Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Oberengadin – die grösste Zweitwohnung der Schweiz (Seiten 15–17)<br />
Wikileaks und die Folgen<br />
Aufklärung ohne<br />
Klarheit<br />
von SuSAn BooS<br />
<strong>Besser</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Bus</strong><br />
Müssen wir alle Klimakiller versenken? Mexiko-Stadt ist viel sauberer<br />
geworden – zum Beispiel dank eines neuen <strong>Bus</strong>systems.<br />
International, Seite 12<br />
Demokratien sollten <strong>mit</strong> Geheimnisverrat umgehen<br />
können. Doch <strong>dem</strong> ist nicht so: WikileaksGründer<br />
Julian Assange – der vor kurzem<br />
250 000 Diplomatenberichte zugänglich gemacht<br />
hat – wird zum Staatsfeind erklärt, die<br />
Internetfirmen Amazon und Paypal kündigen<br />
ihm ihre Dienste. Sogar die Schweizer Post<br />
sperrt Wikileaks das Konto. Nun hat die britische<br />
Polizei Assange auf Ersuchen Schwedens<br />
wegen Vergewaltigungsvorwürfen inhaftiert.<br />
USPolitikerInnen hoffen, dass er via Schweden<br />
an die USA ausgeliefert wird, wo sie ihn wegen<br />
Geheimnisverrats belangen wollen.<br />
«Möglich, dass wir gerade den Beginn<br />
eines neuen Kulturkampfes erleben», schreibt<br />
Jakob Augstein, der Verleger der deutschen Wochenzeitung<br />
«Freitag». Bemerkenswert seien<br />
nicht die Details der Veröffentlichung, bemerkenswert<br />
sei die Veröffentlichung selbst: «Das<br />
Internet ermöglicht Offenheit und Klarheit, wo<br />
vorher Herrschaft und Kontrolle gewaltet haben.<br />
Das ist eine Chance für die Bürger, für die<br />
Demokratie und auch für den Staat. Verheerend<br />
ist es nur für solche Herrschaft, die auf <strong>dem</strong> Geheimnis<br />
gründet oder auf der Angst.»<br />
Wikileaks hat die Tausenden von Depeschen<br />
einer Reihe ausgewählter Medien zugänglich<br />
gemacht, unter anderem <strong>dem</strong> «Spiegel»,<br />
<strong>dem</strong> Londoner «Guardian», der «New<br />
York Times» und <strong>dem</strong> Pariser «Le Monde». Die<br />
beteiligten Zeitungen liefern nun Tag für Tag<br />
Enthüllungsgeschichten, die aus <strong>dem</strong> grossen<br />
Topf der Geheimdepeschen gezogen werden.<br />
Es scheint ein historischer Moment: Die erste<br />
heftige Konfrontation zwischen<br />
<strong>dem</strong> politischen Establishment<br />
und Internetaktivisten – die digitale<br />
Welt lehrt die Mächtigen das<br />
Fürchten. Das ist erfreulich. Doch<br />
unproblematisch ist es nicht.<br />
Wikileaks hat sich der<br />
Transparenz verschrieben, ist<br />
selber aber intransparent. Welche<br />
Interessen stehen hinter den<br />
Lecks? Wer hat all die Dokumente<br />
Wikileaks zugeschoben?<br />
Waren es besorgte Mitarbeiter<br />
Merkt<br />
Julian Assange,<br />
wenn er<br />
missbraucht<br />
wird?<br />
Innen von USBehörden? Waren es andere<br />
Mächtige, die aus macchiavellistischen Überlegungen<br />
geheime Papiere öffentlich machen –<br />
um letztlich ihre eigene verdeckte Agenda voranzutreiben?<br />
Niemand weiss es. Und da stockt<br />
dann eben auch die Aufklärung. Letztlich befeuert<br />
gerade die Massenpublikation von Geheimpapieren<br />
Verschwörungstheorien.<br />
Auch steht die schiere Masse der Geheimpapiere<br />
der Transparenz im Weg: Assange<br />
wusste, dass die simple Publikation einer Viertelmillion<br />
Depeschen untergehen würde, weil<br />
niemand in der Lage wäre, Relevantes heraus<br />
zudestillieren. So kam es zur Zusammenarbeit<br />
<strong>mit</strong> den renommierten Zeitungen. Der Rest der<br />
Medien ist ausgesperrt. Das heisst nicht, dass<br />
der «Guardian» oder der «Spiegel» nicht versuchen,<br />
<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Material seriös umzugehen, aber<br />
letztlich geht es auch ums Geschäft. Wikileaks<br />
liefert Daten, und die auserwählten Medien<br />
bereiten sie schlagzeilenträchtig auf. Um ihre<br />
Exklusivität zu wahren, schliessen sie Deals<br />
ab, die letztendlich die Transparenz untergraben.<br />
Dadurch haben die von Wikileaks ausgewählten<br />
Medien eine weltpolitische Macht, die<br />
einzigartig ist. Wir Ausgesperrten hoffen, dass<br />
die Medien, die in den Genuss eines solchen<br />
Deals kommen, <strong>mit</strong> den Geheimpapieren seriös<br />
verfahren, aber eine Garantie haben wir nicht –<br />
und überprüfen können wir es auch nicht.<br />
Ein weiterer heikler Punkt: Wikileaks<br />
wird überflutet <strong>mit</strong> Insiderpapieren, Dokumenten<br />
aus Regierungsstuben,<br />
aber auch aus vielen Unterneh<br />
men. Assange, der grosse Anwalt<br />
der Transparenz, ist wohl die<br />
Person, die über mehr brisante<br />
Geheimpapiere gebietet als sonst<br />
jemand. Ihre Publikation könnte<br />
Firmen in den Bankrott stossen<br />
oder Kriege auslösen. Muss er alles<br />
veröffentlichen? Müssen die<br />
von ihm ausgewählten Zeitungen<br />
es tun? Realisiert Assange, falls<br />
er missbraucht wird? Lässt sich<br />
diese Verantwortung überhaupt tragen?<br />
Das Dilemma bleibt: Geheime Machenschaften<br />
zu enthüllen, ist für eine Demokratie<br />
existenziell – es aber auch <strong>mit</strong> der nötigen<br />
Sorgfalt zu tun, ist genauso wichtig. Wenn eine<br />
grosse Menge Daten von riesiger Sprengkraft<br />
unkontrolliert in die Welt gelassen wird, kann<br />
das Nebenwirkungen entfalten, von denen wir<br />
noch gar nichts ahnen.<br />
Wikigate in den usa<br />
Ein offenes Geheimnis Seite 13<br />
Redaktion und Verlag: WOZ Die Wochenzeitung, Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich Tel. 044 448 14 14 Fax 044 448 14 15 woz@woz.ch www.woz.ch CHF 6.– inkl. MWSt.<br />
Aboservice: Tel. 044 448 14 44 abo@woz.ch 30. Jahrgang AZA 8031 Zürich, PP/Journal, CH-8031 Zürich<br />
Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Greenpeace-aktion in Mexiko-Stadt. foto: eliana aponte, reuterS<br />
Weissgewohnt<br />
Warum zahlen kasachische<br />
Milliardäre für Villen am Genfersee<br />
viel mehr, als sie wert sind?<br />
Schweiz, Seite 3<br />
Leistungslügen<br />
Wettbewerb in der Forschung führt<br />
zurück in die Planwirtschaft,<br />
sagt Professor Mathias Binswanger.<br />
Wirtschaft, Seite 7<br />
Teenage Riot<br />
Den britischen StudentInnen geht es<br />
um mehr als die Studiengebühren.<br />
International, Seite 9<br />
Lebst du noch?<br />
Wohnst du schon?<br />
Gedanken über das mustergültige<br />
Leben in einer IkeaFiliale.<br />
Mit:<br />
Kultur / Wissen, Seite 19<br />
Facebook: Der GefälltmirKlick<br />
in der überwachten Freiheit.
2 Schweiz<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
hauSmItteIlungen<br />
ein Glücksfall für die WoZ<br />
Am Telefon begrüsst Sie schon seit einer<br />
Weile häufig unser Praktikant Vasco Rasi.<br />
Vasco absolviert im WOZ-Verlag ein kaufmännisches<br />
Praktikum, im nächsten Sommer<br />
wird er die Berufsmatur machen, und Fussball<br />
spielen kann er auch! Wir freuen uns,<br />
dass Vasco uns noch mindestens bis zu den<br />
Sommerferien 2011 unterstützen wird!<br />
Verspätete herbstaktion<br />
Sechsmal die WOZ gratis für Ihre Lieben<br />
haben wir Ihnen versprochen, und viele von<br />
Ihnen haben uns drei Adressen geschickt.<br />
Nun bitten wir herzlich um Nachsicht und<br />
Geduld: Der Erfolg der Aktion ist gross, und<br />
wir kämpfen uns noch immer durch die<br />
gigantischen Adressberge. Aber bis in zwei<br />
Wochen sollten alle Beschenkten ihre erste<br />
Gratis-WOZ erhalten haben.<br />
Klimatisches<br />
«Klimapolitik und Umweltschutz – eine<br />
ökonomische und politische Krise?»: Unter<br />
diesem Titel gibt es am Sonntag, 12. Dezember,<br />
um 11 Uhr eine Podiumsdiskussion<br />
im Klimasaal der Ausstellung «2 Grad» im<br />
Basler Kunstfreilager Dreispitz. Mit dabei:<br />
Professor Lucas Bretschger (ETH Zürich),<br />
Gabi Hildesheimer (Öbu – Netzwerk für<br />
nachhaltiges Wirtschaften), Jörg Krähenbühl<br />
(Regierungsrat BL) und der Klima spezialist<br />
und regelmässige WOZ-Mitarbeiter Marcel<br />
Hänggi. Die Moderation übernimmt «Tagesanzeiger»-Redaktor<br />
Martin Läubli.<br />
Die WoZ hören<br />
«Hören ist die Aussaat Gottes. Die Frucht<br />
der Saat ist unser Tun» schrieb der römische<br />
Philosoph und Kirchenlehrer Augustinus<br />
von Hippo. AtheistInnen, die nur<br />
grob ahnen, was er da<strong>mit</strong> gemeint haben<br />
könnte, hilft es, sich auf der WOZ-Website<br />
www.woz.ch/hoertext umzuhören:<br />
• Der überwachte Überwacher: Warum die<br />
Bundespolizei einen Mitarbeiter observiert,<br />
wenn der sich «unnatürlich verhält»<br />
• Der kranke Wettbewerb: Basel will die<br />
öffentlichen Krankenhäuser privatisieren, in<br />
Zug wird über eine Rückkehr zum alten Modell<br />
abgestimmt.<br />
Die Texte werden gelesen und zur<br />
Verfügung gestellt von der Schweizerischen<br />
Bibliothek für Blinde, Seh- und<br />
Lesebehinderte. www.sbs-online.ch<br />
dIeSSeItS von gut und böSe<br />
Wird alles wieder gut<br />
In der Unterhaltungssendung «Wetten,<br />
dass …?» kam es am Samstagabend völlig<br />
unerwartet zu einem schweren Unfall. Dabei<br />
wollte der junge Mann bloss auf Hüpfstelzen<br />
<strong>mit</strong> einem Salto über fahrende Autos gumpen<br />
– kann man sich ja vorstellen, wie viel<br />
Spass das macht!<br />
Erwartungsgemäss quollen anschliessend<br />
aus allen Medien moralische Exkurse<br />
über die ständig wachsende Risikobereitschaft<br />
von Fernsehanstalten auf Quotenjagd,<br />
und Moderator Thomas Gottschalk<br />
kündigte an, man wolle das Sendekonzept<br />
überdenken und die Wetten entschärfen.<br />
Schade! Den Hals kann sich schliesslich<br />
auch brechen, wer über die Teppichkante<br />
stolpert.<br />
Dem Kommentator im «Tages-Anzeiger»<br />
war sofort klar, dass ihm die Sendung<br />
so zu langweilig würde: «Statt ‹Wetten,<br />
dass …?› zu schauen, besucht man dann<br />
vielleicht Freunde, lädt die Nachbarn ein<br />
oder spielt <strong>mit</strong> den Kindern. Es gibt so viel,<br />
was man an einem Samstagabend tun kann.»<br />
Etwa S-Bahn-Surfen oder Komasaufen.<br />
Im Übrigen war das Timing des Unfalls<br />
einfach brillant: Fast am gleichen Tag fuhr<br />
Daniel Albrecht erstmals seit seinem Schädel-Hirn-Trauma<br />
wieder ein Skirennen. Na,<br />
geht doch! Nach einem Weilchen im künstlichen<br />
Koma kann jeder wieder auf die Beine<br />
kommen – er muss nur wollen. K ho<br />
In eIgener Sache<br />
Post von der Post<br />
Von Roman SchüR mann<br />
Trägt die WOZ zur Meinungsvielfalt im Land bei?<br />
Zur Pressevielfalt? Ist ihr Erhalt also von <strong>dem</strong>okratie-<br />
und staatspolitischem Interesse? Warum<br />
müssen diese Fragen überhaupt gestellt werden?<br />
In der Schweiz gibt es eine sogenannte indirekte<br />
Presseförderung. Die Zeitungen werden<br />
anders als Fernsehen und Radio vom Staat nicht<br />
direkt unterstützt. Doch die Post erhält vom<br />
Bund dreissig Millionen Franken, um Zeitungen,<br />
die gewisse Kriterien erfüllen, zum ermässigten<br />
Tarif zuzustellen. Diese Kriterien stehen<br />
Kommentar<br />
Was geschah<br />
<strong>mit</strong> den Peperoni?<br />
Von Bettina DyttR ich<br />
Es war ein Bericht, der viele schockierte: Das<br />
Westschweizer Fernsehen verfolgte eine halbe<br />
Stunde lang die Spuren importierter Peperoni.<br />
Die Sendung zeigte, dass manches Gemüse<br />
Rückstände von bis zu elf verschiedenen Pestiziden<br />
enthielt – und sie dokumentierte das prekäre<br />
Leben der Landarbeiter in Südspanien, die<br />
in Plastikzelten leben und dreissig Euro im Tag<br />
verdienen.<br />
auSSer<strong>dem</strong><br />
armee beschafft<br />
m eerschweinchen<br />
Von Dinu GautieR<br />
Dienstag: WOZ-RedaktorInnen verfolgen gebannt<br />
die «Operation Payback», den virtuellen<br />
Angriff von Wikileaks-SympathisantInnen auf<br />
Postfinance. Ist das jetzt bereits ein «Cyber War»,<br />
wie ihn Verteidigungsminister Ueli Maurer in<br />
einem WOZ-Interview im Oktober heraufbeschworen<br />
hatte (siehe WOZ Nr. 41/10)?<br />
Dann tritt eine Informantin in die Redaktion<br />
und berichtet, die Schweizer Armee beschaffe<br />
Meerschweinchen. Cyber War, ein Nagerheer:<br />
ruedI wIdmer<br />
unten links<br />
seit Mitte 2007 im Postgesetz – so werden etwa<br />
Zeitungen <strong>mit</strong> über 40 000 Exemplaren Auflage<br />
seither nicht mehr gefördert.<br />
Auch die WOZ wird indirekt gefördert. Der<br />
Versand der Zeitung kostet uns im Jahr rund<br />
110 000 Franken weniger als nach Normaltarif –<br />
für uns ein substanzieller Betrag. Nun will uns<br />
die Post die Förderung entziehen. Wenn die Post<br />
darauf beharrt, bleibt uns der Weg vors Gericht.<br />
Tatsächlich erfüllt die WOZ alle inhaltlichen<br />
Kriterien. Das bestreitet auch die Post<br />
nicht. Umstritten ist einzig der Einleitungsatz im<br />
entsprechenden Postgesetzartikel: «Zur Erhaltung<br />
einer vielfältigen Regional- und Lokalpresse<br />
gewährt die Post Ermässigungen für abonnierte<br />
Tages- und Wochenzeitungen.» Die Post<br />
sagt nun, die WOZ sei keine Regionalzeitung.<br />
Da es zu diesem Gesetzesabschnitt keine<br />
Verordnung gibt, die die Details regelt, ist auf<br />
Das war im Frühling 2008. Der Kanton<br />
Jura hatte drei Monate zuvor im Nationalrat eine<br />
Standesinitiative eingereicht, die sehr gut zu<br />
diesem Bericht passte. Sie forderte drei Dinge:<br />
Die Bundesbehörden sollten sich in Verhandlungen<br />
<strong>mit</strong> der EU und der Welthandelsorganisation<br />
WTO für gerechte Arbeitsbedingungen<br />
und nachhaltige Produktion einsetzen. Auf<br />
Importlebens<strong>mit</strong>teln müssten Informationen<br />
über die Produktionsbedingungen zu finden<br />
sein. Und Esswaren, «die unter sozialen Bedingungen<br />
produziert werden, die zum Standard<br />
in unserem Land in frappantem Widerspruch<br />
stehen», dürften nicht mehr importiert werden.<br />
In der Folge reichten auch die Kantone<br />
Genf, Neuenburg, Waadt und Freiburg Stan desini<br />
tia ti ven <strong>mit</strong> den gleichen Forderungen ein.<br />
Am kommenden Montag wird der Nationalrat<br />
darüber beraten.<br />
Bricht gerade das Fantasyzeitalter an? Der WOZ<br />
gelingt es, einen Soldaten zu befragen, der im<br />
Rahmen eines Wiederholungskurses letzte Woche<br />
im Schnee Meerschweinchenhäuschen bauen<br />
musste. Er spricht von derzeit vier Nagern<br />
und der erwarteten Ankunft von zwei Zwerghasen<br />
sowie weiteren zehn Meerschweinchen.<br />
Wofür braucht die Armee Meerschweinchen?<br />
Als Drohnenbesatzung? Als Salatvorkoster<br />
im C-Krieg? Selbst die GSoA weiss noch nichts<br />
die Parlamentsdebatte zurückzugreifen – welche<br />
Absicht leitete den Gesetzgeber? Wer die<br />
Wortprotokolle liest, merkt rasch: Ziel war – das<br />
beweisen zahlreiche Voten –, die kleineren Zeitungen<br />
zu fördern und da<strong>mit</strong> den «Erhalt einer<br />
richtigen, das heisst inhaltlichen Pressevielfalt»,<br />
die «im <strong>dem</strong>okratie- und staatspolitischen Interesse»<br />
sei, wie es Eduard Engelberger, Nidwaldner<br />
FDP-Nationalrat, formulierte. Eben erst<br />
bestätigte das die neue Postministerin Doris<br />
Leuthard vor <strong>dem</strong> Ständerat.<br />
Vielleicht verzichtet die Post doch noch<br />
dar auf, uns die indirekte Presseförderung zu<br />
streichen. Wenn nicht, wird die WOZ, die als<br />
einzige unabhängige Wochenzeitung in der<br />
Deutschschweiz auch Themen und Meinungen<br />
bringt, die sonst kaum zu finden sind, dafür<br />
kämpfen, dass auch die Post die eingangs gestellten<br />
Fragen wie alle anderen beantwortet.<br />
Der Ständerat lehnte die Standesinitiativen<br />
im Sommer alle ab. Sie seien nicht vereinbar<br />
<strong>mit</strong> den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber<br />
EU und WTO. Das räumte auch der grüne Genfer<br />
Ständerat Robert Cramer ein. Er plädierte<br />
trotz<strong>dem</strong> für die Annahme der Initiativen – man<br />
könne ja einen Gegenvorschlag ausarbeiten, der<br />
zumindest die ersten beiden Punkte aufnehme.<br />
Genau darum geht es: Auch wenn die Initiativen<br />
nicht von A bis Z umsetzbar sind, wäre<br />
ihre Annahme im Nationalrat ein starkes Zeichen<br />
für mehr Verantwortung im Lebens<strong>mit</strong>telbereich.<br />
Doch hier droht wieder einmal der<br />
Röstigraben: Während in der Romandie ParlamentarierInnen<br />
von links bis bürgerlich für soziale<br />
Fragen in der Landwirtschaft sensibilisiert<br />
sind, zeigt in der Deutschschweiz oft gerade die<br />
SP wenig Verständnis dafür. Nächsten Montag<br />
gäbe es Gelegenheit für einen Kurswechsel.<br />
davon. GSoA-Sekretärin Rahel Ruch: «Wir begrüssen,<br />
dass die Armee Meersäuli statt Kampfflugzeuge<br />
beschafft.»<br />
Christoph Brunner, Informationschef Verteidigung,<br />
spricht von lediglich zwei von der<br />
Armee gehaltenen Meerschweinchen. Zusätzlich<br />
gebe es Schildkröten, Katzen und weitere<br />
Kleintiere, die allesamt im Kompetenzzentrum<br />
Veterinärdienst und Armeetiere stationiert<br />
seien. «Sie erlauben die Ausbildung der Kleintierpfleger-Lehrlinge,<br />
wie sie vom Lehrplan vorgeschrieben<br />
ist», so Brunner. Diese Ausbildung<br />
erfolge vor allem im Zusammenhang <strong>mit</strong> der<br />
Pflege der Diensthunde der Armee. «Über die<br />
Kosten für die Meerschweinchen können keine<br />
Angaben gemacht werden», so Brunner weiter.<br />
Rahel Ruch von der GSoA empfiehlt, die<br />
«Nagerstrategie» weiterzuverfolgen: «Die Armee<br />
als Streichelzirkus gewinnt an Akzeptanz in der<br />
Bevölkerung.»<br />
Ein offenes Geheimnis Seite 13<br />
Mustergültig am Fenster stehen Seite 19
Ist es nur die Idylle, die kasachische Milliardäre an die schönen Gestade lockt? foto: AnjA niedringhAus, Keystone<br />
Kasachstan-connection<br />
Wäschereien am Genfersee<br />
Schweiz 3<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Schwerreiche UnternehmerInnen aus den zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ziehen an den Genfersee.<br />
Sie kaufen riesige Villen zu exorbitanten Preisen. Vielleicht waschen sie dabei auch ein paar Millionen weiss.<br />
Von Stefan HoWald<br />
Ende September hat die Schweizer Bundesanwaltschaft<br />
eine Untersuchung wegen Geldwäscherei<br />
gegen den kasachischen Milliardär<br />
Timur Kulibajew, den Schwiegersohn des kasachischen<br />
Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew,<br />
eröffnet. Es soll um 600 Millionen<br />
Dollar gehen. Dies behauptet jedenfalls der<br />
Genfer Anwalt Bruno de Preux, der im April<br />
im Namen von sechs kasachischen Bürgern<br />
eine entsprechende Privatklage eingereicht<br />
hatte.<br />
Gegen führende Politiker und UnternehmerInnen<br />
aus Kasachstan werden gelegentlich<br />
Korruptionsvorwürfe erhoben. Die Spur<br />
führt dabei öfter nach Genf. Mittlerweile haben<br />
sich verschiedene Angehörige des Clans<br />
um Präsident Nasarbajew am Genfersee<br />
niedergelassen. Anfang Jahr machte Dinara<br />
Kulibajewa Schlagzeilen, die Ehefrau von Timur<br />
Kulibajew und Nasarbajews zweitälteste<br />
Tochter, als sie in Anières eine Villa für 74,7<br />
Millionen Franken kaufte. Welsche Medien<br />
haben den Verdacht geäussert, die Immobiliengeschäfte<br />
dienten der Geldwäscherei.<br />
Die Bundesanwaltschaft schweigt<br />
Timur Kulibajew (44) war von 2000 bis 2005<br />
Präsident des Staatsunternehmens Kaztransoil,<br />
das die gesamte kasachische Gas- und<br />
Erdölinfrastruktur kontrolliert. In dieser<br />
Zeit soll er unrechtmässig dreistellige Millionenbeträge<br />
auf Bankkonten in Zürich, Genf<br />
und Lugano transferiert haben. Die Bundesanwaltschaft<br />
«bestätigt und kommentiert<br />
die kursierenden Meldungen nicht», wie Mediensprecherin<br />
Jeannette Balmer verlautet.<br />
Dinara Kulibajewa (43) gehört zusammen<br />
<strong>mit</strong> ihrem Ehemann zu den Hauptaktionär-<br />
Innen der Bank Halyk, einer der grössten in<br />
Kasachstan; das gemeinsame Vermögen des<br />
Paars wird auf 2,1 Milliarden Dollar geschätzt.<br />
Kasachstan, das neuntgrösste Land der<br />
Welt <strong>mit</strong> gerade mal 18 Millionen Einwohner-<br />
Innen, ist die wirtschaftlich erfolgreichste<br />
Ex-Sowjetrepublik, und zwar wegen der riesigen<br />
Erdöl- und Erdgasreserven. Präsident<br />
Nursultan Nasarbajew war der letzte KP-Chef<br />
in Kasachstan vor <strong>dem</strong> Zerfall der Sowjetunion,<br />
hat aber den Übergang bruchlos geschafft.<br />
Er regiert autokratisch, pflegt einen beachtlichen<br />
Personenkult, hat <strong>mit</strong> Astana eine<br />
neue Hauptstadt aus der Steppe gestampft<br />
und <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> OSZE-Vorsitz soeben einen diplomatischen<br />
Erfolg gefeiert. Seine Verwandten<br />
und Verbündeten werden feudal belohnt,<br />
AbweichlerInnen <strong>mit</strong> etlicher Härte verfolgt.<br />
Die bislang spektakulärste Korruptionser<strong>mit</strong>tlung<br />
begann 1999 in Genf. Damals blo-<br />
ckierten die Genfer Behörden auf Ersuchen<br />
der USA Konten von hohen kasachischen<br />
Funktionären, darunter auch Nasarbajew<br />
persönlich. Die blockierten 140 Millionen<br />
Dollar waren auf verschlungenen Wegen von<br />
James Giffen einbezahlt worden, einem US-<br />
Ölhändler. Ihm wurde von den US-Behörden<br />
vorgeworfen, beträchtliche Bestechungsgelder<br />
für die Gewährung von Bohrlizenzen<br />
in kasachischen Ölfeldern bezahlt zu haben.<br />
Nach jahrelangem Tauziehen schlossen die<br />
Schweiz, die USA und Kasachstan im Jahr<br />
2007 eine Vereinbarung ab, wonach 84 Millionen<br />
Dollar nach Kasachstan zurückgeführt<br />
und für wohltätige Zwecke verwendet werden<br />
sollten. Dafür wurde im April 2008 die<br />
Bota-Stiftung gegründet. Dem Stiftungsrat<br />
gehören je ein Vertreter aus den USA und der<br />
Schweiz an; dennoch wird von kasachischen<br />
Oppositionskreisen behauptet, von den Geldern<br />
würden auch Staatsfunktionäre unrechtmässig<br />
profitieren.<br />
Der Prozess gegen James Giffen wegen<br />
Bestechung ausländischer Amtsträger, der in<br />
den USA 2003 begonnen hatte, ist Mitte November<br />
<strong>mit</strong> einem Kuhhandel abgeschlossen<br />
worden: Giffen bekannte sich in einem Nebenpunkt<br />
für schuldig und wurde <strong>mit</strong> einer<br />
symbolischen Geldstrafe von 25 Dollar belegt;<br />
dagegen akzeptierte der Richter bezüglich<br />
der Hauptanklagepunkte der Bestechung<br />
und der Geldwäscherei die Argumentation<br />
von Giffen, er habe seine Geschäfte in Kasachstan<br />
immer <strong>mit</strong> Wissen der kasachischen Regierung<br />
sowie des CIA getätigt. Da<strong>mit</strong> bleibt<br />
auch die Rolle von Nasarbajew unaufgeklärt.<br />
Woher Kommt das Geld?<br />
Die jüngste Anzeige in der Schweiz stammt<br />
von sechs kasachischen Bürgern, deren Namen<br />
ihr Rechtsanwalt Bruno de Preux aus<br />
Sicherheitsgründen nicht bekannt geben will.<br />
Möglicherweise gehört Mukhtar Abljasow<br />
(47) zu ihnen, einst kasachischer Energieminister.<br />
2001 forderte er Präsident Nasarbajew<br />
heraus und gründete eine Oppositionspartei.<br />
Ein Jahr später wurde er wegen angeblicher<br />
Verfehlungen während seiner Ministerialzeit<br />
zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach<br />
einem Jahr freigelassen. Von 2005 bis 2009<br />
leitete er die kasachische Bank BTA und expandierte<br />
nach Russland sowie in die Ukraine.<br />
Mit der weltweiten Rezession geriet die<br />
BTA in Schieflage und wurde vom Staat übernommen;<br />
Abljasow flüchtete im Februar 2009<br />
nach London und suchte um politisches Asyl<br />
nach. Die neue BTA-Führung hat ihn auf 12<br />
Milliarden Franken Schadenersatz verklagt.<br />
Auch die Credit Suisse hat bei der BTA Kredite<br />
von einer Milliarde Franken ausstehend.<br />
Worauf Abljasow Anfang 2010 in die Gegenoffensive<br />
ging und gegen Timur Kulibajew<br />
Korruptionsvorwürfe erhob. Die Klage in<br />
Genf könnte ein weiterer Versuch von Abljasow<br />
sein, seinen Widersacher Nasarbajew via<br />
dessen Schwiegersohn zu attackieren.<br />
Timur Kulibajew, dessen Geschäfte jetzt<br />
womöglich von der Bundesanwaltschaft untersucht<br />
werden, wurde erstmals 2006 in der<br />
Schweiz tätig, als er über einen Mittelsmann<br />
für 8,5 Millionen Franken die Villa Romantica<br />
bei Melide erwarb. 2007 kaufte er Prinz<br />
Andrew, <strong>dem</strong> zweitältesten Sohn von Königin<br />
Elizabeth II, dessen frühere Familienvilla<br />
«Haben die Behörden nicht zu prüfen»<br />
Im Juni hat der Genfer SP-Nationalrat Carlo<br />
Sommaruga eine parlamentarische Anfrage<br />
eingereicht, in der er sich erkundigt, ob der<br />
Verkauf der Villa in Anières den Schweizer<br />
Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei<br />
nicht zuwiderlaufe. Bundesrätin Eveline<br />
Widmer-Schlumpf hat in ihrer Antwort<br />
gemeint, für die Genehmigung sei der Kanton<br />
Genf zuständig, aber «woher die Mittel<br />
für den Grundstückerwerb stammen, haben<br />
die Behörden nicht zu prüfen».<br />
Genfer Immobilienhändler wiegeln ab,<br />
die Preise würden explodieren, weil für ihre<br />
KundInnen ein paar Millionen mehr oder weniger<br />
keine Rolle spielten. Allerdings hat die<br />
Schweiz als einziges Land in Europa die Immobilienhändler<br />
keinen Vorschriften gegen<br />
die Geldwäscherei unterstellt – sie sind nicht<br />
verpflichtet, die Herkunft des Geldes zu überprüfen.<br />
Drei mögliche Mechanismen bieten<br />
sich zum Reinwaschen von Geldern an. Erstens<br />
werden direkte «kickbacks» ausbezahlt,<br />
also Teile der offiziellen Kaufsumme an den<br />
Käufer rückerstattet. Zweitens wird die ganze<br />
Kaufsumme bar entrichtet, worauf «saubere»<br />
Hypotheken auf die Liegenschaft aufgenommen<br />
werden. Drittens kann der Kauf durch<br />
verschachtelte Holdingstrukturen erfolgen,<br />
die in anderen Steueroasen als der Schweiz<br />
domiziliert sind.<br />
in Berkshire ab, für 15 Millionen Pfund (23<br />
Millionen Franken), 3 Millionen über <strong>dem</strong><br />
verlangten Preis. Seither steht die Villa leer<br />
und zerfällt allmählich. Prinz Andrew ist als<br />
britischer Sonderbeauftragter für Handel<br />
und Industrie häufiger im zentralasiatischen<br />
Raum unterwegs.<br />
Die von den Kulibajews vor einem Jahr<br />
für 74,7 Millionen Franken erworbene Villa<br />
in Anières am Genfersee steht auf einem<br />
7500-Quadratmeter-Grundstück und hat<br />
eine Wohnfläche von 1600 Quadratmetern.<br />
Zu <strong>dem</strong> Komplex gehört auch ein teilweise gedeckter<br />
Swimmingpool von 25 Metern Länge.<br />
2005 war die Villa für 19 Millionen Franken<br />
erworben worden – wo<strong>mit</strong> der Preis in fünf<br />
Jahren auf das Vierfache gestiegen ist.<br />
Grosse Pläne<br />
Ein weiterer kasachischer Millionär ist besonders<br />
rührig im Immobilienhandel: Ilijas<br />
Krapunow (26), der Sohn von Viktor Krapunow,<br />
ehemaliger Bürgermeister der ehemaligen<br />
kasachischen Hauptstadt Almaty und<br />
vielseitiger Unternehmer. 2008 entzweite<br />
sich Krapunow senior <strong>mit</strong> Präsident Nasarbajew<br />
und zog in die Schweiz. Zuvor hatte seine<br />
Tochter Elvira Krapunowa-Beldamani für<br />
32 Millionen Franken eine Villa in Cologny<br />
erworben. Ilijas ist seit seinem vierzehnten<br />
Lebensjahr in der Schweiz erzogen worden.<br />
2007 gründete er die Swiss Development<br />
Group, die sich auf Immobiliendeals spezia-<br />
Fortsetzung auf Seite 4<br />
Das Bundesgesetz über den Erwerb von<br />
Grund stücken durch Personen im Ausland –<br />
die «Lex Koller» – verhindert solche Deals<br />
nicht. Sie wurde 1983 eingeführt und schreibt<br />
vor, dass AusländerInnen für den Kauf eines<br />
Grundstücks eine Bewilligung der zuständigen<br />
Kantonsbehörden brauchen. 2005<br />
beantragte der Bundesrat, die Vorschrift abzuschaffen,<br />
was von den beiden Räten 2008<br />
zurückgewiesen wurde. Die Lex Koller ist juristisch<br />
weiterhin in Kraft, wird aber je nach<br />
Kanton extensiv ausgelegt. Nicht betroffen<br />
von ihr sind ausländische BesitzerInnen einer<br />
Niederlassungsbewilligung. Diese wird bei<br />
reichen AusländerInnen in Genf häufig erteilt.
