88BEITRÄGESo wie Artikel 3 im Reichstagsabschied schließlich beschlossenund verkün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist, schließt er hinsichtlich<strong>de</strong>r Religionsausübung je<strong>de</strong> Miß<strong>de</strong>utung im Sinne einerallgemeinen Freistellung <strong>de</strong>r Landstän<strong>de</strong> aus. Und das be<strong>de</strong>utetin letzter Konsequenz: Wenn es ernst wur<strong>de</strong> und <strong>de</strong>rLan<strong>de</strong>sherr sein Religionsrecht konsequent durchsetzenwollte, konnte das nur mit <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>s Protestantismusen<strong>de</strong>n. Wenn sich die Protestanten nicht aufgeben,son<strong>de</strong>rn als Religionsgemeinschaft überleben wollten,mußten sie sich gegen <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sherren mit allen zulässigenMitteln wehren. Damit war aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Protestantenin Schlesien <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m man in Augsburgeigentlich <strong>de</strong>n Weg bereiten wollte, nicht erreicht.Daß die evangelischen Stän<strong>de</strong> und Städte in Schlesientrotz<strong>de</strong>m zügig an <strong>de</strong>n Ausbau von Lan<strong>de</strong>skirchen o<strong>de</strong>rzumin<strong>de</strong>st lan<strong>de</strong>skirchlichen Strukturen gehen konnten, lagan drei begünstigen<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n. Der eine war, daß dieKaiserliche Zentralgewalt über weite Zeitstrecken mit an<strong>de</strong>renProblemen, die von innerfamiliären Zwistigkeitenüber die Ungarnaufstän<strong>de</strong> bis zur Bedrohung durch dieTürken reichen, abgelenkt war; außer<strong>de</strong>m ständig mitGeldmangel zu kämpfen hatte, so daß sie nicht zu je<strong>de</strong>rZeit in <strong>de</strong>r Lage war, ihre Hoheitsrechte in <strong>de</strong>r Konfessionsfragein Schlesien auch wirklich durchzusetzen. ImGegenteil, sie sah sich wie<strong>de</strong>rholt sogar zum Abschluß vonVerträgen mit <strong>de</strong>n Protestanten gezwungen – etwa <strong>de</strong>mMajestätsbrief Rudolfs II. von 1609, <strong>de</strong>m Dresdner AkkordFerdinands II. von 1621 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Prager Frie<strong>de</strong>n von 1635–, weil die Kaiser auf die Unterstützung und Loyalität <strong>de</strong>rschlesischen Stän<strong>de</strong> angewiesen waren. Selbst im WestfälischenFrie<strong>de</strong>n von 1648 sind <strong>de</strong>n evangelischen Schlesiernim Blick auf die freie Religionsausübung in <strong>de</strong>n HerzogtümernLiegnitz, Brieg und Wohlau, Münsterberg-Oelsund Breslau und durch die Genehmigung zum Bau von dreiFrie<strong>de</strong>nskirchen noch Son<strong>de</strong>rkonditionen eingeräumt wor<strong>de</strong>n.Überschätzen sollte man <strong>de</strong>rartige Zugeständnisse allerdingsnicht. Rechtlich befand sich <strong>de</strong>r schlesische Protestantismuswährend <strong>de</strong>r gesamten habsburgischen Zeit,also von 1526 bis 1740, auf schwanken<strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Alsösterreichische Landstän<strong>de</strong> waren die schlesischen Fürstenkeine Reichsstän<strong>de</strong>, während die habsburgischen Kaiserstets am längeren Hebel saßen und sich leisten konnten, gemachteZusagen o<strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nerweisungen wie<strong>de</strong>r zurückzunehmenund sich in ihrer antiprotestantischen Religionspolitikauch durch gültige Verträge nicht wirklich beeinflussenzu lassen.Der zweite für das Überleben <strong>de</strong>s Protestantismus sehrviel wichtigere Umstand war die Umsicht und die Entschlossenheit,mit <strong>de</strong>r die schlesischen Stän<strong>de</strong> ihre Sacheselbst in die Hän<strong>de</strong> genommen, die Reformation eingeführtund <strong>de</strong>n Ausbau von Lan<strong>de</strong>skirchen und eines protestantischenSchulwesens in ihren