TITELTHEMA: ERFAHRUNGSBERICHTZwischen Baum und BorkeZur Situation des MAU-ClubVON TOM SCHULZEWir befinden uns im Jahr 2007 und wenn man das nicht wüsste, könnteeinem der Gedanke kommen, dass es sich bei dem was wir in derfreien Kulturlandschaft <strong>Rostock</strong>s erleben um eine unvorstellbare Zukunftsvisionhandelt.Alle freien Kulturträger leben seit Oktober des vergangenen Jahres inder unerträglichen Situation, dass ihre Projekte akut von der Schließungbedroht sind. Nach dem Gezerre um die Mittel für die MonateNovember und Dezember 2006 beginnen wir auch dieses neue Jahr ohnebelastbare Aussagen über die zukünftige Förderung der Projekte.Damit wird für die Vereinsvorstände dieser Träger eine unzumutbareSituation geschaffen, da sich die Vorstandsmitglieder in Haftung fürdie Vereinsgeschicke verantwortlich zeichnen. Auf der anderen Seitemöchte niemand der Verantwortungsträger das Projekt beenden, fürdas er nicht selten 10 oder 15 Jahre seines Lebens gekämpft hat, solangenoch die Hoffnung besteht, dass die politisch verantwortlichen Personenzu Gunsten des Projektes entscheiden.Was heißt das nun für den MAU-Club konkret? Welche Auswirkungenhat diese Situation für die Projekte um das Jugendkulturhaus <strong>Rostock</strong>s?Zuerst betrifft es natürlich die Planungssicherheit für das Projekt. Eskönnen keine langfristigen Verträge mit Künstlern abgeschlossen werden,und wenn dann nur mit der Einschränkung versehen, dass wirnicht wissen was morgen sein wird.Langfristige Partner, wie z.B. Vermieter, Technikfirmen, Hotels etc.,sind verunsichert. Aktuell liegen die Anträge für die Abschlussprüfungfür drei Auszubildende im Bereich Veranstaltungstechnik auf Eis. Diesemüssen bis zum 15.01.2007 bei der IHK eingereicht sein, damit imJuni die Abschlussprüfung stattfinden kann.Vier Auszubildende befinden sich noch bis 2008 bzw. 2009 bei uns inder Ausbildung. Auch die Kooperation, die wir mit der Hochschule fürMusik und Theater zum Zwecke des Austauschs der Auszubildendenbeider Institutionen unterhalten, würde sich im Falle der Schließungunserer Einrichtung sehr einseitig gestalten.Die Teilnehmer unseres Jugendberufshilfeangebotes und etliche Praktikantenwissen nicht, ob ihr Einsatzort weiterhin besteht.Den Skatern und den DJ`s die an unseren Workshopangeboten teilnehmen,würde die Möglichkeit zum Austoben und Ausprobieren fehlen.Auch die Behinderten der DRK-Werkstätten müssten sich nach einemneuen Ort für ihre Diskotheken umsehen.Wir planen für den Juni und Juli 2007 gemeinsam mit unseren europäischenPartnern eine Europatournee mit Nachwuchsbands aus vier Nationenim Rahmen eines Austauschprojekts, können jedoch auch diesbezüglichkeine ernsthaften Planungen machen.Unsere Einrichtung ist offizieller Kooperationspartner des StettinerKulturhauses Slowianin zur Umsetzung der Feierlichkeiten anlässlichdes 50-jährigen Bestehens der Partnerschaft der Städte Stettin und <strong>Rostock</strong>im Juli und August 2007.Was jedoch am schwersten wiegt ist der Umstand, dass die Gäste unsererEinrichtung um den Ort bangen müssen, welcher für musikalischeVielfalt in ihrer Stadt sorgt.Das MAU ist seit fast 100 Jahren ein Ort in <strong>Rostock</strong> an dem Kultur gelebtwird. Dies geschah und geschieht auch immer im Zusammenhangmit Sozialisationsprozessen. In den letzten 16 Jahren bestand ein wesentlicherinhaltlicher Faktor auch in dem Angebot alternative Jugendkulturzu fördern.Gerade diese Alternativen sind es, die das Leben abwechslungsreichund spannend gestalten. Alternativen zu erkennen und zu leben bedeutetzudem Emanzipation und Selbstbestimmtheit. Die Kultur alleindem Markt zu überlassen, verursacht hingegen Monokultur und Einheitsdenken.Es gehört schon eine Menge Mut dazu, sich vorzustellen,wie sich eine solche Entwicklung auf gesellschaftliche Prozesse auswirkt.Die Angebote der freien Kulturträger sind originär dem Bereich derpräventiven sozialisationsfördernden Maßnahmen zuzuordnen. ImGegensatz zu südwestdeutschen Regionen, in denen sich allmählichdie Erkenntnis durchsetzt, dass Prävention um Vieles billiger ist alsIntervention, hält sich im Norden hartnäckig die Mär, dass man Kostenspare wenn präventive Maßnahmen gestrichen werden. Das Gegenteil20
