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AP1 Borderline Info - LVR-Klinikum Düsseldorf

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BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGESchuld, Trauer oder Scham auszulösen, die sie ausgesprochen intensiv erlebt. Manchmal dauert es sehrlange, bis sich die Stimmung wieder normalisiert. Sie hat beständig das Gefühl, dass sie die Emotionen nichtsteuern kann, sondern dass die Stimmungen mit ihr machen, was sie wollen. Das sei schon immer so gewesen,bisweilen reichte eine traurige Episode in einem Film, um heftige Trauer auszulösen, während die anderenZuschauer vergnügt waren. Aber auch positive Gefühle, wie Freude oder Stolz, kann sie äußerst stark,fast rauschhaft erleben.Ein anderes Beispiel: Frau B. kennt das Gefühl chronischer innerer Leere sehr gut, immer wieder kommt esaber zu plötzlichen, starken Anspannungszuständen, teilweise mit Ängsten, teilweise mit Ärger. In der Regelsind diese Zustände aber mit dem Erleben verbunden, nicht mehr "geradeaus denken" zu können und vonder Anspannung beherrscht zu werden.7. Chronisches Gefühl der LeereFrau A. hat häufig das Gefühl, nicht zu existieren bzw. innerlich wie tot, abgestorben oder vollkommen leerzu sein. Dieses Gefühl geht häufig einher mit einer Einschränkung der Sinneswahrnehmungen, so dass Geräusche,Gerüche, Bilder oder körperliche Berührungen nur sehr eingeschränkt wahrgenommen werden.8. Übermäßig starke Wut oder die Unfähigkeit, Wut zu kontrollieren<strong>Borderline</strong>-Patienten neigen zu zwei Extremen: die einen bewerten die Wahrnehmung von Wut und Ärgergrundsätzlich als gefährlich, bedrohlich und beängstigend, so dass sie große Schwierigkeiten haben, Ärgerauszudrücken und ihre Wut gegen sich selbst richten. Andere Patientinnen haben große Mühe, Wut undÄrger zu kontrollieren, so dass sie bisweilen impulshaft "herausplatzen", Gegenstände zerstören, Einrichtungendemolieren, bisweilen auch andere Menschen verprügeln und während dieser Zustände keine Kontrollemehr über sich haben.Ein anderes Beispiel: Frau C. berichtet, dass sie immer wieder für mehrere Tage in einen ausgesprochengereizten Zustand verfällt, in der sie "die Fliege an der Wand" unerträglich nervt. Sie könne häufig keineAuslöser dafür erkennen und habe den Eindruck, dieses Gefühl aushalten zu müssen, bis es "irgendwann"wieder abklingt.9. Vorübergehende dissoziative Symptome oder WahnvorstellungenUnter Dissoziation versteht man einen Verlust des Wirklichkeitsgefühls. In aller Regel ist dieser Zustand miteiner Abnahme der Intensität von Sinneswahrnehmungen verbunden, d.h. Geräusche werden nur noch wievon weiter Feme wahrgenommen, Gerüche reduzieren sich, das Gespür für den Körper, inklusive Schmerzwahrnehmung,kann sich auf Null reduzieren, die Wahrnehmung des Raumes verändert sich häufig so, alsob die Dinge entweder in weite Ferne zu rücken oder ihre Gestalt, insbesondere ihre Grenzen zu verändernscheinen. Auch Gefühle werden nicht mehr so intensiv wahrgenommen. Manchmal beschreiben Betroffene,dass es so sei, als ob man seinen Körper verlasse, außerhalb des Körpers trete und den Körper dannetwas unbeteiligt beobachte. Dissoziationen sind fließende Prozesse, d.h. man kann "teilweise dissoziieren",so dass die Wahrnehmung von Raum und Zeit in der Realität noch teilweise vorhanden ist, oder sovollständig dissoziieren, dass Dinge begangen werden können, ohne dass Erinnerungsspuren aufgezeichnetwerden. Die Betroffenen finden sich dann zum Teil in völlig unbekannten Situationen wieder und wissennicht mehr, was sie während dieses Zeitraumes getan haben. Für Außenstehende können die Betroffenenjedoch völlig normal wirken.Aber auch "Flashbacks", also das Sich-Aufdrängen szenischer Wiedererinnerungen vergangener Ereignisse,gehört zur Gruppe der dissoziativen Phänomene. Seien es Bilder, Stimmen, Gerüche oder körperlicheWahrnehmungen, fast immer handelt es sich um vergangene traumatische Erlebnisse, die im Gehirn gespeichertsind und unkontrollierbar einschießen. Dabei werden dieser Erinnerungs-Wahrnehmungen alsäußerst intensiv und gegenwärtig erlebt. Es gelingt nicht, diese Ereignisse unmittelbar der Vergangenheitzuzuordnen. Manche Patienten berichten auch über optische Halluzinationen, das heißt sie sehen Szenen,die Außenstehende nicht erleben.Was sind die Ursachen einer <strong>Borderline</strong>-Störung?Zurzeit gibt es kein bewiesenes Modell, das alle Voraussetzungen und Umstände erfasst, die notwendigsind, um die Entstehung der <strong>Borderline</strong>-Störung zu erklären. Das traditionelle tiefenpsychologische oderpsychoanalytische Konzept geht davon aus, dass Patienten mit <strong>Borderline</strong>-Störungen an einer so genannten- 3 -


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1"frühen Störung" leiden. Viele <strong>Borderline</strong>-typischen Denkweisen seien entwicklungspsychologisch früherenLebensabschnitten zuzuordnen. Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich, häufig mit der Mutter oderanderen wichtigen Bezugspersonen, hatten in dieser Entwicklungsphase dazu geführt, dass einzelne Reifungsprozessenur teilweise vollzogen wurde. Unter Belastung funktioniere die "erwachseneren", das heißt"reiferen" Anteile nicht mehr ausreichend, und die Betroffenen schützen sich durch die Aktivierung frühkindlicherDenkmechanismen vor dem vollständigen Zusammenbruch. Ein wichtiger Entwicklungsschritt,der sich im Alter zwischen 2 und 3 Jahren abspielt, ist zum Beispiel zu lernen, dass geliebte Bezugspersonennicht vollkommen sind, dass sie nicht ausschließlich gut sind oder immer zur Verfügung stehen, sonderndass diese auch unangenehme und negative Eigenschaften haben. Erfolgt diese Lernprozess nicht ausreichend,kann sich dies in einer intensiven Abhängigkeit von äußeren Bezugspersonen ausdrücken, die wechselseitiggeliebt und gehasst werden. Die Psychoanalyse nimmt nun an, dass diese fehlende Integrationsogenannter guter oder böser Anteile zu massiven inneren Spannungen führt, die von den Betroffenennicht ausgehalten werden. Um diese Spannungszustände zu bewältigen, versuchen die Betroffenen wechselnddie guten oder bösen Anteile nach außen zu lagern (zu projizieren). Dadurch wird die innere psychischeSpannung etwas reduziert, es entwickelt sich jedoch eine massive Abhängigkeit von anderen Personenund eine zunehmende Gefahr negative Anteile sich selbst zuzuschreiben.Diese Theorie basiert auf klinischen Beobachtungen und der Annahme, dass krankhafte Phänomene imErwachsenenalter auf unbewältigten Prozessen der Vergangenheit basieren. Die Konsequenz aus dieserTheorie für die psychotherapeutische Behandlung besteht darin, dass angestrebt wird, eine intensive therapeutischeBeziehung herzustellen, um im Rahmen dieser Beziehung "Nachreifungsprozesse" zu gewährleisten.Diese Vorstellung und Behandlungsmethode galt jahrzehntelang als Therapie der Wahl. In jüngster Zeitwurden Erklärungsansätze weiter entwickelt, die neben den psychischen auch biologische, und soziologischeErkenntnisse integrieren. Diese empirischen Modelle gehen davon aus, dass für die Entstehung der<strong>Borderline</strong>-Störung mindestens drei Faktoren verantwortlich sind:1. Eine Veranlagung, auf emotionale Reize besonders rasch, heftig und lange zu reagieren.2. Starke emotionale Belastungsfaktoren in der Kindheit oder Jugend (sexuelle oder schwere körperlicheMisshandlungen