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Wenn aus Kollegen Feinde Werden Vorsorglich - PrOgiParK

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Kommentar von außen<br />

Warum Gesundheit krank macht<br />

Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Gesundheit als höchstes Gut programmiert<br />

ist. Paradoxerweise werden die Menschen damit aber nicht gesünder, sondern immer<br />

kränker – mit handfesten ökonomischen Konsequenzen.<br />

► Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert<br />

Gesundheit als Zustand vollständigen körperlichen,<br />

geistigen und sozialen Wohlbefindens, und nicht etwa nur<br />

als Freisein von Krankheit und Gebrechen. Positiv an dieser<br />

Bestimmung ist, dass sie die psychische und soziale Dimension<br />

von Gesundheit und Krankheit berücksichtigt und das<br />

Verständnis von Krankheit nicht nur auf allfällige Funktionsstörungen<br />

des menschlichen Organismus reduziert. Doch<br />

das Ideal des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen<br />

Wohlbefindens schießt über das Ziel hin<strong>aus</strong>. Gemessen<br />

an dieser Definition dürfte es wohl keinen Menschen auf der<br />

Welt geben, der wirklich gesund ist. <strong>Wenn</strong> aber jede Beeinträchtigung<br />

unseres Wohlbefindens schon als Krankheit zu<br />

verstehen ist, dann kann man zugespitzt sagen: Diese Gesundheitsdefinition<br />

macht krank.<br />

Je umfassender und „ganzheitlicher“ Gesundheit definiert<br />

wird, desto größer ist die Zahl derer, deren Gesundheitszustand<br />

diesem Kriterium nicht genügt. Kein Wunder, dass eine<br />

auf Gesundheit als höchstes Gut programmierte Gesellschaft<br />

nicht etwa immer gesünder, sondern immer kränker wird.<br />

„Je reicher ein Land ist und je mehr Geld<br />

eine Gesellschaft in das Gesundheitssystem<br />

pumpt, desto wahrscheinlicher ist es, dass<br />

sich ihre Mitglieder krank fühlen.“<br />

Das hat handfeste ökonomische Konsequenzen. Gesundheit<br />

wird zu einem Zustand, den niemand mehr erreichen kann,<br />

für den wir aber in Österreich inzwischen 10 Prozent des<br />

Bruttoinlandprodukts <strong>aus</strong>geben.<br />

Lukratives Geschäft mit der Angst<br />

Aus Sicht des Medizinjournalisten Jörg Blech handelt es<br />

sich eindeutig um ein Wohlstandsphänomen: „Je reicher ein<br />

Land ist und je mehr Geld eine Gesellschaft in das Gesundheitssystem<br />

pumpt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich<br />

ihre Mitglieder krank fühlen.“ Die schädlichen wirtschaftlichen<br />

und sozialpolitischen Folgen lassen sich am Unwesen<br />

der Frühpensionierungen studieren, das die österreichische<br />

Politik bis heute nicht in den Griff bekommen hat.<br />

In seinem Buch „Die Krankheitserfinder“ kritisiert Blech<br />

auch zu Recht, wie Gesunde von einer medizinisch-pharmazeutischen<br />

Allianz zu Patienten gemacht werden. Natürliche<br />

Vorgänge, wie das Altern und Befindlichkeitsstörungen, werden<br />

zu behandlungsbedürftigen Krankheiten erklärt.<br />

Auch die Gesundheitsprävention, so wünschenswert eine<br />

gesunde Lebensweise grundsätzlich ist, bietet ein reiches Betätigungs-<br />

und Geschäftsfeld. Mögliche Gesundheitsrisiken<br />

werden uns als Krankheiten verkauft – man denke nur an<br />

erhöhte Cholesterinwerte oder an Gentests im Internet, die<br />

nicht selten ein lukratives Geschäft mit der Angst betreiben.<br />

Um der bedenkenlosen Medikalisierung und Pathologisierung<br />

von im Grunde natürlichen Vorgängen und Abweichungen<br />

Einhalt zu gebieten, brauchen wir einen Begriff<br />

von Nicht-Krankheiten. Der britische Mediziner Richard<br />

Smith definiert Nicht-Krankheiten als einen menschlichen<br />

Vorgang oder ein Problem, das von manchen als Erkrankung<br />

beurteilt wird, obwohl es für die Betroffenen von Vorteil<br />

sein könnte, wenn dies nicht der Fall wäre. Als Beispiele für<br />

Nicht-Krankheiten nennt Smith nicht nur Tränensäcke oder<br />

Haar<strong>aus</strong>fall, sondern auch das Altern und die Menop<strong>aus</strong>e.<br />

Anti-Aging-Mediziner werden das nicht gern hören.<br />

Das Leben als letzte Gelegenheit<br />

Meinung schlusspunKt<br />

Eine Gesellschaft, die nach der Maxime „Hauptsache gesund!“<br />

lebt, ist aber insgesamt krank. Ihre Krankheit ist ein<br />

Hinweis auf Transzendenzverlust. In einer Gesellschaft, die<br />

den Glauben an ein Jenseits verloren hat, wird das Leben<br />

zur letzten Gelegenheit und Gesundheit zur neuen Religion<br />

des Diesseits. Gesundheit wird nicht nur zum individuellen<br />

Recht, sondern auch zur höchsten Pflicht.<br />

Welch absurde Folgen das hat, zeigt das Beispiel Dänemarks.<br />

Dort hat man jüngst eine Fettsteuer eingeführt. Begründung:<br />

Nach Berechnungen einer Gesundheitskommission ließe<br />

sich die Lebenserwartung der Dänen bei fettarmer Ernährung<br />

um drei Jahre steigern.<br />

Wer früher stirbt, ist nicht nur länger tot, sondern verstößt<br />

gegen eine gesellschaftliche Norm. Eine salutokorrekte Gesellschaft,<br />

die das Heil im Diesseits sucht, nimmt totalitäre<br />

Züge an. Gesundheit wird zur ersten Bürgerpflicht. Dem lässt<br />

sich nur gegensteuern, wenn das utopische Gesundheits ideal<br />

ideologiekritisch infrage gestellt wird. Gesundheit, so der<br />

Mediziner und Theologe Dietrich Rössler, ist nicht die Abwesenheit<br />

von Störungen, sondern die Kraft, mit ihnen zu<br />

leben.<br />

Eine Medizin, die diesem Grundsatz folgt, widersteht der<br />

Versuchung, das Ethos des Heilens mit einem kategorischen<br />

Imperativ zu verwechseln. Bisweilen ist der Verzicht auf<br />

Therapie humaner als der Versuch, um jeden Preis einen<br />

Heilungserfolg zu erzielen. Diese Illusion kann für unheilbar<br />

Kranke inhumane Folgen haben. Eine Krankheit haben<br />

bedeutet nicht unbedingt, krank zu sein oder sich krank zu<br />

fühlen. Human ist eine Medizin, die uns dabei hilft, mit<br />

Krankheit zu leben, ohne uns krank zu machen. �<br />

Ulrich H.J. Körtner<br />

ist Vorstand des<br />

Instituts für Ethik und<br />

Recht in der Medizin<br />

der Universität Wien.<br />

Die hier getätigten<br />

Äußerungen stellen<br />

<strong>aus</strong>schließlich<br />

die Meinung des<br />

Autors/der Autorin<br />

dar und müssen<br />

sich weder in<br />

recht licher noch in<br />

inhaltlicher Hinsicht<br />

mit der Meinung<br />

der Ärztekam mer<br />

für Wien decken.<br />

11_2011 doktor in wien 37

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