B e rn h a rd K ru sch e, T o rste n G ro th E d ito ria l

Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> K<strong>ru</strong><strong>sch</strong>e, To<strong>rste</strong>n Groth Editorial
Die Verwendung des Begriffs des systemi<strong>sch</strong>en Risikos hat durch die
Finanzkrise eine Eigendynamik entwickelt, die bei näherer Betrachtung
stutzen lässt. Skepsis ist angebracht, wenn ein Begriff sich modi<strong>sch</strong> gibt
und das Feuilleton der Tagespresse erobert. Statt in den aufgeregten Ton-
fall (anklagend, verteidigend, be<strong>sch</strong>wörend, resignierend) einzustimmen,
der sich <strong>ru</strong>nd um diese Begrifflichkeit etabliert hat, vertieft die Revue
für postheroi<strong>sch</strong>es Management die Diskussion und überführt sie aus
der Finanzwelt in weitere gesell<strong>sch</strong>aftliche Teilbereiche. Was heißt es für
Management und Beratung, in einer Gesell<strong>sch</strong>aft des unvermeidlichen Risikos
zu agieren?
Dass es riskant zugeht in dieser Welt: nachvollziehbar. Dass wir zu
Beginn des Jahres ein T<strong>sch</strong>e<strong>rn</strong>obyl des Finanzsektors erlebt haben: ja doch.
Was aber rechtfertigt die Einfüh<strong>ru</strong>ng einer neuen Kategorie des Begriffs?
Was heißt »systemi<strong>sch</strong>« in diesem Zusammenhang? Was unter<strong>sch</strong>eidet ein
systemi<strong>sch</strong>es von einem nichtsystemi<strong>sch</strong>en Risiko, und – viel wichtiger –
welche theoreti<strong>sch</strong>en und prakti<strong>sch</strong>en Probleme, also Bewegungsspielräume
ergeben sich durch die Einfüh<strong>ru</strong>ng einer solchen Unter<strong>sch</strong>eidung? Und
wenn alle von systemi<strong>sch</strong>en Risiken sprechen: gibt es dann auch so etwas
wie systemi<strong>sch</strong>e Lösungen?
Ein Leichtes wäre es, den Begriff als leere Worthülse für all die sich im
Kontext t<strong>ru</strong>delnder Finanzmärkte abspielenden Ereignisse zu entta<strong>rn</strong>en.
Ebenfalls einfach macht man es sich mit der Hypothese, dass es sich dabei
um ein von uns selbst inszeniertes Ablenkungsmanöver handelt, mit dem
wir uns über unsere eigene Unzulänglichkeit im Umgang mit komplexen
Situationen hinwegtäu<strong>sch</strong>en. Hingegen ist der Begriff vor allem dort hilfreich,
wo er uns daran erinnert, dass wir es immer mit instabilen Organisationen
in chaoti<strong>sch</strong>en Umwelten zu tun haben. Folglich plädieren wir
mit diesem Heft dafür, den Begriff des systemi<strong>sch</strong>en Risikos als Form der
Selbstbeun<strong>ru</strong>higung zu ve<strong>rste</strong>hen. Es braucht immer wieder Anlässe, in denen
deutlich wi<strong>rd</strong>, was es heißt, sich in fragilen, miteinander verknüpften
komplexen Systemzusammenhängen zu bewegen.
Ob dieser Einsicht gibt es alle<strong>rd</strong>ings noch lange keinen G<strong>ru</strong>nd, in einen
passiven Modus des Erlebens zu wechseln. Ganz im Gegenteil! Ein gutes Beispiel
dafür, was es bedeutet, sich mit systemi<strong>sch</strong>en Risiken auseinanderzusetzen,
sind die in diesem Heft versammelten Beiträge, die sich grob drei
Kategorien zuteilen lassen: Zum einen haben wir Beiträge von Autoren eingeholt,
die gesell<strong>sch</strong>aftliche Aspekte des Risikos be<strong>sch</strong>reiben. Zweitens haben
wir – aus aktuellem Anlass – Beiträge aufgenommen, die sich mit dem
Finanzsystem und seiner Krise auseinandersetzen. Einen Einblick in den
prakti<strong>sch</strong>-unte<strong>rn</strong>ehmeri<strong>sch</strong>en Umgang mit Risiken erlauben <strong>sch</strong>ließlich die
Interviews mit Manage<strong>rn</strong>, die wir zu spezifi<strong>sch</strong>en Aspekten des Risikomanagements
befragt haben.
Den Anfang macht der Lawinenfor<strong>sch</strong>er We<strong>rn</strong>er Munter, der sich über
Jahrzehnte mit Lawinenrisiken be<strong>sch</strong>äftigt hat und dabei zu überra<strong>sch</strong>enden
Erkenntnissen gekommen ist. Strategien zu Optimie<strong>ru</strong>ng von Risiken
etwa we<strong>rd</strong>en von den Betroffenen nur dann verfolgt, wenn sie ein gewisses
Editorial 3 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Restrisiko beinhalten, d. h. also individuelle Ermessensspielräume zulassen.
Irritierend auch die Erkenntnis, dass einfache Methoden in komplexen
Situationen viel erfolgreicher sind als solche, mit denen versucht wi<strong>rd</strong>, alle
kriti<strong>sch</strong>en Faktoren in Betracht zu ziehen – Letzteres führt eher zur Paralyse
in der konkreten Ent<strong>sch</strong>eidungssituation. Intuition und Erfah<strong>ru</strong>ng – die
gängigen Antworten auf den Umgang mit Unbekanntem – hält er für wenig
nützlich; eine konkrete Liste von Reduktionsfaktoren hingegen hilft, die
größten Risiken zu vermeiden.
Charles Perrow hat uns Anfang der 80er Jahre die Augen geöffnet für
»normale Katastrophen«. Während er damals Unfälle in Atomkraftwerken, in
Chemiewerken oder auf Tanke<strong>rn</strong> untersucht hat, die aufg<strong>ru</strong>nd nicht planbarer
Verkopplungen <strong>sch</strong>einbar harmloser Abweichungen zu Katastrophen
führten, erinnert er im aktuellen Beitrag Wirt<strong>sch</strong>aft und Politik daran,
dass das Auftreten gesamtgesell<strong>sch</strong>aftlicher Katastrophen erwartbar ist. Dirk
Baecker <strong>sch</strong>ließt daran an und zeigt, dass Krisen in der nächsten Gesell<strong>sch</strong>aft
als Komplexitätszusammenbrüche zu ve<strong>rste</strong>hen sind, die eher dazu
auf<strong>ru</strong>fen, nach dem »Wie-geht’s-weiter« zu fragen, anstatt sich in Ursachenfor<strong>sch</strong>ungen
zu verlieren.
Mit der Krise am Finanzmarkt und der Angst vor einem Kollaps des
Bankensystems hat der Begriff der »Systemic Risks« Prominenz erlangt und
dementsprechend auch Eingang in die Politik gefunden. Aufg<strong>ru</strong>nd »systemi<strong>sch</strong>er
Risiken« müsse – so etwa der Tenor großer Parteien – die Politik
stützend am Finanzmarkt intervenieren, aufg<strong>ru</strong>nd von »Systemrelevanz«
müssen einzelne Banken künstlich am Leben gehalten we<strong>rd</strong>en. Das Adjektiv
»systemi<strong>sch</strong>« dient in dieser Argumentation eher zur Legitimation von
Unvermeidlichkeiten, als dass damit eine besondere Qualität verknüpft
wi<strong>rd</strong>. Der Beitrag von Didier So<strong>rn</strong>ette zeigt nicht nur, wie es zu dieser Krise
kommen konnte, er weist auch den Weg zu einer Wirt<strong>sch</strong>afts- und Finanzpolitik,
die auf »long-term growth« setzt, hin. Die Überlegungen Fritz
Stahels hingegen setzen am Problem des »too big to fail« an. In sechs Thesen
verweist er auf notwendige und angemessene Möglichkeiten einer Krisenprävention,
die gar nicht erst die Gefahr eines Kollapses ganzer Finanzsysteme
aufkommen lässt. – Der Beitrag von Günther Ortmann kommentiert
die aktuelle Finanzkrise aus organisationstheoreti<strong>sch</strong>er Perspektive: Bei der
Diskussion zu volkswirt<strong>sch</strong>aftlichen Regulie<strong>ru</strong>ngsversuchen sollte nicht aus
den Augen verloren we<strong>rd</strong>en, dass sowohl die Eskalation wie auch die an<strong>sch</strong>ließende
Krisenprävention auf adressierfähige Systeme angewiesen ist:
Organisationen eben. Mut macht dies nicht unbedingt, aber womöglich ist
der nüchte<strong>rn</strong>e Blick auf die wenigen Möglichkeiten der Organisation des
Risikos angemessener als die naive Hoffnung auf eine gesamtgesell<strong>sch</strong>aftliche
Ve<strong>rn</strong>unft.
Wie Unte<strong>rn</strong>ehmen die Wirt<strong>sch</strong>aftkrise gemeistert haben und welche
Lehren Füh<strong>ru</strong>ngskräfte für sich und ihr zukünftiges Füh<strong>ru</strong>ngshandeln aus
den letzten Monaten ziehen, zeigen die Interviews mit Armin Golz, CFO
Bo<strong>sch</strong> Rexroth Niederlande, sowie Marlis Wallek, Leiterin »Strategic Projects«
bei der A1 Telekom Austria. – Die Denkfigur <strong>sch</strong>ließlich, die von
Editorial 4 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Helmut Willke entfaltet wi<strong>rd</strong>, läuft darauf hinaus, dass systemi<strong>sch</strong>e Risiken
nicht nur systemati<strong>sch</strong> im Kapitalismus verankert sind (ihn gewissermaßen
begründen), sonde<strong>rn</strong> dass der Kapitalismus selbst ein systemi<strong>sch</strong>es
Risiko ist. Die Komplexität dieses Systems macht jede Hoffnung zunichte, die
Aktionen und Transaktionen den beteiligten Akteuren zuzurechnen. An die
Stelle loser gekoppelter, nationalstaatlich gebändigter Systemen treten mehr
und mehr eng gekoppelte Systeme, deren Komplexität wir nicht mehr durchdringen
können. Neben der soziologi<strong>sch</strong>en Be<strong>sch</strong>reibung fokussiert der Beitrag
auf mögliche Stellhebel, mit denen eine Rückfüh<strong>ru</strong>ng zum Prinzip der
losen Kopplung möglich sein könnte. Rudolf Wimmer wagt es <strong>sch</strong>ließlich,
ein den Komplexitätsansprüchen der Gegenwart, die auch aber nicht nur
Krisen ge<strong>sch</strong>uldet sind, angemessenes theoreti<strong>sch</strong>es Basiswerk für Organisationsberatung
zu entwerfen,bevor Athanasios Karafillidis zum Ab<strong>sch</strong>luss
des Heftes die aktuelle Diskussion um den Stuttgarter Hauptbahnhof zum
Anlass nimmt, über die Konst<strong>ru</strong>ktion und Organisation von Risiken in einer
Gesell<strong>sch</strong>aft nachzudenken, die sich weder auf die Rationalität der Argumente
noch auf die Legitimität politi<strong>sch</strong>er Verfahren verlassen kann.
Alle diese Beiträge, und auch unsere festen Kolumnisten, skizzieren unter<strong>sch</strong>iedliche
Perspektiven und Zugänge zum Umgang mit systemi<strong>sch</strong>en
Risiken. Zu guter Letzt sei auf Dörte Baecker hingewiesen; als »Featured
Artist« dieser Ausgabe zeigt sie Aus<strong>sch</strong>nitte ihrer Arbeit, in denen sie das
Unerwarte inszeniert hat und in denen die Inszenie<strong>ru</strong>ngen wiede<strong>ru</strong>m unerwarte
Ergebnisse lieferten.
