Download - Landesjugendring
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Bedrohte Jugendphase<br />
Jugendliche glauben, dass sie sich selbst an<br />
die neue Situation mit verstärkten Anstrengungen<br />
anpassen müssen. Lothar Böhnisch nennt<br />
dies die „Biografisierung gesellschaftlicher<br />
Lebensbedingungen“. Die Krisen im Erwerbsarbeitssektor,<br />
Globalisierung, Rationalisierung<br />
und Verlagerung von Beschäftigung sind<br />
nicht mehr „bloß“ Belastungen des Erwachsenenlebens,<br />
von denen Jugendliche in einem<br />
Schonraum entlastet ihr Jugendleben führen<br />
können. Wenn die Arbeitsgesellschaft zum<br />
Problem wird, dann muss auch die Jugendphase<br />
als Phase der biografischen Vorbereitung<br />
zum Problem werden. Arbeitslosigkeit bedroht<br />
die Jugendphase von ihrem Ende her. Die aktuellen<br />
Probleme des Arbeitsmarktes drängen<br />
als persönliche Bedrohung in die Aufmerksamkeit.<br />
Auch wer es „geschafft“ hat und bereits<br />
berufstätig ist, hat Angst davor, dass das erreichte<br />
Ufer nicht so sicher ist und man wieder<br />
zurückfallen könnte.<br />
Die Jugend ist nicht nur von der Zukunft gesellschaftlicher<br />
Entwicklungen abhängig, sondern<br />
sie muss im Rahmen dieser gesellschaftlichen<br />
Zukunft auch noch ihre eigene, biografische<br />
Zukunft suchen und finden. Ist die gesellschaftliche<br />
Zukunft bedroht, so bedroht dies<br />
junge Menschen in ihren Möglichkeiten ihr Leben<br />
zu gestalten.<br />
Leistungsbereit und zuversichtlich<br />
Mit der Vorstellung einer unpolitischen jungen<br />
Generation verbindet sich sehr häufig die Vermutung,<br />
bei jungen Leuten sei eine abnehmende<br />
Leistungsbereitschaft zusammen mit einer<br />
wachsenden Versorgungshaltung zu konstatieren.<br />
Die Jugend sei nur noch auf sich selbst<br />
bezogen, egoistisch und kaum sozial oder zivilgesellschaftlich<br />
zu engagieren. Das Gegenteil<br />
ist der Fall: Junge Menschen reagieren auf<br />
diese Verunsicherung ihrer Zukunftsperspektiven<br />
gerade nicht mit Resignation und Passivität,<br />
sondern legen eine ansteigende Leistungsbereitschaft<br />
an den Tag, wie die Shell-Studie<br />
2006 beschreibt:<br />
„Die heutige junge Generation stellt sich mit<br />
einem ausgesprochen pragmatischen Zugang<br />
den Herausforderungen in unserer Gesellschaft<br />
[…]. Vor dem Hintergrund einer sensiblen<br />
Wahrnehmung von gesellschaftlichen Problemen,<br />
die bei der großen Mehrheit der Jugendlichen<br />
mit spürbaren Ängsten vor allem in<br />
Bezug auf die Chancen am Arbeitsmarkt verbunden<br />
sind, überwiegt jedoch auch weiterhin<br />
eine positive persönliche Zukunftssicht. Von<br />
Resignation und Ausstieg in vermeintliche jugendliche<br />
Ersatzwelten kann nach wie vor keine<br />
Rede sein“.<br />
Was heißt das für die Jugendpolitik?<br />
Im Unterschied zu unseren europäischen Nachbarn<br />
gibt es in Deutschland verschiedene Auffassungen<br />
über das Verständnis von Jugendpolitik.<br />
Einige verstehen darunter nur ihren institutionellen<br />
Kern, also die Regelungsbereiche<br />
von Jugendhilfe, Jugendförderung und<br />
Jugendschutz. Weiter gefasst beschreibt Jugendpolitik<br />
die Folgen von politischen Entscheidungen<br />
für Kinder und Jugendliche in allen<br />
Politikbereichen zum Beispiel in der Wohnungs-,<br />
Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik.<br />
Paul Felisch schreibt dazu: „Da die<br />
Jugendpolitik das Beste der gesamten Jugend<br />
zu fördern hat, erstreckt sich das Arbeitsfeld<br />
überall dahin, wo das Wohl der Jugend in Frage<br />
steht“.<br />
Wie oben ausgeführt deckt sich dies mit den<br />
Erwartungen von Jugendlichen an die Politik:<br />
Aus dem Blick der Jugendlichen wäre eine<br />
Adressatenpolitik vonnöten, die sich Jugend zu<br />
ihrer Klientel macht. Jugendprobleme verschmelzen<br />
jedoch mit den zentralen Zukunftsproblemen<br />
unserer Gesellschaft und überschreiten<br />
damit den Horizont von Klientelpolitik.<br />
schwerpunkt<br />
Konzepte der politischen Bildung, die auf das<br />
„Einüben“ von Demokratie abstellen, müssen<br />
wirkungslos bleiben. Entscheidend ist vielmehr,<br />
den Jugendlichen Ressourcen und Unterstützung<br />
zu bieten, ihre Zukunft zu meistern.<br />
Richard Münchmeier<br />
Prof. Richard Münchmeier[info<br />
Geboren 1944<br />
Seit 1995 Professor für Sozialpädagogik an<br />
der Freien Universität Berlin.<br />
Wissenschaftlicher Leiter der 12. und 13.<br />
Shell-Jugendstudie („Jugend 97“ und „Jugend<br />
2000“).<br />
Mitglied des Deutschen Bundesjugendkuratoriums,<br />
dem wissenschaftlichen Beirat der<br />
Bundesregierung im Bereich Jugendpolitik.<br />
Zuvor Promotion im Fach Erziehungswissenschaften<br />
an der Universität Tübingen. Habilitation<br />
im Fach Sozial- und Jugendpädagogik<br />
an der Universität Gesamthochschule<br />
Kassel. Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung<br />
Jugend- und Jugendhilfeforschung am<br />
Deutschen Jugendinstitut, München; Professor<br />
für Sozialpädagogik an der Universität<br />
Leipzig.<br />
Der nebenstehende Artikel basiert auf dem<br />
neu erschienenen Buch: Bingel, Gabriele;<br />
Nordmann, Anja; Münchmeier, Richard<br />
(Hrsg.): Die Gesellschaft und ihre Jugend -<br />
Strukturbedingungen jugendlicher Lebenslagen;<br />
Opladen und Farmington Hills 2008.<br />
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