21.08.2012 Aufrufe

Besser mit dem Bus

Besser mit dem Bus

Besser mit dem Bus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Oberengadin – die grösste Zweitwohnung der Schweiz (Seiten 15–17)<br />

Wikileaks und die Folgen<br />

Aufklärung ohne<br />

Klarheit<br />

von SuSAn BooS<br />

<strong>Besser</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Bus</strong><br />

Müssen wir alle Klimakiller versenken? Mexiko-Stadt ist viel sauberer<br />

geworden – zum Beispiel dank eines neuen <strong>Bus</strong>systems.<br />

International, Seite 12<br />

Demokratien sollten <strong>mit</strong> Geheimnisverrat umgehen<br />

können. Doch <strong>dem</strong> ist nicht so: Wikileaks­Gründer<br />

Julian Assange – der vor kurzem<br />

250 000 Diplomatenberichte zugänglich gemacht<br />

hat – wird zum Staatsfeind erklärt, die<br />

Internetfirmen Amazon und Paypal kündigen<br />

ihm ihre Dienste. Sogar die Schweizer Post<br />

sperrt Wikileaks das Konto. Nun hat die britische<br />

Polizei Assange auf Ersuchen Schwedens<br />

wegen Vergewaltigungsvorwürfen inhaftiert.<br />

US­PolitikerInnen hoffen, dass er via Schweden<br />

an die USA ausgeliefert wird, wo sie ihn wegen<br />

Geheimnisverrats belangen wollen.<br />

«Möglich, dass wir gerade den Beginn<br />

eines neuen Kulturkampfes erleben», schreibt<br />

Jakob Augstein, der Verleger der deutschen Wochenzeitung<br />

«Freitag». Bemerkenswert seien<br />

nicht die Details der Veröffentlichung, bemerkenswert<br />

sei die Veröffentlichung selbst: «Das<br />

Internet ermöglicht Offenheit und Klarheit, wo<br />

vorher Herrschaft und Kontrolle gewaltet haben.<br />

Das ist eine Chance für die Bürger, für die<br />

Demokratie und auch für den Staat. Verheerend<br />

ist es nur für solche Herrschaft, die auf <strong>dem</strong> Geheimnis<br />

gründet oder auf der Angst.»<br />

Wikileaks hat die Tausenden von Depeschen<br />

einer Reihe ausgewählter Medien zugänglich<br />

gemacht, unter anderem <strong>dem</strong> «Spiegel»,<br />

<strong>dem</strong> Londoner «Guardian», der «New<br />

York Times» und <strong>dem</strong> Pariser «Le Monde». Die<br />

beteiligten Zeitungen liefern nun Tag für Tag<br />

Enthüllungsgeschichten, die aus <strong>dem</strong> grossen<br />

Topf der Geheimdepeschen gezogen werden.<br />

Es scheint ein historischer Moment: Die erste<br />

heftige Konfrontation zwischen<br />

<strong>dem</strong> politischen Establishment<br />

und Internetaktivisten – die digitale<br />

Welt lehrt die Mächtigen das<br />

Fürchten. Das ist erfreulich. Doch<br />

unproblematisch ist es nicht.<br />

Wikileaks hat sich der<br />

Transparenz verschrieben, ist<br />

selber aber intransparent. Welche<br />

Interessen stehen hinter den<br />

Lecks? Wer hat all die Dokumente<br />

Wikileaks zugeschoben?<br />

Waren es besorgte Mitarbeiter­<br />

Merkt<br />

Julian Assange,<br />

wenn er<br />

missbraucht<br />

wird?<br />

Innen von US­Behörden? Waren es andere<br />

Mächtige, die aus macchiavellistischen Überlegungen<br />

geheime Papiere öffentlich machen –<br />

um letztlich ihre eigene verdeckte Agenda voranzutreiben?<br />

Niemand weiss es. Und da stockt<br />

dann eben auch die Aufklärung. Letztlich befeuert<br />

gerade die Massenpublikation von Geheimpapieren<br />

Verschwörungstheorien.<br />

Auch steht die schiere Masse der Geheimpapiere<br />

der Transparenz im Weg: Assange<br />

wusste, dass die simple Publikation einer Viertelmillion<br />

Depeschen untergehen würde, weil<br />

niemand in der Lage wäre, Relevantes heraus­<br />

zudestillieren. So kam es zur Zusammenarbeit<br />

<strong>mit</strong> den renommierten Zeitungen. Der Rest der<br />

Medien ist ausgesperrt. Das heisst nicht, dass<br />

der «Guardian» oder der «Spiegel» nicht versuchen,<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Material seriös umzugehen, aber<br />

letztlich geht es auch ums Geschäft. Wikileaks<br />

liefert Daten, und die auserwählten Medien<br />

bereiten sie schlagzeilenträchtig auf. Um ihre<br />

Exklusivität zu wahren, schliessen sie Deals<br />

ab, die letztendlich die Transparenz untergraben.<br />

Dadurch haben die von Wikileaks ausgewählten<br />

Medien eine weltpolitische Macht, die<br />

einzigartig ist. Wir Ausgesperrten hoffen, dass<br />

die Medien, die in den Genuss eines solchen<br />

Deals kommen, <strong>mit</strong> den Geheimpapieren seriös<br />

verfahren, aber eine Garantie haben wir nicht –<br />

und überprüfen können wir es auch nicht.<br />

Ein weiterer heikler Punkt: Wikileaks<br />

wird überflutet <strong>mit</strong> Insiderpapieren, Dokumenten<br />

aus Regierungsstuben,<br />

aber auch aus vielen Unterneh­<br />

men. Assange, der grosse Anwalt<br />

der Transparenz, ist wohl die<br />

Person, die über mehr brisante<br />

Geheimpapiere gebietet als sonst<br />

jemand. Ihre Publikation könnte<br />

Firmen in den Bankrott stossen<br />

oder Kriege auslösen. Muss er alles<br />

veröffentlichen? Müssen die<br />

von ihm ausgewählten Zeitungen<br />

es tun? Realisiert Assange, falls<br />

er missbraucht wird? Lässt sich<br />

diese Verantwortung überhaupt tragen?<br />

Das Dilemma bleibt: Geheime Machenschaften<br />

zu enthüllen, ist für eine Demokratie<br />

existenziell – es aber auch <strong>mit</strong> der nötigen<br />

Sorgfalt zu tun, ist genauso wichtig. Wenn eine<br />

grosse Menge Daten von riesiger Sprengkraft<br />

unkontrolliert in die Welt gelassen wird, kann<br />

das Nebenwirkungen entfalten, von denen wir<br />

noch gar nichts ahnen.<br />

Wikigate in den usa<br />

Ein offenes Geheimnis Seite 13<br />

Redaktion und Verlag: WOZ Die Wochenzeitung, Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich Tel. 044 448 14 14 Fax 044 448 14 15 woz@woz.ch www.woz.ch CHF 6.– inkl. MWSt.<br />

Aboservice: Tel. 044 448 14 44 abo@woz.ch 30. Jahrgang AZA 8031 Zürich, PP/Journal, CH-8031 Zürich<br />

Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Greenpeace-aktion in Mexiko-Stadt. foto: eliana aponte, reuterS<br />

Weissgewohnt<br />

Warum zahlen kasachische<br />

Milliardäre für Villen am Genfersee<br />

viel mehr, als sie wert sind?<br />

Schweiz, Seite 3<br />

Leistungslügen<br />

Wettbewerb in der Forschung führt<br />

zurück in die Planwirtschaft,<br />

sagt Professor Mathias Binswanger.<br />

Wirtschaft, Seite 7<br />

Teenage Riot<br />

Den britischen StudentInnen geht es<br />

um mehr als die Studiengebühren.<br />

International, Seite 9<br />

Lebst du noch?<br />

Wohnst du schon?<br />

Gedanken über das mustergültige<br />

Leben in einer Ikea­Filiale.<br />

Mit:<br />

Kultur / Wissen, Seite 19<br />

Facebook: Der Gefällt­mir­Klick<br />

in der überwachten Freiheit.


2 Schweiz<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

hauSmItteIlungen<br />

ein Glücksfall für die WoZ<br />

Am Telefon begrüsst Sie schon seit einer<br />

Weile häufig unser Praktikant Vasco Rasi.<br />

Vasco absolviert im WOZ-Verlag ein kaufmännisches<br />

Praktikum, im nächsten Sommer<br />

wird er die Berufsmatur machen, und Fussball<br />

spielen kann er auch! Wir freuen uns,<br />

dass Vasco uns noch mindestens bis zu den<br />

Sommerferien 2011 unterstützen wird!<br />

Verspätete herbstaktion<br />

Sechsmal die WOZ gratis für Ihre Lieben<br />

haben wir Ihnen versprochen, und viele von<br />

Ihnen haben uns drei Adressen geschickt.<br />

Nun bitten wir herzlich um Nachsicht und<br />

Geduld: Der Erfolg der Aktion ist gross, und<br />

wir kämpfen uns noch immer durch die<br />

gigantischen Adressberge. Aber bis in zwei<br />

Wochen sollten alle Beschenkten ihre erste<br />

Gratis-WOZ erhalten haben.<br />

Klimatisches<br />

«Klimapolitik und Umweltschutz – eine<br />

ökonomische und politische Krise?»: Unter<br />

diesem Titel gibt es am Sonntag, 12. Dezember,<br />

um 11 Uhr eine Podiumsdiskussion<br />

im Klimasaal der Ausstellung «2 Grad» im<br />

Basler Kunstfreilager Dreispitz. Mit dabei:<br />

Professor Lucas Bretschger (ETH Zürich),<br />

Gabi Hildesheimer (Öbu – Netzwerk für<br />

nachhaltiges Wirtschaften), Jörg Krähenbühl<br />

(Regierungsrat BL) und der Klima spezialist<br />

und regelmässige WOZ-Mitarbeiter Marcel<br />

Hänggi. Die Moderation übernimmt «Tagesanzeiger»-Redaktor<br />

Martin Läubli.<br />

Die WoZ hören<br />

«Hören ist die Aussaat Gottes. Die Frucht<br />

der Saat ist unser Tun» schrieb der römische<br />

Philosoph und Kirchenlehrer Augustinus<br />

von Hippo. AtheistInnen, die nur<br />

grob ahnen, was er da<strong>mit</strong> gemeint haben<br />

könnte, hilft es, sich auf der WOZ-Website<br />

www.woz.ch/hoertext umzuhören:<br />

• Der überwachte Überwacher: Warum die<br />

Bundespolizei einen Mitarbeiter observiert,<br />

wenn der sich «unnatürlich verhält»<br />

• Der kranke Wettbewerb: Basel will die<br />

öffentlichen Krankenhäuser privatisieren, in<br />

Zug wird über eine Rückkehr zum alten Modell<br />

abgestimmt.<br />

Die Texte werden gelesen und zur<br />

Verfügung gestellt von der Schweizerischen<br />

Bibliothek für Blinde, Seh- und<br />

Lesebehinderte. www.sbs-online.ch<br />

dIeSSeItS von gut und böSe<br />

Wird alles wieder gut<br />

In der Unterhaltungssendung «Wetten,<br />

dass …?» kam es am Samstagabend völlig<br />

unerwartet zu einem schweren Unfall. Dabei<br />

wollte der junge Mann bloss auf Hüpfstelzen<br />

<strong>mit</strong> einem Salto über fahrende Autos gumpen<br />

– kann man sich ja vorstellen, wie viel<br />

Spass das macht!<br />

Erwartungsgemäss quollen anschliessend<br />

aus allen Medien moralische Exkurse<br />

über die ständig wachsende Risikobereitschaft<br />

von Fernsehanstalten auf Quotenjagd,<br />

und Moderator Thomas Gottschalk<br />

kündigte an, man wolle das Sendekonzept<br />

überdenken und die Wetten entschärfen.<br />

Schade! Den Hals kann sich schliesslich<br />

auch brechen, wer über die Teppichkante<br />

stolpert.<br />

Dem Kommentator im «Tages-Anzeiger»<br />

war sofort klar, dass ihm die Sendung<br />

so zu langweilig würde: «Statt ‹Wetten,<br />

dass …?› zu schauen, besucht man dann<br />

vielleicht Freunde, lädt die Nachbarn ein<br />

oder spielt <strong>mit</strong> den Kindern. Es gibt so viel,<br />

was man an einem Samstagabend tun kann.»<br />

Etwa S-Bahn-Surfen oder Komasaufen.<br />

Im Übrigen war das Timing des Unfalls<br />

einfach brillant: Fast am gleichen Tag fuhr<br />

Daniel Albrecht erstmals seit seinem Schädel-Hirn-Trauma<br />

wieder ein Skirennen. Na,<br />

geht doch! Nach einem Weilchen im künstlichen<br />

Koma kann jeder wieder auf die Beine<br />

kommen – er muss nur wollen. K ho<br />

In eIgener Sache<br />

Post von der Post<br />

Von Roman SchüR mann<br />

Trägt die WOZ zur Meinungsvielfalt im Land bei?<br />

Zur Pressevielfalt? Ist ihr Erhalt also von <strong>dem</strong>okratie-<br />

und staatspolitischem Interesse? Warum<br />

müssen diese Fragen überhaupt gestellt werden?<br />

In der Schweiz gibt es eine sogenannte indirekte<br />

Presseförderung. Die Zeitungen werden<br />

anders als Fernsehen und Radio vom Staat nicht<br />

direkt unterstützt. Doch die Post erhält vom<br />

Bund dreissig Millionen Franken, um Zeitungen,<br />

die gewisse Kriterien erfüllen, zum ermässigten<br />

Tarif zuzustellen. Diese Kriterien stehen<br />

Kommentar<br />

Was geschah<br />

<strong>mit</strong> den Peperoni?<br />

Von Bettina DyttR ich<br />

Es war ein Bericht, der viele schockierte: Das<br />

Westschweizer Fernsehen verfolgte eine halbe<br />

Stunde lang die Spuren importierter Peperoni.<br />

Die Sendung zeigte, dass manches Gemüse<br />

Rückstände von bis zu elf verschiedenen Pestiziden<br />

enthielt – und sie dokumentierte das prekäre<br />

Leben der Landarbeiter in Südspanien, die<br />

in Plastikzelten leben und dreissig Euro im Tag<br />

verdienen.<br />

auSSer<strong>dem</strong><br />

armee beschafft<br />

m eerschweinchen<br />

Von Dinu GautieR<br />

Dienstag: WOZ-RedaktorInnen verfolgen gebannt<br />

die «Operation Payback», den virtuellen<br />

Angriff von Wikileaks-SympathisantInnen auf<br />

Postfinance. Ist das jetzt bereits ein «Cyber War»,<br />

wie ihn Verteidigungsminister Ueli Maurer in<br />

einem WOZ-Interview im Oktober heraufbeschworen<br />

hatte (siehe WOZ Nr. 41/10)?<br />

Dann tritt eine Informantin in die Redaktion<br />

und berichtet, die Schweizer Armee beschaffe<br />

Meerschweinchen. Cyber War, ein Nagerheer:<br />

ruedI wIdmer<br />

unten links<br />

seit Mitte 2007 im Postgesetz – so werden etwa<br />

Zeitungen <strong>mit</strong> über 40 000 Exemplaren Auflage<br />

seither nicht mehr gefördert.<br />

Auch die WOZ wird indirekt gefördert. Der<br />

Versand der Zeitung kostet uns im Jahr rund<br />

110 000 Franken weniger als nach Normaltarif –<br />

für uns ein substanzieller Betrag. Nun will uns<br />

die Post die Förderung entziehen. Wenn die Post<br />

darauf beharrt, bleibt uns der Weg vors Gericht.<br />

Tatsächlich erfüllt die WOZ alle inhaltlichen<br />

Kriterien. Das bestreitet auch die Post<br />

nicht. Umstritten ist einzig der Einleitungsatz im<br />

entsprechenden Postgesetzartikel: «Zur Erhaltung<br />

einer vielfältigen Regional- und Lokalpresse<br />

gewährt die Post Ermässigungen für abonnierte<br />

Tages- und Wochenzeitungen.» Die Post<br />

sagt nun, die WOZ sei keine Regionalzeitung.<br />

Da es zu diesem Gesetzesabschnitt keine<br />

Verordnung gibt, die die Details regelt, ist auf<br />

Das war im Frühling 2008. Der Kanton<br />

Jura hatte drei Monate zuvor im Nationalrat eine<br />

Standesinitiative eingereicht, die sehr gut zu<br />

diesem Bericht passte. Sie forderte drei Dinge:<br />

Die Bundesbehörden sollten sich in Verhandlungen<br />

<strong>mit</strong> der EU und der Welthandelsorganisation<br />

WTO für gerechte Arbeitsbedingungen<br />

und nachhaltige Produktion einsetzen. Auf<br />

Importlebens<strong>mit</strong>teln müssten Informationen<br />

über die Produktionsbedingungen zu finden<br />

sein. Und Esswaren, «die unter sozialen Bedingungen<br />

produziert werden, die zum Standard<br />

in unserem Land in frappantem Widerspruch<br />

stehen», dürften nicht mehr importiert werden.<br />

In der Folge reichten auch die Kantone<br />

Genf, Neuenburg, Waadt und Freiburg Stan desini<br />

tia ti ven <strong>mit</strong> den gleichen Forderungen ein.<br />

Am kommenden Montag wird der Nationalrat<br />

darüber beraten.<br />

Bricht gerade das Fantasyzeitalter an? Der WOZ<br />

gelingt es, einen Soldaten zu befragen, der im<br />

Rahmen eines Wiederholungskurses letzte Woche<br />

im Schnee Meerschweinchenhäuschen bauen<br />

musste. Er spricht von derzeit vier Nagern<br />

und der erwarteten Ankunft von zwei Zwerghasen<br />

sowie weiteren zehn Meerschweinchen.<br />

Wofür braucht die Armee Meerschweinchen?<br />

Als Drohnenbesatzung? Als Salatvorkoster<br />

im C-Krieg? Selbst die GSoA weiss noch nichts<br />

die Parlamentsdebatte zurückzugreifen – welche<br />

Absicht leitete den Gesetzgeber? Wer die<br />

Wortprotokolle liest, merkt rasch: Ziel war – das<br />

beweisen zahlreiche Voten –, die kleineren Zeitungen<br />

zu fördern und da<strong>mit</strong> den «Erhalt einer<br />

richtigen, das heisst inhaltlichen Pressevielfalt»,<br />

die «im <strong>dem</strong>okratie- und staatspolitischen Interesse»<br />

sei, wie es Eduard Engelberger, Nidwaldner<br />

FDP-Nationalrat, formulierte. Eben erst<br />

bestätigte das die neue Postministerin Doris<br />

Leuthard vor <strong>dem</strong> Ständerat.<br />

Vielleicht verzichtet die Post doch noch<br />

dar auf, uns die indirekte Presseförderung zu<br />

streichen. Wenn nicht, wird die WOZ, die als<br />

einzige unabhängige Wochenzeitung in der<br />

Deutschschweiz auch Themen und Meinungen<br />

bringt, die sonst kaum zu finden sind, dafür<br />

kämpfen, dass auch die Post die eingangs gestellten<br />

Fragen wie alle anderen beantwortet.<br />

Der Ständerat lehnte die Standesinitiativen<br />

im Sommer alle ab. Sie seien nicht vereinbar<br />

<strong>mit</strong> den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber<br />

EU und WTO. Das räumte auch der grüne Genfer<br />

Ständerat Robert Cramer ein. Er plädierte<br />

trotz<strong>dem</strong> für die Annahme der Initiativen – man<br />

könne ja einen Gegenvorschlag ausarbeiten, der<br />

zumindest die ersten beiden Punkte aufnehme.<br />

Genau darum geht es: Auch wenn die Initiativen<br />

nicht von A bis Z umsetzbar sind, wäre<br />

ihre Annahme im Nationalrat ein starkes Zeichen<br />

für mehr Verantwortung im Lebens<strong>mit</strong>telbereich.<br />

Doch hier droht wieder einmal der<br />

Röstigraben: Während in der Romandie ParlamentarierInnen<br />

von links bis bürgerlich für soziale<br />

Fragen in der Landwirtschaft sensibilisiert<br />

sind, zeigt in der Deutschschweiz oft gerade die<br />

SP wenig Verständnis dafür. Nächsten Montag<br />

gäbe es Gelegenheit für einen Kurswechsel.<br />

davon. GSoA-Sekretärin Rahel Ruch: «Wir begrüssen,<br />

dass die Armee Meersäuli statt Kampfflugzeuge<br />

beschafft.»<br />

Christoph Brunner, Informationschef Verteidigung,<br />

spricht von lediglich zwei von der<br />

Armee gehaltenen Meerschweinchen. Zusätzlich<br />

gebe es Schildkröten, Katzen und weitere<br />

Kleintiere, die allesamt im Kompetenzzentrum<br />

Veterinärdienst und Armeetiere stationiert<br />

seien. «Sie erlauben die Ausbildung der Kleintierpfleger-Lehrlinge,<br />

wie sie vom Lehrplan vorgeschrieben<br />

ist», so Brunner. Diese Ausbildung<br />

erfolge vor allem im Zusammenhang <strong>mit</strong> der<br />

Pflege der Diensthunde der Armee. «Über die<br />

Kosten für die Meerschweinchen können keine<br />

Angaben gemacht werden», so Brunner weiter.<br />

Rahel Ruch von der GSoA empfiehlt, die<br />

«Nagerstrategie» weiterzuverfolgen: «Die Armee<br />

als Streichelzirkus gewinnt an Akzeptanz in der<br />

Bevölkerung.»<br />

Ein offenes Geheimnis Seite 13<br />

Mustergültig am Fenster stehen Seite 19


Ist es nur die Idylle, die kasachische Milliardäre an die schönen Gestade lockt? foto: AnjA niedringhAus, Keystone<br />

Kasachstan-connection<br />

Wäschereien am Genfersee<br />

Schweiz 3<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Schwerreiche UnternehmerInnen aus den zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ziehen an den Genfersee.<br />

Sie kaufen riesige Villen zu exorbitanten Preisen. Vielleicht waschen sie dabei auch ein paar Millionen weiss.<br />

Von Stefan HoWald<br />

Ende September hat die Schweizer Bundesanwaltschaft<br />

eine Untersuchung wegen Geldwäscherei<br />

gegen den kasachischen Milliardär<br />

Timur Kulibajew, den Schwiegersohn des kasachischen<br />

Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew,<br />

eröffnet. Es soll um 600 Millionen<br />

Dollar gehen. Dies behauptet jedenfalls der<br />

Genfer Anwalt Bruno de Preux, der im April<br />

im Namen von sechs kasachischen Bürgern<br />

eine entsprechende Privatklage eingereicht<br />

hatte.<br />

Gegen führende Politiker und UnternehmerInnen<br />

aus Kasachstan werden gelegentlich<br />

Korruptionsvorwürfe erhoben. Die Spur<br />

führt dabei öfter nach Genf. Mittlerweile haben<br />

sich verschiedene Angehörige des Clans<br />

um Präsident Nasarbajew am Genfersee<br />

niedergelassen. Anfang Jahr machte Dinara<br />

Kulibajewa Schlagzeilen, die Ehefrau von Timur<br />

Kulibajew und Nasarbajews zweitälteste<br />

Tochter, als sie in Anières eine Villa für 74,7<br />

Millionen Franken kaufte. Welsche Medien<br />

haben den Verdacht geäussert, die Immobiliengeschäfte<br />

dienten der Geldwäscherei.<br />

Die Bundesanwaltschaft schweigt<br />

Timur Kulibajew (44) war von 2000 bis 2005<br />

Präsident des Staatsunternehmens Kaztransoil,<br />

das die gesamte kasachische Gas- und<br />

Erdölinfrastruktur kontrolliert. In dieser<br />

Zeit soll er unrechtmässig dreistellige Millionenbeträge<br />

auf Bankkonten in Zürich, Genf<br />

und Lugano transferiert haben. Die Bundesanwaltschaft<br />

«bestätigt und kommentiert<br />

die kursierenden Meldungen nicht», wie Mediensprecherin<br />

Jeannette Balmer verlautet.<br />

Dinara Kulibajewa (43) gehört zusammen<br />

<strong>mit</strong> ihrem Ehemann zu den Hauptaktionär-<br />

Innen der Bank Halyk, einer der grössten in<br />

Kasachstan; das gemeinsame Vermögen des<br />

Paars wird auf 2,1 Milliarden Dollar geschätzt.<br />

Kasachstan, das neuntgrösste Land der<br />

Welt <strong>mit</strong> gerade mal 18 Millionen Einwohner-<br />

Innen, ist die wirtschaftlich erfolgreichste<br />

Ex-Sowjetrepublik, und zwar wegen der riesigen<br />

Erdöl- und Erdgasreserven. Präsident<br />

Nursultan Nasarbajew war der letzte KP-Chef<br />

in Kasachstan vor <strong>dem</strong> Zerfall der Sowjetunion,<br />

hat aber den Übergang bruchlos geschafft.<br />

Er regiert autokratisch, pflegt einen beachtlichen<br />

Personenkult, hat <strong>mit</strong> Astana eine<br />

neue Hauptstadt aus der Steppe gestampft<br />

und <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> OSZE-Vorsitz soeben einen diplomatischen<br />

Erfolg gefeiert. Seine Verwandten<br />

und Verbündeten werden feudal belohnt,<br />

AbweichlerInnen <strong>mit</strong> etlicher Härte verfolgt.<br />

Die bislang spektakulärste Korruptionser<strong>mit</strong>tlung<br />

begann 1999 in Genf. Damals blo-<br />

ckierten die Genfer Behörden auf Ersuchen<br />

der USA Konten von hohen kasachischen<br />

Funktionären, darunter auch Nasarbajew<br />

persönlich. Die blockierten 140 Millionen<br />

Dollar waren auf verschlungenen Wegen von<br />

James Giffen einbezahlt worden, einem US-<br />

Ölhändler. Ihm wurde von den US-Behörden<br />

vorgeworfen, beträchtliche Bestechungsgelder<br />

für die Gewährung von Bohrlizenzen<br />

in kasachischen Ölfeldern bezahlt zu haben.<br />

Nach jahrelangem Tauziehen schlossen die<br />

Schweiz, die USA und Kasachstan im Jahr<br />

2007 eine Vereinbarung ab, wonach 84 Millionen<br />

Dollar nach Kasachstan zurückgeführt<br />

und für wohltätige Zwecke verwendet werden<br />

sollten. Dafür wurde im April 2008 die<br />

Bota-Stiftung gegründet. Dem Stiftungsrat<br />

gehören je ein Vertreter aus den USA und der<br />

Schweiz an; dennoch wird von kasachischen<br />

Oppositionskreisen behauptet, von den Geldern<br />

würden auch Staatsfunktionäre unrechtmässig<br />

profitieren.<br />

Der Prozess gegen James Giffen wegen<br />

Bestechung ausländischer Amtsträger, der in<br />

den USA 2003 begonnen hatte, ist Mitte November<br />

<strong>mit</strong> einem Kuhhandel abgeschlossen<br />

worden: Giffen bekannte sich in einem Nebenpunkt<br />

für schuldig und wurde <strong>mit</strong> einer<br />

symbolischen Geldstrafe von 25 Dollar belegt;<br />

dagegen akzeptierte der Richter bezüglich<br />

der Hauptanklagepunkte der Bestechung<br />

und der Geldwäscherei die Argumentation<br />

von Giffen, er habe seine Geschäfte in Kasachstan<br />

immer <strong>mit</strong> Wissen der kasachischen Regierung<br />

sowie des CIA getätigt. Da<strong>mit</strong> bleibt<br />

auch die Rolle von Nasarbajew unaufgeklärt.<br />

Woher Kommt das Geld?<br />

Die jüngste Anzeige in der Schweiz stammt<br />

von sechs kasachischen Bürgern, deren Namen<br />

ihr Rechtsanwalt Bruno de Preux aus<br />

Sicherheitsgründen nicht bekannt geben will.<br />

Möglicherweise gehört Mukhtar Abljasow<br />

(47) zu ihnen, einst kasachischer Energieminister.<br />

2001 forderte er Präsident Nasarbajew<br />

heraus und gründete eine Oppositionspartei.<br />

Ein Jahr später wurde er wegen angeblicher<br />

Verfehlungen während seiner Ministerialzeit<br />

zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach<br />

einem Jahr freigelassen. Von 2005 bis 2009<br />

leitete er die kasachische Bank BTA und expandierte<br />

nach Russland sowie in die Ukraine.<br />

Mit der weltweiten Rezession geriet die<br />

BTA in Schieflage und wurde vom Staat übernommen;<br />

Abljasow flüchtete im Februar 2009<br />

nach London und suchte um politisches Asyl<br />

nach. Die neue BTA-Führung hat ihn auf 12<br />

Milliarden Franken Schadenersatz verklagt.<br />

Auch die Credit Suisse hat bei der BTA Kredite<br />

von einer Milliarde Franken ausstehend.<br />

Worauf Abljasow Anfang 2010 in die Gegenoffensive<br />

ging und gegen Timur Kulibajew<br />

Korruptionsvorwürfe erhob. Die Klage in<br />

Genf könnte ein weiterer Versuch von Abljasow<br />

sein, seinen Widersacher Nasarbajew via<br />

dessen Schwiegersohn zu attackieren.<br />

Timur Kulibajew, dessen Geschäfte jetzt<br />

womöglich von der Bundesanwaltschaft untersucht<br />

werden, wurde erstmals 2006 in der<br />

Schweiz tätig, als er über einen Mittelsmann<br />

für 8,5 Millionen Franken die Villa Romantica<br />

bei Melide erwarb. 2007 kaufte er Prinz<br />

Andrew, <strong>dem</strong> zweitältesten Sohn von Königin<br />

Elizabeth II, dessen frühere Familienvilla<br />

«Haben die Behörden nicht zu prüfen»<br />

Im Juni hat der Genfer SP-Nationalrat Carlo<br />

Sommaruga eine parlamentarische Anfrage<br />

eingereicht, in der er sich erkundigt, ob der<br />

Verkauf der Villa in Anières den Schweizer<br />

Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei<br />

nicht zuwiderlaufe. Bundesrätin Eveline<br />

Widmer-Schlumpf hat in ihrer Antwort<br />

gemeint, für die Genehmigung sei der Kanton<br />

Genf zuständig, aber «woher die Mittel<br />

für den Grundstückerwerb stammen, haben<br />

die Behörden nicht zu prüfen».<br />

Genfer Immobilienhändler wiegeln ab,<br />

die Preise würden explodieren, weil für ihre<br />

KundInnen ein paar Millionen mehr oder weniger<br />

keine Rolle spielten. Allerdings hat die<br />

Schweiz als einziges Land in Europa die Immobilienhändler<br />

keinen Vorschriften gegen<br />

die Geldwäscherei unterstellt – sie sind nicht<br />

verpflichtet, die Herkunft des Geldes zu überprüfen.<br />

Drei mögliche Mechanismen bieten<br />

sich zum Reinwaschen von Geldern an. Erstens<br />

werden direkte «kickbacks» ausbezahlt,<br />

also Teile der offiziellen Kaufsumme an den<br />

Käufer rückerstattet. Zweitens wird die ganze<br />

Kaufsumme bar entrichtet, worauf «saubere»<br />

Hypotheken auf die Liegenschaft aufgenommen<br />

werden. Drittens kann der Kauf durch<br />

verschachtelte Holdingstrukturen erfolgen,<br />

die in anderen Steueroasen als der Schweiz<br />

domiziliert sind.<br />

in Berkshire ab, für 15 Millionen Pfund (23<br />

Millionen Franken), 3 Millionen über <strong>dem</strong><br />

verlangten Preis. Seither steht die Villa leer<br />

und zerfällt allmählich. Prinz Andrew ist als<br />

britischer Sonderbeauftragter für Handel<br />

und Industrie häufiger im zentralasiatischen<br />

Raum unterwegs.<br />

Die von den Kulibajews vor einem Jahr<br />

für 74,7 Millionen Franken erworbene Villa<br />

in Anières am Genfersee steht auf einem<br />

7500-Quadratmeter-Grundstück und hat<br />

eine Wohnfläche von 1600 Quadratmetern.<br />

Zu <strong>dem</strong> Komplex gehört auch ein teilweise gedeckter<br />

Swimmingpool von 25 Metern Länge.<br />

2005 war die Villa für 19 Millionen Franken<br />

erworben worden – wo<strong>mit</strong> der Preis in fünf<br />

Jahren auf das Vierfache gestiegen ist.<br />

Grosse Pläne<br />

Ein weiterer kasachischer Millionär ist besonders<br />

rührig im Immobilienhandel: Ilijas<br />

Krapunow (26), der Sohn von Viktor Krapunow,<br />

ehemaliger Bürgermeister der ehemaligen<br />

kasachischen Hauptstadt Almaty und<br />

vielseitiger Unternehmer. 2008 entzweite<br />

sich Krapunow senior <strong>mit</strong> Präsident Nasarbajew<br />

und zog in die Schweiz. Zuvor hatte seine<br />

Tochter Elvira Krapunowa-Beldamani für<br />

32 Millionen Franken eine Villa in Cologny<br />

erworben. Ilijas ist seit seinem vierzehnten<br />

Lebensjahr in der Schweiz erzogen worden.<br />

2007 gründete er die Swiss Development<br />

Group, die sich auf Immobiliendeals spezia-<br />

Fortsetzung auf Seite 4<br />

Das Bundesgesetz über den Erwerb von<br />

Grund stücken durch Personen im Ausland –<br />

die «Lex Koller» – verhindert solche Deals<br />

nicht. Sie wurde 1983 eingeführt und schreibt<br />

vor, dass AusländerInnen für den Kauf eines<br />

Grundstücks eine Bewilligung der zuständigen<br />

Kantonsbehörden brauchen. 2005<br />

beantragte der Bundesrat, die Vorschrift abzuschaffen,<br />

was von den beiden Räten 2008<br />

zurückgewiesen wurde. Die Lex Koller ist juristisch<br />

weiterhin in Kraft, wird aber je nach<br />

Kanton extensiv ausgelegt. Nicht betroffen<br />

von ihr sind ausländische BesitzerInnen einer<br />

Niederlassungsbewilligung. Diese wird bei<br />

reichen AusländerInnen in Genf häufig erteilt.


4 Schweiz<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

6. iV-reVision<br />

Gratisarbeitskräfte<br />

für die<br />

Wirtschaft<br />

Die 6. IV-Revision sieht einen neuen Zwangsartikel für IV-RentnerInnen<br />

vor. Bis zu sechs Monate Arbeit ohne Lohn sind möglich.<br />

Unternehmen sollen gratis testen können, ob Handicapierte<br />

für den Arbeitsmarkt taugen.<br />

Von AndrEAS fAGETTi<br />

Seit Jahren entledigen sich Unternehmen ihrer<br />

sozialen Verantwortung und entsorgen die in<br />

ihren Augen unproduktiven Menschen in die<br />

Invalidenversicherung. Saniert werden soll<br />

die hoch verschuldete Sozialversicherung allerdings<br />

auf <strong>dem</strong> Buckel der Versicherten. Die<br />

6. IV-Revision verlangt neben massiven Rentenkürzungen<br />

die Integration von rund 17 000<br />

RentnerInnen in den ersten Arbeitsmarkt – eine<br />

alte Forderung, die nie auch nur annähernd erfüllt<br />

wurde, weil die Wirtschaft kneift. Nach<strong>dem</strong><br />

der Ständerat die Vorlage bereits durchgewinkt<br />

hat, debattiert der Nationalrat nächste<br />

Woche genau über diese Integrationsmassnahmen.<br />

Er entscheidet unter anderem, ob Betriebe<br />

<strong>mit</strong> mehr als 250 Angestellten ein Prozent ihrer<br />

Arbeitsplätze für diese Integration zur Verfügung<br />

stellen müssen beziehungsweise sich <strong>mit</strong><br />

einer Abgabe freikaufen können.<br />

Der Arbeitnehmerverband Travail Suisse<br />

fordert eine Quote von 2,5 Prozent für alle Betriebe<br />

<strong>mit</strong> mehr als zehn MitarbeiterInnen.<br />

Denn im Vergleich zu den umliegenden Ländern<br />

beschäftigt die Schweizer Wirtschaft extrem<br />

wenig handicapierte Menschen; laut einer<br />

Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz<br />

bloss 0,8 Prozent der Beschäftigten. In Frankreich<br />

sind es 4 Prozent, in Deutschland 4,3 und<br />

in Österreich 2,6 Prozent.<br />

Der Unternehmerverband Eco no miesuisse<br />

hält nichts vom Zwang für die Unter-<br />

Fortsetzung von Seite 3<br />

lisiert. Via diese Gesellschaft besitzt er die SDG<br />

Capital SA, die 10 Millionen Franken Kapital<br />

aufweist und <strong>mit</strong> der der junge Krapunow verschiedene<br />

selbstständige Firmen in Engelberg,<br />

Saas-Fee, Chardonne und Genf <strong>mit</strong> je 100 000<br />

Franken Eigenkapital kontrolliert. Mit einer<br />

von diesen Firmen kaufte er im Herbst 2008<br />

das Hotel Du Parc auf <strong>dem</strong> Mont Pèlerin, das zu<br />

einem Luxusresort ausgebaut werden soll. Die<br />

neuste Idee von Krapunow ist eine Überbauung<br />

von Genève Plage, der Anlage um die grossen<br />

Wasserbecken im Herzen der Stadt. Mit 147<br />

Millionen Fremdkapital soll dort ein neuer<br />

Hotel- und Einkaufskomplex entstehen. Anfang<br />

Jahr wurde an Ort eine grosse PR-Aktion<br />

gestartet. Aber die Genfer Regierung und die<br />

Bevölkerung zeigen sich bis jetzt zurückhaltend<br />

gegenüber den grandiosen Vorstellungen<br />

Krapunows.<br />

Verheiratet ist Krapunow <strong>mit</strong> Madina Abljasowa,<br />

der Tochter von Mukhtar Abljasow.<br />

Da<strong>mit</strong> zählt er zum gegnerischen Lager von<br />

Timur Kulibajew. Die Untersuchung gegen diesen<br />

könnte Krapunow durchaus gelegen kommen.<br />

Die Usbekistan-Connection<br />

Nicht nur aus Kasachstan, auch aus <strong>dem</strong> südlich<br />

davon gelegenen Usbekistan strömen<br />

die Reichen an den Genfersee. So erstand Timur<br />

Tilljajew (30) im April 2008 ein Haus in<br />

Cologny für relativ bescheidene 4 Millionen<br />

Franken. Der schwerreiche Geschäftsmann ist<br />

verheiratet <strong>mit</strong> Lola Karimowa-Tilljajewa (32),<br />

der jüngeren Tochter des usbekischen Alleinherrschers<br />

Islam Karimow. Im September 2009<br />

folgte ihre ältere Schwester Goulnora Karimowa<br />

(37) und kaufte sich eine Villa in Cologny für<br />

18,4 Millionen. Seither hat Lola ihre Schwes ter<br />

wieder übertrumpft: Im Juli 2010 erwarb ihr<br />

Mann in Vandoeuvres eine Villa für 43,4 Millionen<br />

Franken, die vier Jahre zuvor noch 14 Millionen<br />

gekostet hatte.<br />

nehmen. Er setzt auf Freiwilligkeit. Zwang ausgeübt<br />

wird hingegen auf die IV-RentnerInnen.<br />

Seit Jahren bauen die bürgerlichen Parteien<br />

<strong>mit</strong> einer Missbrauchsdebatte Druck gegen sie<br />

auf. Pauschale Kriminalisierungstendenzen<br />

sind die Folge. Es ist freilich weitgehend eine<br />

Scheindebatte, denn die Betrugsquote in der<br />

IV liegt erheblich tiefer als beim üblichen Versicherungsbetrug.<br />

2009 wurden bei 200 000<br />

Rentner Innen nur 240 als BetrügerInnen entlarvt,<br />

die IV sparte da<strong>mit</strong> gerade mal 4,6 Millionen<br />

Franken. Selbst wenn man die Verdachtsfälle<br />

als Massstab nimmt – es sind 3190 –, bewegte<br />

sich die Quote im sehr tiefen Prozentbereich.<br />

Zum Vergleich: Die Schweizer Versicherungswirtschaft<br />

ging in diesem Jahr davon aus,<br />

dass zehn Prozent aller Schadensforderungen<br />

betrügerisch sind. IV-BezügerInnen sind also<br />

deutlich weniger betrügerisch als die Durchschnittsbevölkerung.<br />

Neue Schikanen<br />

Die anhaltenden politischen Debatten gegen<br />

Schwächere fallen auch international auf. Der<br />

Uno-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Rechte hat Ende November der<br />

Schweiz unter anderem empfohlen, das Streikrecht<br />

zu stärken, GewerkschafterInnen besser<br />

vor missbräuchlichen Kündigungen zu schützen,<br />

aber auch die Armen im Land.<br />

Wer ein Mal im Monat eine Kolumne schreibt<br />

und sich zu den aktuellen Tagesthemen äussern<br />

will, wird sich so vorkommen, als würde<br />

er sein Pferd erst nach <strong>dem</strong> Regen zudecken,<br />

also nach<strong>dem</strong> es schon gänzlich nass ist. Die<br />

Tagesaktualität kann man auch als einen aufgeblasenen<br />

Ballon betrachten. Weht am nächsten<br />

Tag ein noch stärkerer Wind, ist vom Ballon<br />

nichts übrig geblieben.<br />

Wenn einer sich aber vom Arabischen gewohnt<br />

ist, das Blatt von hinten aufzuschlagen,<br />

trifft er <strong>mit</strong> Sicherheit doch noch auf andere<br />

interessante Themen. Auf einer hinteren Zeitungsseite<br />

stosse ich auf die Information, dass<br />

zwei Drittel unserer Schweizer VolksvertreterInnen<br />

geschieden sind. Und diese Tendenz<br />

soll weiterhin steigen. Da würde ich fast behaupten,<br />

dass MigrantInnen, für die in ihrer<br />

Dauerfremde ein Familienleben heilig ist, sich<br />

allein schon wegen der Scheidungsgefahr nicht<br />

für die Schweizer Politik interessieren. ScheidungsanwältInnen<br />

in der Schweiz haben jedenfalls<br />

eine sichere Berufszukunft!<br />

Als wichtigstes Scheidungsmotiv wird<br />

die zeitliche Belastung unserer VolksvertreterInnen<br />

aufgeführt. Unter diesem Argument<br />

verstehe ich als Laie Folgendes: Weil der Mann<br />

oder auch die Frau wegen der vielen Politsit-<br />

Das Breitehotel: Eines der führenden Dreisternehotels in Basel <strong>mit</strong> Ausbildungs- und<br />

Arbeitsplätzen für Menschen <strong>mit</strong> einer geistigen Behinderung. foto: Gaetan Bally, Keystone<br />

Dennoch wird weiter einseitig an der<br />

Sparschraube gedreht und werden neue Schikanen<br />

gegen die Versicherten ersonnen. Zwischen<br />

Vernehmlassung und nationalrätlicher<br />

Debatte wurde eine solche in den neuen Gesetzesentwurf<br />

geschmuggelt, der sogenannte<br />

Arbeitsversuch, der künftig für alle IV-Verfahren<br />

gelten soll. Dabei können Betriebe während<br />

maximal sechs Monaten gratis testen, ob ein<br />

Rentenbezüger für den ersten Arbeitsmarkt<br />

taugt. Die Arbeitsleistung wird nicht entlöhnt,<br />

der Testarbeiter hat aber alle entsprechenden<br />

Pflichten und muss bei Bedarf auch Überstunden<br />

leisten. Es entstehe kein Arbeitsverhältnis<br />

nach Obligationenrecht, heisst es dazu in der<br />

Botschaft. Die Arbeitgeber hingegen haben in<br />

solchen Fällen einen Persilschein – ihre üblichen<br />

Rechte, aber keine Pflichten. Leistung und<br />

Lohn werden entkoppelt. Obwohl kein eigentliches<br />

Arbeitsverhältnis bestehe, sei der Schutz<br />

der Versicherten durch das Arbeitsgesetz gegeben,<br />

wird in der Botschaft behauptet. Die<br />

Versicherten erhalten während dieser Zeit ein<br />

Taggeld und bei einer Wiedereingliederung die<br />

Weiterentrichtung der Rente.<br />

SP-Nationalrat Paul Rechsteiner ist empört:<br />

«Bei allen bisherigen Eingliederungsmassnahmen<br />

war Arbeit etwas wert. Jetzt wird<br />

auf gesetzgeberischer Stufe Arbeit komplett<br />

entwertet. Gratisarbeitskräfte – das ist ein<br />

Skandal.» Es sprenge alles, was ihm bisher be-<br />

Fumoir<br />

Ein heikles Thema<br />

YuSuf YESilöz über grosse Eier und Glarner Politiker<br />

zungen zum Wohle des Volkes viel abwesend<br />

ist, sagt der Mann oder die Frau zu Hause:<br />

«Lueg Schätzli, du bisch vil z’vil wäg, dänn<br />

muesch gar nüme hei cho! I ha mi entschide.<br />

Fertig luschtig!»<br />

Im besagten Zeitungsbericht wurden<br />

auch Politiker und Fachpersonen zitiert. Ganz<br />

rührend ist beispielsweise der Glarner Ständerat<br />

This Jenny <strong>mit</strong> seinem ehrlichen Geständnis.<br />

Er soll seine Frau nur ein einziges Mal betrogen<br />

haben. Und das in dreissig Jahren Ehe.<br />

Dieser Mann verdient meinen Respekt!<br />

Böse Zungen würden die Ehrlichkeit Jennys<br />

als ewigen Wunsch des Politikers ansehen,<br />

seinen Namen in die Zeitung zu bringen, selbst<br />

<strong>mit</strong> diesem heiklen Thema, und so in seine<br />

Wiederwahl zu investieren. Das ist aber eine<br />

andere Geschichte.<br />

Jenny sei ehrlich gewesen – das find i uu<br />

härzig – und habe es seiner Frau, un<strong>mit</strong>telbar<br />

nach<strong>dem</strong> ihm der böse Seitensprung passiert<br />

ist, gebeichtet. Und sie, die zutiefst verletzte<br />

Ehefrau, habe ihn gerade rausgeschmissen. Da<br />

sieht man, wo die Ehrlichkeit hinführt: Unser<br />

langjähriger Volksvertreter esse an den heiligen<br />

Feiertagen statt Fondue und Blutwurst in<br />

seinem ruhigen Zuhause nur noch Spaghetti al<br />

dente beim lauten Italiener.<br />

gegnet sei. Während man Reichen fast nichts<br />

mehr zumute, zur Rettung einer Grossbank<br />

Milliarden ausgebe und ständig Steuergeschenke<br />

gewähre, erfinde der Gesetzgeber immer<br />

neue, gegen Benachteiligte gerichtete Schikanen<br />

und öffne die Tür zu rechtlosen Räumen.<br />

Als Wiedereingliederungsmassnahme sei das<br />

«ein Witz». SP-Nationalrätin Christine Goll bezeichnet<br />

den «Arbeitsversuchs»-Artikel als «arbeitsrechtlich<br />

nicht abgesicherte Zwangsarbeit<br />

ohne Lohn».<br />

Wirtschaft gegen Quote<br />

Im Zentrum der Debatte steht allerdings die Verpflichtung<br />

der Unternehmen, Eingliederungsarbeitsplätze<br />

zur Verfügung zu stellen oder<br />

stattdessen eine Abgabe in der Höhe einer Minimal-IV-Rente<br />

pro fehlenden IV-Arbeitsplatz<br />

zu entrichten, <strong>mit</strong> der Eingliederungsmassnahmen<br />

finanziert würden. Gewerkschaften,<br />

SP und Grüne sprechen sich gegen die 6. IV-<br />

Revision aus, befürworten aber die IV-Quote für<br />

Unternehmen. Gegen die Revision sind auch die<br />

Kantone, denn sie befürchten, dass das Problem<br />

einfach in die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen<br />

und da<strong>mit</strong> auf die kantonalen Kassen<br />

abgeschoben werde. Der Bund verspricht<br />

sich von der Teilrevision 6a zwischen 2018 und<br />

2027 eine jährliche Kostenersparnis von einer<br />

halben Milliarde Franken.<br />

Ich hingegen komme aus einer anderen<br />

Kultur und erlaube mir die Frechheit, Jennys<br />

auswärtige Liebesaktion <strong>mit</strong> seiner Absicht zu<br />

erklären, ein einziges Mal im Leben global zu<br />

handeln und so den italienischen Silvio Berlusconi<br />

oder den König Carl Gustav von Schweden<br />

oder gar den muslimischen Mohammed nachzuahmen.<br />

Und meine Grossmutter würde im Fall<br />

Jenny ihre buschigen Augenbrauen hochziehen<br />

und sagen: «Das Huhn versuchte ein so<br />

grosses Ei zu legen wie das einer Gans und hat<br />

sich dabei den Darm aufgerissen.»<br />

Früher, als es noch kein Potenz<strong>mit</strong>tel gab,<br />

waren Männer in This Jennys Alter viel braver<br />

und noch die absoluten Hüter der abendländischen<br />

Familienwerte. Diese Zeiten scheinen<br />

endgültig vorbei zu sein.<br />

Wahrscheinlich meinte der Schlaumeier<br />

aus <strong>dem</strong> Glarnerland, dass seine Frau ihm<br />

den Seitensprung verzeihen würde, genau wie<br />

die Nation ihm immer verzeiht, wenn er Unwahrheiten,<br />

ge kleidet <strong>mit</strong> billigem Witz und<br />

gespiel tem Charme, erzählt. Dabei hat der Politclown<br />

wohl kaum da<strong>mit</strong> gerechnet, dass die<br />

Reaktion der betrogenen Frau nicht <strong>dem</strong> Handeln<br />

der hinters Licht geführten Wählerschaft<br />

entspricht.<br />

Yusuf Yesilöz, Schriftsteller, lebt in<br />

Winterthur, sein letzter Roman «Gegen die<br />

Flut» erschien im Limmat Verlag.