4 Schweiz<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
6. iV-reVision<br />
Gratisarbeitskräfte<br />
für die<br />
Wirtschaft<br />
Die 6. IV-Revision sieht einen neuen Zwangsartikel für IV-RentnerInnen<br />
vor. Bis zu sechs Monate Arbeit ohne Lohn sind möglich.<br />
Unternehmen sollen gratis testen können, ob Handicapierte<br />
für den Arbeitsmarkt taugen.<br />
Von AndrEAS fAGETTi<br />
Seit Jahren entledigen sich Unternehmen ihrer<br />
sozialen Verantwortung und entsorgen die in<br />
ihren Augen unproduktiven Menschen in die<br />
Invalidenversicherung. Saniert werden soll<br />
die hoch verschuldete Sozialversicherung allerdings<br />
auf <strong>dem</strong> Buckel der Versicherten. Die<br />
6. IV-Revision verlangt neben massiven Rentenkürzungen<br />
die Integration von rund 17 000<br />
RentnerInnen in den ersten Arbeitsmarkt – eine<br />
alte Forderung, die nie auch nur annähernd erfüllt<br />
wurde, weil die Wirtschaft kneift. Nach<strong>dem</strong><br />
der Ständerat die Vorlage bereits durchgewinkt<br />
hat, debattiert der Nationalrat nächste<br />
Woche genau über diese Integrationsmassnahmen.<br />
Er entscheidet unter anderem, ob Betriebe<br />
<strong>mit</strong> mehr als 250 Angestellten ein Prozent ihrer<br />
Arbeitsplätze für diese Integration zur Verfügung<br />
stellen müssen beziehungsweise sich <strong>mit</strong><br />
einer Abgabe freikaufen können.<br />
Der Arbeitnehmerverband Travail Suisse<br />
fordert eine Quote von 2,5 Prozent für alle Betriebe<br />
<strong>mit</strong> mehr als zehn MitarbeiterInnen.<br />
Denn im Vergleich zu den umliegenden Ländern<br />
beschäftigt die Schweizer Wirtschaft extrem<br />
wenig handicapierte Menschen; laut einer<br />
Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz<br />
bloss 0,8 Prozent der Beschäftigten. In Frankreich<br />
sind es 4 Prozent, in Deutschland 4,3 und<br />
in Österreich 2,6 Prozent.<br />
Der Unternehmerverband Eco no miesuisse<br />
hält nichts vom Zwang für die Unter-<br />
Fortsetzung von Seite 3<br />
lisiert. Via diese Gesellschaft besitzt er die SDG<br />
Capital SA, die 10 Millionen Franken Kapital<br />
aufweist und <strong>mit</strong> der der junge Krapunow verschiedene<br />
selbstständige Firmen in Engelberg,<br />
Saas-Fee, Chardonne und Genf <strong>mit</strong> je 100 000<br />
Franken Eigenkapital kontrolliert. Mit einer<br />
von diesen Firmen kaufte er im Herbst 2008<br />
das Hotel Du Parc auf <strong>dem</strong> Mont Pèlerin, das zu<br />
einem Luxusresort ausgebaut werden soll. Die<br />
neuste Idee von Krapunow ist eine Überbauung<br />
von Genève Plage, der Anlage um die grossen<br />
Wasserbecken im Herzen der Stadt. Mit 147<br />
Millionen Fremdkapital soll dort ein neuer<br />
Hotel- und Einkaufskomplex entstehen. Anfang<br />
Jahr wurde an Ort eine grosse PR-Aktion<br />
gestartet. Aber die Genfer Regierung und die<br />
Bevölkerung zeigen sich bis jetzt zurückhaltend<br />
gegenüber den grandiosen Vorstellungen<br />
Krapunows.<br />
Verheiratet ist Krapunow <strong>mit</strong> Madina Abljasowa,<br />
der Tochter von Mukhtar Abljasow.<br />
Da<strong>mit</strong> zählt er zum gegnerischen Lager von<br />
Timur Kulibajew. Die Untersuchung gegen diesen<br />
könnte Krapunow durchaus gelegen kommen.<br />
Die Usbekistan-Connection<br />
Nicht nur aus Kasachstan, auch aus <strong>dem</strong> südlich<br />
davon gelegenen Usbekistan strömen<br />
die Reichen an den Genfersee. So erstand Timur<br />
Tilljajew (30) im April 2008 ein Haus in<br />
Cologny für relativ bescheidene 4 Millionen<br />
Franken. Der schwerreiche Geschäftsmann ist<br />
verheiratet <strong>mit</strong> Lola Karimowa-Tilljajewa (32),<br />
der jüngeren Tochter des usbekischen Alleinherrschers<br />
Islam Karimow. Im September 2009<br />
folgte ihre ältere Schwester Goulnora Karimowa<br />
(37) und kaufte sich eine Villa in Cologny für<br />
18,4 Millionen. Seither hat Lola ihre Schwes ter<br />
wieder übertrumpft: Im Juli 2010 erwarb ihr<br />
Mann in Vandoeuvres eine Villa für 43,4 Millionen<br />
Franken, die vier Jahre zuvor noch 14 Millionen<br />
gekostet hatte.<br />
nehmen. Er setzt auf Freiwilligkeit. Zwang ausgeübt<br />
wird hingegen auf die IV-RentnerInnen.<br />
Seit Jahren bauen die bürgerlichen Parteien<br />
<strong>mit</strong> einer Missbrauchsdebatte Druck gegen sie<br />
auf. Pauschale Kriminalisierungstendenzen<br />
sind die Folge. Es ist freilich weitgehend eine<br />
Scheindebatte, denn die Betrugsquote in der<br />
IV liegt erheblich tiefer als beim üblichen Versicherungsbetrug.<br />
2009 wurden bei 200 000<br />
Rentner Innen nur 240 als BetrügerInnen entlarvt,<br />
die IV sparte da<strong>mit</strong> gerade mal 4,6 Millionen<br />
Franken. Selbst wenn man die Verdachtsfälle<br />
als Massstab nimmt – es sind 3190 –, bewegte<br />
sich die Quote im sehr tiefen Prozentbereich.<br />
Zum Vergleich: Die Schweizer Versicherungswirtschaft<br />
ging in diesem Jahr davon aus,<br />
dass zehn Prozent aller Schadensforderungen<br />
betrügerisch sind. IV-BezügerInnen sind also<br />
deutlich weniger betrügerisch als die Durchschnittsbevölkerung.<br />
Neue Schikanen<br />
Die anhaltenden politischen Debatten gegen<br />
Schwächere fallen auch international auf. Der<br />
Uno-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale<br />
und kulturelle Rechte hat Ende November der<br />
Schweiz unter anderem empfohlen, das Streikrecht<br />
zu stärken, GewerkschafterInnen besser<br />
vor missbräuchlichen Kündigungen zu schützen,<br />
aber auch die Armen im Land.<br />
Wer ein Mal im Monat eine Kolumne schreibt<br />
und sich zu den aktuellen Tagesthemen äussern<br />
will, wird sich so vorkommen, als würde<br />
er sein Pferd erst nach <strong>dem</strong> Regen zudecken,<br />
also nach<strong>dem</strong> es schon gänzlich nass ist. Die<br />
Tagesaktualität kann man auch als einen aufgeblasenen<br />
Ballon betrachten. Weht am nächsten<br />
Tag ein noch stärkerer Wind, ist vom Ballon<br />
nichts übrig geblieben.<br />
Wenn einer sich aber vom Arabischen gewohnt<br />
ist, das Blatt von hinten aufzuschlagen,<br />
trifft er <strong>mit</strong> Sicherheit doch noch auf andere<br />
interessante Themen. Auf einer hinteren Zeitungsseite<br />
stosse ich auf die Information, dass<br />
zwei Drittel unserer Schweizer VolksvertreterInnen<br />
geschieden sind. Und diese Tendenz<br />
soll weiterhin steigen. Da würde ich fast behaupten,<br />
dass MigrantInnen, für die in ihrer<br />
Dauerfremde ein Familienleben heilig ist, sich<br />
allein schon wegen der Scheidungsgefahr nicht<br />
für die Schweizer Politik interessieren. ScheidungsanwältInnen<br />
in der Schweiz haben jedenfalls<br />
eine sichere Berufszukunft!<br />
Als wichtigstes Scheidungsmotiv wird<br />
die zeitliche Belastung unserer VolksvertreterInnen<br />
aufgeführt. Unter diesem Argument<br />
verstehe ich als Laie Folgendes: Weil der Mann<br />
oder auch die Frau wegen der vielen Politsit-<br />
Das Breitehotel: Eines der führenden Dreisternehotels in Basel <strong>mit</strong> Ausbildungs- und<br />
Arbeitsplätzen für Menschen <strong>mit</strong> einer geistigen Behinderung. foto: Gaetan Bally, Keystone<br />
Dennoch wird weiter einseitig an der<br />
Sparschraube gedreht und werden neue Schikanen<br />
gegen die Versicherten ersonnen. Zwischen<br />
Vernehmlassung und nationalrätlicher<br />
Debatte wurde eine solche in den neuen Gesetzesentwurf<br />
geschmuggelt, der sogenannte<br />
Arbeitsversuch, der künftig für alle IV-Verfahren<br />
gelten soll. Dabei können Betriebe während<br />
maximal sechs Monaten gratis testen, ob ein<br />
Rentenbezüger für den ersten Arbeitsmarkt<br />
taugt. Die Arbeitsleistung wird nicht entlöhnt,<br />
der Testarbeiter hat aber alle entsprechenden<br />
Pflichten und muss bei Bedarf auch Überstunden<br />
leisten. Es entstehe kein Arbeitsverhältnis<br />
nach Obligationenrecht, heisst es dazu in der<br />
Botschaft. Die Arbeitgeber hingegen haben in<br />
solchen Fällen einen Persilschein – ihre üblichen<br />
Rechte, aber keine Pflichten. Leistung und<br />
Lohn werden entkoppelt. Obwohl kein eigentliches<br />
Arbeitsverhältnis bestehe, sei der Schutz<br />
der Versicherten durch das Arbeitsgesetz gegeben,<br />
wird in der Botschaft behauptet. Die<br />
Versicherten erhalten während dieser Zeit ein<br />
Taggeld und bei einer Wiedereingliederung die<br />
Weiterentrichtung der Rente.<br />
SP-Nationalrat Paul Rechsteiner ist empört:<br />
«Bei allen bisherigen Eingliederungsmassnahmen<br />
war Arbeit etwas wert. Jetzt wird<br />
auf gesetzgeberischer Stufe Arbeit komplett<br />
entwertet. Gratisarbeitskräfte – das ist ein<br />
Skandal.» Es sprenge alles, was ihm bisher be-<br />
Fumoir<br />
Ein heikles Thema<br />
YuSuf YESilöz über grosse Eier und Glarner Politiker<br />
zungen zum Wohle des Volkes viel abwesend<br />
ist, sagt der Mann oder die Frau zu Hause:<br />
«Lueg Schätzli, du bisch vil z’vil wäg, dänn<br />
muesch gar nüme hei cho! I ha mi entschide.<br />
Fertig luschtig!»<br />
Im besagten Zeitungsbericht wurden<br />
auch Politiker und Fachpersonen zitiert. Ganz<br />
rührend ist beispielsweise der Glarner Ständerat<br />
This Jenny <strong>mit</strong> seinem ehrlichen Geständnis.<br />
Er soll seine Frau nur ein einziges Mal betrogen<br />
haben. Und das in dreissig Jahren Ehe.<br />
Dieser Mann verdient meinen Respekt!<br />
Böse Zungen würden die Ehrlichkeit Jennys<br />
als ewigen Wunsch des Politikers ansehen,<br />
seinen Namen in die Zeitung zu bringen, selbst<br />
<strong>mit</strong> diesem heiklen Thema, und so in seine<br />
Wiederwahl zu investieren. Das ist aber eine<br />
andere Geschichte.<br />
Jenny sei ehrlich gewesen – das find i uu<br />
härzig – und habe es seiner Frau, un<strong>mit</strong>telbar<br />
nach<strong>dem</strong> ihm der böse Seitensprung passiert<br />
ist, gebeichtet. Und sie, die zutiefst verletzte<br />
Ehefrau, habe ihn gerade rausgeschmissen. Da<br />
sieht man, wo die Ehrlichkeit hinführt: Unser<br />
langjähriger Volksvertreter esse an den heiligen<br />
Feiertagen statt Fondue und Blutwurst in<br />
seinem ruhigen Zuhause nur noch Spaghetti al<br />
dente beim lauten Italiener.<br />
gegnet sei. Während man Reichen fast nichts<br />
mehr zumute, zur Rettung einer Grossbank<br />
Milliarden ausgebe und ständig Steuergeschenke<br />
gewähre, erfinde der Gesetzgeber immer<br />
neue, gegen Benachteiligte gerichtete Schikanen<br />
und öffne die Tür zu rechtlosen Räumen.<br />
Als Wiedereingliederungsmassnahme sei das<br />
«ein Witz». SP-Nationalrätin Christine Goll bezeichnet<br />
den «Arbeitsversuchs»-Artikel als «arbeitsrechtlich<br />
nicht abgesicherte Zwangsarbeit<br />
ohne Lohn».<br />
Wirtschaft gegen Quote<br />
Im Zentrum der Debatte steht allerdings die Verpflichtung<br />
der Unternehmen, Eingliederungsarbeitsplätze<br />
zur Verfügung zu stellen oder<br />
stattdessen eine Abgabe in der Höhe einer Minimal-IV-Rente<br />
pro fehlenden IV-Arbeitsplatz<br />
zu entrichten, <strong>mit</strong> der Eingliederungsmassnahmen<br />
finanziert würden. Gewerkschaften,<br />
SP und Grüne sprechen sich gegen die 6. IV-<br />
Revision aus, befürworten aber die IV-Quote für<br />
Unternehmen. Gegen die Revision sind auch die<br />
Kantone, denn sie befürchten, dass das Problem<br />
einfach in die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen<br />
und da<strong>mit</strong> auf die kantonalen Kassen<br />
abgeschoben werde. Der Bund verspricht<br />
sich von der Teilrevision 6a zwischen 2018 und<br />
2027 eine jährliche Kostenersparnis von einer<br />
halben Milliarde Franken.<br />
Ich hingegen komme aus einer anderen<br />
Kultur und erlaube mir die Frechheit, Jennys<br />
auswärtige Liebesaktion <strong>mit</strong> seiner Absicht zu<br />
erklären, ein einziges Mal im Leben global zu<br />
handeln und so den italienischen Silvio Berlusconi<br />
oder den König Carl Gustav von Schweden<br />
oder gar den muslimischen Mohammed nachzuahmen.<br />
Und meine Grossmutter würde im Fall<br />
Jenny ihre buschigen Augenbrauen hochziehen<br />
und sagen: «Das Huhn versuchte ein so<br />
grosses Ei zu legen wie das einer Gans und hat<br />
sich dabei den Darm aufgerissen.»<br />
Früher, als es noch kein Potenz<strong>mit</strong>tel gab,<br />
waren Männer in This Jennys Alter viel braver<br />
und noch die absoluten Hüter der abendländischen<br />
Familienwerte. Diese Zeiten scheinen<br />
endgültig vorbei zu sein.<br />
Wahrscheinlich meinte der Schlaumeier<br />
aus <strong>dem</strong> Glarnerland, dass seine Frau ihm<br />
den Seitensprung verzeihen würde, genau wie<br />
die Nation ihm immer verzeiht, wenn er Unwahrheiten,<br />
ge kleidet <strong>mit</strong> billigem Witz und<br />
gespiel tem Charme, erzählt. Dabei hat der Politclown<br />
wohl kaum da<strong>mit</strong> gerechnet, dass die<br />
Reaktion der betrogenen Frau nicht <strong>dem</strong> Handeln<br />
der hinters Licht geführten Wählerschaft<br />
entspricht.<br />
Yusuf Yesilöz, Schriftsteller, lebt in<br />
Winterthur, sein letzter Roman «Gegen die<br />
Flut» erschien im Limmat Verlag.
