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Besser mit dem Bus

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4 Schweiz<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

6. iV-reVision<br />

Gratisarbeitskräfte<br />

für die<br />

Wirtschaft<br />

Die 6. IV-Revision sieht einen neuen Zwangsartikel für IV-RentnerInnen<br />

vor. Bis zu sechs Monate Arbeit ohne Lohn sind möglich.<br />

Unternehmen sollen gratis testen können, ob Handicapierte<br />

für den Arbeitsmarkt taugen.<br />

Von AndrEAS fAGETTi<br />

Seit Jahren entledigen sich Unternehmen ihrer<br />

sozialen Verantwortung und entsorgen die in<br />

ihren Augen unproduktiven Menschen in die<br />

Invalidenversicherung. Saniert werden soll<br />

die hoch verschuldete Sozialversicherung allerdings<br />

auf <strong>dem</strong> Buckel der Versicherten. Die<br />

6. IV-Revision verlangt neben massiven Rentenkürzungen<br />

die Integration von rund 17 000<br />

RentnerInnen in den ersten Arbeitsmarkt – eine<br />

alte Forderung, die nie auch nur annähernd erfüllt<br />

wurde, weil die Wirtschaft kneift. Nach<strong>dem</strong><br />

der Ständerat die Vorlage bereits durchgewinkt<br />

hat, debattiert der Nationalrat nächste<br />

Woche genau über diese Integrationsmassnahmen.<br />

Er entscheidet unter anderem, ob Betriebe<br />

<strong>mit</strong> mehr als 250 Angestellten ein Prozent ihrer<br />

Arbeitsplätze für diese Integration zur Verfügung<br />

stellen müssen beziehungsweise sich <strong>mit</strong><br />

einer Abgabe freikaufen können.<br />

Der Arbeitnehmerverband Travail Suisse<br />

fordert eine Quote von 2,5 Prozent für alle Betriebe<br />

<strong>mit</strong> mehr als zehn MitarbeiterInnen.<br />

Denn im Vergleich zu den umliegenden Ländern<br />

beschäftigt die Schweizer Wirtschaft extrem<br />

wenig handicapierte Menschen; laut einer<br />

Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz<br />

bloss 0,8 Prozent der Beschäftigten. In Frankreich<br />

sind es 4 Prozent, in Deutschland 4,3 und<br />

in Österreich 2,6 Prozent.<br />

Der Unternehmerverband Eco no miesuisse<br />

hält nichts vom Zwang für die Unter-<br />

Fortsetzung von Seite 3<br />

lisiert. Via diese Gesellschaft besitzt er die SDG<br />

Capital SA, die 10 Millionen Franken Kapital<br />

aufweist und <strong>mit</strong> der der junge Krapunow verschiedene<br />

selbstständige Firmen in Engelberg,<br />

Saas-Fee, Chardonne und Genf <strong>mit</strong> je 100 000<br />

Franken Eigenkapital kontrolliert. Mit einer<br />

von diesen Firmen kaufte er im Herbst 2008<br />

das Hotel Du Parc auf <strong>dem</strong> Mont Pèlerin, das zu<br />

einem Luxusresort ausgebaut werden soll. Die<br />

neuste Idee von Krapunow ist eine Überbauung<br />

von Genève Plage, der Anlage um die grossen<br />

Wasserbecken im Herzen der Stadt. Mit 147<br />

Millionen Fremdkapital soll dort ein neuer<br />

Hotel- und Einkaufskomplex entstehen. Anfang<br />

Jahr wurde an Ort eine grosse PR-Aktion<br />

gestartet. Aber die Genfer Regierung und die<br />

Bevölkerung zeigen sich bis jetzt zurückhaltend<br />

gegenüber den grandiosen Vorstellungen<br />

Krapunows.<br />

Verheiratet ist Krapunow <strong>mit</strong> Madina Abljasowa,<br />

der Tochter von Mukhtar Abljasow.<br />

Da<strong>mit</strong> zählt er zum gegnerischen Lager von<br />

Timur Kulibajew. Die Untersuchung gegen diesen<br />

könnte Krapunow durchaus gelegen kommen.<br />

Die Usbekistan-Connection<br />

Nicht nur aus Kasachstan, auch aus <strong>dem</strong> südlich<br />

davon gelegenen Usbekistan strömen<br />

die Reichen an den Genfersee. So erstand Timur<br />