Polizei gegen Schule<br />

Rauspicken, wen sie wollen<br />

Rund um die Autonome Schule in Zürich ist die Polizei wiederholt gegen MigrantInnen<br />

vorgegangen, die dort Deutschkurse besuchen. Schikane oder Zufall?<br />

Von CaRloS Hanimann<br />

Demonstration gegen das Vorgehen der Polizei gegenüber MigrantInnen bei der Zürcher Kaserne. Foto: Florian Bachmann<br />

S. ist auf <strong>dem</strong> Weg zum Deutschkurs, als er drei<br />

PolizistInnen sieht, die vor der Schule einen<br />

Eritreer kontrollieren und dessen Papiere verlangen.<br />

Für den Kenianer S. eine heikle Situation:<br />

Als abgewiesener Asylbewerber besitzt er<br />

keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Er lebt<br />

seit 2006 in der Schweiz – als «Illegaler». Um<br />

nicht aufzufallen, geht S. geradewegs auf den<br />

Eingang der Schule zu, obwohl er verhaftet<br />

werden könnte. Die Polizei versperrt ihm den<br />

Weg, S. wird abgeführt und auf die Urania-<br />

Hauptwache in Zürich gebracht.<br />

Die Verhaftung ereignete sich am Mittwoch,<br />

24. November, um 14.20 Uhr vor <strong>dem</strong><br />

Eingang der Autonomen Schule Zürich (ASZ,<br />

vgl. «Bildung für alle») beim Güterbahnhof. Sie<br />

war der Auftakt zu einer Reihe von Personenkontrollen,<br />

die die Zürcher Stadtpolizei in den<br />

vergangenen zwei Wochen direkt vor oder in<br />

un<strong>mit</strong>telbarer Nähe der ASZ durchführte. AktivistInnen<br />

der ASZ sprechen von «Schikane»,<br />

von einer «Macht<strong>dem</strong>onstration der Polizei»,<br />

von «gezielten Angriffen» gegen die Schule und<br />

vor allem gegen die MigrantInnen, die dort regelmässig<br />

verkehren. Bis vor kurzem konnten<br />

MigrantInnen mehr oder weniger ungestört<br />

Kurse in der Autonomen Schule besuchen. In<br />

den letzten neun Monaten, seit sich die Autonome<br />

Schule in einer Baracke am Güterbahnhof<br />

befindet, hat die Polizei dort noch nie Personenkontrollen<br />

durchgeführt. Was also hat es<br />

<strong>mit</strong> der starken Polizeipräsenz auf sich? Warum<br />

die Kontrollen? Sind sie gezielt gegen Papierlose<br />

gerichtet? Gibt es eine «grundsätzliche<br />

fremdenfeindliche Tendenz» im Polizeikorps,<br />

wie AktivistInnen der ASZ sagen? Oder ist alles<br />

nur Zufall, wie die Stadtpolizei behauptet?<br />

«Hier lohnt es sich, zu kontrollieren»<br />

Klar ist: Nur wenige Stunden nach<strong>dem</strong> sie S.<br />

verhaftet haben, parkieren dieselben drei PolizistInnen<br />

wieder auf <strong>dem</strong> SBB-Gelände vor der<br />

ASZ. Der Deutschkurs, der montags, <strong>mit</strong>twochs<br />

und freitags jeweils von rund hundert Migrant-<br />

Innen besucht wird, geht gerade zu Ende. Ein<br />

Aktivist der Autonomen Schule fragt die PolizistInnen,<br />

was sie vorhätten: «Sie sagten, dass<br />

sie sich auf einem öffentlichen Platz befänden<br />

und Migranten kontrollieren wollten. Sie<br />

sagten wörtlich: ‹Und wir picken raus, wen wir<br />

wollen.›»<br />

Daraufhin solidarisieren sich rund<br />

dreissig Personen aus der Autonomen Schule<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Nigerianer (<strong>mit</strong> gültiger Aufenthaltsbewilligung),<br />

der gerade von der Polizei<br />

kontrolliert wird. «Die Polizei wurde massiv<br />

angepöbelt, weshalb weitere Patrouillen angefordert<br />

wurden, um die Situation beruhigen<br />

zu können», sagt Marco Cortesi, Sprecher der<br />

Stadtpolizei. Sechs bis sieben Kastenwagen<br />

fahren vor, für die AktivistInnen der ASZ eine<br />

Provokation. Die Situation droht zu eskalieren.<br />

Dann ziehen sich Migrantinnen und Aktivisten<br />

in die Schule zurück, bis die Polizei verschwindet.<br />

Am Abend findet eine Demonstration von<br />

knapp 150 Personen gegen die polizeilichen<br />

Kontrollen statt.<br />

Am folgenden Montag, <strong>dem</strong> Tag nach<br />

der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative,<br />

warten dieselben PolizistInnen wieder vor<br />

Bildung für alle<br />

Im April 2009 besetzte eine Gruppe von AktivistInnen<br />

unter <strong>dem</strong> Namen Familie<br />

Moos den Schulpavillon Allenmoos II in<br />

Oerlikon und richtete dort die Autonome<br />

Schule Zürich (ASZ) ein. Nach <strong>dem</strong><br />

Motto «Mini Schuel, dini Schuel» sollte<br />

Wissen gratis und ohne Zulassungsbeschränkungen<br />

weitergegeben werden,<br />

ohne Leistungsdruck, im gegenseitigen<br />

Austausch und selbstverwaltet. Die ASZ<br />

stellte ihre Räume auch <strong>dem</strong> Verein Bildung<br />

für alle zur Verfügung, der seit der<br />

Besetzung der Predigerkirche im Dezember<br />

2008 an ständig wechselnden Orten<br />

Deutschkurse für und <strong>mit</strong> Papierlosen organisierte.<br />

Nach<strong>dem</strong> die Polizei den Schulpavillon wegen<br />

einer angezapften Stromleitung im Januar<br />

2010 räumte, fand der Deutsch unterricht<br />

an verschiedenen Orten statt, bis die ASZ<br />

im April 2010 die Baracke beim Güterbahnhof<br />

Zürich besetzte. Neben <strong>dem</strong><br />

Deutschunterricht, der regelmässig von<br />

gut hundert illegalisierten Flüchtlingen<br />

und MigrantInnen besucht wird, wird<br />

auch Englisch und Arabisch unterrichtet,<br />

es gibt Kurse zur Programmiersprache<br />

Java sowie Seminare zu John Cage und<br />

Alain Badiou. n oëmi l andolT<br />

http://alles-fuer-alle.jimdo.com<br />

der Baracke beim Güterbahnhof. Wieder kontrollieren<br />

sie vor und nach <strong>dem</strong> Deutschkurs<br />

MigrantInnen. Laut einem Aktivisten sollen<br />

die PolizistInnen gesagt haben: «Hier lohnt es<br />

sich, Personen zu kontrollieren, weil wir wissen,<br />

dass hier viele Papierlose verkehren.» Erneut<br />

gibt es am Abend eine kleine Kundgebung<br />

gegen die Polizei. Die rund fünfzig DemonstrantInnen<br />

ziehen, begleitet von Wasserwerfern<br />

und einem Grossaufgebot von Polizisten,<br />

vom Helvetiaplatz zur Kaserne.<br />

Am Freitag, vier Tage später, steht ein<br />

halbes Dutzend Polizisten bei der Tramhaltestelle<br />

Bäckeranlage in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe, wo<br />

sie laut Augenzeugen nach Ende des Deutschkurses<br />

in der ASZ gezielt dunkelhäutige Personen<br />

kontrollieren.<br />

Integrationspolitische Aufgabe<br />

Seit S. verhaftet wurde, hat er die Deutschkurse<br />

in der ASZ nicht mehr besucht. Zu gross<br />

ist das Risiko, erneut von der Polizei festgehalten<br />

zu werden. Auch viele andere bleiben<br />

weg. Besuchten vorher rund hundert Personen<br />

die Deutschkurse, war es vergangene Woche<br />

höchs tens noch ein Viertel davon.<br />

In der ASZ ist der Ärger über die Polizei<br />

deshalb gross. Man ist sich sicher, dass die<br />

Aktionen gezielt erfolgten. Die Polizei widerspricht:<br />

«Von gezielten Aktionen gegen die<br />

ASZ kann keine Rede sein.» Sie rechtfertigt die<br />

Kontrollen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> gesetzlichen Grundauftrag,<br />

für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. «Es ist<br />

keine Schwergewichtsaufgabe der Polizei, illegal<br />

anwesende Ausländer zu suchen und zu<br />

verzeigen. Aber selbstverständlich sind auch<br />

Verstösse gegen das Ausländergesetz zu ahnden.»<br />

Auch das Polizeidepartement, <strong>dem</strong> seit<br />

einem halben Jahr der grüne Stadtrat Daniel<br />

Leupi vorsteht, lässt verlauten, es gebe keine<br />

Weisung, gezielt gegen die ASZ oder deren BesucherInnen<br />

vorzugehen.<br />

Leupi wurde dieser Tage von SVP-Nationalrat<br />

Christoph Mörgeli öffentlich angegriffen,<br />

weil er am Rand der Proteste gegen die Ausschaffungsinitiative<br />

gegenüber einzelnen Beamten<br />

sein Verständnis für die Demonstrant-<br />

Innen geäussert haben soll. Eigentlich eine<br />

aufgeblasene Nichtigkeit, aber dass die eigenen<br />

Polizisten ihren Polizeivorsteher anschwärzen,<br />

zeigt, wie instabil Leupis Macht und wie beschränkt<br />

sein Einfluss auf das Polizeikorps ist:<br />

Zu lange hatte sich seine Vorgängerin Esther<br />

Maurer aus operativen Angelegenheiten rausgehalten,<br />

zu autonom von der Politik handelt<br />

wohl auch deshalb das Korps.<br />

Um weitere Zwischenfälle zu verhindern,<br />

sollen die Wogen geglättet werden. Der Zürcher<br />

Gemeinderat und Ko-Präsident der Grünen<br />

Matthias Probst will zwischen den Parteien<br />

ver<strong>mit</strong>teln. Ziel sei es, VertreterInnen der ASZ,<br />

den Departementsvorsteher Daniel Leupi und<br />

die Polizei an einen Tisch zu bringen, um eine<br />

Lösung zu finden: «Keine Seite kann ein Interesse<br />

an einer Eskalation haben. Die ASZ erfüllt<br />

eine sehr wichtige integrationspolitische Aufgabe.<br />

Und da braucht es Vernunft, Toleranz und<br />

Fingerspitzengefühl bei der Polizei, da<strong>mit</strong> die<br />

Schule ihre Kurse gewährleisten kann.»<br />

Schweiz 5<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

waS weiter geSchah<br />

Schädliche Strahlung<br />

Mitte November berichtete die WOZ, dass laut<br />

einer deutschen Studie rund um die Atomanlagen<br />

in Deutschland und der Schweiz weniger<br />

Kinder – vor allem Mädchen – auf die Welt<br />

kommen, als zu erwarten wäre. Es wird vermutet,<br />

dass radioaktive Niedrigstrahlung die<br />

Embryonen schädigt und es zu frühen Aborten<br />

kommt. Letzte Woche hat die Wissenschaftssendung<br />

«Einstein» auf SF1 das Thema aufgenommen.<br />

An diesem Montag gab die Studie<br />

dann auch im Parlament zu reden. Die beiden<br />

Nationalräte Hans-Jürg Fehr (SP) und Christian<br />

van Singer (Grüne) erkundigten sich in der Fragestunde,<br />

was der Bundesrat in dieser Sache<br />

zu tun gedenke. Bundesrat Didier Burkhalter<br />

meinte, man müsste die Daten überprüfen. Er<br />

sagte aber auch: Falls sich die Aussagen der<br />

Studie bestätigten, müsste «als Konsequenz<br />

daraus die Bewilligungspraxis der neuen Atomkraftwerke<br />

überprüft werden». SB<br />

Nachtrag zum Artikel «Die fehlenden Mädchen»<br />

in WOZ Nr. 46/10.<br />

Bedrohte Forschungsfreiheit<br />

Das Adolphe Merkle Institut (AMI) in Freiburg<br />

kommt nicht zur Ruhe. 100 Millionen Franken<br />

hatte der Industrielle Adolphe Merkle der<br />

Uni Freiburg 2007 gestiftet, um das Nanoforschungsinstitut<br />

aufzubauen. Im Gegenzug<br />

wollten Merkle und sein Stiftungsrat auch die<br />

Geschicke des Instituts <strong>mit</strong>bestimmen – ein<br />

absolutes Novum an Schweizer Universitäten.<br />

Ende 2009 kündigte der Direktor des AMI, weil<br />

er die Forschungsfreiheit bedroht sah. Ende<br />

März dieses Jahres orientierten Universität und<br />

Stiftungsrat, die «strukturellen Probleme» seien<br />

bereinigt. Was nichts anderes bedeutet, als dass<br />

die kontinuierliche Mitbestimmung des Stiftungsrats<br />

nun auch in den Institutsstatuten verankert<br />

ist: Er ernennt den Direktor, kann Berufungen<br />

per Veto verhindern und bestimmt, wer<br />

im Beirat sitzt. Zwei Stiftungsräte sitzen zu<strong>dem</strong><br />

im vier Personen umfassenden Institutsrat.<br />

Im Mai hatte die Studierendengruppe<br />

«Unsere Uni Freiburg» Aufsichtsbeschwerde<br />

beim Staatsrat eingelegt: Es sei zu prüfen, ob<br />

die Gründungsvereinbarung zwischen Universität<br />

und Stiftungsrat nicht gegen das geltende<br />

Universitätsgesetz verstosse und da<strong>mit</strong> für<br />

ungültig zu erklären sei. Der Staatsrat hat das<br />

Begehren abgelehnt, wie die Studierenden am<br />

6. Dezember <strong>mit</strong>geteilt haben. Sie fordern jetzt<br />

eine Offenlegung der «Geheimverträge».<br />

Eigentlich hatten Uni-Rektor Guido Vergauwen<br />

und Stiftungsratspräsident Joseph<br />

Deiss die Antwort gegenüber der WOZ schon<br />

gegeben, in<strong>dem</strong> sie darauf hinwiesen, dass<br />

<strong>mit</strong> der Schaffung des AMI als einer «eigenen<br />

Rechtspersönlichkeit» das Unigesetz entsprechend<br />

angepasst werden müsse. Fm<br />

Nachtrag zum Artikel «Das neue Freiburger<br />

Modell» in WOZ Nr. 13/10.<br />

Teures Winterthur<br />

Zentral und doch ruhig – so möchten viele<br />

gerne wohnen. Zum Beispiel auf <strong>dem</strong> Areal<br />

des ehemaligen Winterthurer Zeughauses. Es<br />

gehört teils der Stadt, teils der Armasuisse, die<br />

die Immobilien der Armee verwaltet. Mit einem<br />

Investorenwettbewerb suchte die Stadt einen<br />

Käufer für das 18 000 Quadratmeter grosse Gelände:<br />

Die Interessierten hatten ein Bauprojekt<br />

und eine Kaufofferte vorzulegen, der Mindestpreis<br />

lag bei 800 Franken pro Quadratmeter.<br />

«Ich würde mich freuen, wenn auch<br />

Wohnbaugenossenschaften am Investorenwettbewerb<br />

teilnehmen würden», sagte SP-Stadträtin<br />

und Baudepartementschefin Pearl Pedergnana<br />

im September zur WOZ. Doch die hatten<br />

keine Chance: Etliche Interessierte boten<br />

so viel, dass der Quadratmeterpreis inzwischen<br />

bei 1679 Franken liegt. Die Gemeinnützige<br />

Wohnbaugenossenschaft hatte ein Projekt geplant,<br />

fiel aber aus <strong>dem</strong> Rennen. Andere, etwa<br />

die Heimstätten-Genossenschaft, traten bei<br />

diesen Bedingungen gar nicht erst an.<br />

Nun hagelt es Kritik. «Das ist Spekulation<br />

in Reinkultur», sagt Martin Hofer vom Zürcher<br />

Immobilienberatungsunternehmen Wüest &<br />

Part ner zum «Landboten». Im Herbst versprach<br />

Stadtpräsident Ernst Wohlwend (SP), die Stadt<br />

werde sich mehr um günstigen Wohnraum<br />

kümmern. Leere Versprechen? Nein: Diese<br />

Woche meldete der Stadtrat, er stelle zwei Parzellen<br />

– insgesamt 24 000 Quadratmeter – für<br />

gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung.<br />

Ein guter Anfang, doch genügen wird das<br />

kaum. dyT<br />

Nachtrag zum Artikel «Die billigen Jahre sind<br />

vorbei» in WOZ Nr. 38/10.


Geschätzter Herr Joseph Blatter<br />

Wir möchten Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken. Wir Schweizer-<br />

Innen können nicht immer stolz auf unsere Nati sein, dafür umso mehr<br />

auf Sie. Aus einem kleinen Verband haben Sie eine riesige Organisation<br />

<strong>mit</strong> Leuten gemacht, die für den Fussball wirklich alles tun. Sie sorgen<br />

dafür, dass Menschen, die in Blechhütten leben müssen, wenigstens ein<br />

modernes Stadion haben. Dank Ihnen liest man in der ausländischen<br />

Presse nicht nur über Schweizer Bankenskandale, umstrittene Initiativen<br />

und Steuerfl ucht. Und nicht zuletzt haben Ihretwegen viele Zürcher<br />

Mädchen nun endlich David Beckham sowie zahlreiche Grossmütter<br />

ihren Prinz William gesehen. Herr Blatter, wir wünschen Ihnen ein<br />

ganz frohes Weihnachtsfest und nächstes Jahr viel Erfolg für die vierte<br />

Kandidatur als Fifa-Präsident. Wir sind sicher, das klappt wieder!<br />

Unser Beitrag zum Fest der Liebe. Ab Januar wieder kritisch.<br />

WOZ_Weihnachtsinserat_291x440mm_d.indd 1 08.12.10 11:43


EKLAmE<br />

SinnloSe WettbeWerbe<br />

«Belohnungen<br />

sind Feinde<br />

der Neugier»<br />

Je mehr Wettbewerb, umso besser, haben<br />

die Neoliberalen jahrelang erfolgreich verkündet.<br />

Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigt,<br />

dass so masslos Leerläufe produziert werden.<br />

INtervIeW: SuSaN BooS<br />

WOZ: Mathias Binswanger, Sie kritisieren in<br />

Ihrem Buch «Sinnlose Wettbewerbe» unter<br />

anderem den Wissenschaftsbetrieb. Sind Sie<br />

selbst Opfer von unsinnigen Wettbewerben?<br />

Mathias Binswanger: Der Begriff «Opfer»<br />

ist übertrieben, aber ich habe den Wettbewerb<br />

zu spüren bekommen.<br />

Wie?<br />

Um in der Wissenschaft Karriere zu machen,<br />

muss man heute auf Teufel komm raus<br />

Artikel publizieren, die dann häufig weder einen<br />

selbst noch sonst jemanden interessieren.<br />

Später merkte ich, dass es solche Phänomene<br />

auch in anderen Bereichen gibt.<br />

Welches Phänomen meinen Sie?<br />

Heute stehen alle Leute, die sich ausserhalb<br />

des Markts bewegen – also zum Beispiel<br />

Lehrer, Ärzte oder Wissenschaftler – unter<br />

<strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung:<br />

Sie leisten nicht genügend, solange man<br />

sie nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche antreibt.<br />

Also inszeniert man Wettbewerb, wo es keinen<br />

Markt gibt. In der Wissenschaft läuft dies zum<br />

Beispiel über Publikationen.<br />

Die, die viel publizieren, gelten als die Besten.<br />

Aber sind sie das auch?<br />

Eben nicht. Man möchte zwar hohe wissenschaftliche<br />

Qualität erzielen. Qualität kann<br />

man aber nicht messen, also nimmt man messbare<br />

Indikatoren – wie die Zahl der Publikationen.<br />

Zwangsläufig richten sich alle nach <strong>dem</strong>,<br />

was gemessen wird. Deshalb wird heute viel<br />

mehr publiziert als früher, nur werden diese<br />

Publikationen zum quantitativen Unsinn.<br />

Wissenschaftler beginnen etwa, ihre Erkenntnisse<br />

scheibchenweise zu veröffentlichen, da<strong>mit</strong><br />

sie es auf möglichst viele Publikationen<br />

bringen.<br />

Machen alle klaglos <strong>mit</strong>, weil sie hoffen, eine<br />

Professur zu ergattern?<br />

Wer eine Professur möchte, kann sich<br />

<strong>dem</strong> kaum entziehen.<br />

Und wenn man das Ganze kritisiert,<br />

riskiert man, als Versager zu gelten – man war<br />

halt nicht gut genug, um im Wettbewerb zu bestehen.<br />

Haben Sie brav unsinnige Artikel publiziert?<br />

Am Anfang habe ich auch <strong>mit</strong>gemacht.<br />

Heute publiziere ich aber nichts mehr, was<br />

mich nicht interessiert. Als Professor an der<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten<br />

muss ich das zum Glück auch nicht tun.<br />

Wie wurden Sie dort Professor?<br />

Die Stelle war ausgeschrieben, ich habe<br />

mich beworben und die Stelle bekommen.<br />

In Ihrem Buch geht es oft um intrinsische<br />

Motivation. Ein furchtbarer Begriff für etwas<br />

Schönes: Leute tun etwas, weil sie es gerne<br />

tun, und nicht des Geldes wegen. Sie lehren an<br />

einer Fachhochschule – weil Sie es gerne tun<br />

oder weil Sie nichts <strong>Besser</strong>es gefunden haben?<br />

(Lacht.) Grundsätzlich machen wir ja<br />

heute fast dasselbe wie die Universitäten, auch<br />

wir betreiben Forschung. Ich geniesse an der<br />

Fachhochschule viel Freiheit und schätze das<br />

sehr – auch sehe ich, dass ich dort Kollegen und<br />

Kolleginnen habe, die ebenfalls <strong>mit</strong> Leidenschaft<br />

lehren und forschen.<br />

Die Schulen für Gestaltung sind ja inzwischen<br />

in die Fachhochschulen integriert. Angehende<br />

Grafiker und Künstlerinnen müssen Forschung<br />

betreiben. Ist das nicht ein Blödsinn?<br />

Da wären wir wieder beim Thema sinnlose<br />

Wettbewerbe: Verglichen <strong>mit</strong> anderen Ländern<br />

gibt es in der Schweiz relativ wenig Aka<strong>dem</strong>iker<br />

und Aka<strong>dem</strong>ikerinnen. Die Schweiz soll<br />

in Zukunft im internationalen Vergleich besser<br />

Mathias Binswanger<br />

Nach einem Volkswirtschaftsstudium an der<br />

Uni St. Gallen promovierte Mathias Binswanger<br />

(48) 1992 in Kassel zum Dr. rer.<br />

pol. Seit 1998 Professor für Volkswirtschaftslehre<br />

und Finance an der Fachhochschule<br />

Nordwestschweiz. Stiftungsrats<strong>mit</strong>glied<br />

der Oikos-Stiftung.<br />

Neuste Publikationen: «Die Tretmühlen des<br />

Glücks – Wir haben immer mehr und<br />

werden nicht glücklicher. Was können<br />

wir tun?» Freiburg 2006. «Globalisierung<br />

und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand<br />

durch weniger Freihandel». Wien 2009.<br />

«Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer<br />

mehr Unsinn produzieren». Freiburg<br />

2010. 239 Seiten. Fr. 30.50<br />

dastehen, deshalb werden nun aka<strong>dem</strong>ische<br />

Lehrgänge kreiert, auch in Bereichen, wo es<br />

überhaupt nicht passt. Angefangen bei den<br />

Pflegeberufen bis zu den Leuten, die Gestaltung<br />

lernen möchten. Sie alle müssen Bachelor­<br />

und Masterarbeiten schreiben, was bei diesen<br />

Berufen oft absurd ist; aber die Aka<strong>dem</strong>ikerquote<br />

der Schweiz steigt dadurch. Das führt zu<br />

sinnlos veraka<strong>dem</strong>isierten Ausbildungen, aber<br />

nicht zu besser ausgebildeten Leuten.<br />

Das Pflegepersonal profitiert doch, wenn es<br />

dank des Mastertitels eine höhere Reputation<br />

geniesst …<br />

Das ist Symptombekämpfung. Wieso<br />

hat man das Pflegepersonal überhaupt je abge­<br />

wertet? Über Jahrzehnte haben wir ver<strong>mit</strong>telt<br />

bekommen, man brauche eine möglichst hohe<br />

Ausbildung. Viele Berufe lernt man besser in<br />

der Praxis. Das ist bekannt, trotz<strong>dem</strong> macht<br />

man jetzt genau das Gegenteil.<br />

Wie schafft man es, Handwerksberufen wieder<br />

einen höheren Status zu verleihen?<br />

Im Moment passiert genau das Umgekehrte:<br />

Diese Berufe leiden unter einem Imageproblem.<br />

Jeder, der irgendwie die Möglichkeit<br />

hat, studiert heute. Handwerkliche Lehren machen<br />

nur noch die, die kein Studium schaffen,<br />

da geht die Qualität in den Handwerksberufen<br />

deutlich zurück. Man muss die Berufslehren<br />

wieder aufwerten, weil das duale Bildungssystem<br />

ein bewährtes und ausgezeichnetes System<br />

darstellt. Eine Berufslehre sollte nicht weniger<br />

wert sein als ein Studium. Ich sage das als Professor<br />

einer Fachhochschule! Es war einer der<br />

grossen Vorteile der Schweiz, dass sie sich der<br />

ganzen Aka<strong>dem</strong>isierung in der Vergangenheit<br />

weitgehend entzogen hat.<br />

Wie hat die Fachhochschule auf Ihr Buch reagiert?<br />

Offiziell gab es keine Reaktion, denn die<br />

Freiheit von Lehre und Forschung gilt nach wie<br />

vor. Nicht wenige Kollegen haben mir aber ihre<br />

Zustimmung zu den im Buch vertretenen Thesen<br />

signalisiert.<br />

Sie sprechen von inszenierten Wettbewerben.<br />

Wie sind die überhaupt entstanden?<br />

Sie entstanden vor <strong>dem</strong> Hintergrund von<br />

simplen Botschaften, welche neoliberale Ökonomen<br />

wie Milton Friedman verbreitet haben:<br />

Markt ist gut, und Staat ist schlecht. Am Anfang<br />

hatten die Friedman­Anhänger wie die Regierung<br />

Thatcher zu Beginn der achtziger Jahre<br />

die Idee, man könne überall Markt einführen,<br />

zum Beispiel auch in der Forschung. Doch es<br />

zeigte sich bald, dass die Grundlagenforschung<br />

auf diese Weise verschwindet. Also hiess es danach:<br />

Wenn schon kein Markt, dann kann man<br />

doch wenigstens Wettbewerb einführen, um<br />

da<strong>mit</strong> auch ohne Markt Effizienz herzuzaubern.<br />

Man hat nicht gemerkt, dass das eigentlich<br />

ein Rückfall in die Planwirtschaft ist.<br />

Schon Lenin hat Anfang der zwanziger Jahre<br />

gesagt: Jetzt, wo wir die Revolution haben,<br />

müssen wir anfangen, den Wettbewerb einzuführen.<br />

Damals war Markt aus ideologischen<br />

Gründen nicht möglich, aber trotz<strong>dem</strong> wollte<br />

man Effizienz – und ist kläglich gescheitert.<br />

Kein Wettbewerb ohne messbare Leistung.<br />

Nur, wie misst man zum Beispiel die Leistung<br />

eines Lehrers?<br />

Das ist genau das Problem, diese Messbarkeitsillusion.<br />

Wenn jemand Autoscheiben<br />

FilmTage Luzern: Menschenrechte<br />

Wirtschaft 7<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Mathias Binswanger: «Heute stehen alle, die sich ausserhalb des Markts bewegen – Lehrer, Ärzte,<br />

Wissenschaftler –, unter <strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung.» foto: LUKAS UNSELD<br />

10. bis 12. Dezember 2010 im stattkino | www.romerohaus.ch/filmtageluzern<br />

einbauen muss, lässt sich messen, wie viel er in<br />

einer Stunde schafft. Bei kreativen Leistungen<br />

funktioniert das nicht mehr. Man kann die<br />

Leute nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche zur<br />

Kreativität zwingen. Dadurch wird auch die intrinsische<br />

Motivation verdrängt: Die Leute, die<br />

die Arbeit eigentlich gerne machen, sind häufig<br />

die, die nach den messbaren Kriterien gar nicht<br />

so gut abschneiden – denen löscht es dann<br />

auch am schnellsten ab, und sie kündigen oder<br />

werden vertrieben. In der Medizin, der Wissenschaft<br />

und der Bildung ist man aber genau<br />

auf diese Leute angewiesen. Wer es nur fürs<br />

Geld macht, ist nicht der ideale Lehrer, Wissenschaftler<br />

oder Arzt.<br />

Verführen Leistungslöhne nicht grundsätzlich<br />

zum Lügen? Man darf ja nie eingestehen, dass<br />

man einen Fehler gemacht hat.<br />

Tatsächlich sind <strong>mit</strong> Leistungslöhnen<br />

die Anreize so gesetzt, dass es besser ist, wenn<br />

man lügt. Diese Kultur entsteht daraus, immer<br />

alle beurteilen zu müssen und ständig alles zu<br />

evaluieren. Man kann nicht jemanden einfach<br />

in Ruhe arbeiten lassen. Der Evaluationswahn<br />

ist unglaublich: Jeder muss immer wissen, wo<br />

er grad im Vergleich zu den anderen steht. Das<br />

ist aber Gift für die Kreativität.<br />

Wie kommt man da wieder raus?<br />

Man muss sich grundsätzlich von der<br />

Idee verabschieden, dass sich Qualität messen<br />

lässt. Zu<strong>dem</strong> sollte man nicht alle als potenzielle<br />

Drückeberger und Faulenzer behandeln.<br />

Die sogenannte Qualitätssicherung löst oft eine<br />

riesige Bürokratie aus, bringt aber nichts. Man<br />

belästigt alle <strong>mit</strong> Kontrollinstrumenten, die eigentlich<br />

nur für die fünf Prozent gedacht sind,<br />

die nicht korrekt arbeiten. Mit den wenigen,<br />

die immer wieder auffallen und für Reklamationen<br />

sorgen, soll man sich beschäftigen. Doch<br />

die überwiegende Mehrheit, die ihre Arbeit gut<br />

macht, die sollte man nicht ständig <strong>mit</strong> Massnahmen<br />

behelligen, die ihnen die Freude an der<br />

Arbeit verderben – und das dann als Qualitätskontrolle<br />

ausgeben.<br />

In Ihrem Buch sagen Sie: «Belohnungen sind<br />

Feinde der Neugier.» Sind Belohnungen schädlich?<br />

Es gibt ein schönes Beispiel: Wenn man<br />

den Kindern Aufgaben gibt und sie frei wählen<br />

lässt, wählen sie die schwierigen Aufgaben.<br />

Sobald man ihnen aber eine Belohnung in Aussicht<br />

stellt, wählen sie die leichten Aufgaben,<br />

weil sie die Belohnung bekommen wollen. Es<br />

gibt ja schon Ideen, man müsse Schüler, die gut<br />

abschneiden, für ihre gute Leistung bezahlen.<br />

Auch beim Lernen will man für immer mehr<br />

künstlichen Wettbewerb sorgen – da hat man<br />

sich ideologisch völlig verrannt.<br />

www.romerohaus.ch


Die NZZ als E-Paper inklusive iPad.<br />

Die «Neue Zürcher Zeitung» und die «NZZ am Sonntag» erhalten Sie jetzt als E-Paper<br />

<strong>mit</strong> iPad und attraktiven Extras: iPad Ihrer Wahl, Wireless Keyboard, Docking Station,<br />

li<strong>mit</strong>ierte NZZ-Schutzmappe sowie beide Zeitungen als E-Paper für 6 Monate.<br />

iPad 16 GB WiFi 3G<br />

Für nur CHF 900.– statt 1’213.–<br />

Inkl. allen Extras<br />

Bestellen Sie jetzt unter nzz.ch/ipad.<br />

iPad 32 GB WiFi 3G<br />

Für nur CHF 1’050.– statt 1’343.–<br />

Inkl. allen Extras<br />

iPad 64 GB WiFi 3G<br />

Für nur CHF 1’150.– statt 1’463.–<br />

Inkl. allen Extras


Wer arm ist, soll unten bleiben: Protest gegen die Erhöhung der Studiengebühren<br />

im Londoner Regierungsviertel Whitehall am 24. November. foto: Wayne Starr, KeyStone<br />

England<br />

Der Aufstand<br />

der Teenager<br />

Drei Aktionstage in drei Wochen und zwei Dutzend<br />

Besetzungen: Schon lange nicht mehr hat es eine<br />

so starke englische Schüler- und Studentinnenbewegung<br />

gegeben wie die gegen die Gebührenerhöhung.<br />

Und selten zuvor waren ihre Ziele so breit gefächert.<br />

Von PeTer STäuber, LonDon<br />

Das hätte man der Facebook-Generation nicht<br />

zugetraut. Weder eisige Kälte und Schnee<br />

noch die Aussicht, erneut von der Polizei eingekesselt<br />

und stundenlang festgehalten zu<br />

werden, konnten die StudentInnen abschrecken.<br />

Zu Tausenden zogen sie letzte Woche<br />

durch London, Manchester, Birmingham und<br />

andere Städte – es war die dritte landesweite<br />

Kundgebung innerhalb von drei Wochen. Die<br />

Pläne der konservativ-liberal<strong>dem</strong>okratischen<br />

Regierung, die Studiengebühren in England<br />

massiv zu erhöhen, haben die grösste Student-<br />

Innenbewegung seit Jahrzehnten entfacht.<br />

«Wir nutzen die elektronischen Medien zur<br />

Organisation der Proteste», erklärte Henry<br />

Parkyn-S<strong>mit</strong>h, der am Dienstag vergangener<br />

Woche auf <strong>dem</strong> Londoner Trafalgar Square<br />

<strong>dem</strong>onstrierte. «Das hat heute gut funktioniert.<br />

Bei der Demo letzte Woche konnte uns<br />

die Polizei einkesseln, aber heute haben wir<br />

mindestens fünf Absperrungen durchbrechen<br />

können. Das zeigt doch, wie stark unsere<br />

Bewegung ist.» Der Achtzehnjährige hat eben<br />

die Mittelschule abgeschlossen und will in<br />

einem Jahr <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Studium beginnen. Ein<br />

grosser Teil der DemonstrantInnen ist noch<br />

ein Stück jünger als er: SchülerInnen im Alter<br />

von fünfzehn und sechzehn Jahren, denen die<br />

Aussicht auf langjährige Schulden Sorgen bereitet,<br />

sind zuvorderst <strong>mit</strong> dabei.<br />

Ihre Befürchtungen sind<br />

berechtigt. So kritisiert der universitäre<br />

Thinktank Million+ in<br />

einer kürzlich veröffentlichten<br />

Studie die Pläne der Regierung.<br />

Anders als in Schottland, wo<br />

die schottisch-nationale Regionalregierung<br />

Studiengebühren<br />

ablehnt, sollen die Gebühren an<br />

englischen Universitäten von<br />

derzeit rund 3300 Pfund – umgerechnet<br />

5100 Franken – auf bis<br />

zu 9000 Pfund pro Jahr steigen.<br />

Diese Massnahme habe eine abschreckende<br />

Wirkung auf StudienanwärterInnen aus ärmeren<br />

Verhältnissen, hielt Million+ fest. Eine<br />

Umfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />

Ipsos Mori kam zum selben Ergebnis: Schon<br />

eine Erhöhung auf jährlich 7000 Pfund hätte<br />

zur Folge, dass zwei Drittel aller potenziellen<br />

BewerberInnen aus der ärmsten sozialen<br />

Schicht auf ein Studium verzichten würden.<br />

Da<strong>mit</strong> – so sagen die Protestierenden – würde<br />

höhere Bildung wieder zum Privileg der Reichen,<br />

wie es vor Jahrzehnten der Fall war.<br />

Vom Widerstand überrascht<br />

Die studentische<br />

Protestbewegung<br />

sucht den<br />

Schulterschluss<br />

<strong>mit</strong> anderen<br />

Gruppierungen.<br />

Dass die Gebührenerhöhung eine solch starke<br />

Reaktion hervorruft, hat viele PolitikerInnen<br />

verblüfft – nicht zuletzt die Liberal<strong>dem</strong>okrat-<br />

Innen, die während des Wahlkampfs noch<br />

versprochen hatten, eine Erhöhung abzulehnen.<br />

Doch nun wird zumindest ein Teil von<br />

ihnen <strong>dem</strong> Vorhaben zustimmen. Kein Wunder,<br />

richtet sich der Zorn der StudentInnen<br />

gegen die Liberal<strong>dem</strong>okratInnen im Kabinett,<br />

allen voran gegen den Parteivorsitzenden und<br />

Vizepremier Nick Clegg. Aber auch die Konservativen<br />

sind Ziel der Proteste, wie sich am<br />

ersten Aktionstag Mitte November zeigte, als<br />

Jugendliche die Tory-Parteizentrale stürmten.<br />

«Wir werden unsere Kampagne noch verschärfen»,<br />

verspricht Clare Solomon, Präsidentin<br />

der Studierendenvertretung der<br />

University of London, «wir werden vermehrt<br />

<strong>dem</strong>onstrieren und zu direkten Aktionen<br />

greifen.» In den letzten Wochen ist die 37-Jährige,<br />

die erst nach Jahren im Beruf ein Studium<br />

aufnahm, zur Anführerin des radikaleren<br />

Flügels der Protestbewegung aufgestiegen.<br />

«Wir haben die National Union of Students<br />

NUS [den Dachverband der Student Innen]<br />

links überholt», sagt Solomon, «jetzt bleibt<br />

ihr nichts übrig, als nachzuziehen.» So unterstützt<br />

die NUS seit ein paar Tagen alle Formen<br />

des friedlichen Protests – auch die Besetzungen<br />

von zwei Dutzend Universitäten im<br />

Land. Seit über zwei Wochen okkupieren Studierende<br />

in Newcastle, Leeds, London, Cambridge<br />

und anderen Orten ihre Hochschulen.<br />

Die BesetzerInnen geniessen dabei breite Unterstützung.<br />

Universitätsangestellte und DozentInnen<br />

bekunden ihre Sympathie und beteiligen<br />

sich zum Teil an dieser Form des Protests,<br />

denn parallel zur Gebührenerhöhung<br />

kürzt die Regierung die staatlichen Zuschüsse<br />

zu den Lehrbudgets um durchschnittlich<br />

achtzig Prozent. Renommierte Einrichtungen<br />

wie die London School of Economics, die Ende<br />

vergangener Woche besetzt wurde, oder die<br />

London School of Oriental and African Studies<br />

(SOAS) bekommen möglicherweise gar<br />

nichts mehr. Die Gebühren werden dort entsprechend<br />

stark angehoben.<br />

Die StudentInnenvereinigung der SOAS<br />

zählt zu den politisch aktivsten. Sie engagiert<br />

sich seit langem in der Umwelt- und der Antikriegsbewegung<br />

und lancierte 2007 eine<br />

Kampagne <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel, eine angemessene<br />