Polizei gegen Schule<br />
Rauspicken, wen sie wollen<br />
Rund um die Autonome Schule in Zürich ist die Polizei wiederholt gegen MigrantInnen<br />
vorgegangen, die dort Deutschkurse besuchen. Schikane oder Zufall?<br />
Von CaRloS Hanimann<br />
Demonstration gegen das Vorgehen der Polizei gegenüber MigrantInnen bei der Zürcher Kaserne. Foto: Florian Bachmann<br />
S. ist auf <strong>dem</strong> Weg zum Deutschkurs, als er drei<br />
PolizistInnen sieht, die vor der Schule einen<br />
Eritreer kontrollieren und dessen Papiere verlangen.<br />
Für den Kenianer S. eine heikle Situation:<br />
Als abgewiesener Asylbewerber besitzt er<br />
keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Er lebt<br />
seit 2006 in der Schweiz – als «Illegaler». Um<br />
nicht aufzufallen, geht S. geradewegs auf den<br />
Eingang der Schule zu, obwohl er verhaftet<br />
werden könnte. Die Polizei versperrt ihm den<br />
Weg, S. wird abgeführt und auf die Urania-<br />
Hauptwache in Zürich gebracht.<br />
Die Verhaftung ereignete sich am Mittwoch,<br />
24. November, um 14.20 Uhr vor <strong>dem</strong><br />
Eingang der Autonomen Schule Zürich (ASZ,<br />
vgl. «Bildung für alle») beim Güterbahnhof. Sie<br />
war der Auftakt zu einer Reihe von Personenkontrollen,<br />
die die Zürcher Stadtpolizei in den<br />
vergangenen zwei Wochen direkt vor oder in<br />
un<strong>mit</strong>telbarer Nähe der ASZ durchführte. AktivistInnen<br />
der ASZ sprechen von «Schikane»,<br />
von einer «Macht<strong>dem</strong>onstration der Polizei»,<br />
von «gezielten Angriffen» gegen die Schule und<br />
vor allem gegen die MigrantInnen, die dort regelmässig<br />
verkehren. Bis vor kurzem konnten<br />
MigrantInnen mehr oder weniger ungestört<br />
Kurse in der Autonomen Schule besuchen. In<br />
den letzten neun Monaten, seit sich die Autonome<br />
Schule in einer Baracke am Güterbahnhof<br />
befindet, hat die Polizei dort noch nie Personenkontrollen<br />
durchgeführt. Was also hat es<br />
<strong>mit</strong> der starken Polizeipräsenz auf sich? Warum<br />
die Kontrollen? Sind sie gezielt gegen Papierlose<br />
gerichtet? Gibt es eine «grundsätzliche<br />
fremdenfeindliche Tendenz» im Polizeikorps,<br />
wie AktivistInnen der ASZ sagen? Oder ist alles<br />
nur Zufall, wie die Stadtpolizei behauptet?<br />
«Hier lohnt es sich, zu kontrollieren»<br />
Klar ist: Nur wenige Stunden nach<strong>dem</strong> sie S.<br />
verhaftet haben, parkieren dieselben drei PolizistInnen<br />
wieder auf <strong>dem</strong> SBB-Gelände vor der<br />
ASZ. Der Deutschkurs, der montags, <strong>mit</strong>twochs<br />
und freitags jeweils von rund hundert Migrant-<br />
Innen besucht wird, geht gerade zu Ende. Ein<br />
Aktivist der Autonomen Schule fragt die PolizistInnen,<br />
was sie vorhätten: «Sie sagten, dass<br />
sie sich auf einem öffentlichen Platz befänden<br />
und Migranten kontrollieren wollten. Sie<br />
sagten wörtlich: ‹Und wir picken raus, wen wir<br />
wollen.›»<br />
Daraufhin solidarisieren sich rund<br />
dreissig Personen aus der Autonomen Schule<br />
<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Nigerianer (<strong>mit</strong> gültiger Aufenthaltsbewilligung),<br />
der gerade von der Polizei<br />
kontrolliert wird. «Die Polizei wurde massiv<br />
angepöbelt, weshalb weitere Patrouillen angefordert<br />
wurden, um die Situation beruhigen<br />
zu können», sagt Marco Cortesi, Sprecher der<br />
Stadtpolizei. Sechs bis sieben Kastenwagen<br />
fahren vor, für die AktivistInnen der ASZ eine<br />
Provokation. Die Situation droht zu eskalieren.<br />
Dann ziehen sich Migrantinnen und Aktivisten<br />
in die Schule zurück, bis die Polizei verschwindet.<br />
Am Abend findet eine Demonstration von<br />
knapp 150 Personen gegen die polizeilichen<br />
Kontrollen statt.<br />
Am folgenden Montag, <strong>dem</strong> Tag nach<br />
der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative,<br />
warten dieselben PolizistInnen wieder vor<br />
Bildung für alle<br />
Im April 2009 besetzte eine Gruppe von AktivistInnen<br />
unter <strong>dem</strong> Namen Familie<br />
Moos den Schulpavillon Allenmoos II in<br />
Oerlikon und richtete dort die Autonome<br />
Schule Zürich (ASZ) ein. Nach <strong>dem</strong><br />
Motto «Mini Schuel, dini Schuel» sollte<br />
Wissen gratis und ohne Zulassungsbeschränkungen<br />
weitergegeben werden,<br />
ohne Leistungsdruck, im gegenseitigen<br />
Austausch und selbstverwaltet. Die ASZ<br />
stellte ihre Räume auch <strong>dem</strong> Verein Bildung<br />
für alle zur Verfügung, der seit der<br />
Besetzung der Predigerkirche im Dezember<br />
2008 an ständig wechselnden Orten<br />
Deutschkurse für und <strong>mit</strong> Papierlosen organisierte.<br />
Nach<strong>dem</strong> die Polizei den Schulpavillon wegen<br />
einer angezapften Stromleitung im Januar<br />
2010 räumte, fand der Deutsch unterricht<br />
an verschiedenen Orten statt, bis die ASZ<br />
im April 2010 die Baracke beim Güterbahnhof<br />
Zürich besetzte. Neben <strong>dem</strong><br />
Deutschunterricht, der regelmässig von<br />
gut hundert illegalisierten Flüchtlingen<br />
und MigrantInnen besucht wird, wird<br />
auch Englisch und Arabisch unterrichtet,<br />
es gibt Kurse zur Programmiersprache<br />
Java sowie Seminare zu John Cage und<br />
Alain Badiou. n oëmi l andolT<br />
http://alles-fuer-alle.jimdo.com<br />
der Baracke beim Güterbahnhof. Wieder kontrollieren<br />
sie vor und nach <strong>dem</strong> Deutschkurs<br />
MigrantInnen. Laut einem Aktivisten sollen<br />
die PolizistInnen gesagt haben: «Hier lohnt es<br />
sich, Personen zu kontrollieren, weil wir wissen,<br />
dass hier viele Papierlose verkehren.» Erneut<br />
gibt es am Abend eine kleine Kundgebung<br />
gegen die Polizei. Die rund fünfzig DemonstrantInnen<br />
ziehen, begleitet von Wasserwerfern<br />
und einem Grossaufgebot von Polizisten,<br />
vom Helvetiaplatz zur Kaserne.<br />
Am Freitag, vier Tage später, steht ein<br />
halbes Dutzend Polizisten bei der Tramhaltestelle<br />
Bäckeranlage in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe, wo<br />
sie laut Augenzeugen nach Ende des Deutschkurses<br />
in der ASZ gezielt dunkelhäutige Personen<br />
kontrollieren.<br />
Integrationspolitische Aufgabe<br />
Seit S. verhaftet wurde, hat er die Deutschkurse<br />
in der ASZ nicht mehr besucht. Zu gross<br />
ist das Risiko, erneut von der Polizei festgehalten<br />
zu werden. Auch viele andere bleiben<br />
weg. Besuchten vorher rund hundert Personen<br />
die Deutschkurse, war es vergangene Woche<br />
höchs tens noch ein Viertel davon.<br />
In der ASZ ist der Ärger über die Polizei<br />
deshalb gross. Man ist sich sicher, dass die<br />
Aktionen gezielt erfolgten. Die Polizei widerspricht:<br />
«Von gezielten Aktionen gegen die<br />
ASZ kann keine Rede sein.» Sie rechtfertigt die<br />
Kontrollen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> gesetzlichen Grundauftrag,<br />
für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. «Es ist<br />
keine Schwergewichtsaufgabe der Polizei, illegal<br />
anwesende Ausländer zu suchen und zu<br />
verzeigen. Aber selbstverständlich sind auch<br />
Verstösse gegen das Ausländergesetz zu ahnden.»<br />
Auch das Polizeidepartement, <strong>dem</strong> seit<br />
einem halben Jahr der grüne Stadtrat Daniel<br />
Leupi vorsteht, lässt verlauten, es gebe keine<br />
Weisung, gezielt gegen die ASZ oder deren BesucherInnen<br />
vorzugehen.<br />
Leupi wurde dieser Tage von SVP-Nationalrat<br />
Christoph Mörgeli öffentlich angegriffen,<br />
weil er am Rand der Proteste gegen die Ausschaffungsinitiative<br />
gegenüber einzelnen Beamten<br />
sein Verständnis für die Demonstrant-<br />
Innen geäussert haben soll. Eigentlich eine<br />
aufgeblasene Nichtigkeit, aber dass die eigenen<br />
Polizisten ihren Polizeivorsteher anschwärzen,<br />
zeigt, wie instabil Leupis Macht und wie beschränkt<br />
sein Einfluss auf das Polizeikorps ist:<br />
Zu lange hatte sich seine Vorgängerin Esther<br />
Maurer aus operativen Angelegenheiten rausgehalten,<br />
zu autonom von der Politik handelt<br />
wohl auch deshalb das Korps.<br />
Um weitere Zwischenfälle zu verhindern,<br />
sollen die Wogen geglättet werden. Der Zürcher<br />
Gemeinderat und Ko-Präsident der Grünen<br />
Matthias Probst will zwischen den Parteien<br />
ver<strong>mit</strong>teln. Ziel sei es, VertreterInnen der ASZ,<br />
den Departementsvorsteher Daniel Leupi und<br />
die Polizei an einen Tisch zu bringen, um eine<br />
Lösung zu finden: «Keine Seite kann ein Interesse<br />
an einer Eskalation haben. Die ASZ erfüllt<br />
eine sehr wichtige integrationspolitische Aufgabe.<br />
Und da braucht es Vernunft, Toleranz und<br />
Fingerspitzengefühl bei der Polizei, da<strong>mit</strong> die<br />
Schule ihre Kurse gewährleisten kann.»<br />
Schweiz 5<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
waS weiter geSchah<br />
Schädliche Strahlung<br />
Mitte November berichtete die WOZ, dass laut<br />
einer deutschen Studie rund um die Atomanlagen<br />
in Deutschland und der Schweiz weniger<br />
Kinder – vor allem Mädchen – auf die Welt<br />
kommen, als zu erwarten wäre. Es wird vermutet,<br />
dass radioaktive Niedrigstrahlung die<br />
Embryonen schädigt und es zu frühen Aborten<br />
kommt. Letzte Woche hat die Wissenschaftssendung<br />
«Einstein» auf SF1 das Thema aufgenommen.<br />
An diesem Montag gab die Studie<br />
dann auch im Parlament zu reden. Die beiden<br />
Nationalräte Hans-Jürg Fehr (SP) und Christian<br />
van Singer (Grüne) erkundigten sich in der Fragestunde,<br />
was der Bundesrat in dieser Sache<br />
zu tun gedenke. Bundesrat Didier Burkhalter<br />
meinte, man müsste die Daten überprüfen. Er<br />
sagte aber auch: Falls sich die Aussagen der<br />
Studie bestätigten, müsste «als Konsequenz<br />
daraus die Bewilligungspraxis der neuen Atomkraftwerke<br />
überprüft werden». SB<br />
Nachtrag zum Artikel «Die fehlenden Mädchen»<br />
in WOZ Nr. 46/10.<br />
Bedrohte Forschungsfreiheit<br />
Das Adolphe Merkle Institut (AMI) in Freiburg<br />
kommt nicht zur Ruhe. 100 Millionen Franken<br />
hatte der Industrielle Adolphe Merkle der<br />
Uni Freiburg 2007 gestiftet, um das Nanoforschungsinstitut<br />
aufzubauen. Im Gegenzug<br />
wollten Merkle und sein Stiftungsrat auch die<br />
Geschicke des Instituts <strong>mit</strong>bestimmen – ein<br />
absolutes Novum an Schweizer Universitäten.<br />
Ende 2009 kündigte der Direktor des AMI, weil<br />
er die Forschungsfreiheit bedroht sah. Ende<br />
März dieses Jahres orientierten Universität und<br />
Stiftungsrat, die «strukturellen Probleme» seien<br />
bereinigt. Was nichts anderes bedeutet, als dass<br />
die kontinuierliche Mitbestimmung des Stiftungsrats<br />
nun auch in den Institutsstatuten verankert<br />
ist: Er ernennt den Direktor, kann Berufungen<br />
per Veto verhindern und bestimmt, wer<br />
im Beirat sitzt. Zwei Stiftungsräte sitzen zu<strong>dem</strong><br />
im vier Personen umfassenden Institutsrat.<br />
Im Mai hatte die Studierendengruppe<br />
«Unsere Uni Freiburg» Aufsichtsbeschwerde<br />
beim Staatsrat eingelegt: Es sei zu prüfen, ob<br />
die Gründungsvereinbarung zwischen Universität<br />
und Stiftungsrat nicht gegen das geltende<br />
Universitätsgesetz verstosse und da<strong>mit</strong> für<br />
ungültig zu erklären sei. Der Staatsrat hat das<br />
Begehren abgelehnt, wie die Studierenden am<br />
6. Dezember <strong>mit</strong>geteilt haben. Sie fordern jetzt<br />
eine Offenlegung der «Geheimverträge».<br />
Eigentlich hatten Uni-Rektor Guido Vergauwen<br />
und Stiftungsratspräsident Joseph<br />
Deiss die Antwort gegenüber der WOZ schon<br />
gegeben, in<strong>dem</strong> sie darauf hinwiesen, dass<br />
<strong>mit</strong> der Schaffung des AMI als einer «eigenen<br />
Rechtspersönlichkeit» das Unigesetz entsprechend<br />
angepasst werden müsse. Fm<br />
Nachtrag zum Artikel «Das neue Freiburger<br />
Modell» in WOZ Nr. 13/10.<br />
Teures Winterthur<br />
Zentral und doch ruhig – so möchten viele<br />
gerne wohnen. Zum Beispiel auf <strong>dem</strong> Areal<br />
des ehemaligen Winterthurer Zeughauses. Es<br />
gehört teils der Stadt, teils der Armasuisse, die<br />
die Immobilien der Armee verwaltet. Mit einem<br />
Investorenwettbewerb suchte die Stadt einen<br />
Käufer für das 18 000 Quadratmeter grosse Gelände:<br />
Die Interessierten hatten ein Bauprojekt<br />
und eine Kaufofferte vorzulegen, der Mindestpreis<br />
lag bei 800 Franken pro Quadratmeter.<br />
«Ich würde mich freuen, wenn auch<br />
Wohnbaugenossenschaften am Investorenwettbewerb<br />
teilnehmen würden», sagte SP-Stadträtin<br />
und Baudepartementschefin Pearl Pedergnana<br />
im September zur WOZ. Doch die hatten<br />
keine Chance: Etliche Interessierte boten<br />
so viel, dass der Quadratmeterpreis inzwischen<br />
bei 1679 Franken liegt. Die Gemeinnützige<br />
Wohnbaugenossenschaft hatte ein Projekt geplant,<br />
fiel aber aus <strong>dem</strong> Rennen. Andere, etwa<br />
die Heimstätten-Genossenschaft, traten bei<br />
diesen Bedingungen gar nicht erst an.<br />
Nun hagelt es Kritik. «Das ist Spekulation<br />
in Reinkultur», sagt Martin Hofer vom Zürcher<br />
Immobilienberatungsunternehmen Wüest &<br />
Part ner zum «Landboten». Im Herbst versprach<br />
Stadtpräsident Ernst Wohlwend (SP), die Stadt<br />
werde sich mehr um günstigen Wohnraum<br />
kümmern. Leere Versprechen? Nein: Diese<br />
Woche meldete der Stadtrat, er stelle zwei Parzellen<br />
– insgesamt 24 000 Quadratmeter – für<br />
gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung.<br />
Ein guter Anfang, doch genügen wird das<br />
kaum. dyT<br />
Nachtrag zum Artikel «Die billigen Jahre sind<br />
vorbei» in WOZ Nr. 38/10.
Geschätzter Herr Joseph Blatter<br />
Wir möchten Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken. Wir Schweizer-<br />
Innen können nicht immer stolz auf unsere Nati sein, dafür umso mehr<br />
auf Sie. Aus einem kleinen Verband haben Sie eine riesige Organisation<br />
<strong>mit</strong> Leuten gemacht, die für den Fussball wirklich alles tun. Sie sorgen<br />
dafür, dass Menschen, die in Blechhütten leben müssen, wenigstens ein<br />
modernes Stadion haben. Dank Ihnen liest man in der ausländischen<br />
Presse nicht nur über Schweizer Bankenskandale, umstrittene Initiativen<br />
und Steuerfl ucht. Und nicht zuletzt haben Ihretwegen viele Zürcher<br />
Mädchen nun endlich David Beckham sowie zahlreiche Grossmütter<br />
ihren Prinz William gesehen. Herr Blatter, wir wünschen Ihnen ein<br />
ganz frohes Weihnachtsfest und nächstes Jahr viel Erfolg für die vierte<br />
Kandidatur als Fifa-Präsident. Wir sind sicher, das klappt wieder!<br />
Unser Beitrag zum Fest der Liebe. Ab Januar wieder kritisch.<br />
WOZ_Weihnachtsinserat_291x440mm_d.indd 1 08.12.10 11:43
EKLAmE<br />
SinnloSe WettbeWerbe<br />
«Belohnungen<br />
sind Feinde<br />
der Neugier»<br />
Je mehr Wettbewerb, umso besser, haben<br />
die Neoliberalen jahrelang erfolgreich verkündet.<br />
Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigt,<br />
dass so masslos Leerläufe produziert werden.<br />
INtervIeW: SuSaN BooS<br />
WOZ: Mathias Binswanger, Sie kritisieren in<br />
Ihrem Buch «Sinnlose Wettbewerbe» unter<br />
anderem den Wissenschaftsbetrieb. Sind Sie<br />
selbst Opfer von unsinnigen Wettbewerben?<br />
Mathias Binswanger: Der Begriff «Opfer»<br />
ist übertrieben, aber ich habe den Wettbewerb<br />
zu spüren bekommen.<br />
Wie?<br />
Um in der Wissenschaft Karriere zu machen,<br />
muss man heute auf Teufel komm raus<br />
Artikel publizieren, die dann häufig weder einen<br />
selbst noch sonst jemanden interessieren.<br />
Später merkte ich, dass es solche Phänomene<br />
auch in anderen Bereichen gibt.<br />
Welches Phänomen meinen Sie?<br />
Heute stehen alle Leute, die sich ausserhalb<br />
des Markts bewegen – also zum Beispiel<br />
Lehrer, Ärzte oder Wissenschaftler – unter<br />
<strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung:<br />
Sie leisten nicht genügend, solange man<br />
sie nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche antreibt.<br />
Also inszeniert man Wettbewerb, wo es keinen<br />
Markt gibt. In der Wissenschaft läuft dies zum<br />
Beispiel über Publikationen.<br />
Die, die viel publizieren, gelten als die Besten.<br />
Aber sind sie das auch?<br />
Eben nicht. Man möchte zwar hohe wissenschaftliche<br />
Qualität erzielen. Qualität kann<br />
man aber nicht messen, also nimmt man messbare<br />
Indikatoren – wie die Zahl der Publikationen.<br />
Zwangsläufig richten sich alle nach <strong>dem</strong>,<br />
was gemessen wird. Deshalb wird heute viel<br />
mehr publiziert als früher, nur werden diese<br />
Publikationen zum quantitativen Unsinn.<br />
Wissenschaftler beginnen etwa, ihre Erkenntnisse<br />
scheibchenweise zu veröffentlichen, da<strong>mit</strong><br />
sie es auf möglichst viele Publikationen<br />
bringen.<br />
Machen alle klaglos <strong>mit</strong>, weil sie hoffen, eine<br />
Professur zu ergattern?<br />
Wer eine Professur möchte, kann sich<br />
<strong>dem</strong> kaum entziehen.<br />
Und wenn man das Ganze kritisiert,<br />
riskiert man, als Versager zu gelten – man war<br />
halt nicht gut genug, um im Wettbewerb zu bestehen.<br />
Haben Sie brav unsinnige Artikel publiziert?<br />
Am Anfang habe ich auch <strong>mit</strong>gemacht.<br />
Heute publiziere ich aber nichts mehr, was<br />
mich nicht interessiert. Als Professor an der<br />
Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten<br />
muss ich das zum Glück auch nicht tun.<br />
Wie wurden Sie dort Professor?<br />
Die Stelle war ausgeschrieben, ich habe<br />
mich beworben und die Stelle bekommen.<br />
In Ihrem Buch geht es oft um intrinsische<br />
Motivation. Ein furchtbarer Begriff für etwas<br />
Schönes: Leute tun etwas, weil sie es gerne<br />
tun, und nicht des Geldes wegen. Sie lehren an<br />
einer Fachhochschule – weil Sie es gerne tun<br />
oder weil Sie nichts <strong>Besser</strong>es gefunden haben?<br />
(Lacht.) Grundsätzlich machen wir ja<br />
heute fast dasselbe wie die Universitäten, auch<br />
wir betreiben Forschung. Ich geniesse an der<br />
Fachhochschule viel Freiheit und schätze das<br />
sehr – auch sehe ich, dass ich dort Kollegen und<br />
Kolleginnen habe, die ebenfalls <strong>mit</strong> Leidenschaft<br />
lehren und forschen.<br />
Die Schulen für Gestaltung sind ja inzwischen<br />
in die Fachhochschulen integriert. Angehende<br />
Grafiker und Künstlerinnen müssen Forschung<br />
betreiben. Ist das nicht ein Blödsinn?<br />
Da wären wir wieder beim Thema sinnlose<br />
Wettbewerbe: Verglichen <strong>mit</strong> anderen Ländern<br />
gibt es in der Schweiz relativ wenig Aka<strong>dem</strong>iker<br />
und Aka<strong>dem</strong>ikerinnen. Die Schweiz soll<br />
in Zukunft im internationalen Vergleich besser<br />
Mathias Binswanger<br />
Nach einem Volkswirtschaftsstudium an der<br />
Uni St. Gallen promovierte Mathias Binswanger<br />
(48) 1992 in Kassel zum Dr. rer.<br />
pol. Seit 1998 Professor für Volkswirtschaftslehre<br />
und Finance an der Fachhochschule<br />
Nordwestschweiz. Stiftungsrats<strong>mit</strong>glied<br />
der Oikos-Stiftung.<br />
Neuste Publikationen: «Die Tretmühlen des<br />
Glücks – Wir haben immer mehr und<br />
werden nicht glücklicher. Was können<br />
wir tun?» Freiburg 2006. «Globalisierung<br />
und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand<br />
durch weniger Freihandel». Wien 2009.<br />
«Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer<br />
mehr Unsinn produzieren». Freiburg<br />
2010. 239 Seiten. Fr. 30.50<br />
dastehen, deshalb werden nun aka<strong>dem</strong>ische<br />
Lehrgänge kreiert, auch in Bereichen, wo es<br />
überhaupt nicht passt. Angefangen bei den<br />
Pflegeberufen bis zu den Leuten, die Gestaltung<br />
lernen möchten. Sie alle müssen Bachelor<br />
und Masterarbeiten schreiben, was bei diesen<br />
Berufen oft absurd ist; aber die Aka<strong>dem</strong>ikerquote<br />
der Schweiz steigt dadurch. Das führt zu<br />
sinnlos veraka<strong>dem</strong>isierten Ausbildungen, aber<br />
nicht zu besser ausgebildeten Leuten.<br />
Das Pflegepersonal profitiert doch, wenn es<br />
dank des Mastertitels eine höhere Reputation<br />
geniesst …<br />
Das ist Symptombekämpfung. Wieso<br />
hat man das Pflegepersonal überhaupt je abge<br />
wertet? Über Jahrzehnte haben wir ver<strong>mit</strong>telt<br />
bekommen, man brauche eine möglichst hohe<br />
Ausbildung. Viele Berufe lernt man besser in<br />
der Praxis. Das ist bekannt, trotz<strong>dem</strong> macht<br />
man jetzt genau das Gegenteil.<br />
Wie schafft man es, Handwerksberufen wieder<br />
einen höheren Status zu verleihen?<br />
Im Moment passiert genau das Umgekehrte:<br />
Diese Berufe leiden unter einem Imageproblem.<br />
Jeder, der irgendwie die Möglichkeit<br />
hat, studiert heute. Handwerkliche Lehren machen<br />
nur noch die, die kein Studium schaffen,<br />
da geht die Qualität in den Handwerksberufen<br />
deutlich zurück. Man muss die Berufslehren<br />
wieder aufwerten, weil das duale Bildungssystem<br />
ein bewährtes und ausgezeichnetes System<br />
darstellt. Eine Berufslehre sollte nicht weniger<br />
wert sein als ein Studium. Ich sage das als Professor<br />
einer Fachhochschule! Es war einer der<br />
grossen Vorteile der Schweiz, dass sie sich der<br />
ganzen Aka<strong>dem</strong>isierung in der Vergangenheit<br />
weitgehend entzogen hat.<br />
Wie hat die Fachhochschule auf Ihr Buch reagiert?<br />
Offiziell gab es keine Reaktion, denn die<br />
Freiheit von Lehre und Forschung gilt nach wie<br />
vor. Nicht wenige Kollegen haben mir aber ihre<br />
Zustimmung zu den im Buch vertretenen Thesen<br />
signalisiert.<br />
Sie sprechen von inszenierten Wettbewerben.<br />
Wie sind die überhaupt entstanden?<br />
Sie entstanden vor <strong>dem</strong> Hintergrund von<br />
simplen Botschaften, welche neoliberale Ökonomen<br />
wie Milton Friedman verbreitet haben:<br />
Markt ist gut, und Staat ist schlecht. Am Anfang<br />
hatten die FriedmanAnhänger wie die Regierung<br />
Thatcher zu Beginn der achtziger Jahre<br />
die Idee, man könne überall Markt einführen,<br />
zum Beispiel auch in der Forschung. Doch es<br />
zeigte sich bald, dass die Grundlagenforschung<br />
auf diese Weise verschwindet. Also hiess es danach:<br />
Wenn schon kein Markt, dann kann man<br />
doch wenigstens Wettbewerb einführen, um<br />
da<strong>mit</strong> auch ohne Markt Effizienz herzuzaubern.<br />
Man hat nicht gemerkt, dass das eigentlich<br />
ein Rückfall in die Planwirtschaft ist.<br />
Schon Lenin hat Anfang der zwanziger Jahre<br />
gesagt: Jetzt, wo wir die Revolution haben,<br />
müssen wir anfangen, den Wettbewerb einzuführen.<br />
Damals war Markt aus ideologischen<br />
Gründen nicht möglich, aber trotz<strong>dem</strong> wollte<br />
man Effizienz – und ist kläglich gescheitert.<br />
Kein Wettbewerb ohne messbare Leistung.<br />
Nur, wie misst man zum Beispiel die Leistung<br />
eines Lehrers?<br />
Das ist genau das Problem, diese Messbarkeitsillusion.<br />
Wenn jemand Autoscheiben<br />
FilmTage Luzern: Menschenrechte<br />
Wirtschaft 7<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Mathias Binswanger: «Heute stehen alle, die sich ausserhalb des Markts bewegen – Lehrer, Ärzte,<br />
Wissenschaftler –, unter <strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung.» foto: LUKAS UNSELD<br />
10. bis 12. Dezember 2010 im stattkino | www.romerohaus.ch/filmtageluzern<br />
einbauen muss, lässt sich messen, wie viel er in<br />
einer Stunde schafft. Bei kreativen Leistungen<br />
funktioniert das nicht mehr. Man kann die<br />
Leute nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche zur<br />
Kreativität zwingen. Dadurch wird auch die intrinsische<br />
Motivation verdrängt: Die Leute, die<br />
die Arbeit eigentlich gerne machen, sind häufig<br />
die, die nach den messbaren Kriterien gar nicht<br />
so gut abschneiden – denen löscht es dann<br />
auch am schnellsten ab, und sie kündigen oder<br />
werden vertrieben. In der Medizin, der Wissenschaft<br />
und der Bildung ist man aber genau<br />
auf diese Leute angewiesen. Wer es nur fürs<br />
Geld macht, ist nicht der ideale Lehrer, Wissenschaftler<br />
oder Arzt.<br />
Verführen Leistungslöhne nicht grundsätzlich<br />
zum Lügen? Man darf ja nie eingestehen, dass<br />
man einen Fehler gemacht hat.<br />
Tatsächlich sind <strong>mit</strong> Leistungslöhnen<br />
die Anreize so gesetzt, dass es besser ist, wenn<br />
man lügt. Diese Kultur entsteht daraus, immer<br />
alle beurteilen zu müssen und ständig alles zu<br />
evaluieren. Man kann nicht jemanden einfach<br />
in Ruhe arbeiten lassen. Der Evaluationswahn<br />
ist unglaublich: Jeder muss immer wissen, wo<br />
er grad im Vergleich zu den anderen steht. Das<br />
ist aber Gift für die Kreativität.<br />
Wie kommt man da wieder raus?<br />
Man muss sich grundsätzlich von der<br />
Idee verabschieden, dass sich Qualität messen<br />
lässt. Zu<strong>dem</strong> sollte man nicht alle als potenzielle<br />
Drückeberger und Faulenzer behandeln.<br />
Die sogenannte Qualitätssicherung löst oft eine<br />
riesige Bürokratie aus, bringt aber nichts. Man<br />
belästigt alle <strong>mit</strong> Kontrollinstrumenten, die eigentlich<br />
nur für die fünf Prozent gedacht sind,<br />
die nicht korrekt arbeiten. Mit den wenigen,<br />
die immer wieder auffallen und für Reklamationen<br />
sorgen, soll man sich beschäftigen. Doch<br />
die überwiegende Mehrheit, die ihre Arbeit gut<br />
macht, die sollte man nicht ständig <strong>mit</strong> Massnahmen<br />
behelligen, die ihnen die Freude an der<br />
Arbeit verderben – und das dann als Qualitätskontrolle<br />
ausgeben.<br />
