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Die Literatur im ›Experiment‹. Eine Einleitung

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Mass<strong>im</strong>o Salgaro<br />

eignet er sie sich an. <strong>Die</strong>ser Vorgang vermittelt ihm den Anschein, dass jegliches<br />

¾ußere nur durch ihn existiert, sein Bewusstsein die einzig sinnstiftende Instanz<br />

der Welt ist. Laut Heusers Analyse kçnne die Verarbeitungsweise der wahrgenommenen<br />

Eindrücke von Paul mit der eines exper<strong>im</strong>entellen Vorgehens verglichen<br />

werden.<br />

Isolde Schiffermüller beschreibt Franz Kafkas Rezeption der Elberfelder<br />

Protokolle des Privatforschers Karl Krall, eines Pioniers der Tierpsychologie, der<br />

in seinem Pferdestall in Elberfeld ein Laboratorium zur Erforschung der Klugheit<br />

der Tiere eingerichtet hatte. Spuren dieser Exper<strong>im</strong>ente lassen sich <strong>im</strong><br />

»Elberfeldheft« finden, ein Notizheft Kafkas, das vermutlich <strong>im</strong> Januar 1915<br />

entstand und in anderen Tiergeschichten des Prager Schriftstellers. Schiffermüller<br />

versteht Kafkas Schreibversuch als das Projekt einer Grenzüberschreitung<br />

zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, wo anstelle des Appells an die<br />

Menschenwürde nur »das heilsame Eingedenken der Tierähnlichkeit« (Adorno)<br />

Bestand hat.<br />

Bernhard Metz sieht in seiner ausführlichen Analyse von Ernst Weiß’ Werk<br />

die Beziehung zum Exper<strong>im</strong>entellen in mehrerlei Hinsicht gegeben: Zum einen<br />

thematisiert dieser Autor naturwissenschaftliche Vorgehensweisen auf der inhaltlichen<br />

Ebene seiner Werke, da deren Protagonisten oftmals ¾rzte, Wissenschaftler<br />

und Forscher sind und entsprechend medizinische oder naturwissenschaftliche<br />

Arbeiten verrichten. Weiterhin offenbart sich der exper<strong>im</strong>entelle<br />

Charakter innerhalb sozialer und erotischer Beziehungen der Figuren, die in<br />

Weiß’ Romanen oft mit leichten Variationen wiederkehren, um einen je anderen<br />

Ausgang der Fabel herbeizuführen; in den 15 Romanen von Ernst Weiß sind<br />

Konstellationen von einer Frau zwischen mehreren Männern oder von einem<br />

Mann zwischen mehreren Frauen ziemlich häufig. <strong>Die</strong> Beziehungen erweisen<br />

sich als »Vivisektion am Menschen« und als »Exper<strong>im</strong>ent an lebenden Seelen«.<br />

Schließlich kann Weiß’ Schreibverfahren selbst als exper<strong>im</strong>entell bezeichnet<br />

werden, da er unermüdlich, auch an bereits publizierten Texten, ¾nderungen<br />

und Verbesserungen vornahm.<br />

In seinem Aufsatz geht Gabriele Guerra von der Annahme aus, dass ein neuer<br />

Denk- bzw. Schriftstil zu einer neuen Wirklichkeitswahrnehmung führen kann.<br />

Das Schreiben erscheint ihm als ein »Lebensversuch«, um Schrift und Leben neu<br />

zu verbinden und eine nicht abgenutzte Perzeption herbeizuführen; dieser<br />

Prozess wird durch exemplarische Analysen von Texten Ernst Blochs und Ernst<br />

Jüngers aufgezeigt. Während Jünger nun eine »sachlich-objektive Tendenz mit<br />

einer einfühlsamen, romantisch-ironischen Wahrnehmung« in seinem Abenteuerliche[n]<br />

Herz (1929) koppelt, vereint das Subjekt in Blochs Spuren (1930)<br />

Elemente des Expressionismus mit denen der Neuen Sachlichkeit, denn es ist<br />

sowohl ein aktives operierendes als auch ein datensammelndes Subjekt.<br />

Das Exper<strong>im</strong>entelle innerhalb von Alfred Dçblins Werk Berlin Alexander-

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