Thomas Bayrle B - Weltkunst

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Thomas Bayrle Ich freue mich darüber, daß es am Schluß noch einigermaßen hinhaut. Das Loch ist durch den Computer geschlossen worden, sonst wäre meine Arbeit vielleicht als ‚plem plem‘ gesehen worden. Jetzt ist so ein Handeln auf einmal gerechtfertigt, ja geradezu angesagt. Ich wundere mich selbst. Vielleicht hatte ich doch so etwas wie eine Antenne. Um es für die Studenten zu sagen: Sie sollten ihre Antenne ausfahren. Sie muss zart sein, aber nicht so zart, dass sie abbricht. Die Antenne nimmt frühzeitig etwas auf, was später vielleicht verifiziert wird – ganz materiell.« Thomas Bayrle im Gespräch mit Marius Babias (Kunstforum International, Band 149, 1999)
Massen weben sich durchs Bild Ulrike Lehmann Auf einem Porträtfoto zeigt sich der Künstler mit blauer Schirmkappe, blauer Fleece-Weste und kariertem Hemd. Eine Kleidung, die auf lässigen Freizeitstil weist, im Kontext seiner künstlerischen Arbeiten aber auch an Chinesen mit ihren blauen Arbeitsanzügen aus der Mao-Zeit erinnern kann. Schon lange, bevor China im globalen Wirtschaftssystem und auf dem Kunstmarkt Aufmerksamkeit erfahren hat, hat der seit 1950 in Frankfurt lebende Künstler Thomas Bayrle seine eigene Biografie mit den politischen Entwicklungen Chinas verwoben. Seine Eltern arbeiteten im Frobenius Institut in Frankfurt und forschten im Bereich Ethnologie und Geschichte. Zuhause wurden Gespräche über ferne Länder geführt; Bücher, Magazine und Fotos – auch über China – lagen im Wohnzimmer. Nachdem Bayrle von 1956 bis 1958 eine Ausbildung als Weber und Färber in Göppingen absolvierte und von 1958 bis 1961 auf die Werkkunstschule in Offenbach ging, gründete er mit Bernhard Jäger den Verlag „Gulliver-Presse“ in Bad Homburg und druckte konkrete Poesie namhafter Autoren (1961-65). Anschließend arbeitete er immer wieder im Bereich der Werbung, u.a. für Ferrero. Mitte der 1960er Jahre machte Bayrle eine Entdeckung, die für seine künstlerische Entwicklung entscheidend werden und in den folgenden Jahren die beiden Berufe des Webers und Künstlers in Einklang bringen sollte: „1964 sah ich die ersten Bilder aus chinesischen Stadien, die mich emotional sehr beeindruckten. Auf riesigen Wänden aus Menschen waren Bilder der chinesischen Revolution zu sehen. Diese ‚Superzeichen‘ waren aus tausenden Punkten zusammengesetzt, die sich bei näherem Hinsehen als Schilder erwiesen. Das erinnerte mich sogleich an Teppichmuster, Gobelins oder Jaquard- Gewebe, also an großrapportige, bildgemusterte Raster aus Tausenden von Menschen, die auf ein Kommando hin farbige Schilder hochhielten oder wieder absenkten. Ein anderes Mal setzten Tausende Chinesen ihre Körper als Knetmasse ein, so dass fast jedes Thema dargestellt werden konnte. Sogar so etwas völlig Abstraktes wie elektrischer Strom.“ 1 Menschenmassen, Männchenmasse 1966 entstand eines seiner ersten Bilder mit dem Titel Mao, das als Inkunabel im Oeuvre gelten kann, weil es die künstlerische Entwicklung entscheidend prägen wird. Für die bildnerische Massenchoreographie hat der 2 Künstler unzählige kleine Holzmännchen eingesetzt, die in gleichem Abstand nebeneinander stehen. Sie sind bemalt, die Haare schwarz, die Hemdkragen weiß, die Jacken rot, und werden mit einem eingebauten Elektromotor bewegt. Wenn der Betrachter den Schalter betätigt, wechselt die Männchenmasse wie ein Vexierbild: Mal sieht man einen roten Stern, mal das Gesicht von Mao Tse-tung. Der Stern ist auf sein Gesicht gemalt und je nach Schaltung des Motors wird eines der beiden Abbildungen stärker sichtbar. Als Parteiführer ist Mao das einzig herausragende Individuum, dessen Gesicht überall in China verbreitet wurde und dessen Konterfei auch hier in Bayrles Bildobjekt dargestellt ist – geformt aus dem Volk (repräsentiert durch die Holzfiguren), das ihm untertan ist. Die Personen (Figuren), die das Volk ausmachen, gehen in der Masse unter, um Mao ein Gesicht zu geben. Es gibt nur ein Individuum, das zählt: Mao. In Bayrles Werk wird er zum „Superzeichen“. Der Künstler selbst hat sich in jener Zeit als „Maoisten“ bezeichnet. Etwa 10 solcher Holzobjekte sind in der Zeit zwischen 1964 und 1966 entstanden, darunter auch Bilder, die sich mit Massenprodukten und der Werbung (als Massenmedium) beschäftigen – Ajax, 1966, Super-Colgate, 1965 – oder Phänomene des Nationalsozialismus thematisieren wie den kollektive Hitlergruß in Nürnberger Orgie, 1965. Auch die dreiteilige Arbeit Warum rasieren wir uns so gern? (Abb. 3a und b) stammt aus der Zeit. Als Vorlage diente ein Foto des befreundeten Kunsttheoretikers und „Generalisten“ Bazon Brock, der für eine Rasierklinge Werbung machte. Ab 1967 wandte sich Bayrle mehr dem flachen Bild zu, das er mit Serigrafien oder im manuellen Siebdruckverfahren herstellte. Viele gleiche Bildmotive, die nur farblich unterschieden sind, bilden darin gemeinsam eine Superform. „Mich interessierten damals Massenansammlungen, Massenproduktion und Massengesellschaft, egal, ob es um Waren oder um Menschen ging. Relativ undifferenziert habe ich Massenaufmärsche im Osten und Warenproduktion im Westen zusammengezogen, es als das gleiche unter anderen Vorzeichen gesehen. Erst 68 wurde es in eine bestimmte Richtung gefärbt. (…) In der Zeit von 1964-66 habe ich motorisierte Massenbewegungen in der Form von Maschinen gebaut. (…) Ich habe versucht, mir ein naives Bild von der Mechanik hinter den Massen zu machen.“ 2
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