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Die Literatur im ›Experiment‹. Eine Einleitung

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Mass<strong>im</strong>o Salgaro<br />

Der Beitrag von Raul Calzoni erçrtert die Bedeutung und die Anwendung des<br />

Begriffs Exper<strong>im</strong>ent in der Lyrik und in den theoretischen Texten Helmut Heißenbüttels.<br />

Diskutiert werden einerseits die Entwicklung der Exper<strong>im</strong>entalmethode<br />

Heißenbüttels aus Jean Gebsers Theorie der »aperspektivischen Welt«<br />

und aus der sogenannten »konkreten Poesie«. Andererseits widmet sich Calzoni<br />

der Neigung Heißenbüttels zur Kunst-, Sprach- und Gesellschaftskritik. <strong>Die</strong>se<br />

exper<strong>im</strong>entelle Haltung wirkt sich auch in den 13 Hypothesen über <strong>Literatur</strong> und<br />

Wissenschaft als vergleichbare Tätigkeit (1966) aus. Heißenbüttel entwirft eine<br />

antigrammatikalische kombinatorische Poetik, dergemäß in literarischen Texten<br />

Zitate, Zeitungsauschnitte und Erinnerungsfetzen vergemischt werden, was<br />

in Textbücher (1960–1967), das Projekt Nr. 1. D’Alemberts Ende (1970) und Das<br />

Durchhauen des Kohlhaupts: dreizehn Lehrgedichte: Projekt Nr. 2 (1974) realisiert<br />

wird.<br />

Maria Luisa Roli verfolgt am Anfang ihres Beitrags das Interesse Hans Magnus<br />

Enzensbergers für die Wissenschaft, das schon in die Zeit der Balladensammlung<br />

Mausoleum zurückreicht (1971). Im Band Elixiere der Wissenschaft<br />

(2002), in dem essayistische und poetische Texte versammelt sind, will Enzensberger<br />

hingegen die Aporien des Fortschritts und der wissenschaftlichen<br />

Eroberungen darzustellen: Indem er die Biographien von Wissenschaftlern wie<br />

George Berkeley oder Kurt Gçdel in den Balladen nacherzählt, reflektiert er über<br />

ihre Schicksale und über die oft unvorhersehbaren Folgen ihrer Erfindungen.<br />

S<strong>im</strong>one Costagli beurteilt die Form von Alexander Kluges Texten als exper<strong>im</strong>entell,<br />

da sie versucht, über kanonisierte Seh- und Lesegewohnheiten hinauszugehen<br />

und neue Darstellungsmçglichkeiten ausfindig zu machen. So<br />

sprengt Kluge den literarischen Text, um außerliterarische Systeme wie Dokumente,<br />

Fachsprachen und Photos in ihn zu integrieren. In Kluges Schlachtbeschreibung<br />

(1968) wird zum Beispiel die Schlacht um Stalingrad durch die<br />

Presse, historiographische Darstellungen, Auszüge aus Tagebüchern und Interviews<br />

mit den Überlebenden erzählt und somit die Trennlinie zwischen<br />

Dokument und Fiktion verwischt.<br />

Maria Zinfert legt in ihrer Analyse die Bedeutung des Sehens und damit<br />

einhergehend der Schwarzweißphotographie für W.G. Sebalds Schreiben dar:<br />

<strong>Die</strong>se visuellen Tätigkeiten scheinen einen Imaginations- und Schreibprozess in<br />

Gang zu setzen und den Autor »aus der realen in eine irreale Welt« zu locken, in<br />

der neben den Toten auch »das von der Kunst <strong>im</strong>aginierte, über das Profane<br />

erhabene Niemandsland zwischen Leben und Tod« existiert. <strong>Die</strong>se an sich<br />

flüchtigen Bilder, die der Erinnerung wie die der Photographie, erfordern eine<br />

sorgfältige Handhabung durch den Erzähler, da, wie Zinfert einleuchtend beschreibt,<br />

jede Unbedachtheit ihr Verschwinden zur Folge hat. Anhand verschiedener<br />

Textbeispiele aus Austerlitz (2001) und Schwindel. Gefühle (1990)<br />

leuchtet Zinfert dieses »Niemandsland« Sebalds aus.

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