Tilljajew (30) im April 2008 ein Haus in<br />

Cologny für relativ bescheidene 4 Millionen<br />

Franken. Der schwerreiche Geschäftsmann ist<br />

verheiratet <strong>mit</strong> Lola Karimowa-Tilljajewa (32),<br />

der jüngeren Tochter des usbekischen Alleinherrschers<br />

Islam Karimow. Im September 2009<br />

folgte ihre ältere Schwester Goulnora Karimowa<br />

(37) und kaufte sich eine Villa in Cologny für<br />

18,4 Millionen. Seither hat Lola ihre Schwes ter<br />

wieder übertrumpft: Im Juli 2010 erwarb ihr<br />

Mann in Vandoeuvres eine Villa für 43,4 Millionen<br />

Franken, die vier Jahre zuvor noch 14 Millionen<br />

gekostet hatte.<br />

nehmen. Er setzt auf Freiwilligkeit. Zwang ausgeübt<br />

wird hingegen auf die IV-RentnerInnen.<br />

Seit Jahren bauen die bürgerlichen Parteien<br />

<strong>mit</strong> einer Missbrauchsdebatte Druck gegen sie<br />

auf. Pauschale Kriminalisierungstendenzen<br />

sind die Folge. Es ist freilich weitgehend eine<br />

Scheindebatte, denn die Betrugsquote in der<br />

IV liegt erheblich tiefer als beim üblichen Versicherungsbetrug.<br />

2009 wurden bei 200 000<br />

Rentner Innen nur 240 als BetrügerInnen entlarvt,<br />

die IV sparte da<strong>mit</strong> gerade mal 4,6 Millionen<br />

Franken. Selbst wenn man die Verdachtsfälle<br />

als Massstab nimmt – es sind 3190 –, bewegte<br />

sich die Quote im sehr tiefen Prozentbereich.<br />

Zum Vergleich: Die Schweizer Versicherungswirtschaft<br />

ging in diesem Jahr davon aus,<br />

dass zehn Prozent aller Schadensforderungen<br />

betrügerisch sind. IV-BezügerInnen sind also<br />

deutlich weniger betrügerisch als die Durchschnittsbevölkerung.<br />

Neue Schikanen<br />

Die anhaltenden politischen Debatten gegen<br />

Schwächere fallen auch international auf. Der<br />

Uno-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Rechte hat Ende November der<br />

Schweiz unter anderem empfohlen, das Streikrecht<br />

zu stärken, GewerkschafterInnen besser<br />

vor missbräuchlichen Kündigungen zu schützen,<br />

aber auch die Armen im Land.<br />

Wer ein Mal im Monat eine Kolumne schreibt<br />

und sich zu den aktuellen Tagesthemen äussern<br />

will, wird sich so vorkommen, als würde<br />

er sein Pferd erst nach <strong>dem</strong> Regen zudecken,<br />

also nach<strong>dem</strong> es schon gänzlich nass ist. Die<br />

Tagesaktualität kann man auch als einen aufgeblasenen<br />

Ballon betrachten. Weht am nächsten<br />

Tag ein noch stärkerer Wind, ist vom Ballon<br />

nichts übrig geblieben.<br />

Wenn einer sich aber vom Arabischen gewohnt<br />

ist, das Blatt von hinten aufzuschlagen,<br />

trifft er <strong>mit</strong> Sicherheit doch noch auf andere<br />

interessante Themen. Auf einer hinteren Zeitungsseite<br />

stosse ich auf die Information, dass<br />

zwei Drittel unserer Schweizer VolksvertreterInnen<br />

geschieden sind. Und diese Tendenz<br />

soll weiterhin steigen. Da würde ich fast behaupten,<br />

dass MigrantInnen, für die in ihrer<br />

Dauerfremde ein Familienleben heilig ist, sich<br />

allein schon wegen der Scheidungsgefahr nicht<br />

für die Schweizer Politik interessieren. ScheidungsanwältInnen<br />

in der Schweiz haben jedenfalls<br />

eine sichere Berufszukunft!<br />

Als wichtigstes Scheidungsmotiv wird<br />

die zeitliche Belastung unserer VolksvertreterInnen<br />

aufgeführt. Unter diesem Argument<br />

verstehe ich als Laie Folgendes: Weil der Mann<br />

oder auch die Frau wegen der vielen Politsit-<br />

Das Breitehotel: Eines der führenden Dreisternehotels in Basel <strong>mit</strong> Ausbildungs- und<br />