International 9<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Bezahlung für das Putzpersonal durchzusetzen.<br />

Sie war genauso erfolgreich da<strong>mit</strong><br />

wie die Studierenden des University College<br />

London, die zu Beginn ihrer Besetzung einen<br />

höheren Mindestlohn für die schlecht<br />

bezahlten Hilfskräfte verlangten. Die Forderungen,<br />

die die SOAS-BesetzerInnen jetzt an<br />

die Universitätsleitung richten, zeigen, dass<br />

es den Studierenden um weit mehr geht als<br />

nur die Gebühren: «Wir sind gegen alle Ausgabenkürzungen<br />

im öffentlichen Dienst und<br />

bei den Sozialstaatseinrichtungen», heisst<br />

es in ihrer Stellungnahme. Stattdessen solle<br />

sich die Regierung gefälligst «<strong>mit</strong> Steuerhinterziehung<br />

und Bankerboni befassen».<br />

«Die Regierung darf sich fürchten»<br />

Da die Regierung die höheren Studiengebühren<br />

und die Demontage des Wohlfahrtsstaats<br />

<strong>mit</strong> der Notwendigkeit des Defizitabbaus<br />

begründet, suchen die StudentInnen<br />

den Schulterschluss <strong>mit</strong> anderen Gruppierungen.<br />

Denn nach einem zögerlichen Start<br />

kommt nun eine breite Widerstandsbewegung<br />

ins Rollen: Ende November fand die<br />

Gründungskonferenz der sogenannten Coalition<br />

of Resistance statt, die die diversen Kampagnen<br />

gegen Ausgabenkürzungen in allen<br />

Sektoren koordiniert. Initiiert<br />

hat die Koalition der grosse alte<br />

Mann der britischen Linken,<br />

der <strong>mit</strong>tlerweile 85 Jahre alte<br />

frühere Technologie-, Industrie-<br />

und Energieminister Tony Benn.<br />

Die Konferenz erhielt grossen<br />

Zuspruch: 1300 Gewerkschafts<strong>mit</strong>glieder<br />

aus allen Branchen,<br />

Aka<strong>dem</strong>iker und Schülerinnen,<br />

VertreterInnen der Rentnerverbände<br />

und Labour-Abgeordnete,<br />

AntikriegsaktivistInnen und<br />

Kulturschaffende trafen sich in<br />

London, um <strong>dem</strong> Widerstand gegen das Kürzungsprogramm<br />

einen ersten Schub zu verpassen.<br />

An einem Erfolg zweifeln weder die Konferenzteilnehmer<br />

noch die Studentinnen.<br />

Ihre bisher grösste Demonstration ist für diesen<br />

Donnerstag geplant – dann stimmen die<br />

Unterhausabgeordneten über die Studiengebühren<br />

ab. Die Coalition of Resistance erwartet,<br />

dass zahlreiche Gewerkschaften die SchülerInnen<br />

und Studierenden unterstützen. So<br />

haben Londoner StudentInnenvertretungen<br />

und die gewerkschaftlich organisierten Londoner<br />

U-Bahn-ArbeiterInnen eine Erklärung<br />

verfasst: Sie werden künftig gemeinsam zu<br />

den Protesten gegen Gebührenerhöhungen<br />

und den Stellenabbau in der Londoner Underground<br />

mobilisieren. «Die Regierung hat allen<br />

Grund, sich zu fürchten», hofft Henry Parkyn-S<strong>mit</strong>h.<br />

«In der Vergangenheit standen<br />

Studentenbewegungen oft am Anfang von<br />

grösseren gesellschaftlichen Umwälzungen.<br />

Das wird auch diesmal so sein.»<br />

Flashmobs in britanniEn<br />

Gegen Steuerbetrug<br />

Letzten Samstag waren sie wieder unterwegs:<br />

In mehreren Städten marschierten jeweils<br />

ein Dutzend AktivistInnen in 22 Filialen der<br />

Modekette Topshop. Sie verteilten Flugblätter,<br />

pappten sich <strong>mit</strong> Spezialkleber an Fenster<br />

und Türen fest oder zogen den Schaufensterpuppen<br />

«Steuerschwindler»-T-Shirts über.<br />

Topshop ist Teil der Arcadia-Handelsgruppe<br />

des Milliardärs und Regierungsberaters Philip<br />

Green, der den Konzern seiner Frau überschrieben<br />

hat. Und die hat ihren Wohnsitz in<br />

der Steueroase Monaco.<br />

Vor ein paar Wochen hatten die Flashmobs<br />

der Initiative UK Uncut, die sich <strong>dem</strong><br />

Kürzungsprogramm der Regierung und den<br />

von ihr akzeptierten Steuerschlupflöchern<br />

widersetzt, Vodafone-Shops besucht. Der<br />

Mobilfunkkonzern spart dank eines Deals<br />

<strong>mit</strong> den Finanzämtern umgerechnet 9,3<br />

Milliarden Franken an Steuergeldern. Insgesamt<br />

entgehen <strong>dem</strong> britischen Fiskus schätzungsweise<br />

jährlich 109 Milliarden Franken<br />

durch illegale Steuerhinterziehung und 39<br />

Milliarden durch legale Steuervermeidung<br />

wie die Verlagerung von Konzernzentralen.<br />

Vergangene Woche hat der US-Konzern Kraft<br />

bekannt gegeben, dass er den Sitz seiner britischen<br />

Tochtergesellschaft Cadbury’s aus<br />

Steuergründen in die Schweiz verlegt – und<br />

das <strong>mit</strong> Zustimmung einer Regierung, die vor<br />

allem die Armen für die Bankenrettung bluten<br />

lässt. Doch <strong>mit</strong>tlerweile spüren die Unternehmen<br />

den überaus populären Protest: Die<br />

UK-Uncut-Aktion hat Vodafones Image, so ergaben<br />

Umfragen, ziemlich lädiert. Pw<br />

www.ukuncut.org.uk


Kommentar von Ruedi Küng<br />

Die Spaltung des<br />

Landes hat eine<br />

unheilvolle Tradition<br />

Der bisherige Staatspräsident der Elfenbeinküste klammert sich<br />

an seinem Amt fest und riskiert dafür einen neuen Krieg.<br />

Vorbilder dafür gibt es auf <strong>dem</strong> afrikanischen Kontinent leider viele.<br />

Zwei Politiker, die sich Beifall klatschen: Laurent gbagbo, der sich zum Wahlsieger ernannt hat,<br />

und Alassane ouattara, der offizielle Sieger. fotos: Keystone<br />

Der Staatsstreich in der Elfenbeinküste (Côte<br />

d’Ivoire) hatte <strong>mit</strong> einem Handstreich begonnen.<br />

Damana Pickass aus <strong>dem</strong> Kreis des bisherigen<br />

Präsidenten Laurent Gbagbo riss am 1. Dezember<br />

<strong>dem</strong> Sprecher der ivorischen Wahlkommission<br />

CEI, Bamba Yacouba, die Zettel <strong>mit</strong> den<br />

Teilresultaten der Stichwahl um das Präsidentenamt<br />

aus der Hand, als dieser sie öffentlich<br />

verkünden wollte. Die Resultate deuteten auf<br />

einen Sieg von Alassane Dramane Ouattara hin.<br />

Gbagbos Getreuen gelang es, die CEI daran<br />

zu hindern, die Wahlresultate innerhalb von<br />

drei Tagen zu veröffentlichen, wie es das Wahlgesetz<br />

vorschreibt. Sie behaupteten, die Resultate<br />

seien in sieben Verwaltungsbezirken des<br />

Nordens, wo Ouattara am meisten Anhänger­<br />

Innen hat, gefälscht worden. Dennoch verkündete<br />

die CEI am 2. Dezember den Sieg Ouattaras<br />

<strong>mit</strong> 54 Prozent der Stimmen. Ouattara wurde<br />

daraufhin als neuer Präsident vereidigt.<br />

Laurent Gbagbo beeindruckte das jedoch<br />

nicht. Er liess sich gleichentags vom Verfassungsrat<br />

zum Wahlsieger (<strong>mit</strong><br />

angeblich 51,45 Prozent der<br />

Stimmen) ausrufen und legte<br />

kurz darauf den Amtseid ab. Seither<br />

hat die Elfenbeinküste zwei<br />

Präsidenten und zwei Premierminister,<br />

die jeweils den Auftrag<br />

haben, eine Regierung zu bilden.<br />

Und Gbagbos kalter Staatsstreich<br />

droht zu einem heissen Konflikt<br />

zu eskalieren.<br />

Die Präsidentenwahl in der<br />

Elfenbeinküste erinnert unheilvoll<br />

an die Ereignisse in Kenia<br />

Laurent Gbagbos<br />

kalter Staatsstreich<br />

droht<br />

zu einem heissen<br />

Konflikt<br />

zu eskalieren.<br />

2007/08. Damals verfolgte Kenias Bevölkerung<br />

am Bildschirm die Wahlergebnisse, die aus den<br />

Wahlkreisen des Landes im Wahlzentrum eintrafen.<br />

Als sich der Sieg von Raila Odingas Oppositionspartei<br />

abzeichnete, wurde die Fernsehübertragung<br />

der Hochrechnungen plötzlich<br />

gestoppt. In einer Nacht­und­Nebel­Aktion<br />

liess Amtsinhaber Mwai Kibaki im staatlichen<br />

Radio und im Fernsehen seinen Sieg bekannt<br />

geben und sich wenig später für eine weitere<br />

Amtszeit vereidigen. Kibaki löste so eine Spirale<br />

ethnisch motivierter Gewalt aus. Um ihren<br />

Sieg betrogene Politiker hetzten gewalttätige<br />

Banden gegen BürgerInnen, die Kibakis Volksgruppe<br />

der Kikuyu angehörten. Radikale Kikuyus<br />

wiederum rächten sich an den Volksgruppen<br />

von Raila Odinga und dessen Verbündeten.<br />

Weit über tausend Menschen wurden getötet,<br />

bis zu 200 000 vertrieben.<br />

Auch in der Elfenbeinküste sind radikale<br />

ParteianhängerInnen Gbagbos und Ouattaras<br />

bereits gewalttätig gegen GegnerInnen vorgegangen.<br />

Bisher wurden dabei rund zwanzig<br />

Menschen getötet.<br />

Laurent Gbagbo will die Macht nicht abgeben,<br />

so wenig wie es Mwai Kibaki tat. Oder<br />

Simbabwes Robert Mugabe, der nach der Niederlage<br />

bei den Parlamentswahlen 2008 seine<br />

Schergen in der Polizei und <strong>dem</strong> Militär so lange<br />

auf die Oppositionellen hetzte, bis diese resignierten.<br />

Auch Ugandas Yoweri Museveni will<br />

von der Macht nicht lassen, nicht Äthiopiens<br />

Meles Zenawi, nicht Hosni Mubarak von Ägypten,<br />

nicht Angolas José Eduardo Dos Santos –<br />

Vorbilder gibt es für Gbagbo in Afrika viele.<br />

Gbagbo bekämpft Ouattara <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Argument,<br />

dieser habe 2002 den Bürgerkrieg des<br />

Nordens gegen den Süden ausgelöst, der das<br />

Land gespalten hat. Es ist ihm offenbar egal,<br />

dass er <strong>mit</strong> seinem Machtanspruch jetzt den<br />

langwierigen und delikaten Friedensprozess<br />

seit 2007 zunichte macht und einen neuen Konflikt<br />

entfacht.<br />

Derweil versuchen die umliegenden<br />

Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

auf Ersuchen der Uno, die ivorische<br />

Krise beizulegen. Dass sie dabei Ouattara klar<br />

als Wahlsieger anerkennen und Gbagbo zum<br />

Rücktritt auffordern, ist erfreu­<br />

lich mutig, macht aber ihre Aufgabe<br />

nicht leichter. Denn dieser<br />

will von Ver<strong>mit</strong>tlung nichts wissen,<br />

geschweige denn von Rücktritt.<br />

Von einer Machtteilung<br />

der gegnerischen Lager, wie dies<br />

im Falle Kenias und Simbabwes<br />

geschah, halten die Ver<strong>mit</strong>tler­<br />

Innen nichts. Nach äusserst zähen<br />

Verhandlungen waren dort<br />

«Regierungen der nationalen<br />

Einheit» der verfeindeten Machtblöcke<br />

gebildet worden – <strong>mit</strong><br />

sehr beschränktem Resultat in Kenia und kläglichem<br />

Ergebnis in Simbabwe. Doch wie <strong>dem</strong><br />

Machtanspruch Gbagbos begegnet werden soll,<br />

bleibt unklar.<br />

Zur ivorischen Politik gehört, dass es<br />

die Bevölkerung als das Beste erachtet, den<br />

Vertreter der jeweils eigenen Volksgruppe zu<br />

wählen. So bestimmen drei Politiker – Konan<br />

Bédié, Laurent Gbagbo und Alassane Ouattara<br />

– seit fünfzehn Jahren direkt oder indirekt<br />

die Geschicke des westafrikanischen Landes.<br />

1995 schaltete Bédié <strong>mit</strong> seiner rassistischen<br />

Politik Gbagbo und Ouattara aus und übernahm<br />

die Macht. Fünf Jahre später hievte sich<br />

Gbagbo <strong>mit</strong> derselben rassistischen Politik<br />

und der Ausschaltung Ouattaras ins höchste<br />

Amt und hat es seither trotz der Rebellion im<br />

Norden 2002 und der Spaltung des Landes<br />

inne. Dass es nun an Ouattara ist, zu regieren,<br />

entspricht <strong>dem</strong> Resultat der jüngsten Wahlen,<br />

die von Beob achterInnen als die bisher fairsten<br />

betrachtet werden. Ob Ouattara sein Amt antreten<br />

und die Aufgabe übernehmen kann, das<br />

ruinierte Land wieder auf die Beine zu bringen,<br />

ist fraglich. Denn Gbagbo klammert sich an die<br />

Macht. Um jeden Preis.<br />

militäreinSatz in Spanien<br />

General Franco lässt grüssen<br />

Keine Frage: Die harten Massnahmen der sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />

PSOE­Regierung gegen<br />

die FluglotsInnen kommen bei der spanischen<br />

Bevölkerung gut an. Zu Beginn des längsten<br />

Ferienwochenendes des Jahres hatten neunzig<br />

Prozent der in der Fluglotsengewerkschaft Usca<br />

organisierten Beschäftigten die Arbeit niedergelegt<br />

oder waren gar nicht zum Dienst erschienen.<br />

So herrschte auf den spanischen Flughäfen<br />

zwei Tage lang Chaos. 4410 Flüge fielen aus,<br />

rund 650 000 Passagiere sassen am Boden fest.<br />

Ein gutes Timing, könnte man meinen.<br />

Doch den Zeitpunkt der Auseinandersetzung<br />

hatte – nicht ohne Hintergedanken – die Regierung<br />

bestimmt. Seit Anfang Jahr liegt die Usca<br />

<strong>mit</strong> der staatlichen Flughafengesellschaft Aena<br />

und der Regierung im Clinch. Im Februar hatte<br />

Transportminister José Blanco angekündigt,<br />

dass er die Gehälter senken und die Arbeitszeit<br />

von 1200 auf 1670 Stunden im Jahr verlängern<br />

wolle. Dadurch – und durch den Abbau von<br />

Überstunden – hoffte die Regierung, die Kosten<br />

für einen Arbeitsplatz von durchschnittlich<br />

350 000 auf 200 000 Euro zu drücken. Die spanischen<br />

FlugraumüberwacherInnen verdienen<br />

da<strong>mit</strong> zwar immer noch mehr als viele ihrer<br />

europäischen KollegInnen und weitaus mehr<br />

als die grosse Mehrheit der Bevölkerung, deren<br />

Monatslohn bei durchschnittlich 1500 Euro<br />

«Stuttgart 21»<br />

Stresstest für Grüne<br />

Mit seinem Schlichterspruch zum umstrittenen Projekt für den Neubau<br />

des Stuttgarter Hauptbahnhofs hat sich der CDU­Politiker Heiner Geissler<br />

der Macht gebeugt und möglicherweise seine Partei gerettet.<br />

Von PiT Wuhrer, KonSTanz<br />

Es sollte ein «<strong>dem</strong>okratisches Experiment»<br />

werden, ein Lehrstück für den richtigen Umgang<br />

des Staates und der Politik <strong>mit</strong> den BürgerInnen.<br />

Ein Lehrstück waren die achttägigen<br />

Schlichtungsgespräche, bei denen fast alle<br />

KontrahentInnen des umstrittenen Immobilien­<br />

und Bahnhofprojekts «Stuttgart 21» (S21)<br />

an einem Tisch sassen, in der Tat – denn sie<br />

zeigten, wer die Macht hat. So tauchten im Verlauf<br />

des Gesprächsmarathons zwar viele Fakten<br />

auf, die die Kritik am milliardenteuren Tiefbahnhof<br />

(siehe WOZ Nr. 32/10) untermauerten.<br />

Zwar wurde auch sehr sachlich argumentiert.<br />

Aber dann, gegen Ende des Schlagabtauschs,<br />

formulierte Bahnvorstands<strong>mit</strong>glied Volker Kefer<br />

ein paar Sätze, die klar machten, welchen<br />

Zweck die Schlichtung für den Bund, das Land,<br />

die Stadt und die Deutsche Bahn AG vor allem<br />

hatte: Sie sollte <strong>dem</strong> Protest die Spitze nehmen.<br />

Therapeutische veranstaltung<br />

«Wir haben die Rechtstitel», sagte Kefer in die<br />

Runde und den Hunderttausenden, die die<br />

Liveübertragung der Schlichtung vor <strong>dem</strong><br />

Fernseher verfolgten, und: «Wir werden jeden<br />

Prozess führen, um unsere Ansprüche durchzusetzen.»<br />

Mit anderen Worten: Die Verträge<br />

und Beschlüsse der politischen Gremien und<br />

Gerichte sind bindend, wir klagen sie ein, und<br />

die ProjektgegnerInnen können uns den Buckel<br />

runterrutschen.<br />

Schon von daher, kritisierte beispielsweise<br />

die «Süddeutsche Zeitung», war der Dialog<br />

«von Anfang bis Ende eine asymmetrische Veranstaltung»;<br />

sie war «therapeutisch angelegt,<br />

nicht offen». Dazu kam, dass Moderator Heiner<br />

Geissler (CDU) zwar eine Debatte über die Mängel<br />

des Projekts (etwa die Behindertenfeindlichkeit<br />

des Tiefbahnhofkonzepts) zuliess, die<br />

grossen Themen aber aussparte. Beispielsweise<br />

die Auswirkungen von S21 auf andere Schienenverkehrsprojekte<br />

– wie den dringend benötigten<br />

Ausbau der Rheintalstrecke zwischen<br />

Karlsruhe und Basel (ohne den der Gotthardbasistunnel<br />

eine innerschweizerische Angelegenheit<br />

bleibt) oder der Gäubahn, die Stuttgart und<br />

Zürich verbindet. Die Milliarden, die in den<br />

Stuttgarter Untergrund gebuttert werden sollen,<br />

fehlen für viel wichtigere Vorhaben.<br />

«nachbesserungen»<br />

Entsprechend widersprüchlich war am Schluss<br />

Geisslers nicht bindendes Fazit. Er plädierte<br />

für Nachbesserungen an S21, lehnte aber einen<br />

Baustopp ab (die Bahn darf auf Basis ihrer<br />

alten Pläne weiterbauen). Er empfahl einen<br />

Stresstest, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> am Computer die von der<br />

international 11<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

brutto liegt. Aber widerspruchslos wollten sie<br />

den Abbau nicht hinnehmen – zumal die Kürzungen<br />

in Zusammenhang <strong>mit</strong> einer geplanten<br />

Privatisierung der Flughäfen stehen.<br />

Die Verhandlungen zogen sich hin – bis<br />

die Regierung am vergangenen Freitag eine<br />

neue Dienstzeitenregelung per Dekret verordnete<br />

und obendrein ankündigte, die Grossflughäfen<br />

Madrid und Barcelona einem privaten<br />

Management zu unterstellen. Als den<br />

LotsInnen daraufhin der Kragen platzte, rief<br />

die Regierung – die sich nach wie vor «sozialistisch»<br />

nennt – erstmals seit <strong>dem</strong> Ende der<br />

Franco­Diktatur den Ausnahmezustand aus:<br />

Sie übertrug <strong>dem</strong> Militär die Luftraumüberwachung.<br />

Daraufhin stürmten Soldaten die<br />

Kontrolltürme und zwangen die LotsInnen <strong>mit</strong><br />

vorgehaltener Waffe zur Arbeit. Die Beschäftigten<br />

wurden zu<strong>dem</strong> der Militärgerichtsbarkeit<br />

unterstellt. Bei Zuwiderhandlung drohen<br />

Haftstrafen von bis zu zehn Jahren.<br />

Die Ausnahmeregeln werden vermutlich<br />

bis über Weihnachten gelten; die Regierung hat<br />

lautstark versichert, dass während der Feiertage<br />

alle LotsInnen auf ihren Posten sind. Bleibt<br />

die Frage, was <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> bereits angekündigten<br />

Streik der PilotInnen passiert. Wird denen<br />

dann auch das Militär auf den Hals geschickt?<br />

DoroT hea Wuhrer, SeV i LLa<br />

Bahn versprochene Leistungssteigerung des<br />

geplanten Tiefbahnhofs simuliert werden soll –<br />

obwohl die Gespräche ergeben haben, dass die<br />

Bahn Zahlen und Untersuchungsergebnisse<br />

meist unter Verschluss hält. Einen Tag nach<br />

<strong>dem</strong> Schlichtungsspruch nahm CDU­Landesverkehrsministerin<br />

Tanja Gönner das Ergebnis<br />

auch gleich vorweg: Das gehe schon glatt.<br />

Zu<strong>dem</strong> ignorierte Geissler die ökologischen,<br />

verkehrspolitischen und finanziellen<br />

Vorteile einer Modernisierung des bestehenden<br />

Kopfbahnhofs und sprach sich stattdessen<br />

für die Einrichtung einer Stiftung aus. Sie soll<br />

verhindern, dass die hundert Hektaren grosse<br />

innerstädtische Fläche – die durch die Tieflegung<br />

des Bahnhofs frei wird – SpekulantInnen<br />

anheimfällt. Was für ein Widersinn, was für<br />

ein Placebo: Die Grundstücke gehören <strong>mit</strong>tlerweile<br />

der Stadt. Was soll da eine Stiftung, in der<br />

«Bürger, Gemeinderäte und neutrale Dritte»<br />

die Kontrolle haben? Ist die parlamentarische<br />

Demokratie in Stuttgart so auf den Hund gekommen?<br />

Und falls ja: Warum dürfen dann die<br />

StuttgarterInnen nicht per Volksentscheid über<br />

ein Projekt befinden, das ein Kernstück der von<br />

der schwarz­gelben Koalition in Berlin weiter<br />

betriebenen Bahnprivatisierung ist?<br />

Cdu gewinnt an Boden<br />

Sein Spruch hatte dennoch die erhoffte Wirkung:<br />

In den letzten Umfragen konnten die S21­<br />

BefürworterInnen Boden gutmachen, die CDU<br />

gewann etliche Prozente hinzu. Das stürzt die<br />

Grünen, die sich erst spät zur S21­Opposition<br />

gesellten, in ein Dilemma. Sie verdanken ihren<br />

Popularitätszuwachs vor allem enttäuschten<br />

CDU­und FDP­WählerInnen, die nach Geisslers<br />

Fazit einen weiteren Widerstand gegen S21<br />

kaum goutieren dürften. Man be grüsse das<br />

Schlichtungsergebnis, hiess es daher am vergangenen<br />

Wochenende auf <strong>dem</strong> grünen Landesparteitag<br />

in Freiburg. Sollte sich die Partei<br />

(die nach der Landtagswahl Ende März 2011<br />

den Ministerpräsidenten stellen will) da<strong>mit</strong><br />

begnügen, verliert sie jedoch den Rückhalt der<br />

S21­GegnerInnen. Und die kommen aus allen<br />

sozialen Schichten.<br />

Am vergangenen Samstag hatte die Stuttgarter<br />

Initiative der ParkschützerInnen – die an<br />

den Gesprächen nicht teilnahm – rund 10 000<br />

DemonstrantInnen gegen S21 und den Schlichterspruch<br />

mobilisieren können. Jetzt hängt alles<br />

davon ab, wie viele Menschen am kommenden<br />

Samstag <strong>dem</strong> Aufruf des Aktionsbündnisses<br />

folgen. Sind es mehrere Zehntausend, ist<br />

alles wieder offen.<br />

Samstag, 11. dezember, 14 uhr: grosskundgebung<br />

und <strong>dem</strong>o gegen S21. vor <strong>dem</strong> Hauptbahnhof


12 International<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

reklame<br />

Klimawandel und megastädte<br />

Der<br />

Cucaracha-<br />

Effekt<br />

Vor zwanzig Jahren galt Mexiko-Stadt als die<br />

giftigste Stadt der Welt. Inzwischen hat<br />

die Stadtregierung einiges verändert und<br />

ein ehrgeiziges Programm zum Klimaschutz<br />

entwickelt.<br />

Von BErnharD PöttEr, MExIko-StaDt<br />

Der Blick über die Müllkippe von Mexiko-Stadt<br />

reicht bis zum Horizont. Kilometerweit Sand<br />

und Erde, Kräuter und Traktorspuren: Bordo<br />

Poniente wirkt mehr wie eine vernachlässigte<br />

Wüste als wie ein Ort, an <strong>dem</strong> der Dreck von<br />

über zwanzig Millionen Menschen abgeladen<br />

wird. Nur in der Nähe der Eingangstore, wo<br />

die fünfzehn Meter mächtige Müllschicht noch<br />

nicht <strong>mit</strong> Sand bedeckt ist, sieht und riecht<br />

man, dass hier täglich 38 000 Tonnen Plastikmüll,<br />

Speisereste, Schutt und Dreck ankommen.<br />

Über <strong>dem</strong> Müllgebirge hängen Vogelschwärme,<br />

unten verschieben Bagger die Massen, dazwischen<br />

suchen Menschen nach Verwertbarem.<br />

Doch da<strong>mit</strong> ist bald Schluss. Bordo Poniente<br />

ist voll und soll in einem Jahr geschlossen<br />

werden. Ein kleiner Schritt in Richtung mehr<br />

Klimaschutz. Denn die riesige Deponie produziert<br />

grosse Mengen des Faulgases Methan,<br />

das bis jetzt abgefackelt oder als Klimagift in<br />

die Atmosphäre entlassen wird. Künftig soll<br />

es aufgefangen werden, in einem Kraftwerk<br />

Strom erzeugen und der Atmosphäre jährlich<br />

1,4 Millionen Tonnen CO2 ersparen. Die Pläne<br />

sind gemacht, der Zeitplan steht. Zur Umsetzung<br />

fehlen jedoch die technische Hilfe aus<br />

<strong>dem</strong> Ausland, Investitionskapital und staatliche<br />

Subventionen.<br />

4,5 Millionen Autos<br />

Mexiko-Stadt hat in den letzten zwanzig Jahren<br />

einen dramatischen Wandel durchgemacht:<br />

von der «giftigsten Stadt der Welt», wo die Vögel<br />

bei Smog tot vom Himmel fielen, zu einer<br />

Kommune, die von der Weltbank als Vorreiterin<br />

im Kampf gegen den Klimawandel gelobt<br />

wird. Der weitere Erfolg hängt von zwei Faktoren<br />

ab: Bekommt die Stadt ihr wahnwitziges<br />

Wachstum in den Griff? Und bekommt sie genügend<br />

Geld zur Umsetzung ihrer Projekte?<br />

Die Vision von einem schönen neuen Mexiko-Stadt<br />

hängt im Büro von Martha Delgado.<br />

Sie ist die Umweltministerin der Metropole. Der<br />

Blick aus ihrem Bürofenster im Rathaus fällt<br />

meist in einen grau verschleierten, diesigen<br />

Himmel. Auf <strong>dem</strong> Foto an der Wand allerdings<br />

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den<br />

Recherchierfonds des Förder vereins ProWOZ.<br />

Dieser Fonds unterstützt Recherchen und<br />

Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten<br />

der WOZ übersteigen. Er speist sich aus<br />

Spenden der WOZ-Leser Innen.<br />

Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich,<br />

PC 80-22251-0<br />

zeigt sich die Stadt unter tiefblauem Himmel<br />

<strong>mit</strong> klarem Blick auf zwei schneebedeckte Vulkane<br />

– und weil das so selten vorkommt, ist das<br />

Foto datiert: 20. Februar 2010. «Wir planen die<br />

Revolution», sagt Delgado energisch, «denn so<br />

kann es nicht weitergehen.»<br />

Nur noch jeden zweiten Tag<br />

Was sie <strong>mit</strong> «so» meint, zeigt sich täglich auf<br />

den Strassen der Megastadt. Auf der zentralen<br />

Nord-Süd-Achse Avenida Insurgentes drängen<br />

sich auf sechs Spuren hupend<br />

Taxis, Minibusse, Baumaschinen,<br />

rostige Pick-up-Trucks und bullige<br />

Geländewagen. Zwischendrin<br />

versuchen PolizistInnen,<br />

<strong>mit</strong> viel Getriller das Chaos zu<br />

kontrollieren. Auf den engen<br />

Trottoirs schiebt sich eine Menschenmasse<br />

an den Autowerkstätten,<br />

Schnellrestaurants und<br />

fliegenden HändlerInnen vorbei.<br />

Durch alle Strassen fahren die<br />

Autolawinen im Schritttempo.<br />

Für die Menschen ist es normal,<br />

dass sie morgens und abends jeweils<br />

zwei Stunden zur Arbeit pendeln.<br />

Doch gerade hier ist auch Delgados Revolution<br />

unterwegs: In der Mitte der Strasse rauschen<br />

feuerrote Gelenkbusse auf einer eigenen<br />

Spur am Stau vorbei. Die Metrobusse gehören<br />

zum Plan der Stadtverwaltung, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bürgermeister<br />

Marcelo Ebrard Casaubon versucht,<br />

den Verkehr in den Griff zu bekommen. Denn<br />

fast die Hälfte aller klimaschädigenden Gase<br />

in Mexiko-Stadt kommt aus den Auspuffen<br />

der 4,5 Millionen Autos. Ebrard und Delgado<br />

haben versprochen, die Hauptstadt werde bis<br />

2012 ihre Emissionen um zwölf Prozent senken.<br />

In Mexiko-Stadt ist es gegenwärtig vier Grad<br />

Celsius wärmer als noch vor hundert Jahren: einerseits,<br />

weil die Stadt so schnell gewachsen ist<br />

und die Hitze speichert, andererseits wegen des<br />

Klimawandels.<br />

Die Entgiftungskur hat Mexiko-Stadt<br />

schon geschafft: Die Verwaltung vertrieb Mitte<br />

der neunziger Jahre die Bleischmelzen und die<br />

Ölraffinerie aus der Stadt und verbot verbleites<br />

Benzin. Seit<strong>dem</strong> sind die Werte für Schwefel,<br />

Blei, Ozon und Feinstaub massiv gesunken. Die<br />

Stadtverwaltung verweist stolz darauf, dass<br />

man die Grenzwerte für Ozon und Feinstaub<br />

nur noch jeden zweiten Tag überschreite. Sie<br />

baut die U-Bahn aus und fördert den <strong>Bus</strong>verkehr,<br />

hat alte Fahrzeuge aus <strong>dem</strong> Verkehr gezogen<br />

und will ein anderes Müllkonzept <strong>mit</strong><br />

mehr Recycling.<br />

Aber beim Kampf gegen die klimaschädigenden<br />

Gase braucht Mexiko-Stadt finanzielle<br />

Spenden Sie, da<strong>mit</strong> Pascal dabei sein kann.<br />

Smog bleibt ein Problem für Mexiko-Stadt – trotz verbessertem Umweltschutz. foto: Jorge Uzon, keystone<br />

Feuerrote<br />

Gelenkbusse<br />

rauschen auf<br />

einer eigenen<br />

Spur am<br />

Stau vorbei.<br />

Hilfe. Weil es vielen Kommunen so geht, hatten<br />

Delgado und Ebrard zwei Wochen vor <strong>dem</strong> Klimagipfel<br />

in Cancún KollegInnen aus aller Welt<br />

eingeladen. Im Mexiko-Stadt-Pakt forderten<br />

die KommunalpolitikerInnen direkten Zugriff<br />

auf internationale Klimaschutzgeldtöpfe.<br />

Auch die Weltbank vertritt die Meinung, dass<br />

sich solche Investitionen lohnen würden. Städte<br />

könnten einen entscheidenden Faktor im<br />

Kampf gegen die Erderwärmung spielen, heisst<br />

es in einem auf <strong>dem</strong> Klimagipfel veröffentlichten<br />

Bericht (vgl. «Radikale Neuplanung für<br />

Megastädte»). Die Kommunen<br />

seien gross genug, um etwas zu<br />

bewirken, und klein genug, um<br />

beweglich zu sein.<br />

Dennoch ist das Beispiel<br />

Mexiko-Stadt <strong>mit</strong> Skepsis zu betrachten.<br />

Die Stadt wächst jährlich<br />

um 300 000 Menschen und<br />

200 000 Autos. Sie hat bisher nur<br />

im Schnellverfahren nachgeholt,<br />

was in vielen Städten bereits<br />

umgesetzt wurde: Die Industrie<br />

wird aus der Innenstadt verdrängt<br />

und die Luftverschmutzung<br />

deutlich gesenkt, doch vor<br />

<strong>dem</strong> weiter wachsenden Verkehr kapitulieren<br />

die meisten.<br />

Mexiko-Stadt habe ein ehrgeiziges Programm<br />

zum Klimaschutz aufgelegt und die<br />

richtigen Massnahmen benannt, sagt der Umweltwissenschaftler<br />

Rodolfo Lacy. Dennoch<br />

hinke das Programm bei der Umsetzung noch<br />

weit hinterher. «Der Klima-Aktionsplan ist<br />

eine tolle Sache», sagt Lacy, «aber er wird kein<br />

Treibhausgas einsparen.» Die Regierung fördere<br />

zwar den öffentlichen Verkehr, baue aber<br />

die welt wird zur stadt<br />

gleichzeitig neue Umgehungsstrassen und erweitere<br />

die Stadtautobahn. «Bald sind Wahlen.<br />

Der Bürgermeister macht sich Hoffnung auf die<br />

Präsidentschaft und will die Mittelklasse nicht<br />

verschrecken.» Die Umweltpolitik der Hauptstadt<br />

leide unter <strong>dem</strong> «Cucaracha-Effekt»: So<br />

wie Kakerlaken weghuschen, sobald man das<br />

Licht macht, so vertreibe die Umweltpolitik<br />

im Zentrum die schmutzigen Firmen und dreckigen<br />

Autos nur in die Aussenbezirke.<br />

Ein Auto weniger<br />

Ähnlich kritisch ist auch Areli Carreón. Die<br />

Präsidentin der Velogruppe Biciteka steht in<br />

ihrer kleinen Werkstatt im Central del Pueblo,<br />

einem alten Palast aus der Kolonialzeit, in den<br />

Künstler und Aktivistinnen eingezogen sind.<br />

«Zehn Jahre lang sind wir wegen unserer Ideen<br />

ausgelacht worden», sagt Carreón. Sie lehnt ihr<br />

Velo <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Schild «Ein Auto weniger» an die<br />

Wand und legt den Helm ab. «Jetzt ist die Förderung<br />

für bessere Wege für Velos und Fussgänger<br />

offizielle Politik.» Gleichzeitig habe sich<br />

aber wenig daran geändert, dass die Verkehrspolitik<br />

vor allem durch die Windschutzscheibe<br />

betrachtet werde.<br />

So habe die Regierung 2007 versprochen,<br />

300 Kilometer Radwege zu bauen: «Bis<br />

jetzt sind es vier Kilometer», sagt Carreón. Und<br />

auch bezüglich des Vorzeigeprojekts «Metrobus»<br />

sind die Fahrrad-AztekInnen, wie sie sich<br />

nennen, geteilter Meinung: «Vorher waren die<br />

Fahrspuren breit genug, dass wir am Strassenrand<br />

fahren konnten», sagt sie. «Durch die eigene<br />

Spur für den Metrobus sind nun alle anderen<br />

Spuren so zusammengedrängt worden,<br />

dass wir keinen Platz mehr haben.»<br />

radikale neuplanung für Megastädte<br />

Die Bedeutung von Städten für den Klimawandel<br />

ist bisher unterschätzt worden. Sie<br />

sind weltweit die grössten Erzeuger von klimaschädlichen<br />

Gasen: Achtzig Prozent aller<br />

Treibhausgase entstünden in Ballungsgebieten,<br />

steht in einer jüngst veröffentlichten Studie der<br />

Weltbank. Bis 2040 werden sechs Milliarden<br />

Menschen, zwei Drittel der Weltbevölkerung,<br />

in städtischen Zentren wohnen. Doch auch die<br />

Folgen des Klimawandels setzen vor allem die<br />

Masse der armen Bevölkerung in den Megastädten<br />

unter Druck: steigende Hitze und mehr<br />

Niederschläge, neue Krankheiten und höhere<br />

Preise für Lebens<strong>mit</strong>tel. Deshalb müssten acht-<br />

zig der jährlich geplanten hundert Milliarden<br />

US-Dollar an Hilfe zur Anpassung an den Klimawandel<br />

für die Städte ausgegeben werden,<br />

fordert die Weltbank. Dafür brauche es aber<br />

auch eine radikale Neuplanung der Städte,<br />

schreibt der britische Umweltthinktank Forum<br />

for the Future in einer neuen Studie <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Titel «Megacities on the Move» (Megastädte<br />

auf <strong>dem</strong> Vormarsch). Statt neuen Strassen brauche<br />

es weniger Autobesitz und eine bessere<br />

Verkehrsleittechnik. Ausser<strong>dem</strong> sei die Heimarbeit<br />

zu fördern, sonst drohten den Städten<br />

«Staus, die nicht mehr beherrschbar sind».<br />

B E rnharD PöttE r<br />

Die Stiftung Cerebral hilft in der ganzen Schweiz Kindern wie Pascal und deren Familien. Zum<br />

Beispiel <strong>mit</strong> Massnahmen zur Förderung der Mobilität. Dazu brauchen wir Ihre Spende, ein Legat<br />

oder Unternehmen, die einzelne Projekte fi nanzieren. Helfen Sie uns zu helfen.<br />

