Bernd Holznagel / Pascal Schumacher · Die Freiheit der Internetdienstepriorisieren.13 Offenbar ist auch ihre inhaltliche Manipulationund Inspektion nicht ausgeschlossen. Privatekönnen sich dann Vorteile im Meinungskampfsichern, wenn sie diese Techniken einsetzen.14 Soweitdadurch Vielfaltsicherung und kommunikative Grundversorgungim Internet gefährdet werden, ist derGesetzgeber zur Gewährleistung der Internetdienstefreiheitaufgerufen, dem im Sinne einer freien und offenenInternetkommunikation entgegenzutreten. Dennim Mittelpunkt des Schutzes der Internetdienstefreiheitsteht der geistige Meinungsstreit. Beeinflussungen,die auf wirtschaftlichem oder sonstigemZwang beruhen, sind hiermit nicht zu vereinbaren.Insgesamt erlaubt es die Internetdienstefreiheit, spezifischePhänomene eines neutralen Datentransportsdeutlich besser zu erfassen als bisher. Bspw. erfasstdas Prinzip der Transportfreiheit, das im Kontext dergegenwärtigen Medienfreiheiten keinen breiten Platzeingenommen hatte, im Rahmen der Internetdienstefreiheitnun nicht nur die Blockade, sondern auch einegezielte Verzögerung und inhaltliche Manipulationeines Datenpakets. Damit wird ein hinreichenderIntegritäts- bzw. Authentizitätsschutz für an die Allgemeinheitgerichtete Kommunikationsdaten gewährleistet.Auf Grundlage der Internetdienstefreiheit istschließlich zu gewährleisten, dass der Staat sich nichtdieser neuen Techniken bemächtigt, um die Verbreitungihm unliebsamer Meinungen zu behindern oderihm genehme Meldungen bevorzugt zu verbreiten.Man stelle sich nur vor, dass der Blog der Kanzlerinzukünftig prioritär über das Netz verbreitet wird.Der aktuelle Regierungsentwurf zur Novellierung desTKG vertraut hierzu im Wesentlichen auf Transparenzregeln.Der Verbraucher soll darüber informiertwerden, ob der Netzbetreiber sich an die Grundsätzeder Netzneutralität hält oder nicht.15 Da die TK-Regulierung Wettbewerb sichere, könne der Verbraucherden ihm genehmen Anbieter aussuchen. DiesePrämisse wird häufig mit dem Hinweis auf die hohenWechselkosten bestritten. Hier wäre ein Sonderkündigungsrecht,mit dem der Verbraucher unmittelbarauf eine solche Einschränkung reagieren könnte, hilfreich.Des Weiteren könnte die Beweislage im Falleder Qualitätsminderung aufseiten der Endkundenverbessert werden, etwa durch eine Beweislastumkehr.Die Instrumente führen indes nicht weiter,wenn es im Markt keine Auswahl unter verschiedenenAngeboten gibt. Dann bedarf es weitergehenderRegelungen, wie z. B. der Festlegung einer Mindestqualitätfür das Netz oder Vorgaben für ein Diskriminierungsverbot,wie wir es aus der amerikanischenDebatte kennen. Innerhalb einer vom Endkundengewählten Dienstequalität- und Preiskategorie solltendie Kommunikationsinhalte und Dienste mit gleicherPriorität transportiert werden. Hierdurch kann dasGebot der kommunikativen Chancengleichheit gewährleistet werden. Zudem bietet es sich aus Gründender kommunikativen Grundversorgung an, hinreichendeBandbreiten für einen Best-Effort-Basis dienstzu reservieren.16OrientierungOrientierung in der Informationsflut des Internetsgeben vor allem Suchmaschinen. Sie bestimmen maßgeblich,welche Informationen der Nutzer zur Kenntnisnimmt. Dementsprechend groß sind die Manipulationsmöglichkeiten.Da dies zu Vielfaltsverlustenführen kann, ist der Staat aufgerufen, zu beobachten,ob bei der Suche unangemessen diskriminiert wirdund ob Gegenmaßnahmen erforderlich sind.Eine sektorspezifische Regulierung für die Naviga tiongibt es im Internet