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Waidmattblatt Nr. 45 Nachbarschaften (Nov. 2011)

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GenossenschaftWB <strong>45</strong>3/<strong>2011</strong>12PORTRAITCorinne Ginter (38): Koordinatorin des Siedlungsfestes Adliswil-Langnau.«Im Januar 2009 bin ich zurBG Waidmatt gestossen. Nachdem‚mein’ Haus in Thalwil kurzerhandverkauft wurde, mussteich bis Ende 2008 eine neueWohnung finden. In Thalwil, inder Nähe von meinem ArbeitsortRüschlikon, wohnte ichfür Fr. 600.- in einer 2½ - Zimmer-Wohnung mit Seesicht. Langefasste ich darum, auf der Suchenach einer neuen Wohnung, dieSeeseite ins Auge, habe mitschwerem Herzen erst knappvor der Deadline die Türe fürsSihltal geöffnet. So bin ich nachAdliswil und zur BG Waidmattgekommen.Gerne hätte ich auch in der BGWaidmatt eine 2½-Zimmer-Wohnung bezogen, bis zurDeadline waren aber nur 1½-Zimmer-Wohnungen frei. Sonahm ich aus Notgründen meinejetzige Wohnung im siebtenStock an. Nach wie vor hätteich gerne eine grössere Wohnung,würde bei einem Umzugaber die Abendsonne auf demBalkon und die Aussicht auf denWildpark Langenberg vermissen,die ich jetzt habe! Darum habeich entschieden in dieser Wohnungzu bleiben, solange ich inAdliswil wohne, und das dadurchgesparte Geld für eineAuszeit beiseite zu legen. Die istmomentan mein grösstes Ziel.Auch wenn es Zufall ist: Mit der1½-Zimmer-Wohnung in Adliswilbin ich nun schon zum drittenMal Teil einer Baugenossenschaft.Ich bin in Zürich Affolternin der BG Hagenbrünneli aufgewachsen,sehr kinderreich undfreundlich, habe später in derBG Zurlinden gewohnt. DasWohnen in einer Baugenossenschaftist mir also wohl bekannt.Nicht nur, dass ich es aus ersterHand kenne: Ich setze michauch gerne mit den Projektenauseinander, die ‚meine’ Genossenschaftjeweils verfolgt. Ichverstehe zum Beispiel, dass dieBG Waidmatt in Adliswil einenUmbau in Planung hat. Geradebezüglich der Rohre ist diesernotwendig, wie ich denke. Micherstaunt jedoch, dass auch ineiner kleinen 1½-Zimmer-Wohnung der Einbau eines Geschirrspülersund eines grossenKühlschranks geplant ist. Ich binüberzeugt, dass dieser Komfortin einer kleinen Wohnung garnicht effizient genutzt werdenkann. Da frage ich mich, anwelchem Vorbild sich die BGWaidmatt orientiert hat. Hinterdieser Philosophie stehe ichnicht, ich empfinde sie als befremdlich.Anders in grossenWohnungen: Dort steht der Einbauselbstverständlich auch fürmich ausser Frage. Ich hoffe,dass aus diesem Platzverschleissbzw. -verlust wenigstens eineMietzinssenkung resultiert.Meine Nachbarschaft hier inAdliswil erlebe ich freundlichund zuvorkommend. Dannauch, wenn ich Musik mache –mein Hobby, das ich seit meinerKindheit mit viel Enthusiasmuspflege. Über die Klänge hat sichzum Glück noch niemand beschwert.Im Gegenteil. Kennengelernt habe ich meine Nachbarndurch freundliches Grüssenim Treppenhaus (es lebe dasTreppensteigen!), gegenseitigesBlumengiessen während derFerien oder durch die Kompostgruppe– eine Freiwilligenaufgabe,die sich sechs Leute teilen.Und: Seit dem ersten Genossenschaftsfestkenne ich jene besser,die tatkräftig mitangepackthaben. Wir waren ein sehr gutesTeam.Staunen lassen mich wiederumjene Nachbarn, die ihre ungewolltenZeitungen, Reklamenetc. elegant, unauffällig, soganz beiläufig und ganz selbstverständlichim Hauseingangfallen und liegen lassen. Genausowie ihre leeren Bier- und Energydrink-Dosen.In der Waschküchewiederum glänzen die eidg.dipl. Drückeberger – oder jene,die sich blind stellen, wenn’s umOrdnung in der Waschküchegeht. Mir zuliebe habe ich es mirabgewöhnt, mich darüber aufzuregen,auch wenn ich dieseGleichgültigkeit gegenüber Mitmenschenund Umwelt nichtnachvollziehen kann. Einmaldavon abgesehen, dass es einabsoluter Affront gegen denHausmeister und seine Arbeit ist.Umso wichtiger ist es, die Beziehungzur Nachbarschaft anderweitigzu pflegen. Wie etwa mitdem Siedlungsfest in Adliswil undLangnau. Bis zu diesem Jahrhat's das noch nie gegeben.Sven Koehler, der Präsident derBG Waidmatt, war es, der dementgegenwirken wollte undmeinte, dass man endlich einesauf die Beine stellen müsse. Undschon ging’s los mit der Planung:Ein erstes Treffen wurdeangesagt, an welchem all jeneGenossenschafterInnen zusammenkamen,die mitorganisierenwollten. Selbst bin ich mit demfesten Entschluss zum Treffengegangen, nur eine kleine Aufgabezu übernehmen: Tischeoder Bänke hinzutransportieren,etwas in der Art, das kann ichgut.Knapp zwanzig Leute warenbeim Treffen anwesend. Schnellhat sich da herausgestellt, dasses jemanden braucht, der diePlanung koordiniert. Man kannes sich denken: Für die Hauptverantwortungstellte sich