Wir laden Sie herzlich dazu ein, sich davon anregen und irritieren zu lassen.
Vor allem aber, fühlen Sie sich ermutigt, auch weiterhin Gefahren in
Risiken zu wandeln, fühlen Sie sich also ermutigt, weiterhin zu ent<strong>sch</strong>eiden.
Für das Redaktionsteam: Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> K<strong>ru</strong><strong>sch</strong>e und To<strong>rste</strong>n Groth
Editorial 5 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Inhalt
3 Editorial von Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> K<strong>ru</strong><strong>sch</strong>e und To<strong>rste</strong>n Groth
8 We<strong>rn</strong>er Munter im Interview
Vom Wert des differenzierten Beurteilens und
<strong>sch</strong>ablonenartigen Ent<strong>sch</strong>eidens
14 Charles Perrow
Disasters Evermore? Reducing our Vulnerabilities
to Natural, Industrial, and Terrorist Disasters
26 Featured Artist
Dörte Baecker
Dörte Baecker im Interview
30 Dirk Baecker
Wie in einer Krise die Gesell<strong>sch</strong>aft funktioniert
44 Didier So<strong>rn</strong>ette
Risk Management and Gove<strong>rn</strong>ance Lessons and Prospects
From the 2007 –20xx Crisis
54 Fritz Stahel
Kleine statt große Blasen platzen lassen
60 Chris Steele-Perkins
Mount Fuji
62 Marlis Wallek im Interview
No risk, much fun? Zur Frage des Risikomanagements
in Telekommunikationsunte<strong>rn</strong>ehmen
66 Günther Ortmann
Die (Ohn-)Macht der Moral und das Driften der Systeme:
Der Fall der Finanzkrise
74 Armin Golz im Interview
Langfristige Unte<strong>rn</strong>ehmenspolitik bedeutet ve<strong>rn</strong>ünftiges
Risikomanagement
80 Helmut Willke
Systemi<strong>sch</strong>e Risiken und cooler Kapitalismus
88 Rudolf Wimmer
Systemi<strong>sch</strong>e Organisationsberatung – jenseits von Fachund
Prozessberatung
104 Management für Fortge<strong>sch</strong>rittene
Auf nach China von Dirk Baecker
108 Wozu Wirt<strong>sch</strong>aft?
Systemrisiko Vertrauen von Birger P. Priddat
112 Hollywood
Lohn der Angst von Fritz B. Simon
116 Athanasios Karafillidis
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung
121 Überblick, Bestellservice, Impressum
122 Ausblick
7
Inhalt Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

We<strong>rn</strong>er Munter ist Bergführer und Lawinenfor<strong>sch</strong>er. Durch seine zahlreichen Publikationen zur Beurteilung von
Lawinenrisiken und den unbestritten erfolgreichen Einsatz seiner Methoden wu<strong>rd</strong>e er zum anerkannten Experten.
Vor seiner Pensionie<strong>ru</strong>ng arbeitete der Unsicherheitsexperte zehn Jahre für das Eidgenössi<strong>sch</strong>e Institut für Schneeund
Lawinenfor<strong>sch</strong>ung in Davos, Schweiz.
Falk Busse hat Kultur- und Kommunikationswissen<strong>sch</strong>aften an der Zeppelin University in Friedrichshafen studiert.
Zuletzt war er für ver<strong>sch</strong>iedene Projekte des Goethe-Instituts Bangladesh in Chittagong verantwortlich.
Interview mit We<strong>rn</strong>er Munter
Vom Wert des differenzierten Beurteilens und
<strong>sch</strong>ablonenartigen Ent<strong>sch</strong>eidens*
Um 50 Prozent sind die Opferzahlen bei Lawinenunglücken seit den
80er Jahren zurückgegangen. Dieser Erfolg geht zu einem großen Teil
auf die Arbeit von We<strong>rn</strong>er Munter zurück, dessen We<strong>rd</strong>egang vom
Sicherheitsgaranten zum Unsicherheitsexperten als exemplari<strong>sch</strong> für
Risikomanagement – auch außerhalb der Berge – gelten kann. Ge<strong>rn</strong>e
zitiert der Bergführer Nietz<strong>sch</strong>e und wirbt dafür, »die Wahrheit auf
eine kluge Weise misszuve<strong>rste</strong>hen, zum Zwecke des Überlebens«.
Falk Busse im Gespräch mit dem Lawinenfor<strong>sch</strong>er.
Falk Busse: Herr Munter, Sie haben Knoten für Bergstei-
ger entwickelt und wirksame Methoden zur Beurteilung
von Lawinenrisiken entwickelt. Man könnte sagen, Risiken
sind das immer wiederkehrende Motiv in Ihrem Leben.
Welche riskanten Ent<strong>sch</strong>eidungen haben Sie selbst während
Ihres We<strong>rd</strong>egangs getroffen?
We<strong>rn</strong>er Munter: Nach meinem Studium der Ge<strong>sch</strong>ichte und
Germanistik und meiner einjährigen Tätigkeit als Gymnasiallehrer
musste ich mich ent<strong>sch</strong>eiden: Will ich da weitermachen
oder will ich auf ein Gebiet umsatteln, das ich
nicht studiert hatte. Das war die <strong>sch</strong>were Ent<strong>sch</strong>eidung.
Aber ich fühlte so klar, dass ich dort mehr leisten könnte
als auf einem Gymnasium. Da gibt es so viele Lehrer, da
war ich leicht ersetzbar. Hingegen hatte ich von Anfang an
das Gefühl, dass im Risikomanagement beim Bergsteigen
ein Kopf fehlt, der sich der Herausfo<strong>rd</strong>e<strong>ru</strong>ng stellt und sich
die Zeit nimmt, die Sache wirklich gründlich zu durchdenken.
Ich habe dann den Lehrerbe<strong>ru</strong>f an den Nagel gehängt
und mich in die Lawinenkunde gestürzt.
Wa<strong>ru</strong>m sind Ihre Methoden wirksamer als andere? Geht es
da<strong>ru</strong>m, möglichst viele Daten zu sammeln, also ein möglichst
genaues Abbild der Realität zu konst<strong>ru</strong>ieren, oder
was ist das Geheimnis?
Da gibt es sicher sehr ver<strong>sch</strong>iedene Gründe. Einmal muss
die Methode einfach anwendbar sein. Jeder Men<strong>sch</strong> muss
das begreifen können. Und es muss allgemein akzeptiert
we<strong>rd</strong>en. Also, wenn ich eine Methode entwickle, bei der
prakti<strong>sch</strong> keine Unfälle mehr passieren, dann wi<strong>rd</strong> der
Spielraum so einge<strong>sch</strong>ränkt, dass die Leute meine Methode
nicht akzeptieren. Der Risikostanda<strong>rd</strong> muss so gewählt
we<strong>rd</strong>en, dass die meisten damit einverstanden sind. Das
heiß, man muss Risiken erlauben. Und meine Methode
erlaubt kleine und mittlere Risiken, <strong>sch</strong>ließt eigentlich nur
die großen Risiken aus, und das leuchtet den meisten
Men<strong>sch</strong>en ein.
Haben wir richtig gehört? Wenn eine Methode das Risiko
ganz aus<strong>sch</strong>ließen wü<strong>rd</strong>e …
We<strong>rn</strong>er Munter im Interview 8 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

… dann wü<strong>rd</strong>e kein Men<strong>sch</strong> sie anwenden, ja. Also muss
man ein Gleichgewicht finden, denn es sollten ja mög-
lichst viele Men<strong>sch</strong>en die Methode akzeptieren. Das heißt,
ich muss ein gewisses Risiko erlauben, damit man überhaupt
ansp<strong>ru</strong>chsvolle Touren machen kann. Im Nachhinein
muss ich sagen, das war vielleicht das Schwierigste an der
ganzen Angelegenheit. Denn wenn Sie diesen Risikostanda<strong>rd</strong>
festlegen wollen, stoßen Sie auf morali<strong>sch</strong>e Fragen:
Wie viel Risiko will ich erlauben, also b<strong>ru</strong>tal ausgedrückt:
Wie viele Lawinenopfer sind wir bereit zu akzeptieren? Das
ist im G<strong>ru</strong>nde genommen eine gesell<strong>sch</strong>aftliche Frage.
Genau wie im Verkehr, wo Sie sich überlegen müssen, wie
viele Tote sie akzeptieren wollen, damit wir Mobilität auf
den Straßen haben. Genauso müssen wir uns in den Bergen
überlegen, wie viele Lawinentote können wir akzeptieren,
um unsere Freiheit zu haben. Die Schwierigkeit ist
ja: Meine Methode muss freiwillig akzeptiert we<strong>rd</strong>en. Das
ist nicht wie im Straßenverkehr, wo ja jeder sich an die
Regeln halten muss. Also muss ich Überzeugungsarbeit
leisten und den Leuten erklären, dass das Risiko klein ist,
wenn sie meine Methode anwenden.
Nun habe ich meinen Risikostanda<strong>rd</strong> natürlich nicht willkürlich
festgesetzt, sonde<strong>rn</strong> ich orientiere mich am Verband
Deut<strong>sch</strong>er Sicherheitsingenieure. Die haben herausgefunden,
dass bei der Arbeit in einer Fabrik auf hunderttausend
unsichere Handlungen ein Todesopfer kommt.
Und das wi<strong>rd</strong> als akzeptabel betrachtet. Dieses Verhältnis,
also eins zu hunderttausend, habe ich genommen und
darauf meine Methode aufgebaut. Wenn Sie also einhunderttausend
Touren machen, sind Sie ein Mal tot. Und das
halten die meisten Bergsteiger für ve<strong>rn</strong>ünftig, das wi<strong>rd</strong>
akzeptiert.
Anfangs war es auße<strong>rd</strong>em eine ungeheuere Herausfo<strong>rd</strong>e<strong>ru</strong>ng,
eine in der Anwendung einfache Methode zu entwickeln,
denn die Schneedecke ist ein hochkomplexes,
offenes, thermodynami<strong>sch</strong>es System. Das ist so ungefähr
das Schlimmste, was uns begegnen kann. Und jetzt habe
ich gezeigt, dass einfache Denk und Handlungsmuster
ausreichend sind, um sich in diese Komplexität weitgehend
sicher zu bewegen. Für die meisten ist das ein solcher
Widersp<strong>ru</strong>ch, dass sie nicht geglaubt haben, dass
meine Methode funktioniert …
… aber das tut sie.
Ja, weil sie in der Anwendung einfach ist, aber im Hinterg<strong>ru</strong>nd,
was niemand merkt und auch noch kaum jemand
begriffen hat, die Komplexität angemessen abbildet. Da ent-
We<strong>rn</strong>er Munter im Interview
Abb. 1
100 %
50 %
25 %
12,5 %
6,25 %
Verzicht auf
Hänge > 40°
Verzicht auf
Sektor No<strong>rd</strong> (NW-N-NE)
Verzicht auf selten
begangene Hänge
Verzicht auf große
G<strong>ru</strong>ppen ohne Abstände
Ent<strong>sch</strong>eidungsbaum / Geburt der Reduktionsmethode. »Um eine
Lawinenauslösung möglichst unwahr<strong>sch</strong>einlich zu machen, we<strong>rd</strong>en
eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Jeder Verzicht
halbiert das Ausgangspotenzial.« Munter, Snow How Nr. 28, 1992
spricht sie »Ashby’s Law«, der sagt, je komplexer die Situation,
umso komplexer muss auch die Verhaltensregel sein.