Helfen verbindet<br />

Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind<br />

Erlachstrasse 14, Postfach 8262, 3001 Bern, Telefon 031 308 15 15, PC 80-48-4, www.cerebral.ch<br />

rz_09CER86.5 Inserate Cerebral_d_290x60_sw_zeitung.indd 1 07.09.09 10:42


Wikigate in den USa<br />

Ein offenes<br />

Geheimnis<br />

Für die einen ist Julian Assange ein Hightechterrorist,<br />

der <strong>mit</strong> allen Mitteln unschädlich gemacht werden muss. Für andere ist<br />

er das neue Gesicht einer unabhängigen Presse.<br />

Von Lotta SutEr, BoSton<br />

Wenn Sarah Palin und ihre Gesinnungsgenoss­<br />

Innen im US­Kongress den Wikileaks­Gründer<br />

Julian Assange als «antiamerikanischen Provokateur<br />

<strong>mit</strong> Blut an den Händen», als «Hightechterroristen»<br />

und «enemy combatant» (gesetzlosen<br />

feindlichen Kämpfer) bezeichnen, ist<br />

das nicht weiter erstaunlich. Für die nationalistische<br />

Rechte der USA ist jeder nichtkonservative<br />

Ausländer eine Bedrohung. Wikileaks<br />

müsse <strong>mit</strong> allen Mitteln verfolgt und unschädlich<br />

gemacht werden, fordern diese Kreise zum<br />

Beispiel auf foxnews.com, wenn nötig auch<br />

durch «aussergerichtliche Aktionen», sprich<br />

Mordkommandos.<br />

Der unabhängige US­Senator Joe Lieberman<br />

will Wikileaks nicht gerade <strong>mit</strong> al­Kaida<br />

gleichsetzen. Aber der Heimatschützer verlangte<br />

vom Internetdienstleister Amazon, die<br />

«staatsgefährdenden» Dokumente vom Server<br />

zu nehmen. Lieberman hatte keine gesetz­<br />

liche Grundlage für dieses Vorgehen. Das Justizdepartement<br />

sucht noch nach geeigneten<br />

Paragrafen. Doch Amazon übte sich in vorauseilen<strong>dem</strong><br />

Gehorsam. Der Domainprovider<br />

everydns.net und der Onlinezahlungsservice<br />

Paypal folgten <strong>dem</strong> Beispiel. Sogar ausländische<br />

Unternehmen gaben <strong>dem</strong> Druck aus den<br />

USA nach, unter anderem die Schweizer Postfinance.<br />

Karrierefalle Wikileaks?<br />

Die Zensurversuche der US­Regierung erinnern<br />

an den Umgang der Golfstaaten <strong>mit</strong> Blackberrys,<br />

die aggressiven Cyberattacken auf Wikileaks<br />

an Chinas Google­Probleme. Faktisch<br />

wurde die Weiterverbreitung der Enthüllungen<br />

bisher kaum behindert, denn die Netzaktivist­<br />

Innen sind findig und die Ausweichmöglichkeiten<br />

im Internet enorm.<br />

Die offizielle Reaktion der USA hinkt der<br />

virtuellen Wirklichkeit denn auch hoffnungslos<br />

hinterher. Das US­Aussenministerium und<br />

das Pentagon haben ihren Angestellten und<br />

SoldatInnen verboten, sich die Wikileaks­Dokumente<br />

im Büro, im Feld oder daheim anzuschauen<br />

oder gar herunterzuladen. Die als «geheim»<br />

oder «streng geheim» markierten Depeschen<br />

seien nach wie vor geheim, und wer sich<br />

unbefugterweise Zutritt verschaffe, mache sich<br />

strafbar. Aber was ist <strong>mit</strong> den mehr als 850 000<br />

StaatsbeamtInnen, die bereits im Besitz einer<br />

«Security Clearance» sind, einer Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />

für Geheimnisträger Innen?<br />

Dürfen die auch nicht in Wikileaks surfen?<br />

In der Diplomatenschmiede School of<br />

International and Public Affairs (Sipa) der Columbia<br />

University wurde den Studierenden<br />

geraten, jegliche Onlinerecherche zum Thema<br />

zu unterlassen. Das «würde Ihren verantwortungsvollen<br />

Umgang <strong>mit</strong> geheimer Information<br />

in Frage stellen, eine Fähigkeit, die eine<br />

wichtige Voraussetzung für die meisten Staatsstellen<br />

darstellt», schrieb das schuleigene Büro<br />

für Karriereberatung. Kurz darauf revidierte<br />

die Universität ihre Position: Die Sipa bekennt<br />

sich nun voll und ganz zur Freiheit von Presse<br />

und Forschung. Einer der Professoren meinte<br />

sogar, wer internationale Beziehungen studiere<br />

und sich die Wikileaks­Dokumente noch<br />

nicht angesehen habe, sei ganz offensichtlich<br />

am falschen Ort.<br />

In der allgemeinen moralischen Empörung<br />

über den «Informationsdiebstahl» wird<br />

selten klargestellt, dass Wikileaks oder Assange<br />

nicht eigenhändig Computer hacken, sondern<br />

Informationen aufbereiten und publizieren,<br />

die von InsiderInnen freiwillig zugespielt wor­<br />

International 13<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

den sind. Die «New York Times», die im Nachrichtenteil<br />

die diplomatischen Indiskretionen<br />

veröffentlicht und analysiert, entschuldigt sich<br />

auf der LeserInnenseite regelmässig dafür und<br />

erklärt, sie würde unter <strong>dem</strong> Informationsdruck<br />

von Wikileaks handeln. Das stimmt vermutlich<br />

sogar. Es kommt nicht von ungefähr,<br />

dass die Whistleblowers das neue Medium<br />

als Ansprechpartner vorziehen. Die etablierte<br />

Presse in den USA hat in jüngster Zeit, etwa<br />

beim Irak krieg oder in der Wirtschaftsberichterstattung,<br />

als viertes Standbein der Demokratie<br />

weitgehend versagt. Darf man auf das Internet<br />

hoffen? Jedenfalls hat Assange bereits neue<br />

Enthüllungen angekündigt, diesmal über den<br />

US­ Finanzsektor, ein «Ökotop der Korruption».<br />

«Hass auf die Demokratie»<br />

Die Enthüllungen gefährdeten nicht bloss Karrieren,<br />

sondern Menschenleben, behauptet<br />

Aussenministerin Hillary Clinton immer wieder.<br />

Die nationale Sicherheit sei in Gefahr. Daniel<br />

Ellsberg, der vor vierzig Jahren geheime<br />

Pentagon­Papiere über das Verhältnis der USA<br />

zu Vietnam kopierte und in Umlauf brachte,<br />

kennt diese Argumentation: «Das behaupteten<br />

sie auch bei den Pentagon­Papieren – zu Unrecht,<br />

wie sich später herausstellte.»<br />

Wer sagt denn, dass Diplomatie absolut<br />

geheim sein muss? Was spricht gegen mehr<br />

Offenheit, mehr Demokratie auch in der US­<br />

Aussenpolitik? Gemäss Noam Chomsky sind es<br />

die Ziele und Methoden dieser Aussenpolitik<br />

selber, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen.<br />

Die neuesten Wikileaks­Dokumente, sagt<br />

er, «zeigen den tiefen Hass der politischen Führung<br />

auf die Demokratie».<br />

Hat Julian Assange Blut an den Händen? Die nationalistische Rechte der USA will den Wikileaks-Gründer auch <strong>mit</strong> «aussergerichtlichen Mitteln» zu vernichten. foto: Martial trezzini, Keystone<br />

depeSchen aUS der türkei<br />

Der traum vom<br />

Energiedrehkreuz<br />

Die von Wikileaks öffentlich gemachten Dokumente belegen:<br />

Die US­Diplomatie verfolgt die politischen Entwicklungen in der<br />

Türkei so intensiv wie nirgends sonst auf der Welt. Das zeigt<br />

die strategische Schlüsselstellung des Landes.<br />

Von DIEtEr SautEr, IStanBuL<br />

Endlich lobt mal einer Wikileaks: Cengiz Candar,<br />

Experte für türkische Aussenpolitik, hält<br />

alle Komplotttheorien über Wikileaks für absurd.<br />

So kursieren in der Türkei Gerüchte, «die<br />

Israelis» oder gar «die Amerikaner» selber hätten<br />

die vertraulichen Dokumente des US­Aussenministeriums<br />

Wikileaks zugespielt, um die<br />

Türkei zu destabilisieren. Candar ist jedoch der<br />

Meinung, die Folgen der Veröffentlichungen<br />

seien für Ankara im Grunde positiv. Denn fast<br />

alle Akten würden die wachsende globale Bedeutung<br />

des Landes belegen.<br />

Zankapfel Iran<br />

Tatsächlich wurden aus keiner anderen US­<br />

Botschaft der Welt mehr Meldungen nach<br />

Washington gekabelt als aus jener in Ankara.<br />

Fast 8000 Depeschen sind in den letzten Jahren<br />

über<strong>mit</strong>telt worden. Die bisher veröffentlichten<br />

Berichte zeigen, wie viele kontroverse Themen<br />

es <strong>mit</strong>tlerweile zwischen Washington und Ankara<br />

gibt.<br />

Grosse Interessengegensätze etwa gibt es<br />

im Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Iran: Während die USA die<br />

islamische Republik immer weiter zu isolieren<br />

versuchen, ist die türkische Regierung – nach<br />

US­amerikanischer Lesart – daran, ihre Beziehungen<br />

zum Iran immer weiter auszubauen.<br />

Selbst ihre diplomatischen Kontakte zur palästinensischen<br />

Hamas und zur libanesischen Hisbollah<br />

würden vor allem diesem Zweck dienen.<br />

Allerdings registrierten die US­DiplomatInnen<br />

in Ankara auch korrekt, dass sich<br />

die Türkei vor einer atomaren Bewaffnung<br />

des Iran fürchtet. Erstens gerate da<strong>mit</strong> der türkische<br />

Machtanspruch in der Region ins Wanken.<br />

Und zweitens könne das zu einem atomaren<br />

Rüstungswettlauf im Nahen Osten führen.<br />

Der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak<br />

habe bereits offen ein Programm zum Bau einer<br />

Atombombe angeregt.<br />

Die noch grössere Gefahr sieht die Regierung<br />

von Tayyip Erdogan jedoch in einem<br />

Militärschlag Israels oder der USA gegen den<br />

Iran. Die wirtschaftlichen Folgen wären für<br />

die Türkei gravierend. Der Iran ist einer ihrer<br />

wichtigsten Handelspartner. Ausser<strong>dem</strong> ist die<br />

islamische Republik als Energielieferantin unverzichtbar,<br />

wenn das Land nicht zu hundert<br />

Prozent von russischem Gas abhängig werden<br />

will. Dazu passt die Meldung der regierungsnahen<br />

Zeitung «Zaman» dieser Tage, wonach<br />

die türkische Firma Som Petrol im Juli <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Iran den Bau einer neuen Gaspipeline vereinbart<br />

hat.<br />

Enttäuschung <strong>mit</strong> Aserbaidschan<br />

Die Wikileaks­Enthüllungen machen deutlich,<br />

dass die türkische Diplomatie auf vielen Hochzeiten<br />

tanzt: So will die Regierung gleichzeitig<br />

<strong>dem</strong> Iran, den USA und den arabischen Staaten<br />

die Hände schütteln, in Palästina gute Beziehungen<br />

zu den <strong>mit</strong>einander verfeindeten Organisationen<br />

Hamas und Fatah unterhalten und<br />

sich auf <strong>dem</strong> spannungsgeladenen Kaukasus<br />

zu<strong>dem</strong> <strong>mit</strong> Russland, Armenien, Aserbaidschan<br />

und Georgien gut stellen. Gerade bei letzteren<br />

Bemühungen stellt die US­Diplomatie fest, dass<br />

die Türkei einen herben Rückschlag erlitten hat.<br />

So orientiere sich der aserbaidschanische<br />

Präsident Ilham Alijew mehr nach Moskau<br />

denn nach Ankara oder <strong>dem</strong> Westen, heisst es.<br />

An einem Anschluss an die geplante EU­Pipeline<br />

Nabucco habe er kein grosses Interesse. Die<br />

Röhre soll einst quer durch die Türkei führen<br />

und Gas aus Zentralasien nach Europa schaffen,<br />

ohne dass dabei russisches Territorium tangiert<br />

würde.<br />

«Ein Volk, zwei Staaten» hatte man bisher<br />

in Ankara <strong>mit</strong> Blick auf die Türkei und Aser­<br />

baidschan gesagt. In beiden Ländern lebe das<br />

Turkvolk. Die Aseris seien im Grunde Türk­<br />

Innen. Doch jetzt scheint die Freundschaft des<br />

türkisch­stämmigen Nachbarn Aserbaidschan<br />

nicht mehr sicher. Die Nabucco­Pipeline sollte<br />

eines der wichtigsten türkisch­aserbaidschanischen<br />

Gemeinschaftsprojekte sein und der<br />

Türkei zum Status eines Energiedrehkreuzes<br />

verhelfen. Die Wikileaks­Enthüllungen machen<br />

deutlich, dass sich hier türkische Träume<br />

in Luft auflösen.<br />

Taktische Atomwaffen<br />

Die US­Diplomatie bilanziert: Seit März 2003,<br />

seit das türkische Parlament beschloss, den<br />

US­amerikanischen Truppen den Zugang über<br />

türkisches Territorium in den Irak zu verwehren,<br />

erlaube sich Ankara zunehmend, aus eigenen<br />

Interessen eigene Ansichten zu aussenpolitischen<br />

Fragen zu vertreten. «Kann sich die<br />

USA da<strong>mit</strong> abfinden?», fragt Mitte November<br />

einer der Analysten des parteiunabhängigen<br />

German Marshall Fund in den USA. Immerhin<br />

bestätigen alle Berichte nach Washington, dass<br />

die derzeitige Regierung in Ankara pragmatisch<br />

genug sei, um eine nachhaltige Störung<br />

in ihrem Verhältnis zu den USA oder innerhalb<br />

der Nato zu vermeiden.<br />

Das wird sich nicht ändern. Denn durch<br />

die Wikileaks­Veröffentlichungen ist jetzt auch<br />

bestätigt, dass die USA taktische Atomwaffen<br />

am Bosporus lagern.<br />

Washington beruhigt sich ausser<strong>dem</strong><br />

da<strong>mit</strong>, dass die zunehmende Selbstständigkeit<br />

der Türkei im Nahen Osten und in Zentralasien<br />

auch vorteilhaft sein kann. Immerhin hatte die<br />

türkische Diplomatie wesentlichen Anteil daran,<br />

dass Anfang Woche in Genf über das iranische<br />

Atomprogramm verhandelt wurde.


14 WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

durch den Monat Mit Guy Krneta (teiL 2)<br />

Haben Sie<br />

Ihren Militärdienst<br />

verweigert?<br />

Der in Bern geborene Autor Guy Krneta (46) wundert sich,<br />

dass sein Grossvater nicht aus der Schweiz ausgeschafft<br />

wurde, und hat sich eigentlich auf seinen Gefängnisaufenthalt<br />

gefreut, der dann aber doch nicht ganz so lustig war.<br />

Von Jan JIrát (InterVIew) unD urSuLa Häne (Foto)<br />

Guy Krneta: «ich bin im Bewusstsein aufgewachsen, dass man nicht selbstverständlich<br />

Schweizer ist.»<br />

Jetzt müsse ich unbedingt sofort eine scharfe<br />

Kolumne über die Vergabe der Fussball-WM<br />

an den Wüstenstaat Katar schreiben, sagen in<br />

diesen Tagen viele Bekannte. Da nützt es auch<br />

nichts, wenn ich antworte, ich hätte sehr wenig<br />

Lust, im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

Fussball an Katar zu denken. Das<br />

sei doch genau der Punkt, meinen<br />

dann die Leute um mich herum.<br />

Eine Weltmeisterschaft im<br />

Fussball in einem Land auszutragen,<br />

in <strong>dem</strong> es etwa gleich viele<br />

lizenzierte Fussballer gebe wie in<br />

der Stadt Bern Securitaswächter,<br />

das sei doch ein Riesenskandal,<br />

und da könne man wieder sehen,<br />

wie korrupt der ganze Sport<br />

schon geworden sei und wie das<br />

Geld wieder einmal die Welt regiere und ein<br />

grosses Etcetera.<br />

Die Weltmeisterschaft, um die an hiesigen<br />

Stammtischen gestritten wird (und <strong>mit</strong><br />

Stammtischen sind auch all die Millionen von<br />

unsäglich blöden Blogs und Twittereien <strong>mit</strong>-<br />

Fussball und andere r andsportarten<br />

Der Sommer in zwölf Jahren<br />

PeDro Lenz will sich nicht über die WM in Katar aufregen<br />

Soll ich mich<br />

nun zwölf Jahre<br />

lang jeden Tag<br />

ärgern?<br />

gemeint), soll in zwölf Jahren stattfinden. Wer<br />

weiss heute schon, was in zwölf Jahren ist? Soll<br />

ich mich als Fussballfan nun zwölf Jahre lang<br />

täglich darüber ärgern, dass die Fussball-WM<br />

in zwölf Jahren in einem Land stattfindet, das<br />

bis heute kaum etwas <strong>mit</strong> Fuss-<br />

ball am Hut hatte? Soll ich mich<br />

zwölf Jahre lang täglich darüber<br />

ärgern, dass wir im Sommer<br />

2022, wenn nichts dazwischenkommt,<br />

in irgendeiner Gartenbeiz<br />

Direktübertragungen aus<br />

klimatisierten Stadien in Katar<br />

sehen werden? Soll ich mich<br />

zwölf Jahre lang jeden Tag fragen,<br />

ob es in Ordnung ist, dass<br />

die Fans, die 2022 aus aller Welt<br />

nach Katar reisen, kein Bier werden<br />

trinken dürfen, während wir Daheimgebliebenen<br />

uns bestimmt das eine oder andere<br />

Spielchen werden schönsaufen müssen?<br />

Nein, ich weigere mich, mich so kurz<br />

nach <strong>dem</strong> Ausschafferei-Triumph wieder zu ärgern,<br />

wieder zu empören, wieder machtlos zu<br />

WOZ: Herr Krneta, Ihr Name klingt nicht nach<br />

Entlebuch oder Freiamt. Woher stammt der<br />

Name Krneta?<br />

Mein Grossvater auf der väterlichen Seite<br />

war Jugoslawe. Ein bosnischer Serbe aus Kroatien,<br />

wie man in heutiger Terminologie sagen<br />

würde. Er ist 1923 in die Schweiz ausgewandert,<br />

wo er nach <strong>dem</strong> Zweiten Weltkrieg als<br />

Staatenloser gelebt hat.<br />

Zu Beginn des Kriegs wollte mein Grossvater<br />

noch zurück, um für das damalige Königreich<br />

Jugoslawien zu kämpfen. Da er Schulden<br />

in der Schweiz hatte, durfte er aber nicht<br />

ausreisen.<br />

Wie bitte? Seine Schulden waren der Grund,<br />

weshalb Ihr Grossvater die Schweiz nicht verlassen<br />

durfte?<br />

Ja, heute würde er deswegen ausgeschafft.<br />

Mein Grossvater blieb übrigens den Rest seines<br />

Lebens staatenlos. Nach<strong>dem</strong> er meine Grossmutter<br />

geheiratet hatte, eine spätere Bundeshausjournalistin,<br />

wurde auch sie staatenlos.<br />

Das war damals gängige Praxis.<br />

Demnach müsste Ihr Vater also auch staatenlos<br />

sein.<br />

Zu Beginn der fünfziger Jahre trat ein<br />

entsprechendes Bundesgesetz in Kraft, dass<br />

eine Schweizerin, die einen Ausländer geheiratet<br />

hatte, ihr Bürgerrecht erleichtert zurückerhalten<br />

konnte. Das galt auch für die Kinder,<br />

nicht aber für den Ehemann.<br />

Sie selbst sind fast ganz Schweizer?<br />

Ich bin als Schweizer in Bern geboren, in<br />

einem gutbürgerlichen Umfeld. Die Staatenlosigkeit<br />

war keine Erfahrung für mich, nur<br />

das Wissen um die Geschichte meines Grossvaters.<br />

Ich bin im Bewusstsein aufgewachsen,<br />

dass man nicht selbstverständlich Schweizer<br />

ist. Dass es ein historischer Zufall ist, welchen<br />

Pass man besitzt.<br />

Für mich ist es unbegreiflich, wie jemand<br />

daraus Ansprüche ableiten kann. Ein Anrecht<br />

auf Privilegien. Das ist doch absurd!<br />

Ein gewisses politisches Bewusstsein war also<br />

schon früh vorhanden. Was waren die weiteren<br />

Ereignisse oder Erlebnisse, die Sie politisierten?<br />

Ich wurde Ende der siebziger Jahre <strong>mit</strong><br />

den Liedermachern kulturell sozialisiert, habe<br />

Songs geschrieben, die selbstverständlich sozialkritisch<br />

waren. Die Folkbewegung, die Friedensbewegung<br />

waren wichtig für mich.<br />

Prägend war für mich auch die Tschernobyl-Demo<br />

1987 auf <strong>dem</strong> Berner Bundesplatz.<br />

Und dann hat mich die Armee beschäftigt oder<br />

besser gesagt ihre Abschaffung.<br />

Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Sie <strong>mit</strong> dieser<br />

Haltung den Militärdienst verweigert haben<br />

…<br />

fühlen und meine ganze Empörung einem derartigen<br />

Nebenschauplatz zu widmen. Denn all<br />

die Millionen von Fans, die sich jetzt darüber<br />

aufregen, dass 2022 in Katar Fussball gespielt<br />

werden wird, spielen das Spiel der Fifa <strong>mit</strong>.<br />

Das Spiel der Fifa hat eine einfache<br />

Grundregel. Diese lautet ungefähr so: «Fussball<br />

ist die Fifa, und die Fifa ist Fussball.» Die<br />

Fifa hat sich selbst und ihre Weltmeisterschaft<br />

in den letzten Jahrzehnten derart aufgeblasen,<br />

dass dabei fast vergessen geht, dass es schon<br />

vor, neben und ausserhalb der Fifa immer<br />

Fussball gegeben hat. Allein die Zeitungsartikel<br />

über diese Show, in der in Zürich 22 ältere<br />

Herren zwei Weltmeisterschaften vergaben,<br />

haben vermutlich mehr Raum eingenommen<br />

als die Regionalsportberichterstattung der<br />

letzten fünfzig Jahre.<br />

Fussball ist ein wunderbares, ein grossartiges,<br />

ein fantastisches Spiel. Er lässt sich<br />

auf <strong>dem</strong> Pausenhof eines Dorfschulhauses<br />

genauso gut spielen wie in Katar oder Korea.<br />

Aber wenn die Fifa Weltmeisterschaften vergibt<br />

und so tut, als gäbe es keine wichtigeren The-<br />

Ich hatte viel zu viel Angst vor <strong>dem</strong> Gefängnis<br />

und bin <strong>mit</strong> grosser Selbstver achtung<br />

in die Rekrutenschule eingerückt.<br />

Das Schlimmste war die Demütigung,<br />

eine Uniform tragen zu müssen. Und da<strong>mit</strong> in<br />

den Ausgang zu gehen oder im Zug zu sitzen.<br />

Als ich dann beim Theater war, konnte ich meine<br />

WKs immer wieder verschieben. Ein Jahr<br />

nach der Armeeabschaffungsinitiative, als ich<br />

wieder hätte einrücken müssen, rief die GSoA<br />

zur kollektiven Dienstverweigerung auf, um<br />

da<strong>mit</strong> die Einführung eines Zivildiensts durchzusetzen.<br />

Zusammen <strong>mit</strong> 1500 anderen habe<br />

ich diesen Aufruf unterzeichnet und den Dienst<br />

verweigert.<br />

Ich wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt.<br />

Da ich damals in Genf angemeldet<br />

war, konnte ich den Vollzug um vier Jahre aufschieben.<br />

Während dieser Zeit arbeitete ich<br />

dann als Dramaturg in Deutschland. 1996 bin<br />

ich in die Schweiz zurückgekehrt. Direkt ins<br />

Gefängnis.<br />

Und wie war es da?<br />

Es hat mich mehr aufgewühlt, als ich erwartet<br />

hatte. Ich dachte: Super, die Eidgenossenschaft<br />

bezahlt mir ein Schreibstipendium<br />

in Genf. Aber die entmündigende Situation,<br />

dass ich mich nicht frei bewegen konnte und<br />

nur eine bestimmte Anzahl Stunden draussen<br />

verbringen durfte, blockierte mich.<br />

Ich kam gar nicht recht zum Schreiben,<br />

notierte nur, was ich gerade erlebte oder was<br />

mir erzählt wurde. Ich bin aber überhaupt nicht<br />

schikaniert worden, wie das Dienstverweigerer<br />

zehn Jahre vorher noch erlebt hatten.<br />

Ihr Hauptanliegen ist heute nicht mehr die<br />

Abschaffung der Armee, sondern die Wahrung<br />

der Grund- und Menschenrechte. Als<br />

was verstehen Sie die Plattform Kunst+Politik<br />

eigentlich, die Sie massgebend <strong>mit</strong>initiiert<br />

haben?<br />

Als Zusammenschluss und Netz verschiedenster<br />

Künstlerinnen und Künstler, die sich<br />

für ein realistisches Schweizbild einsetzen, gegen<br />

die oberflächliche Swissnessbegeisterung<br />

und gegen ihre grausige Kehrseite, die Fremdenhetze.<br />

Kunst+Politik besteht seit Mai, wir hätten<br />

nie gedacht, welch unglaubliche Dynamik wir<br />

da<strong>mit</strong> auslösen würden. Wir wissen jetzt, dass<br />

es möglich ist, eine grosse Öffentlichkeit zu erreichen.<br />

Ich hoffe natürlich, dass das Netz nun<br />

wächst und weitere Künstlerinnen und Künstler<br />

dazukommen. Dass es uns gelingt, eine<br />

Plattform aufzubauen, <strong>mit</strong> der wir rasch reagieren<br />

und gemeinsam an vielen Orten auftreten<br />

können. Wir dürfen uns sicher nicht zu schade<br />

sein, auch plumpe und wenig künstlerische<br />

Mittel einzusetzen wie Aufrufe und Verlautbarungen.<br />

Daneben aber sollten wir neue Formen<br />

entwickeln, aktivistisch sein und gleichzeitig<br />

professionell.<br />

men auf der Welt, steht die ganze Weltpresse<br />

stramm. Und heute, wo so viele Zeitgenoss-<br />

Innen höchstens noch das Verfallsdatum auf<br />

den Joghurtdeckeln und die Bildlegenden in<br />

den Gratiszeitungen lesen, fragt dann niemand<br />

mehr danach, wie relevant die Meldung über<br />

Katar 2022 genau ist.<br />

Kann Katar eine Fussball-WM durchführen?<br />

Ist es ökologisch sinnvoll, in einem Land<br />

eine Fussball-WM auszutragen, in <strong>dem</strong> die<br />

Sta dien um zwanzig Grad heruntergekühlt<br />

werden sollen? Hat Katar den Vorzug gegenüber<br />

anderen Bewerbungen bekommen, weil<br />

das Land finanziell so potent ist? Das sind grob<br />

zusammengefasst die Fragen, die in diesen Tagen<br />

erörtert werden. Dabei würden wir besser<br />

fragen: Gibt es den Fussball dank der Fifa, oder<br />

ist es eher umgekehrt? Und wie lange wollen<br />

wir uns wegen zwei Dutzend älterer Männer in<br />

dunklen Anzügen ärgern, wenn derweil Millionen<br />

von Menschen auf der Welt <strong>mit</strong> Lust und<br />

Leidenschaft einem Ball nachjagen, ohne dabei<br />

einen müden Gedanken an die Fifa zu verschwenden?<br />

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt<br />

in Bern. Sein letztes Buch von 2010 heisst<br />

«Der Goalie bin ig».


Goldgrube Zweitwohnungsbau: Baugewerbe und Immobilienhandel im Oberengadin sind doppelt so stark<br />

wie im schweizerischen Durchschnitt. Wie hier in Pontresina dominieren in der ganzen Region Baustellen das Bild.<br />

Thema 15<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Zweitwohnungswahn<br />

Eine<br />

Alpenregion<br />

erstickt<br />

im Geld<br />

Das Oberengadin spritzt sich das<br />

Geld der Reichen in rauen<br />

Mengen. Jeder Schuss steigert das<br />

Verlangen nach Zweitwohnungen.<br />

Der entrückte Landstrich wird<br />

verwüstet. Bodenpreise und Mieten<br />

explodieren.<br />

Von AndrEAs FAGETTi (TExT) und<br />

ursulA HänE (FoTos)<br />

Leise rieselt der Schnee. Die Rhätische Bahn fliesst der Ebene<br />

von Samedan entlang in die Nacht. Endstation St. Moritz. Über<br />

<strong>dem</strong> Bahnhof dösen Hotelriesen. Im Parkhaus Surletta ist es, als<br />

hätte eine Neutronenbombe alles Leben getilgt. St. Moritz Ende<br />

November, das Oberengadin vor der Wintersaison. Bald pulsiert<br />

hier das schicke Leben, bald stolziert der Protz durch die Strassen<br />

– und Segantinis Tal verkommt zum Catwalk der Eitelkeiten.<br />

Demnächst also fallen 75 000 Feriengäste ein, den Maloja herauf,<br />

den Julier herab und durch den Vereinatunnel; die Superreichen<br />

setzen ihre Jets auf Samedans Landebahn. Die Invasion füllt<br />

Hotels, Pensionen, Villen und Ferienwohnungen. 75 000 Betten<br />

werden warm. Dann ist hier für ein paar Wochen mondäne Stadt.<br />

Schwerer Stand für Familien<br />

Viele der 18 000, die das ganze Jahr über in den elf Oberengadiner<br />

Gemeinden leben, sehen sich an den Rand gedrängt. Das<br />

Leben ist teuer, die Löhne sind nicht besonders hoch, dafür explodieren<br />

die Bodenpreise und die Mieten. Wer im «prickelnden<br />

Champagnerklima» (Eigenwerbung) rasch eine gute Wohnung<br />

finden möchte, verwandelt sich am besten in eine kinderlose, gut<br />

betuchte Person aus <strong>dem</strong> Ausland. Denn diese Menschen dürfen<br />

politisch nicht <strong>mit</strong>bestimmen, sie tragen Geld ins Tal, geniessen<br />

die frische Bergluft und geben sonst Ruhe. Einheimische Familien<br />

<strong>mit</strong> Kindern finden sich zuunterst auf der Wunschliste der<br />

Vermieter. Die könnten ja laut werden, und gut betucht sind sie<br />

selten. Womöglich mischen sie sich auch noch in die Politik des<br />

Tals ein und stören die Kreise der reichen Clans, vielleicht jene<br />

der Testas aus St. Moritz oder die der Wiesers aus Zuoz.<br />

Franziska Preisig ist eine politisch engagierte Frau, die<br />

<strong>dem</strong> Engadiner Geldadel die Goldgräberstimmung vermiest<br />

und mehr bezahlbaren Lebensraum für die Ansässigen fordert.<br />

Sie sagt: «Vermietern sind zehn Hunde offenbar lieber als ein<br />

Kind.» Die <strong>mit</strong> einem Künstler liierte Mutter von zwei Kindern<br />

doziert an der Touristikfachschule in Samedan, sie präsidiert<br />

die Glista Libra, ein Sammelbecken Unabhängiger und Linker,<br />

und sie kämpft in einem Initiativko<strong>mit</strong>ee gegen die Auswüchse<br />

des Zweitwohnungsbaus.<br />

Die Frau verkörpert das, was Zivilgesellschaften am Leben<br />

erhält. Doch die Juristin und ihre Familie haben einen schweren<br />

Stand im Oberengadin – wie viele andere Familien.<br />

Die Preisigs lebten in Bever in einem kleinen Häuschen,<br />

wo ständig Leute durch die Fenster glotzten. Sie mussten raus,<br />

weil es verkauft wurde. Sie besichtigten in einem anderen Dorf<br />

ein Haus zur Miete. Ein Schild wies es zum Verkauf aus. Der Vermieter<br />

beruhigte, jetzt habe er ja Mieter. Er nahm das Schild ab.<br />

Und verkaufte das Haus ein halbes Jahr später. Wieder waren


16 Thema<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Preisigs gezwungen, Ausschau zu halten. Sie fanden in Samedan<br />

eine Dreieinhalbzimmerwohnung, siebzig Quadratmeter,<br />

vierzig Jahre alte Infrastruktur, 2000 Franken inklusive – und<br />

machen noch den Hauswart. Viereinhalb Jahre leben sie inzwischen<br />

dort, aber auch dieses Kapitel ist <strong>dem</strong>nächst abgeschlossen.<br />

Die Besitzerin hat das Haus verkauft. Jetzt suchen<br />

sie wieder und haben eben erst eine Absage bekommen. Die<br />

Vermieterin einer Sechszimmerwohnung möchte lieber keine<br />

Kinder im Haus.<br />

Der Fluch des schnellen Geldes<br />

In diesem Tal sind Mutter und Vater zu Erwerbsarbeit gezwungen,<br />

wenn sie ihren Kindern eine halbwegs anständige<br />

Wohnung bieten möchten. Ein Lohn geht für die Miete drauf.<br />

Für eine moderne Vierzimmerwohnung überweist man nahezu<br />

3000 Franken Miete. Wer eine solche Wohnung kaufen<br />

will, nimmt hohe Belastungen in Kauf. Beispielsweise in Bever,<br />

<strong>dem</strong> kleinen Dorf am Fusse des Albulas, bis zu 1,5 Millionen<br />

Franken, sagt ein Einheimischer. In St. Moritz kostet<br />

der Quadratmeter Wohnfläche an schönen Lagen inzwischen<br />

35 000 Franken.<br />

In der Weite des Hochtals wird es für die Ansässigen<br />

immer enger. Der wirtschaftliche Segen ist zugleich Fluch.<br />

Schuld ist der überbordende Zweitwohnungsbau, der das<br />

ökonomische Gleichgewicht aus <strong>dem</strong> Lot bringt und das soziale<br />

Gefüge schwächt: Nur etwa vierzig Prozent der Wohnungen<br />

sind das ganze Jahr bewohnt. Wer den Preisdruck<br />

nicht mehr aushält, wandert ganz ab oder zieht ins Unterengadin.<br />

Und pendelt zur Arbeit ins Oberengadin. Christoph<br />

Wiesler hat diesen Weg gewählt. Der gebürtige Stadtbasler<br />

hat beinahe zwanzig Jahre in St. Moritz gelebt. Ihm wurde in<br />

dieser Zeit zweimal die Wohnung gekündigt – einmal wegen<br />

Eigenbedarfs, das andere Mal, weil die Wohnung verkauft<br />

wurde. Trotz<strong>dem</strong> hat <strong>dem</strong> Städter das urbane St. Moritz immer<br />

gefallen. Wiesler, der Germanistik und Italianistik studierte<br />

und ein Jahr in Italien verbrachte, schätzt die Nähe zu<br />

Italien. Überhaupt fühlt sich der Basler im Grenzgebiet wohl.<br />

Und doch ist der Deutschlehrer an der Kaufmännischen Schule<br />

in Samedan jetzt ins Unterengadin gezogen. Seit Mai lebt<br />

er in Lavin. 200 EinwohnerInnen, Abwanderungsprobleme,<br />

überaltert. Die Gemeinde wirbt <strong>mit</strong> günstigem Bauland um<br />

ZuzügerInnen.<br />

Christoph Wiesler hatte zunächst zusammen <strong>mit</strong> seiner<br />

Partnerin im Oberengadin eine kleine Eigentumswohnung<br />

gesucht – doch 800 000 bis eine Million Franken sind selbst<br />

für das Budget gut entlöhnter Fachkräfte zu viel. In Lavin lebt<br />

das Paar jetzt für den Preis einer kleinen Oberengadiner Eigentumswohnung<br />

in einem Fertighaus. Christoph Wiesler<br />

pendelt im Winter <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zug – es sind vierzig Minuten von<br />

Haustür zu Haustür. «Die öffentlichen Verbindungen sind gut,<br />

bloss am späten Abend nicht.» Kinobesuch geht nur <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Auto. In Neu-Lavin, <strong>dem</strong> Quartier der Zugezogenen, fühlt sich<br />

der Lehrer wohl. Auch andere angrenzende Regionen spüren<br />

den Zuwanderungstrend.<br />

Prallvolle Gemeindekassen, tiefe Steuern<br />

Dabei liesse sich <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bau von Erstwohnungen auch im<br />

Oberengadin Geld verdienen. Traummargen wie im Zweitwohnungsbau<br />

liegen allerdings nicht drin. Daher giert die<br />

Bau- und Immobilienbranche nach mehr Ferienwohnungen.<br />

Die Gemeinde S-Chanf, an der Grenze zum Unterengadin gelegen<br />

und bekannt wegen der Berlusconi-Schwiegermutter,<br />

die hier ein Haus besitzt, bot Bauunternehmern Boden an. Die<br />

Auflage: Wohnungen für Einheimische. Keinen der Unternehmer<br />

lockte es hinter <strong>dem</strong> Ofen hervor, schliesslich realisierte<br />

es ein S-Chanfer Privatmann. Alle Wohnungen seines Mehrfamilienhauses<br />

sind vermietet. Auch im Oberengadin gibt es<br />

in bescheidenem Umfang Genossenschaftsbauten <strong>mit</strong> günsti<br />

gen Wohnungen, manche Gemeinden schaffen spezielle<br />

Bauzonen für Einheimische <strong>mit</strong> bezahlbaren Bodenpreisen<br />

und erlassen Vorschriften zur Einschränkung des Zweitwohnungsbaus.<br />

Ende November haben die SilserInnen an der Gemeindeversammlung<br />

einer 50:50-Vorschrift für Neubauten<br />

zugestimmt: Die Hälfte des Wohnraums muss also von Einheimischen<br />

genutzt werden. Aber das sind bloss Tropfen auf<br />

den heissen Stein.<br />

Fett macht immer noch das Geschäft <strong>mit</strong> den Zweitwohnungen.<br />

Immobilien im Oberengadin sind eine sichere Bank,<br />

ihr Wert steigt ständig. Wer Schwarz- oder Graugeld anlegen<br />

möchte, ist hier gut bedient. Die Nachfrage ist auch aus diesem<br />

Grund hoch. Und sie könnte durch das noch von Bundesrat<br />

Merz eingefädelte Steuerabkommen <strong>mit</strong> Deutschland<br />

nochmals befeuert werden. Ein Teil des durch das Abkommen<br />

reingewaschenen deutschen Geldes könnte sich hier in wertvollen<br />

Beton verwandeln. Auch die Aufhebung des Eigenmietwertes<br />

würde die Nachfrage zusätzlich anheizen.<br />

In den meisten Gemeinden sind die 2009 in einem<br />

Kreisgesetz eingeführten Kontingente ohnehin schon auf<br />

Jahre hinaus vergeben. Im Oberengadin sind die Bau- und die<br />

Immobilienbranche doppelt so stark wie im schweizerischen<br />

Durchschnitt. Auch die Gemeinden profitieren vom schnellen<br />

Robert Obrist, Architekt: «Die Architekten hier sind politische Eunuchen,<br />

und die Hoteliers halten sich ganz aus der Politik heraus.»<br />

«Vermietern sind Hunde lieber als Kinder»: Die Juristin Franziska Preisig kämpft<br />

in einem Initiativko<strong>mit</strong>ee gegen die Auswüchse des Zweitwohnungsbaus.<br />

Geld. Anschlussgebühren, Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuern<br />

spülen Millionen in die Kassen. St. Moritz, das<br />

wirtschaftliche Zentrum des Tals, weist ein Eigenkapital von<br />

deutlich über hundert Millionen Franken aus. Gerade hat das<br />

Stimmvolk den Bau eines 65 Millionen Franken teuren Hallenbades<br />

<strong>mit</strong> Sportzentrum beschlossen. Das vierzigjährige<br />

alte Bad des Architekten Robert Obrist fällt der Abrissbirne<br />

zum Opfer.<br />

Strassennetz, Abwasserreinigung – die ganze Infrastruktur<br />

ist auf die Spitzen im Sommer und im Winter ausgelegt<br />

– den Rest des Jahres verlieren sich die Menschen in den<br />

aufgeblasenen Agglomerationen um St. Moritz, Celerina, Samedan<br />

und Pontresina. Das schnelle Geld aus <strong>dem</strong> Zweitwohnungsbau<br />

hat Bauunternehmer, Treuhänderinnen, Handwerker,<br />

Haus- und Bodenbesitzerinnen reich gemacht, es zieht<br />

Banken, Versicherungen und Immobiliendealer an, es schafft<br />

Arbeitsplätze. Und es hält die Steuern tief. Das ist die wohlige<br />

Seite dieser Überdosis. Aber das schnelle Geld macht abhängig.<br />

Sind Zweitwohnungen einmal gebaut, bringen sie der<br />

Region kaum noch Wertschöpfung, die hohen Infrastrukturkosten<br />

bleiben. Der Gedanke an Entzug macht Angst: Sollte<br />

der Boom einbrechen – wo<strong>mit</strong> dann die überdimensionierte<br />

Infrastruktur unterhalten und das subtropische Steuerklima<br />

pflegen?<br />

Gesundschrumpfen!<br />

Robert Obrist ist ein kantiger Mann, er spricht eine klare<br />

Sprache. Und er steckt voller Widersprüche, die seine Unabhängigkeit<br />

markieren: Der Architekt ist GSoA-Mitglied und<br />

baute Militäranlagen, er ist Atheist und baute eine Kirche,<br />

er ist gegen den wild wuchernden Zweitwohnungsbau und<br />

verdiente sein Geld einst auch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bau von Zweitwohnungen.<br />

Er weiss, dass die Geschichte nicht so einfach ist, wie<br />

er sie im Gespräch holzschnittartig herausarbeitet. «Viel Geld,<br />

wenig Geist», sagt er über St. Moritz. Oder: «Die Architekten<br />

hier sind politische Eunuchen, und die Hoteliers halten sich<br />

ganz aus der Politik heraus.» Er weiss auch, dass Gesetze keine<br />

Wunder<strong>mit</strong>tel sind. «Jeder Hag hat ein Loch, da<strong>mit</strong> müssen<br />

wir leben.» Ein politischer Eunuch ist Obrist gewiss nicht.<br />

Bis vor einem halben Jahr sass er im Kreisrat, <strong>dem</strong> regionalen<br />

Parlament, als Vertreter der Freien Liste. Er hat viele Regional-<br />

und Ortsplanungen gemacht, sein Büro hat manchen Architekturwettbewerb<br />

gewonnen. Er versteht etwas vom Geschäft.<br />

Den Aargauer Obrist verschlug es 1963 ins Oberengadin.<br />

Damals kam auch ein Unterländer noch relativ einfach<br />

ins Geschäft, zeitweise zählte sein Büro nahezu dreissig Angestellte,<br />

jetzt ist der Unruheständler ein gemachter Mann.<br />

Vor vierzig Jahren hat er das Terrassenhaus in Sichtbeton<br />

gebaut, in <strong>dem</strong> wir das Gespräch führen – für 2,5 Millionen<br />

Franken. Wohnungen und sein auf zwei Etagen angelegtes<br />

Architekturbüro sind darin untergebracht. Er könnte die Liegenschaft<br />

teuer verkaufen. Aber er vermietet die Wohnungen<br />

an normale Menschen zu bezahlbaren Mieten – eine Coiffeuse<br />

wohnt hier, aber auch ein Architekt. Obrist sitzt, umgeben von<br />

afrikanischen Skulpturen, moderner Malerei und Büchern in<br />

seinem grosszügigen Büro <strong>mit</strong> Blick auf den Lej da San Murezzan.<br />

Und sagt: «Das Baugewerbe im Engadin muss gesundschrumpfen!<br />

Und es wird auch danach ein gutes Auskommen<br />

haben.» Hotelzonen müssten ausgeschieden werden, um die<br />

Hotellerie und eine nachhaltige Wertschöpfung zu stärken<br />

und da<strong>mit</strong> die Umwandlung von noch mehr Hotelgebäuden in<br />

Zweitwohnsitze zu unterbinden. Obrist fordert für das Oberen<br />

ga din eine regionale Fachkommission für Planungs- und<br />

Baufragen, wie sie grosse Gemeinden und Städte kennen. Das<br />

würde Fehlentwicklungen entgegenwirken. Und noch etwas:<br />

Elf Gemeinden, elf zum Teil enorm differierende Baugesetze –<br />

Megaprojekte<br />

Es wird wieder geklotzt<br />

In den Alpen denken und planen Touristiker und Investorinnen<br />

wieder überdimensional. In den Köpfen gibt es viele<br />

Vorhaben, die meisten bleiben auch dort stecken. Der Ausbau<br />

des verschlafenen Alpendorfes Andermatt in eine Tourismusstadt<br />

ist derzeit das grösste und wohl auch solideste Megaprojekt.<br />

Im Urserental ist der Bau und Verkauf von Ferienwohnungen<br />

und Villen bereits angelaufen. Die Investitionssumme<br />

beläuft sich auf 1,8 Milliarden Franken, die Wertschöpfung<br />

soll dereinst 220 Millionen Franken pro Jahr betragen,<br />

die Rede ist von 1800 neuen Arbeitsplätzen in Andermatt, und<br />

im Vollbetrieb sollen im Kanton Uri durch indirekte Effekte<br />

sogar 3700 Stellen entstehen. Im Gegensatz zu anderen Investoren<br />

wählte der ägyptische Milliardär Samih Sawiris einen<br />

partizipativen Ansatz und versuchte die Bevölkerung direkt<br />

zu überzeugen. Ob das Megaprojekt funktioniert und wie es<br />

das soziale Gefüge im Bergtal verändert, ist nicht absehbar.<br />

Im Kanton Wallis sind mehr als ein Dutzend Grossprojekte<br />

geplant. Das bekannteste ist ein Resort im Dorf Mollens.<br />

auch hier fordert der Architekt eine Vereinheitlichung. Die<br />

Beschneidung der Gemeindeautonomie ist ein heikles Thema,<br />

hier oben ist sie eine heilige Kuh.<br />

Ein altersradikaler Bergmarxist?<br />

Aber vielleicht sperren die OberengadinerInnen ihre heilige<br />

Kuh doch irgendwann auf eine eingezäunte Wiese, ehe sie<br />

zu viel Schaden anrichtet. Denn der überhitzte Immobilienmarkt<br />

setzt die lokale Bevölkerung unter Stress. Die Bodenpreise<br />

sind extraterrestrisch, die Mieten explodieren, die<br />

Lebenskosten steigen – Verhältnisse wie in Zürich oder Genf,<br />

aber <strong>mit</strong> Bündner Löhnen. Selbst der St. Moritzer Kurdirektor<br />