nicht. Sie ist für ein globales Netzauch kaum vorstellbar. Eine gewisse steuernde Funktionübernimmt ein Verhaltenskodex, der von denSuch maschinenbetreibern in Kraft gesetzt wurde.Zukünftig könnte ein Gütesiegel eingeführt werden,welches die Verlässlichkeit der Informationssuchebewertet. Das Verhalten der Suchmaschinenbetreiber13 Hierzu Expertenkommission Forschung und Innovation, Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischerleitungsfähigkeit, 2011, S. 65. Schlauri, Network Neutrality, 2010, S. 163 f.14 Auf Seiten der Unternehmen ist der Einsatz neuer Netzwerkmanagementtechniken ökonomisch motiviert. So dieAussagen der DTAG und von Ver.di in: https: // tk-it.verdi.de / archiv / 2011 / komm-03_2011 / data / KOMM03_2011.pdf15 §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 43 a, 45 n, 45 o TKG-E.16 Holznagel, K & R 2010, 95 ff.20 21sollte kontinuierlich beobachtet werden. Werden Manipulationenaufgedeckt, ergeben sich aus der Internetdienstefreiheitfür die staatlichen Stellen zumindestInformationspflichten.QualitätKritiker schreiben dem Internet den Verlust von Kulturtechnikenwie dem Lesen von Büchern und einenRückgang der Allgemeinbildung gerade im Bereichdes Politischen zu.17 Derzeit ist aber noch nichtabschätzbar, inwiefern diese vor allem in den USA zubeobachtenden Phänomene auch in Deutschlandihren Niederschlag finden. Vieles wird davon abhängen,wie das Problem der inhaltlichen Qualität undder Glaubwürdigkeit im Netz gelöst wird. Vielfaltverluste bei der politischen Kommunikation lassensich derzeit insbesondere im lokalen und regionalenBereich feststellen. Hier könnte die finanzielleFör de rung von Blogs, Online-Plattformen oder Diskussionsforenhelfen, um diese Defizite abzubauen.Solche Zuwendungen sind im Rahmen der Internetdienstefreiheitzulässig, soweit sie meinungsneutralvergeben werden.Zusammenspiel von Journalismus undNetzgemeindeJournalisten nehmen auch im Internet eine wichtigeModeratorenrolle ein. Gerade das Beispiel um die Plagiatsaffärezu Guttenberg hat gezeigt, wie effektiv einZusammenspiel von Journalisten und Netzgemeindefunktionieren kann. Vor diesem Hintergrund solltenzur Ausgestaltung der Internetdienstefreiheit Anreizefür eine gute Ausbildung von im Online-Bereich tätigenJournalisten und Bloggern gesetzt werden. Auskunftsrechtenach den Landespresse gesetzen könntenz. B. an einen Qualifikationsnachweis gebunden werden.Auch Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeitder Journalisten gegenüber wirtschaftlichenVorgaben der Verleger sind wünschenswert.Die Öko nomisierung der Medienmärkte erfordert eineneue, intensive Debatte über binnenpluralistischeSiche run gen der Medienfreiheiten wie Drittsenderechte,Programmbeiräte oder auch Redaktionsstatute.Internet für alleFerner sind Anstrengungen erforderlich, möglichstvielen Bürgern Zugang zur Internetöffentlichkeitzu ermöglichen. Es gehört zu den Voraussetzungeneiner funktionierenden demokratischen Öffentlichkeit,dass die Vermittlungsleistung der Medien möglichstüberall in Anspruch genommen werden kann.Dieses Anliegen spiegelt sich im verfassungsrechtlichabgesicherten Konzept einer flächendeckendenGrund versorgung wider (Art. 87 f. Abs. 1 GG). DerBund hat mit seiner Breitbandstrategie ambitionierteZiele formuliert und mit zahlreichen neuen Instrumentenwie dem Breitbandatlas, der Versteigerungneuer Funkfrequenzen und Förderprogrammen denAusbau der Netze konsequent vorangetrieben. Inwieferndie Universaldienstleistungskonzeption