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#1 Grundrecht Internetfreiheit - Co:llaboratory

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ReplikAlvar Freude · Das Internet und die Demokratisierung der ÖffentlichkeitDas Internet unddie Demokratisierungder ÖffentlichkeitAlvar Freude, Sachverständiger der Enquete-Kommission „Internet unddigitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages und Mitglied des AK ZensurDas Internet hat sich in den letzten Jahren verstärktals besonderer Raum der Kommunikationsfreiheitenetabliert. Insbesondere die auch über das Netz koordiniertenRevolutionen in Nordafrika haben gezeigt,welches Potenzial eine freiheitliche Kommunikationsinfrastrukturmit sich bringt.Aber auch in Deutschland konnten wir sehen, wie dasInternet für eine Demokratisierung der Öffentlichkeitsorgt. Beispielhaft seien die Katastrophe bei derLove parade 2010 und die Proteste gegen Stuttgart 21erwähnt: Behauptungen von im analogen Zeitalterstecken gebliebenen Akteuren konnten schnellwiderlegt werden. Durch die Allgegenwärtigkeit von(Handy-) Kameras und Online-Videoportalen warschnell klar, dass die Opfer von Duisburg nicht dadurchzu Tode kamen, dass sie auf Masten geklettertund heruntergefallen sind, sie also kurz gesagt selbstSchuld seien. Und als die Landesregierung in Stuttgartnach der gewaltsamen Parkräumung am 30. September2010 noch behauptete, die Demonstranten hättenPflastersteine auf Polizisten geworfen, konnte sich jederim Internet bereits ansehen, wie Polizisten mit Pfefferspraygegen friedliche Demonstranten vorgingen.Bei den Protesten gegen Stuttgart 21 war das Internetein wichtiges Informations-, Kommunikations- undKoordinierungs-Medium: Die beiden örtlichen Zeitungenhatten sich offiziell für das Projekt eingesetzt,auch beim lokalen Rundfunk SWR haben die Tiefbahnhof-Gegnerkritische Stimmen vermisst. Durchdas Internet konnten kostengünstig und einfachInfor mationen verbreitet und Aktionen koordiniertwerden. Ohne Internet wäre der Widerstand sicherlichdeutlich schwächer gewesen.Seit Jahren fragt sich die Politik, wie sie mit demInternet umgehen soll. Die bisher geltende Regulierungversucht es in vielen Bereichen ähnlich demRundfunk zu behandeln – schließlich sieht so ein<strong>Co</strong>mputermonitor auch irgendwie einem Fernseherähnlich. Das Internet ist aber kein zweites Fernsehen,keine Weiterentwicklung des Rundfunks. Es ist einweltweites Kommunikationsmedium: Es erlaubt alledenkbaren Kommunikationsmöglichkeiten mit beliebigerAnzahl an Teilnehmern, die Empfänger, Senderoder beides zugleich sein können. Das Internet istsomit Telefon und Rundfunk, Zeitung und Flugblatt,Stammtisch und Eckkneipe, Uni-Vorlesung undTalkshow, Kaufhaus und Bibliothek, Zeitschrift undVideothek – vergleichbar all jenem und doch nichtanalog dazu. Diese Vielfältigkeit und den globalenCharakter des Mediums muss jeder Regulierungsansatzbeachten.Wie unpassend der derzeitige Regulierungsansatz ist,zeigt wiederum der Protest gegen Stuttgart 21: Beifluegel.tv (http://fluegel.tv) konnten Interessierte Live-Berichte vom Nordflügel des Bahnhofes, aus demPark und von diversen Geschehnissen via Internetanschauen. Der Bürgerjournalismus hat das geleistet,wozu die regionalen Fernsehsender nicht in der Lage4647waren. Wer aber regelmäßig in Bild und Ton berichtetund mehr als 500 Zuschauer hat, benötigt lautRundfunkstaatsvertrag auch im Internet eine Sendelizenz– ein Überbleibsel aus analogen Zeiten undFolge der dortigen Frequenzknappheit. Strenggenommen waren die Übertragungen also illegal.Auch wenn das Problem in diesem Falle gelöst werdenkonnte: Man muss sich fragen, ob es zeitgemäßist, Online-Medien wie den Rundfunk zu behandeln.