Hanspeter Danuser, gewiss kein Umstürzler, fürchtet soziale<br />

Konflikte. Nicht gut fürs Image. Danuser schwebt etwas vor,<br />

was im kanadischen Whistler Mountain längst funktioniert:<br />

Dort dürfen Zweitwohnungen im Sommer und Winter jeweils<br />

einen Monat von den Besitzern genutzt werden, den Rest der<br />

Zeit müssen sie vermietet werden. Danuser schimpften im Tal<br />

deswegen viele einen «altersradikalen Bergmarxisten». Lange<br />

davor, nämlich 2005, war den OberengadinerInnen das<br />

ers te Mal richtig der Kragen geplatzt. Stillschweigend, nämlich<br />

an der Urne. Die BerglerInnen stimmten gegen den heftigen<br />

Widerstand der bürgerlichen Parteien von FDP, BDP und<br />

CVP und aller Gemeindepräsidenten <strong>mit</strong> über siebzig Prozent<br />

einer regionalen Kontingentierungsinitiative zu. Es war eine<br />

schallende Ohrfeige für die machtverwöhnten Anwälte, Ingenieure<br />

und Bauunternehmer, die während der Hochjagd auf<br />

den Berghütten Päckchen schnüren und Absprachen treffen.<br />

Jagdhüttenpolitik.<br />

Vorangetrieben hatte die Initiative der SP-Politiker und<br />

Ende November abgewählte Gemeindepräsident von S-Chanf,<br />

Romedi Arquint. 2007 doppelten die StimmbürgerInnen<br />

nach: Sie wählten bei den ersten Wahlen in das neu konzipierte<br />

Regionalparlament alle KandidatInnen der Glista Libra.<br />

«Wir hätten auch Tote oder Kinder auf die Liste setzen können,<br />

sie wären gewählt worden», sagt Robert Obrist. Für eine<br />

Mehrheit reichte es dennoch nicht, weil alle Gemeindepräsidenten<br />

von Amtes wegen im 33-köpfigen Parlament sitzen. So<br />

haben die Bürgerlichen doch noch das Sagen.<br />

Unterstützt wird der Kampf gegen die Auswüchse des<br />

Zweitwohnungsbaus auch vom Forum Engadin, einer politisch<br />

neutralen Vereinigung, der auch viele FerienhausbesitzerInnen<br />

angehören, darunter Edgar Oehler oder die Ringiers.<br />

Freilich nehmen die meisten Oberengadiner PolitikerInnen<br />

<strong>dem</strong> Forum dieses Engagement übel – und haben den Austritt<br />

gegeben.<br />

Das Loch im Hag<br />

Das Kontingentierungsgesetz trat 2009 in Kraft – ein Wermutstropfen<br />

vergällt allerdings die Freude. Das Establishment<br />

hat doch noch eine dehnbare Ausnahmeregelung durchgedrückt.<br />

Der Artikel 7, Absatz 2, erlaubt den Gemeinden, «im<br />

Rahmen von projektbezogenen Nutzungsplanungen im überwiegenden<br />

öffentlichen und volkswirtschaftlichen Interesse<br />

liegende Bauvorhaben teilweise oder ganz von der Kontingentierung<br />

zu befreien». In Samedan wollte die Gemeinde dieses<br />

Schlupfloch bereits nutzen und 3500 Quadratmeter Zweitwohnungsfläche<br />

an zwei laufende Hotelprojekte kontingentfrei<br />

bewilligen – Druck aus der Bevölkerung und der Glista<br />

Libra verhinderten es.<br />

Jetzt dürfen im Oberengadin bloss noch hundert Ferienwohnungen<br />

pro Jahr gebaut werden. Zuvor stampften die<br />

Baugeschäfte jährlich vierhundert aus <strong>dem</strong> Boden. Es ist ein<br />

erster Schritt, nicht die Lösung. Kurzfristig hat die Verknappung<br />

des Angebots die Preise nochmals hochgetrieben und<br />

Als Investorin tritt dort die Aminona Luxury Resort & Village<br />

SA auf, eine Tochterfirma des russischen Baukonzerns Miramax.<br />

Geplant sind 160 Luxusappartements, 350 Hotelzimmer,<br />

50 Chalets und eine 12 000 Quadratmeter grosse Geschäftszone.<br />

Die Gemeinde hat für die erste Bauetappe grünes Licht<br />

gegeben. Anfang November haben der WWF und die Stiftung<br />

Landschaftsschutz Schweiz gegen die Baubewilligung Beschwerde<br />

eingereicht. Sie befürchten ein Fiasko für Natur und<br />

Landschaft.<br />

Megaprojekte sind bei der Bergbevölkerung ohnehin<br />

nicht besonders beliebt. Die meisten stossen auf Ablehnung,<br />

bleiben im Planungsstadium stecken und werden nie realisiert.<br />

Die Grossprojekte lenken zu<strong>dem</strong> vom grösseren Problem<br />

ab, nämlich <strong>dem</strong> Bau von Zweitwohnungen und den<br />

kalten Betten. Dass es auch anders geht, zeigt ein Projekt in<br />

Flims: Wer im Rockresort eine Ferienwohnung kauft, muss<br />

sich verpflichten, diese weiterzuvermieten. So bleiben die Betten<br />

meistens warm. fa<br />

Nicola Caduff, Jungsozialist: «St. Moritz hat seine Seele verkauft. Wir müssen<br />

den Spekulanten Wohnraum entziehen.»<br />

«Wohneigentum im Oberengadin ist für mich unerschwinglich»: Der Lehrer<br />

Christoph Wiesler hat sich fürs Pendeln entschieden.<br />

Thema 17<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

erhöht den Druck auf die sogenannten altrechtlichen Wohngebäude,<br />

also all jene Objekte, die vor den nutzungsrechtlichen<br />

Einschränkungen entstanden sind, und das ist der<br />

Grossteil der Wohnungen. Die Glista Libra sammelt daher<br />

bereits für eine neue Initiative Unterschriften. Der Vorstoss<br />

verlangt, es solle sichergestellt werden, dass nach erheblichen<br />

Umbauten und Sanierungen die Hälfte der Wohnfläche als<br />

Erstwohnungen dient. Spätestens im nächsten Februar sollen<br />

die vierhundert Unterschriften zusammen sein. Das wird kein<br />

Problem. Aber anders als bei der ersten Initiative, die neue Ferienwohnungen<br />

betraf, sehen nun einheimische Haus be sitzer<br />

In nen ihre Eigentumsfreiheit in Gefahr. Das Establishment<br />

inszeniert bereits erste Störmanöver. Zunächst behauptete<br />

das Kreisamt, die Initiative müsse die Bedingungen des kantonalen<br />

Initiativrechts erfüllen. Der Gemeindevorstand von<br />

Samedan behauptete, sollte die Initiative zustande kommen,<br />

habe das Regionalparlament darüber zu bestimmen, nicht<br />

das Volk. Denn dort stellt die Baulobby die Mehrheit. Es sind<br />

Behauptungen wider besseres Wissen. Der politische Prozess<br />

ist erst angelaufen, die Auseinandersetzung wird hart. Die<br />

Baulobby wird ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen,<br />

um ihre Goldgrube zu schützen. Würde die Initiative angenommen,<br />

wäre das keine Ohrfeige für die Mächtigen, es wäre<br />

ein Kinnhaken – und ein Sieg der Vernunft.<br />

Das Ende der Hotellerie<br />

Die Wut unter Einheimischen gegen ihre Vertreibung aus den<br />

Dorfzentren spürt auch Nicola Caduff. Selbst langjährige Feriengäste<br />

fühlten sich unbehaglich. «St. Moritz hat seine Seele<br />

verkauft», sagt der 23-Jährige. Er hat eine KV-Lehre in einem<br />

Tourismusbüro absolviert und studiert derzeit in Chur an der<br />

Hochschule für Wirtschaft und Technik. Nach <strong>dem</strong> Studium<br />

könnte er als Manager ein Hotel führen, wenn es denn die Hotellerie<br />

noch lange gibt. Sie hat St. Moritz gross gemacht, jetzt<br />

droht der Zweitwohnungsirrsinn ihre Fundamente zu zerstören.<br />

Hotels wechseln im mondänen Kurort auch schon mal für<br />

fünfzig bis sechzig Millionen Franken die Hand und beherbergen<br />

dann Zweitwohnungen. Wer kann da widerstehen?<br />

Caduff ist ein Kind von St. Moritz. Er kennt jeden Winkel<br />

des Dorfes. Allein im Umfeld des Schulhausplatzes finden<br />

sich zwei abgehalfterte Hotels, mächtige Gebäude, die die<br />

Strassen in Schatten tauchen. Da ist das «Albana», wo Caduff<br />

als Bub seine Manieren an einem Benimmkurs schliff. Jetzt<br />

hat sich im Parterre die Credit Suisse eingenistet, darüber<br />

liegen Eigentumswohnungen. Angrenzend das «Parkhaus»,<br />

ebenfalls ein mächtiger Bau. Ein schmiedeeisernes Tor schützt<br />

den Eingang zu den Eigentumswohnungen, die Adresse: «The<br />

Murezzan 4», dann eine Boutique, daneben eine Galerie. Eine<br />

neue Erscheinung sind auch die Immobilienangebote hinter<br />

Glasfenstern. «Dort unten war ein Platz, auf <strong>dem</strong> sich die Jungen<br />

noch vor wenigen Jahren vor <strong>dem</strong> Ausgang trafen», sagt<br />

Caduff. Heute ist er zugebaut – Edelboutiquen hinter Glasfronten.<br />

Und die Hotelbars, in denen sich die Einheimischen<br />

treffen, sind inzwischen rar. Die Führung durch das Dorfzentrum<br />

ist ein Gang durch einen ausgestorbenen Ort. Bloss<br />

Handwerker und portugiesische Strassenarbeiter, die Schnee<br />

wegräumen, zwei junge Deutsche an der <strong>Bus</strong>haltestelle, einige<br />

ältere Frauen – viel mehr Menschen sind da nicht. Und<br />

dann führt Caduff einige Meter den Hang hinunter und zeigt<br />

hoch zum ehemaligen Hotel Belveder, der Prachtbau heisst<br />

heute Residenz Belveder – bis auf den letzten Quadratmeter<br />

Eigentumswohnungen.<br />

Der wilde Geldstrom spült die Einheimischen gewissermassen<br />

aus <strong>dem</strong> Ort, zerstört die alte Dorfkultur und verwandelt<br />

St. Moritz bald für immer in eine gereinigte Sonderzone<br />

der Superreichen, die beiläufig 6500 Franken für ein Weihnachtsessen<br />

ausgeben. Das Gebäude, in <strong>dem</strong> sich das Kino<br />

befindet – eben verkauft. Auch dort werden im Parterre wohl<br />

bald Boutiquen einziehen und darüber Zweitwohnungen.<br />

Rendite um jeden Preis.<br />

Caduff ist Jungsozialist, sitzt im Regionalparlament<br />

und denkt an die Zukunft. Ihm reichen defensive Übungen<br />

wie die Einschränkungen des Zweitwohnungsbaus nicht.<br />

«Wir brauchen eine Gesamtsicht, wir müssen wissen, was wir<br />

<strong>mit</strong> diesem Tal wollen, wir müssen den Genossenschaftsbau<br />

fördern und den Spekulanten Wohnraum entziehen.» Er will<br />

sich nicht widerstandslos die Heimat entreissen lassen. Aber<br />

so kämpferisch Caduff jetzt tönt, streift ihn dann doch der<br />

Realitätssinn des Berglers: «Ich liebe das Oberengadin, ich<br />

bleibe, bis ich mein Studium beendet habe, und ich bleibe länger,<br />

wenn mir das Tal eine Perspektive bietet. Sonst muss halt<br />

auch ich <strong>mit</strong> Wehmut <strong>dem</strong> Engadin den Rücken kehren.»<br />

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds<br />

des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt<br />

Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten<br />

der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden<br />

der WOZ-LeserInnen.<br />

Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich, PC 80-22251-0


Als ob eine Pflicht zu absolvieren wäre: Prototypisches Verhalten im Ikea-Musterbubenzimmer.<br />

«IkeavIlle»<br />

Mustergültig am Fenster stehen<br />

Kultur / Wissen 19<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Wohn ich noch oder leb ich schon?: Gedanken über das «bessere Leben» anlässlich einer Audioführung des Theaterkollektivs<br />

Schauplatz International durch die Ikea-Filiale in Lyssach.<br />

Von AdriAn riKlin (TexT) und ursulA Häne (FoTo)<br />

Es ist Freitagabend in der Ikea-Filiale Lyssach,<br />

und ich sitze leicht benommen auf <strong>dem</strong> weissen<br />

Sofa in der Singlemusterwohnung.<br />

Der 84-jährige Ikea-Gründer Ingvar Kamprad,<br />

der reichste in der Schweiz wohnhafte<br />

Mensch, wäre wohl ziemlich schockiert, wenn<br />

er mich in meiner tatsächlichen Wohnung besuchen<br />

würde. Es ist nämlich so, dass ich immer<br />

noch in den siebziger Jahren wohne. Alle<br />

meine Möbel sind mindestens dreissig Jahre<br />

alt. Die Zeitsprünge, die ich vollbringe, wenn<br />

ich die Türschwelle meiner tatsächlichen<br />

Wohnung überschreite, sind enorm.<br />

Wenn nun also Ikea die Welt ist, bin ich einer<br />

dieser Zaungäste aus <strong>dem</strong> letzten Jahrhundert,<br />

die höchstens studienhalber darin Platz<br />

nehmen. Aber war nicht dieses Jahrzehnt, aus<br />

<strong>dem</strong> sich meine Möbel ins 21. Jahrhundert<br />

hinübergerettet haben, auch jenes Jahrzehnt,<br />

in <strong>dem</strong> Ikea ein neues Gebot ausrief, das die<br />

Welt verändern sollte? «Benutze es und wirf<br />

es weg!» Es war die ultimative Gebrauchsanleitung<br />

für einen zeitgemässeren Umgang<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> täglichen Mobiliar. Schlachtruf für<br />

den mobilen Menschen, der auszieht, die Vergangenheit<br />

hinter sich zu lassen.<br />

Die Esoterik von Ikea<br />

Es riecht nach Duftkerzen. Und die Frage,<br />

sie lautet: «Wohnst du noch oder lebst du<br />

schon?» <strong>Besser</strong> leben: So also fühlt es sich<br />

an auf diesem Sofa. Der tiefere Sinn von<br />

Ikea, ja, er liegt ganz eindeutig in dieser zeitgenössischen<br />

Geschichtspolitik. Im Zeitalter<br />

der Mobilität geht es darum, möglichst keine<br />

Spuren zu hinterlassen (und Staub schon<br />

gar nicht aufkommen zu lassen). Ein flexibler<br />

Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er<br />

Wohnort, Beruf und Weltanschauung jederzeit<br />

und ohne grösseres Aufheben wechseln<br />

kann. Dazu braucht es Wegwerfmöbel.<br />

Wirf weg – und du wirst neugeboren! Das<br />

ist die Esoterik von Ikea. Lass los – und alles<br />

wird gut. Und hell. Und leicht. Und ich ertappe<br />

mich beim Gedanken, es vielleicht doch<br />

noch einmal zu wagen, versuchsweise nur:<br />

ein zeitgenössischer Mensch zu werden, <strong>mit</strong><br />

zeitgenössischen Möbeln und ebensolchen<br />

Beziehungen und Gedanken und Gefühlen.<br />

Aber für diese Art von Reibungslosigkeit ist<br />

es wohl zu spät. Zeitgenossenschaft, das ist<br />

in diesem Zeitalter ja nichts anderes als eine<br />

poetische Umschreibung für Kompatibilität.<br />

Ein Hauch von Demokratie<br />

Nun geht ein junges Paar an meiner provisorischen<br />

Singlewohnung vorüber, als träte<br />

es aus <strong>dem</strong> Schatten einer Gegenwart in den<br />

Lichtkegel einer Zukunft. Ein paar Zimmer<br />

weiter, in einem Musterbubenzimmer, hockt<br />

ein kleiner Junge vor einer Playstation. Die<br />

Art, wie er spielt und <strong>mit</strong> den Armen fuchtelt,<br />

ist vorbildlich. Als ob aus der Mustergültigkeit<br />

der Einrichtung ein ebenso mustergültiges<br />

Verhalten resultieren würde. Ob ich da<br />

nicht ein wenig übertreibe <strong>mit</strong> meinem Kulturpessimismus?<br />

Und doch: Es ist das Prototypische,<br />

das mich abstösst: das Prototypische<br />

einer räumlichen Inszenierung, in der<br />

zwangsläufig immer auch ein prototypisches<br />

Verhalten zutage tritt.<br />

So stehe ich mustergültig am Fenster und<br />

schaue komfortabel in die Welt, um dann vorbildlich<br />

die Vorhänge zu ziehen, mich wohlstandshalber<br />

auf das Mustersofa zu setzen<br />

und standesgemäss auf den Bildschirm zu<br />

schauen, wo mir eine Nachrichtensprecherin<br />

<strong>mit</strong> einem mustergültigen Lächeln auf den<br />

Lippen die neusten Schreckensnachrichten<br />

aus dieser grossen Welt <strong>mit</strong>teilt, vor der ich<br />

die Vorhänge gezogen habe.<br />

Aber wo liegt denn das Problem? Ist das alles<br />

nicht doch auch irgendwie <strong>dem</strong>okratisch:<br />

Gleiche Möbel für alle? Gute, schöne, günstige<br />

Möbel? Oder handelt es sich eben doch<br />

vielmehr um eine Form von kapitalistisch<br />

verwertetem Konsumsozialismus? Ikea ist ja<br />

auch das: ein multinationaler Einrichtungskonzern<br />

<strong>mit</strong> weltweit 130 000 Mitarbeiter-<br />

Innen, der sich soziale Verantwortung und<br />

ökologisches Bewusstsein auf die Fahnen<br />

geschrieben hat. Ein Unternehmen <strong>mit</strong> einem<br />

geschätzten Wert von 36 Milliarden US-Dollar,<br />

dessen Eigentümerin eine als gemeinnützige<br />

Organisation registrierte Stiftung<br />

<strong>mit</strong> Sitz in den Niederlanden ist und deshalb<br />

kaum Steuern zahlt – <strong>mit</strong> einem steinreichen<br />

Patron in der Schweiz, der in den Genuss von<br />

Pauschalbesteuerung kommt.<br />

Leben als Orientierungslauf<br />

Im Mustereinzelzimmer für kleine Buben <strong>mit</strong><br />

der obligaten Weltkarte an der Wand sitzt<br />

noch immer der Junge und spielt Playstation,<br />

als hätte er irgendeine Pflicht zu erfüllen.<br />

Hausaufgaben. Absolvieren, es ist dieses<br />

Wort, das mir in der Ikea-Filiale in Lyssach<br />

immer wieder durch den Kopf geht: das Leben<br />

als Orientierungslauf.<br />

Die Verhältnisse, sie haben sich längst<br />

schon gekehrt: Nicht mehr die Wohnungen<br />

sind es, die sich den menschlichen Bedürfnissen<br />

und Eigenarten anpassen, sondern vielmehr<br />

die Menschen, die sich an den räum-<br />

Schauplatz InternatIonal<br />

«What happened before you came»<br />

In seiner aktuellen Produktion lotst Schauplatz<br />

International (Martin Bieri, Anna-Lisa<br />

Ellend, Albert Liebl, Lars Studer) die ZuschauerInnen<br />

in einer Audioguide-Tour durch die<br />

Ikea-Filiale Lyssach. Die Hörgeschichten gehen<br />

davon aus, dass «Ikeaville» nachts von<br />

Menschen bewohnt wird, die an einer «besseren<br />

Welt» arbeiten.<br />

Die Tour endet <strong>mit</strong> der Aufnahme eines<br />

Interviews <strong>mit</strong> Colin Crouch, Autor des Buchs<br />

«Post<strong>dem</strong>okratie». Den Hintergrund liefert<br />

die Tatsache, dass Ikea wegweisend darin<br />

ist, soziale Ideen kapitalistisch zu verwerten.<br />

Crouch: «Das grosse Unternehmen wird in der<br />

Gesellschaft, in der wir leben, nach und nach<br />

zur zentralen Institution. Immer mehr private<br />

Firmen erfüllen öffentliche Aufgaben, das<br />

Wissen privater Unternehmen wird als das<br />

wichtigste Wissen überhaupt verstanden.»<br />

In Bezug auf den Bedeutungsverlust der<br />

handwerklich-industriellen Arbeiterklasse<br />

bedeutet das, dass Gruppen, die in den Sek-<br />

lichen Voraussetzungen orientieren. Eigen-<br />

Art: Das hört sich inzwischen an, als handle<br />

es sich um eine Kunstrichtung.<br />

In einem weissen Musterzimmer entdecke<br />

ich wieder das junge Paar, ertappe die<br />

beiden, wie sie längst darin Platz genommen<br />

haben an diesem Freitagabend in der Ikea-<br />

Filiale Lyssach – in einer Zukunft, als wäre<br />

sie schon ein wenig Vergangenheit. Und alles<br />

kommt mir schleierhaft bekannt vor, als<br />

handle es sich um eine Szene, die ich schon<br />

mal in einer Illustrierten gesehen habe (als<br />

Homestory eignet sich ja immer nur das Privatleben<br />

der anderen). Vielleicht ist es am<br />

Ende das, was dieses Ikea-Gefühl ausmacht:<br />

jeder und je<strong>dem</strong> die Illusion, ein besseres<br />

Leben zu führen. Weicher liegen, klarer fernsehen,<br />

leichter sterben. Und wäre nicht auch<br />

das ein wenig <strong>dem</strong>okratisch?<br />

toren der postindustriellen Wirtschaft arbeiten,<br />

kaum mehr eine politische Identität<br />

entwickeln können, weil die Kohäsionskräfte<br />

von Klasse und Religion so schwach geworden<br />

sind: «Die breite Masse, der Kern der Gesellschaft,<br />

wird zu einem passiven Beobachter<br />

politischer Prozesse, die einerseits von<br />

Unternehmen und Parteieliten, andererseits<br />

von den Vertretern gesellschaftlicher Extreme<br />

kontrolliert werden.»<br />

«Ikeaville – What happened before you came» in:<br />

Lyssach Ikea-Filiale. Kollektive Anreise (<strong>Bus</strong> ab Bern,<br />

Tojo-Theater): Fr, 10. und 17. Dezember, 19 Uhr.<br />

Individuelle Anreise: Do, 9., So, 12., Di, 14., Do, 16.,<br />

So, 19. Dezember, 11 bis 19 Uhr (So bis 17 Uhr).<br />

Zirka 75 Minuten. Preis: «Zahl, so viel du willst».<br />

Reservationen unter Angabe der gewünschten Zahl<br />

Audioguides: tickets@schauplatzinternational.net;<br />

Tel. 031 991 99 01. Mitbringen eigener Kopfhörer<br />

erwünscht. www.schauplatzinternational.net<br />

Colin Crouch: «Post<strong>dem</strong>okratie». Aus <strong>dem</strong> Englischen<br />

von Nikolaus Gramm. Edition Suhrkamp. Berlin 2009.<br />

160 Seiten. Fr. 15.90.


20 Kultur / Wissen<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Kultur online<br />

Das digitale<br />

Feuilleton<br />

öffnet neue<br />

Schubladen<br />

Sie füllen die Lücke, die <strong>mit</strong> den Sparübungen<br />

in den Medien entstanden ist. Doch Onlinemagazine<br />

wie «Neuland», «TheTitle» oder «imScheinwerfer»<br />

sind mehr als nur Lückenbüsser.<br />

Von nicK Lüthi<br />

Musicals haben einen schweren Stand. Nicht<br />

beim Publikum, das strömt in Massen, wenn<br />

«Evita», «Dällebach Kari» oder «Ewigi Liebi»<br />

auf <strong>dem</strong> Programm stehen – aber in den Medien.<br />

Beim Feuilleton rümpft man die Nase und<br />

hält das Genre für irgendwie minderwertig. Als<br />

gesellschaftliche Anlässe werden Musicalaufführungen<br />

zwar wahrgenommen, nicht aber<br />

als kulturelle. So kommt es, dass nirgendwo<br />

eine kontinuierliche und kritische Berichterstattung<br />

stattfindet. Mit einer Ausnahme: Das<br />

Onlinemagazin «imScheinwerfer» bietet seit<br />

gut zwei Jahren <strong>dem</strong> Musical eine prominente<br />

publizistische Plattform <strong>mit</strong> ausführlichen<br />

Kritiken aller wichtigen Produktionen. Auch<br />

Theater, Musik, Show und Zirkus kommen in<br />

weiteren Rubriken nicht zu kurz.<br />

Obwohl Form und Inhalt professionell<br />

daherkommen, können die Herausgeber Andreas<br />

Isenegger und Daniel Fischer <strong>mit</strong> den<br />

Einnahmen aus den spärlichen Werbeanzeigen<br />

nur die Unkosten für den Betrieb der Website<br />

bezahlen. «Die Grossen der Branche, ein Veranstalter<br />

wie Good News zum Beispiel, brauchen<br />

nicht bei uns zu inserieren», weiss Isenegger.<br />

Mit gutem Grund: Good News gehört Ringier<br />

und kann die Kanäle des Zürcher Medienkonzerns<br />

nutzen.<br />

Das ist Fluch und Segen zugleich für ein<br />

unabhängiges Kulturmagazin wie «imScheinwerfer»:<br />

«Einerseits könnten wir das Geld gut<br />

brauchen, andererseits wollen wir nicht von<br />

der Branche abhängig werden.» Und so bestreitet<br />

Isenegger, der sein Einkommen als Projektleiter<br />

bei einer Elektrizitätsfirma und als Teilzeitfotograf<br />

verdient, als Chefredaktor <strong>mit</strong> beschränktem<br />

Budget ein doch anspruchsvolles<br />

Redaktionsprogramm. Einen grossen Teil<br />

der Artikel verfassen er selbst oder der Wirtschaftsanwalt<br />

und Musicalfan Daniel Fischer.<br />

«Da wir keine Honorare bezahlen», so Isenegger,<br />

«kann ich nicht immer <strong>mit</strong> gutem Gewissen<br />

einen freien Journalisten aufbieten.»<br />

Personenrätsel<br />

Die rote Jungfrau<br />

Sie wollte «die absolute Freiheit, nichts als die<br />

Freiheit», und da ihr Credo für alle galt, verteidigte<br />

sie nach einem Mordanschlag den Attentäter,<br />

der auf sie geschossen hatte. Er sei «von<br />

einem bösartigen System fehlgeleitet», sagte sie<br />

im Alter von 58 Jahren. Konsequent war die zu<br />

ihrer Zeit meistgehasste und meistgeliebte Frau<br />

immer gewesen. 1830 als uneheliche Tochter einer<br />

Dienstmagd in der ostfranzösischen Provinz<br />

auf die Welt gekommen, verzichtete die überzeugte<br />

Republikanerin trotz ihrer Ausbildung<br />

zur Grundschullehrerin auf eine Anstellung im<br />

Schuldienst, weil sie einen Eid auf den Kaiser ablehnte.<br />

Und in Paris, wohin sie im Alter von 26<br />

Jahren umgezogen war, unterrichtete sie nicht<br />

nur an einer privaten Mädchenschule: Sie engagierte<br />

sich in Frauengruppen und schloss sich<br />

der sozialistischen Opposition an.<br />

Konsequent blieb sie auch, als im Schatten<br />

des deutsch-französischen Kriegs 1871 die<br />

Pariser ArbeiterInnen die Macht übernahmen<br />

Innerhalb der Musicalszene hat sich<br />

«imScheinwerfer» seit der Gründung vor zwei<br />

Jahren einen guten Namen erarbeitet. Nicht<br />

zuletzt dank der Vergabe eines nach <strong>dem</strong> Magazin<br />

benannten Preises. Isenegger: «Die Musicaldarsteller<br />

finden es toll, dass sie bei uns eine<br />

Plattform haben.» Und nicht nur sie, sondern<br />

auch die rund 30 000 Personen, die im Monat<br />

«imScheinwerfer» lesen.<br />

«Freier und persönlicher»<br />

Deckt das Musicalmagazin ein genrespezifisches<br />

Interesse ab, so versuchen zwei andere<br />

Internetpublikationen jenem Journalismus<br />

Raum zu geben, den sie in der Schweizer Medienlandschaft<br />

zunehmend vermissen: lange Formate,<br />

reichhaltiger Lesestoff, der nicht primär<br />

von Aktualität und Aufmerksam keitsdruck geprägt<br />

ist, verfasst von profilierten und kompetenten<br />

AutorInnen, wie etwa Hanspe ter Künzler.<br />

Der als «Düsi aus London» von DRS 3 bekannte<br />

Journalist schreibt für «TheTitle» und<br />

«Neuland», die beiden jungen Onlinemagazine.<br />

«Ich schreibe freier und persönlicher und<br />

kann mehr von meinem ‹Ich› in die Texte einbringen»,<br />

benennt der Journalist den Unterschied<br />

zu den Aufträgen etablierter Medien. In<br />

der Erstausgabe von «Neuland» widmete sich<br />

Künzler <strong>dem</strong> englischen Schulsystem am Beispiel<br />

seiner beiden Töchter. Ungewohnte Töne<br />

vom Musikjournalisten. Von «Perlen, die man<br />

sonst nicht präsentiert kriegt» spricht Judith<br />

Stofer, eine der Gründerinnen von «Neuland».<br />

Die aber wollen geschliffen werden. Was<br />

die Onlinemagazine von Blogs unterscheidet,<br />

ist ihre Redaktionsstruktur. Zwar kann heute<br />

jeder und jede <strong>mit</strong> wenig Aufwand und in ansprechender<br />

Gestalt im Internet veröffentlichen,<br />

was ihm oder ihr gerade durch den Kopf<br />

geht. Einen institutionalisierten Qualitätsfilter<br />

leisten sich aber nur die wenigsten. Der<br />

macht den Unterschied. Man treffe eine «stren­<br />

und die erste Räte<strong>dem</strong>okratie der Geschichte<br />

ausriefen. Sie organisierte Suppenküchen, versorgte<br />

die Verwundeten im Kampf zur Verteidigung<br />

der proletarischen Republik, zog sich eine<br />

Uniform an und kämpfte <strong>mit</strong> ihrem Frauenbataillon<br />

auf den Barrikaden.<br />

Die Niederschlagung der Pariser Kommune<br />

kostete 30 000 Aufständischen das Leben;<br />

die meisten wurden exekutiert. «La pétroleuse»,<br />

die Zündlerin, wie sie von den Bürgerlichen<br />

genannt wurde, verschonte man jedoch. Die<br />

siegreiche Bourgeoisie wollte keine Märtyrerin<br />

schaffen und verbannte die von den Massen<br />

verehrte «Jeanne d‘Arc des Anarchismus» auf<br />

die französische Kolonial insel Neukaledonien.<br />

Doch auch dort gab sie keine Ruhe: Sie unterstützte<br />

die UreinwohnerInnen bei einer antikolonialen<br />

Revolte. Nach einer Amnestie 1880<br />

kehrte sie zurück, half streikenden Textilarbeiterinnen<br />

und führte 1883 eine Demonstration<br />

an, bei der drei Bäckereien geplündert wurden.<br />

Erneut wurde sie verurteilt, kam aber aufgrund<br />

von Protesten nach drei Jahren frei, schrieb Aufrufe<br />

und hielt flammende Reden, bis sie <strong>mit</strong> 74<br />

Jahren während einer Vortragsreise in Marseille<br />

starb.<br />

Wie heisst die Revolutionärin, deren Sarg<br />

über 100 000 Menschen begleiteten und nach<br />

der in Paris eine Metrostation benannt ist? pW<br />

Die Auflösung finden Sie auf Seite 26.<br />

Das Onlinemagazin «neuland» versteht sich auch als Plattform für bildende Kunst: Das interaktive Cover der<br />

zweiten Ausgabe gestaltete das Basler Künstlerpaar Studer / Van den Berg.<br />

ge Auswahl» vor der Veröffentlichung, sagt<br />

«Neuland»­Macherin Judith Stofer, einst Präsidentin<br />

der JournalistInnen­Union und heute<br />

freie Journalistin.<br />

Wenn sich ««imScheinwerfer» inhaltlich<br />

über den Musicalfokus als Alternative zum Programm<br />

der Massenmedien positioniert, dann<br />

tut dies «Neuland» über die Form. Das Magazin<br />

verweigert sich bewusst den Onlinetrends.<br />

So gibt es auch keine Kommentarmöglichkeit<br />

zu den Artikeln. Künzler schätzt<br />

das: «Ich finde den Wortdurchfall<br />

in den meisten Kommentarspalten<br />

eher irritierend als bereichernd.»<br />

Man wolle bewusst<br />

Ruhe hineinbringen, nicht das<br />

Schrille, Lärmige, sagt Stofer.<br />

Film und Ton präsentiert man in<br />

eigens dafür vorgesehenen Gefässen,<br />

um nicht von den Texten<br />

abzulenken.<br />

Trotz aufwendiger Gestaltung<br />

gemahnt das Monatsmagazin<br />

allzu stark an das Ab­<br />

bild einer Printpublikation <strong>mit</strong> typografischen<br />

und gestalterischen Elementen, die auf die<br />

Lesegewohnheiten am Bildschirm nicht wirklich<br />

Rücksicht nehmen. Das bleibt vorerst so.<br />

In einem halben Jahr wird eine «strenge Zwischenbilanz»<br />

gezogen; auch was das Geld angeht.<br />

Das fliesst nämlich erst spärlich. Nun<br />

hoffen die MacherInnen dank <strong>dem</strong> Leistungsausweis<br />

von zwei Ausgaben auf Stiftungen;<br />

eine Hoffnung, die derzeit alle hegen, die Projekte<br />

jenseits des kommerziellen Verwertungsdrucks<br />

zu lancieren versuchen – und es sind<br />

nicht wenige.<br />

Magazin <strong>mit</strong> Mäzen<br />

Was die<br />

Onlinemagazine<br />

von Blogs<br />

unterscheidet,<br />

ist der<br />

Qualitätsfilter.<br />

Keine Sorgen um die Finanzierung brauchte<br />

sich lange Zeit «TheTitle» zu machen, ein Kulturmagazin<br />

<strong>mit</strong> der nicht gerade bescheidenen<br />

Zensurversuche<br />

Die polizei klingelt nicht<br />

Im November wurde die Türe des Münchner<br />

«Kafe Marat» von der Polizei <strong>mit</strong> einem Rammbock<br />

aufgebrochen und anschliessend die Tür<br />

zum Infoladen <strong>mit</strong> einem handlichen Brecheisen<br />

geöffnet. Die dort anwesenden Leute waren<br />

ziemlich erschrocken und fragten sich, wieso<br />

die Polizei nicht geklingelt hat. Die Frage war zu<br />

kompliziert und konnte bis heute von der Polizei<br />

nicht beantwortet werden.<br />

Sie suchten nach der Ausgabe Nr. 718 der<br />

Zeitschrift «Interim» aus <strong>dem</strong> Umfeld der Berliner<br />

autonomen Szene. In der besagten Nummer<br />

wurde über einen «spurenarmen Molli» berichtet<br />

und in polizeilicher Leseart «öffentlich<br />

zu Straftaten aufgefordert». Woher die Polizei<br />

dies weiss, ist bis heute auch nicht beantwortet.<br />

Im «Kafe Marat» sind die Polizisten nicht fündig<br />

geworden. Da<strong>mit</strong> sie nicht <strong>mit</strong> leeren Händen<br />

abziehen mussten, haben sie Rammbock<br />

und Brecheisen wieder <strong>mit</strong>genommen.<br />

Auch in Berlin werden seit 2009 in schöner<br />

Regelmässigkeit Buchhandlungen polizeilich<br />

durchsucht. Allerdings wird dort vorher<br />

geklingelt. Es betrifft vor allem den Infoladen<br />

«M99 – Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf»,<br />

die Buchhandlung «oh*21» und den<br />

Unterzeile «Das kulturelle Überformat». Drei<br />

Jahren lang konnte Chefredaktor Rudolf Amstutz<br />

aus <strong>dem</strong> Vollen schöpfen. Der nach New<br />

York ausgewanderte Berner Journalist fand in<br />

einer kleinen, florierenden Softwarefirma den<br />

Mäzen für sein Wunsch­ und Traummagazin.<br />

Amstutz bot bekannten SchreiberInnen, darunter<br />

auch Hanspeter Künzler, Raum für Beiträge<br />

zur Populärkultur, von Musik über Film<br />

bis Comic. Und das jeweils in der Länge und<br />

Ausführlichkeit, wie sie der Stoff<br />

erfordert, und nicht, wie sie ein<br />

Layout vorgibt.<br />

Einen sechsstelligen Betrag<br />

habe man bisher in «TheTitle» investiert,<br />

sagt Claudia Mühlebach,<br />

die firmenseitig das Projekt betreut.<br />

Nach <strong>dem</strong> überraschenden<br />

Verlust eines Kunden zog sich<br />

die Softwarefirma Anfang 2010<br />

als Sponsor zurück. Zumindest<br />

vorübergehend. «Wir sehen aber<br />

weiterhin das Potenzial des Magazins<br />

und zahlen auch jetzt<br />

noch regelmässig kleinere Beiträge», sagt Mühlebach.<br />

Doch für das Gros der Betriebskosten<br />

muss jetzt der Chefredaktor Klinken putzen<br />

gehen. Im Moment kann sich Amstutz ganz<br />

auf diese Aufgabe konzentrieren. Seit einem<br />

halben Jahr wurden keine neuen Texte mehr<br />

veröffentlicht, im Januar steht ein Neustart<br />

von «TheTitle» an. Der Versuch, ein Printmagazin<br />

im Netz zu simulieren, <strong>mit</strong> Seiten zum<br />

Blättern und monatlicher Erscheinungsweise,<br />

sei an Grenzen gestossen und für die Lektüre<br />

nicht ideal, findet Amstutz. Für den grenzenlosen<br />

Optimisten heisst das aber nicht, dass er<br />

aufgibt. 2011 soll «TheTitle» als App auf iPhone<br />

und iPad zu lesen sein.<br />

www.imscheinwerfer.ch<br />

www.neuland-mag.net<br />

www.the-title.com<br />

Buchladen und Verlag «Schwarze Risse», bei<br />

<strong>dem</strong> bereits neun Mal Flugblätter und Zeitschriften<br />

beschlagnahmt wurden. Von Seiten<br />

der Staatsanwaltschaft wird gegen alle drei<br />

Buchhandlungen er<strong>mit</strong>telt.<br />

BuchhändlerInnen sollen also für den<br />

Inhalt der Schriften, die sie vertreiben, verantwortlich<br />

gemacht werden. Macht sich also<br />

jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi­<br />

Aufmarsch zu blockieren oder gegen einen<br />

Castor­Transport zu <strong>dem</strong>onstrieren? Verstösst<br />

ein Essay von Walter Benjamin gegen das Werbeverbot<br />

für Betäubungs<strong>mit</strong>tel? Auch linke Internetprovider<br />

hatten wegen gehosteten Internetseiten<br />

wiederholt Besuch vom Staatsschutz<br />

erhalten.<br />

Die Geschichte kommt einem nicht unbekannt<br />

vor. Vor Jahren wurde auch die linke<br />

Buchhandlung Pinkus in Zürich Ziel solcher<br />

Razzien. Gegen die damalige Verantwortliche<br />

wurde gar ein Verfahren wegen des Verkaufs<br />

von linken Zeitschriften eingeleitet. Das Verfahren<br />

wurde später mangels Beweisen eingestellt.<br />

Leuten, die sich gegen die staatlichen<br />

Zensurversuche in Deutschland wehren wollen,<br />

sei www.unzensiert­lesen.de empfohlen. ibo


«auf den inseln des letzten lichts»<br />

Gefangen im Plotlabor<br />

In seinem neuen Roman greift Rolf Lappert noch weiter in die Welt aus als in seinem preisgekrönten Roman «Nach Hause schwimmen»<br />

und landet auf den Philippinen: ein unbändiger, üppiger Text auf eher banalen Handlungsbahnen.<br />

Von Bettina sPoerri<br />

Er war ein Überraschungssieger, als er vor<br />

zwei Jahren <strong>mit</strong> seinem Roman «Nach Hause<br />

schwimmen» den Schweizer Buchpreis gewann.<br />

Viele LeserInnen im deutschsprachigen<br />

Raum hatten bis dahin den Namen des früh<br />

schon aus der Schweiz ausgewanderten Schriftstellers<br />

Rolf Lappert kaum oder gar nicht gekannt.<br />

Doch nicht zuletzt die Neuheit des 2008<br />

soeben erst begründeten Schwei­<br />

zer Buchpreises katapultierte<br />

den 1958 in Zürich geborenen<br />

Lappert ins Zentrum des Literaturbetriebs.<br />

Plötzlich wollten<br />

alle wissen, wer der Autor war,<br />

der sich in einem kleinen Ort in<br />

Irland niedergelassen hatte, wo<br />

er sich – nach eigener Aussage –<br />

während langer Phasen mehrheitlich<br />

zwischen Schreibtisch<br />

und Kühlschrank hin­ und herbewegt.<br />

Bis zu diesem ihm fremden<br />

Rummel um seine Person veröffentlichte<br />

Lappert nicht nur mehrere Romane im kleinen<br />

Basler Verlag Nachtmaschine; schon in den<br />

neunziger Jahren stand er als Autor auf der<br />

Buchliste des Nagel­&­Kimche­Verlags. Dann<br />

allerdings gab es eine über zehnjährige Pause,<br />

in der Lappert einen Jazzclub führte und später<br />

Benda Bilili<br />

Klänge aus der<br />

Milchpulverbüchse<br />

Eigentlich hatten Florent de la Tullaye und Renaud Barret<br />

einen Dokumentarfilm über Kinshasa im Kopf. Dann trafen sie<br />

in der kongolesischen Hauptstadt auf eine Gruppe von<br />

körperbehinderten Musikern. Daraus ist ein Bandporträt<br />

entstanden, das auch viel über die Stadt erzählt.<br />

Von Fredi Bosshard<br />

«Der Typ filmt uns. Wir könnten ihm die Tasche<br />

klauen, die Kamera, das Geld.» So lautet<br />

der Kommentar einiger Jugendlicher in den<br />

nächtlichen Strassen von Kinshasa, die sich<br />

fragen, was die Filmerei der Weissen soll. Die<br />

Kids müssen irgendwie überleben in dieser<br />

chaotischen und erbarmungslosen Umgebung<br />

der Hauptstadt der Demokratischen Republik<br />

Kongo. Sie sind einige der neun Millionen EinwohnerInnen,<br />

die gelernt haben, sich auf der<br />

Strasse durchzuschlagen.<br />

«Wir schlafen auf Karton, Alter», rufen<br />

sie der filmenden Crew zu. Ihre Analyse ist<br />

prägnant: «Nur Diebstahl funktioniert hier.»<br />

Sie stellen sich einem chromglänzenden, martialischen<br />

Offroader in den Weg, fordern nur<br />

einige Krümel vom Reichtum der hinter dunklen<br />

Scheiben verborgenen Insassen. Das Auto<br />

schiebt sie wie eine mobile Festung zur Seite<br />

und fährt weiter.<br />

Unruhiger Schlaf auf einem Karton<br />

Ungeduldig zieht<br />

Lappert an den<br />

Fäden des Stoffs<br />

und zerreisst<br />

dabei manches<br />

fein Gewobene.<br />

Es heisst, dass gegen 40 000 Strassenkinder in<br />

Kinshasa leben. Sie wurden von den Eltern verstossen<br />

oder sind der häuslichen Gewalt entflohen,<br />

wurden ausgesetzt und verlassen oder<br />

sind einfach auf der Suche nach einem kleinen<br />

Verdienst. Im Zentrum putzen sie Schuhe, bewachen<br />

gegen ein kleines Entgelt Parkplätze<br />

und die SUVs der Reichen, verkaufen Pillen<br />

und geröstete Insekten, betteln und stehlen.<br />

Schulen kennen sie meistens nur von aussen,<br />

und wenn etwas mehr übrig bleibt, helfen sie<br />

ihren Geschwistern, die noch nicht so strassentauglich<br />

sind. Die Strassenkinder sind permanent<br />

auf Achse, wirken gestresst und sind auf<br />

für das Schweizer Fernsehen Folgen für die Sitcom<br />

«Mannezimmer» schrieb.<br />

Von einer Insel auf die andere<br />

Es scheint, dass Lappert erst der Wegzug nach<br />

Irland wieder ein kontinuierlicheres Schreiben<br />

an einem grossen, eigenen Text ermöglichte.<br />

Jedenfalls entstand dort die Fi­<br />

gur Wilbur, jener kleinwüchsige<br />

Antiheld aus «Nach Hause<br />

schwimmen». Die Grüne Insel<br />

ist nun auch in Lapperts neuem<br />

Roman «Auf den Inseln des letzten<br />

Lichts» erneut der Ausgangspunkt<br />

der Reisen der Hauptfiguren:<br />

Megan und Tobey O’Flynn,<br />

ein Geschwis terpaar, das sich<br />

sucht, nachreist, aber vielleicht<br />

für immer verloren hat. Doch Tobey<br />

gibt nicht auf und folgt Megans<br />

Spuren bis hin zu einer Insel,<br />

die zu den Philippinen gehört. Hier trifft er auf<br />

eine seltsame Gruppe von Menschen, WissenschaftlerInnen<br />

aus Europa und Asien, die <strong>mit</strong><br />

Hilfe einiger Filipinos eine Forschungsstation<br />

für Primaten zu unterhalten versuchen, die allerdings<br />

eindeutig bessere Tage gesehen hat.<br />

Bald nimmt auch Tobey die Lethargie gefangen,<br />

der Flucht vor einer gewalttätigen Polizei. Erst<br />

im Dunkel der Nacht verziehen sie sich in einen<br />

geschützten Winkel, legen sich zum unruhigen<br />

Schlaf auf einen der hart erkämpften Kartons.<br />

Körnige Aufnahmen aus <strong>dem</strong> nächtlichen<br />

Kinshasa stehen am Anfang des Films «Benda<br />

Bilili!» von Florent de la Tullaye und Renaud<br />

Barret. Die Filmer aus Frankreich hatten 2004<br />

ein Projekt zu einem Dokumentarfilm über<br />

die Stadt im Kopf, als sie <strong>mit</strong> den Dreharbeiten<br />

begannen. Bei ihren Recherchen sind sie auf<br />

die Kids und eine Gruppe von Behinderten in<br />

abenteuerlichen Rollstühlen gestossen, die im<br />

Zentrum von Kinshasa beim Mandela­Kreisel<br />

ihre Tage verbringen oder sich beim Zoo zum<br />

Musizieren treffen. Tullaye und Barret haben<br />

ihre Pläne modifiziert und über sechs Jahre an<br />

einem faszinierenden Bandporträt gearbeitet.<br />

Léon «Ricky» Likabu, der von allen Papa<br />

Ricky genannt wird, betreibt seinen mobilen<br />

Laden vom Rollstuhl aus. Er verkauft Zigaretten<br />

und schenkt Pastis aus, arbeitet zwischendurch<br />

als Schneider und Mechaniker. Der Gründer<br />

von Staff Benda Bilili hält die Gruppe zusammen<br />

und ist überzeugt, dass er und die anderen<br />

in der Band es eines Tages schaffen werden.<br />

Sie singen und träumen von der Hoffnung und<br />

vom Glück, das meist unverhofft kommt. Optimismus<br />

und Talent ist alles, was sie haben.<br />

Der Rollstuhl von Papa Ricky ist ein<br />

handgefertigtes Modell, das er und Freunde<br />

aus verschiedenen Veloteilen hergestellt haben.<br />

Sein Kollege Coco Ngambali Yakala, der ebenfalls<br />

an Polio leidet, ist berühmt für seinen frisierten<br />

Rollstuhl, der aus Mopedteilen gebaut<br />

wurde. Weil er sich aber oft kein Benzin leisten<br />

kann, ist der Gitarrist und Sänger, wie die<br />

die von den Menschen hier Besitz ergriffen hat.<br />

Seine Motivation, Megan zu suchen, schwindet.<br />

Zum einen mögen die aus der halben Welt<br />

zusammengewürfelten BewohnerInnen der Inseln<br />

– es spielt im Verlauf der Handlung noch<br />

eine kleinere Nachbarinsel eine Rolle – als Mikrokosmos<br />

für die gesamte Menschheit stehen;<br />

zum anderen gewinnt der Ort zuweilen die Bedeutung<br />

einer bruchstückhaften Allegorie auf<br />

das Geschichtenerzählen und das Schreiben<br />

an sich. So kommentiert etwa die Figur eines<br />

Inders oder Pakistani – ihre Identität bleibt<br />

letztlich ungeklärt –, die immer wieder neue<br />

Versionen ihrer Biografie kreiert, die Grundbedingungen<br />

des Erfindens überhaupt.<br />

Der Autor jagt seine Figuren<br />

Doch als hätte Lappert diesem vielschichtigen<br />

Bild, das sich in einem ruhigen Rhythmus zu<br />

entwickeln beginnt, nicht vertraut, zieht er ungeduldig<br />

an den Fäden des Stoffs und zerreisst<br />

dabei manches bereits fein Gewobene oder<br />

zerrt andeutungsvolle Muster ans grelle Licht,<br />

wo sie schnell verblassen. Tobeys Gefangensein<br />

in einer Art Loop, sein Einsinken in das Einerlei<br />

der feuchtwarmen Tage, kontrastiert und<br />

durchbricht der Roman immer wieder durch<br />

thrillerartige Plotelemente: So gerät Tobey wie­<br />

anderen Mitglieder der Band, auf die Hilfe der<br />

Strassenkinder angewiesen. Diese schieben die<br />

Rollstühle über die unwegsamen Strassen von<br />

Kinshasa.<br />

Ein Zoo als Freiluftstudio<br />

«Ich erfinde nichts, meine Lieder handeln vom<br />

Leben», erklärt Papa Ricky, als er zu seinen<br />

Liedtexten befragt wird. Als ihm die Film leute<br />

den jungen Roger Landu vorstellen, auf den<br />

sie bei ihren Dreharbeiten aufmerksam wurden,<br />

erkennt Papa Ricky sofort dessen Talent<br />

und nimmt ihn unter seine Fittiche. Er wird<br />

der Strassenvater für den vom Land in die<br />

Stadt gekommenen Jungen, der Geld verdienen<br />

will, um seiner kranken Mutter zu helfen. Der<br />

Dreizehnjährige hat sich aus einer Milchpulverbüchse,<br />

einem gebogenen Aststück und einer<br />

Stahlseite eine improvisierte Laute gebaut,<br />

die er Satongé nennt und der er die unglaublichsten<br />

Töne entlockt. Er verleiht nach ersten<br />

scheuen und zögerlichen Versuchen <strong>mit</strong> seinen<br />

unverwechselbaren Klängen der Band bald ihren<br />

eigenen Touch.<br />

Tullaye und Barret motivieren Staff<br />

Benda Bilili, an ihrem Repertoire zu arbeiten<br />

und regelmässig zu proben. Sie stellen Studioaufnahmen<br />

in Aussicht und feilen gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> den Musikern an den Arrangements. Das<br />

