TexT - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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ner anderen Form zu erklären. „Wenn ein<br />
Wort nicht herausmöchte“, dann umschreibt<br />
sie Wörter und „dreht verschiedene Sachen<br />
um“. „Also in mich drinnen wird’s halt hochgespult.<br />
(…) Und dann sag ich’s. Also es<br />
kommt von meinem Bauch aus. Also ich habe<br />
das schon gemerkt, dass ich ein Wort stottere<br />
(…) und dann versuche ich, das Wort in einer<br />
anderen Form zu erklären.“ Einmal im<br />
Interview sagte sie, dass sie das Stottern eigentlich<br />
kaum stört. An anderen Stellen<br />
sind jedoch auch dem widersprechende<br />
Aussagen zu finden: „Mein Sprechen auszubessern,<br />
das wäre eigentlich für mich schon<br />
wichtig.“ Außerdem könnte sie sich manchmal<br />
„ohrfeigen“, wenn ein Stotterereignis<br />
auftritt.<br />
Alle Interviewpartner gehen davon aus,<br />
dass den jungen Erwachsenen ihre Unflüssigkeiten,<br />
wenn auch auf unterschiedliche<br />
Weise, bewusst sind. Die Spanne der Beobachtungen<br />
reicht dabei von den klaren Äußerungen<br />
von Heiko und Verena, dass es<br />
„nicht so toll ist“ bzw. „dass sie sich manchmal<br />
ohrfeigen könnte“, bis hin zu den Schilderungen<br />
zweier Mütter der anderen zwei<br />
jungen Erwachsenen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>,<br />
dass sie sich zwar nicht über die Unflüssigkeiten<br />
äußern können, wobei es aber für die<br />
Mütter „spürbar“ ist, dass es sie stört.<br />
Martin hat das Stottern zwar seiner Mutter<br />
gegenüber nie thematisiert, aber „(…) er<br />
weiß das ja, er weiß, dass er behindert ist, ja,<br />
und dass er jetzt von mir aus von der Sprache<br />
her, von manchen Dingen her, sich nicht<br />
so ausdrücken kann wie wir jetzt“. Nach den<br />
Beobachtungen der Heilpädagogin aus seiner<br />
Schule ist dem jungen Mann das Stottern<br />
„(…) im Prinzip bewusst (…) ihm<br />
macht es aber nichts aus“.<br />
Auch Georg kann nicht über seine Unflüssigkeiten<br />
verbal kommunizieren. Die<br />
Mutter erinnert sich aber an folgende Situation:<br />
Georg blieb beim „Sprechen stecken“<br />
(…) „und da hat er auf den Tisch gehauen,<br />
weil er es nicht herausgebracht hat (…) und<br />
da war es ihm schon wohl bewusst, dass er<br />
sich schwer tut (…) Auch wenn er das nicht<br />
so zeigen kann. Es ist innen drin spürbar für<br />
ihn, da bin ich mir 100 % sicher.“ Sein Vater<br />
hat erlebt, dass Georg Sätze abbricht, weil er<br />
„(…) einfach nicht mehr mag“.<br />
2.4.1 Situationsabhängigkeit<br />
– Dynamik<br />
Die Ergebnisse dieses Abschnitts entstanden<br />
infolge von Detailfragen, die den Untersuchungspersonen<br />
gestellt wurden.<br />
„Können Sie Situationen beschreiben, in<br />
denen das Stottern verstärkt auftritt?“<br />
„Können Sie Situationen beschreiben, in<br />
denen das Stottern reduziert oder gar nicht<br />
auftritt?“<br />
Die meisten Interviewpartner können<br />
beobachten, dass die Unflüssigkeiten bei<br />
Problemen jeglicher Art ausgeprägter sind.<br />
Dies scheint von Seiten der jungen Erwachsenen<br />
gleichermaßen auf körperliches wie<br />
psychisches Unbehagen zuzutreffen. Aber<br />
auch wenn Druck von außen ausgeübt<br />
wird, wurde bei allen Untersuchungspersonen<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> ein verstärktes<br />
Stottern beobachtet. Eine Mutter bringt<br />
dies treffend auf den Punkt: „Sobald er unter<br />
Stress steht, sei es in der Schule, sei es psychisch,<br />
sei es von unserer Seite her, dann ist es<br />
vermehrt das Stottern.“<br />
Dementsprechend treten bei drei der<br />
Untersuchungspersonen weniger Unflüssigkeiten<br />
auf, wenn sie sich wohlfühlen<br />
und ihnen genügend Ruhe und Zeit gegeben<br />
wird, um sich zu äußern. Bei zwei der<br />
jungen Erwachsenen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
lässt sich eine geringere Stottersymptomatik<br />
in Situationen beobachten, in denen sie<br />
sich beim Sprechen konzentrieren. Als Beispiele<br />
sind hier das Lesen und das Singen<br />
zu nennen und Martin kann die „ganzen<br />
Fußballsprüche“ ohne Stottern sagen. Auffallend<br />
war lediglich bei Georg, dass außer<br />
