TITELTHEMA: ANALYSEWie sehr solide demographische Aussagen für die Fortschreibung derLeitlinien notwendig sind, wird gleich im ersten Punkt des Umsetzungsberichtesdeutlich: „<strong>Rostock</strong> schafft positive Lebensbedingungenfür Familien, Kinder und Jugendliche“. Das Fazit für die Fortschreibungder Leitlinien in diesem Punkt erschöpft sich in allgemeinen Forderungennach neuen Angeboten für Kinder, Jugendliche und Familien,neuen Formen der Kooperation und Ressourcennutzung undKonzepten zu generationenübergreifenden Angeboten und zur Zusammenarbeitvon Schule und Jugendhilfe. Was sind denn neue Angeboteunter zukünftig stark veränderten Bedingungen, die dann tatsächlichpositive Lebensbedingungen für Familien, Kinder und Jugendlicheschaffen, wer soll kooperieren usw.?Während noch erwähnt wird, dass die demografischen Entwicklungen„nicht durchgehend berücksichtigt“ wurden, fehlt ein Hinweis auf dasAusblenden der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern völlig.Aber im Jahr 2009, also noch vor dem nächsten Umsetzungsbericht,gibt es nach dem Willen der Landesregierung den neuen KreisMittleres Mecklenburg mit den Gemeinden der bisherigen LandkreiseBad Doberan und Güstrow sowie die bisher kreisfreie Hansestadt <strong>Rostock</strong>.Sitz des Kreises ist <strong>Rostock</strong>. Hat das denn gar keine Auswirkungenauf die Entwicklung der Stadt <strong>Rostock</strong>? Oder hofft man, wie somancher, auf das Scheitern der Reform?Ökologische StadtDie im Umsetzungsbericht unter „C - Ökologische Stadt“ genanntenFakten über den positiven Ist-Zustand sind – sicher abhängig von derQualität der Zuarbeiten – in der Regel aussagekräftig, im Fazit für dieFortschreibung der Leitlinien aber wieder oft sehr allgemein. Das istumso bedauerlicher, als viele Fragen, wie z.B. die des Klimawandels,auf Antworten warten, die auch von einer Kommune kommen könnten.Wenn in der positiven Bilanz zu „C1 - Sicherung und Verbesserung derUmweltsituation durch Umweltqualitätsziele“ zu Recht auf die vorliegendenvorsorgeorientierten Umweltqualitätsziele und -standards verwiesenwird, kann man sich nur schwer damit abfinden, wenn in dernegativen Bilanz lediglich erklärt wird: „Es konnte nicht überprüftwerden, ob die Datengrundlagen langfristig ausreichen, um die Erreichungder Ziele kontinuierlich zu überwachen.“ Was nutzen dann dieschönsten Ziele?Hier – wie an vielen anderen Stellen - zeigt sich aber auch, wie begrenztder Handlungsspielraum der Stadt ist. Was und wie in dieserzentralen Frage nachhaltiger Entwicklung geschieht, hängt in großemMaße von globalen Entwicklungen ab, und davon wie diese von der Politikinternational und national wahrgenommen und in Handlungsvorgabenformuliert werden. So wenig es bisher auch nur annäherndausreichende Festlegungen auf internationaler Ebene gibt, so sehr fehltauch der Bundesrepublik eine „nationale Nachhaltigkeitsstrategie“.Auf Landesebene ist nur zu hoffen, dass z.B. die vom bisherigen Umweltministeriumunter Wolfgang Methling erarbeiteten Grundsatzdokumente,die einzelne Schritte für eine nachhaltige Entwicklung imUmweltbereich einleiteten (vgl. dazu Lexikon der Nachhaltigkeit:http://www.nachhaltigkeit.info/), unter dem neuen Ministerium fürLandwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz (Till Backhaus) weiterkonsequent verfolgt werden. Umweltverbände meldeten bereits erheblicheZweifel an.FOTO: J.