Län<strong>de</strong>rn betrieben haben. Siehaben <strong>de</strong>n Kaiser nicht gefragt, son<strong>de</strong>rn ihrerseits zugegriffenund sich so verhalten, als wären sie <strong>de</strong>n Stän<strong>de</strong>n imReich gleichgestellt und besäßen das jus territorii sivereformandi. Weil dieses Vorgehen aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Kaisersletztlich Aufruhr be<strong>de</strong>utete und bei geeigneter Gelegenheitzu korrigieren wäre, mußten sie darauf bedachtsein, ihre Lan<strong>de</strong>skirchen in einem möglichst unangreifbarenZustand zu erhalten. Die Kirchenordnungen, die auchdiese Perspektive im Blick haben, sollten die Ausrichtung<strong>de</strong>s Lebens, aber vor allem die Ausrichtung <strong>de</strong>r Lehre regeln.Das geschah regelmäßig mit <strong>de</strong>m ausdrücklichenHinweis auf die Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r Confessio Augustanavon 1530, weil nach Artikel 5 neben <strong>de</strong>n Römisch-Katholischen nur <strong>de</strong>ren Angehörige in <strong>de</strong>n Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>neingeschlossen waren. Dagegen sollen allean<strong>de</strong>re, so obgemelten bei<strong>de</strong>n religionen nit anhengig, indiesem frie<strong>de</strong>n nit gemeint son<strong>de</strong>rn genzlich ausgeschlossensein. Das heißt: Wenn die Evangelischen in Schlesienzu <strong>de</strong>n im Reich anerkannten Religionsverwandten AugsburgerKonfession gehören wollten, mußten sie die unanfechtbareGeltung und Beachtung <strong>de</strong>r Confessio Augustanagarantieren – mit <strong>de</strong>r Folge, daß sie sich gleichzeitig gegenalle nicht anerkannten religiösen Nebenströmungenwie Schwenckfel<strong>de</strong>r, Calvinisten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re „Neuerungen”unmißverständlich abgegrenzt haben.Neben <strong>de</strong>r theologischen Kritik an <strong>de</strong>n Reformierten istes die Überlebensangst <strong>de</strong>r Lutheraner, die sie auf je<strong>de</strong>auch nur geringe <strong>ca</strong>lvinistisch verdächtige Abweichungvon <strong>de</strong>r Augustana höchst empfindlich reagieren ließ. Diesepolitisch und kirchenpolitisch notwendige Wachsamkeitim Blick auf die Reinhaltung <strong>de</strong>r Lehre hat das Luthertumin Schlesien konserviert. Sie hat ihm aber auch gescha<strong>de</strong>t.Freiere Geister, in <strong>de</strong>r Regel Schüler Melanchthons, hattenSchwierigkeiten, sich in einem Klima zunehmen<strong>de</strong>r Ängstlichkeit,Unfreiheit, Verdächtigung bis hin zur Denunziationzu halten. Reihenweise Auswan<strong>de</strong>rungen von hochqualifizierten Reformierten, waren die Folge.Der dritte für das Überleben <strong>de</strong>s Protestantismus günstigeUmstand war <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rholte Einsatz <strong>de</strong>r protestantischenStaaten – beson<strong>de</strong>rs Schwe<strong>de</strong>n, Sachsen, Bran<strong>de</strong>nburg– für die Glaubensgenossen in Schlesien. Das wohlbeste Beispiel dafür dürfte <strong>de</strong>r schwedische König KarlXII. (1682-1718, reg. 1697-1718) sein, <strong>de</strong>r Kaiser Josef I.(1678-1711, Kaiser 1705-1711) zwang, <strong>de</strong>r AltranstädterKonvention (1707-1709) mit ihrer Besserstellung <strong>de</strong>rEvangelischen zuzustimmen – durchaus auch zu seinemeigenen Vorteil. Denn seit <strong>de</strong>r Konvention von Altranstädtgehörte das schlesische Luthertum für Wien nicht mehr zu<strong>de</strong>n verdächtigen und vernichtungswürdigen religiösen Bewegungen,son<strong>de</strong>rn zu <strong>de</strong>n verantwortlichen, staatstragen<strong>de</strong>nKräften im politischen System. Die Konsistorien inLiegnitz, Brieg und Wohlau wur<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>reröffnet. IhreAufgabe war die staatskonforme Lenkung und Auswahl <strong>de</strong>rPfarrer und Lehrer bei gleichzeitiger Erkennung und Ausschaltungvon unerwünschten Elementen – Schwenckfel<strong>de</strong>rn,Calvinisten, Pietisten. Ganz überzeugt von <strong>de</strong>m neuenBun<strong>de</strong>sgenossen ist <strong>de</strong>r katholisch-österreichische Staatallerdings auch jetzt noch nicht. Darum wird die Stelle <strong>de</strong>sPräsi<strong>de</strong>nten eines Konsistoriums jeweils mit einem katholischenAdligen besetzt, <strong>de</strong>r vom Hof in Wien bestellt ist.Die Konsistorien aber sind damit offiziell kaiserlich-lutherischeBehör<strong>de</strong>n zur Überwachung <strong>de</strong>s schlesischen Protestantismus.
