Wissenschaft & ForschungGeraubtoder nicht?Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek PotsdamSeit September 2014 wird die Herkunft derJudaica, die sich in der Bibliothek der UniversitätPotsdam befinden, genauer erforscht. Ziel ist esherauszufinden, welche der Bücher NS-Raubgutsind. Die Bibliothek will so dazu beitragen, gegebenenfallsdie Rückgabe an die rechtmäßigenBesitzer zu ermöglichen.Von Dr. Sophia RostViele Bücher, die während des NS-Regimesaus jüdischem Besitz entwendet wurden,sind noch heute stille Zeugen einer grausamenVergangenheit. Manchmal verraten Indizien,wie handschriftliche Widmungen, Autogrammeoder Stempel, noch etwas vom Lebenund Schicksal ihrer Eigentümer. Die zwischen1933 und 1945 Verfolgten waren meist gezwungen,ihren Besitz zurückzulassen. Auf dieseWeise blieben allein in Berlin über 40.000 Bändevon Privatpersonen zurück, die auf verschiedeneBibliotheken – oftmals mit dem Vermerk„Geschenke“ – aufgeteilt wurden.Erstaunlich spät, erst in den letzten Jahren,begann die Provenienzforschung an deutschenBibliotheken. Vorangegangen war 1998 dieWashingtoner Erklärung, die 44 Staaten, darunterauch Deutschland, unterschrieben. Sieverpflichteten sich darin, in ihren öffentlichenMuseen und Sammlungen die Bestände, dievor 1945 existierten und nach 1933 erworbenwurden, auf ihre Provenienz, ihre Herkunft,hin zu untersuchen. 2008 richtete der Bunddie Arbeitsstelle für Provenienzforschung amInstitut für Museumsforschung der StaatlichenMuseen zu Berlin ein.Auch in der Bibliothek der UniversitätPotsdam stehen Bücher, deren Herkunft bislangungeklärt blieb und die möglicherweiseRaubgut sind. Mit der Gründung der JüdischenStudien vor 20 Jahren wurden großeJudaica-Sammlungen antiquarisch erworben.Dazu gehören die Bibliotheken von IsraelMehlmann (1900–1989) aus Jerusalem, vonIsrail Bercovici (1921–1988) aus Bukarest undvon Yehuda Aschkenasy (1924–2011) aus Amsterdam.In der Sammlung Aschkenasy deutenNummern auf Ankäufe aus DDR-Beständenhin, die mit dem Erwerb durch die UniversitätPotsdam nun wieder nach Ostdeutschlandgelangten. Wurden den Besitzern die Büchervon den Nazis entwendet, verkaufte sie dieDDR für Devisen ins Ausland. Es war nur einerder Wege, die die Bücher insgesamt nahmen.Aber einer, der sie erneut zu Spielbällen derGeschichte machte.Bibliotheksfachreferent Dr. Andreas Kenneckehat 32.000 Euro bei der Arbeitsstelle fürProvenienzforschung eingeworben,um die Herkunft der vorhandenenWerke zu erforschen.5.000 Bücher sind es, dieunter die Lupe genommenwerden müssen.Dokumentar SebastianDrost schaut in denSammlungen akribischnach Provenienzmerkmalen,also nach Autogrammen,Widmungen,Stempeln. Er fotografiertdie literarischen Hinterlassenschaftenund hinterlegtsie digital. Und AnkeGeißler, studierte Judaistin,schreibt die gegebenenfalls vorhandenenEintragungen in den Büchern ab und trägt siein die Datenbank raubgut.zlb.de der ZentralundLandesbibliothek Berlin (ZLB) ein, fallses sich um Raubgut handelt. „Für ein Buchbenötige ich circa eine halbe Stunde“, erzähltsie. „Mehr Zeit vergeht, wenn die hebräischenTitel transliteriert, also in lateinische Buchstabenübertragen werden müssen.“ Bislang hatAnke Geißler rund 80 Bände in die Datenbankeingepflegt. Mit der Freischaltung findendann auch Internetsuchmaschinen die Bücher,wenn die Namen der ehemaligen Besitzer eingegebenwerden. „Da auch die ZLB, das CentrumJudaicum und die FU Berlin hier ihreErgebnisse einspeisen, stellt die Datenbank eingutes Recherchewerkzeug dar, um beispielsweiseursprüngliche Sammlungen zu identifizieren“,freut sich Andreas Kennecke. Obdie Uni Teile ihres Bestandes zurückgebenmuss, bleibt abzuwarten.Doch: „Gerade an einer Universität,wo Jüdische Studienund Jüdische Theologiebeheimatet sind, ist mansehr sensibilisiert für entstandenesUnrecht. Dasgutzumachen, ist dasMindeste für uns Bibliothekare“,findet der Fachreferent.Gehört zum Judaica-Bestand derUniversitätsbibliothek Potsdam:die Sammlung Aschkenasy.34 <strong>Portal</strong> 1/2015
