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Liebe Leserinnen und Leser - Caritas Werkstätten

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K u n s t & K u l t u r<br />

KUNST & KULTUR<br />

Die Sammlungen Morgenthaler <strong>und</strong> Prinzhorn<br />

„Anstaltskunst“ im Museum<br />

Auf der Suche nach authentischer Kunst entdeckte die ‚Moderne‘ zu Beginn des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

neben der ‚primitiven Kunst‘ <strong>und</strong> der Kinderzeichnung auch die ‚Kunst der Geisteskranken‘. Zur<br />

gleichen Zeit begann unter Psychiatern eine rege Sammeltätigkeit bildnerischer Werke von Patienten.<br />

Dabei stand meist die Hoffnung auf diagnostische Verwertbarkeit im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Gewöhnlich steht der Name Prinzhorn<br />

für jenen bedeutenden F<strong>und</strong>us<br />

von „Anstaltskunst“, den der Wissenschaftler<br />

Hans Prinzhorn Anfang<br />

der zwanziger Jahre zusammengetragen<br />

hat. Die Sammlung Prinzhorn<br />

ist in Heidelberg beheimatet. Jetzt<br />

waren dort Bilder der Adolf-Wölfli-<br />

Stiftung <strong>und</strong> der Sammlung Morgenthaler<br />

zu sehen. Das monumentale<br />

Werk Adolf Wölflis (1864-1930)<br />

zählte früher zur Sammlung Morgenthalers<br />

<strong>und</strong> ist in den 70er Jahren<br />

ausgegliedert worden. Der F<strong>und</strong>us<br />

im Psychiatrie-Museum Bern<br />

<strong>und</strong> die Werke der Wölfli-Stiftung<br />

sind nach der Sammlung Prinzhorn<br />

das weltweit bedeutendste Projekt<br />

zur Anstaltskunst. Zum ersten Mal<br />

wurden Blätter des „Altmeisters“<br />

der Anstaltskunst sowie 120 Werke<br />

der Sammlung Morgenthaler in Heidelberg<br />

ausgestellt.<br />

26 JOURNAL<br />

„Unglücksfall“ nannte Adolf<br />

Wölfli sich <strong>und</strong> erzählte in einer<br />

erdachten Autobiographie<br />

von seinen Reisen<br />

durch die „Sankt Adolf-Riesen-Schöpfung“.<br />

Er malte,<br />

schrieb, komponierte, dich- dichtete,<br />

rechnete <strong>und</strong> erklärte<br />

„Zorn“ zur höchsten Zahl.<br />

Von 1895 bis zu seinem<br />

Tod lebte Wölfli in der Anstalt<br />

Waldau bei Bern.<br />

Hier entdeckte der Psychiater<br />

Walther Morgenthaler (1882-<br />

1965) die Kreativität von Anstaltsinsassen<br />

<strong>und</strong> verschaffte ihnen einen<br />

Platz in der Kunst der Moderne. Aus<br />

den Jahren um 1900 bis 1925 sind<br />

überraschende Entwürfe erhalten,<br />

Lebensspuren von Menschen, die<br />

extremen seelischen Belastungen<br />

ausgesetzt waren. In seinem bedeutenden<br />

Buch über Adolf Wölfli: „Ein<br />

Geisteskranker als Künstler“ (1921)<br />

kommt zum Ausdruck, dass dieser<br />

die üblichen Kategorien sprengte.<br />

Das, was er leistete, stellt ihn genialen<br />

Künstlern gleich.<br />

Hans Prinzhorn (1886-1933) war als<br />

Kunsthistoriker <strong>und</strong> Arzt mit beiden<br />

Fachgebieten vertraut. Er gilt heute<br />

als Wegbereiter einer Sichtweise,<br />

die die Zusammenarbeit verschiedener<br />

Wissenschaftsgebiete befürwortet.<br />

Ihn interessierten Fragen<br />

nach dem Ursprung künstlerischer<br />

Gestaltung oder dem „schizophrenen<br />

Weltgefühl“ in der expressionistischen<br />

Kunst seiner Zeit. Er<br />

hoffte, in den Werken der Patienten<br />

einen unverstellten, naturhaften,<br />

ungebändigten Zugang zur Kunst<br />

zu finden. In den Nachkriegsjahren<br />

des Ersten Weltkriegs baute er eine<br />

einzigartige Sammlung von Werken<br />

auspsychiatrischen Anstalten auf. Karl Wilmanns, Leiter<br />

der Heidelberger Psychiatrischen<br />

Klinik, wollte ein Museum für pathologische<br />

Kunst einrichten <strong>und</strong> holte<br />

dafür Prinzhorn nach Heidelberg. In<br />

Prinzhorns reich illustriertem Buch<br />

„Bildnerei der Geisteskranken“<br />

(Berlin 1922) werden große Teile der<br />

Sammlung dokumentiert, interpretiert<br />

<strong>und</strong> in kulturkritische Überlegungen<br />

eingebettet. Prinzhorn verneint<br />

endgültig die Frage nach einer<br />

diagnostischen Beweiskraft dieser<br />

Werke. Er betont die psychologische<br />

Gleichwertigkeit aller gestalterischen<br />

Ausdrucksweisen <strong>und</strong><br />

erkennt bestimmten Werken künstlerische<br />

Qualität zu. So bewertet er<br />

die verachtete „Irrenkunst“ <strong>und</strong> damit<br />

auch ihre Schöpfer neu. Diese<br />

Öffnung einer fachspezifisch eingeengten,<br />

psychiatrischen Sichtweise<br />

in kunstwissenschaftliche <strong>und</strong><br />

künstlerische Bereiche hinein ist die<br />

besondere Leistung Prinzhorns. Es<br />

war ein mutiger Schritt, der dazu<br />

beitrug, durch eine angemessene<br />

Anerkennung kreativer gestalterischer<br />

Leistungen der Insassen ihre<br />

gesellschaftliche Wiedereingliederung<br />

zu fördern.

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