Ich versuche das mal zu erklären: Früher haben wir punktuell
Stabilitäten in der Schneedecke gemessen und glaubten,
damit die Sachen im Griff zu haben. Bei dieser Punktmessung
haben wir angenommen, dass die Schneedecke
am selben Hang weitgehend homogen ist. Das haben wir
einfach vorausgesetzt! Dann haben wir aber gemerkt, dass
die Streuung der Messwerte außero<strong>rd</strong>entlich groß war,
und mussten eine Sicherheitsdistanz einbauen. Wenn Sie
nur ein Kriterium wählen und das Risiko einigermaßen
ein<strong>sch</strong>ränken wollen, müssen sie den Spielraum aber <strong>sch</strong>on
9 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7
Halbie<strong>ru</strong>ng
Halbie<strong>ru</strong>ng
Halbie<strong>ru</strong>ng
Halbie<strong>ru</strong>ng
* Zur Vertiefung der strategi<strong>sch</strong>en Lawinenkunde: W. Munter:
3 3 Lawinen. Risikomanagement im Wintersport. 4. Auflage.
Garmi<strong>sch</strong>-Partenkirchen 2009: Pohl & Schellhammer.

so weit ein<strong>sch</strong>ränken, dass niemand die Methode mehr
akzeptiert. Ich hatte dann die Idee, dass man mit einem
Kriterium nicht zu Rande kommt, sonde<strong>rn</strong> man mehrere
Kriterien kombinieren muss. Wir haben in der Lawinenkunde
aber nur Regeln, die eine Zuverlässigkeit von 50%
haben. Nun geht es aber um Leben und Tod! Und dann
Regeln mit einer Trefferquote von 50% zu verwenden, das
<strong>sch</strong>eint den meisten absu<strong>rd</strong>.
Doch dann betreibe ich einfach Mathematik und nehme
mir vier oder fünf Regeln mit einer Quote von 50%, die ich
kombinieren kann. Ich nehme Regel Nummer eins, Risiko
ist halbiert. Regel Nummer zwei, es bleiben 25% und so
weiter. Nach drei Regeln bin ich <strong>sch</strong>on fast bei einer
Sicherheit von 90%, das ist das Prinzip der kombinierten
Wahr<strong>sch</strong>einlichkeiten und zwar mit ganz einfachen Rechnungen,
wie sie jeder ve<strong>rste</strong>ht. Nun habe ich eine Formel
aufgestellt, die lautet: Risiko ist gleich Natur geteilt durch
Men<strong>sch</strong>, oder anders gesagt, Gefahr durch das Verhalten.
Für die Variable Gefahr ziehe ich die fünf Gefahrenstufen,
wie wir sie in der Lawinenkunde haben, heran. Dieses
Potenzial dividiere ich durch das Verhalten, also Reduktionsfaktoren,
die das Risiko aber auch den Spielraum
ein<strong>sch</strong>ränken.
Wir wissen aus der Unfallstatistik, dass Lawinenunfälle
zeitlich und örtlich konzentriert sind. Und das mach ich
mir zu Nutze, indem ich die gefährlichsten Kombinationen
herausgreife. Ein Beispiel, nehmen wir Gefahrenstufe drei,
weil man da noch unterwegs ist, bei 4 und 5 ist kaum
noch ein ve<strong>rn</strong>ünftiger Men<strong>sch</strong> unterwegs, da ist man zu
Hause. Durch die Kombination von Zeit und Ort habe ich
meine e<strong>rste</strong> Variable, dann noch extrem steiler Hang und
Abb. 2
Gefahr
Vorsicht
ausgewogen / optimiert
gutes Risiko
Gefahr
drittens, no<strong>rd</strong>exponierter Hang. Das wäre jetzt die unfall
trächtigste aller Kombinationen, die ich »totgeiler Dreier«
nenne, um die Leute abzu<strong>sch</strong>recken. Dazu kommen noch
zwei andere dieser Dreier-Kombinationen, die ich Limits
nenne. Wenn Sie diese drei Limits vermeiden, dann haben
Sie <strong>sch</strong>on das Schlimmste weg. Und das ist nun einfach,
weil wir die Gefahrenstufe offiziell per Lawinenlagebericht
vom Institut in Davos erhalten, und der Rest ist Kartenlesen.
Die Karten heute sind so genau, das wir aus dem Abstand
der Höhenkurven die Steilheit des Hangs ablesen können
und auch No<strong>rd</strong>hänge sind einfach zu erkennen. Wer also
ganz einfach arbeiten will und bereit ist, ein gewisses Risiko
einzugehen, aber doch die Klumpenrisiken vermeiden
möchte, arbeitet einfach mit diesen drei Limits. Ich habe
mit vielen Leuten geredet, die so vorgehen. Viele sagen
mir, dass sie den Spielraum, den ich ihnen lasse, bei
Weitem nicht ausnutzen. Meine Methode kombiniert Einfachheit
in der Anwendung mit einem großen Spielraum,
und das gibt die Akzeptanz, und deshalb ist die Methode
erfolgreich.
Meinen Sie, man könnte Ihre Erkenntnisse über die Wah<strong>rn</strong>ehmung
und den Umgang mit Risiken verallgemeine<strong>rn</strong>?
Ja. Also die Methode ist ganz sicher allgemeingültig. Sie
können die Schneedecke durch jede andere komplexe
Situation ersetzen. Die Lösung ist dann, nach einfachen
Lösungen zu suchen. Das ist kein Widersp<strong>ru</strong>ch, wie ich gezeigt
habe. Dafür muss es aber einen Kopf geben und das
ist am Anfang auch sehr mühsam. In meinem Fall musste
ich erst nach verlässlichen Faktoren suchen, habe jahrelang
mit Statistiken gearbeitet und an die tausend Schneefestigkeitsmessungen
vorgenommen. Das war die Basis
Vorsicht
stop!
<strong>sch</strong>lechtes Risiko
Gefahr
Vorsicht
sehr vorsichtig
vielleicht verpasst du eine Chance …
»Erst wägen, dann wagen.« Den berühmten Aussp<strong>ru</strong>ch des preußi<strong>sch</strong>en Generalstab<strong>sch</strong>efs Helmuth von Moltke können wir in der Reduktionsmethode
wörtlich nehmen, denn wir haben ja die Risikowaage. Die ent<strong>sch</strong>eidende Frage des Richters nach einem Unfall: »Waren die Vorsichtsmaßnahmen
der Gefahr angepasst?« muss bei Risiko 1 mit »Ja« beantwortet we<strong>rd</strong>en, weil die Risikowaage im Gleichgewicht ist, d. h., das Gefahrenpotenzial
ist gleich dem Risikopotenzial. Die »Goldene Regel« – eine Methode, mit der man in Minuten<strong>sch</strong>nelle aus den 600 Kombinationen (den möglichen
Situationen, deren Anzahl sich aus der multiplikativen Ve<strong>rn</strong>etzung von fünf in Klassen eingeteilter Schlüsselvariablen ergibt) die guten resp.
<strong>sch</strong>lechten Risiken herausfilte<strong>rn</strong> kann – sagt uns, wann die Waage im Gleichgewicht ist:
• bei Gering benötigt man einen beliebigen Reduktionsfaktor • bei Mäßig benötigt man zwei beliebige Reduktionsfaktoren
• bei Erheblich benötigt man drei Reduktionsfaktoren, wovon einer erstklassig sein muss. Der RF »weniger als 35°« zählt doppelt (= 2 RF)
We<strong>rn</strong>er Munter im Interview 10 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

100/0
Todesopfer in %
50/50
40/60
30/70
20/80
10/90
Jeder kann das und Experten
sind genauso blöd wie wir, also
weg mit dem Heiligen<strong>sch</strong>ein.
Wir brauchen eine Methode, die
von jedem angewendet we<strong>rd</strong>en
kann. Und das trifft so auch auf
andere Situationen zu.
Abb. 3
Risiko 3
Risiko 2,2
Risiko 2
Risiko 1,5
Risiko 1
Risiko 0,9 (Pareto-Optimum 20 : 80)
Risiko 0,5
(Risiko Lufthansa)
0 10 20 30 40 50 Verzicht in % 100
Klumpenrisiken, jenseits der Limits. Unbedingt meiden
Optimaler Bereich für Profis und engagierte Amateure.
Kalkulierte Risiken
Bereich für Anfänger und Gelegenheitstouristen
case
fatality
rate
1 : 50.000
1 : 100.000
1 : 1.000.000
Risiko vs. Verzicht – Optimie<strong>ru</strong>ng.
Der Scheitelpunkt der »Hyperbel« liegt interessanterweise ziemlich
genau im Pareto-Optimum, das besagt, dass sich mit 20 % Aufwand
(hier Verzicht) 80 % Wirkung (hier Reduktion der Todesopfer) erzielen
lässt. Beim Risikostanda<strong>rd</strong> 1 müssen wir im Durch<strong>sch</strong>nitt 1 x pro
Woche verzichten. Das ist zumutbar, vor allem, wenn man bedenkt,
dass an diesem Tag oft auch noch <strong>sch</strong>lechtes Wetter herr<strong>sch</strong>t.
Zug<strong>ru</strong>nde gelegt ist ein diversifiziertes Tourenprogramm mit leichten
bis ansp<strong>ru</strong>chsvollen Touren. Um den Risikostanda<strong>rd</strong> der Lufthansa zu
erreichen, müssten wir in 4 von 5 Fällen verzichten …
Die Klumpenrisiken, Risiko > 2, sind klar erkennbar: Konzentrieren sich
doch 60 % der tödlichen Unfälle in nur 10 % der Aktivitäten!
We<strong>rn</strong>er Munter im Interview
.............
11
der Methode, die den Anwender aber gar nicht interessie-
ren muss. Wichtig ist dann aber, entsprechend der drei
kybe<strong>rn</strong>eti<strong>sch</strong>en Prinzipien – auswählen, gewichten und
ve<strong>rn</strong>etzen – Schritt zwei und drei auch zu gehen. Als ich
mit dieser Arbeit begonnen habe, hat man noch mit wissensbasierten
Ent<strong>sch</strong>eidungen gearbeitet, also Expertenwissen.
Das heißt, da gab es einen Gu<strong>ru</strong> und alle anderen
sind dumm. Damit habe ich gebrochen und gesagt: Jeder
kann das und Experten sind genauso blöd wie wir, also
weg mit dem Heiligen<strong>sch</strong>ein. Wir brauchen eine Methode,
die von jedem angewendet we<strong>rd</strong>en kann. Und das trifft so
auch auf andere Situationen zu.
Und bei der Wirt<strong>sch</strong>aftskrise, was ist da fal<strong>sch</strong> gelaufen?
Ich glaube, dass man wahr<strong>sch</strong>einlich den Faktor Men<strong>sch</strong>
ausgeklammert und zu sehr an die Formeln geglaubt hat.
Dabei wu<strong>rd</strong>en diese ja hinterfragt und auch gezeigt, dass
die Formeln nur in bestimmten Situationen funktionieren.
Zum Beispiel hat man vorausgesetzt, dass sich der Men<strong>sch</strong>
rational verhält, was natürlich überhaupt nicht stimmt,
die Krise hat es bewiesen. Der Men<strong>sch</strong> benimmt sich wie
ein He<strong>rd</strong>entier.
Die Methoden waren also auf fal<strong>sch</strong>en Prämissen aufgebaut?
Der freie Markt kann nur funktionieren, wenn jeder frei
ent<strong>sch</strong>eidet und rational ent<strong>sch</strong>eidet. Und diese beiden
Voraussetzungen sind eben nicht erfüllt. Der Men<strong>sch</strong> ist
nicht rational und das gilt auch für den Bergsteiger. Aber
dort habe ich meine Regeln entwickelt, um diese fehlende
Rationalität zu korrigieren. Wenn man jetzt stur nach
Regeln arbeitet, dann verhält man sich einigermaßen richtig,
und man muss vor allem die Intuition aus<strong>sch</strong>alten. Es
gibt immer wieder Leute, die an die Intuition glauben.
