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Ausgabe 7-2006 - Goethe-Universität

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8 MAGAZIN15. November <strong>2006</strong>Frauenschaft – SchwesternschaftEine Explorationsstudie zur Identitätssuche muslimischer Frauen in Bosnien und HerzegowinaDie ›Förderung kleinerer Projektezur Frauen- und Genderforschung‹der Universität Frankfurt ermöglichtees der Autorin, einen Forschungsaufenthaltin Bosnien undHerzegowina zu verbringen. Zielwar es, Erkenntnisse zu gewinnen,welche neuen und alten Identitätsbilderund -räume von Frauen miteinem muslimischen sozio-kulturellenHintergrund genutzt werden.Von allen post-sozialistischen Staatendurchlebte und durchlebt Bosnienund Herzegowina noch heutedie blutigste Form der Transformation.Foto: DelalicBepackt mit Laptop, Kamera undAufnahmegerät trat ich meineReise an. Hin und her gerissenzwischen einem Gefühl der Vorfreudeund einem Gefühl der Unsicherheit,die dem Antreten einer jeden Reise innewohnen.Noch aus einem anderenGrunde gibt es eine mich stets begleitendeSpannung: Es ist die Ethnologin,deren Forschungsprojekt mit den eigenenkulturellen Wurzeln zu tun hat.Im Vorfeld hatte ich Informationenüber die Standorte religiöser Institutionen,wie Medresen, Oberschulenin Internatsform mit Hochschulabschluss,Tekie – Derwischhäuser – undDaten über religiöse Feste, wie derAjvatovica, eine Pilgerung zum Felsenvon Ajvaz Dedo, eingeholt. Im Laufedes Aufenthalts kamen Non GovernmentalOrganisations (NGOs) hinzu,die von Mualimas geleitet wurden.Mualimas sind Frauen, die entwedereine religiöse Fachschul- oder Universitätsausbildunghaben. Die Organisationenboten Weiterbildungsprogrammean, die von EDV und Englisch biszu modernem Familienmanagementeiner muslimischen Frau reichten. DerAnteil an Frauen in allen Institutionenund Veranstaltungen machte meistenszwei Drittel oder mindestens die Hälfteaus. Aus dieser Beobachtung herausrichtete sich mein Forschungsinteressebesonders auf religiöse Frauen innerhalbdes Islams und dessen Institutionen.Dabei entstanden biographisch-narrativeInterviews (Audioaufnahmen)und Gespräche, die nicht aufgezeichnet,sondern in Tagebuchform festgehaltenwurden. Die Interviewpartnerinnenwaren in den 1960er, 70er und80er Jahren geboren worden. Bei Gesprächen,die locker in der Tekie stattfandenund nicht aufgezeichnet wurden,waren auch Frauen der Jahrgänge20er und 30er Jahre dabei. DieseErzählungen waren sehr interessant,da sie von historischen Ereignissenhandelten, dem II. Weltkrieg und dergesetzlichen ›Entschleierung der muslimischenFrau‹ 1950 unter dem Sozialismus.Die Erzählungen der jüngerenJahrgänge bewegten sich in der Erinnerungan die Mütter und deren religiöseGepflogenheiten bis hin zu dentragischen Ereignissen im Krieg zwischen1992 und 1995.Die Gespräche zeigen eindringlich, wiebosnische Frauen, die sich als Musliminnenim religiösen Sinne verstehen,nach Identitätsräumen zwischen einergebrochenen Tradition und dem Versucheiner Revitalisierung der Traditionunter neuen gesellschaftlichen, politischenund geschichtlichen Voraussetzungensuchen. Die schon seit den1930er Jahren geführte Kontroversedarüber, ob Musliminnen ihr Gesichtbedecken sollen oder nicht, wurdenach dem II. Weltkrieg und der Entstehungdes Föderativen SozialistischenStaates Jugoslawien 1950 ersteinmal durch ein Gesetz beendet: Aufder Volksversammlung der NR Bosnienund Herzegowina in Sarajevo wurdeein Gesetz zum ›Verbot des Tragensder feredza (Burgha) und des zar (Gesichtbedeckung)‹erlassen. Diese›Zwangs-Entschleierung‹, getragendurch die sozialistischen Arbeiterverbände,führte zu einer gewaltsamenEntreißung von Frauen aus dem gewohntensozio-kulturellen und religiösenLeben. 