In Ihrem Buch sagen Sie: «Belohnungen sind<br />
Feinde der Neugier.» Sind Belohnungen schädlich?<br />
Es gibt ein schönes Beispiel: Wenn man<br />
den Kindern Aufgaben gibt und sie frei wählen<br />
lässt, wählen sie die schwierigen Aufgaben.<br />
Sobald man ihnen aber eine Belohnung in Aussicht<br />
stellt, wählen sie die leichten Aufgaben,<br />
weil sie die Belohnung bekommen wollen. Es<br />
gibt ja schon Ideen, man müsse Schüler, die gut<br />
abschneiden, für ihre gute Leistung bezahlen.<br />
Auch beim Lernen will man für immer mehr<br />
künstlichen Wettbewerb sorgen – da hat man<br />
sich ideologisch völlig verrannt.<br />
www.romerohaus.ch
Die NZZ als E-Paper inklusive iPad.<br />
Die «Neue Zürcher Zeitung» und die «NZZ am Sonntag» erhalten Sie jetzt als E-Paper<br />
<strong>mit</strong> iPad und attraktiven Extras: iPad Ihrer Wahl, Wireless Keyboard, Docking Station,<br />
li<strong>mit</strong>ierte NZZ-Schutzmappe sowie beide Zeitungen als E-Paper für 6 Monate.<br />
iPad 16 GB WiFi 3G<br />
Für nur CHF 900.– statt 1’213.–<br />
Inkl. allen Extras<br />
Bestellen Sie jetzt unter nzz.ch/ipad.<br />
iPad 32 GB WiFi 3G<br />
Für nur CHF 1’050.– statt 1’343.–<br />
Inkl. allen Extras<br />
iPad 64 GB WiFi 3G<br />
Für nur CHF 1’150.– statt 1’463.–<br />
Inkl. allen Extras
Wer arm ist, soll unten bleiben: Protest gegen die Erhöhung der Studiengebühren<br />
im Londoner Regierungsviertel Whitehall am 24. November. foto: Wayne Starr, KeyStone<br />
England<br />
Der Aufstand<br />
der Teenager<br />
Drei Aktionstage in drei Wochen und zwei Dutzend<br />
Besetzungen: Schon lange nicht mehr hat es eine<br />
so starke englische Schüler- und Studentinnenbewegung<br />
gegeben wie die gegen die Gebührenerhöhung.<br />
Und selten zuvor waren ihre Ziele so breit gefächert.<br />
Von PeTer STäuber, LonDon<br />
Das hätte man der Facebook-Generation nicht<br />
zugetraut. Weder eisige Kälte und Schnee<br />
noch die Aussicht, erneut von der Polizei eingekesselt<br />
und stundenlang festgehalten zu<br />
werden, konnten die StudentInnen abschrecken.<br />
Zu Tausenden zogen sie letzte Woche<br />
durch London, Manchester, Birmingham und<br />
andere Städte – es war die dritte landesweite<br />
Kundgebung innerhalb von drei Wochen. Die<br />
Pläne der konservativ-liberal<strong>dem</strong>okratischen<br />
Regierung, die Studiengebühren in England<br />
massiv zu erhöhen, haben die grösste Student-<br />
Innenbewegung seit Jahrzehnten entfacht.<br />
«Wir nutzen die elektronischen Medien zur<br />
Organisation der Proteste», erklärte Henry<br />
Parkyn-S<strong>mit</strong>h, der am Dienstag vergangener<br />
Woche auf <strong>dem</strong> Londoner Trafalgar Square<br />
<strong>dem</strong>onstrierte. «Das hat heute gut funktioniert.<br />
Bei der Demo letzte Woche konnte uns<br />
die Polizei einkesseln, aber heute haben wir<br />
mindestens fünf Absperrungen durchbrechen<br />
können. Das zeigt doch, wie stark unsere<br />
Bewegung ist.» Der Achtzehnjährige hat eben<br />
die Mittelschule abgeschlossen und will in<br />
einem Jahr <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Studium beginnen. Ein<br />
grosser Teil der DemonstrantInnen ist noch<br />
ein Stück jünger als er: SchülerInnen im Alter<br />
von fünfzehn und sechzehn Jahren, denen die<br />
Aussicht auf langjährige Schulden Sorgen bereitet,<br />
sind zuvorderst <strong>mit</strong> dabei.<br />
Ihre Befürchtungen sind<br />
berechtigt. So kritisiert der universitäre<br />
Thinktank Million+ in<br />
einer kürzlich veröffentlichten<br />
Studie die Pläne der Regierung.<br />
Anders als in Schottland, wo<br />
die schottisch-nationale Regionalregierung<br />
Studiengebühren<br />
ablehnt, sollen die Gebühren an<br />
englischen Universitäten von<br />
derzeit rund 3300 Pfund – umgerechnet<br />
5100 Franken – auf bis<br />
zu 9000 Pfund pro Jahr steigen.<br />
Diese Massnahme habe eine abschreckende<br />
Wirkung auf StudienanwärterInnen aus ärmeren<br />
Verhältnissen, hielt Million+ fest. Eine<br />
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />
Ipsos Mori kam zum selben Ergebnis: Schon<br />
eine Erhöhung auf jährlich 7000 Pfund hätte<br />
zur Folge, dass zwei Drittel aller potenziellen<br />
BewerberInnen aus der ärmsten sozialen<br />
Schicht auf ein Studium verzichten würden.<br />
Da<strong>mit</strong> – so sagen die Protestierenden – würde<br />
höhere Bildung wieder zum Privileg der Reichen,<br />
wie es vor Jahrzehnten der Fall war.<br />
Vom Widerstand überrascht<br />
Die studentische<br />
Protestbewegung<br />
sucht den<br />
Schulterschluss<br />
<strong>mit</strong> anderen<br />
Gruppierungen.<br />
Dass die Gebührenerhöhung eine solch starke<br />
Reaktion hervorruft, hat viele PolitikerInnen<br />
verblüfft – nicht zuletzt die Liberal<strong>dem</strong>okrat-<br />
Innen, die während des Wahlkampfs noch<br />
versprochen hatten, eine Erhöhung abzulehnen.<br />
Doch nun wird zumindest ein Teil von<br />
ihnen <strong>dem</strong> Vorhaben zustimmen. Kein Wunder,<br />
richtet sich der Zorn der StudentInnen<br />
gegen die Liberal<strong>dem</strong>okratInnen im Kabinett,<br />
allen voran gegen den Parteivorsitzenden und<br />
Vizepremier Nick Clegg. Aber auch die Konservativen<br />
sind Ziel der Proteste, wie sich am<br />
ersten Aktionstag Mitte November zeigte, als<br />
Jugendliche die Tory-Parteizentrale stürmten.<br />
«Wir werden unsere Kampagne noch verschärfen»,<br />
verspricht Clare Solomon, Präsidentin<br />
der Studierendenvertretung der<br />
University of London, «wir werden vermehrt<br />
<strong>dem</strong>onstrieren und zu direkten Aktionen<br />
greifen.» In den letzten Wochen ist die 37-Jährige,<br />
die erst nach Jahren im Beruf ein Studium<br />
aufnahm, zur Anführerin des radikaleren<br />
Flügels der Protestbewegung aufgestiegen.<br />
«Wir haben die National Union of Students<br />
NUS [den Dachverband der Student Innen]<br />
links überholt», sagt Solomon, «jetzt bleibt<br />
ihr nichts übrig, als nachzuziehen.» So unterstützt<br />
die NUS seit ein paar Tagen alle Formen<br />
des friedlichen Protests – auch die Besetzungen<br />
von zwei Dutzend Universitäten im<br />
Land. Seit über zwei Wochen okkupieren Studierende<br />
in Newcastle, Leeds, London, Cambridge<br />
und anderen Orten ihre Hochschulen.<br />
Die BesetzerInnen geniessen dabei breite Unterstützung.<br />
Universitätsangestellte und DozentInnen<br />
bekunden ihre Sympathie und beteiligen<br />
sich zum Teil an dieser Form des Protests,<br />
denn parallel zur Gebührenerhöhung<br />
kürzt die Regierung die staatlichen Zuschüsse<br />
zu den Lehrbudgets um durchschnittlich<br />
achtzig Prozent. Renommierte Einrichtungen<br />
wie die London School of Economics, die Ende<br />
vergangener Woche besetzt wurde, oder die<br />
London School of Oriental and African Studies<br />
(SOAS) bekommen möglicherweise gar<br />
nichts mehr. Die Gebühren werden dort entsprechend<br />
stark angehoben.<br />
Die StudentInnenvereinigung der SOAS<br />
zählt zu den politisch aktivsten. Sie engagiert<br />
sich seit langem in der Umwelt- und der Antikriegsbewegung<br />
und lancierte 2007 eine<br />
Kampagne <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel, eine angemessene<br />
International 9<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Bezahlung für das Putzpersonal durchzusetzen.<br />
Sie war genauso erfolgreich da<strong>mit</strong><br />
wie die Studierenden des University College<br />
London, die zu Beginn ihrer Besetzung einen<br />
höheren Mindestlohn für die schlecht<br />
bezahlten Hilfskräfte verlangten. Die Forderungen,<br />
die die SOAS-BesetzerInnen jetzt an<br />
die Universitätsleitung richten, zeigen, dass<br />
es den Studierenden um weit mehr geht als<br />
nur die Gebühren: «Wir sind gegen alle Ausgabenkürzungen<br />
im öffentlichen Dienst und<br />
bei den Sozialstaatseinrichtungen», heisst<br />
es in ihrer Stellungnahme. Stattdessen solle<br />
sich die Regierung gefälligst «<strong>mit</strong> Steuerhinterziehung<br />
und Bankerboni befassen».<br />
«Die Regierung darf sich fürchten»<br />
Da die Regierung die höheren Studiengebühren<br />
und die Demontage des Wohlfahrtsstaats<br />
<strong>mit</strong> der Notwendigkeit des Defizitabbaus<br />
begründet, suchen die StudentInnen<br />
den Schulterschluss <strong>mit</strong> anderen Gruppierungen.<br />
Denn nach einem zögerlichen Start<br />
kommt nun eine breite Widerstandsbewegung<br />
ins Rollen: Ende November fand die<br />
Gründungskonferenz der sogenannten Coalition<br />
of Resistance statt, die die diversen Kampagnen<br />
gegen Ausgabenkürzungen in allen<br />
Sektoren koordiniert. Initiiert<br />
hat die Koalition der grosse alte<br />
Mann der britischen Linken,<br />
der <strong>mit</strong>tlerweile 85 Jahre alte<br />
frühere Technologie-, Industrie-<br />
und Energieminister Tony Benn.<br />
Die Konferenz erhielt grossen<br />
Zuspruch: 1300 Gewerkschafts<strong>mit</strong>glieder<br />
aus allen Branchen,<br />
Aka<strong>dem</strong>iker und Schülerinnen,<br />
VertreterInnen der Rentnerverbände<br />
und Labour-Abgeordnete,<br />
AntikriegsaktivistInnen und<br />
Kulturschaffende trafen sich in<br />
London, um <strong>dem</strong> Widerstand gegen das Kürzungsprogramm<br />
einen ersten Schub zu verpassen.<br />
An einem Erfolg zweifeln weder die Konferenzteilnehmer<br />
noch die Studentinnen.<br />
Ihre bisher grösste Demonstration ist für diesen<br />
Donnerstag geplant – dann stimmen die<br />
Unterhausabgeordneten über die Studiengebühren<br />
ab. Die Coalition of Resistance erwartet,<br />
dass zahlreiche Gewerkschaften die SchülerInnen<br />
und Studierenden unterstützen. So<br />
haben Londoner StudentInnenvertretungen<br />
und die gewerkschaftlich organisierten Londoner<br />
U-Bahn-ArbeiterInnen eine Erklärung<br />
verfasst: Sie werden künftig gemeinsam zu<br />
den Protesten gegen Gebührenerhöhungen<br />
und den Stellenabbau in der Londoner Underground<br />
mobilisieren. «Die Regierung hat allen<br />
Grund, sich zu fürchten», hofft Henry Parkyn-S<strong>mit</strong>h.<br />
«In der Vergangenheit standen<br />
Studentenbewegungen oft am Anfang von<br />
grösseren gesellschaftlichen Umwälzungen.<br />
Das wird auch diesmal so sein.»<br />
Flashmobs in britanniEn<br />
Gegen Steuerbetrug<br />
Letzten Samstag waren sie wieder unterwegs:<br />
In mehreren Städten marschierten jeweils<br />
ein Dutzend AktivistInnen in 22 Filialen der<br />
Modekette Topshop. Sie verteilten Flugblätter,<br />
pappten sich <strong>mit</strong> Spezialkleber an Fenster<br />
und Türen fest oder zogen den Schaufensterpuppen<br />
«Steuerschwindler»-T-Shirts über.<br />
Topshop ist Teil der Arcadia-Handelsgruppe<br />
des Milliardärs und Regierungsberaters Philip<br />
Green, der den Konzern seiner Frau überschrieben<br />
hat. Und die hat ihren Wohnsitz in<br />
der Steueroase Monaco.<br />
Vor ein paar Wochen hatten die Flashmobs<br />
der Initiative UK Uncut, die sich <strong>dem</strong><br />
Kürzungsprogramm der Regierung und den<br />
von ihr akzeptierten Steuerschlupflöchern<br />
widersetzt, Vodafone-Shops besucht. Der<br />
Mobilfunkkonzern spart dank eines Deals<br />
<strong>mit</strong> den Finanzämtern umgerechnet 9,3<br />
Milliarden Franken an Steuergeldern. Insgesamt<br />
entgehen <strong>dem</strong> britischen Fiskus schätzungsweise<br />
jährlich 109 Milliarden Franken<br />
durch illegale Steuerhinterziehung und 39<br />
Milliarden durch legale Steuervermeidung<br />
wie die Verlagerung von Konzernzentralen.<br />
Vergangene Woche hat der US-Konzern Kraft<br />
bekannt gegeben, dass er den Sitz seiner britischen<br />
Tochtergesellschaft Cadbury’s aus<br />
Steuergründen in die Schweiz verlegt – und<br />
das <strong>mit</strong> Zustimmung einer Regierung, die vor<br />
allem die Armen für die Bankenrettung bluten<br />
lässt. Doch <strong>mit</strong>tlerweile spüren die Unternehmen<br />
den überaus populären Protest: Die<br />
UK-Uncut-Aktion hat Vodafones Image, so ergaben<br />
Umfragen, ziemlich lädiert. Pw<br />
www.ukuncut.org.uk
Kommentar von Ruedi Küng<br />
Die Spaltung des<br />
Landes hat eine<br />
unheilvolle Tradition<br />
Der bisherige Staatspräsident der Elfenbeinküste klammert sich<br />
an seinem Amt fest und riskiert dafür einen neuen Krieg.<br />
Vorbilder dafür gibt es auf <strong>dem</strong> afrikanischen Kontinent leider viele.<br />
Zwei Politiker, die sich Beifall klatschen: Laurent gbagbo, der sich zum Wahlsieger ernannt hat,<br />
und Alassane ouattara, der offizielle Sieger. fotos: Keystone<br />
Der Staatsstreich in der Elfenbeinküste (Côte<br />
d’Ivoire) hatte <strong>mit</strong> einem Handstreich begonnen.<br />
Damana Pickass aus <strong>dem</strong> Kreis des bisherigen<br />
Präsidenten Laurent Gbagbo riss am 1. Dezember<br />
<strong>dem</strong> Sprecher der ivorischen Wahlkommission<br />
CEI, Bamba Yacouba, die Zettel <strong>mit</strong> den<br />
Teilresultaten der Stichwahl um das Präsidentenamt<br />
aus der Hand, als dieser sie öffentlich<br />
verkünden wollte. Die Resultate deuteten auf<br />
einen Sieg von Alassane Dramane Ouattara hin.<br />
Gbagbos Getreuen gelang es, die CEI daran<br />
zu hindern, die Wahlresultate innerhalb von<br />
drei Tagen zu veröffentlichen, wie es das Wahlgesetz<br />
vorschreibt. Sie behaupteten, die Resultate<br />
seien in sieben Verwaltungsbezirken des<br />
Nordens, wo Ouattara am meisten Anhänger<br />
Innen hat, gefälscht worden. Dennoch verkündete<br />
die CEI am 2. Dezember den Sieg Ouattaras<br />
<strong>mit</strong> 54 Prozent der Stimmen. Ouattara wurde<br />
daraufhin als neuer Präsident vereidigt.<br />
Laurent Gbagbo beeindruckte das jedoch<br />
nicht. Er liess sich gleichentags vom Verfassungsrat<br />
zum Wahlsieger (<strong>mit</strong><br />
angeblich 51,45 Prozent der<br />
Stimmen) ausrufen und legte<br />
kurz darauf den Amtseid ab. Seither<br />
hat die Elfenbeinküste zwei<br />
Präsidenten und zwei Premierminister,<br />
die jeweils den Auftrag<br />
haben, eine Regierung zu bilden.<br />
Und Gbagbos kalter Staatsstreich<br />
droht zu einem heissen Konflikt<br />
zu eskalieren.<br />
Die Präsidentenwahl in der<br />
Elfenbeinküste erinnert unheilvoll<br />
an die Ereignisse in Kenia<br />
Laurent Gbagbos<br />
kalter Staatsstreich<br />
droht<br />
zu einem heissen<br />
Konflikt<br />
zu eskalieren.<br />
2007/08. Damals verfolgte Kenias Bevölkerung<br />
am Bildschirm die Wahlergebnisse, die aus den<br />
Wahlkreisen des Landes im Wahlzentrum eintrafen.<br />
Als sich der Sieg von Raila Odingas Oppositionspartei<br />
abzeichnete, wurde die Fernsehübertragung<br />
der Hochrechnungen plötzlich<br />
gestoppt. In einer NachtundNebelAktion<br />
liess Amtsinhaber Mwai Kibaki im staatlichen<br />
Radio und im Fernsehen seinen Sieg bekannt<br />
geben und sich wenig später für eine weitere<br />
Amtszeit vereidigen. Kibaki löste so eine Spirale<br />
ethnisch motivierter Gewalt aus. Um ihren<br />
Sieg betrogene Politiker hetzten gewalttätige<br />
Banden gegen BürgerInnen, die Kibakis Volksgruppe<br />
der Kikuyu angehörten. Radikale Kikuyus<br />
wiederum rächten sich an den Volksgruppen<br />
von Raila Odinga und dessen Verbündeten.<br />
Weit über tausend Menschen wurden getötet,<br />
bis zu 200 000 vertrieben.<br />
Auch in der Elfenbeinküste sind radikale<br />
ParteianhängerInnen Gbagbos und Ouattaras<br />
bereits gewalttätig gegen GegnerInnen vorgegangen.<br />
Bisher wurden dabei rund zwanzig<br />
Menschen getötet.<br />
Laurent Gbagbo will die Macht nicht abgeben,<br />
so wenig wie es Mwai Kibaki tat. Oder<br />
Simbabwes Robert Mugabe, der nach der Niederlage<br />
bei den Parlamentswahlen 2008 seine<br />
Schergen in der Polizei und <strong>dem</strong> Militär so lange<br />
auf die Oppositionellen hetzte, bis diese resignierten.<br />
Auch Ugandas Yoweri Museveni will<br />
von der Macht nicht lassen, nicht Äthiopiens<br />
Meles Zenawi, nicht Hosni Mubarak von Ägypten,<br />
nicht Angolas José Eduardo Dos Santos –<br />
Vorbilder gibt es für Gbagbo in Afrika viele.<br />
Gbagbo bekämpft Ouattara <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Argument,<br />
dieser habe 2002 den Bürgerkrieg des<br />
Nordens gegen den Süden ausgelöst, der das<br />
Land gespalten hat. Es ist ihm offenbar egal,<br />
dass er <strong>mit</strong> seinem Machtanspruch jetzt den<br />
langwierigen und delikaten Friedensprozess<br />
seit 2007 zunichte macht und einen neuen Konflikt<br />
entfacht.<br />
Derweil versuchen die umliegenden<br />
Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />
auf Ersuchen der Uno, die ivorische<br />
Krise beizulegen. Dass sie dabei Ouattara klar<br />
als Wahlsieger anerkennen und Gbagbo zum<br />
Rücktritt auffordern, ist erfreu<br />
lich mutig, macht aber ihre Aufgabe<br />
nicht leichter. Denn dieser<br />
will von Ver<strong>mit</strong>tlung nichts wissen,<br />
geschweige denn von Rücktritt.<br />
Von einer Machtteilung<br />
der gegnerischen Lager, wie dies<br />
im Falle Kenias und Simbabwes<br />
geschah, halten die Ver<strong>mit</strong>tler<br />
Innen nichts. Nach äusserst zähen<br />
Verhandlungen waren dort<br />
«Regierungen der nationalen<br />
Einheit» der verfeindeten Machtblöcke<br />
gebildet worden – <strong>mit</strong><br />
sehr beschränktem Resultat in Kenia und kläglichem<br />
Ergebnis in Simbabwe. Doch wie <strong>dem</strong><br />
Machtanspruch Gbagbos begegnet werden soll,<br />
bleibt unklar.<br />
Zur ivorischen Politik gehört, dass es<br />
die Bevölkerung als das Beste erachtet, den<br />
Vertreter der jeweils eigenen Volksgruppe zu<br />
wählen. So bestimmen drei Politiker – Konan<br />
Bédié, Laurent Gbagbo und Alassane Ouattara<br />
– seit fünfzehn Jahren direkt oder indirekt<br />
die Geschicke des westafrikanischen Landes.<br />
1995 schaltete Bédié <strong>mit</strong> seiner rassistischen<br />
Politik Gbagbo und Ouattara aus und übernahm<br />
die Macht. Fünf Jahre später hievte sich<br />
Gbagbo <strong>mit</strong> derselben rassistischen Politik<br />
und der Ausschaltung Ouattaras ins höchste<br />
Amt und hat es seither trotz der Rebellion im<br />
Norden 2002 und der Spaltung des Landes<br />
inne. Dass es nun an Ouattara ist, zu regieren,<br />
entspricht <strong>dem</strong> Resultat der jüngsten Wahlen,<br />
die von Beob achterInnen als die bisher fairsten<br />
betrachtet werden. Ob Ouattara sein Amt antreten<br />
und die Aufgabe übernehmen kann, das<br />
ruinierte Land wieder auf die Beine zu bringen,<br />
ist fraglich. Denn Gbagbo klammert sich an die<br />
Macht. Um jeden Preis.<br />
militäreinSatz in Spanien<br />
General Franco lässt grüssen<br />
Keine Frage: Die harten Massnahmen der sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />
PSOERegierung gegen<br />
die FluglotsInnen kommen bei der spanischen<br />
Bevölkerung gut an. Zu Beginn des längsten<br />
Ferienwochenendes des Jahres hatten neunzig<br />
Prozent der in der Fluglotsengewerkschaft Usca<br />
organisierten Beschäftigten die Arbeit niedergelegt<br />
oder waren gar nicht zum Dienst erschienen.<br />
So herrschte auf den spanischen Flughäfen<br />
zwei Tage lang Chaos. 4410 Flüge fielen aus,<br />
rund 650 000 Passagiere sassen am Boden fest.<br />
Ein gutes Timing, könnte man meinen.<br />
Doch den Zeitpunkt der Auseinandersetzung<br />
hatte – nicht ohne Hintergedanken – die Regierung<br />
bestimmt. Seit Anfang Jahr liegt die Usca<br />
<strong>mit</strong> der staatlichen Flughafengesellschaft Aena<br />
und der Regierung im Clinch. Im Februar hatte<br />
Transportminister José Blanco angekündigt,<br />
dass er die Gehälter senken und die Arbeitszeit<br />
von 1200 auf 1670 Stunden im Jahr verlängern<br />
wolle. Dadurch – und durch den Abbau von<br />
Überstunden – hoffte die Regierung, die Kosten<br />
für einen Arbeitsplatz von durchschnittlich<br />
350 000 auf 200 000 Euro zu drücken. Die spanischen<br />
FlugraumüberwacherInnen verdienen<br />
da<strong>mit</strong> zwar immer noch mehr als viele ihrer<br />
europäischen KollegInnen und weitaus mehr<br />
als die grosse Mehrheit der Bevölkerung, deren<br />
Monatslohn bei durchschnittlich 1500 Euro<br />
«Stuttgart 21»<br />
Stresstest für Grüne<br />
Mit seinem Schlichterspruch zum umstrittenen Projekt für den Neubau<br />
des Stuttgarter Hauptbahnhofs hat sich der CDUPolitiker Heiner Geissler<br />
der Macht gebeugt und möglicherweise seine Partei gerettet.<br />
Von PiT Wuhrer, KonSTanz<br />
Es sollte ein «<strong>dem</strong>okratisches Experiment»<br />
werden, ein Lehrstück für den richtigen Umgang<br />
des Staates und der Politik <strong>mit</strong> den BürgerInnen.<br />
Ein Lehrstück waren die achttägigen<br />
Schlichtungsgespräche, bei denen fast alle<br />
KontrahentInnen des umstrittenen Immobilien<br />
und Bahnhofprojekts «Stuttgart 21» (S21)<br />
an einem Tisch sassen, in der Tat – denn sie<br />
zeigten, wer die Macht hat. So tauchten im Verlauf<br />
des Gesprächsmarathons zwar viele Fakten<br />
auf, die die Kritik am milliardenteuren Tiefbahnhof<br />
(siehe WOZ Nr. 32/10) untermauerten.<br />
Zwar wurde auch sehr sachlich argumentiert.<br />
Aber dann, gegen Ende des Schlagabtauschs,<br />
formulierte Bahnvorstands<strong>mit</strong>glied Volker Kefer<br />
ein paar Sätze, die klar machten, welchen<br />
Zweck die Schlichtung für den Bund, das Land,<br />
die Stadt und die Deutsche Bahn AG vor allem<br />
hatte: Sie sollte <strong>dem</strong> Protest die Spitze nehmen.<br />
Therapeutische veranstaltung<br />
«Wir haben die Rechtstitel», sagte Kefer in die<br />
Runde und den Hunderttausenden, die die<br />
Liveübertragung der Schlichtung vor <strong>dem</strong><br />
Fernseher verfolgten, und: «Wir werden jeden<br />
Prozess führen, um unsere Ansprüche durchzusetzen.»<br />
Mit anderen Worten: Die Verträge<br />
und Beschlüsse der politischen Gremien und<br />
Gerichte sind bindend, wir klagen sie ein, und<br />
die ProjektgegnerInnen können uns den Buckel<br />
runterrutschen.<br />
Schon von daher, kritisierte beispielsweise<br />
die «Süddeutsche Zeitung», war der Dialog<br />
«von Anfang bis Ende eine asymmetrische Veranstaltung»;<br />
sie war «therapeutisch angelegt,<br />
nicht offen». Dazu kam, dass Moderator Heiner<br />
Geissler (CDU) zwar eine Debatte über die Mängel<br />
des Projekts (etwa die Behindertenfeindlichkeit<br />
des Tiefbahnhofkonzepts) zuliess, die<br />
grossen Themen aber aussparte. Beispielsweise<br />
die Auswirkungen von S21 auf andere Schienenverkehrsprojekte<br />
– wie den dringend benötigten<br />
Ausbau der Rheintalstrecke zwischen<br />
Karlsruhe und Basel (ohne den der Gotthardbasistunnel<br />
eine innerschweizerische Angelegenheit<br />
bleibt) oder der Gäubahn, die Stuttgart und<br />
Zürich verbindet. Die Milliarden, die in den<br />
Stuttgarter Untergrund gebuttert werden sollen,<br />
fehlen für viel wichtigere Vorhaben.<br />
«nachbesserungen»<br />
Entsprechend widersprüchlich war am Schluss<br />
Geisslers nicht bindendes Fazit. Er plädierte<br />
für Nachbesserungen an S21, lehnte aber einen<br />
Baustopp ab (die Bahn darf auf Basis ihrer<br />
alten Pläne weiterbauen). Er empfahl einen<br />
Stresstest, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> am Computer die von der<br />
international 11<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
brutto liegt. Aber widerspruchslos wollten sie<br />
den Abbau nicht hinnehmen – zumal die Kürzungen<br />
in Zusammenhang <strong>mit</strong> einer geplanten<br />
Privatisierung der Flughäfen stehen.<br />
Die Verhandlungen zogen sich hin – bis<br />
die Regierung am vergangenen Freitag eine<br />
neue Dienstzeitenregelung per Dekret verordnete<br />
und obendrein ankündigte, die Grossflughäfen<br />
Madrid und Barcelona einem privaten<br />
Management zu unterstellen. Als den<br />
LotsInnen daraufhin der Kragen platzte, rief<br />
die Regierung – die sich nach wie vor «sozialistisch»<br />
nennt – erstmals seit <strong>dem</strong> Ende der<br />
FrancoDiktatur den Ausnahmezustand aus:<br />
Sie übertrug <strong>dem</strong> Militär die Luftraumüberwachung.<br />
Daraufhin stürmten Soldaten die<br />
Kontrolltürme und zwangen die LotsInnen <strong>mit</strong><br />
vorgehaltener Waffe zur Arbeit. Die Beschäftigten<br />
wurden zu<strong>dem</strong> der Militärgerichtsbarkeit<br />
unterstellt. Bei Zuwiderhandlung drohen<br />
Haftstrafen von bis zu zehn Jahren.<br />
Die Ausnahmeregeln werden vermutlich<br />
bis über Weihnachten gelten; die Regierung hat<br />
lautstark versichert, dass während der Feiertage<br />
alle LotsInnen auf ihren Posten sind. Bleibt<br />
die Frage, was <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> bereits angekündigten<br />
Streik der PilotInnen passiert. Wird denen<br />
dann auch das Militär auf den Hals geschickt?<br />
DoroT hea Wuhrer, SeV i LLa<br />
Bahn versprochene Leistungssteigerung des<br />
geplanten Tiefbahnhofs simuliert werden soll –<br />
obwohl die Gespräche ergeben haben, dass die<br />
Bahn Zahlen und Untersuchungsergebnisse<br />
meist unter Verschluss hält. Einen Tag nach<br />
<strong>dem</strong> Schlichtungsspruch nahm CDULandesverkehrsministerin<br />
Tanja Gönner das Ergebnis<br />
auch gleich vorweg: Das gehe schon glatt.<br />
Zu<strong>dem</strong> ignorierte Geissler die ökologischen,<br />
verkehrspolitischen und finanziellen<br />
Vorteile einer Modernisierung des bestehenden<br />
Kopfbahnhofs und sprach sich stattdessen<br />
für die Einrichtung einer Stiftung aus. Sie soll<br />
verhindern, dass die hundert Hektaren grosse<br />
innerstädtische Fläche – die durch die Tieflegung<br />
des Bahnhofs frei wird – SpekulantInnen<br />
anheimfällt. Was für ein Widersinn, was für<br />
ein Placebo: Die Grundstücke gehören <strong>mit</strong>tlerweile<br />
