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100 - Zeidner Nachbarschaft

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Anneliese Schmidt, geb. Herter, wurde 70<br />

Anneliese wurde am 10. Januar 1936 in Zeiden<br />

geboren. Mit Bruder Balduin und Schwester Edith<br />

wuchs sie in der Langgasse im elterlichen Haus<br />

auf, wo ihr Vater Arnold ein „Spezereigeschäft“<br />

betrieb. Auch besaß er viele Haustiere, für die Anneliese<br />

das Futter von Feld und Garten meist allein<br />

beschaffte. Die politischen Ereignisse setzten der<br />

sorgenfreien Kindheit ein jähes Ende: Der Bruder<br />

wurde zur Zwangsarbeit nach Russland verschleppt<br />

und, wie viele andere Familien auch, wurde den<br />

Herters Grund und Haus enteignet. Für kurze<br />

Zeit fanden sie bei Verwandten Unterkunft – und<br />

wurden 1952 nach Covasna evakuiert. Zu der Zeit<br />

besuchte Anneliese die zweite Jahrgangsstufe<br />

der bautechnischen Mittelschule in Satu Lung bei<br />

Kronstadt, woher sie ihren Eltern zum Zwangsaufenthalt<br />

(domiciliu obligatoriu) folgen musste. Hier<br />

wohnte die Familie in einem einzigen Raum, der<br />

sowohl als Küche, Wohn- und Schlafzimmer wie als<br />

Waschraum diente. Toilette oder Bad gab es selbstverständlich<br />

nicht, ja nicht einmal elektrischen<br />

Strom oder fl ießendes Wasser. Es folgte eine Zeit<br />

voller Entbehrungen, Schwerstarbeit und Demütigungen.<br />

Anneliese arbeitete auf dem Feld oder als<br />

Hilfsarbeiterin auf dem Bau – unter schwierigsten<br />

Umständen. Maschinen gab es nicht …<br />

Nach zwei Jahren wurde der Zwangsaufenthalt<br />

aufgehoben. Ihre Eltern kehrten nach Zeiden zurück,<br />

stellten die Möbel in einem leerstehenden<br />

Stall unter und „wohnten“ bei einer Nachbarin,<br />

die ihnen ihre halbe Küche zur Verfügung stellte,<br />

indem sie den Raum mit Schränken abteilte. In<br />

dieser Behausung starb kurz darauf ihr Vater, erst<br />

59-jährig, an Lungenkrebs.<br />

Inzwischen arbeitete Anneliese als Maurerin<br />

beim Bautrust in Kronstadt, wo sie bei ihrer<br />

Schwester auf kleinstem Raum zur Untermiete<br />

wohnte. In Kronstadt besuchte sie auch das Abendlyzeum.<br />

Wegen ihrer Herzbeschwerden durfte sie<br />

bald danach als Leiterin des Materialdepots arbeiten.<br />

Nach der Matura, nachdem sie sich an den<br />

abendlichen Unterricht gewöhnt hatte, konnte sie<br />

sich ihren langgehegten Wunsch verwirklichen und<br />

die Kunst-Volkshochschule, Abteilung Grafi k, besuchen.<br />

Einer ihrer Lehrer war ihr verehrter Professor<br />

Harald Meschendörfer.<br />

1961 siedelte sie mit ihrer Mutter nach Deutschland<br />

aus. Die Verhältnisse im Übergangswohnheim<br />

waren denkbar bescheiden: In einem Raum schliefen<br />

30-40 Personen; für das Mittagessen stand man<br />

mit seinem Blechteller Schlange …, so dass die<br />

beiden schon nach ein paar Tagen zum Bruder Balduin<br />

nach Heidelberg zogen. Anneliese fand Arbeit<br />

in der Kalkulationsabteilung einer Schuhfabrik, in<br />

der sie bis zum Umzug der Firma zwölf Jahre tätig<br />