-G. JAEGEREnger Handlungsspielraum der StadtDas von der Stadt selbst gestellte Ziel, „ein ganzheitliches, das heißtökologische, soziale und ökonomische Zielvorstellungen zusammenführendesund auf Zukunftsbeständigkeit angelegtes Denken undHandeln“ zu befördern, ist derzeit im besten Fall ansatzweise erreichbar.Die Stadt kann sich immer weniger den von außen auf sie wirkendennegativen finanziellen, ideologischen und machtpolitischen Zwängenentziehen.Im Augenblick – und die Zukunft lässt wenig anderes erwarten – wirdauch die Kommunalpolitik (Verwaltung, Parlament, Parteien, Vereineu.a.) durch die bundes-(und welt-)weite Grundorientierung auf eineneoliberale Politik geprägt. Tatsächliche und angebliche Finanzierungszwängebedrohen ein notwendiges Handeln. Hinzu kommen eineschwache Bürgerschaft mit sich befehdenden und dann wieder partiellzusammengehenden, aber in sich selbst all zu oft zerrissenen Parteien,ein schwer berechenbarer OB, der schwankt zwischen Suchenach einer Hausmacht und dem Versuch einer eigenständigen Politikgegenüber einer über viele Jahre entstandenen festgefügten Strukturgegenseitiger Bekanntschaft und Abhängigkeit, eine (unter anderemob der Personalpolitik) verunsicherte Stadtverwaltung und eine zunehmendgrößere Zahl desillusionierter und inaktiver Bürgerinnenund Bürger. Kein sehr verheißungsvoller Zustand für erfolgreichenachhaltige Politik.Umso notwendiger ist es, den erhaltenen kommunalpolitischen Raumauszuschöpfen und schrittweise weiter auszubauen. Dazu gehört aucheine sehr viel effektivere, aussagekräftigere und folgenreichere Arbeitmit den Leitlinien. Es ist völlig richtig, wenn die Leiterin des Agenda-Büros als Ziel der Diskussion über den Umsetzungsbericht nennt, „dieLeitlinien zu aktualisieren, sie in ihren Formulierungen konkreter, verbindlichersowie möglichst quantifizierbar und damit besser kontrollierbarzu machen.“Nachhaltigkeit benötigt eine starke Politik, nicht das Zurückziehenaus Verantwortung und Überlassen eines Feldes nach dem anderendem Markt, der alles richten soll, dessen erstes Ziel aber der Gewinn ist.Eine wirksame nachhaltige Politik braucht Vorausschau, nicht alleinReaktion auf den Augenblick der Tagespolitik. Sie benötigt Variantendes möglichen politischen Handelns, denn leider (oder zum Glück)können die Menschen Zukunft noch nicht exakt voraussagen. Und siebedarf der Kontrolle und Einflussnahme auf die Umsetzung des alsnotwendig Erkannten. Heute sind die Leitlinien immer noch nichtmehr als demokratisches Dekor. Man berücksichtigt sie oder auchnicht.Das liebe GeldIn der Einführung des Umsetzungsberichtes heißt es sehr zu Recht:„Auch aufgrund der schwierigen finanziellen Rahmenbedingungenmüssen im Prozess der Fortschreibung neue Handlungsansätze undEntwicklungsziele für die jeweilige Leitlinie abgeleitet werden.“ Welchessind denn aber die neuen Handlungsansätze und Entwicklungsziele?Eine Antwort darauf ist unter Umständen ein ganzes Programm,das selbstverständlich nicht alleine vom Agenda-Büro erarbeitet werdenkann.Ausgangspunkt von Nachhaltigkeitspolitik ist der oben genannteGrundsatz: die Lebensqualität aller Menschen in der Stadt ist zu si-24
