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Die Literatur im ›Experiment‹. Eine Einleitung

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Mass<strong>im</strong>o Salgaro<br />

Naturwissenschaft stehen laut Vogl in keiner vorhersagbaren und von vorne<br />

herein entschiedenen Relation zueinander, aber <strong>Literatur</strong> erweist sich als eine<br />

spezifische Wissensformation, in der das Uneingestandene, das Unsagbare und<br />

das Ausgeschlossene der wissenschaftlichen Diskurse ans Licht gebracht wird.<br />

An diesem Punkt befinden sich <strong>Literatur</strong> und wissenschaftliches Exper<strong>im</strong>ent<br />

eng beisammen.<br />

In seinem Aufsatz <strong>Literatur</strong>- und Wissenschaftsgeschichte 22 fasst Nicolas Pethes<br />

die Diskussion über das Verhältnis zwischen <strong>Literatur</strong> und Naturwissenschaft<br />

<strong>im</strong> Zuge der sogenannten Two Culture-Debatte zusammen. Für ihn verläuft<br />

diese Beziehung in zwei Richtungen und wirft folgende Fragen auf: Wie<br />

wird der Transfer von der Wissenschaft zur <strong>Literatur</strong> konzeptualisiert? Lassen<br />

sich umgekehrt <strong>im</strong> Diskurs der Wissenschaften ›literarische‹ Spuren feststellen?<br />

Auf die zweite Frage findet sich in seinem Aufsatz folgende Antwort, die die<br />

bereits beschriebene Annäherung des Exper<strong>im</strong>entsbegriffs an die <strong>Literatur</strong> bekräftigt:<br />

Wenn erst die Zugehçrigkeit zu einem institutionellen Rahmen aus einer Wissensaussage<br />

eine wissenschaftliche These macht, dann werden zwei scheinbar<br />

marginale Elemente aufgewertet: Zum einen die Techniken, Medien und Materialitäten<br />

der Aufzeichnungen wissenschaftlicher Untersuchungen, also in einem<br />

weitem, Derrida entlehnten Sinn, die Øcriture der Wissenschaft. Insofern Wissen<br />

Apparaturen entnommen wird, die die Selbstaufzeichnungen natürlicher Prozesse<br />

(Spuren) registrieren, die wiederum in Texte übersetzt werden, gehorcht der gesamte<br />

Wissenschaftsapparat der <strong>im</strong>manenten Differenz schriftlicher Repräsentation.<br />

Labore sind Orte an denen vermeintlich natürliche Objekte als epistemische<br />

Dinge konstruiert werden, und diese Transformation gehorcht den Regeln der<br />

gültigen gesellschaftlichen Ordnung und reproduziert sie ebenso, wie sie umgekehrt<br />

die alltagssprachliche Semantik beinflußt. Gerade die scheinbar objektiven<br />

Exper<strong>im</strong>entalwissenschaften erweisen <strong>im</strong> Lichte dieser Ansätze ihre fiktionale<br />

Basis, ihre symbolische Überformung sowie die gesellschaftliche Implementierung<br />

ihrer Ergebnisse. 23<br />

<strong>Die</strong>se Auffassung eines naturwissenschaftlichen Exper<strong>im</strong>ents ist die Folge eines<br />

epistemischen Umbruchs, den Hans Blumenberg in Wirklichkeitsbegriff und<br />

Mçglichkeit des Romans diskutiert. Das antike Problem des Verhältnisses von<br />

Kunst und Wirklichkeit <strong>im</strong>pliziert, dass der Dichtung ein Bezug zu einer vorgegebenen<br />

Wirklichkeit zugesprochen wird und dass Dichtung auf irgendeine<br />

Weise Wirklichkeit erzeugt. Blumenberg listet nun die verschiedenen Wirklichkeitsbegriffe<br />

auf, die sich nacheinander in der Geschichte abgelçst haben:<br />

22 Nicolas Pethes, ‘<strong>Literatur</strong> und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht’, IASL, 28<br />

(2003), S. 181–231.<br />

23 Ebd., S. 207.

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