Wissenschaft & ForschungVon Potsdamnach JerusalemStudierende wollen „oral history“-Film übereinen Shoah-Überlebenden drehenDer 13-jährige Shmuel hatte seinem Vater, BenjaminZeev Schneider, etwas versprochen: Er werdeihn nach jüdischem Brauch bestatten. 1945, kurznach Kriegsende starb der Vater an den Folgen vonHunger und Zwangsarbeit. Und sein Sohn standzu seinem Wort. Durch den Kontakt zu einemGeistlichen gelang es, Benjamin Zeev Schneiderjüdisch zu beerdigen – auf dem katholischen Friedhofin Sieniawka. Studierende der Jüdischen Studienan der Uni Potsdam stießen auf die Geschichteder Familie, als sie in einem Seminarprojektjüdische Friedhöfe entlang der Oder-Neiße-Grenzeerforschten. Jetzt wollen sie über und mit AlexanderShmuel Schneider einen Film drehen. Schondie Vorarbeiten waren spannend.Von Jana ScholzBegonnen hatte alles vor drei Jahren, ineinem Seminar über „Jüdische Grabkunst“.Katja Wolgast, damals noch Studentin,entwickelte aus der Lehrveranstaltungdas spätere Projekt. Zunächst nahm die kleineGruppe, die sie um sich scharte, den jüdischenFriedhof in Słubice näher in Augenschein. Alssie erkannten, auf welch interessante Historiesie da trafen, dehnten Katja Wolgast und ihreKommilitoninnen und Kommilitonen das Projektbald auch auf andere jüdische Fried höfe entlangder deutsch-polnischen Oder-Neiße-Grenzeaus. Wie wird und wurde mit diesen erinnerungstragendenOrten umgegangen? Undwas können diese Plätze noch heute erzählen?Darüber wollten die Potsdamer mehr erfahren.Als das Team im Sommer 2013 Grabungen aufdem jüdischen Friedhof in Zittau durchführte,um Reste der 1938 von den Nazis gesprengtenTrauerhalle freizulegen, erhielt es von einemPassanten einen ungewöhnlichen Hinweis: Aufdem katholischen Friedhof in Sieniawka, dempolnischen Teil Zittaus, befinde sich ein Grabsteinmit hebräischer Inschrift, ein einzelnesGrab sei nach Osten (Jerusalem) ausgerichtet.Die Gruppe ging der Spur nach. Auf dem Friedhofentdeckte sie das Grab von Benjamin ZeevSchneider. Nachdem die Studentinnen SarahPohl und Katja Wolgast die Grabinschrift übersetzthatten, waren sich alle Beteiligten soforteinig: Sie wollten mehr über diesen BenjaminZeev Schneider wissen. So begann eine ebensoaufwendige wie spannende Recherche. DieForschenden stießen im Online-Archiv von YadVaShem auf ein „Testimony“ („Gedenkblatt“)über den Verstorbenen – von seinem SohnAlexander Shmuel ausgefüllt. Das Team fuhrdaraufhin nach Yad Vashem, Jerusalem, woauch die Namen der von den Nazis ermordetenJuden registriert sind. „Es war ein riesiges Puzzle“,erzählt Daniela Teudt, die damals dabei war.Denn Shmuel hatte bei seiner Einwanderung indie USA seinen ersten Namen „Yaacov“ durch„Alexander“ ersetzt, zudem kommt der Name„Schneider“ häufig vor. Dennoch führte dieSuche zum Erfolg. Von den vier recherchiertenSchneiders in Los Angeles, USA, war nur einAlexander Shmuel Schneider amGrab seines Vaters in Sieniawka.Foto: Moritz Lehreinziger über 80 Jahre alt – es war tatsächlichder Sohn des in Sieniawka begrabenen BenjaminZeev Schneider. Das Team besuchte ihnund seine Frau Daphna schließlich im September2014 in Petakh Tiqva nahe Tel Aviv, wo diebeiden die Hälfte des Jahres leben. Alexandererzählte stundenlang. „I Have Stories for You“,sagte er und berichtete von einem Leben, zudem auch die Internierungen von Vater undSohn in den Lagern Auschwitz, Plaszów undZittau gehören. Das Team zeichnete die Unterhaltungenmit dem 82-Jährigen komplett auf.Was herauskam, war ein „oral history“-Film.Entstanden ist daraus bereits ein vierminütigerTeaser. Doch dabei soll es nicht bleiben. Geplantist eine Dokumentation, die die verschiedenenStationen in der Biografie Schneiders zeigt.„Der Film hat darüber hinaus einen nicht zuunterschätzenden Nebeneffekt“, betont Dr.Michael Heinzmann von der Projektgruppe.„Er zeigt an einem konkreten Beispiel, wieimmens wichtig die Arbeit von Geisteswissenschaftlernist.“Mitarbeit in der Projektgruppe: Moritz Lehr, Kayund Katja Wolgast, Sarah Pohl, Daniela Teudtsowie Dr. Michael Heinzmann.Das gesamte Projekt trägt den Titel „I have Storiesfor You“. Die Reise nach Israel ermöglichtedas „minigrant Israel 2014“ des Präsidiums derUniversität Potsdam. Bei dem Besuch des Landeswurde auch eine intensivere Zusammenarbeit desInstituts für Jüdische Studien mit dem „CentralArchive for History of the Jewish People Jerusalem“vereinbart.<strong>Portal</strong> 1/201535