Aber die Beweisfüh<strong>ru</strong>ngen sind mir da oft zu einfach. Und
vor allem wenn es dann um Leben und Tod geht, da sind
unverbindliche Ratespiele nicht das richtige Mittel.
Deshalb habe ich versucht, Intuition – die zwar hier und da
funktioniert, aber hier und da auch nicht – und wir wissen
eben nicht, wann sie es tut – auszu<strong>sch</strong>alten. Meine
Methode ist eigentlich nichts anderes, als die Irrationalität
durch Rationalität zu ersetzen. Ihr Credo lautet: weg von
dem Gefühl.
Ich habe Lawinenunfälle <strong>ru</strong>nd um die Welt untersucht,
und kann Ihnen sagen, Intuition funktioniert nicht. Auch
an der Börse funktioniert Intuition nicht. Da haben Sie
immer diese Ge<strong>sch</strong>ichten von irgendwelchen Gu<strong>ru</strong>s, die
eine Zeit lang Erfolg, also einfach Glück haben. Und dann
Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

machen sie aus diesem Glück eine Methode, die dann von
Tausenden angewendet wi<strong>rd</strong>, von denen viele ihr gesamtes
Vermögen verlieren. Wa<strong>ru</strong>m? Sie haben kein Glück gehabt.
So geht es natürlich nicht. Die persönliche Erfah<strong>ru</strong>ng
ist sehr unzuverlässig, da muss man sich nichts drauf einbilden.
Deswegen sind meine Methoden auf Unfällen aufgebaut,
also Situationen, wo die Leute Unrecht gehabt
haben und fal<strong>sch</strong>e Ent<strong>sch</strong>eidungen getroffen wu<strong>rd</strong>en. Wenn
Sie nur Ihre eigene Erfah<strong>ru</strong>ng heranziehen, dann ist eine
Lawine oder ein Wirt<strong>sch</strong>aftskollaps ein sehr seltenes Ereignis,
das man wahr<strong>sch</strong>einlich nur einmal miterlebt. Um
die Komplexität zu erfassen, brauchen Sie aber viele Fälle,
und bei Fehlurteilen hat man sofort eine große Zahl zusammen.
Es geht nicht mehr um die persönliche, sonde<strong>rn</strong>
um die kollektive Erfah<strong>ru</strong>ng. Und das ist meine Basis: die
Unfälle, nicht der persönliche Erfolg.
Um die Komplexität zu erfassen,
brauchen Sie aber viele Fälle, und
bei Fehlurteilen hat man sofort
eine große Zahl zusammen. Es geht
nicht mehr um die persönliche, sonde<strong>rn</strong>
um die kollektive Erfah<strong>ru</strong>ng.
Und das ist meine Basis: die Unfälle,
nicht der persönliche Erfolg.
In den Bergen we<strong>rd</strong>en manchmal künstlich Lawinen aus-
gelöst, um Risiken zu vermeiden. Kann die Wirt<strong>sch</strong>afts-
politik hier etwas le<strong>rn</strong>en?
Ja, natürlich. Also wenn eine Bank in der Schweiz pleite
geht und so groß ist, dass das einen Staatsbankrott auslöst,
dann muss man die Bank auflösen oder in mehrere
Teile zerlegen. Das ist doch selbstverständlich.
Ganz aus<strong>sch</strong>ließen lassen sich Risiken nie, sei es in der
Wirt<strong>sch</strong>aft oder am Berghang. Ist Vorbeugen also Pflicht?
Vorbeugen ist das Einzige, das funktioniert. Aber auch die
Weltwirt<strong>sch</strong>aft funktioniert nicht ohne Risiko, dann gäbe
es ja keine Gewinne mehr. Man muss das Risiko limitieren
und deshalb rede ich ja von Reduktionsfaktoren. Das ist
der Sinn jedes Risikomanagements. Ich habe dafür eine
Risikowaage entwickelt. In der einen Waage<strong>sch</strong>ale ist das
Risikopotenzial, welches uns durch den aktuellen Lawinen-
lagebericht vorgegeben wi<strong>rd</strong>. Und auf der anderen Seite
haben Sie das men<strong>sch</strong>liche Verhalten. Je höher die Risikostufe,
auf desto mehr muss ich verzichten. Wenn die
Waage im Gleichgewicht ist, spreche ich von einem guten
Risiko, was natürlich unheimlich viele Men<strong>sch</strong>en provoziert
hat. Mein Schluss ist, wir müssen die guten Risiken
erkennen können und die <strong>sch</strong>lechten vermeiden.
Sie müssen erstmal die wichtigsten Schlüsselvariablen finden,
dann gewichten und ve<strong>rn</strong>etzen Sie. Letzteres ist ganz
wichtig, denn in komplexen Systemen funktionieren additive
Methoden nicht. Es bringt Ihnen nichts, alle Daten zu
sammeln, wenn sie nicht in ein Koo<strong>rd</strong>inationssystem eingeo<strong>rd</strong>net
we<strong>rd</strong>en können. Im Gegenteil: Je mehr Daten sie
haben, desto <strong>sch</strong>wieriger ist die Ent<strong>sch</strong>eidungsfindung.
Wenn Sie sich etwa überlegen, ob Sie heiraten wollen oder
nicht, gibt es am Ende wie häufig bei <strong>sch</strong>wierigen Ent<strong>sch</strong>eidungen
eine 50:50 Situation – und dann gibt meist
ein ganz unwichtiger Faktor den Aus<strong>sch</strong>lag. So funktioniert
es nicht. In komplexen Situationen brauchen wir
mindestens eine multiplikative Ve<strong>rn</strong>etzung und regelbasiertes
Wissen.
Was ist der größte Fehler, den man Im Umgang mit Risiken
machen kann?
Überzeugt zu sein, dass ich die Sache im Griff habe. Sobald
man risikobewusst ist, ändert sich die Sachlage <strong>sch</strong>lagartig.
Bei Unfällen in den Bergen passiert es oft, dass jemand
einen Fehler macht und es Tote gibt. Dann fallen alle über
denjenigen her und sagen: Wie hat der nur diesen Mist
bauen können? Stattdessen sollten wir sagen: Ve<strong>rd</strong>ammt.
Das hätte mir auch passieren können. Das ist Risikobewusstsein.
Und da hat sich in den letzten Jahrzehnten
in der Lawinenkunde viel geändert. Sie können mir zum
Beispiel kein Lehrbuch aus den 70er Jahren zeigen, welches
im Untertitel nicht das Wort »Sicherheit« hat. Heute
hat jedes gute Lehrbuch das Wort »Risiko« oder »Risikomanagement«
im Titel, und daran sieht man die ungeheure
Wandlung. Das ist vor allem ein Wandel in der
Mentalität.
Herr Munter, vielen Dank für das anregende Gespräch!
¶
.............
Die Grafiken sind adaptiert aus:
Munter, We<strong>rn</strong>er (2008): Auf der Suche Nach dem Gleichgewicht.
bergundsteigen. Zeit<strong>sch</strong>rit für Risikomanagement, Nr. 04/2008, S. 40-45
We<strong>rn</strong>er Munter im Interview 13 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Management für Fortge<strong>sch</strong>rittene
Dirk Baecker
Auf nach China
Es ist ein bekanntes Phänomen, dass
das Interesse der Praxis an der Systemtheorie
antizykli<strong>sch</strong> zu jenem in
der Wissen<strong>sch</strong>aft verläuft. Während
man in der Wissen<strong>sch</strong>aft immer
wieder in Situationen gerät, in denen
man darauf hinweisen muss, dass es
neben dem Erklä<strong>ru</strong>ngsprinzip der
Kausalität und neben dem Nachweis
statisti<strong>sch</strong>er Korrelationen von Daten
Phänomene einer chaoti<strong>sch</strong>en Selbstorganisation
gibt, denen man allenfalls
mit dem Erklä<strong>ru</strong>ngsprinzip der
Kommunikation und mit dem Nachweis
nichtlinearer Rekursivität beikommt,
ist das in der Praxis zwar
nicht begrifflich, aber doch sachlich
so selbstverständlich, dass man hier
eher auf Ungeduld als auf paradigmati<strong>sch</strong>e
Einwände stößt. Kein Politiker,
Kirchenfürst, Unte<strong>rn</strong>ehmer,
Fußballtrainer, Galerist, Intendant,
General oder Oberarzt rechnet nicht
längst mit einer Vielzahl unabhängiger
Variablen, deren vertrackteste
Eigen<strong>sch</strong>aft darin besteht, dass sie
sich ihre Abhängigkeiten voneinander
selber aussuchen. Sie kommunizieren
untereinander, wie dies das
Bild von den kommunizierenden
Röhren so <strong>sch</strong>ön auf den Punkt
bringt, ohne dass man eine Chance
hätte, das kausal zu o<strong>rd</strong>nen oder
statisti<strong>sch</strong> zu vereinheitlichen. Jeder
gute Praktiker hat dafür längst ein
Gefühl und verbittet sich eine Wissen<strong>sch</strong>aft,
die ihm dies ve<strong>rn</strong>ebelt,
ebenso wie eine Esoterik, die ihm
sein Gefühl in ein Ge<strong>sch</strong>wätz verwandelt.
Im Moment, so hat man den Eind<strong>ru</strong>ck,
sind die Chinesen am Zug.
Während die evidence-based Wissen<strong>sch</strong>aft
in ihren double-blinded peerreviewed
A-jou<strong>rn</strong>als im Westen bürokrati<strong>sch</strong>e
Purzelbäume <strong>sch</strong>lägt, interes-
Kolumne
siert sich ein Teil der chinesi<strong>sch</strong>en
Wissen<strong>sch</strong>aft aus durchaus prakti<strong>sch</strong>en
Gründen für die Systemtheorie.
Es geht um Bevölke<strong>ru</strong>ngsmigration,
Staudammbau, Bewässe<strong>ru</strong>ngsanlagen,
Wirt<strong>sch</strong>aftsplanung, urbanes
Wachstum und ökologi<strong>sch</strong>e Probleme
eines Ausmaßes, das den westlichen
Beobachter <strong>sch</strong>windeln lässt. Die
Chinesen entdecken das Verhältnis
von Mikrodiversität und Selbstorganisation,
dem Niklas Luhmann einen
seiner letzten Artikel gewidmet hat
und das den un<strong>ru</strong>higen Unterbau aller
emergenten Phänomene am Beispiel
der liberalen Individualisie<strong>ru</strong>ng präzise
auf den Punkt bringt, 1 und versuchen
herauszufinden, wieviel Un<strong>ru</strong>he
erfo<strong>rd</strong>erlich und erträglich ist,
um auf welchen Ebenen eine Emergenz
zum Tragen zu bringen, die
dann auch wieder mit der Planwirt<strong>sch</strong>aft
kompatibel ist. Der Durchgriff
auf das Individuum wi<strong>rd</strong> aufgegeben,
weil man Anlass hat, die Umerziehung
nicht mehr auf der
G<strong>ru</strong>ppenebene, da war sich alle Welt
noch Mitte des 20. Jahrhunderts erstaunlich
einig (und Kurt Lewin ihr
une<strong>rn</strong>annter Papst), sonde<strong>rn</strong> auf einer
kollektiven Ebene, die mal den
Namen des Schwarms, das ist die
westliche Variante, mal den Namen
der Masse, das ist die östliche
Variante, trägt. 2 Aber was ist das
für eine Masse und aus welchen
Elementen besteht sie? Einer der systemi<strong>sch</strong>en
Vo<strong>rd</strong>enker an der Akademie
der Wissen<strong>sch</strong>aften in Peking,
Wenyuan Niu, hat auf diese Frage
auf der 1. Inte<strong>rn</strong>ationalen Konferenz
für komplexe Wissen<strong>sch</strong>aften in
Shanghai im Feb<strong>ru</strong>ar 2009 (die nächste
ist für 2011 angekündigt) eine
eigenwillige Antwort gegeben. Im
An<strong>sch</strong>luss an Hermann Hakens
Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Synergetik entwickelt er eine »social
combustion theory«, die auszurechnen
versucht, wieviel Verbrennung
(combustion) sich ein System leisten
kann und muss, um den entropi<strong>sch</strong>en
Tendenzen, denen es unterliegt,
einerseits nachzukommen, das
ist thermodynami<strong>sch</strong> unvermeidlich,
und andererseits gegenzusteue<strong>rn</strong>,
um negentropi<strong>sch</strong> auch wieder
O<strong>rd</strong>nung aufzubauen. 3
Entropie, so Niu, entsteht aus der
Ansammlung von mikrokosmi<strong>sch</strong>en
Elementarpartikeln, auch »Individuen«
genannt, deren soziale Energie
genutzt wi<strong>rd</strong>, indem sie verbraucht
wi<strong>rd</strong>. Dabei kann eine »soziale Temperatur«
entstehen, deren inhärente
Uno<strong>rd</strong>nung die Möglichkeit der Akkumulation
von Energie übe<strong>rste</strong>igt.
