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#1 Grundrecht Internetfreiheit - Co:llaboratory

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Bernd Holznagel / Pascal Schumacher · Die Freiheit der Internetdienste„Internet-Presse“ dem grundgesetzlichen Rundfunkbegriffzu. Da der Internetauftritt der öffentlich-recht -lichen Rundfunkanstalten heute von ihrem Grundversorgungsauftragumfasst sei (vgl. §§ 11 a, 11 d RStV),dürften sie sich auch der im Internet üblichen Mittelbedienen, also auch Text-Bild-Seiten verbreiten. DerGrundversorgungsauftrag der Anstalten könne insoweit„zu einem im Verfassungsrecht angelegten unddurch dieses gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil beiInternetangeboten“ führen.2Papier kann sich bei der von ihm vorgenommenenZuordnung an die Allgemeinheit gerichteter Internetdienstezum Rundfunkbegriff auf die ganz herrschendeMeinung in Rechtsprechung und juristischemSchrifttum berufen. Sie grenzt den Presse- vomRundfunkbegriff ausschließlich anhand der Verbreitungsform(verkörperte vs. unverkörperte, per elektronischeSchwingungen übertragene Kommunikationsinhalte)ab. Eine Abweichung von diesem Kriterium– so wird argumentiert – würde zu einer Verwässerungder notwendigen Abgrenzung führen. TrennscharfeAbgrenzungskriterien sind u. a. deswegen sowichtig, weil die Zuordnung eines Dienstes zu Presseoder Rundfunk mit einem unterschiedlichen Ordnungsrahmenverknüpft ist, der erhebliche Auswirkungenauf seine Zulässigkeit und Ausgestaltunghaben kann. Dies zeigt exemplarisch die bereitserwähnte Diskussion um die Internetangebote deröffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Allenfallsbei einer bloßen elektronischen Wiedergabe dergedruckten Ausgabe (sog. elektronische Kopie) wirdunter dem Gesichtspunkt einer entwicklungsoffenen<strong>Grundrecht</strong>sinterpretation eine Ausnahme vorgesehen.Diese Sichtweise ist nicht ohne Kritik geblieben.Da hiernach nahezu jede Onlineverbreitungvon Kom munikationsinhalten der Rundfunkfreiheitzugeordnet wird, entwickele sich diese zu einer Art„Supergrundrecht“.3In der Tat entsteht damit die Gefahr, dass auch dieOrdnungsprinzipien der Rundfunkfreiheit (Schaffungeiner positiven Rundfunkordnung, strenge Standardsim Hinblick auf den Vielfalts- und Jugendschutz etc.)unbesehen auf das Internet übertragen werden. Zudemist zu beachten, dass sich bei einer solchen Abgrenzungder verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff immermehr von seiner einfachgesetzlichen Fassungentfernt. Dieser ist infolge der euro päischen Richt linieüber audiovisuelle Mediendienste im Wesent lichenauf lineare Dienste, also solche, die der Zuschauer„passiv“ empfängt, begrenzt worden. Demgegenübererfasst der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriffbislang nahezu jede Verbreitung von Kommunikationsinhaltenim Internet, also auch solche mit einemhohen Maß an Interaktivität. Juristische Begriffsbildungendienen auch der Rechtsklarheit undRechtssicherheit. Bei der jetzt vorgenommenen Einteilungkönnen diese Ziele aber nur unzureichenderreicht werden.3.Besonderheiten derInternetkommunikationSchließlich trifft auch die Konstruktion von Rundfunk-und Pressefreiheit als Vorkehrungen gegen dieGefährdungen einer One-to-many-Kommunikation4nicht die besonderen Gefährdungslagen bei Internetdiensten.One-to-many-Kommunikation der MassenmedienDie Begegnungs- und Versammlungsöffentlichkeiterreicht naturgemäß nur einen limitierten Personenkreis.Um viele Menschen zu erreichen, musste manherkömmlicherweise seine Nachricht durch Massenmedien,also Rundfunk und Presse, verbreiten. DerZugang zur demokratischen Öffentlichkeit ist bei dermassenmedialen One-to-many-Kommunikation aberstark limitiert und wird zudem durch Gatekeeperkontrolliert. Terrestrische Frequenzen und Kabelkanälesind knapp und dürfen nur genutzt werden,wenn hierfür eine Genehmigung vorliegt. Die Kosten16 17für die Programmherstellung sind hoch. Die Gründungeiner Tageszeitung ist schwierig. Jedenfalls hates in der Bundesrepublik über lange Zeit hinwegkeinen neuen Marktzutritt gegeben.Die Publikationsentscheidungen