werden können, so darf eine solche Abwägung dennoch nicht ohne Berücksichtigungdes Charakters des Werkes stattfinden. 115(2) Bei einer Kollision von <strong>Kunst</strong>freiheit <strong>und</strong> Jugendschutz <strong>und</strong> der diesbezüglichenAbwägung darf die Feststellung des Charakters nicht allein aus einer werkgerechtenInterpretation herrühren. Dieses ergibt sich daraus, dass ein Werk nicht nur eine ästhetischesondern auch eine reale Wirkung hat <strong>und</strong> gerade Kinder <strong>und</strong> Jugendliche häufignicht in der Lage seien, den gesamten Gehalt eines solchen Werkes zu erfassen. Dennochsei auch dem Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutz nicht gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang zu gewähren.116(3) Die realen Wirkungen <strong>und</strong> Folgen des Einflusses, die das konkrete Werk ausübt,sind zudem von der B<strong>und</strong>esprüfstelle <strong>und</strong> von den Fachgerichten gleichfalls unter derbesonderen Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels zu ermitteln. 117(4) Weiterhin ist auch nicht außer Acht zu lassen, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchemMaße gefährdende Elemente in ein künstlerisches Konzept eingeb<strong>und</strong>en sind, da die<strong>Kunst</strong>freiheit auch die Wahl jugendgefährdender Elemente zur Verwirklichung desGesamtwerks freistelle. Eine derartige Prüfung soll dabei durch werkgerechte Interpretationerfolgen. 118(5) Das letzte Kriterium bildet die Akzeptanz der fachk<strong>und</strong>igen Öffentlichkeit, da sichauch hieraus Anhaltspunkte ableiten ließen, die für die Entscheidung, welchemRechtsgut im konkreten Falle der Vorrang zu gewähren sei, wesentlich seien. 119Die BVerfGE 83, 130 ff- „Josefine Mutzenbacher“ schafft bezüglich der Kollisionvon <strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendgefährdung</strong> bzw. <strong>Kunst</strong>freiheit <strong>und</strong> Jugendschutz neue Weichenstellungen.So sind die Gr<strong>und</strong>rechte nicht mehr nur „Abwehrrechte des Bürgersgegen den Staat“ 120 , sondern gleichfalls Verpflichtung <strong>und</strong> Leitlinie der staatlichenGesetzgebung 121 . Zwar wird auch hier noch von einem staatlichen Eingriff gesprochen,der Beschluss befasst sich aber primär eher mit der Optimierung zweier Verfassungsrechtsgüter.Hier geht es dem Gericht nicht um die Aufstellung abstrakter Vorrangregelungen,sondern um den Prozess der Entscheidungsfindung, bei dem in derBegründung dessen das argumentative Erwägen aller relevanten Umstände beiderRechtsgüter Berücksichtigung finden muss. So gut diese Aufstellung aber auch zu-115 BVerfGE 83, 130, 146.116 BVerfGE 83, 130, 147.117 BVerfGE 83, 130, 147.118 BVerfGE 83, 130, 147.119 BVerfGE 83, 130, 147.120 BVerfGE 7, 198, 204.121 Enderlein, Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Gr<strong>und</strong>rechte, S. 199.28
nächst klingen mag, umso problematischer ist, wegen der Vielfalt der Kriterien ihre,v.a. schnelle, Umsetzung für den Einzelfall. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist zunächst dasunter (3) bezeichnete Kriterium zu benennen, dass den dort benannten Instanzen,nämlich der B<strong>und</strong>esprüfstelle <strong>und</strong> den Fachgerichten, auch ein indirektes Urteilsvermögenüber die eventuelle Qualität eines <strong>Kunst</strong>werks zuspricht. Zudem soll sich dieBeurteilung dessen, ob ein Werk der <strong>Kunst</strong> zuzusprechen ist <strong>und</strong> damit gr<strong>und</strong>sätzlichder <strong>Kunst</strong>freiheit unterfällt, nach dem formalen-, dem materialen- <strong>und</strong> dem offenen<strong>Kunst</strong>begriff richten. 122 Dies wird aber zumindest teilweise relativiert, wenn für dieFrage des Vorranges gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern, wie dem Jugendschutz,beispielsweise das Maß der Einbringung des jugendgefährdenden Themas inein „künstlerisches Konzept“ entscheidend sein soll. 123 Damit wird die Frage des Maßesgleichfalls zum Urteil über die künstlerische Qualität eines Werkes erhoben. Die<strong>Kunst</strong> ist nur dann frei, wenn sie im Rahmen einer konkreten Entscheidung angemessenberücksichtigt wird. Mithin lässt sich der Schutz der <strong>Kunst</strong> nur über eine an Regelnorientierte Abwägung erreichen, die im konkreten Einzelfall die sachlichen Anforderungendes Lebensbereichs „<strong>Kunst</strong>“ zur Geltung bringt. 124b) <strong>Kunst</strong>freiheit <strong>und</strong> Jugendschutz am Beispiel des AusdrucksmediumsFernsehen <strong>und</strong> des JMStVNun möchte man annehmen, dass sich die Wogen des Für <strong>und</strong> Wieder geglättet hätten.Das Gegenteil ist der Fall, denn gerade nachdem sich in Folge der Mutzenbacher-Entscheidung endgültig die Ansicht durchgesetzt hatte, dass auch schwer jugendgefährdendeWerke nicht gr<strong>und</strong>sätzlich Nicht-<strong>Kunst</strong> sind, hat die praktische Bedeutungdieser <strong>und</strong> ähnlicher Problematiken wieder an Bedeutung gewonnen. 125 Im Bereichelektronischer Medien zeigt sich dies besonders in der Anwendung der §§ 4 <strong>und</strong> 5JMStV. Wie oben kurz angesprochen, haben sich im Laufe der Jahre etliche <strong>Kunst</strong>begriffeherausgebildet. Im Folgenden soll nun beispielhaft anhand des formalen <strong>Kunst</strong>begriffes<strong>und</strong> des Mediums Fernsehen verdeutlicht werden, dass auch hier eine Vielzahlder für die Ausstrahlung im Fernsehen geeigneten Angebote in den sachlichenSchutzbereich der <strong>Kunst</strong>freiheit fallen. Diese sind großteilig fiktionalen Genres zuzurechnen,darunter anspruchsvolle Spielfilme, aber auch Fernsehspiele <strong>und</strong> einzelneFolgen von Serien. 126 Gerade in diesen vielkonsumierten Genres lassen sich aber auch122 Vgl. BVerfG Beschluss vom 15.3. 2010- 1 BvR 666/06.123 Enderlein, Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Gr<strong>und</strong>rechte, S. 201.124 Enderlein, Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Gr<strong>und</strong>rechte, S. 205.125 Baum, Jugendmedienschutz als Staatsaufgabe, S. 308.126 Müller, Freiheit der <strong>Kunst</strong>, S.119ff.29
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