ReplikChristian Stöcker · Die Funktionsgrenzen nationaler PartikularlösungenDIE FUNKTIONSGRENZENNATIONALER PARTIKULAR-LÖSUNGENChristian Stöcker, Spiegel OnlineDas Internet ist keine schlichte Erweiterung herkömmlichermedialer Kanäle, keine Kombinationvon Rundfunk und Presse – und auch keine Kombinationvon Rundfunk, Presse, Telefon und Briefpost,auch wenn viele Menschen es derzeit in erster Linie indieser oder ähnlicher Weise nutzen. Insofern habenBernd Holznagel und Pascal Schumacher völligRecht, wenn sie eine umfassende rechtliche Neudefinitiondieses Bereichs fordern, um Internetdienstesinnvoll und zukunftsfähig einzuordnen.Die derzeit herrschende Rechtslage, die beispielsweisedie Anwendung des föderalen Medienrechts aufdas Netz und die darüber vermittelten Inhalte erforderlichmacht, führt zu absurden, Bürgern und Verbrauchernnicht mehr vermittelbaren Situationen.Dass Internetdienste über Rundfunk- und andereStaatsverträge reglementiert werden sollen, derentheoretische Grundlagen aus einer Zeit stammen, inder die von Holznagel und Schumacher beschriebeneOne-to-many-Kommunikation die Regel, in derdie physikalisch bedingte, zwangsläufige Knappheitmedi aler Vermittlungskanäle ein zentrales Merkmalmassenmedialer Kommunikation war, ist ein quälender,für den Gesetzgeber ebenso wie für Anbieter undPublikum hinderlicher Status quo.Dabei ist zu bedenken, dass gerade diese Kanal-Knappheit einer der entscheidenden Anlässe für diePrivilegien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war.Die Gefahr einer Informations-Monopolisierung durchprivate Anbieter ist in Zeiten allgegenwärtiger digitalerInformationsquellen aber schlicht nicht mehrgegeben. Eine Grundsatzdebatte über den Auftrag,die Rolle und die Finanzierung der öffentlich-rechtlichenSendeanstalten in dieser neuen, vom Inter netbeherrschten Medienwelt ist deshalb dringend geboten.Die derzeitige Kompromisslösung krankt nichtzuletzt daran, dass allen beteiligten Parteien durchdie überholten Begriffe, mit denen versucht wird,Journalismus und Unterhaltung im Netz zu beschreiben,sinnlose Verrenkungen abverlangt wurden.In vielen Fällen ist es zudem schlicht Zeitverschwendung,dass sich die deutsche Politik in gewundenen,praxisfernen, nationalen Partikularlösungen verzettelt,anstatt im Bezug auf die wirklich drängendenFragen, die das Netz aufwirft, mit Hochdruck nachinternational konsensfähigen Antworten zu suchen,in Kooperation mit Partnern, mit denen ja auch andereglobale Themen wie der Welthandel organisiert undreglementiert werden.Das Internet steht nicht in Deutschland. Zentrale,ausschließlich nationale Ansätze zur Kontrolle undReglementierung von Internet-Inhalten müssen deshalbfast zwangsläufig scheitern. Ein verantwortungsvollerpolitischer Umgang mit dem Netz undseinen Auswirkungen würde zuallererst voraussetzen,dass sich die beteiligten Parteien über die Grundstrukturdes weltumspannenden Gebildes klar werden,mit dem sie es da nun mal zu tun haben – und3233darüber, dass die besten Möglichkeiten, für Sicherheit,Jugendschutz und anderes zu sorgen, an dessenEndpunkten, auf den Rechnern der Nutzer ansetzen.Das Internet selbst ist „dumm“ und sollte es bleiben.Worum es geht, ist, intelligente Problemlösungen zufinden, da Innovation seit jeher dank der ständigwachsenden Internet-Leistungsfähigkeit auf den andas Netz angeschlossenen Endgeräten stattfindet.In einem Punkt muss man den Autoren aus journalistischerSicht allerdings widersprechen: Dass nur nochSuchmaschinen und Bewertungsplattformen bestimmen,welche Informationen der Nutzer online zurKenntnis nimmt, dass Journalisten „für die Qualitätsbewertungvon Kommunikationsinhalten weitgehendausfallen“, wie Holznagel und Schumacher schreiben,ist derzeit keineswegs zu beobachten.Das immense Wachstum der Nutzung gerade vonjournalistischen Onlineplattformen im Zusammenhangmit Ereignissen von globaler Relevanz wie demErdbeben und dem anschließenden Tsunami in