzeitig erklangdie Sinfonie im Radio. Es war einer der Tage,die für die Einnahme Leningrads geplant gewesenwaren. Die Artillerie am Stadtrand –der Frontlinie – belegte die Invasoren an diesemTag mit Dauerfeuer. Kein einziges Flugzeugzeigte sich am 9. August 1942 am Himmelüber Leningrad. Auf den Tag genau 33Jahre später ist Schostakowitsch gestorben:Leningrader, Musikwissenschaftler, Komponist,„Formalist“, der nach eigenem Bekundensein Leben lang auf seine Exekution wartete,aber, falls man ihm nur die Hände abhackenwürde, die Feder mit den Zähnen halten wollte,sein Leben lang sowjetischer Patriot, Funktionär,Schachspieler, unbeirrbarer Gentleman.Im September 1906 war er geboren.Hundert Jahre Schostakowitsch. Sto lat.Herr. Was wird Ihnen fehlen, wenn in <strong>Rostock</strong>ein neues Theater gebaut wird? ¬30


FOTO: TOM MAERCKER


REZENSIONEN: GELESENDienstschluss beim KunstdienstVON JENS LANGER, REDAKTIONSMITGLIEDKörner, Dorothea: Zwischen allen Stühlen. Zur Geschichtedes Kunstdienstes der Evangelischen Kirchein Berlin 1961 – 1989. Mit einem Vorwort von ManfredRichter und einem Gespräch mit Heinz Hoffmann. Herausgegebenvom Kunstdienst der Evangelischen Kirchein Verbindung mit dem Institut für vergleichende Staat-Kirche-Forschung. Berlin: Hentrich & Hentrich 2005,240 S.Nach Paul Tillich (1886 – 1965) kann ein von Braque gemalter Fischmehr religiöse Substanz vermitteln als manche gut gemeinte so genanntechristliche Kunst. Mit seinen theologischen Anregungen undentsprechendem Interesse gehört Tillich zu den geistigen Vätern derKunstdienste der evangelischen Kirche und ihren regionalen Formationen.Von der Entstehung aus der Dresdner „Bürgerinitiative fürKunst aus dem evangelischen Raum“ (1928) bis zur institutionellenFormierung ist nach Jahrzehnten eines erfolgreichen Dialogs und einerpraktischen Kooperation zwischen Künstlerschaft und Kirche, Kunstwissenschaftund Theologie nunmehr das Ende dieser rühmenswertenInstitution herbeigeführt worden. Auflösung nach erfolgreicher Evaluierungkönnte es heißen, und das sogar mit der üblichen Phasenverschiebungzwischen kirchlichen und anderen betroffenen Institutionen.Die Autorin beschreibt an einem Fallbeispiel die Geschichte von geglücktemUnterfangen und schmerzlichem Ende. Der Kunstdienst inBerlin, mit gewichtigen, zum Teil gesamtdeutschen kirchlichen Gremienim Hintergrund ist gewiss ein potentes Exempel für diese Einrichtungenauch in anderen Regionen.Im Vordergrund des institutionalisierten Engagements für Künstlerinnenund Künstler stand lt. Vfn. zunächst die Garantie für die Qualitätkünstlerischer Arbeit in den evangelischen Kirchgemeinden, aber ebensoein Nachholbedarf an Informationen über die Moderne. So resümiertKörner für die sechziger Jahre: „Der Kunstdienst war die einzigeGalerie in der DDR, die dank des gesamtdeutschen Charakters derevangelischen Kirche der Union auch nach dem Bau der Berliner Mauergesamtdeutsch bzw. Ost-West-übergreifend agieren konnte.“ „Selbstdie Referenten zu Barlach und Fritz Kühn reisten aus der Bundesrepublikan. Spezialisten aus der DDR wurden lediglich für weit zurückliegendehistorische Themen herangezogen. Die Situation der bildendenKunst in der DDR spielte in den Veranstaltungen des Kunstdiensteswährend der 60er Jahre keine Rolle, obwohl in der DDR bedeutendeDenkmäler für die ehemaligen KZ entstanden, eine Historienmalereisich mit Faschismus und den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkriegauseinandersetzte, den Vietnamkrieg thematisierte, jüngereKünstler in Berlin und Dresden ihre Unbehaustheit darstellen undWolfgang Mattheuer bereits auf die biblische Mythologie zurückgriff.“Auch noch in den siebziger Jahren wurde die klassische Moderne inden Veranstaltungen des Kunstdienstes unermüdlich aufgearbeitet inVorträgen, Foren und Ausstellungen mit bedeutendem Zulauf trotzdurch die Staatsfunktionäre eingeschränkter Öffentlichkeit. Das Zieldieser Mittlerinstitution zwar damals eben „nicht das Engagement fürdie wilden avantgardistischen Formen der siebziger Jahre“, auch nicht„die Durchsetzung unliebsamer DDR-Künstler“. In den achtziger Jahrenhingegen nimmt sich der Kunstdienst verstärkt gesellschaftspolitischerThemen an: Ausstellungen zum Lebensgefühl in Ost-Berlin(1987) und in der DDR (1989), zum Antisemitismus (1988) und zuLateinamerika (1989) zeugen davon. Außerdem widmete sich die Einrichtungneuen Kunstformen und gelangte so insgesamt auf die Höheder Zeit und ihrer Herausforderungen: Auch diese enorme Leistung inhistorischer Dimension konnte vor der Ökonomisierung der Gesamtgesellschaftinklusive ihres kirchlichen Subsystems letzen Endes (!)nicht bestehen: „Es ist daher zu bedauern, dass der Kunstdienst vonBerlin Ende 2005 aus finanziellen Gründen abgewickelt wird. Seinegroße Bedeutung zwischen 1961 und 1989 in Ost-Berlin wird erst vordem Hintergrund der DDR-Geschichte deutlich. Indem der Kunstdienstmehr als seinen kirchlichen Auftrag wahrnahm und im SinnePaul Tillichs als Korrektiv und Impulsgeber in der säkularen Gesellschaftwirkte, als Schutzraum, Bildungs- und Kommunikations-Zentrumfür Außenseiter und Randgruppen knüpfte er an die Gründungsintentionenvon Dresden 1928 an. Weil er seine christlich-spirituellenWurzeln nicht verleugnete wurde er in einer atheistischen Gesellschaftfür viele Menschen so wichtig.“Diese trotz einiger Wiederholungen und Längen stets interessante,gleichwohl angenehm sachliche Auflistung historischer Vorgänge gewinntihr besonderes Kolorit durch die um Fairness bemühte Darstellungder handelnden Personen und ihrer Konflikte mit Behörden inStaat - und Kirche. Eine solche Querschnittsstudie zur institutionalisiertenKirchlichkeit weist auf viel reichere Ressourcen, zusätzlichesPotential an Akteuren und komplexere politische Interventionen derevangelischen Kirche in der DDR hin, als es die pauschale Beschränkungauf das konsistoriale und episkopale Ensemble in vielen historischenUntersuchungen zu den bekannten vierzig Jahren nahe legt.Nach dem Körnerschen Buch muss bei aller Enttäuschung doch auchausgerufen werden: Beata Berolina! Es gibt diesen Nachruf auf einebewundernswerte Leistung und Institution! Berlin erhält auch dasTrostpflaster des Amtes einer Kulturbeauftragten der EvangelischenKirche in Deutschland – wenig Personnage in der Fläche, aber immerhin!In <strong>Rostock</strong> wurde in der Marienkirche Oktober 2006 eine Ausstellungmit „jungen Bildern“ der achtzigjährigen Malerin MechthildMannewitz aus den vergangenen 2 Jahren eröffnet. Nur von wenigenwurde bemerkt, dass es sich um die letzte Ausstellung des Kunstdienstesder Evangelischen-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs undseiner Kuratorin Regine Passig handelte. Die Würdigung dieser Leistungsteht noch in den Sternen. ¬32