Projekt steht beinahe vor <strong>dem</strong> Aus, als 2005 das<br />

Wohnzentrum für Körperbehinderte, in <strong>dem</strong><br />

die meisten Band<strong>mit</strong>glieder und ihre Familien<br />

leben, durch einen Brand zerstört wird. Die Aufnahmen<br />

werden erst ein Jahr später wieder aufgenommen.<br />

Für einige Songs wird der Zoo, ein<br />

brachliegender Garten <strong>mit</strong> verfallenden Käfigen<br />

Kultur / Wissen 21<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

derholt in Lebensgefahr, weil er Geheimnisse<br />

der Forschungsstation erfährt. Und dann gerät<br />

er noch in die lokalen politischen Auseinandersetzungen<br />

hinein und wird als Geisel festgehalten.<br />

Derselbe sinnlose Aktivismus ergreift<br />

auch jenen dritten Teil des Romans, in <strong>dem</strong> von<br />

der einstigen Ankunft Megans auf der Insel erzählt<br />

wird: Lappert jagt seine Figuren von einer<br />

brenzligen Situation in die nächste – doch dabei<br />

verliert er sie immer mehr aus den Augen.<br />

Umso schmerzlicher empfindet man<br />

die Banalität solcher Plothascherei, nach<strong>dem</strong><br />

der Autor im <strong>mit</strong>tleren Teil des Buches in die<br />

irische Kindheit seines Geschwisterpaars zurückgeblendet<br />

und dabei an die Kraft seines<br />

musikalischen Sprachvermögens erinnert hat.<br />

Das Laute, Wichtigtuerische liegt diesem Autor<br />

nicht; das spürt man in diesen Irland­Passagen.<br />

Offensichtlich war Lappert da nicht nur geografisch<br />

näher an seinen Quellen.<br />

Rolf Lappert: «Auf den Inseln<br />

des letzten Lichts». Hanser. München<br />

2010. 544 Seiten. Fr. 37.90.<br />

Selbst gefertigte Rollstühle, stark gebrauchte Instrumente: Staff Benda Bilili. foto: Enrico Dagnino<br />

und einigen hungrigen Affen, zum Freiluftstudio.<br />

Kongolesischer Rumba mischt sich da <strong>mit</strong><br />

Vogelgezwitscher zu berauschender Musik.<br />

2009 erscheint die CD «Très Très Fort»<br />

von Staff Benda Bilili. Die Band erhält dafür<br />

den Weltmusikpreis Womex Award 2009 und<br />

geht auf Tour in Europa. Am Eurockéennes in<br />

Belfort spielen sie vor einem begeisterten Publikum.<br />

Ob der inzwischen neunzehnjährige<br />

Roger Landu <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> grossen Erfolg umgehen<br />

kann, rätseln die übrigen Band<strong>mit</strong>glieder, als<br />

sie in einem Hotelzimmer im eiskalten Oslo<br />

sitzen. Die Kinder von Papa Ricky und den anderen<br />

jedenfalls haben eine bessere Zukunft,<br />

da sind sie sich sicher.<br />

Aus <strong>dem</strong> Dokumentarfilm über die Stadt,<br />

die früher Léopoldville hiess, ist ein Film über<br />

die Band Staff Benda Bilili geworden. Tullaye<br />

und Barret haben sich viel Zeit genommen<br />

und sind zwischen 2004 und 2009 beinahe im<br />

Jahresrhythmus nach Kinshasa gereist. Zwischendurch<br />

haben sie in Paris gearbeitet und<br />

zusätzliche Mittel für den Film und die Tonaufnahmen<br />

organisiert. Die Bilder von «Benda<br />

Bilili!» erzählen mehr über die Stadt, als es das<br />

ursprünglich geplante Projekt hätte tun können.<br />

Die Musiker, ihre Familien und Kinder –<br />

die eigenen und die Strassenkinder – zeigen einen<br />

lebendigen Kosmos, in <strong>dem</strong> bei aller Armut<br />

und allem Leid der Optimismus nicht verloren<br />

gegangen ist.<br />

«Benda Bilili!». Frankreich 2010. Regie: Florent<br />

de la Tullaye und Renaud Barret. Ab 9. Dezember<br />

in Deutschschweizer Kinos.<br />

Staff Benda Bilili: «Très Très Fort». Crammed<br />

Discs / Musikvertrieb.<br />

Siehe «Mit der WOZ» auf Seite 27.


22 WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Kinoprogramm von Donnerstag, 9. Dezember bis Mittwoch, 15. Dezember 2010<br />

Kanton Aargau<br />

freier film, aarau<br />

ffa@freierfilm.ch; Laurenzenvorstadt 85;<br />

www.freierfilm.ch<br />

Tägl. ohne Di 20.30<br />

Tamara Drewe R: St. Frears (England 2010)<br />

kino orienT, baDen<br />

Tel. 056 430 12 39; Landstrasse 2,<br />

Wettingen; www.orientkino.ch<br />

Do 15.00<br />

Gentlemen prefer blondes R: H. Hawks<br />

(USA 1953)<br />

Fr/Sa/Mo/Mi 20.30, So 19.00<br />

Home for Christmas R: B. Hamer (Norwegen<br />

2010)<br />

Cinéma oDeon, bruGG<br />

Tel. 056 450 35 65; Bahnhofplatz 11;<br />

www.odeon-brugg.ch<br />

Tägl. 20.15<br />

bal – Honig R: S. Kaplanoglu (TUR 2009)<br />

Fr/Sa/Mo/Di 18.00<br />

am anfang war das licht R: P. A. Straubinger<br />

(Ö 2010)<br />

Sa 15.00<br />

nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />

(CH 2009)<br />

Sa 23.00, So 17.00<br />

How about love R: St. Haupt (CH 2010)<br />

So 15.00<br />

Wildnis Schweiz R: R. Mäder (CH 2010)<br />

ODEONkinoreif?<br />

Mi 17.00<br />

kirschblüten Hanami R: D. Dörrie (D 2008)<br />

friCkS monTi, friCk<br />

Tel. 062 871 04 44; Kaistenbergstr. 5;<br />

www.fricks-monti.ch; Di Ruhetag<br />

Do/Fr/Sa/So 20.15<br />

Stichtag – Due Date<br />

Fr/Sa/So 17.30, So 10.30<br />

Wildnis Schweiz<br />

So 14.00<br />

Harry Potter 7<br />

Mo 20.15<br />

le Petit nicolas<br />

Kanton Appenzell<br />

Ausserrhoden<br />

kino roSenTal, HeiDen<br />

Tel. 071 891 36 36; Schulhausstrasse 9;<br />

www.kino-heiden.ch<br />

Fr 19.30–20.15 Uhr<br />

backstage Führung durch das Kino Rosental.<br />

Anmeldung erforderlich (071 891 36 36<br />

oder info@kino-heiden.ch). Inkl. Apéro und<br />

anschliessender Abendvorstellung.<br />

Fr 20.15<br />

Sennentuntschi<br />

Sa 17.15<br />

Wildnis Schweiz<br />

Sa 20.15<br />

reD – Älter. Härter. besser.<br />

So 15.00<br />

ich – einfach unverbesserlich<br />

(Despicable me)<br />

So 19.15<br />

Tamara Drewe<br />

Cinéclub<br />

Mi 20.15<br />

Tricks – Sztuczki<br />

Kanton Basel-Stadt /<br />

Basel-Land<br />

neueS kino, baSel<br />

Tel. 061 693 44 77; Klybeckstr. 247;<br />

www.neueskinobasel.ch<br />

Animationsfilme<br />

Do/Fr 21.00<br />

Jedné noci V Jednom meste – one<br />

night in a City R: J. Balej (Tschechien<br />

2007)<br />

Kurz & Knapp<br />

Sa 21.00<br />

baskische kurzfilme 8 Kurzfilme (Details<br />

auf www.kurzundknapp.ch)<br />

kulT.kino aTelier, baSel<br />

Tel. 061 272 87 81, Theaterpassage;<br />

www.kultkino.ch<br />

aTelier 1<br />

Do/Fr/Mo/Di/Mi 12.15, So 13.15<br />

beyond This Place R: K. La Belle<br />

Tägl. 15.00/19.00 (Do ohne 19.00)<br />

exit through the Giftshop R: Banksy<br />

Do 16.45/21.00, Fr-Mi 17.00/21.00<br />

Home for Christmas R: B. Hamer<br />

Do 18.30<br />

aisheen R: N. Wadimoff<br />

So 11.00<br />

ander R: R. Caton<br />

aTelier 2<br />

Tägl. 18.45, Do/Fr/Mo/Di/Mi 12.20<br />

benda bilili R: F. de la Tullaye<br />

Tägl. 14.45/20.45<br />

en Ganske Snill man R: H. Petter Moland<br />

Tägl. 17.00, So 11.00<br />

kinshasa Symphony R: Wischmann/Baer<br />

So 13.00<br />

Der kleine nick R: L. Tirar<br />

aTelier 3<br />

Tägl. 14.15<br />

Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />

Tägl. 16.00/18.15/20.30<br />

You will meet a tall dark stranger<br />

R: W. Allen<br />

kulT.kino Camera, baSel<br />

Tel. 061 272 87 81; Claraplatz;<br />

www.kultkino.ch<br />

Camera 1<br />

Tägl. 15.15/21.00<br />

länger leben R: L. Keiser<br />

Tägl. 17.15<br />

Sacred and Secret R: B. Gelpke<br />

reklame<br />

Fr-Mi 19.00<br />

aisheen R: N. Wadimoff<br />

So 11.15<br />

am anfang war das licht R: P. A. Straubinger<br />

So 13.00<br />

miral R: J. Schnabel<br />

Camera 2<br />

Tägl. 14.30/18.30 (Di ohne 18.30)<br />

bal R: S. Kaplanoglu<br />

Tägl. 16.45, Do 19.00, So 10.45<br />

nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />

Tägl. 20.45 (Di um 21.15)<br />

Somewhere R: S. Coppala<br />

So 12.15<br />

el Secreto De Sus ojos R: J. J. Campanella<br />

Di 18.30 as it is in Heaven Zyklus «Hinter<br />

<strong>dem</strong> Bild»<br />

kulT.kino Club, baSel<br />

Tel. 061 272 87 81; Marktplatz;<br />

www.kultkino.ch<br />

Tägl. 16.00/18.15/20.30<br />

Der letzte schöne Herbsttag R: Westhoff<br />

STaDTkino baSel<br />

Tel. 061 272 66 88, Klostergasse 5;<br />

www.stadtkinobasel.ch<br />

Josef Hader<br />

Fr 15.15<br />

indien R: P. Harather (1995)<br />

Fr 20.00, So 17.30<br />

Silentium R: W. Murnberger (2004)<br />

Sa 22.15<br />

Der Überfall R: F. Flicker (2000)<br />

Mo 19.00<br />

Die verrückte Welt der ute bock<br />

R: H. Allahyari (2010)<br />

Wunschfilmprogramm<br />

Fr 17.30<br />

Paper moon R: M. Bogdanovich (1973)<br />

Fr 22.15<br />

one flew over the Cuckoo's nest<br />

R: M. Forman (1975)<br />

Sa 14.30<br />

2001: a Space odyssey R: S. Kubrick<br />

(1968)<br />

Sa 17.30<br />

Der Himmel über berlin R: W. Wenders<br />

(1987)<br />

Sa 20.00<br />

Chinatown R: R. Polanski (1974)<br />

So 15.30<br />

les vacances de monsieur Hulot R: J. Tati<br />

(1953)<br />

So 20.00<br />

Seven Samurai R: A. Kurosawa (1954)<br />

Mo 21.00<br />

east of eden R: E. Kazan (1955)<br />

Mi 18.30<br />

To be or not to be R: E. Lubitsch (1942)<br />

Sélection «Le Bon Film»<br />

Do 18.30, So 13.30, Mi 21.00<br />

oscar niemeyer – Das leben ist ein<br />

Hauch R: F. Maciel (2007)<br />

Erlebte Schweiz<br />

Do 21.00<br />

Propaganda!? Auswahl an Filmbeispielen<br />

The Foreverending Story presents<br />

Di 19.00<br />

kantata Takwa R: G. Prakosa<br />

kino SPuTnik, lieSTal<br />

Tel. 061 921 14 17; im Kulturhaus Palazzo;<br />

www.palazzo.ch<br />

Fr-Mi 18.00<br />

Stationspiraten R: M. Schaerer<br />

Sa-Mi 20.15<br />

The kids are all right R: L. Cholodenko<br />

Sa/So 16.00<br />

i’lllusionniste R: S. Chomet<br />

So 13.45<br />

Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />

Landkino<br />

Do 20.15<br />

komm, süsser Tod R: W. Murnberger<br />

(Ö 2000)<br />

Kanton Bern<br />

CinémaTTe, bern<br />

Tel. 031 312 45 46, Wasserwerkgassse 7;<br />

www.cinematte.ch<br />

Song & Dance Men<br />

Do 21.00<br />

on/off: mark Stewart – from The Pop<br />

Group to the maffia R: T. Schifer (D 2009)<br />

Paris, mon Amour<br />

Fr/Sa 21.00, Mo 18.30<br />

amélie de montmartre<br />

R: J.-P. Jeunet (F 2001)<br />

So 16.00<br />

les enfants du Paradis R: M. Carné<br />

(F 1945)<br />

So 20.00, Mo 21.00<br />

la môme – la Vie en rose<br />

R: O. Dahan (F 2007)<br />

keller kino, bern<br />

Tel. 031 311 38 05; Kramgasse 26;<br />

www.kellerkino.ch<br />

Fr 18.00<br />

aisheen Vorprem. in Anw. von Reg. Nicolas<br />

Wadimoff<br />

Tägl. ohne Fr 19.00<br />

beyond this Place R: K. La Belle<br />

Tägl. 20.40<br />

Süt – milk R: S. Kaplanoglu<br />

Sa/So 16.00<br />

Sacred & Secret – Das geheime bali<br />

R: B. Gelpke<br />

Sa/So 17.30<br />

au revoir Taipei R: A. Chen<br />

So 10.30<br />

Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />

So 12.15<br />

film Socialisme R: J.-L. Godard<br />

Sonntag 14.10<br />

na Putu R: J. Zbanic<br />

liCHTSPiel/kinemaTHek, bern<br />

Tel. 031 381 15 05; Bahnstrasse 21;<br />

www.lichtspiel.ch<br />

So 20.00<br />

kurze filme aus <strong>dem</strong> lichtspiel-archiv<br />

Specials:<br />

Sa 20.00<br />

Volker Gerling erzählt Daumenkinogeschichten<br />

Südsee:<br />

Mo 20.00<br />

White Shadows in the South Seas R: W. S.<br />

Van Dyke (USA 1928)<br />

kino-kunSTmuSeum, bern<br />

Tel. 031 328 09 99; Hodlerstrasse 8;<br />

www.kinokunstmuseum.ch<br />

Sa 18.30<br />

andrej rublev R: A. Tarkovskij<br />

(UdSSR 1966)<br />

So 11.00<br />

lubitsch in berlin R: R. Fischer (D 2006)<br />

So 16.30<br />

Die Puppe R: E. Lubitsch (D 1919),<br />

Stummfilm <strong>mit</strong> Live-Klavierbegleitung von<br />

Christian Henking<br />

So 18.00<br />

kohlhiesels Töchter R: E. Lubitsch (D 1920),<br />

Stummfilm <strong>mit</strong> Live-Klavierbegleitung von<br />

Christian Henking<br />

Mo 18.30<br />

The Shop around the Corner<br />

R: E. Lubitsch (USA 1940)<br />

Mo/Di 21.00<br />

Design for living R: E. Lubitsch (USA 1933)<br />

Di 18.30<br />

Casablanca R: M. Curtiz (USA 1942)<br />

reiTSCHule, bern<br />

Tel. 031 311 41 48, www.kino.reitschule.ch<br />

Lustig ist das Zigeunerleben...?<br />

Fr 21.00<br />

Zigeuner R: St. Mucha (D 2007)<br />

Sa 21.00<br />

me, my Gypsi family and Woody Allen R:<br />

L. Halilovic (I 2009)<br />

filmPoDium, biel<br />

Tel. 032 322 71 01; Centre PasquART,<br />

Seevorstadt 73; www.pasquart.ch<br />

Julianne Moore<br />

Fr/Sa 20.30<br />

The big lebowski R: J. Coen<br />

(GB/USA 1998)<br />

So/Mo 20.30<br />

The end of the affair R: N. Jordan<br />

(GB/USA 1999)<br />

CHrÄmerHuuS, lanGenTHal<br />

Tel. 062 923 15 50; film@chraemerhuus.ch<br />

im Stadttheater Langenthal; Aarwangenstrasse<br />

8<br />

Mo 20.00<br />

lili marleen R. W. Fassbinder (D 1981)<br />

Cinema, meirinGen<br />

Tel. 033 971 16 33; Kirchgasse 7;<br />

www.cinema-meiringen.ch<br />

Do/Mo 20.15, So 19.00<br />

180° – Wenn deine Welt plötzlich kopf<br />

steht R: C. Inan<br />

Fr/Sa 20.15<br />

Wall Street: Geld schläft nicht R: O. Stone<br />

So 10.00<br />

Geburt R: E. Langjahr, S. Haselbeck<br />

Kanton Graubünden<br />

kino-THeaTer rÄTia, THuSiS<br />

Tel. 081 651 15 15; Obere Stallstrasse;<br />

www.kinothusis.ch<br />

Do 20.15, Fr 21.15, So 20.15<br />

Goethe! R: P. Stölzl (D 2010)<br />

Fr 14.00<br />

Grenzgänge <strong>mit</strong> andrea Vogel R: D.<br />

Gränicher (CH 2010)<br />

Fr 19.00, Sa 21.15, So 16.30<br />

Die 4. revolution – energy autonomy<br />

R: C.-A. Fechner (D 2010)<br />

Sa 19.00<br />

ladri di biciclette R: V. de Sica (I 1949)<br />

Kanton Luzern<br />

bourbaki, luZern<br />

Tel: 041 419 99 99; im Panorama,<br />

Löwenplatz 11; www.kinoluzern.ch<br />

bourbaki 1<br />

Tägl. 16.45/18.45, Fr-Mi 20.45<br />

You Will meet a Tall Dark Stranger<br />

R: W. Allen (USA/Sp 2010)<br />

Fr/Sa 22.45<br />

Sennentuntschi R: M. Steiner (CH 2010)<br />

Sa/So 14.00<br />

el secreto de sus ojos R: J. J. Campanella<br />

(ARG 2009)<br />

So 12.00 am anfang war das licht<br />

R: P. A. Straubinger (Ö 2010)<br />

bourbaki 2<br />

Tägl. 16.00/20.45 (Do 20.45 im BB1),<br />

Fr/Sa 23.00<br />

en ganske snill mann R: H. Petter Moland<br />

(NO 2010)<br />

Tägl. 18.15, Sa/So 14.00<br />

Stationspiraten R: M. Schaerer (CH 2010)<br />

So 12.00<br />

Wildnis Schweiz R: R. Mäder (CH 2010)<br />

bourbaki 3<br />

Tägl. 20.30, Sa/So 14.30<br />

Der letzte schöne Herbsttag R: R. Westhoff<br />

(D 2010)<br />

Tägl. 18.30, Do 20.30 (Do 20.30 im BB2),<br />

Fr-Mo 16.30, So 12.15<br />

beyond This Place R: K. La Belle (CH 2010),<br />

am Do, 20.30 Uhr, Premierenfeier in Anwesenheit<br />

des Regisseurs<br />

Fr/Sa 22.30<br />

The kids are all right R: L. Cholodenko<br />

(USA 2010)<br />

bourbaki 4<br />

Tägl. 20.30, Fr-Mi 16.30<br />

benda bilili R: F. De la Tullaye (F 2010)<br />

Tägl. 18.30, Fr/Sa 22.30, Sa/So 14.30<br />

exit Through The Gift Shop R: Bansky<br />

(USA/GB 2010)<br />

So 12.15<br />

Wätterschmöcker R: T. Horat (CH 2010)<br />

STaTTkino, luZern<br />

Tel. 041 410 30 60; im Panorama,<br />

Löwenplatz 11; www.stattkino.ch<br />

Do 18.30<br />

Yumurta / ei R: S. Kaplanoglu (Türkei 2007)<br />

Do/Mo/Di 20.30<br />

bal / Honig R: S. Kaplanoglu (Türkei 2010)<br />

So 19.00<br />

Hüllen R: M. Müller (CH 2010)<br />

So 20.30<br />

SÜT R: S. Kaplanoglu (2008)<br />

Cinedolcevita<br />

Di 14.30<br />

bellaria – So lange wir leben! R: D. Wolfsperger<br />

(D/Ö 2002<br />

Filmtage Luzern – Menschenrechte<br />

Fr 19.00<br />

la isla – archive einer Tragödie R: U.<br />

Stelzner (D/Guatemala 2009), <strong>mit</strong> Grusswort<br />

von Ruth-Gaby Vermot-Mangold, anschl.<br />

Gespräch <strong>mit</strong> Uli Stelzner, Ltg. Oswald Iten,<br />

NZZ international<br />

Sa 13.30<br />

Hotel Sahara R: B. Haasen (D 2008), <strong>mit</strong><br />

Vorfilm «Notunterkunft Uster» R: John,<br />

Bleiberecht Kollektiv (2010), um 15.30 Uhr<br />

anschl. Gesp. im Union (Löwenstrasse 16) <strong>mit</strong><br />

Johannes J. Frühbauer, Institut für Sozialethik<br />

der Theolog. Fakultät der Universität Luzern<br />

Sa 17.00, Mo-Mi 19.00<br />

Cash & marry R: A. Georgiev (Ö/Kroatien/<br />

Mazedonien 2009)<br />

Sa 19.30<br />

aisheen – still alive in Gaza R: N. Wadimoff<br />

(CH/Katar 2010), anschl. Gespräch<br />

<strong>mit</strong> Nicolas Wadimoff; Moderation: Peter<br />

Leimgruber<br />

So 11.00<br />

Sisters in law R: F. Ayisi, K. Longinotto<br />

(GB/Kamerun 2005), anschl. um 12.30 Uhr<br />

Gespräch im Union (Löwenstrasse 16) <strong>mit</strong><br />

Beatrice Ntuba, Richterin, Kamerun; Moderation:<br />

Cécile Bühlmann<br />

So 14.30<br />

letter to anna R: E. Bergkraut (CH 2008)<br />

So 16.00<br />

Coca – die Taube aus Tschetschenien<br />

R: E. Bergkraut (CH 2005), anschl. um 17.30<br />

Uhr Gespräch im Union (Löwenstrasse 16)<br />

<strong>mit</strong> Eric Bergkraut und Zainap Gaschaiewa,<br />

Tschetschenien; Moderation: Nina Schneider,<br />

Politologin<br />

Kanton St. Gallen<br />

kinok, ST. Gallen<br />

Tel. 071 245 80 72; in der Lokremise;<br />

Grünbergstrasse 7; www.kinok.ch<br />

Do 20.30, Sa 17.00, Di 18.30<br />

l’illusionniste R: S. Chomet (GB/F 2010)<br />

Fr 19.30<br />

Complices R: F. Mermoud (CH/F 2009)<br />

Fr 21.30, Mo 20.30<br />

Coeur animal R: S. Cornamusaz (CH 2009)<br />

Sa 21.00, Di 20.30<br />

micmacs à tire-larigot<br />

R: J.-P. Jeunet (F 2009)<br />

So 13.00<br />

Die frau <strong>mit</strong> den 5 elefanten<br />

R: V. Jendreyko (CH/D 2009)<br />

So/Mi 15.00<br />

morgen, findus, wird’s was geben<br />

R: J. Lerdam, A. Sørensen (DK/D/SVE 2006)<br />

Mo 18.15, Mi 20.30<br />

octubre R: D. & D. Vega Vidal (PER 2010)<br />

25 Jahre Kinok – Cinema Forever<br />

Do 18.00<br />

Chacun son cinéma R: Div. (F 2007)<br />

Fr 17.15<br />

bellaria – So lange wir leben! R: D. Wolfsperger<br />

(D/A 2002)<br />

Sa 19.00<br />

Purple rose of Cairo R: W. Allen<br />

(USA 1985)<br />

In Motion<br />

So 11.00<br />

Tanzfilme der Compagnie Philippe Saire<br />

R: P. Saire (CH 2010)<br />

So 17.15<br />

Spoerli – ich bin Tanzmacher<br />

R: W. Zeindler (CH 2010)<br />

So 19.00<br />

la danse – le ballet de l’opéra de Paris<br />

R: F. Wiseman (F/USA 2009)<br />

Mi 18.30<br />

Tanzträume – Jugendliche tanzen «kontakthof»<br />

von Pina bausch R: A. Linsel, R.<br />

Hoffmann (D 2010)<br />

SPeCTrum filmTreff,<br />

raPPerSWil<br />

Schlosskino Rapperswil;<br />

www.spectrum-filmtreff.ch<br />

Mi 20.15<br />

Jaffa R: K. Yedaya (Israel 2009)<br />

Kanton Thurgau<br />

Cinema luna, frauenfelD<br />

Tel. 052 720 36 00; Bahnhofstrasse 57;<br />

www.cinemaluna.ch<br />

Tägl. 20.15<br />

benda bilili R: R. Barret, F. de la Tullaye<br />

(F/Kongo 2010)<br />

Kanton Zug<br />

kino GoTTHarD, ZuG<br />

Tel. 041 726 10 02, Gotthardstrasse 18;<br />

www.kinozug.ch<br />

Do/Fr/Mo/Di/Mi 18.00, Sa 17.00, So 14.30<br />

länger leben R: L. Keiser<br />

So 17.00<br />

Der letzte schöne Herbsttag<br />

R: R. Westhoff<br />

Tägl. ohne Mo 20.15<br />

You Will meet a Tall Dark Stranger<br />

R: W. Allen<br />

Im Gotthard um die Welt<br />

Sa 14.30, Mo 20.00<br />

ajami R: Sc. Copti u. Y. Shani<br />

Kanton Zürich<br />

WilDenmann, mÄnneDorf<br />

Tel. 044 920 50 55; Dorfgasse 42;<br />

www.kino-maennedorf.ch<br />

Do/Fr/Sa 20.15, So 15.00<br />

Sennentuntschi R: M. Steiner (CH 2010)<br />

Sa 17.15, So 18.15, Mi 20.15<br />

nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />

(CH 2009)<br />

filmPoDium, THalWil<br />

Schulhaus Feld; www.filmpodiumthalwil.ch<br />

Di 19.30<br />

meet Joe black R: M. Brest (USA 1998)<br />

kulTurraum THalWil<br />

Tel 044 720 84 00; Bahnhofstrasse 24,<br />

www.kulturraumthalwil.ch<br />

Vorschau:<br />

Mi, 19.01.2011, 15.00<br />

Happy feet Trickfilm (USA 2006)<br />

qToPia – kino+bar, uSTer<br />

im Qbus, Braschlergasse 10;<br />

www.qtopia.ch<br />

So 11.00<br />

Storm R: H.-Ch. Schmid (D/DK 2009)<br />

So, 18.30/21.00, Mo, 20.30<br />

Coeur animal R: S. Cornamusaz (CH 2009)<br />

kino niSCHe, WinTerTHur<br />

im Kulturzentrum Gaswerk,<br />

www.kinonische.ch<br />

Wunschprogramm<br />

So 19.30<br />

Der freund R: M. Levinsky (CH 2008)<br />

filmfoYer, WinTerTHur<br />

Tel. 052 212 11 69; Kino Loge 3,<br />

Oberer Graben 6; www.filmfoyer.ch<br />

Kultfilme am Rand<br />

Di 20.30<br />

all about eve R: J. L. Mankiewicz (USA<br />

1950), <strong>mit</strong> Vorfilm «Home Stories» v. M.<br />

Müller u. D. Schaefer (D 1990)<br />

Stadt Zürich<br />

arTHouSe alba<br />

Tel. 044 250 55 40, beim Central;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 15.15/20.30<br />

Home for Christmas<br />

Tägl. 18.00<br />

aisheen – Still alive in Gaza<br />

So-Mat. 11.45<br />

la Danse<br />

arTHouSe CommerCio<br />

Tel. 044 250 55 30; beim Stadelhofen;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 14.30/16.30<br />

am anfang war das licht<br />

Tägl. 18.30, So-Mat. 12.00<br />

nel Giardino dei Suoni<br />

Tägl. 20.30<br />

el Secreto de sus ojos<br />

arTHouSe le PariS<br />

Tel. 044 250 55 60; am Stadelhofen;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 15.00/18.00/20.30<br />

You will meet a tall dark Stranger<br />

Tägl. 12.15 LunchKino<br />

Des Hommes et des Dieux<br />

arTHouSe moVie<br />

Tel. 044 250 55 10, Im Nägelihof 4;<br />

www.arthouse.ch<br />

moVie 1<br />

Tägl. 14.30/18.45<br />

benda bilili!<br />

Tägl. 16.30/20.45<br />

The kids are all right<br />

Sa 11.00<br />

kill bill Vol. 1 Cinépassion, <strong>mit</strong> Kommentar<br />

v. Mirna Würgler<br />

So-Mat. 12.00<br />

film Socialisme<br />

moVie 2<br />

Tägl. 15.00/20.15<br />

Copie Conforme<br />

Tägl. 18.00, So-Mat. 12.30<br />

kinshasa Symphony<br />

Fr 22.30<br />

etienne!<br />

arTHouSe norD-SÜD<br />

Tel. 044 250 55 20; Limmatquai 16;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 15.00/18.00<br />

bal – Honey<br />

Tägl. 20.30<br />

Somewhere<br />

So-Mat. 12.30<br />

miral<br />

arTHouSe PiCCaDillY<br />

Tel.044 250 55 50; beim Stadelhofen;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 14.30/18.30/20.30<br />

Der letzte schöne Herbsttag<br />

Tägl. 16.30<br />

Sacred and Secret<br />

So-Mat. 12.00<br />

Wildnis Schweiz<br />

STuDio uTo<br />

Tel. 044 241 92 53; Kalkbreite;<br />

www.arthouse.ch<br />

Tägl. 15.00/20.30<br />

Sennentuntschi<br />

Tägl. 18.15<br />

Sommervögel<br />

So-Mat. 12.30<br />

How about love<br />

filmSTelle VSeTH/VSu<br />

Stutz2, CAB, Universitätstr. 6;<br />

www.filmstelle.ch<br />

On the Road Again<br />

Di 20.00<br />

Y tu mamá también R: A. Cuarón (Mexiko<br />

2001), <strong>mit</strong> Vorfilm «Männer am Meer» v. R.<br />

Caffi (D 2005)<br />

filmPoDium ZÜriCH<br />

Tel. 044 211 66 66; Nüschelerstr. 11;<br />

www.filmpodium.ch<br />

Woody Allen<br />

Fr 20.45<br />

match Point R: Allen (USA/GB 2005)<br />

Sa 20.45<br />

Sweet and lowdown R: Allen (USA 1999)<br />

So 15.00<br />

manhattan R: Allen (USA 1979)<br />

So 20.45<br />

interiors R: Allen (USA 1978)<br />

Mo 15.00, Mi 20.45<br />

Shadows and fog R: Allen (USA 1991)<br />

Di 18.15<br />

a midsummer night's Sex Comedy<br />

R: Allen (USA 1982)<br />

Abbas Kiarostami<br />

Fr 18.15, Mo 20.45, Mi 15.00<br />

Close-up R: Kiarostami (Iran 1991)<br />

Sa 15.00<br />

Ten R: Kiarostami (F/Iran/USA 2002)<br />

So 18.15<br />

Die erfahrung R: Kiarostami (Iran 1973),<br />

im Programm <strong>mit</strong> «Der Chor» und «Zwei<br />

Lösungen für ein Problem»<br />

Di 20.45<br />

five Dedicated to ozu R: Kiarostami (Iran/<br />

Japan/F 2003)<br />

Isa Hesse-Rabinovitch<br />

Sa 18.15<br />

Sirenen eiland R: Hesse-Rabinovitch (CH<br />

1981)<br />

So 12.00<br />

kurzfilme von isa Hesse-rabinovitch<br />

5 Filme<br />

Mo 18.15<br />

Schlangenzauber R: Hesse-Rabinovitch (CH<br />

1984), im Programm <strong>mit</strong> «Body, Body, Blues»<br />

Lateinamerikanische Klassiker<br />

Do 18.15<br />

Vorlesung martin lienhard <strong>mit</strong> Filmbeispielen<br />

Do 20.30<br />

Terra em transe R: Rocha (Brasilien 1967)<br />

Fr 15.00, Mi 18.15<br />

memorias del subdesarrollo R: Gutiérrez<br />

Alea (Kuba 1968)<br />

riffraff ZÜriCH<br />

Tel. 044 444 22 00; Ecke Langstrasse/<br />

Neu gasse; www.riffraff.ch<br />

riffraff 1<br />

Tägl. 15.00/18.30/20.30 (Mi 20.30 im RR2),<br />

Fr/Sa 22.30<br />

exit Trough The Gift Shop R: Banksy<br />

(USA/GB 2010)<br />

So 13.00<br />

urs fischer R: I. Schumacher (CH 2010)<br />

Mi 20.45<br />

Tournée R: M. Amalric (F 2010)<br />

riffraff 2<br />

Tägl. 15.00, Do-Di 20.30, Fr/Sa 23.15<br />

el secreto de sus ojos R: J. J. Campanella<br />

(Arg 2009)<br />

Tägl. 18.15<br />

Somewhere R: S. Coppola (USA 2010)<br />

So 13.00<br />

Die frau <strong>mit</strong> den 5 elefanten<br />

R: V. Jendreyko (CH 2009)<br />

riffraff 3<br />

Tägl. 14.30/18.45/21.00, Fr/Sa 23.30<br />

en Ganske Snill mann – ein mann von<br />

Welt R: H. Petter Moland (NO 2010), <strong>mit</strong><br />

Vorfilm «My Rabbit Hoppy» von A. Lucas<br />

(AU 2008)<br />

Tägl. 16.45, So 12.30<br />

l'illusionniste R: S. Chomet (GB/F 2010)<br />

riffraff 4<br />

Tägl. 14.30/18.45/20.45<br />

beyond This Place<br />

R: K. La Belle (CH 2010),<br />

Tägl. 16.30, Fr/Sa 22.45<br />

nowhere boy R: S. Taylor-Wood<br />

(GB/CA 2009)<br />

So 12.30<br />

kings of The Gambia R: D. Vogel<br />

(CH 2009)<br />

xenix ZÜriCH<br />

Tel. 044 242 04 11; am Helvetiaplatz;<br />

www. xenix.ch<br />

Die Schaurig-Schönen Filme des Tim Burton<br />

Do–Mi 17.15<br />

9 R: S. Acker (USA 2009)<br />

Do–So 19.00<br />

mars attacks! R: T. Burton (USA 1996)<br />

Do–So 21.00<br />

ed Wood R: T. Burton (USA 1994)<br />

Fr/Sa 23.30<br />

batman returns R: T. Burton<br />

(USA/GB 1992)<br />

So 14.30<br />

of Wizards and monsters – Tim burtons<br />

frühe (kurz-)filme R: T. Burton<br />

(USA 1982–1986)<br />

Mo–Mi 19.00<br />

Planet of the apes R: T. Burton (USA 2001)<br />

Mo–Mi 21.15<br />

Sleepy Hollow R: T. Burton (USA 1999)<br />

Dokfilm<br />

So 12.00<br />

Der letzte applaus – ein leben für den<br />

Tango R: G. Kral (D/ARG/J 2008/09)<br />

Kinderkino<br />

Mi 14.30<br />

Princess mononoke R: A. H. Miyazaki<br />

(J 1997)<br />

MASTER IN JOURNALISM.<br />

Einzigartig in der Schweiz – der Professional Master in Journalism. Die Kooperation zwischen maz, der Hamburg Media School und <strong>dem</strong> Institut für Journalistik der Uni Hamburg öffnet das Tor zum internationalen<br />

Markt und zu einer der führenden Medienstädte Europas. In <strong>dem</strong> praxisnahen Studiengang trainieren Hochschulabsolventen die Kunstgriffe des Handwerks in Hamburg und Luzern. Sie schreiben und<br />

recherchieren, sie produzieren Radio­ und Fernsehbeiträge und realisieren Crossmedia­Projekte. Sie profitieren von den neusten Erkenntnissen der Journalismusforschung. Begleitet von in­ und ausländischen<br />

Medienprofis und Wissenschaftlern, getragen von Verlegern und Verbänden, von SRG und namhaften deutschen Medienunternehmen. Alles Weitere: www.maz.ch<br />

Murbacherstrasse 3, 6003 Luzern, 041 226 33 33, office@maz.ch, www.maz.ch


Zwangsernährung<br />

Würgen, Erbrechen,<br />

Zittern<br />

und das Gefühl,<br />

zu ersticken<br />

Wenn politische Gefangene in den Hungerstreik treten,<br />

greifen die Obrigkeiten zur Zwangsernährung. Dabei führt sie<br />

oft zum Tod. Genfer Ärzte zeigen in einem Artikel<br />

auf, was aus der Vergangenheit gelernt werden könnte.<br />

Von HElEn BrüGGEr<br />

Die aktuelle Debatte um Zwangsernährung,<br />

ausgelöst durch den Hungerstreik des Walliser<br />

Hanfbauern Bernard Rappaz, ist nicht neu.<br />

In vielen Ländern haben zahlreiche Gefangene<br />

in der Vergangenheit zum Mittel des Hungerstreiks<br />

gegriffen. Viele von ihnen sind zwangsernährt<br />

worden, <strong>mit</strong> oder gegen den Willen<br />

der Ärzte. Eine Gruppe von sieben Genfer Ärzt­<br />

Innen, darunter Hans Wolff, der behandelnde<br />

Arzt von Rappaz (siehe Interview), erinnern<br />

in der neusten Ausgabe der «Revue médicale<br />

Suisse» daran, dass Zwangsernährung nicht<br />

nur ein politisches, ethisches und medizinisches<br />

Problem ist, sondern eine Tortur, die<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Tod enden kann.<br />