Ähnliche Probleme ergeben sich auch in anderenBereichen, beispielsweise beim Jugendschutz.Die netzpolitische Diskussion in den vergangenenJahren ist geprägt von der Frage, wie mit Inhaltenumgegangen werden soll, die im Ausland ins Internetgestellt werden und hierzulande illegal sind. Bei Darstellungensexuellen Missbrauchs von Kindern (oftverharmlosend „Kinderpornografie“ genannt) sind sichin Deutschland in der Zwischenzeit alle im Bundestagvertretenen Parteien einig: Die Inhalte sollen anOrt und Stelle entfernt werden. Schließlich sind sienicht nur weltweit verboten, sondern auch geächtet.Bei verschiedenen anderen Inhalten kommt die alteSperr-Diskussion aber immer wieder auf: IllegaleInhalte sollten in Deutschland „gesperrt“ werden,quasi mit dem digitalen Äquivalent zum Störsender.Es wird Zeit, dass die Politik akzeptiert, dass jede Artvon Internet-Sperren eine Form der Zensur ist, sichgegen die Rezipientenfreiheit aus Art. 5 GG wendetund zu unterbleiben hat. Denn die Informations- oderRezipientenfreiheit – also das Recht eines jeden, sichaus allen öffentlich zugänglichen Quellen frei zuunter richten – ist ein wesentliches Element unsererwehrhaften Demokratie. „Feindsenderverbote“ hingegensind Kennzeichen autoritärer Regime. Nacheinem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den1960ern im Fall „Einfuhrverbot / Leipziger Volkszeitung“(BVerfGE 27, 71) umfasst das Recht, sichfrei zu unterrichten, sowohl die schlichte Informationsaufnahmeals auch die aktive und ungehinderte Informationsbeschaffung.Ungehindert bedeutet dabei freivon rechtlich angeordneter oder faktisch verhängterstaatlicher Abschneidung, Behinderung, Lenkung,Registrierung und sogar „frei von unzumutbarerVerzögerung“. Für in der digitalen Gesellschaft angekommeneMenschen ist dies selbstverständlich.Es wird Zeit, dass dies auch bei den „Offlinern“selbstverständlich wird.Aber nicht nur die absolute Blockade ausländischerInhalte ist eine Gefahr für das demokratischeGemeinwesen. Viel schleichender ist die Informationsblockadeund mangelnde Transparenz bei Suchmaschinen.Und dabei ist nicht das Verfahrengemeint, das einzelne Fundstellen nach vorne undandere nach hinten katapultiert, sondern das wenigerbekannte komplette Ausfiltern und Unterdrücken vonErgebnissen. In Deutschland sind dabei TausendeWebseiten betroffen. Dazu gehören nicht nur solche,die auf den beiden geheimen Listen der „Bundesprüfstellefür jugendgefährdende Medien“ stehen, sondernauch viele andere, die häufig aufgrund anwaltlicherDrohungen aus den Ergebnislisten gestrichen werden.So entledigen sich einige Unternehmen Kritik undversuchen die freie Meinungsäußerung einzuschränken,indem sie nicht gegen den Autor der betreffendenInhalte vorgehen, sondern seine Auffindbarkeitzunichte machen. Und der Autor kann sich nur schwerwehren. Da viele Journalisten heutzutage auch primärdie gängigen Suchmaschinen nutzen, hat dies wiederumAuswirkung auf die öffent liche Berichterstattung:Was Google nicht findet, das gibt es nicht.Das Internet bietet ganz neue Herausforderungen dabei,unsere verfassungsrechtlichen Kommunikationsgrundrechtezu sichern. Es wird Zeit, dass es auch aufbreiter Basis als Chance wahrgenommen wird – undnicht als merkwürdiges, gefährliches Gebilde, das eszu regulieren gilt. Denn ein rechtsfreier Raum wardas Internet noch nie.

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