dem Singen von keinem Interviewpartner<br />
Situationen genannt wurden, in denen die<br />
Stottersymptomatik schwächer ausgeprägt<br />
ist. Der Werkstattleiter von Georg gibt an,<br />
das Stottern sei „permanent“ da.<br />
2.4.2 Interpretation der ergebnisse<br />
Die frühere Ambition, die Redeflussstörungen<br />
von Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
eindeutig einem Unflüssigkeitstypus<br />
zuweisen zu wollen, ist kritisch zu betrachten.<br />
Es ist bekannt, mit welch vielfältigen<br />
medizinischen, psychologischen und<br />
sprachlichen Symptomen dieses <strong>Syndrom</strong><br />
verbunden sein kann. Dabei ist aber nachhaltig<br />
darauf zu verweisen, dass diese syndromspezifischen<br />
Besonderheiten bei den<br />
einzelnen Personen in sehr unterschiedlichem<br />
Maße ausgeprägt sein können. Menschen<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> als eine homogene<br />
Gruppe zu bezeichnen würde dem<br />
Gegenstand nicht gerecht werden. Ebenso<br />
handelt es sich bei den Redeflussstörungen<br />
Stottern und Poltern um äußerst variable<br />
Störungsbilder, die bei den einzelnen<br />
Personen ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt<br />
sein können. Zu strikte Klassifikationsversuche<br />
verkennen die Heterogenität<br />
in der Gruppe der Menschen mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong>. Vorläufig scheint mir die folgende<br />
Arbeitshypothese sinnvoll: Menschen<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> können ebensolche<br />
Unflüssigkeiten wie Menschen ohne diese<br />
Chromosomenstörung entwickeln, wobei<br />
diese im Wechselspiel mit den syn-<br />
dromspezifischen Besonderheiten auch den<br />
Eindruck eines eigenen Unflüssigkeitstypus<br />
vermitteln können.<br />
3. Lebensbedeutsamkeit<br />
g SPRACHE<br />
Zur Frage, welche Rolle die Redeflussstörungen<br />
im Leben von Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> und deren Umfeld (Familie,<br />
Schule, Arbeitsplatz etc.) spielen, gibt<br />
es keinerlei Literatur. Interessant ist diese<br />
Frage deshalb, weil uns aus der Stotterliteratur<br />
von Menschen ohne diese Chromosomenstörung<br />
bekannt ist, in welchem<br />
Umfang das Stottern im alltäglichen Leben<br />
zur Belastung werden kann (vgl. z.B. Weikert,<br />
1996). Nach Schiepek (1999) ist es im<br />
Rahmen einer ressourcenorientierten systemischen<br />
Grundhaltung erforderlich, den<br />
Gesprächspartnern genügend Raum zu geben,<br />
um ihre Lebenssituation und ihre Probleme<br />
– hier in Hinblick auf die Unflüssigkeiten<br />
– darzustellen. Damit ist es möglich,<br />
dass die Betroffenen die Zustandsdiagnose,<br />
die im Rahmen mit der AAUS erhoben<br />
wurde, durch ihr subjektives Erleben zu ergänzen.<br />
Die Frage nach der Lebensbedeutsamkeit<br />
kann somit als Bedeutungsdiagnose<br />
bezeichnet werden (vgl. Steiner, 1996).<br />
Die entsprechende Leitfrage im Interview<br />
lautet: „Welche Rolle spielen die Unflüssigkeiten<br />
von (…) in ihrem Leben?“<br />
3.1 ergebnisse<br />
3.1.1 Die Redeflussstörungen in der<br />
Öffentlichkeit<br />
Bei Verena und Georg wurden die Unflüssigkeiten<br />
deshalb als bedeutungsvoll bezeichnet,<br />
weil die Mitmenschen durch<br />
sie auf die Behinderung aufmerksam gemacht<br />
werden. Häufig wurde auch beschrieben,<br />
dass fremde Menschen aufgrund<br />
der Unflüssigkeiten, aber auch wegen des<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>s verunsichert sind. Mit<br />
diskriminierenden Äußerungen in der Öffentlichkeit<br />
wurden Georg und Verena konfrontiert,<br />
wobei die Reaktionen auf Georg<br />
ungleich gravierender waren. Georgs Eltern<br />
beobachten, dass über Georgs Unflüssigkeiten<br />
„gelacht“ und „getuschelt“ wird oder die<br />
Leute einfach wegschauen. Auch die Reaktionen<br />
der Nachbarn auf die Unflüssigkeiten<br />
beschreibt die Mutter als negativ. Einmal<br />
hat ein Nachbar Georg angeschrien,<br />
er solle sich zusammenreißen und richtig<br />
sprechen.<br />
Nach der Beobachtung der Eltern zeigte<br />
sich bei Georg, dass dieser die Beleidi-<br />
Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 57 I Januar 2008 29