Der Hungerstreik als letztes Mittel von<br />

Machtlosen, schreiben die ÄrztInnen, wurde<br />

erstmals von englischen Frauenrechtlerinnen<br />

eingesetzt. Die Suffragetten, die wegen ihres<br />

Kampfs für das Frauenstimmrecht ins Gefängnis<br />

geworfen wurden, galten bis zum Ersten<br />

Weltkrieg für gewisse Ärzte als «abnormal aufgeregte<br />

Individuen», die es gegen ihren Willen<br />

zu «behandeln» galt, wenn sie in den Hungerstreik<br />

traten.<br />

Der «Fixierstuhl» von Guantánamo<br />

Was eine Zwangsernährung bedeutet, macht<br />

die von der «Revue médicale» zitierte Aussage<br />

einer Suffragette deutlich: «Das Einführen der<br />

Sonde durch die Nase war nur unangenehm.<br />

Doch als sie weiter hinabgestossen wurde, löste<br />

sie Würgen, Erbrechen, Zittern und das Gefühl<br />

von Ersticken aus. Im Kampf um Luft richtete<br />

ich mich auf, bis ich aufrecht stand, obwohl<br />

ich von vier Wärterinnen auf den Stuhl niedergedrückt<br />

wurde, danach sank ich erschöpft<br />

zurück. Nach<strong>dem</strong> die Sonde wieder herausgezogen<br />

worden war, hatte ich den Eindruck,<br />

asthmatisch zu sein, und konnte nur ganz<br />

oberflächlich atmen. Tief einatmen tat entsetzlich<br />

weh. Zwei Wärterinnen führten mich<br />

in die Zelle zurück, dort lag ich <strong>mit</strong> qualvollen<br />

Schmerzen, die immer stärker wurden.»<br />

Die Suffragetten gab es nach <strong>dem</strong> Ersten<br />

Weltkrieg nicht mehr, die Zwangsernährung<br />

wurde weiter angewendet. Etwa gegen hungerstreikende<br />

Mitglieder der Roten Armee Fraktion<br />

RAF in der Bundesrepublik Deutschland,<br />

gegen Mitglieder der spanischen Grapo, gegen<br />

IRA­Mitglied Bobby Sands, gegen die <strong>dem</strong>okratische<br />

Bewegung in der Türkei, zuletzt gegen<br />

die Gefangenen von Guantánamo, wo die amerikanische<br />

Armee gar den «Fixierstuhl» erfand:<br />

einen Stuhl, an den die Hungerstreikenden<br />

gefesselt wurden, um ihnen anschliessend gewaltsam<br />

eine Sonde einzuführen. Dabei ging<br />

es weniger um ihre Rettung als darum, den<br />

Protest zu brechen. Die Verantwortung für die<br />

Massnahme lag beim Militärkommandanten,<br />

die Militärärzte entschieden über die Art und<br />

Weise der Zwangsernährung.<br />

In allen Ländern, in denen sie angewandt<br />

wurde, löste die Zwangsernährung<br />

ethische, medizinische, juristische und politische<br />

Debatten aus. Im Vorkriegsengland de­<br />

battierten Ärzte verschiedene Lehrmeinungen,<br />

in Deutschland führte sie zu einer politischen<br />

Polarisierung, in Spanien nötigte ein Entscheid<br />

des Verfassungsgerichts die Ärzte, Zwangsernährungen<br />

vorzunehmen. Besonders intensiv<br />

war die Auseinandersetzung zwischen Staatsräson<br />

und medizinischer Ethik in der Türkei.<br />

«Grauenhafter Leidensweg»<br />

Dort organisierte die <strong>dem</strong>okratische Bewegung<br />

in den Jahren 1996 und 2000 zwei grosse kollektive<br />

Hungerstreiks in den Gefängnissen<br />

und unter den Angehörigen der Gefangenen.<br />

Regierung und Justiz übten massiven Druck<br />

auf den türkischen Ärzteverband aus, der sich<br />

gegen die Zwangsernährung ausgesprochen<br />

hatte und seinen Mitgliedern verbot, Hungerstreikende<br />

ohne deren Einwilligung künstlich<br />

zu ernähren. Die Regierung drohte den Ärzten<br />

Strafverfolgung an und klagte gegen den Verband.<br />

Als sich die Streiks ausweiteten, machte<br />

sich die Regierung daran, das Strafgesetz zu<br />

verschärfen – nur schon der Aufruf zu einem<br />

Hungerstreik sollte <strong>mit</strong> Gefängnis bis zu zwanzig<br />

Jahren bestraft werden. Insgesamt etwa­<br />

was Bernard rappaZ’ arZt sagt<br />

hundert Menschen starben in der Türkei an<br />

den Folgen der kollektiven Hungerstreiks. Der<br />

Konflikt ging bis vor den Europäischen Gerichtshof<br />

für Menschenrechte, der den Ärzten<br />

recht gab. 2003 ratifizierte das türkische Parlament<br />

eine Konvention, die Betroffenen erlaubt,<br />

eine medizinische Behandlung zu verweigern.<br />

«Man kennt heute das Schicksal von Hungerstreikenden,<br />

die einer Zwangsernährung unterworfen<br />

worden sind», fasst die «Revue médicale»<br />

zusammen: «Das Los dieser Menschen,<br />

meistens politische Gefangene, wird als grauenhafter,<br />

erniedrigender Leidensweg beschrieben.»<br />

Zwangsernährte starben «entweder als<br />

direkte Folge einer falschen Wiederernährung<br />

oder als indirekte Folge der Komplikationen,<br />

die die Behandlung auslöste».<br />

Zwangsernährung ist Folter<br />

In der «Erklärung von Malta» hielt der<br />

Weltärztebund WMA schon 1991 fest: «Die<br />

Zwangsernährung trotz freiwilliger und erklärter<br />

Verweigerung ist nicht vertretbar.» Und<br />

der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />

bestätigte in zwei Urteilen von 2005 und<br />

2007, dass die Zwangsernährung als Folter be­<br />

»Unabhängig bleiben gegenüber der Justiz»<br />

WOZ: Die Walliser Justiz will Sie zwingen, den<br />

Hanfbauern Bernard Rappaz zwangsweise zu<br />

ernähren. Sie haben gegen diesen Befehl vor<br />

Bundesgericht rekurriert. Weshalb?<br />

Hans Wolff: Er ist medizinisch nicht<br />

ausführbar. Für jeden Patienten gilt: Ist er entscheidungsfähig,<br />

muss der Arzt seinen Willen<br />

respektieren. Wir dürfen Gefangene nicht anders<br />

behandeln als Personen in Freiheit. Die<br />

Antwort des Bundesgerichts auf meinen Rekurs<br />

steht noch aus.<br />

Im August hat das Bundesgericht entschieden,<br />

dass die Strafvollzugsbehörde eine<br />

Zwangsernährung anordnen muss, wenn das<br />

der einzige Weg ist, irreversible Schäden oder<br />

den Tod des Gefangenen zu vermeiden…<br />

In <strong>dem</strong> Entscheid steht auch, dass das unter<br />

Respektierung der medizinischen Standesregeln<br />

und der Würde des Betroffenen geschehen<br />

muss. Im vorliegenden Fall ist weder das<br />

Hans Wolff.<br />

Kultur / Wissen 23<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Antizwangsernährungsplakat Britannien, 1909. BILD: SUFFRAGETTES.NLS.UK<br />

eine noch das andere möglich. Wir befinden<br />

uns deshalb nicht im Widerspruch zum Bundesgericht,<br />

wenn wir eine Zwangsernährung<br />

verweigern. Nur im Widerspruch zur Interpretation<br />

der Walliser Justiz.<br />

Was hat Sie und Ihre KollegInnen dazu<br />

veranlasst, sich <strong>mit</strong> einem Artikel über historische<br />

Fälle von Zwangsernährung an die Öffentlichkeit<br />

zu wenden?<br />

Wir hatten den Eindruck, dass zu wenig<br />

bekannt ist, was eine Zwangsernährung bedeutet.<br />

Viele denken, das sei harmlos wie eine<br />

Blutentnahme. Das stimmt nicht. Es ist eine<br />

<strong>mit</strong> grosser Gewaltanwendung verbundene<br />

Handlung. Und sie ist gefährlich. Das Risiko zu<br />

sterben, kann bis zu sechzig Prozent betragen.<br />

Unsere Absicht war nicht, Bernard Rappaz <strong>mit</strong><br />

den geschilderten Fällen zu vergleichen. Wir<br />

nehmen nicht Stellung zum Kampf von Rappaz.<br />

Wie erleben Sie die Situation persönlich?<br />

Es ist sehr schwierig. Es wäre schwierig<br />

genug, wenn ich mich nicht auch noch gegen die<br />

Justiz verteidigen müsste. Als Arzt will ich <strong>dem</strong><br />

Patienten helfen, sein Leiden zu lindern. Wenn<br />

ein Patient das verweigert, stellt das die Grundfeste<br />

unseres Berufs in Frage. Wir haben immer<br />

und immer wieder, auch von Personen ausserhalb<br />

der Gefängnisabteilung, abklären lassen,<br />

ob Rappaz wirklich so weit gehen will.<br />

Wer kann Rappaz noch retten?<br />

Verschiedene Akteure könnten es, auch er<br />

selber. Ich will dazu jedoch nicht Stellung neh­<br />

trachtet werden könne, wenn <strong>dem</strong> Inhaftierten<br />

Fesseln angelegt oder wenn ihm zwangsmässig<br />

eine Ernährungssonde eingelegt werde.<br />

In einem anderen Urteil entschied das<br />

Gericht, dass das Sterbenlassen eines Gefangenen<br />

nach einem Hungerstreik «nicht gegen<br />

die Menschenrechte verstösst, weil er während<br />

seiner Gefangenschaft Zugang zur gleichen<br />

Behandlung wie in der Freiheit hatte».<br />

Dies schrieb die deutschsprachige Ausgabe der<br />

«Schweizerischen Ärztezeitung» vom 29. September,<br />

die sich ebenfalls der Problematik des<br />

Hungerstreiks widmet.<br />

Für die Genfer Ärzte ist klar: Ein Hungerstreik<br />

gehört zum Recht auf Selbstbestimmung,<br />

zu den Grundrechten des Menschen. Und nur<br />

«die Unparteilichkeit des Medizinalpersonals<br />

und ihre grundlegende Unabhängigkeit von<br />

den Gefängnis­, Justiz­ und Polizeibehörden»<br />

könne garantieren, dass den PatientInnen im<br />

Gefängnis die gleiche Qualität der medizinischen<br />

Pflege zuteil werde und sie die gleichen<br />

Rechte genössen wie PatientInnen in Freiheit.<br />

«Jeûne de protestation et alimentation forcée:<br />

relevé de pratiques historiques» in<br />

«Revue médicale Suisse», 1. Dezember 2010:<br />

http://revue.medhyg.ch<br />

men. Ich als Arzt kann ihn nicht gegen seinen<br />

Willen retten. Als Gefangener ist mein Patient<br />

abhängiger, verwundbarer als andere. Wenn<br />

ich ihn gegen seinen Willen künstlich ernähren<br />

würde, könnte das sein Vertrauen zu mir<br />

zerstören. Schlimmer: Alle Gefängnisinsassen<br />

müssten fürchten, dass Doktor Wolff sie eventuell<br />

gegen ihren Willen behandelt. Deshalb<br />

ist es so wichtig, dass die Gefängnismedizin<br />

vollständig unabhängig gegenüber den Justiz­,<br />

Gefängnis­ und Polizeibehörden handeln kann.<br />

In der Schweiz ist das erst in drei Kantonen garantiert:<br />

Genf, Waadt und Wallis.<br />

Geht es im Konflikt um einen Kampf<br />

zwischen den Prinzipien der Justiz und den<br />

Prinzipien der Medizin, bei <strong>dem</strong> das Individuum<br />

auf der Strecke bleiben könnte?<br />

Das ist ganz und gar nicht so. Meine erste<br />

Sorge gilt meinem Patienten, nicht irgendwelchen<br />

Prinzipien. Darüber hinaus geht es<br />

um eine grundlegende Frage. Wenn mir heute<br />

die Justiz vorschreibt, wie ich einen Gefangenen<br />

behandeln muss, kann sie oder irgendeine<br />

andere Instanz mir morgen vorschreiben, wie<br />

ich einen übergewichtigen Patienten gegen seinen<br />

Willen behandeln muss. Das ist gegen die<br />

Grundrechte der Patienten und darf von einem<br />

Arzt niemals akzeptiert werden.<br />

IntE rVIEW: H E l E n BrüGGEr<br />

Hans Wolff ist der behandelnde Arzt von<br />

Bernard Rappaz in der Gefängnisabteilung<br />

des Genfer Kantonsspitals.


24<br />

Kleininserate<br />

Arbeit<br />

Ferien<br />

Schlafen natürlich!<br />

Genossenschaft Filmproduktionsfirma Wohnen 55+ in Zürich<br />

In Graubünden<br />

sucht<br />

(Bonaduz)<br />

entsteht ein Wohnprojekt<br />

für Menschen über 50.<br />

Wir suchen Mitbewohner-<br />

Innen. 081 252 81 23<br />

www.ingutergesellschaft.ch<br />

Café RebelDía<br />

fein | fair | bio<br />

T: 043 366 65 00<br />

F: 043 366 65 05<br />

info@gebana.com<br />

www.gebana.com<br />

rebeldia_ins woz 55x35.indd 1 22.2.2008 9:33:27 Uhr<br />

Kleininserate-Talon<br />

Inserateannahmeschluss:<br />

Dienstag der Erscheinungswoche, 12 Uhr<br />

Verrechnung:<br />

- Grundpreis 30 Franken für die ersten zwei Zeilen à 45 Zeichen inkl. Leerschläge. Danach<br />

5 Franken für jede weitere Zeile. Bei Logos 2.22 Franken pro mm Höhe.<br />

- 20 % Rabatt ab 3-maligem Erscheinen.<br />

- Chiffregebühr (Versand 2x in der Woche): 10 Franken.<br />

- Für das Kleininserat erhalten Sie eine Rechnung. Daueraufträge werden monatlich verrechnet.<br />

30.–<br />

35.–<br />

40.–<br />

45.–<br />

50.–<br />

55.–<br />

60.–<br />

65.–<br />

70.–<br />

75.–<br />

80.–<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Gewünschte Rubrik: Anzahl Veröffentlichungen:<br />

Rechnungsadresse:<br />

www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-naturbetten.ch<br />

Bild 3<br />

entrümple, entsorge und<br />

reinige gits no günstig bi eus<br />

079 501 33 33, www.allblitz.ch<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

HÜSLER NEST-CENTER WEIN Schaffhauserstrasse in der 119, BOX<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

www.chateaux-carton.ch<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

��������� ��� ��������������� Löwenstrasse �� ��� 9 b/Sihlporte, ��������<br />

����������������������<br />

Bild<br />

8001 4Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

���������������� ������� HÜSLER NEST-CENTER �� ������<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

�� ��� ����� ����� ��� 8057 �� Zürich, ��� Tel. ����� 044 350 ���� 53 90<br />

���������� � ���� ������������ ��������<br />

���� ���www.indigo-naturbetten.ch ������������ ��� ������������<br />

����������������<br />

����������� ��� ������� ������� ������<br />

�������������� ������������������ �������<br />

Kurse www.futon-tatami.ch<br />

����� ����<br />

Bild<br />

�� ��������� ������� 4���� ����<br />

�����������������������������������������������<br />

Clownkurs vom 26. Dez. bis 30. Dez. 2010 in<br />

����������������������<br />

AIDS, HAART und die<br />

Zürich Info: www.madamebissegger.ch<br />

����������������������������������������<br />

��������������������������������������������<br />

Mitochondrien:<br />

www.ummafrapp.de<br />

ich (37) suche für meine tochter ronja (7 monate)<br />

eine unterstützung, eine liebe frau, jünger<br />

oder älter, <strong>mit</strong> oder ohne kinder, die ab und zu<br />

URBANE GETRÄNKELIEFERUNGEN<br />

ronja zu sich nimmt oder sie von der krippe abholen<br />

kann. im raum luzern, 079 767 85 56.<br />

Buchhandlung für Alpine Literatur<br />

haus-, gastro- und festservice<br />

Ausflüge ins Gebirge<br />

044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />

Kunst<br />

BERLIN ATELIER Wochen-/Monateweise zu<br />

www.pizbube.ch<br />

vermieten: Atelierplätze. Auch für kleine<br />

Gruppen. Ebenerdig, hell, Räume <strong>mit</strong> guter<br />

Atmosphäre, Küche,<br />

����<br />

Terrasse/Garten,<br />

��������<br />

Telefon,<br />

Wlan. Falls erwünscht: Materialnutzung (Farben,<br />

Pinsel, Malgründe), künstlerische Beratung<br />

durch Malerin und Kunstprof. Atelierplatz ab 80 €/<br />

Woche. Angelika Margull 0049 170 5527707 /<br />

fein | fair | bio<br />

info@klasse-mappe.de<br />

T: 043 366 65 00<br />

F: 043 366 65 05<br />

info@gebana.com<br />

www.gebana.com<br />

Oder erfassen Sie Ihr Kleininserat auf www.woz.ch/inserate<br />

Senden Sie diesen Talon an:<br />

WOZ Die Wochenzeitung, Kleininserate, Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich.<br />

Fax 044 448 14 15, E-Mail klins@woz.ch<br />

����������������������������������������<br />

��������������������������������������������<br />

für Wohlstand Farbe in der jeder Schweiz Grösse bei.“<br />

Malerwerkstatt<br />

Konrad Stocker 044 242 16 36<br />

��������������<br />

Bild 3<br />

2 chlini eifachi Wönigli z Barcelona<br />

z<strong>mit</strong>zdrin ufem Dach gern für NR.<br />

www.zapfig.com/atico<br />

Gesundheit Schlafen natürlich!<br />

����� ����� All-Blitz-Transporte ��� ������ (ehemals ���<br />

de Blaui Blitz), Chlitranspört,<br />

����� ����� Züglete, � ������ ökologisch �� ������ sinnvoll ��<br />

Pepe, ����5 ������ entrümple, Jahre � ��� in entsorge d. ��� Schweiz �� und ��<br />

reinige gits no günstig bi eus<br />

Gepflegte Privatunterkünfte in den<br />

079 501 33 33, www.allblitz.ch<br />

Metropolen Europas für 2 bis 28 Tage, z. B.<br />

BuchhalterIn 20%<br />

„Ich bin Strassenbauer. Ich<br />

London, Amsterdam, Berlin, Rom,<br />

Barcelona, Schlafen hübsche Gästezi. natürlich!<br />

ab 15 € u. Apartm. für Farbe Schlafen in jeder natürlich! Grösse<br />

möchte Steuern bezahlen und<br />

Nähere Informationen:<br />

ab 22 € p. P./Nacht, Budapest, Prag, Wien,<br />

Malerwerkstatt<br />

ein Recht auf Zugang zur<br />

www.mirafilm.ch/jobs<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

Lissabon, Madrid ...! INTAS Berlin, Tel. 0049 30 Gute NachtINDIGO<br />

NATURWAREN<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

34 99 33-1, Fax -8, E-Mail: info@intasberlin.de Konrad Stocker Löwenstrasse 0449 b/Sihlporte, 242 16 36<br />

Bild 1<br />

UhrenGesundheit<br />

haben!“<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

Hotel Macun<br />

Bild<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

Traductions d‘allemand en français. Rapides, Schaffhauserstrasse fiables Südfrankreich 119, ein Platz der Ruhe und<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

Wer kann mir meine alte Tachenuhr flicken?<br />

et élégantes, par un traducteur expérimenté. 8057 Zürich, Tel. Erholung 044 350 53 auf 90 unserem Eselhof <strong>mit</strong> Natur- www.futon-tatami.ch<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90 Die kleine Oase im Unterengadin<br />

Chiffre Anlaufstelle 7024 für Sans-Papiers<br />

www.performare.ch. Tarifs de la Confédération. pool und 2 Ferienhäuschen am Fuss der<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

Pyrenäen. Näheres unter www.Eselhof.fr und www.indigo-naturbetten.ch Mussestunden im einzigartigen<br />

Rebgasse 1, 4058 Basel<br />

��������������<br />

+33468747992 – à bientôt!<br />

Bergdorf Tschlin geniessen -<br />

www.sans-papiers.ch<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

www.futon-tatami.ch<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, wandernd das Unterengadin<br />

Einfaches Ferienhaus für<br />

8001<br />

4 Pers.<br />

Zürich<br />

zwischen<br />

, Tel. 044<br />

Bellin-<br />

212 57 12 ����� ����� ��� 8001 Zürich ������ , Tel. 044 ��� 212 Wohnen<br />

Bücher<br />

zona und Locarno, nahe Badeteich und Wasser-<br />

entdecken 57 12 und abends sich Schlafen natürlich! Schlafen n<br />

Bild 5<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

Bild<br />

HÜSLER 6NEST-CENTER<br />

PC 40-327601-1<br />

fall, <strong>mit</strong> <strong>Bus</strong> gut erreichbar. Schaffhauserstrasse www.zapfig.com/ 119,<br />

Schaffhauserstrasse 119, verwöhnen lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />

In Haus-WG <strong>mit</strong> Garten in Aeugst a/A zu ver-<br />

chezfritz<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90 ����� ����� � ������ 8057 Zürich, �� ������ Tel. 044 350 ��53<br />

Gerichten 90 aus unserer<br />

mieten: Zimmer <strong>mit</strong> Galerie (725.–) und<br />

���� ������ � ��� ��� �� �� Lovelove<br />

Doppelzimmer (825.–). Wir: w 23, w 26 + Hund<br />

Buchhandlung für Alpine Literatur www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-naturbetten.ch Küche...<br />

Genossenschaft<br />

und Katzen. Claudia, 079 721Kolumbien Wohnen 55+<br />

84 22 / bettina.stoffel@<br />

Ausflüge ins Gebirge<br />

Besch gärn i de Natur, Bärge, am Wasser, besch gmx.ch<br />

Hotel Macun<br />

Heller Saal für<br />

In Graubünden (Bonaduz)<br />

Bild 6<br />

chli sportlech? Bi romantisch, zärtlich, du gärn<br />

Die kleine Oase im Unterengadin<br />

snöbe, Seminare bike, und mag Chend u Tier. Suche dich, Frau, Wegen entsteht „Es Auslandaufenthalt kommt ein die Stunde, Wohnprojekt<br />

Zimmerwo zu ihr<br />

Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />

vermie-<br />

für e schöni Bez. Chiffre 7025<br />

ten in Zürich-Friesenberg. 1.1. bis 12.3.2011. In<br />

Mussestunden<br />

Bild<br />

im einzigartigen<br />

5<br />

www.pizbube.ch<br />

Arbeitsgruppen.<br />

uns helft, unsere Situation zu<br />

Schlafen natürlich!<br />

Schlafen natürlich!<br />

4-Zi.-Whg. für Menschen 440.–/mtl. 044 461über 47 33 (abends) 50.<br />

Bergdorf Tschlin geniessen -<br />

legalisieren.“<br />

Die Luft ist klar,<br />

oder sms auf 079 511 52 36.<br />

INDIGO NATURWAREN Wir suchen Mitbewohner- INDIG<br />

wandernd das Unterengadin<br />

der Himmel weit,<br />

���� ��������<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

Löwen<br />

entdecken und abends sich<br />

8001 Zürich , Innen.<br />

die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />

Anlaufstelle Tel. 044 212 57 12für<br />

081 Sans-Papiers 252 81 23 8001 Zü<br />

Hotel verwöhnen Macun lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />

Musik<br />

HÜSLER NEST-CENTER www.ingutergesellschaft.ch<br />

www.sans-papiers.ch<br />

HÜSLE<br />

Die Gerichten kleine aus Oase unserer im Unterengadin Schlafen natürlich!<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

Schaffh<br />

Wir freuen uns auf unsere Gäste! 8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

8057 Zü<br />

fein | fair | bio<br />

PC 40-327601-1<br />

A CAPPELLA-CHOR ZÜRICH<br />

Küche...<br />

Th. Ruf u. M. Meury 7559 Tschlin<br />

Mussestunden Schlafen im einzigartigen natürlich!<br />

Wir suchen 2 Tenöre www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-na<br />

www.hotelmacun.ch<br />

Bergdorf Heller Saal Tschlin für geniessen -<br />

<strong>mit</strong> gutem Gehör und Chorerfahrung.<br />

Durst<br />

Repertoire: 081 866 geistl. 32 70 Musik / info@hotelmacun.ch<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

der Renaissance<br />

T: 043 366 65 00<br />

wandernd Seminare und das Unterengadin<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, Proben jeden Montagabend in Zürich.<br />

Antonio, 9 Jahre in Basel<br />

entdecken Arbeitsgruppen. und abends sich<br />

Bild 3<br />

F: 043 366 65 05<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

8 Konzerte pro Jahr / 044 422 21 78 /<br />

info@gebana.com URBANE GET RÄNKELIEFERUNGEN HÜSLER NEST-CENTER<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

„Ich arbeite als moderner Sklave<br />

079 586 09 67 / www.a-cappella-chor.ch /<br />

verwöhnen lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />

Bild<br />

URBANE GETRÄNKELIEFERUNGEN<br />

www.gebana.com<br />

Schaffhauserstrasse Die 119,<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

Luft ist klar,<br />

esther.snozzi@bluewin.ch<br />

8057 Zürich, Tel. Gerichten 044 350 53 90<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

auf <strong>dem</strong> Bau, nur weil ich keine<br />

der Himmel<br />

aus<br />

weit,<br />

unserer<br />

Buchhandlung für Alpine Literatur<br />

haus-, gastro- und festservice Küche...<br />

Genossenschaft INDIGO Wohnen NATURWAREN<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

Bewilligung habe!“<br />

55+<br />

die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

haus-, gastro- und festservice<br />

www.sans-papiers.chAusflüge<br />

ins Gebirge<br />

044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />

Heller Saal für INDIGO NATURWAREN In Graubünden (Bonaduz)<br />

Wir freuen uns Löwenstrasse auf unsere 9 Gäste! b/Sihlporte,<br />

HÜSLER NEST-CENTER Räume<br />

PC 40-327601-1<br />

Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />

Seminare Th. und Ruf u. M. Meury 8001 Zürich 7559 , Tschlin Tel. 044 212 57 12<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

entsteht ein 8057 Wohnprojekt<br />

Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

www.pizbube.ch<br />

ic_woz 55x15 mm 2007.indd 1 9.5.2007 9:11:28 UhrArbeitsgruppen.<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

www.hotelmacun.ch Immobilien<br />

Gesucht in Zürich: Sprechzimmer für<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

WEIN in der BOX<br />

für www.indigo-naturbetten.ch<br />

Menschen über 50. WAS ABER?<br />

Psychiaterin. 1 bis 3 Räume. Schlafen Zentral, hell und natürlich! Schlafen n<br />

081 866 32 70 / info@hotelmacun.ch<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

Die Luft ist klar,<br />

Grosses Haus an schönster Südwestlage, un- <strong>mit</strong> Charme. sabine.geistlich@hin.ch, Tel. 043<br />

Wir suchen Mitbewohner-<br />

Anlaufstelle für Sans-Papiers<br />

www.chateaux-carton.ch www.indigo-naturbetten.ch verbaubare Weitsicht, direkt am Waldrand, in 344 83 44.<br />

Beringen Kt. SH zu verkaufen. Kinder- und tier- ABER ABER ���� ��������<br />

der Himmel weit,<br />

www.sans-papiers.ch<br />

Innen. 081 252 81 23<br />

die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />

freundlich, 35 Minuten bis Zürich-Kloten. Für<br />

PC 40-327601-1<br />

Infos und www.ingutergesellschaft.ch<br />

Besichtigung wählen Sie Tel. 056 534<br />

42 24.<br />

die kalte galerie<br />

fein | fair | bio<br />

Film Wir freuen uns auf unsere Gäste!<br />

Transporte<br />

www.biowein.ch<br />

Th. Ruf u. M. Meury 7559 Tschlin<br />

guter Wein, der besser ist<br />

TERRA VERDE • Fabrik am Wasser 55<br />

8049 Zürich • 044 342 10 00<br />

www.hotelmacun.ch<br />

081 866 32 70 / info@hotelmacun.ch<br />

Die schönsten<br />

Filme<br />

Kontakte<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

T: 043 366 65 00<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, F: 043 366 65 05<br />

8001 Zürich , Tel. 044 info@gebana.com<br />

212 57 12<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

www.gebana.com<br />

Schaffhauserstrasse 119,<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

INDIG<br />

Löwen<br />

8001 Zü<br />

HÜSLE<br />

Schaffh<br />

8057 Zü<br />

auf DVD<br />

www.trigon-film.org<br />

WAS ABER?<br />

ABER ABER<br />

die kalte galerie<br />

��������������������<br />

������� �� ����� ������� �����������<br />

��������������������� ����� ��� ���� ����<br />

������ ��� ��� ������ ����������� ����<br />

Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

Bild 5<br />

Schraube<br />

Schlafen natürlich!<br />

Insertionsbedingungen:<br />

INDIGO NATURWAREN<br />

Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />

Es gelten die Insertionsbedingungen der WOZ.<br />

8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />

HÜSLER NEST-CENTER<br />

Ihr Kleininserat findet sich auch 1 Woche lang auf www.woz.ch. Schaffhauserstrasse 119,<br />

8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />

www.indigo-naturbetten.ch<br />

„Warum werde ich ignoriert?<br />

Ich trage zum wirtschaftlichen<br />

Anlaufstelle für Sans-Papiers<br />

www.sans-papiers.ch<br />

061 / 681 56 10<br />

PC 40-327601-1<br />

locker?Für mich<br />

keine<br />

Behinderung.<br />

insieme setzt sich seit<br />

50 Jahren für Menschen <strong>mit</strong><br />

geistiger Behinderung ein.<br />

www.insieme.ch / PC 25–15000-6<br />

www.indigo-na<br />

Bild<br />

Schlafen n<br />

INDIG<br />

Löwen<br />

8001 Zü<br />

HÜSLE<br />

Schaffh<br />

8057 Zü<br />

www.indigo-na


kreuzWoz Nr . 487<br />

12<br />

15<br />

26<br />

28<br />

4<br />

9 10<br />

17<br />

33<br />

36<br />

waagrecht (i = j = y):<br />

23<br />

4 Wirkt auch bei Ebbe erhellend 9 War überhaupt<br />

das Wichtigste an Marx’ Genossen 12 Wer<br />

Fastfood als das versteht, hat im Frühenglisch<br />

gefehlt 13 Dieses Gewässer ist grösstenteils für<br />

Hyänen ein Genuss 14 Jedes Tramdepot umfasst<br />

auch einen Speicher 15 Ein naheliegender Grund,<br />

das Weite zu suchen 16 Süss, was in diesem<br />

Ort raffiniert ist 17 Hat im Winter wohl häufig<br />

Alpträume 19 Steht Pferden und Stoffen im<br />

Akkusativ sehr gut vor und an 23 Macht das Blicht<br />

kälter statt ein bisschen wärmer 24 Als Grussformel<br />

total diskreditiert 25 Soll, auf den Punkt<br />

gebracht, Staaten in Übersee verbinden 26<br />

Schweizerische Spielart eines ehemaligen deutschen<br />

Politikers 27 Auch so salopp gehobene<br />

Theorie ist grau 28 Wer sie kriegt, der regulär<br />

abbiegt 30 Auf <strong>dem</strong> Glatteis in Unterzahl ganz<br />

legal 33 Hilft BritInnen bei allzu trockenem<br />

Humor 34 Kurz sichtbarer Schweizermacher<br />

35 Pro-Specie-Rara-Pionier 36 Hilft der Geisha,<br />

zu Hause richtig Fuss zu fassen<br />

Lösung von kreuzWoz Nr. 486 (Woz Nr. 47/10)<br />

11<br />

senkrecht:<br />

1 Mit der Zeit, aber nie <strong>mit</strong> Eile 2 Kann erst wenn<br />

abgeschlossen richtig analysiert werden 3 Kein<br />

Omen, dieser Musikernomen, denn sein Träger ist<br />

schlagfertig und keineswegs unbeweglich 4 Kein<br />

grober Bestandteil der Luftverschmutzung<br />

5 Krampf, bei <strong>dem</strong> wir schliesslich gepflegt am<br />

verlängerten Rücken landen 6 MünchnerInnen<br />

erleben sie durchgehend 7 Wächst auf <strong>dem</strong><br />

Burgunderground 8 Ist nicht unbedingt sackstark,<br />

was bei den Grossverteilern an die Kasse kommt<br />

10 Worauf sich vielleicht ein Asket erholen kann<br />

11 Englische Überraschungsmomentaufnahme<br />

18 Ist als Malerei auch nicht direkt konkret<br />

20 Verhält sich am Strand generell zurückhaltend<br />

21 Da ist Vreneli in ihrem Gärtli im Element, sagt<br />

eventuell der Nichtglarner 22 Süsse Knacknuss<br />

29 Mit einem Teilchen versetzt dieser beziehungsreiche<br />

Gott Berge 31 So hiesse man in gehobenen<br />

Kreisen einen Faulpelz 32 Diese fast aussichtslose<br />

Lage ist in England verboten<br />

waagrecht: 4 HALBLEITER 8 ABERGLAUBE 12 SUPERLATIV 13 HELP 14 TUEREN 15 NIETE<br />

17 BANAL 18 SERA 19 BAUTE 21 TRABER 23 TORTE 24 SAEBEL 25 DATEI 27 NEL 28 EEL<br />

29 EGON 30 LOLLI 31 NOMEN senkrecht: 1 FABULIEREN 2 KLEPPER 3 HELLEBARDEN<br />

4 HASENSTALL 5 BRET 6 TUTEN 7 REVOLUTION 9 GRUEBELEI 10 AARAU 11 BINAER 16 TABELLE<br />

20 TOTEM 22 ABEL 23 TALON 26 EGEL<br />

Ich fuhr <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Velo nach Hause, da sah ich<br />

den Berg. Ich wunderte mich, dass ich ihn noch<br />

nie beachtet hatte. Er stand doch direkt nördlich<br />

meines Wohnorts, auf der anderen Seite<br />

des Tals: breit, bewaldet, <strong>mit</strong> einigen Felsen,<br />

aber oben flach, wie der Mont Raimeux bei<br />

Moutier. Es war ein Stück Jura, ohne Zweifel.<br />

Dabei hatte ich doch gelernt, der Jura höre in<br />

Regensberg auf. Offenbar stimmte das nicht.<br />

Morgen werde ich da wandern gehen, dachte<br />

ich.<br />

Ich wachte auf. Nördlich meines Wohnorts<br />

nur die Autobahn und abgeerntete Maisfelder.<br />

Der Jura hörte wieder bei Regensberg<br />

auf. Ich packte den Rucksack und fuhr nach<br />

Olten.<br />

5 6 7 8<br />

16<br />

1<br />

13 14<br />

18 19 20 21 22<br />

24 25<br />

27<br />

29 30 31 32<br />

34 35<br />

2 3<br />

In Olten beginnt der Berg tatsächlich direkt<br />

nördlich der Stadt. Über die Aare, an der<br />

Alternativen Bank und verwilderten Villengärten<br />

vorbei erreichte ich den Bannwald in einer<br />

Viertelstunde. Im Wald stand ein freundlicher<br />

Mann und erzählte allen, dass Gott sie liebe.<br />

Bald war ich völlig verschwitzt. Ich stieg hinauf<br />

zum Naturfreundehaus Rumpelweid und<br />

stellte mich in die Schlange für einen Most. Von<br />

ArbeiterInnenbewegung ist hier nichts mehr<br />

zu spüren – der beschnauzte Mann <strong>mit</strong> Dächlikäppli<br />

des Autorennstalls Sauber ist wohl eher<br />

kein Linker –, aber die Käseschnitten sind sensationell<br />

günstig. Ich stieg weiter, jetzt wurde<br />

es einsamer und hinter der Homberglücke auch<br />

kühler. Der Wanderweg Richtung Belchenflue<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Max Watts (1928–2010)<br />

Ein Weltbürger<br />

<strong>mit</strong> maximaler Leistung<br />

Er führte ein abenteuerliches Leben. Am 23. November starb Max Watts,<br />

der langjährige WOZ-Korrespondent in Australien.<br />

Von ViViEnnE PorzsoLt und norman BrEWEr<br />

Max wurde am 13. Juni 1928 als Thomas<br />

Schwätzer in eine jüdisch-säkulare Mittelklassefamilie<br />

in Wien geboren. Sein Vater Emil war<br />

Arzt, seine Mutter Giza Journalistin.<br />

Nach der Machtübernahme von Hitler in<br />

Österreich 1938 flüchtete die Familie von Max<br />

zuerst nach Frankreich, musste sich dann aber<br />

für die weitere Flucht trennen. Max ging <strong>mit</strong><br />

seinem Vater nach England, wo der Vater ihn<br />

in fremde Obhut gab und dann Selbstmord beging,<br />

weil er glaubte, die Visumsverlängerung<br />

für ihn und Max sei verweigert worden. Max<br />

fand später heraus, dass es im entsprechenden<br />

Bescheid einen Schreibfehler gegeben hatte.<br />

Der kleine Max wuchs in England in verschiedenen<br />

Heimen auf. Während des Kriegs<br />

erwarb er sich etwas Taschengeld, in<strong>dem</strong> er<br />

explodierte Mörsergranaten sammelte und<br />

Blindgänger suchte. Bereits im Alter von zwölf<br />

Jahren schloss er sich der Kommunistischen<br />

Jugend in England an – und wurde schon bald<br />

Bezirksleiter der Organisation.<br />

In der Kommunistischen Partei<br />

1944 konnte der 16-Jährige zu seiner Mutter<br />

und Schwester in die USA reisen, weil er sich<br />

für älter ausgab, als er war. Dort studierte er<br />

Politik, Ökonomie und Aviatik, qualifizierte<br />

sich als Drucker, engagierte sich<br />

in der Internationalen Typografiegewerkschaft<br />

und wurde<br />

schliesslich Organisator in der<br />

Elektrikergewerkschaft. Er trat<br />

der Kommunistischen Partei der<br />

USA bei, behielt aber, wie er später<br />

sagte, immer seinen eigenen<br />

(Dick-)Kopf und lehnte Dogmatismus<br />

und Sektierertum ab.<br />

Um nicht als Soldat für den<br />

Koreakrieg eingezogen zu werden,<br />

emigrierte er Anfang der<br />

fünfziger Jahre nach Israel. Doch<br />

auch dort sollte er schon bald<br />

Kriegsdienst leisten: «Ich kenne<br />

keine Koreaner. Und auch keine<br />

Max Watts.<br />

Araber. Und sie haben mir auch nie etwas getan»,<br />

begründete Max seine neuerliche Emigration<br />

nach Frankreich. In Paris studierte er Geophy<br />

sik, promovierte und lehrte dann an der<br />

Universität von Paris. Ein Verfahren, bei <strong>dem</strong><br />

durch Reflektion elektrischer Schockwellen Öl<br />

aufgespürt werden kann, brachte ihm einigen<br />

Ruhm und Geld. Sein Pseudonym, unter <strong>dem</strong> er<br />

später leben sollte, leitete sich aus seinem physikalischen<br />

Faible ab: MAXimum WATTage –<br />

maximale Leistung eben.<br />

kost uNd Logis<br />

die schweiz, verdichtet<br />

B Ettina dyttrich über den Jura bei Olten und den Jura im Traum.<br />

ist oft gesperrt; hier übt das Militär. Ich wollte<br />

eigentlich die erste Jurakette überqueren, aber<br />

die vielen Autos auf <strong>dem</strong> Parkplatz schreckten<br />

mich ab, darum stieg ich nach links ab, durch<br />

eine romantische, von Schützengräben unterhöhlte<br />

Landschaft und hinunter zu einer kleinen<br />

Klus. Dahinter dröhnen die Autos auf der<br />

A2 in den Hauensteintunnel, Richtung Basel.<br />

Ein Wegweiser zeigte mir den Weg zurück zum<br />

Rumpel, diesmal nahm ich den Abstieg über<br />

die Krete. Der Erlebnispfad im Bannwald ist<br />

wirklich schön, nicht nur für Kinder.<br />

Hätte ich Gäste aus <strong>dem</strong> Ausland, ich<br />

nähme sie <strong>mit</strong> auf diese Wanderung. Sie zeigt<br />

die Schweiz in verdichteter Form: Militär,<br />

Autobahn, und trotz<strong>dem</strong> ist die Landschaft<br />

25<br />

Mitte der fünfziger Jahre zog es ihn nach<br />

Kuba, wo er eine dauerhafte Anstellung als Geophy<br />

si ker angeboten bekam. Allerdings blieb er<br />

dort nicht lange. Er sehnte sich nach den Pariser<br />

Cafés, <strong>dem</strong> Philosophieren und Politisieren und<br />

seinen Freundinnen. Max war nie monogam.<br />

Gegen den Vietnamkrieg<br />

Mitte der sechziger Jahre unterstützte er von<br />

Paris aus den Widerstand der US-amerikanischen<br />

GIs gegen den Vietnamkrieg. Er war<br />

einer der Köpfe der Organisation Resistance<br />

Inside the Army (Rita). Der Widerstand innerhalb<br />

der US-Streitkräfte gegen den Vietnamkrieg<br />

war stark. Zeitweise gab es bis zu 400<br />

Antikriegszeitungen der GIs in Europa und den<br />

USA. Max sorgte dafür, dass die Deserteure Anwälte<br />

bekamen und Prominente wie Jane Fonda<br />

und Catherine Deneuve die Kriegsgegner politisch<br />

und finanziell unterstützten. Später sollte<br />

er seine Erfahrungen im 1989 ver öf fent lich ten<br />

Buch «US-Army-Europe – von der Desertion<br />

zum Widerstand in der Kaserne oder wie die<br />

U-Bahn zu Rita fuhr» verarbeiten.<br />

Sein Engagement gegen den Vietnamkrieg<br />

missfiel den französischen Behörden.<br />

Mehrmals wurde er verhaftet und deportiert.<br />

Er reiste jedoch immer wieder ein und klagte<br />

schliesslich erfolgreich gegen die<br />

Ausschaffung.<br />

Später verschlug es Max<br />

nach Heidelberg, <strong>dem</strong> Standort<br />

des Hauptquartiers der US-Armee<br />

in Europa. Max unterstützte<br />

auch dort die US-Soldaten. Er<br />

verdiente nun sein Geld als freier<br />

Journalist. Ein Coup gelang<br />

ihm, als er 1973 nachweisen<br />

konnte, dass die CIA sein Telefon<br />

in Deutschland illegal angezapft<br />

hatte. Es brachte ihm neben einer<br />

finanziellen Entschädigung aus<br />

Washington auch eine gewisse<br />

Berühmtheit ein.<br />

Max sah sich allerdings<br />

weiterhin von der CIA verfolgt. So beschloss er,<br />

nach Australien auszuwandern. Von hier aus<br />

schrieb er für australische und deutschsprachige<br />

Zeitungen. Sein erster WOZ-Artikel erschien<br />

1985, sein letzter im August dieses Jahres<br />

über die australischen Wahlen. Ausser<strong>dem</strong><br />

blieb Max politisch aktiv und unterstützte die<br />

Befreiungskämpfe in Bougainvilles, Osttimor<br />

und West-Papua.<br />

Max konnte letztlich nur der Krebs besiegen.<br />

noch recht schön; Aussicht auf die Alpen und<br />

ein AKW, etwas Geschichte <strong>mit</strong> den Naturfreunden,<br />

die (ausgerechnet!) ihr Haus einst illegal<br />

auf die Rumpelweid bauten, Magerwiesen und<br />

Autobahnlärm. Und günstige Käseschnitten.<br />

Und auf der Hauensteinstrasse fahren<br />

die Töffs jetzt auch im November. Rückkopplung<br />

heisst das im Klimajargon: wenn der<br />

Permafrostboden, von der Klimaerwärmung<br />

aufgetaut, seine gespeicherten Treibhausgase<br />

in die Atmosphäre entlässt und da<strong>mit</strong> die Klimaerwärmung<br />

weiter anheizt. Oder wenn<br />

Spätsommertemperaturen im November das<br />

Töfffahren zum Ganzjahressport werden lassen<br />

und da<strong>mit</strong> den November weiter erwärmen.<br />

Aber inzwischen ist es ja endlich kalt.<br />

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.