der Stadt. Was soll da eine Stiftung, in der<br />
«Bürger, Gemeinderäte und neutrale Dritte»<br />
die Kontrolle haben? Ist die parlamentarische<br />
Demokratie in Stuttgart so auf den Hund gekommen?<br />
Und falls ja: Warum dürfen dann die<br />
StuttgarterInnen nicht per Volksentscheid über<br />
ein Projekt befinden, das ein Kernstück der von<br />
der schwarzgelben Koalition in Berlin weiter<br />
betriebenen Bahnprivatisierung ist?<br />
Cdu gewinnt an Boden<br />
Sein Spruch hatte dennoch die erhoffte Wirkung:<br />
In den letzten Umfragen konnten die S21<br />
BefürworterInnen Boden gutmachen, die CDU<br />
gewann etliche Prozente hinzu. Das stürzt die<br />
Grünen, die sich erst spät zur S21Opposition<br />
gesellten, in ein Dilemma. Sie verdanken ihren<br />
Popularitätszuwachs vor allem enttäuschten<br />
CDUund FDPWählerInnen, die nach Geisslers<br />
Fazit einen weiteren Widerstand gegen S21<br />
kaum goutieren dürften. Man be grüsse das<br />
Schlichtungsergebnis, hiess es daher am vergangenen<br />
Wochenende auf <strong>dem</strong> grünen Landesparteitag<br />
in Freiburg. Sollte sich die Partei<br />
(die nach der Landtagswahl Ende März 2011<br />
den Ministerpräsidenten stellen will) da<strong>mit</strong><br />
begnügen, verliert sie jedoch den Rückhalt der<br />
S21GegnerInnen. Und die kommen aus allen<br />
sozialen Schichten.<br />
Am vergangenen Samstag hatte die Stuttgarter<br />
Initiative der ParkschützerInnen – die an<br />
den Gesprächen nicht teilnahm – rund 10 000<br />
DemonstrantInnen gegen S21 und den Schlichterspruch<br />
mobilisieren können. Jetzt hängt alles<br />
davon ab, wie viele Menschen am kommenden<br />
Samstag <strong>dem</strong> Aufruf des Aktionsbündnisses<br />
folgen. Sind es mehrere Zehntausend, ist<br />
alles wieder offen.<br />
Samstag, 11. dezember, 14 uhr: grosskundgebung<br />
und <strong>dem</strong>o gegen S21. vor <strong>dem</strong> Hauptbahnhof
12 International<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
reklame<br />
Klimawandel und megastädte<br />
Der<br />
Cucaracha-<br />
Effekt<br />
Vor zwanzig Jahren galt Mexiko-Stadt als die<br />
giftigste Stadt der Welt. Inzwischen hat<br />
die Stadtregierung einiges verändert und<br />
ein ehrgeiziges Programm zum Klimaschutz<br />
entwickelt.<br />
Von BErnharD PöttEr, MExIko-StaDt<br />
Der Blick über die Müllkippe von Mexiko-Stadt<br />
reicht bis zum Horizont. Kilometerweit Sand<br />
und Erde, Kräuter und Traktorspuren: Bordo<br />
Poniente wirkt mehr wie eine vernachlässigte<br />
Wüste als wie ein Ort, an <strong>dem</strong> der Dreck von<br />
über zwanzig Millionen Menschen abgeladen<br />
wird. Nur in der Nähe der Eingangstore, wo<br />
die fünfzehn Meter mächtige Müllschicht noch<br />
nicht <strong>mit</strong> Sand bedeckt ist, sieht und riecht<br />
man, dass hier täglich 38 000 Tonnen Plastikmüll,<br />
Speisereste, Schutt und Dreck ankommen.<br />
Über <strong>dem</strong> Müllgebirge hängen Vogelschwärme,<br />
unten verschieben Bagger die Massen, dazwischen<br />
suchen Menschen nach Verwertbarem.<br />
Doch da<strong>mit</strong> ist bald Schluss. Bordo Poniente<br />
ist voll und soll in einem Jahr geschlossen<br />
werden. Ein kleiner Schritt in Richtung mehr<br />
Klimaschutz. Denn die riesige Deponie produziert<br />
grosse Mengen des Faulgases Methan,<br />
das bis jetzt abgefackelt oder als Klimagift in<br />
die Atmosphäre entlassen wird. Künftig soll<br />
es aufgefangen werden, in einem Kraftwerk<br />
Strom erzeugen und der Atmosphäre jährlich<br />
1,4 Millionen Tonnen CO2 ersparen. Die Pläne<br />
sind gemacht, der Zeitplan steht. Zur Umsetzung<br />
fehlen jedoch die technische Hilfe aus<br />
<strong>dem</strong> Ausland, Investitionskapital und staatliche<br />
Subventionen.<br />
4,5 Millionen Autos<br />
Mexiko-Stadt hat in den letzten zwanzig Jahren<br />
einen dramatischen Wandel durchgemacht:<br />
von der «giftigsten Stadt der Welt», wo die Vögel<br />
bei Smog tot vom Himmel fielen, zu einer<br />
Kommune, die von der Weltbank als Vorreiterin<br />
im Kampf gegen den Klimawandel gelobt<br />
wird. Der weitere Erfolg hängt von zwei Faktoren<br />
ab: Bekommt die Stadt ihr wahnwitziges<br />
Wachstum in den Griff? Und bekommt sie genügend<br />
Geld zur Umsetzung ihrer Projekte?<br />
Die Vision von einem schönen neuen Mexiko-Stadt<br />
hängt im Büro von Martha Delgado.<br />
Sie ist die Umweltministerin der Metropole. Der<br />
Blick aus ihrem Bürofenster im Rathaus fällt<br />
meist in einen grau verschleierten, diesigen<br />
Himmel. Auf <strong>dem</strong> Foto an der Wand allerdings<br />
Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den<br />
Recherchierfonds des Förder vereins ProWOZ.<br />
Dieser Fonds unterstützt Recherchen und<br />
Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten<br />
der WOZ übersteigen. Er speist sich aus<br />
Spenden der WOZ-Leser Innen.<br />
Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich,<br />
PC 80-22251-0<br />
zeigt sich die Stadt unter tiefblauem Himmel<br />
<strong>mit</strong> klarem Blick auf zwei schneebedeckte Vulkane<br />
– und weil das so selten vorkommt, ist das<br />
Foto datiert: 20. Februar 2010. «Wir planen die<br />
Revolution», sagt Delgado energisch, «denn so<br />
kann es nicht weitergehen.»<br />
Nur noch jeden zweiten Tag<br />
Was sie <strong>mit</strong> «so» meint, zeigt sich täglich auf<br />
den Strassen der Megastadt. Auf der zentralen<br />
Nord-Süd-Achse Avenida Insurgentes drängen<br />
sich auf sechs Spuren hupend<br />
Taxis, Minibusse, Baumaschinen,<br />
rostige Pick-up-Trucks und bullige<br />
Geländewagen. Zwischendrin<br />
versuchen PolizistInnen,<br />
<strong>mit</strong> viel Getriller das Chaos zu<br />
kontrollieren. Auf den engen<br />
Trottoirs schiebt sich eine Menschenmasse<br />
an den Autowerkstätten,<br />
Schnellrestaurants und<br />
fliegenden HändlerInnen vorbei.<br />
Durch alle Strassen fahren die<br />
Autolawinen im Schritttempo.<br />
Für die Menschen ist es normal,<br />
dass sie morgens und abends jeweils<br />
zwei Stunden zur Arbeit pendeln.<br />
Doch gerade hier ist auch Delgados Revolution<br />
unterwegs: In der Mitte der Strasse rauschen<br />
feuerrote Gelenkbusse auf einer eigenen<br />
Spur am Stau vorbei. Die Metrobusse gehören<br />
zum Plan der Stadtverwaltung, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bürgermeister<br />
Marcelo Ebrard Casaubon versucht,<br />
den Verkehr in den Griff zu bekommen. Denn<br />
fast die Hälfte aller klimaschädigenden Gase<br />
in Mexiko-Stadt kommt aus den Auspuffen<br />
der 4,5 Millionen Autos. Ebrard und Delgado<br />
haben versprochen, die Hauptstadt werde bis<br />
2012 ihre Emissionen um zwölf Prozent senken.<br />
In Mexiko-Stadt ist es gegenwärtig vier Grad<br />
Celsius wärmer als noch vor hundert Jahren: einerseits,<br />
weil die Stadt so schnell gewachsen ist<br />
und die Hitze speichert, andererseits wegen des<br />
Klimawandels.<br />
Die Entgiftungskur hat Mexiko-Stadt<br />
schon geschafft: Die Verwaltung vertrieb Mitte<br />
der neunziger Jahre die Bleischmelzen und die<br />
Ölraffinerie aus der Stadt und verbot verbleites<br />
Benzin. Seit<strong>dem</strong> sind die Werte für Schwefel,<br />
Blei, Ozon und Feinstaub massiv gesunken. Die<br />
Stadtverwaltung verweist stolz darauf, dass<br />
man die Grenzwerte für Ozon und Feinstaub<br />
nur noch jeden zweiten Tag überschreite. Sie<br />
baut die U-Bahn aus und fördert den <strong>Bus</strong>verkehr,<br />
hat alte Fahrzeuge aus <strong>dem</strong> Verkehr gezogen<br />
und will ein anderes Müllkonzept <strong>mit</strong><br />
mehr Recycling.<br />
Aber beim Kampf gegen die klimaschädigenden<br />
Gase braucht Mexiko-Stadt finanzielle<br />
Spenden Sie, da<strong>mit</strong> Pascal dabei sein kann.<br />
Smog bleibt ein Problem für Mexiko-Stadt – trotz verbessertem Umweltschutz. foto: Jorge Uzon, keystone<br />
Feuerrote<br />
Gelenkbusse<br />
rauschen auf<br />
einer eigenen<br />
Spur am<br />
Stau vorbei.<br />
Hilfe. Weil es vielen Kommunen so geht, hatten<br />
Delgado und Ebrard zwei Wochen vor <strong>dem</strong> Klimagipfel<br />
in Cancún KollegInnen aus aller Welt<br />
eingeladen. Im Mexiko-Stadt-Pakt forderten<br />
die KommunalpolitikerInnen direkten Zugriff<br />
auf internationale Klimaschutzgeldtöpfe.<br />
Auch die Weltbank vertritt die Meinung, dass<br />
sich solche Investitionen lohnen würden. Städte<br />
könnten einen entscheidenden Faktor im<br />
Kampf gegen die Erderwärmung spielen, heisst<br />
es in einem auf <strong>dem</strong> Klimagipfel veröffentlichten<br />
Bericht (vgl. «Radikale Neuplanung für<br />
Megastädte»). Die Kommunen<br />
seien gross genug, um etwas zu<br />
bewirken, und klein genug, um<br />
beweglich zu sein.<br />
Dennoch ist das Beispiel<br />
Mexiko-Stadt <strong>mit</strong> Skepsis zu betrachten.<br />
Die Stadt wächst jährlich<br />
um 300 000 Menschen und<br />
200 000 Autos. Sie hat bisher nur<br />
im Schnellverfahren nachgeholt,<br />
was in vielen Städten bereits<br />
umgesetzt wurde: Die Industrie<br />
wird aus der Innenstadt verdrängt<br />
und die Luftverschmutzung<br />
deutlich gesenkt, doch vor<br />
<strong>dem</strong> weiter wachsenden Verkehr kapitulieren<br />
die meisten.<br />
Mexiko-Stadt habe ein ehrgeiziges Programm<br />
zum Klimaschutz aufgelegt und die<br />
richtigen Massnahmen benannt, sagt der Umweltwissenschaftler<br />
Rodolfo Lacy. Dennoch<br />
hinke das Programm bei der Umsetzung noch<br />
weit hinterher. «Der Klima-Aktionsplan ist<br />
eine tolle Sache», sagt Lacy, «aber er wird kein<br />
Treibhausgas einsparen.» Die Regierung fördere<br />
zwar den öffentlichen Verkehr, baue aber<br />
die welt wird zur stadt<br />
gleichzeitig neue Umgehungsstrassen und erweitere<br />
die Stadtautobahn. «Bald sind Wahlen.<br />
Der Bürgermeister macht sich Hoffnung auf die<br />
Präsidentschaft und will die Mittelklasse nicht<br />
verschrecken.» Die Umweltpolitik der Hauptstadt<br />
leide unter <strong>dem</strong> «Cucaracha-Effekt»: So<br />
wie Kakerlaken weghuschen, sobald man das<br />
Licht macht, so vertreibe die Umweltpolitik<br />
im Zentrum die schmutzigen Firmen und dreckigen<br />
Autos nur in die Aussenbezirke.<br />
Ein Auto weniger<br />
Ähnlich kritisch ist auch Areli Carreón. Die<br />
Präsidentin der Velogruppe Biciteka steht in<br />
ihrer kleinen Werkstatt im Central del Pueblo,<br />
einem alten Palast aus der Kolonialzeit, in den<br />
Künstler und Aktivistinnen eingezogen sind.<br />
«Zehn Jahre lang sind wir wegen unserer Ideen<br />
ausgelacht worden», sagt Carreón. Sie lehnt ihr<br />
Velo <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Schild «Ein Auto weniger» an die<br />
Wand und legt den Helm ab. «Jetzt ist die Förderung<br />
für bessere Wege für Velos und Fussgänger<br />
offizielle Politik.» Gleichzeitig habe sich<br />
aber wenig daran geändert, dass die Verkehrspolitik<br />
vor allem durch die Windschutzscheibe<br />
betrachtet werde.<br />
So habe die Regierung 2007 versprochen,<br />
300 Kilometer Radwege zu bauen: «Bis<br />
jetzt sind es vier Kilometer», sagt Carreón. Und<br />
auch bezüglich des Vorzeigeprojekts «Metrobus»<br />
sind die Fahrrad-AztekInnen, wie sie sich<br />
nennen, geteilter Meinung: «Vorher waren die<br />
Fahrspuren breit genug, dass wir am Strassenrand<br />
fahren konnten», sagt sie. «Durch die eigene<br />
Spur für den Metrobus sind nun alle anderen<br />
Spuren so zusammengedrängt worden,<br />
dass wir keinen Platz mehr haben.»<br />
radikale neuplanung für Megastädte<br />
Die Bedeutung von Städten für den Klimawandel<br />
ist bisher unterschätzt worden. Sie<br />
sind weltweit die grössten Erzeuger von klimaschädlichen<br />
Gasen: Achtzig Prozent aller<br />
Treibhausgase entstünden in Ballungsgebieten,<br />
steht in einer jüngst veröffentlichten Studie der<br />
Weltbank. Bis 2040 werden sechs Milliarden<br />
Menschen, zwei Drittel der Weltbevölkerung,<br />
in städtischen Zentren wohnen. Doch auch die<br />
Folgen des Klimawandels setzen vor allem die<br />
Masse der armen Bevölkerung in den Megastädten<br />
unter Druck: steigende Hitze und mehr<br />
Niederschläge, neue Krankheiten und höhere<br />
Preise für Lebens<strong>mit</strong>tel. Deshalb müssten acht-<br />
zig der jährlich geplanten hundert Milliarden<br />
US-Dollar an Hilfe zur Anpassung an den Klimawandel<br />
für die Städte ausgegeben werden,<br />
fordert die Weltbank. Dafür brauche es aber<br />
auch eine radikale Neuplanung der Städte,<br />
schreibt der britische Umweltthinktank Forum<br />
for the Future in einer neuen Studie <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Titel «Megacities on the Move» (Megastädte<br />
auf <strong>dem</strong> Vormarsch). Statt neuen Strassen brauche<br />
es weniger Autobesitz und eine bessere<br />
Verkehrsleittechnik. Ausser<strong>dem</strong> sei die Heimarbeit<br />
zu fördern, sonst drohten den Städten<br />
«Staus, die nicht mehr beherrschbar sind».<br />
B E rnharD PöttE r<br />
Die Stiftung Cerebral hilft in der ganzen Schweiz Kindern wie Pascal und deren Familien. Zum<br />
Beispiel <strong>mit</strong> Massnahmen zur Förderung der Mobilität. Dazu brauchen wir Ihre Spende, ein Legat<br />
oder Unternehmen, die einzelne Projekte fi nanzieren. Helfen Sie uns zu helfen.<br />
Helfen verbindet<br />
Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind<br />
Erlachstrasse 14, Postfach 8262, 3001 Bern, Telefon 031 308 15 15, PC 80-48-4, www.cerebral.ch<br />
rz_09CER86.5 Inserate Cerebral_d_290x60_sw_zeitung.indd 1 07.09.09 10:42
Wikigate in den USa<br />
Ein offenes<br />
Geheimnis<br />
Für die einen ist Julian Assange ein Hightechterrorist,<br />
der <strong>mit</strong> allen Mitteln unschädlich gemacht werden muss. Für andere ist<br />
er das neue Gesicht einer unabhängigen Presse.<br />
Von Lotta SutEr, BoSton<br />
Wenn Sarah Palin und ihre Gesinnungsgenoss<br />
Innen im USKongress den WikileaksGründer<br />
Julian Assange als «antiamerikanischen Provokateur<br />
<strong>mit</strong> Blut an den Händen», als «Hightechterroristen»<br />
und «enemy combatant» (gesetzlosen<br />
feindlichen Kämpfer) bezeichnen, ist<br />
das nicht weiter erstaunlich. Für die nationalistische<br />
Rechte der USA ist jeder nichtkonservative<br />
Ausländer eine Bedrohung. Wikileaks<br />
müsse <strong>mit</strong> allen Mitteln verfolgt und unschädlich<br />
gemacht werden, fordern diese Kreise zum<br />
Beispiel auf foxnews.com, wenn nötig auch<br />
durch «aussergerichtliche Aktionen», sprich<br />
Mordkommandos.<br />
Der unabhängige USSenator Joe Lieberman<br />
will Wikileaks nicht gerade <strong>mit</strong> alKaida<br />
gleichsetzen. Aber der Heimatschützer verlangte<br />
vom Internetdienstleister Amazon, die<br />
«staatsgefährdenden» Dokumente vom Server<br />
zu nehmen. Lieberman hatte keine gesetz<br />
liche Grundlage für dieses Vorgehen. Das Justizdepartement<br />
sucht noch nach geeigneten<br />
Paragrafen. Doch Amazon übte sich in vorauseilen<strong>dem</strong><br />
Gehorsam. Der Domainprovider<br />
everydns.net und der Onlinezahlungsservice<br />
Paypal folgten <strong>dem</strong> Beispiel. Sogar ausländische<br />
Unternehmen gaben <strong>dem</strong> Druck aus den<br />
USA nach, unter anderem die Schweizer Postfinance.<br />
Karrierefalle Wikileaks?<br />
Die Zensurversuche der USRegierung erinnern<br />
an den Umgang der Golfstaaten <strong>mit</strong> Blackberrys,<br />
die aggressiven Cyberattacken auf Wikileaks<br />
an Chinas GoogleProbleme. Faktisch<br />
wurde die Weiterverbreitung der Enthüllungen<br />
bisher kaum behindert, denn die Netzaktivist<br />
Innen sind findig und die Ausweichmöglichkeiten<br />
im Internet enorm.<br />
Die offizielle Reaktion der USA hinkt der<br />
virtuellen Wirklichkeit denn auch hoffnungslos<br />
hinterher. Das USAussenministerium und<br />
das Pentagon haben ihren Angestellten und<br />
SoldatInnen verboten, sich die WikileaksDokumente<br />
im Büro, im Feld oder daheim anzuschauen<br />
oder gar herunterzuladen. Die als «geheim»<br />
oder «streng geheim» markierten Depeschen<br />
seien nach wie vor geheim, und wer sich<br />
unbefugterweise Zutritt verschaffe, mache sich<br />
strafbar. Aber was ist <strong>mit</strong> den mehr als 850 000<br />
StaatsbeamtInnen, die bereits im Besitz einer<br />
«Security Clearance» sind, einer Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />
für Geheimnisträger Innen?<br />
Dürfen die auch nicht in Wikileaks surfen?<br />
In der Diplomatenschmiede School of<br />
International and Public Affairs (Sipa) der Columbia<br />
University wurde den Studierenden<br />
geraten, jegliche Onlinerecherche zum Thema<br />
zu unterlassen. Das «würde Ihren verantwortungsvollen<br />
Umgang <strong>mit</strong> geheimer Information<br />
in Frage stellen, eine Fähigkeit, die eine<br />
wichtige Voraussetzung für die meisten Staatsstellen<br />
darstellt», schrieb das schuleigene Büro<br />
für Karriereberatung. Kurz darauf revidierte<br />
die Universität ihre Position: Die Sipa bekennt<br />
sich nun voll und ganz zur Freiheit von Presse<br />
und Forschung. Einer der Professoren meinte<br />
sogar, wer internationale Beziehungen studiere<br />
und sich die WikileaksDokumente noch<br />
nicht angesehen habe, sei ganz offensichtlich<br />
am falschen Ort.<br />
In der allgemeinen moralischen Empörung<br />
über den «Informationsdiebstahl» wird<br />
selten klargestellt, dass Wikileaks oder Assange<br />
nicht eigenhändig Computer hacken, sondern<br />
Informationen aufbereiten und publizieren,<br />
die von InsiderInnen freiwillig zugespielt wor<br />
International 13<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
den sind. Die «New York Times», die im Nachrichtenteil<br />
die diplomatischen Indiskretionen<br />
veröffentlicht und analysiert, entschuldigt sich<br />
auf der LeserInnenseite regelmässig dafür und<br />
erklärt, sie würde unter <strong>dem</strong> Informationsdruck<br />
von Wikileaks handeln. Das stimmt vermutlich<br />
sogar. Es kommt nicht von ungefähr,<br />
dass die Whistleblowers das neue Medium<br />
als Ansprechpartner vorziehen. Die etablierte<br />
Presse in den USA hat in jüngster Zeit, etwa<br />
beim Irak krieg oder in der Wirtschaftsberichterstattung,<br />
als viertes Standbein der Demokratie<br />
weitgehend versagt. Darf man auf das Internet<br />
hoffen? Jedenfalls hat Assange bereits neue<br />
Enthüllungen angekündigt, diesmal über den<br />
US Finanzsektor, ein «Ökotop der Korruption».<br />
«Hass auf die Demokratie»<br />
Die Enthüllungen gefährdeten nicht bloss Karrieren,<br />
sondern Menschenleben, behauptet<br />
Aussenministerin Hillary Clinton immer wieder.<br />
Die nationale Sicherheit sei in Gefahr. Daniel<br />
Ellsberg, der vor vierzig Jahren geheime<br />
PentagonPapiere über das Verhältnis der USA<br />
zu Vietnam kopierte und in Umlauf brachte,<br />
kennt diese Argumentation: «Das behaupteten<br />
sie auch bei den PentagonPapieren – zu Unrecht,<br />
wie sich später herausstellte.»<br />
Wer sagt denn, dass Diplomatie absolut<br />
geheim sein muss? Was spricht gegen mehr<br />
Offenheit, mehr Demokratie auch in der US<br />
Aussenpolitik? Gemäss Noam Chomsky sind es<br />
die Ziele und Methoden dieser Aussenpolitik<br />
selber, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen.<br />
Die neuesten WikileaksDokumente, sagt<br />
er, «zeigen den tiefen Hass der politischen Führung<br />
auf die Demokratie».<br />
Hat Julian Assange Blut an den Händen? Die nationalistische Rechte der USA will den Wikileaks-Gründer auch <strong>mit</strong> «aussergerichtlichen Mitteln» zu vernichten. foto: Martial trezzini, Keystone<br />
depeSchen aUS der türkei<br />
Der traum vom<br />
Energiedrehkreuz<br />
Die von Wikileaks öffentlich gemachten Dokumente belegen:<br />
Die USDiplomatie verfolgt die politischen Entwicklungen in der<br />
Türkei so intensiv wie nirgends sonst auf der Welt. Das zeigt<br />
die strategische Schlüsselstellung des Landes.<br />
Von DIEtEr SautEr, IStanBuL<br />
Endlich lobt mal einer Wikileaks: Cengiz Candar,<br />
Experte für türkische Aussenpolitik, hält<br />
alle Komplotttheorien über Wikileaks für absurd.<br />
So kursieren in der Türkei Gerüchte, «die<br />
Israelis» oder gar «die Amerikaner» selber hätten<br />
die vertraulichen Dokumente des USAussenministeriums<br />
Wikileaks zugespielt, um die<br />
Türkei zu destabilisieren. Candar ist jedoch der<br />
Meinung, die Folgen der Veröffentlichungen<br />
seien für Ankara im Grunde positiv. Denn fast<br />
alle Akten würden die wachsende globale Bedeutung<br />
des Landes belegen.<br />
Zankapfel Iran<br />
Tatsächlich wurden aus keiner anderen US<br />
Botschaft der Welt mehr Meldungen nach<br />
Washington gekabelt als aus jener in Ankara.<br />
Fast 8000 Depeschen sind in den letzten Jahren<br />
über<strong>mit</strong>telt worden. Die bisher veröffentlichten<br />
Berichte zeigen, wie viele kontroverse Themen<br />
es <strong>mit</strong>tlerweile zwischen Washington und Ankara<br />
gibt.<br />
Grosse Interessengegensätze etwa gibt es<br />
im Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Iran: Während die USA die<br />
islamische Republik immer weiter zu isolieren<br />
versuchen, ist die türkische Regierung – nach<br />
USamerikanischer Lesart – daran, ihre Beziehungen<br />
zum Iran immer weiter auszubauen.<br />
Selbst ihre diplomatischen Kontakte zur palästinensischen<br />
Hamas und zur libanesischen Hisbollah<br />
würden vor allem diesem Zweck dienen.<br />
Allerdings registrierten die USDiplomatInnen<br />
in Ankara auch korrekt, dass sich<br />
die Türkei vor einer atomaren Bewaffnung<br />
des Iran fürchtet. Erstens gerate da<strong>mit</strong> der türkische<br />
Machtanspruch in der Region ins Wanken.<br />
Und zweitens könne das zu einem atomaren<br />
Rüstungswettlauf im Nahen Osten führen.<br />
Der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak<br />
habe bereits offen ein Programm zum Bau einer<br />
Atombombe angeregt.<br />
Die noch grössere Gefahr sieht die Regierung<br />
von Tayyip Erdogan jedoch in einem<br />
Militärschlag Israels oder der USA gegen den<br />
Iran. Die wirtschaftlichen Folgen wären für<br />
die Türkei gravierend. Der Iran ist einer ihrer<br />
wichtigsten Handelspartner. Ausser<strong>dem</strong> ist die<br />
islamische Republik als Energielieferantin unverzichtbar,<br />
wenn das Land nicht zu hundert<br />
Prozent von russischem Gas abhängig werden<br />
will. Dazu passt die Meldung der regierungsnahen<br />
Zeitung «Zaman» dieser Tage, wonach<br />
die türkische Firma Som Petrol im Juli <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Iran den Bau einer neuen Gaspipeline vereinbart<br />
hat.<br />
Enttäuschung <strong>mit</strong> Aserbaidschan<br />
Die WikileaksEnthüllungen machen deutlich,<br />
dass die türkische Diplomatie auf vielen Hochzeiten<br />
tanzt: So will die Regierung gleichzeitig<br />
<strong>dem</strong> Iran, den USA und den arabischen Staaten<br />
die Hände schütteln, in Palästina gute Beziehungen<br />
zu den <strong>mit</strong>einander verfeindeten Organisationen<br />
Hamas und Fatah unterhalten und<br />
sich auf <strong>dem</strong> spannungsgeladenen Kaukasus<br />
zu<strong>dem</strong> <strong>mit</strong> Russland, Armenien, Aserbaidschan<br />
und Georgien gut stellen. Gerade bei letzteren<br />
Bemühungen stellt die USDiplomatie fest, dass<br />
die Türkei einen herben Rückschlag erlitten hat.<br />
So orientiere sich der aserbaidschanische<br />
Präsident Ilham Alijew mehr nach Moskau<br />
denn nach Ankara oder <strong>dem</strong> Westen, heisst es.<br />
An einem Anschluss an die geplante EUPipeline<br />
Nabucco habe er kein grosses Interesse. Die<br />
Röhre soll einst quer durch die Türkei führen<br />
und Gas aus Zentralasien nach Europa schaffen,<br />
ohne dass dabei russisches Territorium tangiert<br />
würde.<br />
«Ein Volk, zwei Staaten» hatte man bisher<br />
in Ankara <strong>mit</strong> Blick auf die Türkei und Aser<br />
baidschan gesagt. In beiden Ländern lebe das<br />
Turkvolk. Die Aseris seien im Grunde Türk<br />
Innen. Doch jetzt scheint die Freundschaft des<br />
türkischstämmigen Nachbarn Aserbaidschan<br />
nicht mehr sicher. Die NabuccoPipeline sollte<br />
eines der wichtigsten türkischaserbaidschanischen<br />
Gemeinschaftsprojekte sein und der<br />
Türkei zum Status eines Energiedrehkreuzes<br />
verhelfen. Die WikileaksEnthüllungen machen<br />
deutlich, dass sich hier türkische Träume<br />
in Luft auflösen.<br />
Taktische Atomwaffen<br />
Die USDiplomatie bilanziert: Seit März 2003,<br />
seit das türkische Parlament beschloss, den<br />
USamerikanischen Truppen den Zugang über<br />
türkisches Territorium in den Irak zu verwehren,<br />
erlaube sich Ankara zunehmend, aus eigenen<br />
Interessen eigene Ansichten zu aussenpolitischen<br />
Fragen zu vertreten. «Kann sich die<br />
USA da<strong>mit</strong> abfinden?», fragt Mitte November<br />
einer der Analysten des parteiunabhängigen<br />
German Marshall Fund in den USA. Immerhin<br />
bestätigen alle Berichte nach Washington, dass<br />
die derzeitige Regierung in Ankara pragmatisch<br />
genug sei, um eine nachhaltige Störung<br />
in ihrem Verhältnis zu den USA oder innerhalb<br />
der Nato zu vermeiden.<br />
Das wird sich nicht ändern. Denn durch<br />
die WikileaksVeröffentlichungen ist jetzt auch<br />
bestätigt, dass die USA taktische Atomwaffen<br />
am Bosporus lagern.<br />
Washington beruhigt sich ausser<strong>dem</strong><br />
da<strong>mit</strong>, dass die zunehmende Selbstständigkeit<br />
der Türkei im Nahen Osten und in Zentralasien<br />
auch vorteilhaft sein kann. Immerhin hatte die<br />
türkische Diplomatie wesentlichen Anteil daran,<br />
dass Anfang Woche in Genf über das iranische<br />
Atomprogramm verhandelt wurde.