Dann hilft nur, so erfährt man aus
einem weiteren Artikel Nius mit einigen
seiner Mitarbeiter, 4 rechtzeitig
auf eine öffentliche Meinung zu achten,
die selbst nichts anderes als
Brennmaterial sei, deren Infektionsprozesse
jedoch durch Meinungsführer
kontrolliert we<strong>rd</strong>en können.
Max Weber hatte auf das Ingenium
einer chinesi<strong>sch</strong>en Politik, die am
Lächeln der Mandarine ablas, ob sich
die Gesell<strong>sch</strong>aft im harmoni<strong>sch</strong>en
Gleichgewicht befindet oder nicht,
bereits hingewiesen. 5 Schon damals
war der Konfuzianismus, den man
heute als Religion interpretiert, eine
Gegenmaßnahme zu jeder Religion,
die etwas mit Ekstase, Askese oder
auch nur Kontemplation zu tun hatte.
Stattdessen ging es um Verwaltung
und Erziehung, mit der Pointe, dass
die Erziehung im Medium einer
durch ständige Prügelei erzeugten
Verbieste<strong>ru</strong>ng (meng) stattfand und
man sich nur daraus die Entstehung
jener »Güte« vo<strong>rste</strong>llen konnte, die
.....
Die Chinesen versuchen herauszufinden, wie
viel Un<strong>ru</strong>he erfo<strong>rd</strong>erlich und erträglich ist.
<strong>sch</strong>ließlich mit allem einverstanden
war, was sich die Verwaltung ausdachte,
solange die Harmonie des
Ganzen, abzulesen am Lächeln der
Mandarine, gegeben war. Und die
Mandarine, ein typi<strong>sch</strong>er Fall von
»Mittelstufendasein« 6 , lächelten nur,
wenn weder der D<strong>ru</strong>ck von oben zu
groß noch die Unzufriedenheit von
unten zu stark war. Wer sind in den
un<strong>ru</strong>higen Zeiten der aktuellen Krise
im Westen unsere Mandarine, an deren
Befinden wir ablesen könnten,
wie es um uns steht?
Was also wi<strong>rd</strong> in China verbrannt?
Und wie wi<strong>rd</strong> das Feuer gebändigt?
Gerald Midgley und Jennifer Wilby
aus der angelsächsichen Schule des
Critical Systems Thinking (C. West Churchman,
Peter Checkland, Russell L.
Ackoff und andere) haben vor einigen
Jahren ein Themenheft der Zeit<strong>sch</strong>rift
Systems Practice and Action
Research (13. Jahrgang, Heft 1) der
Rezeption der Systemtheorie in China
gewidmet und festgestellt, dass der
Konfuzianismus bereits wesentliche
Elemente eines systemi<strong>sch</strong>en Denkens
vor allem dann, wenn es prakti<strong>sch</strong>en
Ansprüchen genügen soll, enthält.
Jifa Gu und Zhichang Zhu vom
Institut für Systemwissen<strong>sch</strong>aften
der chinesi<strong>sch</strong>en Akademie der Wissen<strong>sch</strong>aften
erläute<strong>rn</strong> in diesem
Themenheft, dass der Konfuzianismus
von exakt jenen Bedingungen
der Harmonie in differenzierten Systemen
handelt, von denen die Systemtheorie
ebenfalls spricht. 7 Diese
Bedingungen sind denkbar ansp<strong>ru</strong>chs-
voll. Harmonie stellt sich nicht von
selber her. Objektive Existenz (wu),
subjektive Modellie<strong>ru</strong>ng (shi) und
men<strong>sch</strong>liche Beziehungen (ren) müssten
auf eine Art und Weise miteinander
abgestimmt we<strong>rd</strong>en, die man nur
ve<strong>rste</strong>hen kann, wenn man berücksichtigt,
dass alle drei Elemente sowohl
Ansprüche aneinander stellen
als auch Abstand voneinander halten.
Deshalb ist die Differenzie<strong>ru</strong>ng
(li) der für alles andere ent<strong>sch</strong>eidende
Punkt. Taoismus, Buddhismus und
1 Siehe Niklas Luhmann, Selbstorganisation
und Mikrodiversität: Zur Wissenssoziologie
des neuzeitlichen Individualismus, in:
Soziale Systeme 3, Heft 1 (1997), S. 23-32.
2 Siehe zu beidem: Philip Ball, Critical Mass:
How One Thing Leads to Another, Being
an Enquiry into the Interplay of Chance and
Necessity in the Way that Human Culture,
Customs, Institutions, Cooperation and
Conflict Arise, London: Arrow Books, 2004.
3 Siehe Wenjuan Niu, Social Combustion
Theory: Dynamics of Social System Deterioration,
in: Jie Zhou (Hrsg.), Complex
Sciences, Bd. 5, Berlin: Springer, 2009,
S. 2293-2299.
4 Siehe Yijun Liu, Wenyuan Niu und Jifa Gu,
Study on Public Opinion Based on Social
Physics, in: Yong Shi et al. (Hrsg.), Cutting-
Edge Research Topics on Multiple Criteria
Decision Making: 20th Inte<strong>rn</strong>ational Conference,
MCDM 2009 Chengdu/Jiuzhaigou,
China, June 21-26, 2009, Berlin: Springer,
2009, S. 318-324.
5 Siehe Max Weber, Die Wirt<strong>sch</strong>aftsethik
der Weltreligionen, in: ders., Gesammelte
Aufsätze zur Religionssoziologie, Nachd<strong>ru</strong>ck
Tübingen: Mohr, 1988, S. 237-574,
hier insbes. S. 430 ff.
6 Mit dem Begriff von Niklas Luhmann,
Funktionen und Folgen formaler Organisation
[1964], 4. Aufl., Berlin: Duncker
& Humblot, 1995.
7 Siehe Jifa Gu und Zhichang Zhu, Knowing
Wuli, Sensing Shili, Caring for Renli: Methodology
of the WSR Approach, in: Systems
Practice and Action Research 13, Heft 1
(2000), S. 11-20.
Kolumne Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Konfuzianismus kommen daher
darin überein, Öffnung nur im Zusammenhang
mit Reflexion (»Dreimal
am Tag denke ich über mich
selber nach«, Konfuzius) und Vollständigkeit
nur im Zusammenhang
mit Komplementarität und Flexibilität
zu lehren. Damit ist jenes Wissen
um Komplexität formuliert, das auch
das antike Abendland bereits kannte
(Diophantus): ein Wissen um die
Komplementarität des Ver<strong>sch</strong>iedenen,
ein Wissen um die Form der
Unter<strong>sch</strong>eidung, ein Wissen um die
immer mitlaufende Notwendigkeit
einer Ergänzung. 8
Vertieft man dieses chinesi<strong>sch</strong>e Modell,
dreht es sich insbesondere um
die Differenz (li), die als Substantiv
und als Verb gleichermaßen verstanden
wi<strong>rd</strong>, als Textur, Markie<strong>ru</strong>ng,
Linie, Kö<strong>rn</strong>igkeit, Form, Muster, Wesen,
Prinzip, Gesetz, O<strong>rd</strong>nung, Regel,
Regulie<strong>ru</strong>ng, Maxime, Logik, Wahrheit,
G<strong>ru</strong>nd, Argument, Ve<strong>rn</strong>unft,
Die mit den Quadraten
Verlag für Systemi<strong>sch</strong>e For<strong>sch</strong>ung
253 Seiten, Kt, 2010
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Weg, Eigen<strong>sch</strong>aft, aber auch als managen,
betreiben, o<strong>rd</strong>nen, aufräumen,
aufmerksam sein auf, anerkennen,
unter<strong>sch</strong>eiden, gerade rücken,
führen, dienen, engagieren. 9 Wuli,
shili und renli sind daher zusammengenommen
nichts anderes als Praktiken
der Akkomodation des denkbar
Unter<strong>sch</strong>iedlichen, Praktiken jedoch,
die deshalb, weil das Unter<strong>sch</strong>iedliche
unter<strong>sch</strong>iedlich ist, immer nur aus
einer Position der Reflexion auf den
eigenen Unter<strong>sch</strong>ied heraus vorgenommen
we<strong>rd</strong>en können. 10 Wir haben
es oft genug gehört.
Die Chinesen <strong>sch</strong>einen jedoch vielfach
mutiger als wir darin zu sein,
der Reflexion eine eigene Praxis auf
den Leib zu <strong>sch</strong>neide<strong>rn</strong>, die durchaus
etwas mit Planung und Management
zu tun hat. Jifa Gu etwa entwirft einen
meta-synthesis approach, in dem auf
denkbar klassi<strong>sch</strong>e Art und Weise
Hypothesenentwurf und -validie<strong>ru</strong>ng
mit einem denkbar unklassi<strong>sch</strong>en,
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aber prakti<strong>sch</strong> immer <strong>sch</strong>on betriebenen
Vorgehen der Zusammenstellung
heterogener Experteng<strong>ru</strong>ppen, der
Suche nach überra<strong>sch</strong>enden Informationen
und der Verpflichtung ver<strong>sch</strong>iedener
Disziplinen auf eine dann
nur ad hoc, nur »<strong>sch</strong>mutzig« (mein
Wort, db, nicht Gus Wort) zu formulierenden
Theorie einhergeht. 11 Das
gibt es im Westen alles auch, ich
weiß. Peter Heintel hat es sogar als
neue Form einer erst noch zu institutionalisierenden,
auf den Prozess und
nicht die Arbeitsteilung konzentrierten
Philosophie entworfen. 12 Aber interessant
ist es doch, dass ausgerechnet
die Sprachen der Differenz und
der Komplexität hier wie dort, im
Westen wie im Osten und in der Praxis
wie in der Theorie, zu finden sind.
Aber wie passt das mit der Verbrennung
zusammen, über die Wenyuan
Niu nachdenkt? Ich weiß es nicht,
aber wenn ich in meinem Zettelkasten
nach<strong>sch</strong>aue, was ich dort unter dem
Die wissen<strong>sch</strong>aftliche Edition bei Carl-Auer • Bei Publikationsinteresse we<strong>rd</strong>en Sie sich bitte an:
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Kolumne 106 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 6
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Stichwort »Evolution« finde, auf das
sich auch Niu bezieht, dann stoße
ich auf eine Bemerkung Heinz von
Foe<strong>rste</strong>rs, die auch wieder mit dem
<strong>sch</strong>on genannten Stichwort der »Mikrodiversität«
korrespondiert. Heinz
von Foe<strong>rste</strong>r glaubt nicht an das
Prinzip der natürlichen Selektion:
»Die Natur wählt nichts. Da sitzt ja
nicht ein großer Selektor mit dem
Zwicker und der Pinzette, der fein
säuberlich die Saurier von der Spielfläche
entfe<strong>rn</strong>t, sie ver<strong>sch</strong>winden
einfach.« 13 Und wie immer hat er
Recht. Darwin dachte zunächst nur
deshalb an Prozesse der Selektion,
weil er seine Studien der Evolution
auf einem Pflanzenfeld vo<strong>rn</strong>ahm, auf
dem immer auch ein Gärtner unterwegs
war, der die einen Pflanzen entfe<strong>rn</strong>te
und die anderen stehen ließ.