werden in einer solchenKommunikationslandschaft insbesondere vonRe daktionen und Medieneigentümern getroffen.Funk tionseliten aus Staat und Wirtschaft haben hierweitaus größere Einflusspotenziale als das Publikum.Sie können sich über Werbeetats und Public RelationsAufmerksamkeit verschaffen. Zudem haben die Mediennutzerwenige Möglichkeiten für ein Feedback. Sieverbleiben in einer passiven, konsumierenden Rolle.Unter diesen Bedingungen der Herstellung politischerÖffentlichkeit ist das Bundesverfassungsgerichtdarum besorgt, dass die Möglichkeiten der Gatekeeperzur Beeinflussung individueller und kollektiverWillensbildung nicht zu groß werden. Dementsprechendhat es Vorkehrungen zur Begrenzung vonMeinungsmacht und Angebotsvielfalt eingefordert.Zudem gilt es zu verhindern, dass staatliche Einflussnahmeauf die Gatekeeper überhandnimmt.5 Rechtsdogmatischfindet diese Sichtweise Ausdruck in derFormel von der Rundfunkfreiheit als einer „dienendenFreiheit“. Die Presse soll, wie es in den Landespressegesetzenheißt, eine „öffentliche Aufgabe“ wahrnehmen.Massenmedien werden so verpflichtet, für Meinungsvielfaltzu sorgen. Nur so können sich dieBürger umfassend informieren und an der demokratischenWillensbildung mitwirken.6 Zudem gilt derGrundsatz, dass die medialen Gatekeeper staats- undgruppenfern sein müssen. Die Medien dürfen wederdem Staat noch einzelnen gesellschaftlichen Gruppenoder Unternehmen ausgeliefert werden.Many-to-many-Kommunikation im InternetDiese Lage hat sich mit dem Internet grundlegendgewandelt – es löst die Gatekeeper-Rolle zugunstendes Publikums auf.7 Die Knappheit der Übertragungskapazitätenwird überwunden. Jedermann kann ohnegroßen finanziellen Aufwand publizieren. Die Kommunikationwandelt sich von einer einseitigen undzentralen zu einer dezentralen und vernetzten Kommunikation.Wichtige Folge dieser neuen Many-to-many-Kommunikationist, dass jetzt auf einer Plattform alle Formenvon Öffentlichkeit vereint werden. Die Angebotsvielfalterweitert sich. Informationen, die bishernur auf Anstecktafeln oder Flugblättern zu findenwaren, sind nun neben den Angeboten der herkömmlichenMassenmedien vereint im Internet. Die Angebotsvielfaltgewinnt auch in qualitativer Hinsicht.Jeder Bürger und jede Gruppe kann ihre Ansichtenvertreten und erhält so eine Chance, am Meinungsstreitteilzunehmen. Damit wird es möglich, auchAngebote von Minderheiteninteressen abzubilden,die sich unter dem massenmedialen Öffentlichkeitsmodellnicht finanzieren ließen.Des Weiteren verliert der Journalismus sein Meinungsbildungsmonopol.Die Redaktionen als filterndeund prüfende Instanz können umgangen werden.Damit kommt es zu einschneidenden Kontrollverlustender bisherigen Profiteure der massenmedialenKommunikation. In einem globalen Datennetz istkaum nachvollziehbar, wie viele Mediennutzer dieInformation zur Kenntnis nehmen, wer dies tut undmit welchen Motiven. Das Phänomen, dass es immerweniger möglich wird, die öffentliche Diskussiondurch eine überschaubare Zahl von Politikern, Juristen,Managern und Redakteuren zu steuern, dürfteerhebliche Auswirkung auf die Politik haben. Auchkleine Anbieter können sich im Internet Wort verschaffen.Sie streben nach Anerkennung und Aufmerksamkeit,selbst wenn es nichts zu verdienen gibt.In einem solchen Umfeld steuert sich Öffentlich -keit oft nur noch durch Öffentlichkeit. Im Internetkönnen die Mediennutzer erstmals effektiv aufdie Medienangebote reagieren. Es kommt zu einer2 Kritisch zu dieser Schlussfolgerung Hachmeister / Festing, FK 13 / 2011, 3 (8 f.).3 Gersdorf, AfP 2010, 421.4 Zur begrifflichen Differenzierung zwischen „One-to-one“-, „One-to-many“- und „Many-to-many“-Kommunikationvgl. bereits Kiousis, new media & society, 4. Jg., 2002, 355 (372).5 Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 2001, Art. 5 Rn. 141.6 Hierzu Holznagel, VVDStRl 2008, 383 ff.7 Hierzu Neuberger, in: Diemand / Hochmuth / Lindner / Weibel (Hrsg.), Ich, Wir und Die Anderen.Neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potenzialen II, 2009, S. 188 ff.

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