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38 thema<br />

ZfL 2/2009<br />

VRiVG a. D. Bernward Büchner, Freiburg<br />

Lebensrecht nach Maßgabe der Selbstbestimmung anderer?<br />

– Zum Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes –<br />

I. Vorgeschichte<br />

Der Bundestag hat am 13. Mai 2009 ein Gesetz zur Änderung<br />

des Schwangerschaftskonfliktgesetzes beschlossen,<br />

mit dem eine langjährige Auseinandersetzung um<br />

Maßnahmen zur Vermeidung von Spätabtreibungen<br />

ein Ende gefunden hat. Dieser Streit war ausgelöst<br />

worden durch die Reform des Abtreibungsstrafrechts<br />

von 1995. Die bis dahin geltende Gesetzesfassung sah<br />

noch eine embryopathische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch<br />

wegen gesundheitlicher Behinderung<br />

des ungeborenen Kindes vor. Sie ermöglichte<br />

dessen Tötung „nicht rechtswidrig“ innerhalb von zweiundzwanzig<br />

Wochen seit der Empfängnis. Als nun das<br />

Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von<br />

1993 eine Neuregelung des Paragrafen 218 StGB aus<br />

anderen Gründen notwendig machte, wurde die embryopathische<br />

Indikation, wie von den Kirchen und Behindertenverbänden<br />

gefordert, in der derzeit geltenden<br />

Gesetzesfassung von 1995 zwar gestrichen. Gleichzeitig<br />

wurden die Fälle der embryopathischen Indikation<br />

nunmehr der medizinischen Indikation untergeordnet.<br />

Embryopathisch motivierte Abtreibungen sollten in der<br />

medizinischen Indikation – wie im Gesetzgebungsverfahren<br />

ausdrücklich erklärt – „aufgehen“ bzw. von ihr<br />

„aufgefangen“ werden. Mit der Streichung der embryopathischen<br />

Indikation entfiel auch die insoweit obligatorisch<br />

gewesene Beratung der Schwangeren und<br />

zugleich die gesetzliche Befristung mit der Folge, dass<br />

auch die vorgeburtliche Tötung eines Kindes infolge<br />

seiner Behinderung während der gesamten Dauer der<br />

Schwangerschaft nach dem Gesetz „nicht rechtswidrig“<br />

ist. Nach dem bereits 1994 im Grundgesetz verankerten<br />

speziellen Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 S.<br />

2 GG) jedoch darf niemand wegen seiner Behinderung<br />

benachteiligt werden.<br />

Das geltende Gesetz verlangt für den nicht rechtswidrigen<br />

Abbruch der Schwangerschaft aufgrund der medizinisch-sozialen<br />

Indikation, dass er „unter Berücksichtigung<br />

der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse<br />

der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis<br />

angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die<br />

Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des<br />

körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der<br />

Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf<br />

eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden<br />

kann“ (§ 218a Abs. 2 StGB). Obwohl der Schwangerschaftsabbruch<br />

dementsprechend „nach ärztlicher<br />

Erkenntnis angezeigt“ sein muss, hat sich die Praxis der<br />

medizinisch-sozialen Indikation so entwickelt, dass sie<br />

in Fällen einer diagnostizierten Behinderung des ungeborenen<br />

Kindes vielfach einer Tötung auf Wunsch der<br />

Schwangeren gleichkommt.<br />

Weil Schwangerschaftsabbrüche nach der medizinischsozialen<br />

Indikation zeitlich unbefristet möglich sind,<br />

kommt es nicht selten zu Spätabtreibungen nach Ablauf<br />

der zwölften Schwangerschaftswoche und selbst<br />

dann noch, wenn das Kind – ab etwa der 22. Woche<br />

– bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist.<br />

Die durch das Statistische Bundesamt erfasste Zahl der<br />

Schwangerschaftsabbrüche ab der 23. Woche betrug in<br />

den Jahren 1996 bis 2008 jeweils zwischen 154 und 231.<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

(DGGG) meldete hiergegen in einem Papier<br />

„Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik“<br />

(2003) erhebliche Zweifel an. Berichte aus der Praxis<br />

zeigten, dass in mehreren Kliniken in der Bundesrepublik<br />

Spätabbrüche erfolgten, die dann offenbar teilweise<br />

als Totgeburten registriert würden. 1 Der frühere Vorsitzende<br />

des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery,<br />

sprach von jährlich rund 800 Abtreibungen jenseits der<br />

22. Woche. 2<br />

Bei extrauterin lebensfähigen Kindern kommt es vor,<br />

dass diese ihre Abtreibung überleben. Der bekannteste<br />

Fall ereignete sich am 6. Juli 1997 in der Städtischen<br />

Klinik in Oldenburg. Ein Junge sollte in der 26. Schwangerschaftswoche<br />

wegen eines Down-Syndroms abgetrieben<br />

werden. Er überlebte die Abtreibung und wurde,<br />

wie in solchen Fällen üblich, in Erwartung seines baldigen<br />

Todes in Tücher gewickelt liegen gelassen. Als er<br />

nach neun Stunden immer noch lebte, wurde er zur neonatologischen<br />

Behandlung in die Kinderklinik verlegt.<br />

Infolge der langen Verweigerung einer medizinischen<br />

Versorgung ist das Kind zusätzlich behindert. 3 Unter<br />

dem Eindruck solcher Fälle nannte die frühere Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-Gmelin Spätabtreibungen<br />

im März 1999 „grauenvoll“. Man müsse sie „unterbinden,<br />

schlichtweg unterbinden, wenn die Gesundheit<br />

der Mutter nicht gefährdet ist.“ 4<br />

II. Initiativen im Bundestag<br />

Bereits vor dem „Oldenburger Fall“ gab es im Deutschen<br />

Bundestag Initiativen zur Bewältigung des Pro-<br />

1 ZfL 2003, 28 ff., 36.<br />

2 Zitiert bei Manfred Spieker, Recht auf Abtreibung, F.A.Z. vom 6.<br />

März 2009.<br />

3 Hierzu Manfred Spieker, Kirche und Abtreibung in Deutschland.<br />

2. Aufl. 2008, S. 258.<br />

4 Zitiert nach Manfred Spieker (Fn. 3), S. 259.

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