14 WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
durch den Monat Mit Guy Krneta (teiL 2)<br />
Haben Sie<br />
Ihren Militärdienst<br />
verweigert?<br />
Der in Bern geborene Autor Guy Krneta (46) wundert sich,<br />
dass sein Grossvater nicht aus der Schweiz ausgeschafft<br />
wurde, und hat sich eigentlich auf seinen Gefängnisaufenthalt<br />
gefreut, der dann aber doch nicht ganz so lustig war.<br />
Von Jan JIrát (InterVIew) unD urSuLa Häne (Foto)<br />
Guy Krneta: «ich bin im Bewusstsein aufgewachsen, dass man nicht selbstverständlich<br />
Schweizer ist.»<br />
Jetzt müsse ich unbedingt sofort eine scharfe<br />
Kolumne über die Vergabe der Fussball-WM<br />
an den Wüstenstaat Katar schreiben, sagen in<br />
diesen Tagen viele Bekannte. Da nützt es auch<br />
nichts, wenn ich antworte, ich hätte sehr wenig<br />
Lust, im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />
Fussball an Katar zu denken. Das<br />
sei doch genau der Punkt, meinen<br />
dann die Leute um mich herum.<br />
Eine Weltmeisterschaft im<br />
Fussball in einem Land auszutragen,<br />
in <strong>dem</strong> es etwa gleich viele<br />
lizenzierte Fussballer gebe wie in<br />
der Stadt Bern Securitaswächter,<br />
das sei doch ein Riesenskandal,<br />
und da könne man wieder sehen,<br />
wie korrupt der ganze Sport<br />
schon geworden sei und wie das<br />
Geld wieder einmal die Welt regiere und ein<br />
grosses Etcetera.<br />
Die Weltmeisterschaft, um die an hiesigen<br />
Stammtischen gestritten wird (und <strong>mit</strong><br />
Stammtischen sind auch all die Millionen von<br />
unsäglich blöden Blogs und Twittereien <strong>mit</strong>-<br />
Fussball und andere r andsportarten<br />
Der Sommer in zwölf Jahren<br />
PeDro Lenz will sich nicht über die WM in Katar aufregen<br />
Soll ich mich<br />
nun zwölf Jahre<br />
lang jeden Tag<br />
ärgern?<br />
gemeint), soll in zwölf Jahren stattfinden. Wer<br />
weiss heute schon, was in zwölf Jahren ist? Soll<br />
ich mich als Fussballfan nun zwölf Jahre lang<br />
täglich darüber ärgern, dass die Fussball-WM<br />
in zwölf Jahren in einem Land stattfindet, das<br />
bis heute kaum etwas <strong>mit</strong> Fuss-<br />
ball am Hut hatte? Soll ich mich<br />
zwölf Jahre lang täglich darüber<br />
ärgern, dass wir im Sommer<br />
2022, wenn nichts dazwischenkommt,<br />
in irgendeiner Gartenbeiz<br />
Direktübertragungen aus<br />
klimatisierten Stadien in Katar<br />
sehen werden? Soll ich mich<br />
zwölf Jahre lang jeden Tag fragen,<br />
ob es in Ordnung ist, dass<br />
die Fans, die 2022 aus aller Welt<br />
nach Katar reisen, kein Bier werden<br />
trinken dürfen, während wir Daheimgebliebenen<br />
uns bestimmt das eine oder andere<br />
Spielchen werden schönsaufen müssen?<br />
Nein, ich weigere mich, mich so kurz<br />
nach <strong>dem</strong> Ausschafferei-Triumph wieder zu ärgern,<br />
wieder zu empören, wieder machtlos zu<br />
WOZ: Herr Krneta, Ihr Name klingt nicht nach<br />
Entlebuch oder Freiamt. Woher stammt der<br />
Name Krneta?<br />
Mein Grossvater auf der väterlichen Seite<br />
war Jugoslawe. Ein bosnischer Serbe aus Kroatien,<br />
wie man in heutiger Terminologie sagen<br />
würde. Er ist 1923 in die Schweiz ausgewandert,<br />
wo er nach <strong>dem</strong> Zweiten Weltkrieg als<br />
Staatenloser gelebt hat.<br />
Zu Beginn des Kriegs wollte mein Grossvater<br />
noch zurück, um für das damalige Königreich<br />
Jugoslawien zu kämpfen. Da er Schulden<br />
in der Schweiz hatte, durfte er aber nicht<br />
ausreisen.<br />
Wie bitte? Seine Schulden waren der Grund,<br />
weshalb Ihr Grossvater die Schweiz nicht verlassen<br />
durfte?<br />
Ja, heute würde er deswegen ausgeschafft.<br />
Mein Grossvater blieb übrigens den Rest seines<br />
Lebens staatenlos. Nach<strong>dem</strong> er meine Grossmutter<br />
geheiratet hatte, eine spätere Bundeshausjournalistin,<br />
wurde auch sie staatenlos.<br />
Das war damals gängige Praxis.<br />
Demnach müsste Ihr Vater also auch staatenlos<br />
sein.<br />
Zu Beginn der fünfziger Jahre trat ein<br />
entsprechendes Bundesgesetz in Kraft, dass<br />
eine Schweizerin, die einen Ausländer geheiratet<br />
hatte, ihr Bürgerrecht erleichtert zurückerhalten<br />
konnte. Das galt auch für die Kinder,<br />
nicht aber für den Ehemann.<br />
Sie selbst sind fast ganz Schweizer?<br />
Ich bin als Schweizer in Bern geboren, in<br />
einem gutbürgerlichen Umfeld. Die Staatenlosigkeit<br />
war keine Erfahrung für mich, nur<br />
das Wissen um die Geschichte meines Grossvaters.<br />
Ich bin im Bewusstsein aufgewachsen,<br />
dass man nicht selbstverständlich Schweizer<br />
ist. Dass es ein historischer Zufall ist, welchen<br />
Pass man besitzt.<br />
Für mich ist es unbegreiflich, wie jemand<br />
daraus Ansprüche ableiten kann. Ein Anrecht<br />
auf Privilegien. Das ist doch absurd!<br />
Ein gewisses politisches Bewusstsein war also<br />
schon früh vorhanden. Was waren die weiteren<br />
Ereignisse oder Erlebnisse, die Sie politisierten?<br />
Ich wurde Ende der siebziger Jahre <strong>mit</strong><br />
den Liedermachern kulturell sozialisiert, habe<br />
Songs geschrieben, die selbstverständlich sozialkritisch<br />
waren. Die Folkbewegung, die Friedensbewegung<br />
waren wichtig für mich.<br />
Prägend war für mich auch die Tschernobyl-Demo<br />
1987 auf <strong>dem</strong> Berner Bundesplatz.<br />
Und dann hat mich die Armee beschäftigt oder<br />
besser gesagt ihre Abschaffung.<br />
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Sie <strong>mit</strong> dieser<br />
Haltung den Militärdienst verweigert haben<br />
…<br />
fühlen und meine ganze Empörung einem derartigen<br />
Nebenschauplatz zu widmen. Denn all<br />
die Millionen von Fans, die sich jetzt darüber<br />
aufregen, dass 2022 in Katar Fussball gespielt<br />
werden wird, spielen das Spiel der Fifa <strong>mit</strong>.<br />
Das Spiel der Fifa hat eine einfache<br />
Grundregel. Diese lautet ungefähr so: «Fussball<br />
ist die Fifa, und die Fifa ist Fussball.» Die<br />
Fifa hat sich selbst und ihre Weltmeisterschaft<br />
in den letzten Jahrzehnten derart aufgeblasen,<br />
dass dabei fast vergessen geht, dass es schon<br />
vor, neben und ausserhalb der Fifa immer<br />
Fussball gegeben hat. Allein die Zeitungsartikel<br />
über diese Show, in der in Zürich 22 ältere<br />
Herren zwei Weltmeisterschaften vergaben,<br />
haben vermutlich mehr Raum eingenommen<br />
als die Regionalsportberichterstattung der<br />
letzten fünfzig Jahre.<br />
Fussball ist ein wunderbares, ein grossartiges,<br />
ein fantastisches Spiel. Er lässt sich<br />
auf <strong>dem</strong> Pausenhof eines Dorfschulhauses<br />
genauso gut spielen wie in Katar oder Korea.<br />
Aber wenn die Fifa Weltmeisterschaften vergibt<br />
und so tut, als gäbe es keine wichtigeren The-<br />
Ich hatte viel zu viel Angst vor <strong>dem</strong> Gefängnis<br />
und bin <strong>mit</strong> grosser Selbstver achtung<br />
in die Rekrutenschule eingerückt.<br />
Das Schlimmste war die Demütigung,<br />
eine Uniform tragen zu müssen. Und da<strong>mit</strong> in<br />
den Ausgang zu gehen oder im Zug zu sitzen.<br />
Als ich dann beim Theater war, konnte ich meine<br />
WKs immer wieder verschieben. Ein Jahr<br />
nach der Armeeabschaffungsinitiative, als ich<br />
wieder hätte einrücken müssen, rief die GSoA<br />
zur kollektiven Dienstverweigerung auf, um<br />
da<strong>mit</strong> die Einführung eines Zivildiensts durchzusetzen.<br />
Zusammen <strong>mit</strong> 1500 anderen habe<br />
ich diesen Aufruf unterzeichnet und den Dienst<br />
verweigert.<br />
Ich wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt.<br />
Da ich damals in Genf angemeldet<br />
war, konnte ich den Vollzug um vier Jahre aufschieben.<br />
Während dieser Zeit arbeitete ich<br />
dann als Dramaturg in Deutschland. 1996 bin<br />
ich in die Schweiz zurückgekehrt. Direkt ins<br />
Gefängnis.<br />
Und wie war es da?<br />
Es hat mich mehr aufgewühlt, als ich erwartet<br />
hatte. Ich dachte: Super, die Eidgenossenschaft<br />
bezahlt mir ein Schreibstipendium<br />
in Genf. Aber die entmündigende Situation,<br />
dass ich mich nicht frei bewegen konnte und<br />
nur eine bestimmte Anzahl Stunden draussen<br />
verbringen durfte, blockierte mich.<br />
Ich kam gar nicht recht zum Schreiben,<br />
notierte nur, was ich gerade erlebte oder was<br />
mir erzählt wurde. Ich bin aber überhaupt nicht<br />
schikaniert worden, wie das Dienstverweigerer<br />
zehn Jahre vorher noch erlebt hatten.<br />
Ihr Hauptanliegen ist heute nicht mehr die<br />
Abschaffung der Armee, sondern die Wahrung<br />
der Grund- und Menschenrechte. Als<br />
was verstehen Sie die Plattform Kunst+Politik<br />
eigentlich, die Sie massgebend <strong>mit</strong>initiiert<br />
haben?<br />
Als Zusammenschluss und Netz verschiedenster<br />
Künstlerinnen und Künstler, die sich<br />
für ein realistisches Schweizbild einsetzen, gegen<br />
die oberflächliche Swissnessbegeisterung<br />
und gegen ihre grausige Kehrseite, die Fremdenhetze.<br />
Kunst+Politik besteht seit Mai, wir hätten<br />
nie gedacht, welch unglaubliche Dynamik wir<br />
da<strong>mit</strong> auslösen würden. Wir wissen jetzt, dass<br />
es möglich ist, eine grosse Öffentlichkeit zu erreichen.<br />
Ich hoffe natürlich, dass das Netz nun<br />
wächst und weitere Künstlerinnen und Künstler<br />
dazukommen. Dass es uns gelingt, eine<br />
Plattform aufzubauen, <strong>mit</strong> der wir rasch reagieren<br />
und gemeinsam an vielen Orten auftreten<br />
können. Wir dürfen uns sicher nicht zu schade<br />
sein, auch plumpe und wenig künstlerische<br />
Mittel einzusetzen wie Aufrufe und Verlautbarungen.<br />
Daneben aber sollten wir neue Formen<br />
entwickeln, aktivistisch sein und gleichzeitig<br />
professionell.<br />
men auf der Welt, steht die ganze Weltpresse<br />
stramm. Und heute, wo so viele Zeitgenoss-<br />
Innen höchstens noch das Verfallsdatum auf<br />
den Joghurtdeckeln und die Bildlegenden in<br />
den Gratiszeitungen lesen, fragt dann niemand<br />
mehr danach, wie relevant die Meldung über<br />
Katar 2022 genau ist.<br />
Kann Katar eine Fussball-WM durchführen?<br />
Ist es ökologisch sinnvoll, in einem Land<br />
eine Fussball-WM auszutragen, in <strong>dem</strong> die<br />
Sta dien um zwanzig Grad heruntergekühlt<br />
werden sollen? Hat Katar den Vorzug gegenüber<br />
anderen Bewerbungen bekommen, weil<br />
das Land finanziell so potent ist? Das sind grob<br />
zusammengefasst die Fragen, die in diesen Tagen<br />
erörtert werden. Dabei würden wir besser<br />
fragen: Gibt es den Fussball dank der Fifa, oder<br />
ist es eher umgekehrt? Und wie lange wollen<br />
wir uns wegen zwei Dutzend älterer Männer in<br />
dunklen Anzügen ärgern, wenn derweil Millionen<br />
von Menschen auf der Welt <strong>mit</strong> Lust und<br />
Leidenschaft einem Ball nachjagen, ohne dabei<br />
einen müden Gedanken an die Fifa zu verschwenden?<br />
Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt<br />
in Bern. Sein letztes Buch von 2010 heisst<br />
«Der Goalie bin ig».