1993, mit dem Krieg,tauchten wieder vermehrt verhüllteFrauen in den Straßen Bosniens auf:Von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllteFrauen, importiert durch einen globalisiertenIslam. Nach Kriegsende verschwanddieses Phänomen allmählichwieder. Es entstand aber eine bis dahinnicht gekannte Vielfalt an ›Verhüllungen‹,die von bosnischen muslimischenFrauen getragen wurden. Vonder ganzheitlichen Verhüllung desKörpers in Farbtönen wie Schwarzoder Braun – wie es in den bürgerlichenund adligen Gesellschaftsschichtenvor 1950 üblich war –, über eineVerkleidung in paradiesisch anmutendenPastelltönen, die das Kopftuch mitdem Gesicht der Frau zu einer würdevollenund königlichen Bedeckungwerden lassen, bis hin zu europäischgekleideten Frauen, die das Kopftuchlediglich locker um den Kopf geschwungenhalten. So bietet sich einganz neues Bild: Die religiöse bosnischeFrau gibt sich emanzipatorisch,modern und selbstbewusst. Durch alleBerufsfelder hindurch, die Intellektuelle,die Studentin, die Hausfrau, auchdie Geschäftsführerin.Zu den Hintergründen dieser Entwicklungbieten die biographisch narrativenInterviews einen guten Einblick.Die soeben geschilderte Imaginierungeiner religiösen Schwesternschaftkann in Verbindung mit Hingabe gebrachtwerden, die durch das Kopftuchdas weibliche Gesicht zum Aktionsfeldwerden lässt und gleich einerMaske zu einer abstrakten Einheit desGesichtes, die – wie Baudelaire sagt –das menschliche Wesen der Statue, dasheißt, einem göttlichen, höheren Wesennäher bringt. Ob damit eine ArtKatharsis für das erlebte Leid und dienoch lebendigen Wunden durch denKrieg erreicht werden soll? Oder obdurch die Verhüllung die physischenund psychischen Verletzungen durchdie Massenvergewaltigungen der bosnischenMusliminnen und damit auchder bosniakischen Kultur und der gesamtenbosnischen Gesellschaft verhülltwerden sollen, bleibt eine offene,aber schwer zu beantwortende Frage.Ein anderer wesentlicher Aspekt inden biographischen Erzählungen istder Kampf um das Tragen oder Ablegendes Kopftuches. Dieser Kampfwird mit der Familie, insbesondere mitden Müttern und der Gesellschaft geführt.Hier offenbaren sich Visionenund Träume als helfende Orientierungsangebote.Der Kampf um dasKopftuch beinhaltet ›traditionelle Erfahrungsspuren‹und ist häufig als einKorrektiv an den Eltern und an derGesellschaft zu verstehen. Dabei werdenpersönliche Entscheidungen zwischenTraditionalität und Moderne getroffen,die neue Handlungsräumeund Wege zur individuellen Entfaltungeröffnen. Hier kann Sinngebungsowie persönliche Problembewältigungstattfinden und eine individuelleDynamik gefunden werden.Insbesondere vor dem Hintergrund,dass Bosnien und Herzegowina zu denassoziierten Staaten der europäischenGemeinschaft zählt, ist das Thema Islamund die Stellung der Frau in diesemLand von großem Interesse. DieInterviews bilden eine ermutigendeGrundlage für weiter gehende Forschung.Enida DelalicÜber den WolkenGanz oben gab es faszinierende neueErkenntnisseFoto: RuppFortsetzung von Seite 3 · FIAS – Ein Neubau setzt Zeichenro vorgesehen. Darüber hinaus fördertdas Land das FIAS von 2007 an institutionellmit rund 250.000 Euro jährlich.Prof. Carlo Giersch machte deutlich,dass ihm auch daran gelegen ist zu beweisen,dass es ein privater Investor imHochschulbau besser und schneller machenkann als die öffentliche Hand. SenatorGiersch hatte sich bereits vorzwei Jahren für das FIAS engagiert, alser und seine Frau ihr Privathaus inFrankfurt der Universität zur Verfügungstellten; es wird nach erfolgtem Umbaununmehr als Gästehaus genutzt.Mit dem Bau wurde unterdessen bereitsbegonnen. Das ehrgeizige Ziel: BisSommer 2007 soll das Gebäude fertiggestelltsein, so dass die Wissenschaftlernoch vor Beginn des Wintersemesters2007/2008 einziehen können.Vizepräsident Prof. Horst Stöcker, zugleicheiner der Direktoren des FIAS,wies auf die prominente Lage des neuenGebäudes hin: Der klar gezeichneteBau mit rund 4.000 QuadratmeternBruttogeschossfläche bildet die westlicheBegrenzung des künftigen zentralenPlatzes auf dem Campus Riedberg.Es wird damit Teil der neuen Mitte desnaturwissenschaftlichen Bereichs derUniversität. In unmittelbarer Nachbarschaftwerden das neue Hörsaal- undBibliotheksgebäude und das Biologicumder Universität sowie der Neubaufür das Max-Planck-Institut für Hirnforschungentstehen. Nur wenige Meterentfernt befindet sich das Max-Planck-Institut für