war. Danach arbeitete sie bei der Diakonie in Heidelberg,<br />

heiratete 1978 ihren Siebenbürger Landsmann<br />

Gerhard Schmidt und zog nach Bruchsal, wo<br />

sie weiterhin bei der Diakonie arbeitete, und zwar<br />

22 Jahre, bis zum Ruhestand. Schwester und Mutter<br />

zogen auch nach Bruchsal.<br />

Hier und vorher schon in Heidelberg belegte<br />

sie Malkurse innerhalb der Volkshochschule und<br />

nahm an einigen Ausstellungen teil. In der Natur<br />

fi ndet Anneliese Ausgeglichenheit und Ruhe und<br />

versucht, in ihren Bildern das Schöne festzuhalten.<br />

Ihre Aquarelle und Federzeichnungen zeigen meist<br />

Blumen, Landschaften oder malerische Gebäude,<br />

die wir auch bei unserem Treffen anlässlich ihrer<br />

Ausstellung in Friedrichroda bewundern können.<br />

Form und Farben wiedergibt sie naturgetreu, interpretiert<br />

mit viel Liebe zum Detail, wobei das<br />

Licht eine große Rolle spielt. Viel Verständnis und<br />

Geduld fi ndet sie bei ihrem Mann, der ihre Bilder<br />

einrahmt und bei Ausstellungen praktische Hilfe<br />

leistet. Gemeinsam mit ihm freut sie sich auch an<br />

ihrem Garten, in dem sie beide viel Zeit verbringen.<br />

Anneliese kann auf eine langjährige Tätigkeit<br />

für die <strong>Zeidner</strong> <strong>Nachbarschaft</strong> zurückblicken. Mit<br />

der Kasse hat sie 1967 begonnen – und gleichzeitig<br />

auch mit dem Versand unseres Blattes (ZG Nr. 26-<br />

56, 1967-1983). Ihre Mutter schrieb die Adressen<br />

auf die Umschläge – damals noch von Hand. Die<br />

Kasse wird Anneliese beim Treffen in Friedrichroda<br />

voraussichtlich an Franziska Neudörfer übergeben.<br />

Anneliese berichtet, dass ihre Schwester ihr – ganz<br />

besonders bei unseren Treffen – gut mitgeholfen<br />

hat. In den ersten Jahren führte sie pro Jahr 200-<br />

300 Buchungen durch – in den letzten bis zu über<br />

1 000. Diese Eingänge veröffentlichte sie übersichtlich<br />

– nach Sparten aufgeteilt – im <strong>Zeidner</strong> Gruß.<br />

Für ihre genaue<br />

Kassenführung und<br />

ihre fast 40-jährige<br />

ehrenamtliche Mitarbeit<br />

dankt ihr die<br />

<strong>Zeidner</strong> <strong>Nachbarschaft</strong><br />

von Herzen<br />

und wünscht ihr<br />

Gesundheit, Frieden<br />

und Freude an ihren<br />

Hobbys. Alles Gute,<br />

liebe Anneliese!<br />

Renate Kaiser,<br />

München<br />

personen und persönlichkeiten<br />

Anneliese Schmidt<br />

Über ihre Evakuierung<br />

berichtete sie ausführlich in<br />

ZG 93 (2002) und im kürzlich<br />

erschienenen Buch „Zwangsaufenthalt<br />

mit Demütigungen:<br />

Evakuierungen 1952 im<br />

Burzenland“, herausgegeben<br />

von Christof Hannak (siehe<br />

auch ZG 99 (2005).<br />

Für jeden Maler gibt es Bilder,<br />

die ihm besonders viel<br />

bedeuten. Anneliese hängt<br />

unter anderen besonders an<br />

diesen Bildern: Aquarelle von<br />

Klatschmohn und Booten in der<br />

Abendsonne.<br />

zeidner gruß 2006 nr. <strong>100</strong> 41

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