oder Vernachlässigungen).3. Ein soziales Umfeld, das "emotionales Lernen" behindert, in dem ein Kind nicht lernen kann, seinenGefühlen zu vertrauen, diese als stimmig und adäquat zu erleben und zur Steuerung seiner Handlungenzu benutzen.Es müssen nicht immer alle drei Faktoren vorhanden sein, bisweilen genügt das Zusammenspiel von zweiFaktoren, um eine <strong>Borderline</strong>-Störung zu entwickeln.Bislang ist nur wenig über erbliche, das heißt genetische Faktoren bekannt, die zum Entstehen einer <strong>Borderline</strong>-Störungbeitragen. Gesichert ist lediglich, dass die Betroffenen rasch und sehr heftig auf emotionaleReize reagieren, dass es ihnen oft sehr schwer fällt, unterschiedliche Gefühle klar zu benennen, sonderndass häufig unerträgliche Spannungszustände vorherrschen. Diese Spannungszustände sind häufig so starksind, dass ein klares Denken nur noch sehr eingeschränkt möglich ist, und dass sich die Betroffenen dannauch körperlich kaum wahrnehmen. Einige Wissenschaftler nehmen nun an, dass diese hohe Sensibilitätangeboren ist, andere meinen, dass dies die Folge von schweren traumatisierenden Erfahrungen ist, wahrscheinlichist, dass beide Faktoren zusammenwirken.Über 70% aller Patientinnen mit <strong>Borderline</strong>-Störungen sind Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kindheit.Diese Missbrauchssituationen hielten sehr häufig lange an und enge Bezugspersonen waren die Täter.In aller Regel wurde das Sprechen darüber strengstens verboten. Nicht alle Kinder, die Opfer sexueller Ü-bergriffe wurden, entwickeln im Laufe ihres Lebens eine <strong>Borderline</strong>-Störung. Welche Umstände davorschützen bzw. welche Umstände dafür besonders anfällig machen, ist bisher noch nicht vollständig geklärt.Es scheint jedoch sicher, dass gerade Kinder, die eine sehr dichte Beziehung zum Täter hatten, gelernt haben,ihren eigenen Gefühlen zu misstrauen bzw. diese als falsch zu bewerten. Gedanken, wie "ich habe esja eigentlich verdient", "der Vater/Onkel/die Mutter wird wissen, was er/sie tut", "das ist alles ein Zeichen,dass sie mich lieben", wirken aus Sicht der Betroffenen zunächst vernünftig und graben sich als Grundannahmentief in das Selbstbild ein.- 4-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEEin weiterer wichtiger Aspekt: Viele Opfer von Gewalttaten lernen zu "dissoziieren", das heißt, unser Organismusreagiert auf starke Bedrohung und äußerste Gefahr damit, dass die Wahrnehmung für die Realitätreduziert wird. Die optischen Eindrücke verändern sich, Geräusche klingen nur noch wie von weiter Ferne,Gerüche werden nur noch reduziert wahrgenommen, das Gefühl für Raum und Zeit verändert sich; kurz,alles wird fremd und wie unwirklich. Negative Gefühle wie Angst oder Furcht verschwinden, man fühlt sichseltsam leblos. Bisweilen berichten Betroffene, dass sie ihren Körper verlassen, und scheinbar gelassen vonaußen die Szenerie betrachten. Dieser "Schutzmechanismus" des Körpers wirkt kurzfristig beruhigend, wirdjedoch längerfristig, das heißt, wenn diese Phänomene wiederholt eintreten, zum Problem. Viele Erinnerungenan bedrohliche Ereignisse bleiben nur als Bruchstücke oder Fetzen in unserem Gedächtnis haften.Das heißt, sie werden nicht als "Ganzes" verarbeitet und in unseren Erfahrungsschatz integriert. Bisweilenist viel Energie notwendig, diese bedrohlichen Erinnerungsfragmente in Schach zu halten und abzuspalten.Unter Stressbedingungen oder wenn sich ähnlich bedrohliche Ereignisse wiederholen, manchmal auch zuBeginn einer Therapie, werden diese unverarbeiteten Erinnerungsbruchstücke wieder aktiviert. Dies geschiehtin Form von "Flashbacks", das heißt szenischem Wiedererleben sehr bedrohlicher Ereignisse inForm von Bildern, Gerüchen, Stimmen, aber auch körperlichen Wahrnehmungen oder in schweren Alpträumen.Gemeinsam ist diesen Wahrnehmungen, dass sie nicht der Vergangenheit zugeordnet werdenkönnen, sondern immer aktuell erlebt werden, als ob dies alles hier und jetzt passiert, so dass die Betroffenendarunter in hohem Maße leiden. Der Verlust des Wirklichkeitsgefühls (Dissoziation) trat zunächst nurdirekt während der Bedrohung auf, später kann es aber passieren, dass sich dieser Vorgang automatisiert.Das heißt, häufig reichen geringe Spannungswahrnehmungen oder das Gefühl, dass irgendetwas nicht inOrdnung ist aus, um Patientinnen in solch einen dissoziativen Zustand zu versetzen. Für ein Kind, das gelernthat, fast automatisch zu dissoziieren, wenn spannungsgeladene Situationen auftreten, ist es ausgesprochenschwierig, neue Erfahrungen zu machen und zu lernen mit Konflikten anders umzugehen. Umneue Lernprozesse zu machen, brauchen wir unsere Sinnesorgane und häufig die gesamte Aufmerksamkeit;die Aufmerksamkeit ist aber beeinträchtigt, wenn die betroffene Person gelernt hat, fast "automatisch" beiAnspannungssituationen zu dissoziieren.Obwohl <strong>Borderline</strong>-Patientinnen als stark emotionsbetont gelten, haben sie oft Schwierigkeiten, einen differenzierteren(verfeinerten, kritischen) Zugang zu ihren Emotionen zu erlernen. Ohne eine differenzierteWahrnehmung unserer Emotionen ist es aber außerordentlich schwierig im zwischenmenschlichen Bereichzufrieden stellend für sich zu sorgen. Gefühle sind nicht nur das Salz in der Suppe des Lebens, sondern inerster Linie unbewusste Signalsysteme, die unser Handeln und Denken steuern. Unsere Gefühle teilen unsblitzschnell mit, ob eine Beobachtung, die wir machen, mit unseren individuellen Zielen übereinstimmt,oder ob wir irgendwie gefährdet oder bedroht sind, angegriffen werden, beschämt werden, ob wir unsschuldig machen oder etwas haben wollen, was andere haben. Jedes unserer Gefühle zielt auf ein Musteran Handlungsentwürfen, die in aller Regel automatisiert ablaufen. Wenn wir uns auf unsere Gefühle verlassenkönnen, fühlen wir uns "stimmig", selbst wenn wir uns bedroht sehen. Wenn wir uns auf unsere Gefühleverlassen können, verfügen wir fast immer über entsprechende Handlungsentwürfe. Zum Beispiel könnenwir Sicherungsmaßnamen ergreifen, wir können uns Verstärkung holen, uns bewaffnen oder vielesmehr. Je weniger heftig unsere Gefühle sind, um so differenzierter werden die Handlungsmöglichkeitensein, umso eher kann unser "planendes Gehirn" weitsichtig und umsichtig entsprechende Schritte einleiten,damit negative Gefühle sich auflösen und positive Gefühle stärker werden.Stark vereinfacht ausgedrückt, könnte man Gefühle vergleichen mit Hunger. Auch Hunger ist weder gutnoch schlecht, sondern lediglich ein Signal unseres Körpers, dass die Energievorräte im Blut zur Neige gehen.Das Gehirn empfängt dieses Signal, übersetzt es in eine Wahrnehmung und wird nun versuchen, Handlungenin die Wege zu leiten, die dieses "Gefühl" beenden. Ein Mensch, der nicht "gelernt" hätte, auf diesesSignal zu hören, würde nicht lange überleben. Die Wahrnehmung von differenzierteren Emotionen wieSchuld, Scham, Ekel, Neid, Eifersucht oder auch Wut muss zumindest zu einem gewissen Teil besondersgelernt werden.Wenn ein Kind nun aber in einer sozialen Umgebung aufwächst, die seine adäquate Wahrnehmung fortwährendals völlig unsinnig und absurd widerspiegelt, so bleibt dem Kind nichts anderes übrig, als dieWahrnehmung seiner Emotionen zu verleugnen. In einer Umgebung also, in der das Mitteilen persönlicherErfahrungen nicht ernst genommen wird, sondern statt dessen bestraft oder trivialisiert wird, ist es schwie-- 5 -