Biophysik, in Sichtweitedas Frankfurter InnovationszentrumBiotechnologie (FIZ), das Institutsgebäudeder Physik und das Bio-zentrum. Derzeit ist das FIAS noch inRäumen des Neubaus Physik der Universität.Die Wissenschaftler befassensich allerdings nicht nur mit (Grundlagen)Forschungauf höchstem Niveau,sondern engagieren sich auch in erheblichemUmfang in der Lehre. Sie bietenVeranstaltungen im Programm derFrankfurter International GraduateSchool for Science (FIGSS) an und betreuendie Doktoranden internationalerHerkunft dieser Einrichtung. »Der hoheAnspruch einer engen Verzahnungvon Spitzenforschung mit Förderungdes wissenschaftlichen Nachwuchseswird auch in dieser Hinsicht in der räumlichenUnterbringung eine Entsprechungfinden«, sagte Minister Corts.Das FIAS ist eine von der UniversitätFrankfurt gegründete Stiftung des privatenRechtes, die als außeruniversitäreForschungseinrichtung Spitzenforschungin den theoretischen Naturwissenschaftenbetreibt. Finanziertwerden die Forschungsaktivitäten vonnicht-öffentlichen Zuwendungsgebern.Im Mittelpunkt der wissenschaftlichenArbeit steht die Erforschungkomplexer Systeme in der belebtenund unbelebten Natur, darunterder Struktur und Dynamik von elementarerMaterie, von neuronalenNetzwerken, Biomolekülen, atomarenClustern undNanostrukturen. Hat sichdie Wissenschaft in der Vergangenheitvornehmlich damit befasst, die Welt inihre Komponenten zu zerlegen undderen Eigenschaften immer intensiverzu untersuchen, geht es jetzt darum,die vielfach schon detailliert analysiertenEinzelbausteine in ihren Wechselwirkungenund ihren Zusammenhängenzu betrachten und besser verstehenzu lernen. Vergleichbare Einrichtungenauf dem Gebiet der Naturwissenschaftengibt es weltweit nur nochin Princeton (USA) und Shanghai(China).URWissen verketten –Wissen fördernAusführliche Informationenzum FIAS, seinenForschern und derenProjekten vermittelt diekürzlich erschienene,umfangreiche und ansprechendgestalteteBroschüre.Bezugsquelle:fias@uni-frankfurt.dewww.fias.uni-frankfurt.deDem Himmel ganz nah fühlten sich die Teilnehmer einer Exkursion derAbteilung Vor- und Frühgeschichte des Instituts für Archäologische Wissenschaftenim Brandberg, dem höchsten Gebirge Namibias. Im doppeltenSinn war dies der Höhepunkt der Studienreise. Fast 2600 Meter ragtder etwa 600 km 2 große Brandberg nämlich aus den flachen Ebenen derumgebenden Namib-Wüste. Wer ihn bei Hitze über steile Hänge ohnePfad besteigen will, muss wissen warum – heute wie in prähistorischenZeiten. Für Archäologen liegen die Gründe auf der Hand: Nirgendwosonst in Afrika ist eine größere Menge an prähistorischen Felsmalereienauf so engem Raum bekannt. In etwa 1.000 Fundstellen sind weit über40.000 Malereien im oberen Abschnitt des Gebirges verteilt. Die Bildersind zum Teil geradezu berühmt und touristische Attraktion, wie die›Weiße Dame‹ am Fuß des Brandbergs, die nach Vorstellungen aus derBlütezeit diffusionistischer Theorien des letzten Jahrhunderts ein Produktvon Reisenden aus der Mittelmeerwelt gewesen sein soll. Schöne Kunsttraute man damals afrikanischen Ureinwohnern nicht zu. Wer hat die TausendeBilder gemalt, zu welchem Zweck und warum ausgerechnet in derAbgeschiedenheit eines ariden Hochgebirges? Fragen, mit denen sich dieGruppe vor Ort beschäftigte. Genauso beschäftigte sie sich mit anderenSpuren menschlicher Existenz, die das Gebirge ebenfalls beherbergt:Steinartefakte, Keramik, Straußeneibruchstücke, Knochen, Hüttenringeaus Steinen – Reste eines einfachen Daseins am Rande der bewohnbarenWelt. Die ältesten sind mindestens 30.000 Jahre alt und die jüngsten – etwaeine Mundharmonika oder Patronen aus Gewehren der deutschenSchutztruppe – stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die Studienreisewurde mit Mitteln des Fachbereichs Sprach- und Kulturwissenschaftenund des DAAD unterstützt. Neben dem Brandberg standen noch andereFundstellen mit prähistorischer Felsbildkunst sowie Stätten kolonialundnaturgeschichtlicher Bedeutung auf dem Programm. Peter Breunig

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