chern, ohne die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationenzu gefährden. Da gilt es, Prioritäten festzulegen und zu entscheiden,was die Stadt und ihre Bewohner sich mit Blick auf die Nachhaltigkeitleisten können. Besitzt der Bau von neuen Straßen und die Umgestaltungalter Plätze Vorrang? Oder die qualitative Ausgestaltung des Bildungswesensin dieser Stadt? Werden durch Privatisierungen Haushaltslöchergestopft oder die Ursachen für die desolate Haushaltslagegefunden und überwunden (vgl. dazu auch den Beitrag von SybilleBachmann, „GELD oder LEBEN? Zur Haushaltsdebatte zwischen altenDenkschemata und der Suche nach neuen Wegen“ in diesem Heft).VorschlägeKommen wir zum Ausgangspunkt zurück, dem in der Präambel derLeitlinien formulierten Grundsatz: „Die Leitlinien sind handlungsorientiertformuliert - das Handeln aller Akteure in <strong>Rostock</strong> soll sichan ihnen orientieren und so objektiv bewertbar werden.“vorhanden und sollte weiter genutzt werden. Allerdings nicht als Notnagelund zum Überdecken der gröbsten Defekte, nicht als folgenlosesPalaver, sondern als demokratische Teilhabe im Sinne von Mit- undSelbstbestimmung. Die Erarbeitung eines Bürgerhaushaltes durch Bürgerinnenund Bürger gemeinsam mit den Fraktionen und den Ämternwäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung (vgl. dazu „Stadtgespräche“Heft 42, Steffen Wandschneider und Hans-Joachim Engster:Kommunaler Bürgerhaushalt in <strong>Rostock</strong>).Wir werden sehen, ob sich etwas ändert, die Stadt sich ihrer Verantwortungfür eine nachhaltige Entwicklung stellt und dann der 2. Umsetzungsbericht– spätestens in 4 Jahren – mehr als eine zu erledigendePflichtaufgabe ist. ¬Das könnte heißen:1. Eine sehr viel größere Konkretheit der Fortschreibung der Leitlinienmit erkennbaren und abrechenbaren Vorgaben für die Kommunalpolitik.2. Weitere Ausformulierung der Nachhaltigkeitsindikatoren für alleBereiche der Kommunalpolitik als Controlling-Instrument für dieUmsetzung der Leitlinien. Sie müssen stärker auf qualitativen Analysenstatt – wie bisher - auf alleiniger Datenauswertung basieren und möglichstdie konkreten Bedingungen <strong>Rostock</strong>s berücksichtigen.3. Das Büro für nachhaltige Stadtentwicklung/Agenda 21 der Hansestadt<strong>Rostock</strong> sollte in die Lage versetzt werden, stärker selbständige inhaltlicheArbeit zu leisten. Der 1.Umsetzungsbericht ist vorrangig eineZusammenfassung der von den Ämtern erfragten Bilanzen, die – werkann es den Ämtern in der augenblicklichen Situation verdenken – inerster Linie positiv und außerdem zu wenig zukunftsweisend sind.Wichtig ist eine ganzheitliche Sicht auf die Stadtentwicklung, die bekanntlichsehr viel mehr ist als die Summe einzelner Teilbereiche.4. Das Potential der Universität und anderer Einrichtungen ist zu nutzen,etwa durch die Arbeit von Expertengruppen und vielfältige vertraglicheFestlegungen. Die Universität unter dem Rektorat von Prof.Dr. Thomas Strothotte ist dazu sicher bereit, andere Einrichtungen,Verbände, Vereine, Einzelpersonen gewiss ebenfalls.5. Ein Abweichen von den Leitlinien muss für die Verwaltung Folgenhaben. Wer kümmert sich denn derzeit um die Aussagen in den Leitlinienoder im Umsetzungsbericht? Der wird höchstens wieder beimnächsten Umsetzungsbericht aktuell. Dieser wiederum steht dann wiederauf dem Papier, bis zum dann folgenden… und so weiter. - Dem BereichControlling kommt hier eine wichtige Aufgabe zu.6. Dem ehrenamtlich tätigen Agendarat sollte endlich das Recht zugestandenwerden, in der Bürgerschaft nicht nur angehört zu werden,sondern auch Anträge einreichen zu dürfen. Unter Umständen musssich die Stadt für eine generell notwendige Änderung der Kommunalverfassungeinsetzen.7. Die Bereitschaft zum Engagement und zum Mitgestalten ist (erstaunlicherweisenoch immer) bei vielen Bürgerinnen und Bürgern25