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1rig, sich einen sicheren emotionalen Boden zu schaffen, der klare Handlungsentwürfe vorgibt. Vielmehrwird ständige Unsicherheit vorherrschen, eine grundlegende Alarmbereitschaft, weil jederzeit Unberechenbarespassieren kann. Scheu und Misstrauen wird sich breit machen, weil es niemanden gibt, der dieGefühlswahrnehmung und Bewertung zu teilen scheint. Wenn dann noch reale Bedrohungen auftreten, wiesexueller Missbrauch, Vernachlässigung oder schwere körperliche Misshandlungen, so wird das Überlebenzum Drahtseilakt zwischen Dissoziation, Selbstmordphantasie und Angst.<strong>Borderline</strong>-Patienten sind häufig Überlebende solcher Katastrophen. Sie haben sich Überlebensstrategienzugelegt, die sich in diesen Situationen als hilfreich erwiesen hatten (z.B. Dissoziation, oder die Vorstellung,nichts wert zu sein). Selbstverständlich gibt es zahlreiche andere, und sehr individuelle Ausfärbungen. Sohilfreich diese Überlebensstrategien auch für die damaligen Situationen waren, sie werden eines Tagesselbst zum Problem. Spätestens dann, wenn sich die traumatisierende Umgebung geändert hat, wenn neueErfahrungen in Partnerschaften und Beziehungen gemacht werden sollen. Spätestens dann werden diesegelernten Überlebensstrategien, diese Bewertungen und die Fähigkeit, "automatisch" zu dissoziieren, verhindern,dass die Betroffenen die Welt mit neuen Augen sehen, neue Erfahrungen machen und andereBewertungen lernen.Ein weiteres, menschliches Phänomen ist, dass Bewertungen, die wir in hoher Not entwickelt haben, dazutendieren zu generalisieren, das heiß sich auszuweiten. Ein Kind, das von einem Hund gebissen wird, wirdzunächst alle Hunde meiden, bis es neue Erfahrungen macht, und lernt wieder zu spezifizieren (zu unterscheiden).Es scheint für <strong>Borderline</strong>-Patientinnen sehr schwierig zu sein, neue, bessere Erfahrungen zu machen.Vielmehr besteht die Tendenz, alte, negative Erfahrungen zu wiederholen. Wie bei dem Versuch, eineneue Kerbe dicht neben eine alte zu sägen, so rutschen auch <strong>Borderline</strong>-Patientinnen immer wieder in Verhaltensmuster,die ihre Sichtweise der Welt bestätigen. Am deutlichsten zeigt sich dies häufig bei der Partnerwahl.Wie kann eine <strong>Borderline</strong>-Störung behandelt werden?Da sowohl biologische als auch soziale und psychische Faktoren für die Entstehung einer <strong>Borderline</strong>-Störung eine Rolle spielen, empfiehlt sich häufig eine kombinierte Behandlung, die unbedingt Psychotherapieund häufig auch eine pharmakologische Behandlung umfasst.Vereinfacht ausgedrückt ist Psychotherapie eine erlernbare Methode, die auf wissenschaftlichen Untersuchungenund klinischen Erfahrungen basiert, mit dem Ziel, eingeengte Reaktionsweisen eines Menschenauf seine Umwelt zu erweitern. Dies betrifft die Art zu denken, zu fühlen und zu handeln. Psychotherapiesetzt ein gewisses Maß an Einsicht und ein gewisses Maß an Motivation voraus, Schritte zur Veränderung zuwagen.Die Behandlung kann ambulant oder stationär als Einzeltherapie, als Gruppentherapie oder als Familientherapiedurchgeführt werden. Zurzeit gibt es über 100 verschiedene Schulen oder Formen der Psychotherapie,aber nur wenige haben sich einem wissenschaftlichen Nachweis unterzogen, so dass ein Anspruch aufErstattung der Kosten durch die Krankenkassen gegeben ist. In Deutschland übernehmen die Krankenkassenderzeit nur die Kosten für tiefenpsychologische Psychotherapie, für klientenzentrierte Gesprächstherapienach Rogers und Verhaltenstherapie.Wie wirkt Psychotherapie?Psychotherapie wirkt nicht durch "passive Heilung durch den Arzt" wirkt, sondern durch Veränderung eingeengterErlebens- und Handlungsweisen. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die jeweiligenSicht- oder Erlebensweisen des Patienten auf Grund seiner Lebensgeschichte verständlich sind. Menschen,die zum Beispiel in Familien aufwachsen, in denen sorgfältig darauf geachtet wird, bloß nicht aufzufallen,keinen Fehler zu machen und die Normen so gut wie möglich zu erfüllen, werden diese Vorstellungen sehrwahrscheinlich verinnerlichen und in stressreichen Situationen eher ängstlich-unsicher reagieren als draufgängerisch.Während dieses Verhalten in den ursprünglichen Situationen sinnvoll gewesen sein mag, wirdes problematisch, wenn jeder Hauch von Veränderung in dem Betroffenen massive Ängste auslöst. Dann- 6-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEerscheint sein Erlebens- und Verhaltensrepertoire eingeengt und der Betroffene oder seine nähere Umgebungbeginnen darunter zu leiden. Um nun die Therapie einzuleiten, erscheint es zwar bisweilen hilfreich,sich die Entstehungsbedingungen dieser übergroßen Ängstlichkeit klar zu machen (darüber nachzudenken,unter was für familiären Verhältnissen man aufgewachsen ist). Veränderungsprozesse setzen aber immerneue Erfahrungen voraus, die eingeübt und umgesetzt werden müssen. Noch immer arbeiten manche Therapeutenin der Überzeugung, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit genüge, um die Möglichkeiten desDenkens, Fühlens und Handelns zu erweitern. Wenn aber nicht entweder in der Therapie selbst oder imsozialen Umfeld die Möglichkeit geschaffen wird, tief greifende neue Erfahrungen zu machen, so wird sichdie Therapie über Jahre erstrecken, ohne dass sich wesentliche Bereiche ändern.Dies klingt zunächst nicht schwierig. Wer würde nicht gerne neue, positive Erfahrungen machen, um seineÄngstlichkeit zu überwinden? Aber wir Menschen haben die Tendenz, unsere Sichtweise der Dinge immerwieder neu zu bestätigen, immer gleich oder ähnlich zu handeln. Dies bietet ein gewisses Maß an Sicherheitund Kontrolle - über uns, die Mitmenschen und die Welt. Tatsächlich Neues zu erleben, Dinge oder Gefühlewahrzunehmen und auszuhalten, die unserer bisherigen Sicht der Dinge widersprechen erfordert viel Kraftund bisweilen jemanden, der sanften Druck ausübt, um zu helfen, die Trägheit und vermeintliche Sicherheitzu überwinden. Diese Aufgabe übernimmt der Psychotherapeut. Er sorgt also zum einen dafür, dass dieMöglichkeit angeboten wird, neue Erfahrungen zu machen und er sollte auch dafür sorgen, dass trotz allerÄngste diese Schritte in die neue Erfahrung auch tatsächlich gemacht werden.Eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist eine Grundvoraussetzungfür Veränderungsprozesse - sonst würde sich niemand auf solche neuen Wagnisse einlassen. In einer tragfähigen,therapeutischen Beziehung wird es möglich, alte, eingefahrene Denk- und Erlebensmuster zu erkennenund zu verändern; neue Möglichkeiten zu entwickeln und zu erleben, welche Fähigkeiten in einemstecken sowie schließlich das neu erlernte im Alltag umzusetzen. Obwohl diese beschriebenen generellenWirkfaktoren bei keiner Psychotherapie fehlen sollten, ist für die Therapie auch ein spezifisches Wissenüber den Charakter und die Behandlungsmethodik einzelner, gesonderter Störungsbilder notwendig. EineAngsterkrankung wird zum Beispiel anders behandelt als eine Depression, die Therapie von Zwangsstörungerfordert spezielle Methoden, ebenso die <strong>Borderline</strong>-Störung. Erst in den letzten Jahren wurden spezifischeBehandlungsmethoden für die <strong>Borderline</strong>-Störung entwickelt.Es gibt verschiedene Mythen über die Psychotherapie, die genauer betrachtet werden sollten.Mythos I: Ein Psychotherapeut ist auf Grund seiner langjähriger Selbsterfahrung und seines fundiertenWissen über die menschliche Seele in der Lage, alle psychischen Krankheiten zu therapieren.Richtig ist, dass es heute eine Vielzahl von Störungsbildern gibt, für die spezifische Behandlungsmethodenentwickelt wurden, die bei weitem nicht alle Therapeuten beherrschen. Fragen Sie also Ihren Therapeuten,ob er Erfahrung in der Therapie von <strong>Borderline</strong>-Patienten hat und nach welcher Methode er arbeitet.Mythos II: Die psychotherapeutische Methode ist das Geheimnis des Therapeuten. Er bestimmt dieDauer und auch die Häufigkeit der Sitzungen.Richtig ist, dass Sie ein Recht haben, genauestens zu erfahren, wie die Methode wirken soll, nach welcherder Therapeut arbeitet. Im Rahmen der äußeren Gegebenheiten sollten Sie aktiv in die Therapie und dieTherapiegestaltung einbezogen werden.Mythos III: Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist die beste Möglichkeit, die Leiden der Gegenwart zuheilen und aktuell vermehrtes Leiden, ist ein sicheres Zeichen für therapeutische FortschritteRichtig ist, dass gerade bei schwer traumatisierten Patienten häufig das Gegenteil der Fall ist: Wenn Traumatisierungenund Verletzungen zu früh "aufgerührt" werden, kommt es nicht selten zur Verschlechterungder Symptomatik. Weisen Sie Ihren Therapeuten unbedingt daraufhin, wenn Sie in Folge der Therapie Alpträumeentwickeln, Flashbacks zunehmen oder starke Suizidgedanken auftreten. Es kann zwar sein, dassdies im Rahmen einer konstruktiven Therapie vorübergehende Erscheinungen sind, diese sind aber keine"sicheres Zeichen", dass Sie auf dem Wege der Besserung sind. Sicher sind es aber ein Symptome und Beschwerden,die Sie mit ihrem Therapeut besprechen müssen.Mythos IV:Ist eine Psychotherapie erst einmal begonnen, so sollte sie unbedingt bei diesem Therapeu-- 7 -


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1ten zu Ende geführt werden.Richtig ist, wenn Sie nach ca. einem halben Jahr in ambulanter Behandlung den Eindruck haben, nicht vorwärtszu kommen, sollten Sie mit Ihrem Therapeuten darüber sprechen.Mythos V: Die Inhalte der Psychotherapie sind Geheimnisse, über die nicht geredet werden sollte.Richtig ist, dass der Therapeut unter Schweigepflicht steht, dass Sie aber jederzeit das Recht haben undauch Gebrauch davon machen sollten, mit einer guten Freundin oder einer Vertrauensperson darüber zureden, was sich in der Therapie für sie entwickelt.Mythos VI: Psychotherapeuten arbeiten alleine am besten.Richtig ist, dass gerade Therapeuten, die mit <strong>Borderline</strong>-Patientinnen arbeiten, Supervision brauchen. FragenSie Ihren Therapeuten, wo er sich Rat und Hilfe holt.Mythos VII: Psychotherapie findet ausschließlich im Zweiergespräch statt.Richtig ist, dass manchmal auch der Einsatz von Audio- oder Videoaufnahmen zur Therapie beitragen kann.Wenn es Ihnen eine Hilfe ist, sollten Sie Ihren Therapeuten fragen, ob sie Audio- oder Videoaufnahmen vonder Stunde machen können, um sie sich noch einmal anzuhören oder anzusehen. Diese Aufnahmen unterliegendann aber beiderseits der Verschwiegenheit.Mythos VIII: Gute Psychotherapeuten machen keine Fehler.Richtig ist, dass Psychotherapeuten wie alle Menschen ständig Fehler machen. Das ist gut so, sonst könntensie und ihre Patienten nichts lernen. Weisen Sie also Ihren Therapeuten daraufhin, wenn Sie sich missverstandenfühlen und/oder der Meinung sind, er habe einen Fehler gemacht - und arbeiten sie gemeinsam anVerbesserungen.Mythos IX: Psychotherapeuten sind auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer besonderen Wesensart immerruhig und ausgeglichen.Die Realität ist, dass Therapeuten, wie alle Menschen, unter wechselnder Belastung stehen. Auch sie habenPartnerschaftsprobleme, manchmal Sorgen um ihre Kinder oder um finanzielle Dinge. Sie sind dahermanchmal unausgeschlafen, müde oder schlecht gelaunt. Beziehen Sie daher nicht jede emotionale RegungIhres Therapeuten auf sich. (Dies ist oft sehr schwierig, aber es ist wichtig zu versuchen, die Situationen, indenen Sie sich missverstanden oder abgelehnt fühlen, ihren Unmut, ihre Ängste oder Ärger direkt mit demTherapeuten anzusprechen).Mythos X: Wenn Therapeuten wirklich wüssten, wie schlecht es Ihnen geht, so würden sie Ihnen besserhelfen.Richtig ist, dass Psychotherapeuten Ihnen lediglich Hilfestellung geben können, was Sie tun können, um sichselbst zu helfen. Die meiste Arbeit während der Psychotherapie müssen Sie selbst leisten. Der Therapeut istwie ein Bergführer, mit dem zusammen Sie einen hohen Gipfel ersteigen. Er kann Ihnen den Weg weisen,aber laufen oder klettern müssen Sie selbst. Wenn Sie verlangen, dass er Sie tragen soll, so kann er das eineWeile tun, er wird jedoch bald zusammenbrechen und das ganze Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt.Was sind die Inhalte einer Psychotherapie?Zurzeit gibt es sowohl in der Verhaltenstherapie als auch in der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapieklare Behandlungskonzepte für eine Psychotherapie von <strong>Borderline</strong>-Störungen. Die etabliertestenBehandlungsformen sind die "expressive Therapie" nach Otto Kernberg und die von Marsha Linehan entwickelte"Dialektisch Behaviorale Therapie" (DBT). Wie oben angeführt basiert die tiefenpsychologisch fundierteTherapie darauf, dass in der therapeutischen Beziehung Erfahrungen neu gemacht werden könnenund bestimmte Bewertungsmuster verändert werden, damit eine "Nachreifung" erfolgen kann.Die DBT hat so viele verhaltenstherapeutische Elemente integriert, dass diese hier zusammen erläutertwerden sollen. Dieses Konzept wurde wissenschaftlich untersucht und beispielsweise die Ergebnisse derUntersuchungen der Universität in Freiburg zeigen, dass die DBT eine wirksame psychotherapeutische Behandlungder <strong>Borderline</strong>-Störung darstellt.- 8-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEDie Psychotherapie bei <strong>Borderline</strong>-Störungen gliedert sich in drei Phasen:1. PHASE mit drei Problembereichen:SUIZIDALITÄT UND SELBSTSCHÄDIGUNG: Schwierigkeiten der Emotionsregulation stehen im Zentrum der<strong>Borderline</strong>-Störung. Gefühle oder deren körperliche Erscheinungsformen werden entweder als überwältigendund bedrohlich wahrgenommen oder phasenweise komplett abgespalten, so dass sich die Betroffenen"wie tot" fühlen. Im Versuch, diese Zustände zu bewältigen, entwickelten <strong>Borderline</strong>-Patientinnen zahlreicheVariationen. Diese reichen von vollständiger Dissoziation über Selbstschädigungen (wie Schneiden,Verbrennen, Schlagen, Hochrisiko-Verhalten) zu Suizidphantasien oder -versuchen. Etwas "harmloser" wirkendie körperlichen Erschöpfungszustände oder das Aufsuchen von gefährlichen Situationen wie Hochhausdächerusw. Viele dieser "Bewältigungsversuche" führen zwar kurzfristig zur Linderung von schwerenSpannungszuständen, langfristig aber sind sie nicht nur gefährlich, sondern auch sozial schädlich. Isolierungvon Gleichaltrigen, Verlust von Freundinnen oder Partnern ist die Folge. Über kurz oder lang bleibt das"psychosoziale Netzwerk", also professionelle Helfer, als einziger Sozialkontakt übrig. Ein weiteres, gravierendesProblem stellt die" Automatisierung" und Abschwächung der Wirkung dar. Einmal gelernt, stellensich schließlich Dissoziationsprozesse von selbst ein, der Schneidedruck wird überwältigend, das Ausmaßder zugefügten Verletzung muss immer gravierender sein. Ähnlich wie bei einer Alkoholsucht treten dieeigentlichen Ursachen in den Hintergrund der Problematik, die Selbstverletzungen werden zum eigenständigenProblem.Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Suiziddrang und Selbstverletzungen als eigenständiges Problem anzusehenund vorrangig zu behandeln. Zu Beginn jeder Therapie, aber auch wann immer es im Laufe der therapeutischenArbeit erneut auftritt, haben Suizidalität und Selbstverletzungen erste Priorität. Da wir als Therapeutendavon ausgehen, dass niemand "freiwillig" diese Verhaltensmuster entwickelt, kann sie auch niemand"freiwillig", das heißt einfach durch reinen Entschluss aufgeben. Es ist also Unterstützung notwendig, undvor allem muss die Betroffene wissen, welche alternativen Möglichkeiten es zur Regulation von massivenSpannungszuständen oder peinigenden Emotionen gibt. Diese Möglichkeiten müssen erlernt werden aberauch geübt und angewendet werden.THERAPIEABBRUCH ODER STAGNATION: 75% aller Therapien mit <strong>Borderline</strong>-Patientinnen werden vorzeitigabgebrochen. Daher ist es nur plausibel, dass diesem Phänomen ein ganz wichtiger Platz zugeordnet wird.Wann immer sich Prozesse oder Verhaltensmuster abzeichnen, die den Fortgang der Therapie gefährden,wird dies so intensiv wie möglich beleuchtet, um Auswege aus den sich anbahnenden Krisen zu finden. Esist wichtig, dass die „Schuld" am Abbruch einer Therapie nur in den seltensten Fällen den Patienten angelastetwerden kann. Genauere Analysen zeigen, dass häufig auch Fehler auf Seiten der Therapeuten lagen. Daauch Therapeuten nicht absichtlich oder böswillig Fehler machen, bemühen wir uns, jede Behandlung engin ein Team oder eine Supervisionsgruppe einzubinden, die dem Therapeuten eine rasche Korrektur seinesVerhaltens ermöglicht.LEBENSQUALITÄT: An dritter Stelle steht die Veränderung von belastenden Lebensumständen. Dies mag eineausgeprägte Essstörung sein, häufig auch die Tendenz besonders wenig zu trinken, ein Alkohol- oder Drogenmissbrauch,die Vernachlässigung körperlicher Erkrankungen, schwere Schlafstörungen, Schwierigkeitenam Arbeitsplatz, in der Familie oder Partnerschaft. Grundsätzlich ist das Ziel eine Verbesserung der Fähigkeiten,die ein aktives Problemlösen und eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Alltag ermöglichen.2. PHASE:BEARBEITUNG TRAUMATISCHER ERFAHRUNGEN: Nicht alle Patienten oder Patientinnen mit <strong>Borderline</strong>-Störungen erlitten in der Kindheit schwere körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch, alle aber warenSituationen ausgesetzt, die ihre Fähigkeit zu Bewältigung überschritten haben. Dissoziationen, Flashbacks,also das Wiedererleben von traumatischen Szenen mit einem starken Realitätsgefühl, Alpträume, Erinnerungsfetzenund das allumfassende Gefühl der Bedrohung weisen darauf hin, dass schlecht bewältigtetraumatische Erfahrungen vorliegen.Es grassieren viele falsche Vorstellungen über die Wirkungsweisen und Möglichkeiten einer "Traumatherapie",also der Behandlung früherer, traumatischer Erlebnisse. Mit Sicherheit ist es kein "kathartisches"(=reinigendes), einmaliges, explosionsartiges, lösendes Ereignis, durch das die Erinnerungen verschwindenoder sich auflösen. Vielmehr ist die therapeutische Arbeit relativ langwierig, schwierig und belastend. Dies- 9 -


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1liegt daran, dass es nicht genügt, sich lediglich dieser Erfahrungen zu erinnern. Vielmehr gilt es auch zu lernen,die auftauchenden Gefühle in der Erinnerung wahrzunehmen, zu akzeptieren und adäquat damit umzugehen.Diese Gefühle sind oft sehr widersprüchlich. Scham, Schuld, Hass und Ekel vermengen sich bisweilenzu unaussprechlichen Konglomeraten (Mischungen). Meistens ist es nötig, mit therapeutischer Hilfe dieErinnerungen und Emotionen zu dosieren, sich also "sanft zu erinnern". Hat die Patientin nicht gelernt,Emotionen zu regulieren, so verschlechtert sich die Situation, die therapeutische Arbeit wird zur ernsthaftenBedrohung und kann erheblichen Schaden anrichten. Es sollten daher die typischen Problemfelder derPhase I durchlaufen und bewältigt sein, bevor mit der Bearbeitung der Traumata begonnen wird. Die Patientinsollte sich nicht mehr selbst schädigen, klare Absprachen zur Suizidalität treffen können, dem Therapeutensoweit vertrauen, dass es möglich ist, ihn früh auf Fehler hinzuweisen. Des Weiteren sollten destabilisierendeFaktoren, wie Trink- oder Essstörungen und vor allem Drogenmissbrauch bewältigt sein. DiePatientin sollte in der Lage sein, sich selbst aus dissoziativen Zuständen zu lösen, starke Spannungszuständezu regulieren und heftige Emotionen zu modulieren.3. PHASEINTEGRATION UND NEUER PERSPEKTIVEN: Auch wenn die Verletzungen (Traumatisierungen) erinnert, verstandenund emotional bewältigt sind, so ist noch ein weites Feld an Aufgaben offen. Das Wiederentdeckenneuer Fähigkeiten, das Spüren von verschütteter Lebendigkeit, aber auch die Akzeptanz von nicht wiedergutzumachendenVerletzungen, die erlitten wurden, das alles muss integriert, neu bewertet und geordnetwerden. Dies ist die Zeit, in der eine Selbsthilfegruppe nützlich sein kann und der Therapeut zunehmend inden Hintergrund tritt.Die Psychotherapie bei Boderline-Störungen besteht aus mehreren "Bausteinen":1. EINZELTHERAPIE: Im Zentrum der Einzeltherapie steht die gemeinsame Bearbeitung des e-motionalen Leidens der Patientin. Der Einzeltherapeut versteht sich als kompetente Fachkraft, Begleiteroder "Bergführer" in dem oben genannten Bild. In aller Regel hält er sich an die oben skizzierten Behandlungsphasenund Problembereiche. Er verpflichtet sich, die Patientin respektvoll zu behandeln, die Therapieso transparent wie möglich zu gestalten und der Patientin alles mitzuteilen, was sie über ihr Störungsbildwissen sollte. Seine Aufgabe ist es, die Therapie erfolgreich zu gestalten und sich, wenn nötig, Unterstützungoder Supervision zu holen.Die Patientin entwickelt zusammen mit ihrem Therapeuten die jeweiligen Behandlungsziele und versucht,so gut sie es eben kann, diese umzusetzen. Das heißt, die Patientin sollte zustimmen, suizidales Verhaltenund Selbstschädigungen an erste Stelle zu setzen und zu lernen, dies so rasch als möglich abzubauen. DerTherapeut hilft, rasch wirkungsvolle Lösungsmöglichkeiten zu finden. Wenn im weiteren Behandlungsverlauferneut suizidales oder selbstschädigendes Verhalten auftritt, soll dieses sofort mitgeteilt und in denFokus der Behandlung gestellt werden.2. FERTIGKEITENTRAINING: Das Fertigkeitentraining (Skillstraining) findet idealer Weise in einerGruppe von etwa acht <strong>Borderline</strong>-Patientinnen mit einem Therapeuten und einem Co-Therapeuten statt.Ziel dieses Trainings ist es, neue Fertigkeiten kennen zu lernen, in der Gruppe zu üben, aber auch Scham zuüberwinden, neues auszuprobieren – und Spaß zu haben. Deshalb gibt es auch jedes Mal zu dem erarbeitetenThema Hausaufgaben für die Woche, die es den Patientinnen erleichtern sollen, das neu Gelernte fürsich im Alltag umzusetzen. Skills gibt es unter anderem für die Bereiche:INNERE ACHTSAMKEIT: Hierbei geht es um eine Verbesserung der Wahrnehmung der inneren Befindlichkeit,also um eine Ausweitung der Fähigkeit, sich selbst zu spüren, sich im "Hier und Jetzt" zu verankern undvorbehaltlos teilzunehmen. Diese Übungen haben sich als nützlich erwiesen, wenn es darum geht, seineminneren Urteil sicherer zu trauen.STRESSTOLERANZ: Bei massiver innerer Anspannung ist es häufig nicht möglich, logisch zu denken, geschweigedenn zu handeln. Häufig setzen automatisch dissoziative Zustände ein und der Drang, sich zu verletzen,oder aggressiv zu werden, wird ausgesprochen stark. Die "Skills" zur Stresstoleranz bestehen hauptsächlichin einer gezielten Aktivierung starker Sinnesreize, die eine Orientierung und damit den ersten Schritt zusituationsadäquatem Handeln ermöglichen. Jede Patientin sollte lernen, einen individuellen "Notfallkoffer"zu erstellen, der ihr hilft, diese "Hochspannung" zu überstehen.