Das war von vo<strong>rn</strong>eherein eine soziale
Selektion, wie sie mit Herbert
Spencer, hochgetrieben zum ideologi<strong>sch</strong>en
Prinzip, dann zu Recht unter
Ver<strong>ru</strong>f kam, und keine natürliche
Selektion. Was aber findet man vor,
wenn man nur auf die Natur <strong>sch</strong>aut?
Mannigfaltigkeit und Tod. Das seien
die beiden fundamentalen Prinzipien
der Evolution, sagt von Foe<strong>rste</strong>r, nicht
Selektion und Fitness.
Ahnt man, welche Entlastung und
welche Herausfo<strong>rd</strong>e<strong>ru</strong>ng diese Umstellung
bedeutet? Wir alle ver<strong>sch</strong>winden
wieder aus dem Spiel.
»Egal, wie gut der Men<strong>sch</strong> ist, er
wi<strong>rd</strong> zu einem toxi<strong>sch</strong>en Ärge<strong>rn</strong>is,
wenn er zu lange he<strong>ru</strong>mhängt. Die
Tafel, auf der sich all die Informationen
sammeln, muss abgewi<strong>sch</strong>t
we<strong>rd</strong>en, und die <strong>sch</strong>öne Schrift darauf
muss sich in zufälligen Kreidestaub
verflüchtigen,« <strong>sch</strong>reibt Gregory
Bateson. 14 Aber bis es so weit ist,
arbeiten wir an der Mannigfaltig-
keit der <strong>sch</strong>önen Schrift. Was das
heißt? Es heißt, dass wir uns auf die
Verlockungen der Synergetik, zwi<strong>sch</strong>en
brennbarem Material und
emergenten O<strong>rd</strong>nungen zu unter<strong>sch</strong>eiden,
nicht einlassen. Wir müssen
mit den Chinesen reden. Aber
nicht über social combustion, die ist
ge<strong>sch</strong>enkt, sonde<strong>rn</strong> über li, die Differenz.
¶
8 Siehe auch den Begriff der Ergänzung bei
Martin Heidegger, Die G<strong>ru</strong>ndbegriffe der
Metaphysik: Welt – Endlichkeit – Einsamkeit,
Frankfurt am Main: Klostermann,
1985, § 73; und den Begriff des supplément
bei Jacques Derrida, Grammatologie,
dt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974.
9 So die Übersetzung von Zhichang Zhu,
Dealing with a Differentiated Whole:
The Philosophy of the WST Approach, in:
Systems Practice and Action Research 13,
Heft 1 (2000), S. 21-57, hier: S. 25.
10 So François Jullien, Über die Wirksamkeit,
aus dem Französi<strong>sch</strong>en von Gabriele Ricke
und Ronald Vouillé, Berlin: Merve, 1999.
11 Siehe Jifa Gu, Meta-Synthesis Approach to
Complex Systems Modeling, in: European
Jou<strong>rn</strong>al of Operational Research 166 (2005),
S. 597-614.
12 Siehe Peter Heintel, Motivfor<strong>sch</strong>ung und
For<strong>sch</strong>ungsorganisation – ein neuer integrativer
Ansatz, in: Heinz Fi<strong>sch</strong>er (Hrsg.),
For<strong>sch</strong>ungspolitik für die 90er Jahre, Wien:
Springer, 1985, S. 373-414; und Wilhelm
Berger und Peter Heintel, Die Organisation
der Philosophen, Frankfurt am Main:
Suhrkamp, 1998.
13 So Heinz von Foe<strong>rste</strong>r, Der Anfang von
Himmel und E<strong>rd</strong>e hat keinen Namen:
Eine Selbster<strong>sch</strong>affung in 7 Tagen, hrsg.
von Albert Müller und Karl H. Müller,
Nachd<strong>ru</strong>ck Berlin: Kulturverlag Kadmos,
2002, S. 121.
14 In: Gregory Bateson, Geist und Natur:
Eine notwendige Einheit, aus dem Amerikani<strong>sch</strong>en
von Hans Günter Holl, Frankfurt
am Main: Suhrkamp, 1982, S. 255.
Dirk Baecker hat seit Herbst 2007 den
Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse
an der Zeppelin University in Friedrichshafen
inne. Zuvor war er Professor für
Soziologie an der Universität Witten/
He<strong>rd</strong>ecke, und von 1996 bis 2000 hatte er
die Reinha<strong>rd</strong>-Mohn-Stiftungsprofessur
für Unte<strong>rn</strong>ehmensfüh<strong>ru</strong>ng, Wirt<strong>sch</strong>aftsethik
und gesell<strong>sch</strong>aftlichen Wandel an
der Universität Witten/He<strong>rd</strong>ecke inne.
Kolumne Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Athanasios Karafillidis studierte Sozialwissen<strong>sch</strong>aften mit dem Schwerpunkt Soziologie der Organisation an der
Universität Wuppertal und war an<strong>sch</strong>ließend wissen<strong>sch</strong>aftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie der
Universität Witten/He<strong>rd</strong>ecke. In seiner Dissertation hat er an der Entwicklung einer soziologi<strong>sch</strong>en Formtheorie
gearbeitet. Momentan lehrt und for<strong>sch</strong>t er zu Netzwerken, Organisationen, Management, Grenzen, System- und
Formtheorie am Institut für Soziologie der RWTH Aachen. Der Autor veröffentlichte zuletzt: »Soziale Formen.
Fortfüh<strong>ru</strong>ng eines soziologi<strong>sch</strong>en Programms« (Bielefeld: transcript).
Athanasios Karafillidis
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung
Stuttgart
War die Ent<strong>sch</strong>eidung für das Großprojekt »Stuttgart 21«
riskant? Natürlich war sie riskant. Zumindest lässt sich
kaum leugnen, dass es mittlerweile zahlreiche Beobachter
gibt, die es so sehen – und nur das kann bei der Ein<strong>sch</strong>ätzung,
ob etwas riskant ist oder nicht, maßgebend
sein. Dass man ein Risiko eingegangen ist, <strong>sch</strong>eint nun
offensichtlich, denn man hatte den Kostenaufwand
fal<strong>sch</strong> einge<strong>sch</strong>ätzt, das Vertrauen in politi<strong>sch</strong>e Ent<strong>sch</strong>eidungsverfahren
über<strong>sch</strong>ätzt und das Engagement
und Mobilisie<strong>ru</strong>ngspotenzial der »bürgerlichen Mitte«
unter<strong>sch</strong>ätzt. Nun beklagt man von allen Seiten die
Schäden, die vor allem als zukünftig zu erwartende
Verluste markiert we<strong>rd</strong>en, aber <strong>sch</strong>on jetzt Konsequenzen
zeitigen, obwohl über ihr Eintreten keinerlei
Sicherheit bestehen kann: Man rechnet mit Verlust von
Wählerstimmen, mit Imageverlust, mit einem Verlust
von Standortattraktivität, mit Gewinnverlust oder Vertrauensverlust.
Aber natürlich sollte man dabei nicht
außer Acht lassen, dass andere Beobachter gerade deshalb
auch Gewinne witte<strong>rn</strong> können. Mit eigenen wie
fremden Risiken lässt sich spekulieren, man kann Wetten
auf sie ab<strong>sch</strong>ließen, wie sich an der Finanzwelt und
ihren Produkten besonders gut studieren lässt (vgl.
Esposito 2010).
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass man immer
wieder, sei es explizit oder nur implizit, hört, dass man
all das hätte wissen können. Das ist alles andere als ein
bloßer Hinweis darauf, dass jedes Handeln auch nichtintendierte
und nicht-antizipierte Folgen haben kann.
Vielmehr verweist diese semanti<strong>sch</strong>e Formel gleichsam
auf eine bestimmte Form der Beobachtung von Ent<strong>sch</strong>eidungen,
die entsprechende Auseinandersetzungen
(und mithin sogar Konflikte) befeue<strong>rn</strong> kann, wenn auch
nicht: muss. »Man hätte es wissen können« ist ein
wesentliches Element der Kommunikation über Risiken,
das im Prinzip jede ex post als riskant beobachtete
Ent<strong>sch</strong>eidung begleitet. Die Konsequenzen der damit
verknüpften und deshalb stets mittransportierten Annahmen
sind fatal, weil sie Kommunikation im Fall
Stuttgart 21 zunächst auf nur zwei Möglichkeiten ein<strong>sch</strong>ränkt.
Denn nun muss man entweder behaupten,
dass all diese Probleme in der Ent<strong>sch</strong>eidung zwar antizipiert
und bisweilen bekannt, aber letzten Endes wissentlich
ignoriert und in Kauf genommen wo<strong>rd</strong>en sind
oder aber dass sich die politi<strong>sch</strong>en und wirt<strong>sch</strong>aftlichen
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung 116 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

Ent<strong>sch</strong>eider so weit von den Interessen und dem Willen
der Bürger entfe<strong>rn</strong>t haben, dass sie erst gar nicht in der
Lage sind, solche Probleme zu antizipieren und zu berücksichtigen.
Wie auch immer unter diesen Umständen
an<strong>sch</strong>ließende Rechtfertigungsversuche für diese oder
irgendeine andere Ent<strong>sch</strong>eidung auch ausfallen und wie
auch immer die Motive und Interessen aussehen, die
man da hinzuerfindet: Es ist ein Dilemma. Man hätte es
wissen können.
Risiko
Eine Ver<strong>sch</strong>iebung dieses vor allem politi<strong>sch</strong> diskutierten
Problems in eine Soziologie des Risikos hinein (vgl.
Luhmann 1991), trägt zwar nicht zur politi<strong>sch</strong>en Lösung
des Problems bei, kann aber dabei helfen, etwas <strong>sch</strong>ärfer
zu sehen, wie Risiken eigentlich produziert we<strong>rd</strong>en und
welche kommunikativen Vorkeh<strong>ru</strong>ngen man trifft, um
sie bisweilen nicht auffallen zu lassen und um sich gegen
sie abzusiche<strong>rn</strong>.
Generell hält sich hartnäckig die Vo<strong>rste</strong>llung, man könne
mehr oder weniger riskante oder gar riskante von sicheren
Ent<strong>sch</strong>eidungen unter<strong>sch</strong>eiden. Das lässt jedoch
außer Acht, dass Ent<strong>sch</strong>eidungen immer Risiken bergen
und fe<strong>rn</strong>er, dass Risiken nicht objektiv gegeben sind und
auch nicht ein für alle Mal feststehen, sonde<strong>rn</strong> dass man
vor einer Ent<strong>sch</strong>eidung womöglich andere Risiken beobachtet
und einzugehen glaubt als nach der Ent<strong>sch</strong>eidung.
Ent<strong>sch</strong>eidungen we<strong>rd</strong>en kommuniziert und setzen
sich dadurch der Beobachtung aus. Das zeigt sich in
Stuttgart eindrücklich. Man wi<strong>rd</strong> immerfort mit anderen
Beobachte<strong>rn</strong>, mit zeitlichen Ver<strong>sch</strong>iebungen der
Beobachtung von Risiken und nicht zuletzt mit Überra<strong>sch</strong>ungen
im Hinblick darauf rechnen müssen, was
jeweils als <strong>sch</strong>adhafte Konsequenz einer Ent<strong>sch</strong>eidung
beobachtet wi<strong>rd</strong>. Wer beobachtet wann welche Schäden,
die als Konsequenz der Ent<strong>sch</strong>eidung für dieses
Projekt er<strong>sch</strong>einen? Geht es um Schäden für die repräsentative
Demokratie, für die investierenden Unte<strong>rn</strong>ehmen,
für die Natur oder für andere Projekte, die dann aus
finanziellen Gründen nicht mehr realisiert we<strong>rd</strong>en können?