spon-tan und freiwillig niemand zurVerfügung. «Corinne kann's jamachen», hat schliesslich einergemeint, obwohl mich keinerder Anwesenden richtig gekannthatte. Intuitiv wollte ich'Nein' sagen, dachte dannaber: 'Ich kann gut organisierenund managen – warum alsonicht? Ein Mal kann ich's ja machen.'Bereits am ersten Abendkonnte geklärt werden, wer wasübernimmt – wer sich um dasEssen kümmert, wer die Spieleauf die Beine stellt und wer dieDeko organisiert. Bei mir ist dieKoordination zusammengelaufen.Selbst bin ich ja überhaupt keinFesti-Typ und kein Fan vonGrossanlässen. So habe ich mirdie Option offen gelassen vomFest zu verschwinden, wenn esmir zu viel werden würde.Schlussendlich bin ich tatsächlicham Fest geblieben. Wennschon, denn schon.Am Fest selbst habe ich nichtmehr viel zu tun gehabt, derGrossteil meiner Arbeit hat sichim Vornherein abgespielt. Ganzvon alleine ist das Fest gelaufen:Nicht zuletzt wegen des zuverlässigenund kompetentenTeams, das mit angepackt hat.Doch, das Fest war schön, dieStimmung gut, ausgelassen undfröhlich. Hier kam man miteinanderins Gespräch, hat sich kennengelernt. Extrem gefreut hatsich das Komitee darüber, dassder Verkaufs-Plan funktionierthat: Von Anfang an war unsklar, dass wir kein Fest wollten,an dem man alles kaufen müsse.Also haben wir nur den Alkoholverkauft. Die Restkostenkonnten tatsächlich durch dasfreiwillige ‚Kässeli für Unkosten’gedeckt werden. Trotz anfänglicherSkepsis der BG Waidmattging unser Plan also auf. Zu unsererÜberraschung erzielten wirsogar einen kleinen Überschuss.Rund 100 GenossenschafterInnenwaren am Siedlungsfest dabei.Begeistert davon, wie gutdas Fest gelaufen war, sprachsich Sven Koehler im Nachhineinfür eine Wiederholung desselbenaus. Ich möchte offen lassen,ob ich wieder in der Rolleder Koordinatorin dabei seinwerde. Warum sollte das nächsteFest nicht ganz anders sein alsdieses hier, geplant von ganzanderen Leuten?Das Siedlungsfest, wie wir es aufdie Beine gestellt haben, botGelegenheit, Nachbarschaft zuleben und zu pflegen. Sicherkann ein solcher Beitrag das Miteinanderfördern. Was aber ist'Nachbarschaft' genau? MeinerMeinung nach muss man denBegriff im grösseren Kontext sehen:Nachbarschaft ist eine Haltungsfrage– die Frage danach,wie man dem Menschen grundsätzlichbegegnen möchte.Am wichtigsten scheint mir dabei,dass einem nicht ganz egalist, wie es den Mitmenschengeht, und dass man sich vor Augenhält, dass man gegenüberMitmenschen eine Verantwortunghat. Auf diese Grundhaltungbaut alles auf.In die Nachbarschaft kann mansich ganz unterschiedlich einbringen.Das beginnt mit kleinenGesten: Ich erinnere mich daran,dass mir eine Nachbarineinst ein eingeschriebenesPäckli entgegennahm, als ichgerade nicht zu Hause war, undmir ganz selbstverständlich eineMatratze für meine Gäste auslieh.Schwierig wird es oft, wennein Nachbar über längere Zeithinweg Hilfe beanspruchenmuss: beim Einkaufen, Haushalten,Kinder Hüten oder für Pflege.In dieser Hinsicht sind unsere<strong>Nachbarschaften</strong> sehr schweizerisch:freundlich, aber distanziert.Ungerne lässt man anderein sein Revier reintrampeln –oder hat allzu bald ein schlechtesGewissen, sollte man Hilfebenötigen. Nachbarschaftshilfewird, wie mir scheint, in derSchweiz zu wenig gelebt. Ichwürde mir wünschen, dass dasselbstverständlicher wäre undnicht in Bring- und Holschuld endet.Hinzu kommt, dass die meistenvon uns 42 oder noch mehrStunden pro Woche arbeiten.Sozialkontakte werden da zueinem grossen Teil bereits im Arbeitsalltagausgelebt. Am – oftverplanten – Wochenendebleibt dafür nicht viel Zeit übrig.Die Distanziertheit, die in <strong>Nachbarschaften</strong>meist herrscht, istdamit irgendwie nachzuvollziehen:Primär wird gearbeitet. Allesandere muss darum herumPlatz finden.Aber: Würden wir tatsächlichmehr soziale Kontakte in derNachbarschaft pflegen, wennuns mehr Freizeit zur Verfügungstünde? Ich bezweifle es. Auswirtschaftlichen Gründen istman heute nicht mehr gezwungenin einer Gemeinschaft zuleben, man kommt leichter alleineklar. Dennoch bleibt derMensch ein soziales Wesen.Zuletzt ist Nachbarschaft immerauch eine Zufallsgemeinschaft.Die meisten wohnen wegen derWohnung da, wo sie wohnen,nicht wegen der Nachbarn.Deswegen fühlt man sich vielleichtauch weniger verantwortlichfür andere.Und: Welcher Nachbar wie vielKontakt wünscht, ist schwierigabzuschätzen. Es ist schnell undeinfach gesagt, dass Nachbarschaftwichtig ist und gefördertwerden müsse – weil die Vorstellungenvon Nachbarschaft weitauseinandergehen, scheint das'Wie' in Wirklichkeit aber immerwieder Fragen aufzuwerfen.»Barbara Lussi13

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