- 10-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEUMGANG MIT GEFÜHLEN: Gefühle sind im Wesentlichen unbewusste Signalsysteme, die uns ermöglichen, ohnegroße Überlegungen unsere innere und zwischenmenschliche Befindlichkeit zu steuern. Wir können aufGefühle nicht verzichten. Auch unangenehme Gefühle haben eine wesentliche Bedeutung für unser Handeln.Störungen in der Wahrnehmung von Gefühlen, in der Interpretation oder der handelnden Umsetzungführen nicht nur zu massiven Störungen des "Selbsts" sondern auch zu schier unerträglichen Spannungszuständenund der beständigen Angst, von den Gefühlen "überwältigt" zu werden. Ein wichtiger Baustein inder Therapie von <strong>Borderline</strong>-Patienten ist daher das Erlernen einer "sanfter Steuerung" des Gefühlssystems.ZWISCHENMENSCHLICHE FERTIGKEITEN: "Wie kann ich meine Ziele durchsetzen, ohne dadurch die Beziehung zuanderen zu gefährden, und was kann ich dafür tun, dass meine Selbstachtung darunter nicht leidet? Wiekann ich mich abgrenzen, ohne andere zu verletzten, Wie spüre ich meine Grenzen? Habe ich ein Rechtdarauf, dass meiner Leistung durch andere geachtet wird? Wie repariere ich gefährdete Beziehungen. Undwas kann ich tun, um adäquat um Hilfe und Unterstützung zu bitten?"3. SUPERVISIONSGRUPPE: Auch für die Therapeuten ist es wichtig, sich gegenseitig Unterstützung zugeben und Unterstützung zu holen, um in der Therapie gut arbeiten zu können. Daher wird dieser Bereichunter den Bausteinen der Therapie mit aufgelistet. <strong>Info</strong>rmationen, die in diesem Kreis ausgetauscht werden,unterliegen der Schweigepflicht.Was heißt "dialektisch-behavioral"?Der Begriff "Dialektik" wurde von den griechischen Philosophen Sokrates und Platon eingeführt und bezeichneteine Richtung der Philosophie, die bis in die Neuzeit weiter entwickelt wurde. Der Grundgedankeder Dialektik besagt, dass es für alles auf der Welt gleichzeitig das Gegenteil gibt, zum Beispiel: Tag/Nacht,warm/kalt, gut/schlecht, schwarz/weiß. Die Kunst der Dialektik besteht darin, von den Gegensatzpaarennicht nur eine Seite zu betrachten, sondern beiden Seiten die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen. Die Gegensätzeund Widersprüche beider Seiten gilt es zu erkennen und zu betrachten: Dann gibt es nicht Tagoder Nacht, sondern Tag und Nacht, es gibt nicht gut oder schlecht, sondern gut und schlecht etc. Die dialektischeArbeit besteht also darin, eine Balance zwischen den Gegensätzen herzustellen. Das kann mansich wie bei einer Wippe vorstellen, bei der es die Aufgabe ist, auf beide Armen der Wippe gleich viel Gewicht(Aufmerksamkeit) zu legen, um die Wippe im Gleichgewicht zu halten.Ein wichtiges Gegensatzpaar in der Psychotherapie ist zum Beispiel: Veränderung und Akzeptieren. Auf dereinen Seite steht die Veränderung einer Situation, der eigenen Person oder der Umstände - auf der anderenSeite das Akzeptieren der Situation, der eigenen Person, der Umstände.Wichtig ist dabei, dass akzeptieren nicht bedeutet, dass ich die Situation gut finden muss. Viel- mehr gehtes darum, die Situation so wahrzunehmen, wie sie gerade ist. In der Therapie arbeiten wir an der Veränderungund am Akzeptieren. Eine Geschichte soll dies veranschaulichen: Ein Mensch ist mit dem Auto in dieWüste gefahren, weit hinein, und plötzlich bleibt das Auto stehen. Er steigt aus, und will verständlicherweise,dass sich die Situation sofort ändert, also dass sein Auto wieder fährt. Er ruft: "Das gibt's doch nicht, daskann doch nicht wahr sein." Er tritt gegen die Reifen, haut auf die Kühlerhaube, schiebt das Auto an; nichtspassiert. Nach einer ganzen Weile sinkt er erschöpft neben das Auto und fängt an zu akzeptieren, dass dieSituation so ist, wie sie ist: Das Auto fährt nicht mehr. Als er so dasitzt und akzeptiert (das heißt nicht, dasser es gut findet!) dass sein Auto nicht mehr fährt, bekommt er plötzlich Ideen, wie er die Situation effektivändern kann: er entdeckt, dass der Benzintank leer ist und holt den Ersatzkanister.In sehr stressvollen, traumatisierenden Situationen ist es hilfreich und völlig stimmig, Entscheidungen,Handlungen oder Weltsichten einseitig und radikal zu bestimmen. Alle Menschen haben die Tendenz, in derNot lediglich schwarz oder weiß zu sehen. Das Denken von <strong>Borderline</strong>-Patientinnen ist aber oft ganz vondieser Sichtweise geprägt: Therapeuten sind entweder genial oder unfähig, Beziehungspartner entwederüber alle Maßen verständnisvoll oder gefühlskalt, usw. Da diese Einstellungen mit der Realität schlechtübereinstimmen, kommt es häufig zu raschen Wechseln, was nicht selten zu deutlichen Verwirrungen beimGegenüber, oder auch bei der Patientin selbst führt. Der therapeutische Weg soll die Wahrnehmung fürWidersprüchliches verfeinern, um die damit entstehende Spannung zu nutzen, als Motor für Veränderungen.- 11 -


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1"Behavior" ist das englische Wort für "Verhalten". Mit "Verhalten" ist allerdings nicht nur gemeint, wie wirhandeln, sondern auch alle Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen, die mit unseren Handlungenverbunden sind.Manche Menschen verbinden Verhaltenstherapie immer noch zu Unrecht mit Hundedressur, Erziehungdurch Strafen oder oberflächlichem Arbeiten an Symptomen. Vorurteile gegenüber der Verhaltenstherapiebesagen, dass durch die Verhaltenstherapie das innere Erleben nicht erreicht würde; Veränderungen nuroberflächlich oder von kurzer Dauer seien, solange nicht der Schwerpunkt der Psychotherapie bei den Ursachenund Entstehungsbedingungen der Störung liege. Das ist etwa so, als ob man einem Schwimmer, dergerade von einer Strömung abgetrieben wird und droht, ins offene Meer hinausgespült zu werden, hilft,darüber nachzudenken, wie es gekommen ist, dass er sich so unvorsichtig ins Wasser begeben hatte, dasser die Sturmwarnung übersehen und sich offensichtlich überschätzt habe. Dies mag alles wichtig sein, undes wird ihm helfen, sich zukünftig anders zu verhalten, zunächst bedarf es aber anderer Hilfe, um das Überlebenzu sichern.Die moderne Verhaltenstherapie geht davon aus, dass jedes Problemverhalten zwar irgendwann erlerntwurde, ab einem bestimmten Zeitpunkt wird die "Symptomatik", also der Versuch, die anstehenden Problemezu bewältigen, aber zum eigenständigen, manchmal lebensbedrohlichen Problem und muss direktangegangen werden. Bei der Bearbeitung dieser vordringlichen Symptomatik werden in aller Regel Gefühleund Gedanken freigesetzt, die Hinweise geben auf die zu Grunde liegenden Prozesse, die dann bearbeitetwerden. Verhaltenstherapeutische Methoden helfen Patient und Therapeuten, Zusammenhänge sehr klarund präzise zu analysieren. Das