Japan,der Reaktorkatastrophe von Fukushima oder denrevolutionären Bewegungen in Tunesien, Ägypten,Libyen und anderswo zeigt eines sehr deutlich: DasVertrauen in die verlässliche Orientierung, die eingeführteMedienmarken liefern, ist auch im Zeitalterdes Echtzeit-Webs und der Many-to-many-Kommunikationungebrochen. Die Verbreitungswege, aufdenen Nachrichten und andere Informationen Internetnutzererreichen, mögen vielfältiger geworden sein,doch das Bedürfnis nach glaubwürdiger, kompetenter,professioneller Berichterstattung ist dadurch nichtetwa kleiner, sondern eher größer geworden.
ReplikProf. Michael Rotert · Netzpolitik muss global orientiert seinNetzpolitik muss GLOBALorientiert seinProf. Michael Roterteco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V.Die Autoren bemerken in ihrer Einführung richtigerweisedie Entwicklungen und die wirtschaftlichenund sozialen Potentiale des Internets.Die damit verbundenen Veränderungen in der Gesellschaftund vor allem bei der Politik sind jedoch nichtnur an den gegenwärtigen Diskussionen und Maßnahmenabzulesen. Daraus kann sicher noch keineNetzpolitik hergeleitet werden. Für mich ist der derzeitigeStand eher eine Suche nach Konzepten, wie undwas man regulieren kann. Die Vorteile des Internetsbeim Einsatz in vielen Bereichen des täglichen Lebensfinden dabei weniger Beachtung als ein möglichesGefährdungs- oder gar Überwachungspotential.Wenn die Politik möchte, dass die gesamte Bevölkerungvom Internet profitieren soll und dafür „Breitbandfür alle“ propagiert, so reicht das nach meinemDafürhalten nicht aus. Internetzugang über Funk istaus verschiedenen Gründen nicht überall gewünscht.So bestehen einerseits Ängste vor Elektrosmog, undandererseits sind Investitionen in schnelle Glasfaseranschlüssein ländlichen Gebieten aus Sicht der Wirtschaftnicht rentabel oder stehen dem Naturschutzentgegen. Hier steckt die Politik in dem Dilemma,die Wahl zu haben zwischen der Rückkehr zu einemMonopol oder der Subventionierung einiger wenigerGroßkonzerne. Aus diesem Grund argumentieren dieNetzbetreiber in der Diskussion über Netzneutralitätmit höheren Kosten, welche sie mit höheren Preisenfür priorisierte Dienste abdecken wollen.Das Angebot und die Qualität der Dienste an sichverschlechtern sich dabei prinzipiell nicht, sieht maneinmal von der Übertragungsgeschwindigkeit ab, dieeinige Dienste wie Videoübertragung etc. komfortablergestalten würden. Allerdings sollte man bei einerderartigen Aufteilung der Dienste in verschiedeneGeschwindigkeitsklassen und damit in verschiedeneKomfortklassen nicht übersehen, dass damit dieGrundlage für ein Mehrklasseninternet gelegt wird,bei dem folglich ländliche Gebiete benachteiligt werdenkönnten.Netznutzer und Diensteanbieter lehnen eine derartigeAufteilung ab, doch Netzbetreiber sehen darindie einzige Möglichkeit, die Investitionskosten in dieNetze wieder einzuspielen. Der Vollständigkeit halbersollte aber auch erwähnt werden, dass der Grunddafür in offensichtlich falsch kalkulierten Pauschaltarifenfür Internetanschlüsse liegt, die niedrigenFlatrates aber machen wiederum die Internetdienstefür ein breites Publikum erst interessant. Die Lösungder Infrastrukturproblematik sollte daher durch diePolitik gemeinsam mit Wirtschaft und Kommunenvorrangig bearbeitet werden.Glücklicherweise ist aber die Infrastruktur nur einkleiner Teil dessen, was das Internet ausmacht. Dieunglaubliche Fülle neuer Dienste, die immer schnellerauf den Markt kommen, machen es der Politikauch nicht leicht, denn hier mit Gesetzgebung, Verbraucher-und Datenschutz mitzuhalten, scheintschier unmöglich.Aber auch diese Aspekte zeigen, dass man eigentlichnur verlieren kann, wenn man das globale Internetmit national geltenden Regeln angehen will.3435Es macht deshalb auch keinen Sinn, grundrecht lichgenau spezifizierte Kommunikationsarten festzu legen.In einem globalen Internet können Infor ma tionenmit gleichen Inhalten und gleichem