Beispielseiten - JOVIS VERLAG Architektur Fotografie Berlin
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Werner Graeff: Es kommt der neue Fotograf!<br />
Mitarbeit: Hans Richter, <strong>Berlin</strong> 1929,<br />
erschienen zur Stuttgarter Werkbundausstellung<br />
„Film und Foto“; Doppelseiten<br />
212 213<br />
Vorwort zu „Es kommt der neue Fotograf!“, 1929<br />
Dieses Buch hat das Ziel, Schranken zu sprengen – nicht<br />
Schranken zu errichten. Denn so nützlich fotografische<br />
Lehrbücher sind, soweit sie die Technik des Negativund<br />
Positivprozesses behandeln, so durchaus schädlich<br />
werden sie durch die Grenzsetzungen, die sich aus der<br />
üblichen Art der Darlegung ästhetischer oder künstlerischer<br />
Regeln ergeben. Die Form der in den fotografischen<br />
Fachblättern geübten „Bildkritik“ und die Mehrzahl der<br />
fotografischen Ausstellungen zeigen klar, welch außerordentlichen<br />
Einfluß die dem Fotografen immer wieder<br />
gepredigten Maximen haben: man brachte es fertig, der<br />
<strong>Fotografie</strong> engste Grenzen zu ziehen, und nur relativ<br />
selten wird gewagt, diese Grenzen zu verlassen. Gewisse<br />
Regeln, die aus vergangenen Epochen der Malerei<br />
stammen, werden als eherne Gesetze hingestellt. Ihre<br />
Unhaltbarkeit läßt sich leicht erweisen. –<br />
Bei der Intensität, mit der jene Regeln gepredigt werden,<br />
ist es nicht verwunderlich, daß sich die Industrie fast<br />
ganz auf die Fabrikation von Apparaturen verlegt hat,<br />
die zur Herstellung „regelrechter“ Bilder nötig sind; allein<br />
hierdurch schon ist dem Fotografen das Abweichen vom<br />
vorgeschriebenen Wege erschwert. Es ist also notwendig,<br />
die Industrie auf die neuen Bedürfnisse aufmerksam<br />
zu machen. –<br />
Im folgenden ist die Technik der <strong>Fotografie</strong> nur berührt,<br />
soweit es die Hilfsmittel und Methoden zur Herstellung<br />
ungewöhnlicher Fotos betrifft. Denn dieses Buch will<br />
nicht die technischen Anfangsgründe der <strong>Fotografie</strong><br />
lehren. Das Überwiegen von Fotos ungewöhnlicher Art<br />
möge man nicht mißverstehen: es soll gegen die normalen<br />
nichts gesagt werden. Ohne Frage wird in sehr vielen<br />
Fällen eine gute Aufnahme der üblichen Art dem Zweck<br />
am besten entsprechen. Wogegen wir uns wenden ist,<br />
daß man sie in jedem Fall für die einzig möglichen und<br />
richtigen hält. Denn ebenso fraglich ist es, daß in anderen<br />
Fällen mit Aufnahmen, die völlig gegen die „Regeln der<br />
Kunst“ verstoßen und daher von den Zünftigen als falsch<br />
bezeichnet werden, der stärkste Ausdruck zu erzielen ist.<br />
<strong>Berlin</strong>-Oranienburg, im Mai 1929<br />
Weitere Schriften von Werner Graeff<br />
Schauen und fotografisches Gestalten, ca. 1951,<br />
zunächst unveröffentlicht<br />
In: Richard G. Winkler: Werner Graeff und der<br />
Konstruktivismus in Deutschland 1918–1934, Aachen 1981<br />
Nach einem halben Jahrhundert, Vorwort zur<br />
Neuauflage von Es kommt der neue Fotograf!, Köln 1978