heißt zu unterscheiden zwischen belastenden Bedingungen, auslösendenUrsachen (Gedanken, Gefühlen oder körperlichen Phänomenen, die den entsprechenden Handlungen vorausgehen)und den Konsequenzen eines Handelns, die sehr häufig dafür sorgen, dass das Verhalten sichwiederholen wird. Durch die detaillierte Analyse des Problemverhaltens ermöglicht die Verhaltenstherapiegezielte und manchmal auch schnelle Veränderungen. In aller Regel werden erst durch diese Veränderungendie zugrunde liegenden Konzepte, Bewertungsmuster und Problembereiche aktiviert und deutlich, undkönnen dann weiter bearbeitet werden. Die kognitive Verhaltenstherapie konzentriert sich in dieser zweitenEbene immer auf diese Grundannahmen der Patientin über sich selbst und ihre Rolle in der Welt, um sodauerhafte Veränderungsprozesse einzuleiten.Welche Rolle spielen Medikamente in der Behandlung?Obwohl die psychotherapeutische Behandlung bei der <strong>Borderline</strong>-Störung an erster Stelle steht, wird häufigunterschätzt, dass zahlreiche Symptome durchaus medikamentös beeinflusst werden können. Bisweilen istder Einsatz von Medikamenten sogar unerlässlich. Eine spezifische Behandlung der <strong>Borderline</strong>-Störung mitMedikamenten gibt es nicht, gleichwohl lassen sich bestimmte Symptome der <strong>Borderline</strong>-Störung teilweisesehr gut mit Medikamenten behandeln.Die Beeinflussung von psychischen Erkrankungen mit so genannten Psychopharmaka ist eine verhältnismäßigjunge Entwicklung, denn erst in den fünfziger Jahren kamen die ersten wirksamen Psychopharmaka aufden Markt. Nach einer anfänglichen Euphorie über die damit erschlossenen Möglichkeiten folgte sehr eineErnüchterung wegen der zum Teil erheblichen Nebenwirkungen. Mittlerweile wird einer psychopharmakologischenBehandlung von vielen Patientinnen mit Skepsis begegnet. Auch wenn ein kritischer Umgang mitPsychopharmaka angebracht ist, kann ihr Einsatz doch in vielen Fällen eine deutliche Erleichterung bewirken.In den letzten Jahren ist eine Vielzahl neuer und teilweise sehr spezifischer Präparate entwickelt worden.Zur besseren Übersichtlichkeit werden die Medikamente Hauptgruppen zugeordnet, wie sie in deruntenstehenden Tabelle dargestellt sind. Der Einsatz bei <strong>Borderline</strong>-Störungen richtet sich nach den Zielsymptomen,die durch das Medikament beeinflusst werden sollen. Die Veränderung der Zielsymptomeerlaubt die Kontrolle der Medikamentenwirkung. Die einzelnen Psychopharmaka wirken gegen bestimmteSymptome oder Symptomkonstellationen, so genannte Syndrome. In Absprache mit den Ärzten muss diejeweilige Medikation sorgfältig besprochen werden und Wirkungen wie Nebenwirkungen müssen kurzfristigberücksichtigt werden. Auch die Möglichkeiten eines zufälligen Zusammentreffens von Medikamenteneinnahmeund Besserung oder Beschwerden muss berücksichtigt werden.Einige Medikamente, besonders Lithium und Valproat, sind deutlich embryotoxisch (schädigend für einungeborenes Kind) und bei allen Medikamenten besteht ein potentielles Risiko für Missbildungen oder- 12-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEFehlgeburten bei Schwangerschaften. Vor einer Medikation muss die Frage der Empfängnisverhütung daherberücksichtigt und sorgfältig besprochen werden.Menschen mit einer <strong>Borderline</strong>-Störung entwickeln häufig die Symptome einer schweren Depression, siesind über Tage hinweg zutiefst niedergeschlagen, liegen die meiste Zeit des Tages grübelnd im Bett, könnennachts kaum schlafen und sich nicht mehr aufraffen, aus dem Haus zu gehen. Dadurch können sie nichtmehr ihrer Arbeit nachgehen, die ihnen sonst eigentlich Spaß gemacht hat, verlieren eventuell sogar ihrenArbeitsplatz. Sie sagen alle Verabredungen ab, die ihnen eigentlich wichtig waren, isolieren sich immer weiterund können immer weniger am Leben teilnehmen. So kann es zu einem Teufelskreis kommen, der fürDepressionen typisch ist: wegen der depressiven Symptome isoliert sich die Betroffene immer weiter, wasdie Depression verstärkt, was zu weiterer Isolation führt …Eine medikamentöse Behandlung der Depression kann in solch einer Situation sinnvoll oder sogar medizinischnotwendig sein, um aus der "Depressionsspirale" herauszukommen. Für die Behandlung von depressiverSymptomatik werden spezifische Antidepressiva eingesetzt.Zur Abschwächung von starken Gefühlsschwankungen werden Lithium, Carbamazepin, Valproat oder Lamotriginverwendet, die stabilisierend auf die Stimmung wirken können. Diese Substanzgruppen machennicht abhängig und provozieren keine Entzugssymptomatik. Sie sollten aber vom Facharzt verordnet werden,der auch über die Risiken und Nebenwirkungen aufklären kann.Zur Behandlung einer begleitenden Angststörung sind serotonerg wirksame Antidepressiva sinnvoll; beiakuten Angst- oder Erregungszuständen ist teilweise die Gabe von Benzodiazepinen ausgesprochen hilfreich.Allerdings eignen sich Benzodiazepine in der Regel nicht für eine Dauerbehandlung, da sie zwar kurzfristigeeine sehr gute Wirkung zeigen, aber bei Einnahme über mehrere Wochen oder bei einer langdauernden"bedarfsabhängigen" Medikation abhängig machen! Die Entzüge gestalten sich häufig als schwierig.Es gibt Hinweise dass dissoziative Zustände auf Naltrexon, einen Antagonisten des Opiat-Systems gut anzusprechen.Andere Therapeuten haben diesbezüglcih gute Erfahrungen mit modernen Antipsychotika gemacht.Auch der Schweregrad von "Flashbacks" scheint durch diese Medikamente beeinflussbar zu sein.Alpträume und schwere Schlafstörungen sind oft schwierig medikamentös zu beeinflussen. Oft helfen spezielleAntidepressiva, die den REM-Schlaf unterdrücken, bisweilen auch niederpotente Neuroleptika.Psychotische Episoden, die sich durch das Hören von Stimmen oder durch starke Verfolgungsängsten oderillusionäre Verkennungen auszeichnen, sprechen in der Regel gut auf Neuroleptika an. Es gibt mittlerweilemoderne Neuroleptika, deren Nebenwirkungen sehr gering sind. Auch Konzentrations- und Denkstörungen,sowie Derealisationsphänomene (Unwirklichkeitsgefühle) sprechen oft gut auf eine niedrigdosierte, neuroleptischeBehandlung an.MedikamentengruppeKlassischeNeuroleptikaAtypischeNeuroleptikaBeispiel Wirkung Nebenwirkung Einsatz bei der <strong>Borderline</strong>-StörungHaldol ®Fluanxol ®Zyprexa ®Abilify ®Risperdal ®Seroquel ®Solian ®Zeldox ®Leponex ®Die Wirkung der Neuroleptikaist abhängig von deren Potenz.Hochpotente Neuroleptikawirken gegen psychotischeSymptome, insbesonderegegen gedankliche Desorganisationund gegen das sogenannte paranoid- halluzinatorischeSyndromAtypische Neuroleptika wirkenauf die gleichen Symptomewie die klassischen Neuroleptika,- 13 -Abhängig von der Potenzhaben Neuroleptika Auswirkungenauf die Bewegungen.Es kann zu einem künstlichenParkinson-Syndrom kommen,auch Sitzunruhe und Verspannungender Muskulatursind möglich, teilweise AntriebsminderungDer Vorteil der atypischenNeuroleptika besteht in dergeringen Rate von motorischenNebenwirkungen. Füreinige sind Blutbildveränderungund Gewichtszunahmebeschrieben. Keine Abhängigkeit.Bei der <strong>Borderline</strong>-Störungkönnen die gelegentlich kurzauftretenden psychotischenEpisoden mit Neuroleptikabehandelt werden. Eine günstigeWirkung ist aber nur fürniedrige Dosen beschrieben.Eine langfristige Behandlung istnur selten erforderlich.Psychotische Episoden, gedanklicheDesorganisiertheit,Beziehungserleben.