des Telekommunikationsrechtsum das Ziel der flächendeckendenVersorgung mit Breitbandinternet erweitertwerden soll, wird derzeit breit diskutiert. Beachtlichsind die Initiativen vieler Gemeinden, eigene Netzeaufzubauen, um so die Versorgung ihrer Bürger zuverbessern.Gemeinsames KooperationsgremiumBund / LänderAngesichts der Medienkonvergenz stellt sich schließlichfür die Netzpolitik die Frage nach einer institutionellenNeuordnung ihrer Aufsichtsstrukturen. DieZersplitterung zwischen den verschiedenen Behördendes Bundes und der Länder im Informations- undKommunikationsbereich wird bereits seit langemkritisiert.18 Eine Single-Regulator-Lösung nachbritischem Vorbild ist in Deutschland nur im Wegeeiner Verfassungsänderung möglich. Als Alternativekommt folglich nur die Schaffung transparenterKoopera tionsmechanismen zwischen Bund und denLändern in Betracht. Es ist daher zu erwägen, fürBereiche der Netzpolitik, die (wie die Netzneutralität)17 Bauerlein, The Dumbest Generation: How the Digital Age Stupefies Young Americans and Jeopardizes Our Future(Or, Don’t Trust Anyone Under 30), 2008.18 Zuletzt Hachmeister / Festing, FK 13 / 2011, 3 (10).
gleichermaßen telekommunikations- und pluralitätsrechtlicheFragestellungen betreffen, ein Gremium zugründen, in dem die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten(ALM) und die Bundesnetzagenturzum regelmäßigen Austausch und zur Koordinationverpflichtet werden.6. FazitMit der Anerkennung einer Freiheit der Internetdienstekönnen Verfassungsrecht und -politik im21. Jahrhundert ankommen. Die damit einhergehendeBegriffsbildung dient der Schaffung von Rechtssicherheit,und sie begegnet einer am Realbereich derVerfassungsnorm vorbeigehenden Überdehnung desRundfunkbegriffs. Die Verästelungen der herkömmlichenDogmatik der Rundfunkfreiheit werden z. B.von der jetzigen Generation der Jurastudenten, soweitsie sich jedenfalls auf das Internet bezieht, als antiquiertbetrachtet.einer Internetdienstefreiheit schließlich auch, dieAktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunksund anderer öffentlicher Anbieter im Internet auf eineneue Legitimationsgrundlage zu stellen. Bestrebungen,die Rundfunkanstalten durch eine Zuordnungihrer Dienste zur (privatwirtschaftlich organisierten)Presse aus dem Internet zu verdrängen, kann so auchauf lange Sicht effektiv begegnet werden.22REPLIKDarüber hinaus lassen sich auf diese Weise auchSchutzlücken der gegenwärtigen Verfassungsdogmatikschließen. So hat die Analyse der Bedingungenund Gefährdungen von Internetkommunikation gezeigt,dass diese über die hergebrachte Dogmatik derRundfunk- und Pressefreiheit nicht mehr hinreichendabgebildet werden können. Zu sehr unterscheidensich die Funktionsbedingungen demokratischerWillensbildung im Many-to-many-KommunikationsraumInternet von denen der analogen Welt. Mit derInternetdienstefreiheit lassen sich demgegenüber spezifischePhänomene der Netzwelt passgenau erfassen.So hat z. B. die Sicherung eines neutralen Transportsvon Kommunikationsinhalten und diensten im Kontextder Rundfunkfreiheit nur eine untergeordneteRolle gespielt.19 Auf dieser Grundlage können rechtspolitischeLösungskonzeptionen erarbeitet und besserauf die Besonderheiten des Netzes eingestellt werden.STAKEHOLDERREGIERUNG UNDPARLAMENTDa mit der Zuordnung von Diensten zum jeweiligenKommunikationsgrundrecht auch immer ein Ordnungsmodellverknüpft wird, erlaubt die Anerkennung19 Anders ist dies bei der Pressefreiheit. Vgl. Kloepfer, AfP 2010, 120.