Arbeitsplätzen für Menschen <strong>mit</strong> einer geistigen Behinderung. foto: Gaetan Bally, Keystone<br />

Dennoch wird weiter einseitig an der<br />

Sparschraube gedreht und werden neue Schikanen<br />

gegen die Versicherten ersonnen. Zwischen<br />

Vernehmlassung und nationalrätlicher<br />

Debatte wurde eine solche in den neuen Gesetzesentwurf<br />

geschmuggelt, der sogenannte<br />

Arbeitsversuch, der künftig für alle IV-Verfahren<br />

gelten soll. Dabei können Betriebe während<br />

maximal sechs Monaten gratis testen, ob ein<br />

Rentenbezüger für den ersten Arbeitsmarkt<br />

taugt. Die Arbeitsleistung wird nicht entlöhnt,<br />

der Testarbeiter hat aber alle entsprechenden<br />

Pflichten und muss bei Bedarf auch Überstunden<br />

leisten. Es entstehe kein Arbeitsverhältnis<br />

nach Obligationenrecht, heisst es dazu in der<br />

Botschaft. Die Arbeitgeber hingegen haben in<br />

solchen Fällen einen Persilschein – ihre üblichen<br />

Rechte, aber keine Pflichten. Leistung und<br />

Lohn werden entkoppelt. Obwohl kein eigentliches<br />

Arbeitsverhältnis bestehe, sei der Schutz<br />

der Versicherten durch das Arbeitsgesetz gegeben,<br />

wird in der Botschaft behauptet. Die<br />

Versicherten erhalten während dieser Zeit ein<br />

Taggeld und bei einer Wiedereingliederung die<br />

Weiterentrichtung der Rente.<br />

SP-Nationalrat Paul Rechsteiner ist empört:<br />

«Bei allen bisherigen Eingliederungsmassnahmen<br />

war Arbeit etwas wert. Jetzt wird<br />

auf gesetzgeberischer Stufe Arbeit komplett<br />

entwertet. Gratisarbeitskräfte – das ist ein<br />

Skandal.» Es sprenge alles, was ihm bisher be-<br />

Fumoir<br />

Ein heikles Thema<br />

YuSuf YESilöz über grosse Eier und Glarner Politiker<br />

zungen zum Wohle des Volkes viel abwesend<br />

ist, sagt der Mann oder die Frau zu Hause:<br />

«Lueg Schätzli, du bisch vil z’vil wäg, dänn<br />

muesch gar nüme hei cho! I ha mi entschide.<br />

Fertig luschtig!»<br />

Im besagten Zeitungsbericht wurden<br />

auch Politiker und Fachpersonen zitiert. Ganz<br />

rührend ist beispielsweise der Glarner Ständerat<br />

This Jenny <strong>mit</strong> seinem ehrlichen Geständnis.<br />

Er soll seine Frau nur ein einziges Mal betrogen<br />

haben. Und das in dreissig Jahren Ehe.<br />

Dieser Mann verdient meinen Respekt!<br />

Böse Zungen würden die Ehrlichkeit Jennys<br />

als ewigen Wunsch des Politikers ansehen,<br />

seinen Namen in die Zeitung zu bringen, selbst<br />

<strong>mit</strong> diesem heiklen Thema, und so in seine<br />

Wiederwahl zu investieren. Das ist aber eine<br />

andere Geschichte.<br />

Jenny sei ehrlich gewesen – das find i uu<br />

härzig – und habe es seiner Frau, un<strong>mit</strong>telbar<br />

nach<strong>dem</strong> ihm der böse Seitensprung passiert<br />

ist, gebeichtet. Und sie, die zutiefst verletzte<br />

Ehefrau, habe ihn gerade rausgeschmissen. Da<br />

sieht man, wo die Ehrlichkeit hinführt: Unser<br />

langjähriger Volksvertreter esse an den heiligen<br />

Feiertagen statt Fondue und Blutwurst in<br />