<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong> - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Allg. Psychiatrie 1MedikamentengruppeNiederpotenteNeuroleptika"klassische"AntidepressivaSerotonergeAntidepressivaNoradrenergeAntidepressivaPhasenprophylaktikaTranquilizer(Benzodiazepine)OpiatantagonistenBeispiele Wirkung Nebenwirkung Einsatz bei der <strong>Borderline</strong>-StörungTaxilan ®Truxal ®Neurocil ®Atosil ®Saroten ®Anafranil ®Stangyl ®Fluctin ®Cipramil ®Trevilor ®(kombiniertnoradrenerg undserotonergwirksam)Edronax ®Trevilor ® (s.o.)LithiumHypnorex ®CarbamazepinTegretal ®ValproatOrfiril ®LamotriginElmendos ®Valium ®Tavor ®Tafil ®Naltrexon ®Niederpotente Neuroleptikawirken vor allem sedierendund haben geringere antipsychotischeEigenschaften. Siewerden daher v.a. als SchlafundBeruhigungsmittel eingesetzt.Antidepressiva wirken aufKernsymptome der Depressionwie Freud- und Interessenverlustsowie negativeGedanken. Antidepressivawirken nur, wenn sie ausreichendhoch dosiert werden,und eine Wirkung ist erstnach einigen Wochen zuerwarten. Auch chronischeSchmerzzustände könnenmit AD behandelt werden.Teilw. auch Einsatz alsSchlafmedikation.wirksam gegen depressiveKernsymptomatik und zusätzlichauf Angst- undZwangssymptomewirksam gegen depressiveKernsymptome und AntriebslosigkeitDiese Medikamente werdenv.a. bei Manie und als vorbeugendesMedikament beisich wiederholenden affektivenErkrankungen eingesetzt.Sie wirken aber auchgut gegen Impulskontrollstörungenund AggressivitätTranquilizer wirken beruhigend,schlaffördernd undausgleichend. Die Wirkungtritt sehr schnell ein undwird in der Regel als angenehmerlebt.Medikament blockiert dieOpiatrezeptoren im Gehirn,sodass auch das körpereigeneMorphin (Endorphin)nicht mehr wirken kann.MüdigkeitDie Nebenwirkungen sindzwischen den Präparatenunterschiedlich. Häufig sindKreislaufstörungen undtrockene Schleimhäute.Keine Abhängigkeitsentwicklung.Übelkeit, Schwitzen,Schwindel, teilweise sexuelleFunktionsstörungen. Vereinzeltsind Absetzproblemeberichtet worden.Mundtrockenheit, Verstopfung,BlutdrucksenkungDie Nebenwirkungen richtensich nach dem eingesetztenPräparat. Da die therapeutischeSpanne gering ist,werden die Medikamentenach Blutspiegel dosiert.Keine Abhängigkeit. Vorallem bei Lithium undValproat aber Gefahr derEmbryotoxizität.Atemstörung. Tranquilizerverlieren nach längererEinnahme ihre Wirkung.Abhängigkeitsentwicklungnach längerer EinnahmewahrscheinlichBei Opiatabhängigen Entwicklungstarker Entzugssymptome.Bei akuten Anspannungszuständen,bei Schlafstörungen, keineAbhängigkeitsentwicklungDepressive Verstimmungszustände.Depressive Verstimmung,Angst, Zwangssymptome,Reduktion von Essattackenbei Bulimie.Depression,AntriebslosigkeitBei Impulskontrollstörungen,Aggressionen.Wegen möglicher Abhängigkeitnur Einsatz im Rahmenvon Ausnahmezuständen undNotfallsituationen.Bei selbstverletzendem Verhalten(aktuell keine offiziellanerkannte Indikation).- 14-


BORDERLINE-STÖRUNG - EIN INFORMATIONSBLATT FÜR BETROFFENE UND ANGEHÖRIGEAbschließende Bemerkungen:Dieses <strong>Info</strong>rmationsblatt ist primär für die Patienten in unserer stationären oder ambulanten Behandlunggedacht, es soll eine Grundlage für weiterführende Gespräche und Fragen bieten. Das <strong>Info</strong>rmationsblattkann diese Gespräche oder eine Therapie sicher nicht ersetzen (!)– aber vielleicht erleichtern...Teile dieses <strong>Info</strong>rmationsblattes wurden von Betroffenen und Mitarbeitern anderer Kliniken formuliert unddiese Texte wurden teilweise auf Tagungen ausgeteilt, teilweise ins Internet gestellt, ohne dass ich die ursprünglichenAutoren identifizieren konnte. Wenn ich hierbei ein Urheberrecht verletzt haben sollte, bedaureich dieses sehr und bitte um kurzfristige <strong>Info</strong>rmation.Weiterführende Literatur:"<strong>Borderline</strong>. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige", Ewald Rahn,190 Seiten, Psychiatrie-Verlag, 2001, ISBN: 3884142585, Preis: 12,90 €(Guter und anschaulicher Ratgeber, gemeinsam von Betroffenen und Therapeuten erstellt)"Ratgeber <strong>Borderline</strong> Syndrom", Ingrid Sender96 Seiten, CIP-Medien, 2000, ISBN 3-932096-05-3, Preis: 14,-€(Gute Zusammenfassung therapeutischer Schritte als Begleitung der Therapie)"<strong>Borderline</strong>-Störung" von Martin Bohus,130 Seiten, Hogrefe-Verlag, 2002, ISBN: 3801710963, Preis: 19,95 €(Wissenschaftliches Therapeutenmanual, eher Hintergrund- oder Spezialisteninformation)Dr. med. Simon CohenFacharzt für Neurologie,Psychiatrie und PsychotherapieKomm. Abteilungsarzt<strong>LVR</strong>-<strong>Klinikum</strong> <strong>Düsseldorf</strong>Kliniken der Heinrich-Heine-UniversitätBergische Landstrasse 240629 <strong>Düsseldorf</strong>simon.cohen@uni-duesseldorf.de- 15 -

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