Lay outüber tragen werden, die zuvor gedruckt verteilt oderals Radiosignal ausgestrahlt wurden. Nachrichten inklusiveFilmbeiträge oder Fotos lassen sich in Farbeoder Schwarzweiß auch über das Internet übertragen.Die journalistische bzw. redaktionelle Aufbereitungkann dabei erst einmal so bleiben, wie sie ist, und damitkönnte auch der Art. 5 GG so stehen bleiben. Bei derÜbertragung via Internet haben wir es lediglich miteiner Änderung des Trägermediums zu tun.Mit genau diesem Ansatz könnte man auch die Diskussionbezüglich Internetauftritt der öffentlichrechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten beenden.Man kann hier argumentieren, dass alles, wasbisher über den Sender ging, in genau diesem Umfangund Inhalt auch in das Netz eingespeist werden darf.Zusätzliche Dienste, die das Internet ja erst interessantmachen, könnten dann nur über einem Bereichbei diesen Anstalten wahrgenommen werden, dereben gerade nicht öffentlich finanziert ist. Dies wäresicher eine Möglichkeit der besonderen Situation inDeutschland, wo die öffentlich-rechtlichen Sendeanstaltenvom Bürger finanziert werden, gerecht zu werden.Damit müsste auch keine Diskussion geführtwerden, ob Internetdienste näher bei Presse oderRundfunk liegen. Vergleiche mit auslaufenden Technologiensind irreführend und erzeugen eine Arthausgemachter Problematik, die zudem vom extremkomplizierten deutschen Steuersystem und Föderalismusgestützt wird. Andere Länder haben diesesProblem nicht!Wesentlich diffiziler ist die Einschätzung der imGrundgesetz in gleichem Atemzug genannten Pressefreiheit.So ist es bei Druckerzeugnissen relativ einfach,den Autor zu bestimmen, und auch die Qualitätder Inhalte lässt sich hier einfach an die vorherrschendengesellschaftlichen Wertevorstellungen anpassen.Im Internet, in dem es etwas ungeregelter zugeht undjeder Leser auch Autor sein kann, ist dies nicht gegeben.Aber trotzdem passt nach meiner Meinung der2. Satz von Art. 5 Abs. 1 GG noch.Möglicherweise wäre es hilfreich, hier transaktionsorientiertzu denken. Das eigentliche Recht aufPressefreiheit sehe ich aber nicht im Fokus derDiskussion, denn ebenso schwierig gestalten sichdie Anforderungen z. B. an Verbraucherschutz undDatenschutz. War vorher die Rollenverteilung vonAnbieter und Verbraucher klar, können diese nunim Netz dauernd wechseln. Möglicherweise hilftauch hier nur eine transaktionsorientierte Sichtweise.Auch wenn ich den Autoren in ihren Ausführungenüber die Bedeutung der Many-to-many-Kommunikationim Internet zustimmen kann, sehe ich keinenGrund, warum man die Ordnungsprinzipien fürRund funk- und Pressefreiheit nicht zumindest teilweiseübernehmen kann. Wenn Presse, Rundfunkund Fernsehen ihre bisher über die traditionellenMedien ausgestrahlte Information zusätzlich über dasInternet verbreiten, so müssen diese Ordnungsprinzipienauch dann noch gelten. Geregelt werden müsstedie Anschlusskommunikation und die Kommunikationder Nutzer untereinander. Auch hier kann ichmir transaktionsbasierte Regelungen vorstellen.Die Einschätzung, dass die Gatekeeper des analogenZeitalters deutlich an Macht verloren haben, ist zwarrichtig, gleichzeitig wird aber versucht, hier für diedigitale Welt des Internets neue Gatekeeper zu identifizieren.Die Provider20 säßen doch an der Quelle undkönnten kontrollieren, wenn Schund, Unrat undRechtsverletzungen über das Netz transportiert würden,lautet das Argument, sei es nun bei strafrechtlichrelevanten Inhalten wie Kinderpornographie, Urheberrechtsverletzungenoder auch nur verbotenemGlückspiel. Immer wieder werden die Zugangsanbieterhier als Gatekeeper bezeichnet.Blocken, Sperren und Filtern von Kommunikationsströmensind eigentlich in Art. 5 Abs. 1 GG ausgeschlossen.Umso befremdlicher wirkt es, wenn sowohl20 Gemeint sind Firmen, die den Zugang zum Internet anbieten (Accessprovider oder Zugangsanbieter).Generell ist zu unterscheiden zwischen Zugangs-, Hosting- und Inhalteanbietern.