BEITRÄGE 89Ein Görlitzer Spielplatz, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>utschen und polnischen Kin<strong>de</strong>rn gleichermaßen angenommen ist.Warum können wir nicht sein, wie die Kin<strong>de</strong>r...ANDREAS NEUMANN-NOCHTENFoto: ANNAm Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Altstadt von Görlitz liegt <strong>de</strong>r Stadtpark.Kenner wollen wissen, daß er nach Plänenvon Lenné angelegt wur<strong>de</strong>. Es ist kein son<strong>de</strong>rlichgroßes Areal, das er umschließt, aber es ist allemal großgenug, um einer stattlichen Zahl von ErholungswilligenRaum zu bieten, ohne daß sie sich durch an<strong>de</strong>re Spaziergängerbedrängt fühlen müßten. An <strong>de</strong>ssen einer Seite istvor etlichen Jahren ein weitläufiger Spielplatz angelegtwor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich seither großer Beliebtheit erfreut. Hierfin<strong>de</strong>n die Jüngsten nicht nur ein paar Wippen, Schaukelnund Klettergerüste son<strong>de</strong>rn eine ganze Stadt im Kleinen –Wohnhäuser, eine Post, eine Wassermühle mit Bachlauf,eine Polizeistation mit Gefängnis, ein wehrhaftes Turmgebäu<strong>de</strong>und viele Dinge mehr, die ihre Phantasie und ihrenSpieltrieb beflügeln. Alle Gebäu<strong>de</strong> sind übrigens zweisprachigbeschil<strong>de</strong>rt.Die unmittelbare Nähe zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Grenzbrückenund die Tatsache, daß sich die ohnehin wenigen Spielplätzein <strong>de</strong>r Oststadt in äußerst trostlosem Zustand befin<strong>de</strong>nbringt es mit sich, daß auch viele polnische Familien mitihren Kin<strong>de</strong>rn hier anzutreffen sind. Mitunter, zumal in <strong>de</strong>nVormittagsstun<strong>de</strong>n, stellen sie sogar <strong>de</strong>n Hauptanteil <strong>de</strong>rSpielplatznutzer.So auch an einem sonnigen Vormittag im April diesenJahres. Meine achtjährige Tochter hatte schulfrei und hattesich in <strong>de</strong>n Kopf gesetzt „endlich mal wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m großenSpielplatz herumtoben” zu wollen. Natürlich hegte siedie Hoffnung dort irgen<strong>de</strong>ine Freundin aus <strong>de</strong>r Schule o<strong>de</strong>raus Kin<strong>de</strong>rgartentagen anzutreffen. Allerdings stellte sichbei unserem Eintreffen heraus, daß dieser ungeäußerteWunsch auch ein solcher bleiben wür<strong>de</strong>. Viele Kin<strong>de</strong>r tolltenherum, aber kein einziges sprach <strong>de</strong>utsch. Nun verfügenKin<strong>de</strong>r ja – Gott sei Dank! – weit mehr als wir Erwachsenenüber die Gabe nonverbaler Kommunikation undso sah ich meine Tochter alsbald mit zwei gleichaltrigenpolnischen Jungen wild durchs Gehege toben. Auf <strong>de</strong>nBänken am Ran<strong>de</strong> saßen, das Tun ihrer Sprößlinge beobachtend,Elternpaare, aber auch einzelne Väter und Mütter– ein Großteil noch in einem Alter, daß sie auch gut meineKin<strong>de</strong>r hätten sein können.Es kam, wie es kommen mußte und immer wie<strong>de</strong>r passiert,bei einer ihrer Spielaktionen rempelte meine Tochtermit einem <strong>de</strong>r Jungen zusammen und purzelte rückwärtsvon einem Po<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n weichen Sand. Da lag sie nun undzog ein Gesicht, als wisse sie noch nicht so genau, ob sieweinen o<strong>de</strong>r lachen solle. Aber ehe sie sich entschie<strong>de</strong>n