seinem ruhigen Zuhause nur noch Spaghetti al<br />

dente beim lauten Italiener.<br />

gegnet sei. Während man Reichen fast nichts<br />

mehr zumute, zur Rettung einer Grossbank<br />

Milliarden ausgebe und ständig Steuergeschenke<br />

gewähre, erfinde der Gesetzgeber immer<br />

neue, gegen Benachteiligte gerichtete Schikanen<br />

und öffne die Tür zu rechtlosen Räumen.<br />

Als Wiedereingliederungsmassnahme sei das<br />

«ein Witz». SP-Nationalrätin Christine Goll bezeichnet<br />

den «Arbeitsversuchs»-Artikel als «arbeitsrechtlich<br />

nicht abgesicherte Zwangsarbeit<br />

ohne Lohn».<br />

Wirtschaft gegen Quote<br />

Im Zentrum der Debatte steht allerdings die Verpflichtung<br />

der Unternehmen, Eingliederungsarbeitsplätze<br />

zur Verfügung zu stellen oder<br />

stattdessen eine Abgabe in der Höhe einer Minimal-IV-Rente<br />

pro fehlenden IV-Arbeitsplatz<br />

zu entrichten, <strong>mit</strong> der Eingliederungsmassnahmen<br />

finanziert würden. Gewerkschaften,<br />

SP und Grüne sprechen sich gegen die 6. IV-<br />

Revision aus, befürworten aber die IV-Quote für<br />

Unternehmen. Gegen die Revision sind auch die<br />

Kantone, denn sie befürchten, dass das Problem<br />

einfach in die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen<br />

und da<strong>mit</strong> auf die kantonalen Kassen<br />

abgeschoben werde. Der Bund verspricht<br />

sich von der Teilrevision 6a zwischen 2018 und<br />

2027 eine jährliche Kostenersparnis von einer<br />

halben Milliarde Franken.<br />

Ich hingegen komme aus einer anderen<br />

Kultur und erlaube mir die Frechheit, Jennys<br />

auswärtige Liebesaktion <strong>mit</strong> seiner Absicht zu<br />

erklären, ein einziges Mal im Leben global zu<br />

handeln und so den italienischen Silvio Berlusconi<br />

oder den König Carl Gustav von Schweden<br />

oder gar den muslimischen Mohammed nachzuahmen.<br />

Und meine Grossmutter würde im Fall<br />

Jenny ihre buschigen Augenbrauen hochziehen<br />

und sagen: «Das Huhn versuchte ein so<br />

grosses Ei zu legen wie das einer Gans und hat<br />

sich dabei den Darm aufgerissen.»<br />

Früher, als es noch kein Potenz<strong>mit</strong>tel gab,<br />

waren Männer in This Jennys Alter viel braver<br />

und noch die absoluten Hüter der abendländischen<br />

Familienwerte. Diese Zeiten scheinen<br />

endgültig vorbei zu sein.<br />

Wahrscheinlich meinte der Schlaumeier<br />

aus <strong>dem</strong> Glarnerland, dass seine Frau ihm<br />

den Seitensprung verzeihen würde, genau wie<br />

die Nation ihm immer verzeiht, wenn er Unwahrheiten,<br />

ge kleidet <strong>mit</strong> billigem Witz und<br />

gespiel tem Charme, erzählt. Dabei hat der Politclown<br />

wohl kaum da<strong>mit</strong> gerechnet, dass die<br />

Reaktion der betrogenen Frau nicht <strong>dem</strong> Handeln<br />

der hinters Licht geführten Wählerschaft<br />

entspricht.<br />

Yusuf Yesilöz, Schriftsteller, lebt in<br />

Winterthur, sein letzter Roman «Gegen die<br />

Flut» erschien im Limmat Verlag.

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