ist der Fall! Wenn man diese Entwicklung fortschreibt werden genaudiese Regionen noch ärmer, da sie durch die Masse der gesetzlichpflichtigen Interventionen erdrückt werden. Der Teufel sch…. alsoauch hier immer auf den größten Haufen!Auch die Armutsdebatte lässt sich an diese Thematik andocken. Spätestensseit den 1990er Jahren hat sich die Betrachtung von Armutüber die rein materiell orientierte Definition hinaus entwickelt. AlsFaktoren für Armut gelten unter anderem auch Bildung, Kultur- undFreizeitangebote oder Eingebundenheit in gesellschaftliche Prozesse.Die Folgen, die aus prekären Lebenssituationen für heranwachsendeMenschen entstehen, sind nicht selten gefährlich für demokratischeGesellschaftsordnungen.Als multifunktionelles Veranstaltungshaus mit einem breiten Spektruman Kultur- und Sozialangeboten haben wir unser Angebot immerverstanden und haben es auch in dieser Weise entwickelt. Die Weiterentwicklungunserer Projekte ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal.Das bedeutet, neue Bedarfe zu erspüren und daran zu arbeiten,dass diese gedeckt werden. Dabei arbeiten wir stets eng mit anderenPartnern zusammen. Nun kommt dieser Prozess ins Stocken und dasist sehr bedauerlich für die Stadt <strong>Rostock</strong>! Für die Bevölkerung von<strong>Rostock</strong> und für uns als Verein ist es wichtig, dass eine klare Linie entwickeltwird, wie das Kulturangebot der Stadt in Zukunft aussehensoll. Keinem ist mit einer solchen Situation wie der jetzigen geholfen.Sie reduziert die Qualität der betroffenen Einrichtungen, da diese mitZukunftsängsten und bürokratischem Mehraufwand belastet werden.Der Blick nach vorn und das Umsetzen von Visionen bleiben ebensoauf der Strecke.Es tut vielleicht ganz gut, in einer solchen Situation zwölf Jahre zurükkzuschauen.Vom 01.01.1995 bis zum 01.05.1996 gab kein MAU in<strong>Rostock</strong> und auch die Ausweichvariante für alternative Konzerte, diegroße Mensa, war zu diesem Zeitpunkt nicht bespielbar. Es war einegruselige Zeit für Konzertliebhaber!Aber wenn wir uns schon in Gedanken in dieser Zeit befinden, dannmacht sich das Herz auch weit vor Freude, wenn man an die spektakulärenDemonstrationen von MAU, JAZ und Stubnitz denkt, die soviele Bürger unserer Stadt unterstützt haben. Und letztlich haben auchdiese Aktionen dazu beigetragen, dass alle drei Einrichtungen nochstehen bzw. schwimmen.Es bleibt zu hoffen, dass zeitnah zukunftsfähige Entscheidungen gefundenwerden um diese Stadt nicht ihrem Alleinstellungsmerkmal inM/V zu berauben, nämlich dass <strong>Rostock</strong> eine offene, bunte Stadt unddamit ein wirkliches Oberzentrum ist. ¬Ida Schillen, Senatorin für Jugend, Kultur, Schuleund Sport in der Hansestadt <strong>Rostock</strong>,zu den Möglichkeiten, die für die Konsolidierungdes Haushaltes der Stadt notwendigen finanziellenMittel zu gewinnen(aus einem Gespräch mit Frank Schlösser, HanseAnzeiger 134.12.06, S.5)„Die Stadt ist verpflichtet, das Gemeinwohlzu sichern. Dazu gehören die Aufgaben Sport,Bildung und Kultur. Die sind für mich unumstößlich.Es gibt andere Bereiche, die ich fürdiskussionswürdig halte, weil sie eben nicht zuden kommunalen Aufgaben gehören: Das istzum einen die Beteiligung am Flughafen.Dann die Millionenzuschüsse für eine Messegesellschaft- das könnte eine Aufgabe für dasLand sein, aber sie dient sicher nicht der kommunalenDaseinsfürsorge. Der Bau und dieBewirtschaftung von Parkhäusern ist keinekommunale Aufgabe, das können privateUnternehmen besser. Auch der Bau von neuenEigenheimen und teuren Mietwohnungen,wie sie die WIRO jetzt angeht, gehört nichtzur Daseinsfürsorge und sollte nicht die Aufgabeeines städtischen Unternehmens sein.Die Hauptaufgaben der WIRO und der <strong>Rostock</strong>erGesellschaft für Stadterneuerung,Stadtentwicklung und Wohnungsbau mbH(RGS), also die Wohnungsmodernisierungund Stadtsanierung, sind weitestgehend abgeschlossen.Die beiden Unternehmen WIROund RGS mit ihren hohen Stundensätzen undGeschäftsführergehältern könnten reduziertwerden. Dann könnten auch die kommunalenWohnungsmieten niedriger sein. Die Stadtbraucht nur einen Baubetrieb. Der KommunaleEigenbetrieb KOE könnte die AufgabenImmobilienverwaltung, Schulsanierung undSoziale Stadt-Programme kostengünstigerübernehmen. Für drei Bauunternehmen istschon der Verwaltungsaufwand zu groß, daverschwinden Steuermittel auf Nimmerwiedersehen.Das Geld ist also da, es ist eineFrage des politischen Willens, wo man es investiert.[…Der Landesrechnungshof ]fordert seit Jahren,die Beteiligungen der Stadt in den Unternehmenzu überprüfen. Bisher ist nichts geschehen.Der Beteiligungspopanz wurde stattdessenweiter aufgebläht. Zu Lasten der regionalenWirtschaft. Das sind die Bereiche, vondenen sich die Stadt trennen muss, wenn siedie Sparvorgaben erfüllen will. Sie sind mitüberbordenden Bürokratien und entsprechendenPersonalkosten ausgestattet, und erfüllenkeine kommunalen Aufgaben.“ ¬21