Es ist demnach ratsam, in solchen Fragen immer
auch eine Systemreferenz anzugeben, um sortieren zu
können, was für wen zu welchem Zeitpunkt ein Risiko
ist. 1 Risiko ist ein Systemzustand, kein Weltzustand.
Insofe<strong>rn</strong> ist jedes beobachtete Risiko systemi<strong>sch</strong> – Produkt
eines Systems.
.......
Risiken sind gleichsam ein
Abfallprodukt der Kommunikation
von Ent<strong>sch</strong>eidungen. Sichere
Ent<strong>sch</strong>eidungen sind unmöglich.
Risiken sind gleichsam ein Abfallprodukt der Kommunikation
von Ent<strong>sch</strong>eidungen. Sichere Ent<strong>sch</strong>eidungen
sind unmöglich. Gewissheit braucht keine Ent<strong>sch</strong>eidung
und kennt keine Alte<strong>rn</strong>ativen. Jede Ent<strong>sch</strong>eidung ist
somit riskant, denn jede Ent<strong>sch</strong>eidung kommuniziert
nicht nur, was ent<strong>sch</strong>ieden wo<strong>rd</strong>en ist, sonde<strong>rn</strong> auch dass
ent<strong>sch</strong>ieden wo<strong>rd</strong>en ist (Luhmann 2000, S. 123 ff.). Wir
haben es mit einer Form der Kommunikation zu tun, mit
der sich die Gesell<strong>sch</strong>aft ihre Kontingenz immerzu selbst
vorführt. Ent<strong>sch</strong>eidungen sind aus diesem G<strong>ru</strong>nd Wohl
und Übel einer Gesell<strong>sch</strong>aft, die sich selbst als immer
auch anders möglich be<strong>sch</strong>reibt. Die Gesell<strong>sch</strong>aft braucht
einerseits Ent<strong>sch</strong>eidungen, um die durch ihr Kontingenzbewusstsein
entstehende Unsicherheit aufzufangen,
aber andererseits lassen Ent<strong>sch</strong>eidungen durch ihre
temporäre Festlegung der Zukunft die Unsicherheit
nicht ver<strong>sch</strong>winden, sonde<strong>rn</strong> erzeugen sie zugleich auch,
weil sich an ihnen stets mit ablesen lässt, dass sich die
sozialen, sachlichen und zeitlichen Bedingungen ihres
Zustandekommens morgen <strong>sch</strong>on wieder geändert haben
können.
Organisation
Man kann sich nur wunde<strong>rn</strong>, dass es unter diesen
Umständen überhaupt noch jemand wagt zu ent<strong>sch</strong>eiden.
Wenn die Gesell<strong>sch</strong>aft jedoch auf die durch Ent<strong>sch</strong>eidungen
und Ent<strong>sch</strong>eidungszusammenhänge ermöglichte
Unsicherheitsabsorption angewiesen ist, muss
sie Formen entwickelt haben, die trotz allem zur Kommunikation
von Ent<strong>sch</strong>eidungen motivieren können.
Die Gesell<strong>sch</strong>aft verlässt sich in dieser Hinsicht auf die
Kommunikationsform der Organisation. Durch Organisationen
lässt sich Motivation für Ent<strong>sch</strong>eidungen be<strong>sch</strong>affen,
weil sie so gebaut sind, dass sie die damit ver-
1 Und auch: was für wen zu welchem Zeitpunkt eine Gefahr ist.
Deshalb auch die in Risikofragen immer anzutreffende Differenzie<strong>ru</strong>ng
von Ent<strong>sch</strong>eide<strong>rn</strong> und Betroffenen.
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung 117 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

undenen Risiken invisibilisieren können. Das ge<strong>sch</strong>ieht
nicht positiv, zum Beispiel durch entsprechende Anreize,
sonde<strong>rn</strong> negativ, durch ein Netzwerk von Formen
der Hierarchie, der Autorität und der Arbeitsteilung, das
Beobachter demotiviert, Ent<strong>sch</strong>eidungen im Hinblick auf
ihre Risiken zu beobachten. 2 Das heißt keinesfalls, dass
Risikokommunikation dort nicht stattfindet. Gerade Organisation
bietet genug Anlässe, Risiken zu beobachten
und zu diskutieren. Aber man hat immer auch die
Möglichkeit, an der Spitze eine Ent<strong>sch</strong>eidung zu treffen,
die nicht mehr hinterfragt we<strong>rd</strong>en kann (Hierarchie);
oder die Ent<strong>sch</strong>eidung so lange wande<strong>rn</strong> zu lassen, bis
sich eine entsprechende Autorität findet, die ein weiteres
Nachhaken automati<strong>sch</strong> blockiert; oder eine Ent<strong>sch</strong>eidung
aus einem Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich
in einen anderen zu entlassen, sodass sich weitere
Rückfragen erübrigen (Arbeitsteilung). Der Trick besteht
im Wesentlichen darin, dass Organisation die Beobachtung
von Risiken selbst riskant macht, denn nun muss man
<strong>sch</strong>on die Hierarchie in Frage stellen, Autorität missachten
oder Arbeitsteilung unterlaufen, wenn man auf
Risiken bestimmter Ent<strong>sch</strong>eidungen hinweisen möchte.
Auch das kommt vor. Aber es ist alles andere als der
Normalfall.
Organisation kann hingegen nicht alle Konsequenzen
der Risikokommunikation kompensieren. Risiken
we<strong>rd</strong>en inte<strong>rn</strong> wie exte<strong>rn</strong> noch häufig genug beobachtet.
Es braucht deshalb auch Formen der Absiche<strong>ru</strong>ng für den
Fall, dass das Risiko einer anstehenden Ent<strong>sch</strong>eidung
dennoch ans Licht gezerrt wi<strong>rd</strong> oder die ausge<strong>sch</strong>lossenen
Alte<strong>rn</strong>ativen zurückliegender Ent<strong>sch</strong>eidungen erinnert
we<strong>rd</strong>en. Die in dieser Hinsicht bekanntesten Formen
sind Rationalität, Legitimität und Partizipation
(vgl. B<strong>ru</strong>nsson 1985, Luhmann 1969). Rationalität setzt
auf das Vertrauen in sachlich gute Gründe, die sich finden
lassen und entsprechend bereitgehalten we<strong>rd</strong>en
müssen, um das Eingehen eines Risikos rechtfertigen zu
können. Legitimität setzt auf das Vertrauen in eine
letztlich auch rechtmäßig kontrollierbare Einhaltung
bestimmter Verfahrensregeln. Sie setzt so gesehen auf
Zeit, also mithin auf Prozesse, die ein Risiko zwar nicht
minimieren (was sich mit Rationalität immer noch suggerieren
lässt), aber das Versprechen implizieren, dass
man eine Ent<strong>sch</strong>eidung im Laufe des Verfahrens hinlänglich
durch ver<strong>sch</strong>iedene Beobachter hat prüfen können.
Und Partizipation bezeichnet eine Kommunika-
tionsform, die daran zu arbeiten versucht, Konsens und
Vertrauen in Bezug auf die beobachteten und die ausge<strong>sch</strong>lossenen
Alte<strong>rn</strong>ativen wahr<strong>sch</strong>einlicher zu machen.
Man beachte, dass alle drei Absiche<strong>ru</strong>ngsformen selbst
keine Sicherheit bieten können, auch kombiniert auftreten
und fe<strong>rn</strong>er nicht nur innerhalb von Organisationen
vorkommen, sonde<strong>rn</strong> gesell<strong>sch</strong>aftliche Formen des
Umgangs mit offen kommunizierten Risiken sind, auch
wenn sie sich im Kontext von Organisation vermutlich
am leichtesten identifizieren lassen.
Technik
Das führt uns zurück nach Stuttgart. Was dort augenblicklich
passiert, wi<strong>rd</strong> nun sichtbar als ein Phänomen,
in dem die soeben aufgeführten Absiche<strong>ru</strong>ngsmechanismen,
auf die sich die Gesell<strong>sch</strong>aft bislang verlassen
hat, nicht mehr in dem Maße greifen, wie man es
früher vielleicht noch erwarten konnte. Die unermüdlichen
Verweise auf die Legitimität entsprechender Verfahren
der Ent<strong>sch</strong>eidungsfindung reichen nicht aus.
Man lässt dies einfach nicht mehr gelten. Die immerzu
vorgeführte Rationalität der Ent<strong>sch</strong>eidung (Anbindung
an das europäi<strong>sch</strong>e Schnellverkehrsnetz; Zeitgewinne
für Bahnreisende; entsprechende Gutachten, dass auch
bei nur acht Gleisen keine Nachteile für Reisende entstehen
etc.) wi<strong>rd</strong> durch die Gegner des Projekts ebenfalls
nicht akzeptiert und dadurch konterkariert, dass man
sich interessanterweise selbst auf Rationalität be<strong>ru</strong>ft und
dabei auf andere Gutachten setzt und andere gute Gründe
findet, um das Risiko dieser Ent<strong>sch</strong>eidung weiterhin
zur Schau zu stellen. In Bezug auf Partizipation sind
sich eigentlich beide Seiten einig. Aber es herr<strong>sch</strong>t
Uneinigkeit darüber, welche Form der Partizipation
<strong>sch</strong>on in diesem Fall und dann auch zukünftig zum Einsatz
kommen sollte. Auf die repräsentative Demokratie
will sich bei den Gegne<strong>rn</strong> des Projekts, jedenfalls im
Moment, niemand mehr verlassen, und es gibt deshalb
e<strong>rn</strong>eut Diskussionen über die Vor- und Nachteile basisdemokrati<strong>sch</strong>er
Ent<strong>sch</strong>eidungsverfahren.
Was kann man unter diesen Umständen tun? Da
sich nicht voraussagen lässt, welche Modi des Umgangs
mit diesem Problem die gesell<strong>sch</strong>aftliche Evolution erzeugt,
könnte man versucht sein, nach Möglichkeiten
zu suchen, Risiken zu vermeiden. Will man aber Risiken
vermeiden, wi<strong>rd</strong> man Ent<strong>sch</strong>eidungen vermeiden müssen.
Gemeint ist nicht eine Ent<strong>sch</strong>eidung darüber, nicht
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung
118 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

zu ent<strong>sch</strong>eiden, denn auch sie ist riskant. Vielmehr müs-
ste man dann dafür sorgen, dass Beobachter gar nicht
erst auf die Idee kommen zu ent<strong>sch</strong>eiden; dass sie also
daran gehindert we<strong>rd</strong>en, Kommunikation überhaupt als
Ent<strong>sch</strong>eidung zu beobachten.
Will man aber Risiken vermeiden,
wi<strong>rd</strong> man Ent<strong>sch</strong>eidungen vermeiden
müssen.
Technik ist so eine Möglichkeit – und vielleicht sogar
die einzige. Technik zeichnet sich dadurch aus, dass
Wah<strong>rn</strong>ehmung, Körper, Dinge und Kommunikation
derart gekoppelt we<strong>rd</strong>en, dass es, wenn und solange sie
funktioniert, gerade unnötig wi<strong>rd</strong>, jeden Schritt mit
Ent<strong>sch</strong>eidungsnotwendigkeiten zu belasten (vgl. Luhmann
1997, S. 517 ff.). Das gilt für Computertechnik
genauso, wie für Atomkraft, Meditationstechniken oder
Organisationsroutinen. Ich muss während des Autofahrens
nicht ent<strong>sch</strong>eiden, in den nächsten Gang zu <strong>sch</strong>alten.