Reklameaus Ihrer Umgebung„Das unfrohe Soldatenleben in der NVA ...“Ostsee-Zeitung„Für alle NVA-Nostalgiker ...“Hanse-Anzeiger„Die unguten Erinnerungen eines Volksmarine-Angehörigen...“Neues DeutschlandRüdiger FuchsGenosse Matrose!kartoniert, 262 S.,ISBN 3-89954-196-016,40 EURerschienen im:BS-Verlag <strong>Rostock</strong>Hannes-Meyer-Platz 2718146 <strong>Rostock</strong>Tel. 0381-65 04 22Fax 0381-65 04 11Email: info@bs-verlag-rostock.deEnde der 80er. Raketenschnellboote fahren über die stürmischeOstsee, nicht weniger bewegten Zeiten entgegen.Aber noch ist die militärische Führung alles andere als„klar zur Wende“.Der Matrose Volkmar Haas erinnert sich. Er berichtet vonMachtspielen, Überwachung und Gewalt; von Jugendliebeund Trennung; von Feindschaft und Freundschaft.Seine Geschichte liefert ein authentisches Bild vom Alltagbei der Volksmarine und den Hoffnungen, Zweifeln undSehnsüchten junger Leute in den letzten drei Jahren derDDR.Mit einem Glossar seemännischer und militärischer Fachausdrückeim Anhang.Über den AutorRüdiger Fuchs (*1969) ist Buchhändler, Künstler, Kinderbuchautor,Mitinhaber des Charlatan-Verlages <strong>Rostock</strong> undschreibt gelegentlich für die Stadtgespräche.Leseproben, Rezensionen, Shop unter:www.bs-verlag-rostock.de / www.genosse-matrose.de


Gestaltung: <strong>Rostock</strong>er Technische Kunstschule (RTK), Fachklasse Editorial

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!