Goldgrube Zweitwohnungsbau: Baugewerbe und Immobilienhandel im Oberengadin sind doppelt so stark<br />
wie im schweizerischen Durchschnitt. Wie hier in Pontresina dominieren in der ganzen Region Baustellen das Bild.<br />
Thema 15<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Zweitwohnungswahn<br />
Eine<br />
Alpenregion<br />
erstickt<br />
im Geld<br />
Das Oberengadin spritzt sich das<br />
Geld der Reichen in rauen<br />
Mengen. Jeder Schuss steigert das<br />
Verlangen nach Zweitwohnungen.<br />
Der entrückte Landstrich wird<br />
verwüstet. Bodenpreise und Mieten<br />
explodieren.<br />
Von AndrEAs FAGETTi (TExT) und<br />
ursulA HänE (FoTos)<br />
Leise rieselt der Schnee. Die Rhätische Bahn fliesst der Ebene<br />
von Samedan entlang in die Nacht. Endstation St. Moritz. Über<br />
<strong>dem</strong> Bahnhof dösen Hotelriesen. Im Parkhaus Surletta ist es, als<br />
hätte eine Neutronenbombe alles Leben getilgt. St. Moritz Ende<br />
November, das Oberengadin vor der Wintersaison. Bald pulsiert<br />
hier das schicke Leben, bald stolziert der Protz durch die Strassen<br />
– und Segantinis Tal verkommt zum Catwalk der Eitelkeiten.<br />
Demnächst also fallen 75 000 Feriengäste ein, den Maloja herauf,<br />
den Julier herab und durch den Vereinatunnel; die Superreichen<br />
setzen ihre Jets auf Samedans Landebahn. Die Invasion füllt<br />
Hotels, Pensionen, Villen und Ferienwohnungen. 75 000 Betten<br />
werden warm. Dann ist hier für ein paar Wochen mondäne Stadt.<br />
Schwerer Stand für Familien<br />
Viele der 18 000, die das ganze Jahr über in den elf Oberengadiner<br />
Gemeinden leben, sehen sich an den Rand gedrängt. Das<br />
Leben ist teuer, die Löhne sind nicht besonders hoch, dafür explodieren<br />
die Bodenpreise und die Mieten. Wer im «prickelnden<br />
Champagnerklima» (Eigenwerbung) rasch eine gute Wohnung<br />
finden möchte, verwandelt sich am besten in eine kinderlose, gut<br />
betuchte Person aus <strong>dem</strong> Ausland. Denn diese Menschen dürfen<br />
politisch nicht <strong>mit</strong>bestimmen, sie tragen Geld ins Tal, geniessen<br />
die frische Bergluft und geben sonst Ruhe. Einheimische Familien<br />
<strong>mit</strong> Kindern finden sich zuunterst auf der Wunschliste der<br />
Vermieter. Die könnten ja laut werden, und gut betucht sind sie<br />
selten. Womöglich mischen sie sich auch noch in die Politik des<br />
Tals ein und stören die Kreise der reichen Clans, vielleicht jene<br />
der Testas aus St. Moritz oder die der Wiesers aus Zuoz.<br />
Franziska Preisig ist eine politisch engagierte Frau, die<br />
<strong>dem</strong> Engadiner Geldadel die Goldgräberstimmung vermiest<br />
und mehr bezahlbaren Lebensraum für die Ansässigen fordert.<br />
Sie sagt: «Vermietern sind zehn Hunde offenbar lieber als ein<br />
Kind.» Die <strong>mit</strong> einem Künstler liierte Mutter von zwei Kindern<br />
doziert an der Touristikfachschule in Samedan, sie präsidiert<br />
die Glista Libra, ein Sammelbecken Unabhängiger und Linker,<br />
und sie kämpft in einem Initiativko<strong>mit</strong>ee gegen die Auswüchse<br />
des Zweitwohnungsbaus.<br />
Die Frau verkörpert das, was Zivilgesellschaften am Leben<br />
erhält. Doch die Juristin und ihre Familie haben einen schweren<br />
Stand im Oberengadin – wie viele andere Familien.<br />
Die Preisigs lebten in Bever in einem kleinen Häuschen,<br />
wo ständig Leute durch die Fenster glotzten. Sie mussten raus,<br />
weil es verkauft wurde. Sie besichtigten in einem anderen Dorf<br />
ein Haus zur Miete. Ein Schild wies es zum Verkauf aus. Der Vermieter<br />
beruhigte, jetzt habe er ja Mieter. Er nahm das Schild ab.<br />
Und verkaufte das Haus ein halbes Jahr später. Wieder waren
16 Thema<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Preisigs gezwungen, Ausschau zu halten. Sie fanden in Samedan<br />
eine Dreieinhalbzimmerwohnung, siebzig Quadratmeter,<br />
vierzig Jahre alte Infrastruktur, 2000 Franken inklusive – und<br />
machen noch den Hauswart. Viereinhalb Jahre leben sie inzwischen<br />
dort, aber auch dieses Kapitel ist <strong>dem</strong>nächst abgeschlossen.<br />
Die Besitzerin hat das Haus verkauft. Jetzt suchen<br />
sie wieder und haben eben erst eine Absage bekommen. Die<br />
Vermieterin einer Sechszimmerwohnung möchte lieber keine<br />
Kinder im Haus.<br />
Der Fluch des schnellen Geldes<br />
In diesem Tal sind Mutter und Vater zu Erwerbsarbeit gezwungen,<br />
wenn sie ihren Kindern eine halbwegs anständige<br />
Wohnung bieten möchten. Ein Lohn geht für die Miete drauf.<br />
Für eine moderne Vierzimmerwohnung überweist man nahezu<br />
3000 Franken Miete. Wer eine solche Wohnung kaufen<br />
will, nimmt hohe Belastungen in Kauf. Beispielsweise in Bever,<br />
<strong>dem</strong> kleinen Dorf am Fusse des Albulas, bis zu 1,5 Millionen<br />
Franken, sagt ein Einheimischer. In St. Moritz kostet<br />
der Quadratmeter Wohnfläche an schönen Lagen inzwischen<br />
35 000 Franken.<br />
In der Weite des Hochtals wird es für die Ansässigen<br />
immer enger. Der wirtschaftliche Segen ist zugleich Fluch.<br />
Schuld ist der überbordende Zweitwohnungsbau, der das<br />
ökonomische Gleichgewicht aus <strong>dem</strong> Lot bringt und das soziale<br />
Gefüge schwächt: Nur etwa vierzig Prozent der Wohnungen<br />
sind das ganze Jahr bewohnt. Wer den Preisdruck<br />
nicht mehr aushält, wandert ganz ab oder zieht ins Unterengadin.<br />
Und pendelt zur Arbeit ins Oberengadin. Christoph<br />
Wiesler hat diesen Weg gewählt. Der gebürtige Stadtbasler<br />
hat beinahe zwanzig Jahre in St. Moritz gelebt. Ihm wurde in<br />
dieser Zeit zweimal die Wohnung gekündigt – einmal wegen<br />
Eigenbedarfs, das andere Mal, weil die Wohnung verkauft<br />
wurde. Trotz<strong>dem</strong> hat <strong>dem</strong> Städter das urbane St. Moritz immer<br />
gefallen. Wiesler, der Germanistik und Italianistik studierte<br />
und ein Jahr in Italien verbrachte, schätzt die Nähe zu<br />
Italien. Überhaupt fühlt sich der Basler im Grenzgebiet wohl.<br />
Und doch ist der Deutschlehrer an der Kaufmännischen Schule<br />
in Samedan jetzt ins Unterengadin gezogen. Seit Mai lebt<br />
er in Lavin. 200 EinwohnerInnen, Abwanderungsprobleme,<br />
überaltert. Die Gemeinde wirbt <strong>mit</strong> günstigem Bauland um<br />
ZuzügerInnen.<br />
Christoph Wiesler hatte zunächst zusammen <strong>mit</strong> seiner<br />
Partnerin im Oberengadin eine kleine Eigentumswohnung<br />
gesucht – doch 800 000 bis eine Million Franken sind selbst<br />
für das Budget gut entlöhnter Fachkräfte zu viel. In Lavin lebt<br />
das Paar jetzt für den Preis einer kleinen Oberengadiner Eigentumswohnung<br />
in einem Fertighaus. Christoph Wiesler<br />
pendelt im Winter <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zug – es sind vierzig Minuten von<br />
Haustür zu Haustür. «Die öffentlichen Verbindungen sind gut,<br />
bloss am späten Abend nicht.» Kinobesuch geht nur <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Auto. In Neu-Lavin, <strong>dem</strong> Quartier der Zugezogenen, fühlt sich<br />
der Lehrer wohl. Auch andere angrenzende Regionen spüren<br />
den Zuwanderungstrend.<br />
Prallvolle Gemeindekassen, tiefe Steuern<br />
Dabei liesse sich <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bau von Erstwohnungen auch im<br />
Oberengadin Geld verdienen. Traummargen wie im Zweitwohnungsbau<br />
liegen allerdings nicht drin. Daher giert die<br />
Bau- und Immobilienbranche nach mehr Ferienwohnungen.<br />
Die Gemeinde S-Chanf, an der Grenze zum Unterengadin gelegen<br />
und bekannt wegen der Berlusconi-Schwiegermutter,<br />
die hier ein Haus besitzt, bot Bauunternehmern Boden an. Die<br />
Auflage: Wohnungen für Einheimische. Keinen der Unternehmer<br />
lockte es hinter <strong>dem</strong> Ofen hervor, schliesslich realisierte<br />
es ein S-Chanfer Privatmann. Alle Wohnungen seines Mehrfamilienhauses<br />
sind vermietet. Auch im Oberengadin gibt es<br />
in bescheidenem Umfang Genossenschaftsbauten <strong>mit</strong> günsti<br />
gen Wohnungen, manche Gemeinden schaffen spezielle<br />
Bauzonen für Einheimische <strong>mit</strong> bezahlbaren Bodenpreisen<br />
und erlassen Vorschriften zur Einschränkung des Zweitwohnungsbaus.<br />
Ende November haben die SilserInnen an der Gemeindeversammlung<br />
einer 50:50-Vorschrift für Neubauten<br />
zugestimmt: Die Hälfte des Wohnraums muss also von Einheimischen<br />
genutzt werden. Aber das sind bloss Tropfen auf<br />
den heissen Stein.<br />
Fett macht immer noch das Geschäft <strong>mit</strong> den Zweitwohnungen.<br />
Immobilien im Oberengadin sind eine sichere Bank,<br />
ihr Wert steigt ständig. Wer Schwarz- oder Graugeld anlegen<br />
möchte, ist hier gut bedient. Die Nachfrage ist auch aus diesem<br />
Grund hoch. Und sie könnte durch das noch von Bundesrat<br />
Merz eingefädelte Steuerabkommen <strong>mit</strong> Deutschland<br />
nochmals befeuert werden. Ein Teil des durch das Abkommen<br />
reingewaschenen deutschen Geldes könnte sich hier in wertvollen<br />
Beton verwandeln. Auch die Aufhebung des Eigenmietwertes<br />
würde die Nachfrage zusätzlich anheizen.<br />
In den meisten Gemeinden sind die 2009 in einem<br />
Kreisgesetz eingeführten Kontingente ohnehin schon auf<br />
Jahre hinaus vergeben. Im Oberengadin sind die Bau- und die<br />
Immobilienbranche doppelt so stark wie im schweizerischen<br />
Durchschnitt. Auch die Gemeinden profitieren vom schnellen<br />
Robert Obrist, Architekt: «Die Architekten hier sind politische Eunuchen,<br />
und die Hoteliers halten sich ganz aus der Politik heraus.»<br />
«Vermietern sind Hunde lieber als Kinder»: Die Juristin Franziska Preisig kämpft<br />
in einem Initiativko<strong>mit</strong>ee gegen die Auswüchse des Zweitwohnungsbaus.<br />
Geld. Anschlussgebühren, Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuern<br />
spülen Millionen in die Kassen. St. Moritz, das<br />
wirtschaftliche Zentrum des Tals, weist ein Eigenkapital von<br />
deutlich über hundert Millionen Franken aus. Gerade hat das<br />
Stimmvolk den Bau eines 65 Millionen Franken teuren Hallenbades<br />
<strong>mit</strong> Sportzentrum beschlossen. Das vierzigjährige<br />
alte Bad des Architekten Robert Obrist fällt der Abrissbirne<br />
zum Opfer.<br />
Strassennetz, Abwasserreinigung – die ganze Infrastruktur<br />
ist auf die Spitzen im Sommer und im Winter ausgelegt<br />
– den Rest des Jahres verlieren sich die Menschen in den<br />
aufgeblasenen Agglomerationen um St. Moritz, Celerina, Samedan<br />
und Pontresina. Das schnelle Geld aus <strong>dem</strong> Zweitwohnungsbau<br />
hat Bauunternehmer, Treuhänderinnen, Handwerker,<br />
Haus- und Bodenbesitzerinnen reich gemacht, es zieht<br />
Banken, Versicherungen und Immobiliendealer an, es schafft<br />
Arbeitsplätze. Und es hält die Steuern tief. Das ist die wohlige<br />
Seite dieser Überdosis. Aber das schnelle Geld macht abhängig.<br />
Sind Zweitwohnungen einmal gebaut, bringen sie der<br />
Region kaum noch Wertschöpfung, die hohen Infrastrukturkosten<br />
bleiben. Der Gedanke an Entzug macht Angst: Sollte<br />
der Boom einbrechen – wo<strong>mit</strong> dann die überdimensionierte<br />
Infrastruktur unterhalten und das subtropische Steuerklima<br />
pflegen?<br />
Gesundschrumpfen!<br />
Robert Obrist ist ein kantiger Mann, er spricht eine klare<br />
Sprache. Und er steckt voller Widersprüche, die seine Unabhängigkeit<br />
markieren: Der Architekt ist GSoA-Mitglied und<br />
baute Militäranlagen, er ist Atheist und baute eine Kirche,<br />
er ist gegen den wild wuchernden Zweitwohnungsbau und<br />
verdiente sein Geld einst auch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bau von Zweitwohnungen.<br />
Er weiss, dass die Geschichte nicht so einfach ist, wie<br />
er sie im Gespräch holzschnittartig herausarbeitet. «Viel Geld,<br />
wenig Geist», sagt er über St. Moritz. Oder: «Die Architekten<br />
hier sind politische Eunuchen, und die Hoteliers halten sich<br />
ganz aus der Politik heraus.» Er weiss auch, dass Gesetze keine<br />
Wunder<strong>mit</strong>tel sind. «Jeder Hag hat ein Loch, da<strong>mit</strong> müssen<br />
wir leben.» Ein politischer Eunuch ist Obrist gewiss nicht.<br />
Bis vor einem halben Jahr sass er im Kreisrat, <strong>dem</strong> regionalen<br />
Parlament, als Vertreter der Freien Liste. Er hat viele Regional-<br />
und Ortsplanungen gemacht, sein Büro hat manchen Architekturwettbewerb<br />
gewonnen. Er versteht etwas vom Geschäft.<br />
Den Aargauer Obrist verschlug es 1963 ins Oberengadin.<br />
Damals kam auch ein Unterländer noch relativ einfach<br />
ins Geschäft, zeitweise zählte sein Büro nahezu dreissig Angestellte,<br />
jetzt ist der Unruheständler ein gemachter Mann.<br />
Vor vierzig Jahren hat er das Terrassenhaus in Sichtbeton<br />
gebaut, in <strong>dem</strong> wir das Gespräch führen – für 2,5 Millionen<br />
Franken. Wohnungen und sein auf zwei Etagen angelegtes<br />
Architekturbüro sind darin untergebracht. Er könnte die Liegenschaft<br />
teuer verkaufen. Aber er vermietet die Wohnungen<br />
an normale Menschen zu bezahlbaren Mieten – eine Coiffeuse<br />
wohnt hier, aber auch ein Architekt. Obrist sitzt, umgeben von<br />
afrikanischen Skulpturen, moderner Malerei und Büchern in<br />
seinem grosszügigen Büro <strong>mit</strong> Blick auf den Lej da San Murezzan.<br />
Und sagt: «Das Baugewerbe im Engadin muss gesundschrumpfen!<br />
Und es wird auch danach ein gutes Auskommen<br />
haben.» Hotelzonen müssten ausgeschieden werden, um die<br />
Hotellerie und eine nachhaltige Wertschöpfung zu stärken<br />
und da<strong>mit</strong> die Umwandlung von noch mehr Hotelgebäuden in<br />
Zweitwohnsitze zu unterbinden. Obrist fordert für das Oberen<br />
ga din eine regionale Fachkommission für Planungs- und<br />
Baufragen, wie sie grosse Gemeinden und Städte kennen. Das<br />
würde Fehlentwicklungen entgegenwirken. Und noch etwas:<br />
Elf Gemeinden, elf zum Teil enorm differierende Baugesetze –<br />
Megaprojekte<br />
Es wird wieder geklotzt<br />
In den Alpen denken und planen Touristiker und Investorinnen<br />
wieder überdimensional. In den Köpfen gibt es viele<br />
Vorhaben, die meisten bleiben auch dort stecken. Der Ausbau<br />
des verschlafenen Alpendorfes Andermatt in eine Tourismusstadt<br />
ist derzeit das grösste und wohl auch solideste Megaprojekt.<br />
Im Urserental ist der Bau und Verkauf von Ferienwohnungen<br />
und Villen bereits angelaufen. Die Investitionssumme<br />
beläuft sich auf 1,8 Milliarden Franken, die Wertschöpfung<br />
soll dereinst 220 Millionen Franken pro Jahr betragen,<br />
die Rede ist von 1800 neuen Arbeitsplätzen in Andermatt, und<br />
im Vollbetrieb sollen im Kanton Uri durch indirekte Effekte<br />
sogar 3700 Stellen entstehen. Im Gegensatz zu anderen Investoren<br />
wählte der ägyptische Milliardär Samih Sawiris einen<br />
partizipativen Ansatz und versuchte die Bevölkerung direkt<br />
zu überzeugen. Ob das Megaprojekt funktioniert und wie es<br />
das soziale Gefüge im Bergtal verändert, ist nicht absehbar.<br />
Im Kanton Wallis sind mehr als ein Dutzend Grossprojekte<br />
geplant. Das bekannteste ist ein Resort im Dorf Mollens.<br />
auch hier fordert der Architekt eine Vereinheitlichung. Die<br />
Beschneidung der Gemeindeautonomie ist ein heikles Thema,<br />
hier oben ist sie eine heilige Kuh.<br />
Ein altersradikaler Bergmarxist?<br />
Aber vielleicht sperren die OberengadinerInnen ihre heilige<br />
Kuh doch irgendwann auf eine eingezäunte Wiese, ehe sie<br />
zu viel Schaden anrichtet. Denn der überhitzte Immobilienmarkt<br />
setzt die lokale Bevölkerung unter Stress. Die Bodenpreise<br />
sind extraterrestrisch, die Mieten explodieren, die<br />
Lebenskosten steigen – Verhältnisse wie in Zürich oder Genf,<br />
aber <strong>mit</strong> Bündner Löhnen. Selbst der St. Moritzer Kurdirektor<br />
Hanspeter Danuser, gewiss kein Umstürzler, fürchtet soziale<br />
Konflikte. Nicht gut fürs Image. Danuser schwebt etwas vor,<br />
was im kanadischen Whistler Mountain längst funktioniert:<br />
Dort dürfen Zweitwohnungen im Sommer und Winter jeweils<br />
einen Monat von den Besitzern genutzt werden, den Rest der<br />
Zeit müssen sie vermietet werden. Danuser schimpften im Tal<br />
deswegen viele einen «altersradikalen Bergmarxisten». Lange<br />
davor, nämlich 2005, war den OberengadinerInnen das<br />
ers te Mal richtig der Kragen geplatzt. Stillschweigend, nämlich<br />
an der Urne. Die BerglerInnen stimmten gegen den heftigen<br />
Widerstand der bürgerlichen Parteien von FDP, BDP und<br />
CVP und aller Gemeindepräsidenten <strong>mit</strong> über siebzig Prozent<br />
einer regionalen Kontingentierungsinitiative zu. Es war eine<br />
schallende Ohrfeige für die machtverwöhnten Anwälte, Ingenieure<br />
und Bauunternehmer, die während der Hochjagd auf<br />
den Berghütten Päckchen schnüren und Absprachen treffen.<br />
Jagdhüttenpolitik.<br />
Vorangetrieben hatte die Initiative der SP-Politiker und<br />
Ende November abgewählte Gemeindepräsident von S-Chanf,<br />
Romedi Arquint. 2007 doppelten die StimmbürgerInnen<br />
nach: Sie wählten bei den ersten Wahlen in das neu konzipierte<br />
Regionalparlament alle KandidatInnen der Glista Libra.<br />
«Wir hätten auch Tote oder Kinder auf die Liste setzen können,<br />
sie wären gewählt worden», sagt Robert Obrist. Für eine<br />
Mehrheit reichte es dennoch nicht, weil alle Gemeindepräsidenten<br />
von Amtes wegen im 33-köpfigen Parlament sitzen. So<br />
haben die Bürgerlichen doch noch das Sagen.<br />
Unterstützt wird der Kampf gegen die Auswüchse des<br />
Zweitwohnungsbaus auch vom Forum Engadin, einer politisch<br />
neutralen Vereinigung, der auch viele FerienhausbesitzerInnen<br />
angehören, darunter Edgar Oehler oder die Ringiers.<br />
Freilich nehmen die meisten Oberengadiner PolitikerInnen<br />
<strong>dem</strong> Forum dieses Engagement übel – und haben den Austritt<br />
gegeben.<br />
Das Loch im Hag<br />
Das Kontingentierungsgesetz trat 2009 in Kraft – ein Wermutstropfen<br />
vergällt allerdings die Freude. Das Establishment<br />
hat doch noch eine dehnbare Ausnahmeregelung durchgedrückt.<br />
Der Artikel 7, Absatz 2, erlaubt den Gemeinden, «im<br />
Rahmen von projektbezogenen Nutzungsplanungen im überwiegenden<br />
öffentlichen und volkswirtschaftlichen Interesse<br />
liegende Bauvorhaben teilweise oder ganz von der Kontingentierung<br />
zu befreien». In Samedan wollte die Gemeinde dieses<br />
Schlupfloch bereits nutzen und 3500 Quadratmeter Zweitwohnungsfläche<br />
an zwei laufende Hotelprojekte kontingentfrei<br />
bewilligen – Druck aus der Bevölkerung und der Glista<br />
Libra verhinderten es.<br />
Jetzt dürfen im Oberengadin bloss noch hundert Ferienwohnungen<br />
pro Jahr gebaut werden. Zuvor stampften die<br />
Baugeschäfte jährlich vierhundert aus <strong>dem</strong> Boden. Es ist ein<br />
erster Schritt, nicht die Lösung. Kurzfristig hat die Verknappung<br />
des Angebots die Preise nochmals hochgetrieben und<br />
Als Investorin tritt dort die Aminona Luxury Resort & Village<br />
SA auf, eine Tochterfirma des russischen Baukonzerns Miramax.<br />
Geplant sind 160 Luxusappartements, 350 Hotelzimmer,<br />
50 Chalets und eine 12 000 Quadratmeter grosse Geschäftszone.<br />
Die Gemeinde hat für die erste Bauetappe grünes Licht<br />
gegeben. Anfang November haben der WWF und die Stiftung<br />
Landschaftsschutz Schweiz gegen die Baubewilligung Beschwerde<br />
eingereicht. Sie befürchten ein Fiasko für Natur und<br />
Landschaft.<br />
Megaprojekte sind bei der Bergbevölkerung ohnehin<br />
nicht besonders beliebt. Die meisten stossen auf Ablehnung,<br />
bleiben im Planungsstadium stecken und werden nie realisiert.<br />
Die Grossprojekte lenken zu<strong>dem</strong> vom grösseren Problem<br />
ab, nämlich <strong>dem</strong> Bau von Zweitwohnungen und den<br />
kalten Betten. Dass es auch anders geht, zeigt ein Projekt in<br />
Flims: Wer im Rockresort eine Ferienwohnung kauft, muss<br />
sich verpflichten, diese weiterzuvermieten. So bleiben die Betten<br />
meistens warm. fa<br />
Nicola Caduff, Jungsozialist: «St. Moritz hat seine Seele verkauft. Wir müssen<br />
den Spekulanten Wohnraum entziehen.»<br />
«Wohneigentum im Oberengadin ist für mich unerschwinglich»: Der Lehrer<br />
Christoph Wiesler hat sich fürs Pendeln entschieden.<br />
Thema 17<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
erhöht den Druck auf die sogenannten altrechtlichen Wohngebäude,<br />
also all jene Objekte, die vor den nutzungsrechtlichen<br />
Einschränkungen entstanden sind, und das ist der<br />
Grossteil der Wohnungen. Die Glista Libra sammelt daher<br />
bereits für eine neue Initiative Unterschriften. Der Vorstoss<br />
verlangt, es solle sichergestellt werden, dass nach erheblichen<br />
Umbauten und Sanierungen die Hälfte der Wohnfläche als<br />
Erstwohnungen dient. Spätestens im nächsten Februar sollen<br />
die vierhundert Unterschriften zusammen sein. Das wird kein<br />
Problem. Aber anders als bei der ersten Initiative, die neue Ferienwohnungen<br />
betraf, sehen nun einheimische Haus be sitzer<br />
In nen ihre Eigentumsfreiheit in Gefahr. Das Establishment<br />
inszeniert bereits erste Störmanöver. Zunächst behauptete<br />
das Kreisamt, die Initiative müsse die Bedingungen des kantonalen<br />
Initiativrechts erfüllen. Der Gemeindevorstand von<br />
Samedan behauptete, sollte die Initiative zustande kommen,<br />
habe das Regionalparlament darüber zu bestimmen, nicht<br />
das Volk. Denn dort stellt die Baulobby die Mehrheit. Es sind<br />
Behauptungen wider besseres Wissen. Der politische Prozess<br />
ist erst angelaufen, die Auseinandersetzung wird hart. Die<br />
Baulobby wird ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen,<br />
um ihre Goldgrube zu schützen. Würde die Initiative angenommen,<br />
wäre das keine Ohrfeige für die Mächtigen, es wäre<br />
ein Kinnhaken – und ein Sieg der Vernunft.<br />
Das Ende der Hotellerie<br />
Die Wut unter Einheimischen gegen ihre Vertreibung aus den<br />
Dorfzentren spürt auch Nicola Caduff. Selbst langjährige Feriengäste<br />
fühlten sich unbehaglich. «St. Moritz hat seine Seele<br />
verkauft», sagt der 23-Jährige. Er hat eine KV-Lehre in einem<br />
Tourismusbüro absolviert und studiert derzeit in Chur an der<br />
Hochschule für Wirtschaft und Technik. Nach <strong>dem</strong> Studium<br />
könnte er als Manager ein Hotel führen, wenn es denn die Hotellerie<br />
noch lange gibt. Sie hat St. Moritz gross gemacht, jetzt<br />
droht der Zweitwohnungsirrsinn ihre Fundamente zu zerstören.<br />
Hotels wechseln im mondänen Kurort auch schon mal für<br />
fünfzig bis sechzig Millionen Franken die Hand und beherbergen<br />
dann Zweitwohnungen. Wer kann da widerstehen?<br />
Caduff ist ein Kind von St. Moritz. Er kennt jeden Winkel<br />
des Dorfes. Allein im Umfeld des Schulhausplatzes finden<br />
sich zwei abgehalfterte Hotels, mächtige Gebäude, die die<br />
Strassen in Schatten tauchen. Da ist das «Albana», wo Caduff<br />
als Bub seine Manieren an einem Benimmkurs schliff. Jetzt<br />
hat sich im Parterre die Credit Suisse eingenistet, darüber<br />
liegen Eigentumswohnungen. Angrenzend das «Parkhaus»,<br />
ebenfalls ein mächtiger Bau. Ein schmiedeeisernes Tor schützt<br />
den Eingang zu den Eigentumswohnungen, die Adresse: «The<br />
Murezzan 4», dann eine Boutique, daneben eine Galerie. Eine<br />
neue Erscheinung sind auch die Immobilienangebote hinter<br />
Glasfenstern. «Dort unten war ein Platz, auf <strong>dem</strong> sich die Jungen<br />
noch vor wenigen Jahren vor <strong>dem</strong> Ausgang trafen», sagt<br />
Caduff. Heute ist er zugebaut – Edelboutiquen hinter Glasfronten.<br />
Und die Hotelbars, in denen sich die Einheimischen<br />
treffen, sind inzwischen rar. Die Führung durch das Dorfzentrum<br />
ist ein Gang durch einen ausgestorbenen Ort. Bloss<br />
Handwerker und portugiesische Strassenarbeiter, die Schnee<br />
wegräumen, zwei junge Deutsche an der <strong>Bus</strong>haltestelle, einige<br />
ältere Frauen – viel mehr Menschen sind da nicht. Und<br />
dann führt Caduff einige Meter den Hang hinunter und zeigt<br />
hoch zum ehemaligen Hotel Belveder, der Prachtbau heisst<br />
heute Residenz Belveder – bis auf den letzten Quadratmeter<br />
Eigentumswohnungen.<br />
Der wilde Geldstrom spült die Einheimischen gewissermassen<br />
aus <strong>dem</strong> Ort, zerstört die alte Dorfkultur und verwandelt<br />
St. Moritz bald für immer in eine gereinigte Sonderzone<br />
der Superreichen, die beiläufig 6500 Franken für ein Weihnachtsessen<br />
ausgeben. Das Gebäude, in <strong>dem</strong> sich das Kino<br />
befindet – eben verkauft. Auch dort werden im Parterre wohl<br />
bald Boutiquen einziehen und darüber Zweitwohnungen.<br />
Rendite um jeden Preis.<br />
Caduff ist Jungsozialist, sitzt im Regionalparlament<br />