26 Agenda Agenda 27<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

politour<br />

Bespitzelungen<br />

Bereits zum dritten Mal führt attac Bern eine<br />

Suppenznacht­Reihe durch. Der Titel der diesjährigen<br />

Veranstaltungen lautet: «Macht Alternativen!»<br />

Mit warmer Suppe im Bauch wird<br />

nach einer kurzen Einführung zu verschiedenen<br />

Themen diskutiert. Das nächste Thema: «Fichenaffäre<br />

und Nestlégate».<br />

Bern aki, Alpeneggstrasse 5, Mi, 15. Dezember,<br />

19 Uhr.<br />

China<br />

Mitte 2010 gab es eine Streikwelle in Chinas<br />

Fabriken. WanderarbeiterInnen erkämpften sich<br />

höhere Löhne und lösten eine weltweite Debatte<br />

über das Ende des chinesischen Niedriglohnmodells<br />

aus. Bei Assoziation A ist das Buch<br />

«Aufbruch der zweiten Generation, Wanderarbeit,<br />

Gender und Klassenzusammensetzung in<br />

China» erschienen. Pun Ngai und andere Autor­<br />

Innen aus China analysieren das Schicksal und<br />

die Kämpfe verschiedener MigrantInnengruppen,<br />

darunter Bau­, Fabrik­ und SexarbeiterInnen,<br />

und beleuchten die Hintergründe der aktuellen<br />

Streiks und Klassenbildungsprozesse in China.<br />

Der Über setzer wird das Buch präsentieren. Anschliessend<br />

wird über die Frage diskutiert, inwieweit<br />

sich heute in Zeiten der Krise und zunehmender<br />

sozialer Kämpfe in verschiedenen Teilen<br />

der Welt neue Formen der Bezugnahme, des<br />

Austauschs und der Unterstützung finden lassen.<br />

Zürich Infoladen Kasama, Militärstrasse 87a<br />

(im Innenhof), Fr, 10. Dezember, 19.30 Uhr<br />

Bern Infoladen Reitschule, Neubrückstrasse 8,<br />

Sa, 11. Dezember, 19.30 Uhr.<br />

Der diesjährige Friedensnobelpreis wird <strong>dem</strong><br />

Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo verliehen.<br />

Am Freitag findet in Oslo die Preisübergabe statt,<br />

<strong>mit</strong> Sicherheit in Abwesenheit des inhaftierten<br />

Liu Xiaobo. Schon kurz nach der Verkündung<br />

des Preisträgers hat China alle Staaten aufgefordert,<br />

keine Vertreter an die Feierlichkeiten zu<br />

entsenden, und seit<strong>dem</strong> ist es merkwürdig still<br />

geworden um Liu Xiaobo. Der Sinologe Thomas<br />

Geiger lädt ein zu einer Soirée rund um Liu Xiaobo,<br />

die Geschichte der chinesischen Dissidenten,<br />

die Charta 08, die heftigen Reaktionen der chinesischen<br />

Autoritäten und die kulturellen Hintergründe.<br />

Zürich Paranoia City Buch & Wein, Ankerstrasse 12,<br />

Fr, 10. Dezember, 20.30 Uhr.<br />

Klima<br />

Die Ausstellung «2 Grad» ermöglicht Einblicke in<br />

die Klimaforschung und zeigt, wie der Mensch<br />

rund um die Welt versucht, das Wetter zu beeinflussen.<br />

Im Rahmenprogramm gibt es die<br />

Podiumsdiskussion «Klimapolitik und Umweltschutz<br />

– eine ökonomische und politische Krise?»<br />

<strong>mit</strong> Marcel Hänggi (Wissenschaftsjournalist), Lucas<br />

Bretschger (ETH Zürich), Gabi Hildesheimer<br />

(Öbu Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften)<br />

und Regierungsrat Jörg Krähenbühl (BL). – Im<br />

Rahmen der Ausstellung findet auch der Kurzfilmwettbewerb<br />

«1 Minute –2 Grad» statt. Das<br />

Ziel besteht darin, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Handy einen Film zu<br />

produzieren, der nicht länger als eine Minute<br />

dauert und der den Begriff «2 Grad» umsetzt.<br />

Mitmachen können alle, zu gewinnen gibt es<br />

SBB­Reisegutscheine, Einsendeschluss ist der<br />

31. Dezember.<br />

Auflösung Personenrätsel<br />

Im Personenrätsel auf Seite 20 fragten wir nach der französischen Pädagogin, Schriftstellerin,<br />

Anarchistin und Feministin Louise Michel (1830–1905). In vielen französischen Städten tragen<br />

Strassen den Namen der Frau, für die Freiheit ohne Gleichheit nichts war. Zu Beginn der Pariser<br />

Commune hatte sie die bürgerlichen Truppen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Appell «Schiesst ihr auf uns, auf eure Brüder<br />

und Kinder?» zu entwaffnen versucht. Kurz danach wollte sie den damaligen Staatspräsidenten<br />

Adolphe Thiers töten, erkannte jedoch – wie sie in ihrer Autobiografie schrieb – in den gesellschaftlichen<br />

Strukturen das Hauptübel, weil in ihnen «selbst die Redlichen, einmal an die Macht<br />

ge kommen, zu Schurken werden».<br />

impressum<br />

Herausgeberin WOZ Die Wochenzeitung: Genossenschaft infolink,<br />

Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich. pakete und express: 8005 Zürich<br />

Die Genossen schaft infolink gehört aus schliesslich den<br />

ZeitungsmacherInnen. Die WOZ ist unabhängig; über inhaltliche<br />

Fragen entscheidet die Redaktions konferenz.<br />

Zentrale: Telefon 044 448 14 14, Fax 044 448 14 15, E‑Mail:<br />

woz@woz.ch Website: www.woz.ch inserate: 044 448 14 03,<br />

inserate@woz.ch Abos: 044 448 14 44, abo@woz.ch<br />

Basel Dreispitzareal, Florenzstrasse 1, Tor 13.<br />

Führungen: sonntags, jeweils 11 Uhr. Individuelle<br />

Führungen: 061 222 22 12 info@2grad.ch, Öff ­<br />

nungszeiten: Di–So, 10–17 Uhr, Do, 10–19.30 Uhr.<br />

www.2grad.ch. Die Ausstellung ist barrierefrei<br />

zugänglich. Klima­Menü (bio, vegi) für 17 Franken<br />

(ohne Getränke) jeden Dienstag 11.30–13.30 Uhr,<br />

Anmeldung jeweils bis Montag<strong>mit</strong>tag unter<br />

info@2grad.ch oder 061 222 22 12. Podium:<br />

So, 12. Dezember, 11 Uhr.<br />

Minen<br />

Im Tagebau, <strong>mit</strong> Einsatz von Chemikalien und<br />

sehr viel Wasser und Energie werden in ganz<br />

Südamerika Metalle abgebaut. Dagegen wächst<br />

der Widerstand. Eine Historikerin und ein Ethnologe<br />

berichten von einer Rundreise <strong>mit</strong> Station in<br />

Andalgalá (Argentinien), wo es im vergangenen<br />

Januar zu einem Aufstand gegen eine geplante<br />

Mine und die Behörden gekommen ist.<br />

Wetzikon KultiBeiz, Zürcherstrasse 42, Fr,<br />

10. Dezember, 19.30 Uhr. Zug Jugendzentrum i45,<br />

Industriestrasse 45, Di, 14. Dezember, 20 Uhr.<br />

luzern ROMP, Steinenstrasse 17, Do, 16. Dezember,<br />

19.30 Uhr.<br />

Soziale not<br />

Seit zwanzig Jahren haben auch in der Schweiz<br />

Erwerbslosigkeit, Armut und Prekarität deutlich<br />

zugenommen. Doch die offizielle Sozialstatistik<br />

liefert Zahlen, welche die wahren Ausmasse<br />

der Krise eher verschleiern. Sowohl die Arbeitslosenzahlen<br />

des Staatssekretariats für Wirtschaft<br />

(Seco) wie auch die Studien über Working Poor<br />

oder prekäre Beschäftigung zeichnen sich dadurch<br />

aus, dass wesentliche Dimensionen des<br />

Problems (Erwerbslosigkeit, Armut, Prekarität)<br />

ausgeblendet oder schöngeredet werden. Dazu<br />

hält Peter Streckeisen, Assistent am Institut für<br />

Soziologie, Basel. den Vortrag «Unsichtbare Not.<br />

Wenn die Statistik nur die halbe Wahrheit sagt».<br />

Basel Internetcafé Planet13, Klybeckstrasse 60,<br />

Mo, 13. Dezember, 19 Uhr.<br />

Südmexiko<br />

Peace Brigades International und Peace Watch<br />

Switzerland zeigen nach einem Einführungsreferat<br />

über Tourismus und Menschenrechte<br />

eine Diashow über den Einfluss des Tourismus in<br />

Südmexiko.<br />

Bern Progr, Waisenhausplatz 30, Do, 9. Dezember,<br />

19.15 Uhr.<br />

Wachstum<br />

Im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung über<br />

Auswege aus der ökonomischen Wachstumsillusion<br />

referiert Claudia von Werlhof (Professorin<br />

für Frauenforschung am Institut für Politikwissenschaft<br />

der Universität Innsbruck) über das<br />

Wirtschaften nach <strong>dem</strong> Patriarchat.<br />

Windisch FHNW, Klosterzelgstr. 2 (Audimax),<br />

Do, 16. Dezember, 17.15 Uhr.<br />

Wasser<br />

Eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang<br />

zu sauberem Trinkwasser. Täglich sterben 4000<br />

Kinder an den Folgen verschmutzten Wassers.<br />

Die Ausstellung «Wasser für alle» zeigt anhand<br />

von Hintergrundinformationen und Beispielen<br />

aus der Entwicklungszusammenarbeit auf, wie<br />

vielschichtig die Ursachen und Folgen der globalen<br />

Wasserkrise sind. Aber auch, was getan werden<br />

kann, um die Katastrophe abzuwenden. – Im<br />

Rahmenprogramm hält Rolf Weingartner (Leiter<br />

der Gruppe Hydrologie, Direktor Geografisches<br />

Institut, Universität Bern) den Vortrag «Wasser –<br />

das Kapital der Schweiz».<br />

st. Gallen Naturmuseum, Museumsstrasse 32,<br />

geöffnet Mo, 10–20 Uhr, Di–So, 10–17 Uhr. Private<br />

Gruppenführungen: 071 242 06 70. Die<br />

Ausstellung dauert bis 20. März 2011. Vortrag:<br />

Mi, 15. Dezember, 19 Uhr.<br />

Wemf-beglaubigte verkaufte Auflage: 14 512 reichweite: 96 000<br />

Jahresabo: 265 Franken, Ausbildungsabo: 160 Franken<br />

(Ausbildungsausweiskopie senden), probeabo: 8 Wochen für<br />

25 Franken. Weitere Angebote für In‑ und Ausland auf<br />

www.woz.ch/abo.<br />

redaktion: schweiz: Susan Boos (sb), Bettina Dyttrich (dyt), Andreas<br />

Fagetti (fa), Dinu Gautier (dig), Stefan Keller (stk, Medien), Daniel Ryser<br />

(dr), Kaspar Surber (ks), Rachel Vogt (rv), Ruth Wysseier (rw)<br />

Wirtschaft: Carlos Hanimann (ch) international: Daniel Stern (ds),<br />

Yves Wegelin (yw), Sonja Wenger (sw) Kultur: Fredi Bosshard (ibo),<br />

Zeitreise in der Zürcher Gessnerallee: Der Performer Massimo Furlan rekonstruiert den Grand Prix<br />

Eurovision de la Chanson aus <strong>dem</strong> Jahr 1973. foto: PIERRE NYDEGGER<br />

kultour<br />

Performance<br />

Massimo Furlan<br />

Preisfrage: In welchem Jahr riss in Chile eine Militärdiktatur<br />

die Macht an sich, wurde der Welt<br />

die erste Ölkrise beschert und vertrat ein Sänger<br />

namens Patrick Juvet die Schweiz am Grand Prix<br />

Eurovision de la Chanson <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Lied «Je vais<br />

me marier, Marie»?<br />

Richtig: 1973. «1973» heisst auch die Theaterperformance,<br />

<strong>mit</strong> der der Schweizer Künstler<br />

Massimo Furlan den Grand Prix von 1973 in<br />

einem abendfüllenden Programm auf die Bühne<br />

zurückholt: nicht als billige Retroshow, sondern<br />

als sorgfältige Rekonstruktion. Furlans Anspruch<br />

ist es, die Historizität der Popkultur zu reflektieren<br />

und Mechanismen des Erinnerns und Vergessens<br />

erfahrbar zu machen. Gesungen wird live,<br />

in all den zungenbrecherischen Landes sprachen,<br />

den unsäglichen Kostümen und Frisuren – und<br />

fast alles von Furlan selbst.<br />

Auf der Bühne zu erleben als sie selbst<br />

sind überdies der Anthropo loge Marc Augé, der<br />

Philosoph Serge Margel und der Musikwissenschaftler<br />

Bastien Gallet. A dr<br />

«1973» in: Zürich Theaterhaus Gessnerallee<br />

Fr/Sa, 10./11. Dezember, 20 Uhr.<br />

www.massimofurlan.com / www.gessnerallee.ch<br />

Jan Jirát (jj), Adrian Riklin (adr), Silvia Süess (süs, abwesend)<br />

Wissen: Franziska Meister (mei) Bild: Alda Burkhardt (abwesend),<br />

Ursula Häne Abschluss: Armin Büttner (abü), Stefan Howald (sh),<br />

Roman Schürmann (sc) Bern: Dinu Gautier (dig) Genf: Helen<br />

Brügger (hb), Postfach 229, 1211 Genf 4, 079 543 46 06,<br />

helen.bruegger@infomaniak.ch redaktions leitung: Susan Boos,<br />

Roman Schürmann (stv.), Daniel Stern (stv.)<br />

Verlag und produktion: Aboservice: Ghislaine Flachsmann,<br />

Karin Hoffsten (kho) Buchhaltung: Erika Hauser, Desk, Archiv:<br />

Georg Bauer, Vasco Rasi, Iris Schär informatik: Martin Clalüna,<br />

Offene Bühne<br />

Play Yourself – von Frauen für Frauen<br />

Seit September findet im Frauenraum der Reitschule<br />

einmal pro Monat eine kleine, feine Veranstaltung<br />

unter <strong>dem</strong> Titel «Play Yourself» statt. Die<br />

offene Bühne im ersten Teil des Abends bietet<br />

Frauen Gelegenheit, ihre eigenen musikalischen<br />

Ideen zu testen. Im zweiten Teil dann werden die<br />

Instrumente von der Bühne ins Publikum gezügelt<br />

– ausprobieren, experimentieren, zusammen<br />

spielen … alles ist möglich. An den bisherigen<br />

drei Abenden soll sich Ausserordentliches ereignet<br />

haben: Eine Frau etwa – sie hat noch nie ein<br />

Instrument gespielt – hat sich ans Schlagzeug<br />

gesetzt, sich in simplen Rhythmen versucht und<br />

alsbald <strong>mit</strong> anderen zusammen gejammt.<br />

Die Veranstaltungen waren bislang gut<br />

besucht und zogen Mal für Mal neue Frauen an.<br />

Der Radius hat sich inzwischen nach Luzern und<br />

Zürich erweitert. Was als Experiment begann,<br />

wird im neuen Jahr eine Fortsetzung finden. Die<br />

letzte Gelegenheit im alten Jahr, in die Tasten<br />

zu greifen, ins Mikrofon zu säuseln oder sich<br />

eine Gitarre umzuhängen, bietet sich am nächsten<br />

Donnerstag. Ein paar Instrumente stehen<br />

zur Verfügung. Der Anlass ist ausschliesslich für<br />

Frauen. Anmelden kann frau sich vor Ort oder<br />

im Voraus per Mail. M ei<br />

«Play Yourself – offene Bühne & Improvisation<br />

von Frauen für Frauen» in: Bern, Frauenraum<br />

Reitschule, Do, 16. Dezember, ab 20 Uhr.<br />

Daten im nächsten Jahr: 17. März, 21. April,<br />

19. Mai und 16. Juni.<br />

Science Slam!<br />

Es ist eine schweizweite Premiere: Wissenschaftlerinnen<br />

und Forscher packen ein Mikrofon und<br />

beweisen <strong>dem</strong> Publikum <strong>mit</strong> Pipette, Power­<br />

Point und präzisen Formulierungen, wie spannend<br />

ihre Forschungsthemen sind. Und das um<br />

die Wette. Wer gewinnt, entscheidet das Publikum.<br />

Genau zehn Minuten kriegt, wer sich aus<br />

<strong>dem</strong> Elfenbeinturm auf die Bühne wagt. Erlaubt<br />

ist alles – ausser, das Publikum zu langweilen.<br />

Lorenz Schori inserate: Roger Baldinger, Kilian Gasser, René Max<br />

Kindler, Cécile Knüsel, Roger Odermatt Korrektorat: Corinne Babst,<br />

Elsa Bösch, Marlene Kalt, Elisabeth Oberson Layout und Grafik:<br />

Helen Ebert Online: Ruedi Nöthiger, Daisy Sommer personal: Maha<br />

Al‑Wakeel Werbung: Claudia Gillardon, Camille Roseau Verlags-<br />

und produktionsgruppe: Maha Al‑Wakeel, Claudia Gillardon,<br />

Camille Roseau<br />

ständige <strong>mit</strong>arbeiterinnen: Tom Adler (Stuttgart), Subhi al‑Zobaidi<br />

(Ramallah), Florian Bachmann, Esther Banz (eb), Ulrike Baureithel<br />

(Berlin), Rea Brändle (brä), Sina Bühler (sib), Heiner <strong>Bus</strong>ch (bu), Thomas<br />

Filmtage Luzern zum Thema Menschenrechte: Szene <strong>mit</strong> Sainap Gaschaiwa (rechts) aus<br />

«Coca – die Taube aus Tschetschenien» von Eric Bergkraut.<br />

Offiziell übersetzt bedeutet Science Slam «Wissenschaftliches<br />

Kurzvortragsturnier» – allein<br />

schon diese Formulierung macht die Veranstaltung<br />

förderverdächtig, zum Beispiel durch den<br />

Schweizerischen Nationalfonds. Mögliches Ausschreibungsmotto:<br />

«für die verständlichste, unterhaltsamste<br />

und trotz<strong>dem</strong> unverfälschte Ver<strong>mit</strong>tlung<br />

von wissenschaftlichen Inhalten».<br />

Wer gespannt ist auf die kommunikativen<br />

Talente, die unter Laborkitteln und in vermeintlichen<br />

Bücherwürmern schlummern, verpasse<br />

auf keinen Fall die Premiere. Bereits zugesagt<br />

haben unter anderen eine Zahnmedizinerin, ein<br />

Kunsthistoriker und ein Schulsportforscher. Bestimmen<br />

Sie Ihren Favoriten selbst. M ei<br />

«Bühne frei fürs Wissen – der erste Science Slam<br />

an der Universität Bern» in: Bern, Ono­Theater,<br />

Kramgasse 6, Fr., 10. Dezember, 20 Uhr.<br />

Lesung<br />

Jörg­Steiner­Soiree<br />

Er gehört zu den grossen Erzählern der Schweizer<br />

Literatur in den vergangenen Jahrzehnten: Jörg<br />

Steiner hat sich in seinen Büchern immer wieder<br />

<strong>mit</strong> der sozialen Wirklichkeit auseinandergesetzt,<br />

in der gesellschaftliche AussenseiterInnen leben.<br />

Einem breiteren Publikum bekannt geworden<br />

ist er vor allem als Autor von Kinderbüchern <strong>mit</strong><br />

Illustrationen von Jörg Müller. Zuletzt sind bei<br />

Suhrkamp von ihm erschienen: «Wer tanzt schon<br />

zu Musik von Schostakowitsch?» (2000), «Mit deiner<br />

Stimme überlebe ich» (2005) und «in Kirschbaum<br />

am Pazifischen Ozean» (2008).<br />

Im Oktober feierte Steiner seinen 80. Geburtstag.<br />

Nun findet im Stadttheater in seiner<br />

Heimatstadt Biel, in der Steiner noch immer lebt<br />

und arbeitet, eine Soiree statt: Jüngere Kolleg­<br />

Innen von Steiner lesen aus seinen Werken –<br />

und kommentieren sie erzählerisch: Dorothee<br />

Elmiger, Absolventin des ersten Jahrgangs des<br />

2006 gegründeten Literaturinstituts in Biel, Ruth<br />

Schweikert, die als Mentorin am Institut unterrichtet,<br />

Peter Weber, der daselbst auch schon als<br />

Gastdozent tätig war, sowie Studierende des Literaturinstituts.<br />

A dr<br />

«Jörg Steiner lesen» in: Biel Stadttheater<br />

Sa, 11. Dezember, 18.30 Uhr.<br />

Bürgisser, Heimo Claasen (Brüssel), Jean‑Arnault Dérens, Gerhard<br />

Dilger (Porto Alegre), Hans‑Ulrich Dillmann (Santo Domingo), Jürg<br />

Fischer (fi), Roland Fischer (fir), Jürg Frischknecht (jf), Dominik Gross<br />

(dgr), Hanspeter Guggenbühl (hpg), Wolfgang Hafner (wh), Marcel<br />

Hänggi (mh), Etrit Hasler, Ulrich Heyden (Moskau), Bert Hoffmann,<br />

Karin Hoffsten (kho), Ralph Hug (rh), Wolf Kantelhardt (Beijing), Toni<br />

Keppeler, Joseph Keve (Bombay), Andreas Kneubühler, Florianne<br />

Koechlin, Alice Kohli, Edith Krebs (ek), Geri Krebs, Hanspeter Künzler,<br />

Noëmi Landolt, Ralf Leonhard (Wien), Fredi Lerch (fl), Johanna Lier (jal),<br />

Nick Lüthi (nil), Patrik Maillard, Franz Moor (fm), Bahman Nirumand,<br />

Bert Noglik, Viktor Parma (vip, Bundeshaus), Dieter Sauter (Istanbul),<br />

Film<br />

Filmtage Luzern: Menschenrechte<br />

Anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte<br />

vom morgigen Freitag, 10. Dezember,<br />

finden in Luzern übers Wochenende erstmals<br />

die «Filmtage Luzern: Menschenrechte» statt.<br />

Drei Tage lang zeigt das Stattkino Dokumentar­<br />

und Spielfilme, die das zuweilen abstrakt diskutierte<br />

Thema Menschenrechte konkret darstellen.<br />

Anschliessend finden dort oder im benachbarten<br />

Hörsaalzentrum Union Gespräche <strong>mit</strong> den FilmemacherInnen<br />

und ExpertInnen statt.<br />

Eröffnet werden die Filmtage am Freitagabend<br />

<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Film «La Isla – Archiv einer Tragödie»<br />

über das eigentlich geheime Archiv der<br />

Nationalpolizei in Guatemala. Danach stellt sich<br />

Regisseur Uli Stelzner den Fragen des NZZ­<br />

Redaktors Oswald Iten. Am Samstag steht das<br />

Thema Migration im Zentrum. Gezeigt wird<br />

etwa der Dokumentarfilm «Hotel Sahara» über<br />

eine Stadt an der mauretanischen Küste, in der<br />

zahllose MigrantInnen zwischen Hoffnung und<br />

Angst von Europa träumen, oder – als exklusive<br />

Vorpremiere – «Aisheen – Still Alive in Gaza»<br />

(vgl. Kurzkritik auf dieser Seite). Wiederum finden<br />

ergänzend zu beiden Filmen Gesprächsrunden<br />

statt. Am Sonntag richtet sich der Blick auf<br />

Tschetschenien und Kamerun, zwei Regionen, in<br />

denen Menschen fernab der Weltöffentlichkeit<br />

gegen zum Teil massiven Widerstand um ihre<br />

grundlegenden Rechte kämpfen. Mit Beatrice<br />

Ntuba reist eigens für die Filmtage eine Frauenanwältin<br />

aus Kamerun an, um über die Lage in<br />

ihrer Heimat zu berichten.<br />

Der Anlass in Luzern <strong>mit</strong> seinem Fokus<br />

auf die Menschenrechte – organisiert vom Romerohaus,<br />

<strong>dem</strong> Institut für Sozialethik der Theologischen<br />

Fakultät der Universität Luzern sowie<br />

<strong>dem</strong> Stattkino – ist nach der Annahme der<br />

Ausschaffungsinitiative näher und dringlicher, als<br />

uns lieb sein kann. jj<br />

«Filmtage Luzern: Menschenrechte» in: luzern<br />

Stattkino, Löwenplatz 11, und Union, Löwenstrasse<br />

16, 10. bis 12. Dezember. www.romerohaus.ch<br />

Werner Scheurer (ws, Beirut), Bernhard Schmid (Paris), Zvi Schuldiner<br />

(Jerusalem), Benjamin Shuler (bs), Alexander J. Seiler, Wolfgang Storz<br />

(Frankfurt), Lotta Suter (Boston), Gian Trepp (gt), Wolf‑Dieter Vogel<br />

(Mexiko‑Stadt), Julian Weber (jul), Anna Wegelin (aw), Ruth Weiss,<br />

Rainer Werning, Dorothea Wuhrer (Sevilla), Pit Wuhrer (pw), Suzanne<br />

Zahnd (suz), Raphael Zehnder (rz), Raul Zelik (Medellín), Nicole Ziegler<br />

(niz), Andreas Zumach (Genf)<br />

Zeitungsdesign: Helen Ebert piktogramme: Anna Sommer<br />

Kolumnenporträts: Jeanette Besmer<br />

Druck: NZZ Print, Schlieren<br />

leserinnenBrieFe<br />

Autonomie für Lehrerinnen<br />

Bildungsbeilage der WOZ Nr. 44/10<br />

Parteien, Politiker, Bildungstheoretiker, Eltern und<br />

Lehrpersonen, alle wissen, wie die beste Schule<br />

sein sollte. Die Grabenkämpfe können nur aufhören,<br />

wenn Lehrpersonen ihrer Schule ein eigenes<br />

pädagogisches und strukturelles Profil geben<br />

können, das den Bedürfnissen ihrer Schülerinnen<br />

und Schüler entspricht. Eigenverantwortliche innovative<br />

Lehrpersonen dürfen nicht länger zu Befehlsempfängern<br />

degradiert werden. Bildung darf<br />

nicht weiter von einer überbordenden teuren<br />

Bildungsbürokratie diktiert werden. Das enge<br />

Korsett <strong>mit</strong> strengem Lehrplan und Zwangseinweisung<br />

der Lernenden muss gesprengt werden.<br />

Film<br />

«Das ist ‹Apokalypse Now›. Wenn das Ende der<br />

Welt existiert, dann ist es hier», sagte der Schweizer<br />

Regisseur Nicolas Wadimoff, als er 2009 zwei<br />

Wochen nach Ende des Kriegs in Gaza eintraf.<br />

Im Auftrag des arabischen Fernsehsenders al-<br />

Dschasira sollte er einen Dokumentarfilm über<br />

die Situation in Gaza drehen – als «Geschichtsdokument<br />

und für die Erinnerung».<br />

Doch welche Bilder kann und soll man zeigen?<br />

Die Zerstörungen an den Häusern und der<br />

Infrastruktur durch israelische Raketenangriffe<br />

sind zur Genüge dokumentiert. Die Geschichten<br />

der Menschen wiederholen sich. Politische Aussagen<br />

sind bedeutungslos angesichts von Resignation<br />

oder Wut der Bevölkerung. «Was also kann<br />

Kino in so einer Situation bewirken?», fragte sich<br />

Wadimoff, der seit über zwanzig Jahren Dokumentationen<br />

und Reportagen dreht.<br />

Der Titel «Aisheen – Still Alive in Gaza»<br />

zeigt, für welchen Ansatz er sich entschieden<br />

Buch<br />

Hansjörg Schneiders Basler Kommissar Peter<br />

Hunkeler geht in Pension. Er ist froh, denn er hat<br />

die Nase voll von seinem ausländerfeindlichen<br />

Chef. Darum nimmt er sich gleich noch eine<br />

Grippe. Ein aktueller Fall lässt ihn über das Theater<br />

nachdenken. Ein Intendant wurde ermordet,<br />

kurz nach der Premiere einer skandalösen Inszenierung<br />

von «König Ödipus». Als man die Leiche<br />

im Rhein fand, hatte sie leere Augenhöhlen. Eine<br />

Anspielung auf die Selbstblendung der antiken<br />

Gestalt, die sich ihrer Schuld nicht mehr entziehen<br />

konnte?<br />

Das Theater hat sich verändert, seit Hunkeler<br />

jung war, wie viele hat er den Anschluss verloren.<br />

Das gilt wohl auch für Schneider, der einst<br />

vor allem Dramatiker war, bekannt als Autor des<br />

«Sennentuntschi», der sich aber zunehmend der<br />

Prosa zugewandt hat. Mit seinem erfolgbringenden<br />

Kommissar Hunkeler wagt er sich in die<br />

heutige Theaterwelt, begegnet arroganten Dra-<br />

Mehr als nur überleben<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

«Aisheen – Still Alive in Gaza». Schweiz/Katar 2010. Regie: Nicolas Wadimoff.<br />

Ab 9. Dezember in Deutschschweizer Kinos.<br />

Hunkeler und das theater<br />

hat. «Die Menschen in Gaza wollen nicht nur<br />

überleben, sie wollen leben», sagt er. Und so zeigt<br />

Wadimoff in vielen kleinen, unkommentierten<br />

Episoden, wie die Menschen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Alltag<br />

nach <strong>dem</strong> Krieg umgehen. Er zeigt, wie der Besitzer<br />

eines zerstörten Vergnügungsparks <strong>mit</strong><br />

einfachen Mitteln versucht, sein Karussell zu reparieren.<br />

Junge Zoowärter kommen zu Wort, die<br />

lieber Ärzte als Freiheitskämpfer wären, und erzählen,<br />

wie sie den verhungerten Löwen ausgestopft<br />

haben. Wir sehen junge Fischer am Strand,<br />

Clowns im Gemeindezentrum, eine Mutter, die<br />

ihren verletzten Sohn pflegt, und begleiten eine<br />

Rapband, die über Widerstand und die Lust am<br />

Leben singt, zum Interview ins Lokalradio.<br />

Unaufgeregt und ohne lästiges Pathos lässt<br />

Wadimoff die Bilder für sich sprechen. Und genau<br />

das macht «Aisheen – Still Alive in Gaza» zu<br />

einem authentischen und tief bewegenden Fanal<br />

über die Sinnlosigkeit des Kriegs. SOnjA Wenger<br />

Hansjörg Schneider: «Hunkeler und die Augen des Ödipus». Roman. Diogenes Verlag.<br />

Zürich 2010. 240 Seiten. Fr. 35.90.<br />

Mit der WOZ ins Kino zu «Benda Bilili!»<br />

Der Film «Benda Bilili!» zeigt die Geschichte der Band Staff Benda Bilili (vgl. «Töne aus der Milchpulverbüchse»<br />

auf Seite 21) und kommt am 9. Dezember in die Deutschschweizer Kinos. Die WOZ<br />

verlost 5x2 Tickets für das Kino Ihrer Wahl und 5 Exemplare der CD «Très Très Fort». Melden<br />

Sie sich bis Mittwoch 15. Dezember, 11 Uhr, bei tickets@woz.ch oder unter Telefon 044 448 14 14.<br />

Nachdruck von Texten und Bildern: nur nach Absprache <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Verlag, Telefon 044 448 14 14, E‑Mail: woz@woz.ch<br />

Leserinnenbriefe: WOZ Die Wochenzeitung, Briefe, Hardturmstrasse<br />

66, 8031 Zürich; E‑Mail: briefe@woz.ch<br />

Förderverein/recherchierfonds: ProWOZ, Hardturmstrasse 66,<br />

8031 Zürich, www.prowoz.ch, PC 80‑22251‑0<br />

Herausgeberin «Le monde diplomatique»: «WOZ – Internationale<br />

Medienerzeugnisse AG» (IMAG) und «taz», Berlin, geben den<br />

Wenn Eltern und Lehrpersonen freiwillig jenes<br />

Schulmodell wählen können, das ihnen und den<br />

Lernenden am besten entspricht, ziehen sie am<br />

selben Strick. Davon profitiert am meisten das<br />

Kind. Entlasst die Schulen in die Freiheit!<br />

PiA AMACHer, eLternLOBBy.CH, r einACH<br />

Ich habe an der dargestellten «Schule für Offenes<br />

Lernen» gearbeitet. Nach einem dreiviertel<br />

Jahr war ich nicht mehr bereit, für das dortige<br />

Geschehen Verantwortung zu übernehmen<br />

und kündig te. Die Situation wurde für mich immer<br />

frustrierender, weil ich immer weniger einverstanden<br />

<strong>mit</strong> der pädagogischen Praxis der<br />

SOL war. Insbesondere wurde alles in höchstem<br />

Masse durch eine unberechenbar und autoritär<br />

agierende Schulleitung bestimmt. Die Spielräume<br />

von uns Lehrer Innen waren denkbar eng.<br />

So fand kein Lehrer­Eltern­Schüler­Gespräch<br />

der Oberstufe ohne Beteiligung der Schulleitung<br />

statt – was ich als immensen Eingriff in die pädagogische<br />

Autonomie eines Lehrers ansehe.<br />

FrA n K Winter, WALdSHut<br />

maturgen, Regisseuren und Kritikern, die stolz<br />

darauf sind, das Bürgertum aufzuschrecken: Das<br />

Theater müsse «die Speerspitze sein, die in die<br />

eiternden Wunden der postkapitalistischen Gesellschaft<br />

stösst». Es fällt auf, dass diese Theaterleute<br />

alles Deutsche sind. Das riecht etwas nach<br />

Vorurteilen: böse deutsche Theatermänner kontra<br />

rabiate Basler Bürgerfrauen, wie Frau Sarasin,<br />

die <strong>dem</strong> Regisseur des «Ödipus» <strong>mit</strong> ihrem Granatring<br />

zwei Zähne ausschlägt. Aber waren es<br />

nicht anonyme Basler Bürgerinnen, die der Stadt<br />

2002 ein neues Schauspielhaus finanzierten?!<br />

Neben <strong>dem</strong> Theater ist der Rheinhafen<br />

Schauplatz des neuen Hunkeler-Krimis, eine<br />

Halbweltidylle, Fluchtpunkt für gescheiterte<br />

Existenzen und für Menschen, denen die kleinbürgerliche<br />

«Humanistenstadt» zu eng ist. Es<br />

wird wohl der Lieblingsort des Pensionärs Hunkeler<br />

sein. Aber was macht Hansjörg Schneider<br />

nach Hunkelers A bschied? e vA PF i Ster<br />

deutschsprachigen «Le Monde diplomatique» heraus. Erscheint<br />

monatlich als Beilage in der WOZ und kann auch separat abonniert<br />

werden. Redaktion: Sonja Wenger, Verlag: Camille Roseau<br />

Zentrale: Telefon 044 448 14 14, E‑Mail: diplo@woz.ch, Website:<br />

www.monde‑diplomatique.ch, inserate: diploinserate@woz.ch.<br />

Wemf-beglaubigte verkaufte Auflage: 16 316<br />

Jahresabo: 72 Franken, Ausbildungsabo: 48 Franken,<br />

probeabo: 3 Ausgaben für 10 Franken. Weitere Angebote für<br />

In‑ und Ausland auf www.woz.ch/abo.


28 Die Letzte<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Milena schärer (4/4)<br />

Die Welt in tausend Jahren<br />

Endlich, ist man versucht zu sagen. Endlich<br />

hat sich jemand die Mühe genommen, all die<br />

verstreuten Schnipsel und Puzzleteilchen zu<br />

einem Gesamtbild zusammenzusetzen; zu jenem<br />

wenig erspriesslichen Bild, das die Schweizer<br />

Medien derzeit abgeben. Alleine das ist<br />

schon eine Leistung. Denn die kontinuierliche<br />

Berichterstattung über Medien fiel lange bevor<br />

es <strong>mit</strong> den wirklich einschneidenden Sparübungen<br />

losging <strong>dem</strong> Kostendruck zum Opfer.<br />

Richard Aschinger und Christian Campiche,<br />

zwei altgediente Zeitungsjournalisten,<br />

holen nun nach, was die Medien selbst nicht<br />

mehr zu leisten vermögen. «News­Fabrikanten<br />

– Schweizer Medien zwischen Tamedia und<br />

Tettamanti» zeichnet nüchtern nach, wie die<br />

grossen Medienunternehmen – wenn auch in<br />

unterschiedlichem Ausmass – den Journalismus<br />

immer stärker <strong>dem</strong> Gewinnstreben unterordnen.<br />

Faktenreich und umfassend dokumentiert<br />

gingen Aschinger und Campiche ans Werk<br />

und können aufgrund eigener Berufserfahrungen<br />

aus <strong>dem</strong> Vollen schöpfen. Etwa im Kapitel<br />

zur Verlagsodyssee des «Bunds» durch die<br />

Hände von Ringier, NZZ und Tamedia innert<br />

fünfzehn Jahren, die Richard Aschinger über<br />

reklame<br />

Medientagebuch<br />

Hoffen auf Morgen<br />

Nick LütH i über «News­Fabrikanten», eine nüchterne Analyse der Medienkrise<br />

Die Koalition<br />

gegen Korruption<br />

Unterstützen Sie uns: www.transparency.ch<br />

weite Strecken als Redaktor der Berner Tageszeitung<br />

selbst <strong>mit</strong>erlebt hatte.<br />

Von den aktuellen Entwicklungen in<br />

Basel überholt wurden die Buchautoren, was<br />

ihre Einschätzung der Figur von Tito Tettamanti<br />

angeht. Aschinger und Campiche präsentieren<br />

den Tessiner Financier als politischen<br />

Überzeugungstäter, der vom Rhein aus ins Mittelland<br />

vorstossen wolle. Mit <strong>dem</strong> Verkauf der<br />

«BaZ» an Moritz Suter scheint dieses Vorhaben<br />

zumindest vorübergehend gestoppt.<br />

Als zentralen Befund sehen die Autoren<br />

keine Fehlentwicklung, «sondern die Erfolgsstory<br />

der Liberalisierung der Medienwirtschaft».<br />

Für Nostalgie gebe es keinen Anlass.<br />

Auch der Zeitung auf Papier trauern Aschinger<br />

und Campiche nicht nach. Die Qualität der Medien<br />

sei keine Frage der Vertriebstechnologie.<br />

Es geht den beiden Medienkritikern also nicht<br />

darum, das Rad der Geschichte zurückzudrehen<br />

und die guten alten Zeiten (die es so gar<br />

nie gab) heraufzubeschwören, sondern <strong>mit</strong><br />

einer Zustandsbeschreibung eine Grundlage<br />

für die Diskussion der Frage zu schaffen, wie<br />

in Zukunft journalistisch aufbereitete Information<br />

mehr als nur ein industriell gefertigtes<br />

ich abonniere die WOZ<br />

inklusive «Le Monde diplomatique» (Monatszeitung)<br />

Produkt zur Gewinnoptimierung von ein paar<br />

Grosskonzernen sein könnte. Die Antworten<br />

hierauf klingen nicht besonders originell: Sie<br />

reichen von staatlicher Presseförderung bis zur<br />

Medienfinanzierung durch Stiftungen. Interessant<br />

ist dabei das Fazit, das direkt an die einleitende<br />

Absage an Nostalgie anknüpft: Aschinger<br />

und Campiche setzen grosse, wenn auch diffuse<br />

Hoffnungen auf den weiteren Verlauf der<br />

Digitalisierung der Medien sowie auf staatliche<br />

Fördermassnahmen. Ohne den teuren Druck<br />

und Vertrieb lasse sich «<strong>mit</strong> relativ wenig Geld<br />

viel Qualitätsinformation und Medienvielfalt<br />

‹kaufen›».<br />

Hoffen darf man bekanntlich immer, und<br />

den Autoren einen Vorwurf zu machen, dass<br />

ihnen nicht mehr einfällt als der Glaube an<br />

ein besseres Morgen, wäre unfair. Was man<br />

Aschinger und Campiche hingegen klar vorhalten<br />

muss, ist die unsorgfältige Präsentation<br />

ihres Werks. Zahlreiche Flüchtigkeitsfehler, ärgerliche<br />

Faktenfehler sowie eine Gesamtstruktur<br />

<strong>mit</strong> vielen redundanten Passagen, die eine<br />

Straffung gut vertragen hätte, werfen ein unvorteilhaftes<br />

Licht auf Journalisten, die sich in<br />

den Dienst der Qualitätsinformation stellen.<br />

Nick Lüthi ist Medienjournalist in Bern.<br />

Probe-Abo (8 Wochen), Fr. 25.– Halbjahres-Abo, Fr. 155.–<br />

Jahres-Abo, Fr. 265.–<br />

Jahres-Abo zum Ausbildungstarif, Fr. 160.– (Nachweis beilegen)<br />

Name / Vorname<br />

Strasse / Nr.<br />

PLZ / Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Senden an: WOZ Die Wochenzeitung, Abo-Service, Postfach, 8031 Zürich<br />

woznews<br />

Bewegende<br />

Während in Cancún der Klimagipfel tagt, macht<br />

sich in Europa ein – gerade vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />

der Klimaerwärmung – äusserst überraschendes<br />

geophysikalisches Phänomen bemerkbar,<br />

das ohne die Website des Schweizer<br />

Fernsehens unentdeckt geblieben wäre: «Während<br />

die Schweiz <strong>dem</strong> eisigen Griff des Winters<br />

langsam entrinnt, entspannt sich die Situation<br />

im Ausland nur zaghaft.» Noch wissen wir nicht,<br />

wohin die Schweiz unterwegs ist. An die Gestade<br />

des Mittelmeers? In Richtung Atlantik?<br />

Nur eines ist sicher: Ein Tapetenwechsel wird<br />

ihr guttun! k HO<br />

Unordentliche<br />

Als ob die Witterungsverhältnisse letzte Woche<br />

nicht schon beschwerlich genug gewesen<br />

wären, wurden die Räumungsarbeiten auf<br />

<strong>dem</strong> Flughafen Genf-Cointrin zusätzlich durch<br />

Falschparkierer behindert. Wie die oben genannte<br />

Website meldete, wurden «2000 Lastwagen<br />

voll Schnee entfernt». WOZ-Leser S.<br />

stellte die berechtigte Frage, wieso dort 2000<br />

Lastwagen herumstanden. Tja, logistisch können<br />

die Welschen von der Deutschschweiz<br />

noch was lernen. k HO<br />

Bundesrätliche<br />

Mitte Oktober – Hans-Rudolf Merz war noch<br />

im Amt, und strukturierte Produkte wurden<br />

schon wieder ohne Schamgefühl öffentlich<br />

angepriesen – sagte der jetzige alt Bundesrat<br />

in einer Werbebeilage zum Thema «Finanzanlagen»:<br />

«In einem Volk <strong>mit</strong> siebeneinhalb<br />

Millionen Einwohnern muss es sieben Persönlichkeiten<br />

geben, die Kritik einstecken können.»<br />

Leider konnten diese Leute bis heute nicht<br />

aufgespürt werden. Eventuell wurden sie versehentlich<br />

ausgeschafft. k HO<br />

transzendierte<br />

Mani Matters Lied «Dr Sidi Abdel Assar vo El<br />

Hama» wirft zurzeit an einer Oltener Primarschule<br />

hohe Wellen. Interessanter als der Bericht<br />

auf «Tages-Anzeiger Online» scheint uns<br />

die Legende unter <strong>dem</strong> Foto des vor fast vierzig<br />

Jahren tödlich verunglückten Künstlers:<br />

«Sein Lied sorgt für Diskussionsstoff: Der ehemalige<br />

Berner Mundartsänger Mani Matter.»<br />

Ehemalige Lehrer arbeiten vielleicht als Postboten,<br />

ehemalige Bäckerinnen als Architektinnen,<br />

doch was ist aus Mani Matter geworden? Ein<br />

Engel? Dank Reinkarnationslehre sind ja auch<br />

irdische Existenzformen denkbar. Wir vermuten,<br />

er ist Frölein Da Capo. k HO<br />

Unaussprechliche<br />

Für Empörung ist es jetzt zu spät. Aber es<br />

hat uns stark beschäftigt, was da laut «Quartierecho»<br />

im Zürcher Warenhaus abgegangen<br />

sein muss: «Beschenkt werden die Kinder am<br />

6. Dezember, wenn sie im Jelmoli auf den Samichlaus.»<br />

Was, bitte? AugenzeugInnen werden<br />

gebeten, sich umgehend an untenstehende<br />

Mailadresse zu wenden. k HO<br />

kynojuristische<br />

Von einer Leserin, die anonym bleiben möchte,<br />

da ohne Schweizer Pass, erreichte uns ein<br />

wichtiger Hinweis: «Nach<strong>dem</strong> das jahrelange<br />

Ringen um ein eidgenössisches Kampfhundegesetz<br />

zu keiner einvernehmlichen Lösung<br />

geführt hat, bleibt zu hoffen, dass Hasso und<br />

Waldi die kantonalen und ihre eigenen Grenzen<br />

kennen. Nur in einem Punkt konnte kantons-<br />

und partei übergreifend eine Einigung<br />

erzielt werden: Sollte sich ein Deutscher Schäferhund<br />

auf Schweizer Territorium unbotmässig<br />

verhalten, ist er unverzüglich und dauerhaft<br />

auszuschaffen.» k HO<br />

woznews@woz.ch<br />

in der nächsten woz<br />

Noch mehr kohle<br />

Wie die Bündner Repower<br />

<strong>mit</strong> dreckigem Strom Europa<br />

erobern will

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!