Ich <strong>sch</strong>alte einfach, ohne das laufende Gespräch mit
meiner Beifahrerin zu unterbrechen. Ebenso wenig muss
man bei einer einmal eingerichteten Routine in jedem
Moment ent<strong>sch</strong>eiden, wohin welches Formular als
nächstes gereicht we<strong>rd</strong>en muss. Man gibt es einfach weiter.
Ent<strong>sch</strong>eidungen fallen nur dann an, wenn Stö<strong>ru</strong>ngen
auftreten oder das Funktionieren der Technik sogar
zusammenbricht (vgl. Winograd/Flores 1986). Technik
entlastet so gesehen von der Beobachtung von Alte<strong>rn</strong>ativen,
also von der Beobachtung von Ent<strong>sch</strong>eidungen
und damit von der Beobachtung von Risiken. Sie selbst
ist in diesem Sinne, und entgegen geläufiger Vo<strong>rste</strong>llungen,
gerade nicht riskant. Keine Technik ist riskant.
Riskant sind aber Ent<strong>sch</strong>eidungen über ihre Entwicklung,
ihre Umsetzung und ihren Einsatz. Technik ist permanent
von Ent<strong>sch</strong>eidungen umstellt. 3 Techni<strong>sch</strong>e Abläufe
erfo<strong>rd</strong>e<strong>rn</strong> zwar keine Zwi<strong>sch</strong>enent<strong>sch</strong>eidungen. Aber sie
lassen sich eben auch nicht gegen das Soziale isolieren.
Sie sind letzten Endes selbst sozial (vgl. Latour 2007).
Wir können uns solche Ent<strong>sch</strong>eidungen folglich
nicht ersparen und versuchen demgemäß lieber, Technik
durch Organisation zu kontrollieren – und umgekehrt.
Organisationen <strong>sch</strong>einen mithin techni<strong>sch</strong>er eingerichtet
zu sein als die Technik selbst, und vielleicht ist
das ja das eigentliche Problem von Stuttgart 21: dass es
im Verlauf des ganzen Ent<strong>sch</strong>eidungsprozesses, und vor
allem auch nach dem Ausb<strong>ru</strong>ch der Proteste, aus gleichsam
techni<strong>sch</strong>en Gründen nicht zu viel, sonde<strong>rn</strong> zu
wenig Gelegenheiten gab und gibt, Risiken zu beobachten.
Und zwar auf beiden Seiten. ¶
......
2 Zu dieser Idee, dass Netzwerke Handlungen in e<strong>rste</strong>r Linie blockieren
siehe White 1992, insb. S. 230 ff. Netzwerke sind andererseits
aber auch die einzige Möglichkeit für »getting action«, wie
es dort heißt.
3 Oder mit Heidegger (1954): Technik ist das Ge-stell von Ent<strong>sch</strong>eidungen.
Sie fo<strong>rd</strong>ert sie heraus, sie stellt sie und ist durch sie
bestellt.
B<strong>ru</strong>nsson, Nils (1985): The Irrational Organization. Irrationality
as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester et al.:
Wiley.
Esposito, Elena (2010): Die Zukunft der Futures. Die Zeit des Geldes
in Finanzwelt und Gesell<strong>sch</strong>aft, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.
Heidegger, Martin (1954): Die Frage nach der Technik, in ders.,
Vorträge und Aufsätze, Stuttgart: Klett-Cotta, 2004, S. 9-40.
Latour, B<strong>ru</strong>no (2007): Eine neue Soziologie für eine neue
Gesell<strong>sch</strong>aft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1969): Legitimation durch Verfahren, Frankfurt
am Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1991): Soziologie des Risikos, Berlin/New York:
Walter de G<strong>ru</strong>yter.
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesell<strong>sch</strong>aft der Gesell<strong>sch</strong>aft, Frankfurt
am Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Ent<strong>sch</strong>eidung, Opladen/Wiesbaden:
Westdeut<strong>sch</strong>er Verlag.
White, Harrison C. (1992): Identity and Control. A St<strong>ru</strong>ctural
Theory of Social Action, Princeton: Princeton UP.
Winograd, Terry/Flores, Fe<strong>rn</strong>ando (1986): Understanding Computers
and Cognition. A New Foundation for Design, Reading,
Mass.: Addison-Wesley.
Risiken, ihre Organisation und die Technik ihrer Vermeidung 119 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7

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Heft 1
Das X der
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Heft 3
Organizational
Capabilities
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Heft 5
Transnationale
Utopie?
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Heft 7
Systemi<strong>sch</strong>e Risiken
ISBN 978-3-89670-760-4
Heft 2
Konsultanten
ISBN 978-3-89670-697-3
Heft 4
Intelligent
ent<strong>sch</strong>eiden
ISBN 978-3-89670-699-7
Heft 6
Zufälle
ISBN 978-3-89670-723-9
Heft 8
Design Thinking REVUE für postheroi<strong>sch</strong>es Management
Heft 8
Design Thinking
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Konsultanten Mit Beiträgen von Peter Slote<strong>rd</strong>ijk, James G. March,
Thomas G. Cummings, Kathrin Röggla, Alfred Kieser, Rudolf Wimmer,
Roswita Königswieser u. a. Featured Artist Ingeborg Lü<strong>sch</strong>er
ISBN 978-3-89670-697-3
Heft 3 – Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management
Organizational Capabilities Mit Beiträgen von Georg Schreyögg,
Stefan Kühl, Peter Claussen, Kathleen Sutcliffe, Amar Bhidé, Stefan Braun,
Stefan Jung, Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> K<strong>ru</strong><strong>sch</strong>e u. a. Featured Artist Marcus Bredt
ISBN 978-3-89670-698-0
Heft 4 – Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management
Intelligent ent<strong>sch</strong>eiden Mit Beiträgen von Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> von Mutius,
Rudolf Wimmer, Claus Otto Scharmer, Henrik Pontzen, Christoph Kahlert,
Ulrich Renz u. a. Featured Art Datenkunst
ISBN 978-3-89670-699-7
Heft 5 – Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management
Transnationale Utopie? Mit Beiträgen von Henry Minzberg, Elena Esposito,
Reinhart Nagel, Thomas Schumacher, Stefan Kühl, Stefan Friedrichs,
Stefan Jung u. a. Featured Artist Dirk Hupe
ISBN 978-3-89670-714-7
Heft 6 – Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management
Zufälle Mit Beiträgen von James G. March, Michael D. Cohen & Johan P. Olsen,
Maren Lehmann, Fritz B. Simon u. a. Featured Artist Dorothea Gold<strong>sch</strong>midt
ISBN 978-3-89670-723-9
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Buchhaltung: Elvira Schwebler, Tel. +49 (0)6221-6438-18, <strong>sch</strong>webler@carl-auer.de
Lektorat: Dörte Hausbeck, Stefan Moos (Hamburg), engli<strong>sch</strong>: Jaqueline Todd (Berlin)
Gestaltung und Layout: antonberta design (Hamburg)
Cover und Bildstrecke: Dörte Baecker (Cover: ohne Titel, 2000)
D<strong>ru</strong>ck: mediaprint (Paderbo<strong>rn</strong>), November 2010
ISBN 978-3-89670-760-4 ISSN 1864-726x

Ausblick
Heft 8 – Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management
design thinking Er<strong>sch</strong>eint im April 2011
Computer ände<strong>rn</strong> alles
Schon 1991 <strong>sch</strong>rieb Peter Fuchs dazu: »Verborgen oder offenkundig durchdringen
sie, was immer gesell<strong>sch</strong>aftlich vorkommt.« Dass wir in Organisationen,
Management und Gesell<strong>sch</strong>aft mehr und mehr mit Compute<strong>rn</strong>
rechnen (le<strong>rn</strong>en) müssen, ist einsichtig. Und auch die Frage, auf welche
Weise dieses Medium uns (über)fo<strong>rd</strong>ert und zu Lösungen zwingt, an die
wir bislang nur im Traum zu denken wagten – diese Fragen fanden nicht
zuletzt in den Denkfiguren der neueren Systemtheorie einige Beachtung.
Doch wie Organisationen und Manager in der »nächsten Gesell<strong>sch</strong>aft«
solche und andere Irritationen in Aufmerksamkeit transformieren können
(die wiede<strong>ru</strong>m einen aufge<strong>sch</strong>lossenen und unaufgeregten Umgang mit
weiteren Irritationen erlauben) – welche Kulturtechniken also auf und
unter der Hand entwickelt we<strong>rd</strong>en müssen, um mit der selbstve<strong>ru</strong>rsachten
Komplexität Schritt zu halten: All dazu gibt es bisher allenfalls nur e<strong>rste</strong>
Vo<strong>rste</strong>llungen. 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 Zu den vielversprechenderen
davon gehört, was in unter<strong>sch</strong>iedlichen Communities of
Practice griffig unter dem Namen design thinking diskutiert wi<strong>rd</strong>. Wir ve<strong>rste</strong>hen
da<strong>ru</strong>nter zunächst eine Denkhaltung, bei der es da<strong>ru</strong>m geht, aus
einem gesetzten Zukunftsentwurf heraus den Status quo mit möglichen
Optionen aufzuladen, anstatt Bestehendes nur zu variieren. Designer setzen
auf Wandel; doch nicht, indem sie Ent<strong>sch</strong>eidungen treffen, sonde<strong>rn</strong>
zu jedem Zeitpunkt versuchen, Ent<strong>sch</strong>eidungsprämissen stimmig auszurichten.
0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 Was aus Sicht von Designe<strong>rn</strong> bei Produkten
und Dienstleistungen mittlerweile zum Standa<strong>rd</strong>repertoire eines designorientierten
Arbeitsprozesses gehört, bleibt mit Blick auf ein Design von
Organisationen zunächst einmal seltsam unbestimmt. Aus einer systemtheoreti<strong>sch</strong>en
Perspektive wu<strong>rd</strong>e dazu bereits einiges gesagt: Ob im Zusammenhang
einer sich systemi<strong>sch</strong> ausflaggenden Strategieentwicklung oder
bei der Beobachtung von so genannten HRO’s – stets ist die Wiedereinfüh<strong>ru</strong>ng
von Form in die Funktion geknüpft an die Hoffnung auf Geländegewinne
bei der Füh<strong>ru</strong>ng und Steue<strong>ru</strong>ng von kausal indifferenten, d. h.
intelligenten Organisationen. 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 In der nächsten
Ausgabe der Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management wollen wir dieses
Pfe<strong>rd</strong> einmal von hinten aufzäumen. Uns interessiert die Frage: Was sagen
eigentlich die Designer selbst dazu? Wie lässt sich deren Vielfalt an Ansätzen
und Methoden auf den Aspekt des Organisationsdesigns beziehen?
Welche blinden Flecke we<strong>rd</strong>en sichtbar, wenn mit den Augen eines Designers
auf die Gestaltung von Organisationen geblickt wi<strong>rd</strong>? 1 0 1 1 0 1 0
1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 0 1 Wie gewohnt gehen wir im nächsten Themen<strong>sch</strong>werpunkt
der Revue den unter<strong>sch</strong>iedlichen Ansätzen nach und unterziehen
diese einer systemtheoreti<strong>sch</strong> informierten Prüfung. Und freuen uns nicht
zuletzt ein Loch in den Bauch, wenn wir Sie dabei wieder zu unserer
Leser<strong>sch</strong>aft zählen dürfen.
Für die Herausgeber … Be<strong>rn</strong>ha<strong>rd</strong> K<strong>ru</strong><strong>sch</strong>e
Ausblick 122 Revue für postheroi<strong>sch</strong>es Management / Heft 7