und denkt an die Zukunft. Ihm reichen defensive Übungen<br />
wie die Einschränkungen des Zweitwohnungsbaus nicht.<br />
«Wir brauchen eine Gesamtsicht, wir müssen wissen, was wir<br />
<strong>mit</strong> diesem Tal wollen, wir müssen den Genossenschaftsbau<br />
fördern und den Spekulanten Wohnraum entziehen.» Er will<br />
sich nicht widerstandslos die Heimat entreissen lassen. Aber<br />
so kämpferisch Caduff jetzt tönt, streift ihn dann doch der<br />
Realitätssinn des Berglers: «Ich liebe das Oberengadin, ich<br />
bleibe, bis ich mein Studium beendet habe, und ich bleibe länger,<br />
wenn mir das Tal eine Perspektive bietet. Sonst muss halt<br />
auch ich <strong>mit</strong> Wehmut <strong>dem</strong> Engadin den Rücken kehren.»<br />
Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds<br />
des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt<br />
Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten<br />
der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden<br />
der WOZ-LeserInnen.<br />
Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich, PC 80-22251-0
Als ob eine Pflicht zu absolvieren wäre: Prototypisches Verhalten im Ikea-Musterbubenzimmer.<br />
«IkeavIlle»<br />
Mustergültig am Fenster stehen<br />
Kultur / Wissen 19<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Wohn ich noch oder leb ich schon?: Gedanken über das «bessere Leben» anlässlich einer Audioführung des Theaterkollektivs<br />
Schauplatz International durch die Ikea-Filiale in Lyssach.<br />
Von AdriAn riKlin (TexT) und ursulA Häne (FoTo)<br />
Es ist Freitagabend in der Ikea-Filiale Lyssach,<br />
und ich sitze leicht benommen auf <strong>dem</strong> weissen<br />
Sofa in der Singlemusterwohnung.<br />
Der 84-jährige Ikea-Gründer Ingvar Kamprad,<br />
der reichste in der Schweiz wohnhafte<br />
Mensch, wäre wohl ziemlich schockiert, wenn<br />
er mich in meiner tatsächlichen Wohnung besuchen<br />
würde. Es ist nämlich so, dass ich immer<br />
noch in den siebziger Jahren wohne. Alle<br />
meine Möbel sind mindestens dreissig Jahre<br />
alt. Die Zeitsprünge, die ich vollbringe, wenn<br />
ich die Türschwelle meiner tatsächlichen<br />
Wohnung überschreite, sind enorm.<br />
Wenn nun also Ikea die Welt ist, bin ich einer<br />
dieser Zaungäste aus <strong>dem</strong> letzten Jahrhundert,<br />
die höchstens studienhalber darin Platz<br />
nehmen. Aber war nicht dieses Jahrzehnt, aus<br />
<strong>dem</strong> sich meine Möbel ins 21. Jahrhundert<br />
hinübergerettet haben, auch jenes Jahrzehnt,<br />
in <strong>dem</strong> Ikea ein neues Gebot ausrief, das die<br />
Welt verändern sollte? «Benutze es und wirf<br />
es weg!» Es war die ultimative Gebrauchsanleitung<br />
für einen zeitgemässeren Umgang<br />
<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> täglichen Mobiliar. Schlachtruf für<br />
den mobilen Menschen, der auszieht, die Vergangenheit<br />
hinter sich zu lassen.<br />
Die Esoterik von Ikea<br />
Es riecht nach Duftkerzen. Und die Frage,<br />
sie lautet: «Wohnst du noch oder lebst du<br />
schon?» <strong>Besser</strong> leben: So also fühlt es sich<br />
an auf diesem Sofa. Der tiefere Sinn von<br />
Ikea, ja, er liegt ganz eindeutig in dieser zeitgenössischen<br />
Geschichtspolitik. Im Zeitalter<br />
der Mobilität geht es darum, möglichst keine<br />
Spuren zu hinterlassen (und Staub schon<br />
gar nicht aufkommen zu lassen). Ein flexibler<br />
Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er<br />
Wohnort, Beruf und Weltanschauung jederzeit<br />
und ohne grösseres Aufheben wechseln<br />
kann. Dazu braucht es Wegwerfmöbel.<br />
Wirf weg – und du wirst neugeboren! Das<br />
ist die Esoterik von Ikea. Lass los – und alles<br />
wird gut. Und hell. Und leicht. Und ich ertappe<br />
mich beim Gedanken, es vielleicht doch<br />
noch einmal zu wagen, versuchsweise nur:<br />
ein zeitgenössischer Mensch zu werden, <strong>mit</strong><br />
zeitgenössischen Möbeln und ebensolchen<br />
Beziehungen und Gedanken und Gefühlen.<br />
Aber für diese Art von Reibungslosigkeit ist<br />
es wohl zu spät. Zeitgenossenschaft, das ist<br />
in diesem Zeitalter ja nichts anderes als eine<br />
poetische Umschreibung für Kompatibilität.<br />
Ein Hauch von Demokratie<br />
Nun geht ein junges Paar an meiner provisorischen<br />
Singlewohnung vorüber, als träte<br />
es aus <strong>dem</strong> Schatten einer Gegenwart in den<br />
Lichtkegel einer Zukunft. Ein paar Zimmer<br />
weiter, in einem Musterbubenzimmer, hockt<br />
ein kleiner Junge vor einer Playstation. Die<br />
Art, wie er spielt und <strong>mit</strong> den Armen fuchtelt,<br />
ist vorbildlich. Als ob aus der Mustergültigkeit<br />
der Einrichtung ein ebenso mustergültiges<br />
Verhalten resultieren würde. Ob ich da<br />
nicht ein wenig übertreibe <strong>mit</strong> meinem Kulturpessimismus?<br />
Und doch: Es ist das Prototypische,<br />
das mich abstösst: das Prototypische<br />
einer räumlichen Inszenierung, in der<br />
zwangsläufig immer auch ein prototypisches<br />
Verhalten zutage tritt.<br />
So stehe ich mustergültig am Fenster und<br />
schaue komfortabel in die Welt, um dann vorbildlich<br />
die Vorhänge zu ziehen, mich wohlstandshalber<br />
auf das Mustersofa zu setzen<br />
und standesgemäss auf den Bildschirm zu<br />
schauen, wo mir eine Nachrichtensprecherin<br />
<strong>mit</strong> einem mustergültigen Lächeln auf den<br />
Lippen die neusten Schreckensnachrichten<br />
aus dieser grossen Welt <strong>mit</strong>teilt, vor der ich<br />
die Vorhänge gezogen habe.<br />
Aber wo liegt denn das Problem? Ist das alles<br />
nicht doch auch irgendwie <strong>dem</strong>okratisch:<br />
Gleiche Möbel für alle? Gute, schöne, günstige<br />
Möbel? Oder handelt es sich eben doch<br />
vielmehr um eine Form von kapitalistisch<br />
verwertetem Konsumsozialismus? Ikea ist ja<br />
auch das: ein multinationaler Einrichtungskonzern<br />
<strong>mit</strong> weltweit 130 000 Mitarbeiter-<br />
Innen, der sich soziale Verantwortung und<br />
ökologisches Bewusstsein auf die Fahnen<br />
geschrieben hat. Ein Unternehmen <strong>mit</strong> einem<br />
geschätzten Wert von 36 Milliarden US-Dollar,<br />
dessen Eigentümerin eine als gemeinnützige<br />
Organisation registrierte Stiftung<br />
<strong>mit</strong> Sitz in den Niederlanden ist und deshalb<br />
kaum Steuern zahlt – <strong>mit</strong> einem steinreichen<br />
Patron in der Schweiz, der in den Genuss von<br />
Pauschalbesteuerung kommt.<br />
Leben als Orientierungslauf<br />
Im Mustereinzelzimmer für kleine Buben <strong>mit</strong><br />
der obligaten Weltkarte an der Wand sitzt<br />
noch immer der Junge und spielt Playstation,<br />
als hätte er irgendeine Pflicht zu erfüllen.<br />
Hausaufgaben. Absolvieren, es ist dieses<br />
Wort, das mir in der Ikea-Filiale in Lyssach<br />
immer wieder durch den Kopf geht: das Leben<br />
als Orientierungslauf.<br />
Die Verhältnisse, sie haben sich längst<br />
schon gekehrt: Nicht mehr die Wohnungen<br />
sind es, die sich den menschlichen Bedürfnissen<br />
und Eigenarten anpassen, sondern vielmehr<br />
die Menschen, die sich an den räum-<br />
Schauplatz InternatIonal<br />
«What happened before you came»<br />
In seiner aktuellen Produktion lotst Schauplatz<br />
International (Martin Bieri, Anna-Lisa<br />
Ellend, Albert Liebl, Lars Studer) die ZuschauerInnen<br />
in einer Audioguide-Tour durch die<br />
Ikea-Filiale Lyssach. Die Hörgeschichten gehen<br />
davon aus, dass «Ikeaville» nachts von<br />
Menschen bewohnt wird, die an einer «besseren<br />
Welt» arbeiten.<br />
Die Tour endet <strong>mit</strong> der Aufnahme eines<br />
Interviews <strong>mit</strong> Colin Crouch, Autor des Buchs<br />
«Post<strong>dem</strong>okratie». Den Hintergrund liefert<br />
die Tatsache, dass Ikea wegweisend darin<br />
ist, soziale Ideen kapitalistisch zu verwerten.<br />
Crouch: «Das grosse Unternehmen wird in der<br />
Gesellschaft, in der wir leben, nach und nach<br />
zur zentralen Institution. Immer mehr private<br />
Firmen erfüllen öffentliche Aufgaben, das<br />
Wissen privater Unternehmen wird als das<br />
wichtigste Wissen überhaupt verstanden.»<br />
In Bezug auf den Bedeutungsverlust der<br />
handwerklich-industriellen Arbeiterklasse<br />
bedeutet das, dass Gruppen, die in den Sek-<br />
lichen Voraussetzungen orientieren. Eigen-<br />
Art: Das hört sich inzwischen an, als handle<br />
es sich um eine Kunstrichtung.<br />
In einem weissen Musterzimmer entdecke<br />
ich wieder das junge Paar, ertappe die<br />
beiden, wie sie längst darin Platz genommen<br />
haben an diesem Freitagabend in der Ikea-<br />
Filiale Lyssach – in einer Zukunft, als wäre<br />
sie schon ein wenig Vergangenheit. Und alles<br />
kommt mir schleierhaft bekannt vor, als<br />
handle es sich um eine Szene, die ich schon<br />
mal in einer Illustrierten gesehen habe (als<br />
Homestory eignet sich ja immer nur das Privatleben<br />
der anderen). Vielleicht ist es am<br />
Ende das, was dieses Ikea-Gefühl ausmacht:<br />
jeder und je<strong>dem</strong> die Illusion, ein besseres<br />
Leben zu führen. Weicher liegen, klarer fernsehen,<br />
leichter sterben. Und wäre nicht auch<br />
das ein wenig <strong>dem</strong>okratisch?<br />
toren der postindustriellen Wirtschaft arbeiten,<br />
kaum mehr eine politische Identität<br />
entwickeln können, weil die Kohäsionskräfte<br />
von Klasse und Religion so schwach geworden<br />
sind: «Die breite Masse, der Kern der Gesellschaft,<br />
wird zu einem passiven Beobachter<br />
politischer Prozesse, die einerseits von<br />
Unternehmen und Parteieliten, andererseits<br />
von den Vertretern gesellschaftlicher Extreme<br />
kontrolliert werden.»<br />
«Ikeaville – What happened before you came» in:<br />
Lyssach Ikea-Filiale. Kollektive Anreise (<strong>Bus</strong> ab Bern,<br />
Tojo-Theater): Fr, 10. und 17. Dezember, 19 Uhr.<br />
Individuelle Anreise: Do, 9., So, 12., Di, 14., Do, 16.,<br />
So, 19. Dezember, 11 bis 19 Uhr (So bis 17 Uhr).<br />
Zirka 75 Minuten. Preis: «Zahl, so viel du willst».<br />
Reservationen unter Angabe der gewünschten Zahl<br />
Audioguides: tickets@schauplatzinternational.net;<br />
Tel. 031 991 99 01. Mitbringen eigener Kopfhörer<br />
erwünscht. www.schauplatzinternational.net<br />
Colin Crouch: «Post<strong>dem</strong>okratie». Aus <strong>dem</strong> Englischen<br />
von Nikolaus Gramm. Edition Suhrkamp. Berlin 2009.<br />
160 Seiten. Fr. 15.90.
20 Kultur / Wissen<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Kultur online<br />
Das digitale<br />
Feuilleton<br />
öffnet neue<br />
Schubladen<br />
Sie füllen die Lücke, die <strong>mit</strong> den Sparübungen<br />
in den Medien entstanden ist. Doch Onlinemagazine<br />
wie «Neuland», «TheTitle» oder «imScheinwerfer»<br />
sind mehr als nur Lückenbüsser.<br />
Von nicK Lüthi<br />
Musicals haben einen schweren Stand. Nicht<br />
beim Publikum, das strömt in Massen, wenn<br />
«Evita», «Dällebach Kari» oder «Ewigi Liebi»<br />
auf <strong>dem</strong> Programm stehen – aber in den Medien.<br />
Beim Feuilleton rümpft man die Nase und<br />
hält das Genre für irgendwie minderwertig. Als<br />
gesellschaftliche Anlässe werden Musicalaufführungen<br />
zwar wahrgenommen, nicht aber<br />
als kulturelle. So kommt es, dass nirgendwo<br />
eine kontinuierliche und kritische Berichterstattung<br />
stattfindet. Mit einer Ausnahme: Das<br />
Onlinemagazin «imScheinwerfer» bietet seit<br />
gut zwei Jahren <strong>dem</strong> Musical eine prominente<br />
publizistische Plattform <strong>mit</strong> ausführlichen<br />
Kritiken aller wichtigen Produktionen. Auch<br />
Theater, Musik, Show und Zirkus kommen in<br />
weiteren Rubriken nicht zu kurz.<br />
Obwohl Form und Inhalt professionell<br />
daherkommen, können die Herausgeber Andreas<br />
Isenegger und Daniel Fischer <strong>mit</strong> den<br />
Einnahmen aus den spärlichen Werbeanzeigen<br />
nur die Unkosten für den Betrieb der Website<br />
bezahlen. «Die Grossen der Branche, ein Veranstalter<br />
wie Good News zum Beispiel, brauchen<br />
nicht bei uns zu inserieren», weiss Isenegger.<br />
Mit gutem Grund: Good News gehört Ringier<br />
und kann die Kanäle des Zürcher Medienkonzerns<br />
nutzen.<br />
Das ist Fluch und Segen zugleich für ein<br />
unabhängiges Kulturmagazin wie «imScheinwerfer»:<br />
«Einerseits könnten wir das Geld gut<br />
brauchen, andererseits wollen wir nicht von<br />
der Branche abhängig werden.» Und so bestreitet<br />
Isenegger, der sein Einkommen als Projektleiter<br />
bei einer Elektrizitätsfirma und als Teilzeitfotograf<br />
verdient, als Chefredaktor <strong>mit</strong> beschränktem<br />
Budget ein doch anspruchsvolles<br />
Redaktionsprogramm. Einen grossen Teil<br />
der Artikel verfassen er selbst oder der Wirtschaftsanwalt<br />
und Musicalfan Daniel Fischer.<br />
«Da wir keine Honorare bezahlen», so Isenegger,<br />
«kann ich nicht immer <strong>mit</strong> gutem Gewissen<br />
einen freien Journalisten aufbieten.»<br />
Personenrätsel<br />
Die rote Jungfrau<br />
Sie wollte «die absolute Freiheit, nichts als die<br />
Freiheit», und da ihr Credo für alle galt, verteidigte<br />
sie nach einem Mordanschlag den Attentäter,<br />
der auf sie geschossen hatte. Er sei «von<br />
einem bösartigen System fehlgeleitet», sagte sie<br />
im Alter von 58 Jahren. Konsequent war die zu<br />
ihrer Zeit meistgehasste und meistgeliebte Frau<br />
immer gewesen. 1830 als uneheliche Tochter einer<br />
Dienstmagd in der ostfranzösischen Provinz<br />
auf die Welt gekommen, verzichtete die überzeugte<br />
Republikanerin trotz ihrer Ausbildung<br />
zur Grundschullehrerin auf eine Anstellung im<br />
Schuldienst, weil sie einen Eid auf den Kaiser ablehnte.<br />
Und in Paris, wohin sie im Alter von 26<br />
Jahren umgezogen war, unterrichtete sie nicht<br />
nur an einer privaten Mädchenschule: Sie engagierte<br />
sich in Frauengruppen und schloss sich<br />
der sozialistischen Opposition an.<br />
Konsequent blieb sie auch, als im Schatten<br />
des deutsch-französischen Kriegs 1871 die<br />
Pariser ArbeiterInnen die Macht übernahmen<br />
Innerhalb der Musicalszene hat sich<br />
«imScheinwerfer» seit der Gründung vor zwei<br />
Jahren einen guten Namen erarbeitet. Nicht<br />
zuletzt dank der Vergabe eines nach <strong>dem</strong> Magazin<br />
benannten Preises. Isenegger: «Die Musicaldarsteller<br />
finden es toll, dass sie bei uns eine<br />
Plattform haben.» Und nicht nur sie, sondern<br />
auch die rund 30 000 Personen, die im Monat<br />
«imScheinwerfer» lesen.<br />
«Freier und persönlicher»<br />
Deckt das Musicalmagazin ein genrespezifisches<br />
Interesse ab, so versuchen zwei andere<br />
Internetpublikationen jenem Journalismus<br />
Raum zu geben, den sie in der Schweizer Medienlandschaft<br />
zunehmend vermissen: lange Formate,<br />
reichhaltiger Lesestoff, der nicht primär<br />
von Aktualität und Aufmerksam keitsdruck geprägt<br />
ist, verfasst von profilierten und kompetenten<br />
AutorInnen, wie etwa Hanspe ter Künzler.<br />
Der als «Düsi aus London» von DRS 3 bekannte<br />
Journalist schreibt für «TheTitle» und<br />
«Neuland», die beiden jungen Onlinemagazine.<br />
«Ich schreibe freier und persönlicher und<br />
kann mehr von meinem ‹Ich› in die Texte einbringen»,<br />
benennt der Journalist den Unterschied<br />
zu den Aufträgen etablierter Medien. In<br />
der Erstausgabe von «Neuland» widmete sich<br />
Künzler <strong>dem</strong> englischen Schulsystem am Beispiel<br />
seiner beiden Töchter. Ungewohnte Töne<br />
vom Musikjournalisten. Von «Perlen, die man<br />
sonst nicht präsentiert kriegt» spricht Judith<br />
Stofer, eine der Gründerinnen von «Neuland».<br />
Die aber wollen geschliffen werden. Was<br />
die Onlinemagazine von Blogs unterscheidet,<br />
ist ihre Redaktionsstruktur. Zwar kann heute<br />
jeder und jede <strong>mit</strong> wenig Aufwand und in ansprechender<br />
Gestalt im Internet veröffentlichen,<br />
was ihm oder ihr gerade durch den Kopf<br />
geht. Einen institutionalisierten Qualitätsfilter<br />
leisten sich aber nur die wenigsten. Der<br />
macht den Unterschied. Man treffe eine «stren<br />
und die erste Räte<strong>dem</strong>okratie der Geschichte<br />
ausriefen. Sie organisierte Suppenküchen, versorgte<br />
die Verwundeten im Kampf zur Verteidigung<br />
der proletarischen Republik, zog sich eine<br />
Uniform an und kämpfte <strong>mit</strong> ihrem Frauenbataillon<br />
auf den Barrikaden.<br />
Die Niederschlagung der Pariser Kommune<br />
kostete 30 000 Aufständischen das Leben;<br />
die meisten wurden exekutiert. «La pétroleuse»,<br />
die Zündlerin, wie sie von den Bürgerlichen<br />
genannt wurde, verschonte man jedoch. Die<br />
siegreiche Bourgeoisie wollte keine Märtyrerin<br />
schaffen und verbannte die von den Massen<br />
verehrte «Jeanne d‘Arc des Anarchismus» auf<br />
die französische Kolonial insel Neukaledonien.<br />
Doch auch dort gab sie keine Ruhe: Sie unterstützte<br />
die UreinwohnerInnen bei einer antikolonialen<br />
Revolte. Nach einer Amnestie 1880<br />
kehrte sie zurück, half streikenden Textilarbeiterinnen<br />
und führte 1883 eine Demonstration<br />
an, bei der drei Bäckereien geplündert wurden.<br />
Erneut wurde sie verurteilt, kam aber aufgrund<br />
von Protesten nach drei Jahren frei, schrieb Aufrufe<br />
und hielt flammende Reden, bis sie <strong>mit</strong> 74<br />
Jahren während einer Vortragsreise in Marseille<br />
starb.<br />
Wie heisst die Revolutionärin, deren Sarg<br />
über 100 000 Menschen begleiteten und nach<br />
der in Paris eine Metrostation benannt ist? pW<br />
Die Auflösung finden Sie auf Seite 26.<br />
Das Onlinemagazin «neuland» versteht sich auch als Plattform für bildende Kunst: Das interaktive Cover der<br />
zweiten Ausgabe gestaltete das Basler Künstlerpaar Studer / Van den Berg.<br />
ge Auswahl» vor der Veröffentlichung, sagt<br />
«Neuland»Macherin Judith Stofer, einst Präsidentin<br />
der JournalistInnenUnion und heute<br />
freie Journalistin.<br />
Wenn sich ««imScheinwerfer» inhaltlich<br />
über den Musicalfokus als Alternative zum Programm<br />
der Massenmedien positioniert, dann<br />
tut dies «Neuland» über die Form. Das Magazin<br />
verweigert sich bewusst den Onlinetrends.<br />
So gibt es auch keine Kommentarmöglichkeit<br />
zu den Artikeln. Künzler schätzt<br />
das: «Ich finde den Wortdurchfall<br />
in den meisten Kommentarspalten<br />
eher irritierend als bereichernd.»<br />
Man wolle bewusst<br />
Ruhe hineinbringen, nicht das<br />
Schrille, Lärmige, sagt Stofer.<br />
Film und Ton präsentiert man in<br />
eigens dafür vorgesehenen Gefässen,<br />
um nicht von den Texten<br />
abzulenken.<br />
Trotz aufwendiger Gestaltung<br />
gemahnt das Monatsmagazin<br />
allzu stark an das Ab<br />
bild einer Printpublikation <strong>mit</strong> typografischen<br />
und gestalterischen Elementen, die auf die<br />
Lesegewohnheiten am Bildschirm nicht wirklich<br />
Rücksicht nehmen. Das bleibt vorerst so.<br />
In einem halben Jahr wird eine «strenge Zwischenbilanz»<br />
gezogen; auch was das Geld angeht.<br />
Das fliesst nämlich erst spärlich. Nun<br />
hoffen die MacherInnen dank <strong>dem</strong> Leistungsausweis<br />
von zwei Ausgaben auf Stiftungen;<br />
eine Hoffnung, die derzeit alle hegen, die Projekte<br />
jenseits des kommerziellen Verwertungsdrucks<br />
zu lancieren versuchen – und es sind<br />
nicht wenige.<br />
Magazin <strong>mit</strong> Mäzen<br />
Was die<br />
Onlinemagazine<br />
von Blogs<br />
unterscheidet,<br />
ist der<br />
Qualitätsfilter.<br />
Keine Sorgen um die Finanzierung brauchte<br />
sich lange Zeit «TheTitle» zu machen, ein Kulturmagazin<br />
<strong>mit</strong> der nicht gerade bescheidenen<br />
Zensurversuche<br />
Die polizei klingelt nicht<br />
Im November wurde die Türe des Münchner<br />
«Kafe Marat» von der Polizei <strong>mit</strong> einem Rammbock<br />
aufgebrochen und anschliessend die Tür<br />
zum Infoladen <strong>mit</strong> einem handlichen Brecheisen<br />
geöffnet. Die dort anwesenden Leute waren<br />
ziemlich erschrocken und fragten sich, wieso<br />
die Polizei nicht geklingelt hat. Die Frage war zu<br />
kompliziert und konnte bis heute von der Polizei<br />
nicht beantwortet werden.<br />
Sie suchten nach der Ausgabe Nr. 718 der<br />
Zeitschrift «Interim» aus <strong>dem</strong> Umfeld der Berliner<br />
autonomen Szene. In der besagten Nummer<br />
wurde über einen «spurenarmen Molli» berichtet<br />
und in polizeilicher Leseart «öffentlich<br />
zu Straftaten aufgefordert». Woher die Polizei<br />
dies weiss, ist bis heute auch nicht beantwortet.<br />
Im «Kafe Marat» sind die Polizisten nicht fündig<br />
geworden. Da<strong>mit</strong> sie nicht <strong>mit</strong> leeren Händen<br />
abziehen mussten, haben sie Rammbock<br />
und Brecheisen wieder <strong>mit</strong>genommen.<br />
Auch in Berlin werden seit 2009 in schöner<br />
Regelmässigkeit Buchhandlungen polizeilich<br />
durchsucht. Allerdings wird dort vorher<br />
geklingelt. Es betrifft vor allem den Infoladen<br />
«M99 – Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf»,<br />
die Buchhandlung «oh*21» und den<br />
Unterzeile «Das kulturelle Überformat». Drei<br />
Jahren lang konnte Chefredaktor Rudolf Amstutz<br />
aus <strong>dem</strong> Vollen schöpfen. Der nach New<br />
York ausgewanderte Berner Journalist fand in<br />
einer kleinen, florierenden Softwarefirma den<br />
Mäzen für sein Wunsch und Traummagazin.<br />
Amstutz bot bekannten SchreiberInnen, darunter<br />
auch Hanspeter Künzler, Raum für Beiträge<br />
zur Populärkultur, von Musik über Film<br />
bis Comic. Und das jeweils in der Länge und<br />
Ausführlichkeit, wie sie der Stoff<br />
erfordert, und nicht, wie sie ein<br />
Layout vorgibt.<br />
Einen sechsstelligen Betrag<br />
habe man bisher in «TheTitle» investiert,<br />
sagt Claudia Mühlebach,<br />
die firmenseitig das Projekt betreut.<br />
Nach <strong>dem</strong> überraschenden<br />
Verlust eines Kunden zog sich<br />
die Softwarefirma Anfang 2010<br />
als Sponsor zurück. Zumindest<br />
vorübergehend. «Wir sehen aber<br />
weiterhin das Potenzial des Magazins<br />
und zahlen auch jetzt<br />
noch regelmässig kleinere Beiträge», sagt Mühlebach.<br />
Doch für das Gros der Betriebskosten<br />
muss jetzt der Chefredaktor Klinken putzen<br />
gehen. Im Moment kann sich Amstutz ganz<br />
auf diese Aufgabe konzentrieren. Seit einem<br />
halben Jahr wurden keine neuen Texte mehr<br />
veröffentlicht, im Januar steht ein Neustart<br />
von «TheTitle» an. Der Versuch, ein Printmagazin<br />
im Netz zu simulieren, <strong>mit</strong> Seiten zum<br />
Blättern und monatlicher Erscheinungsweise,<br />
sei an Grenzen gestossen und für die Lektüre<br />
nicht ideal, findet Amstutz. Für den grenzenlosen<br />
Optimisten heisst das aber nicht, dass er<br />
aufgibt. 2011 soll «TheTitle» als App auf iPhone<br />
und iPad zu lesen sein.<br />
www.imscheinwerfer.ch<br />
www.neuland-mag.net<br />
www.the-title.com<br />
Buchladen und Verlag «Schwarze Risse», bei<br />
<strong>dem</strong> bereits neun Mal Flugblätter und Zeitschriften<br />
beschlagnahmt wurden. Von Seiten<br />
der Staatsanwaltschaft wird gegen alle drei<br />
Buchhandlungen er<strong>mit</strong>telt.<br />
BuchhändlerInnen sollen also für den<br />
Inhalt der Schriften, die sie vertreiben, verantwortlich<br />
gemacht werden. Macht sich also<br />
jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi<br />
Aufmarsch zu blockieren oder gegen einen<br />
CastorTransport zu <strong>dem</strong>onstrieren? Verstösst<br />
ein Essay von Walter Benjamin gegen das Werbeverbot<br />
für Betäubungs<strong>mit</strong>tel? Auch linke Internetprovider<br />
hatten wegen gehosteten Internetseiten<br />
wiederholt Besuch vom Staatsschutz<br />
erhalten.<br />
Die Geschichte kommt einem nicht unbekannt<br />
vor. Vor Jahren wurde auch die linke<br />
Buchhandlung Pinkus in Zürich Ziel solcher<br />
Razzien. Gegen die damalige Verantwortliche<br />
wurde gar ein Verfahren wegen des Verkaufs<br />
von linken Zeitschriften eingeleitet. Das Verfahren<br />
wurde später mangels Beweisen eingestellt.<br />
Leuten, die sich gegen die staatlichen<br />
Zensurversuche in Deutschland wehren wollen,<br />
sei www.unzensiertlesen.de empfohlen. ibo
«auf den inseln des letzten lichts»<br />
Gefangen im Plotlabor<br />
In seinem neuen Roman greift Rolf Lappert noch weiter in die Welt aus als in seinem preisgekrönten Roman «Nach Hause schwimmen»<br />
und landet auf den Philippinen: ein unbändiger, üppiger Text auf eher banalen Handlungsbahnen.<br />
Von Bettina sPoerri<br />
Er war ein Überraschungssieger, als er vor<br />
zwei Jahren <strong>mit</strong> seinem Roman «Nach Hause<br />
schwimmen» den Schweizer Buchpreis gewann.<br />
Viele LeserInnen im deutschsprachigen<br />
Raum hatten bis dahin den Namen des früh<br />
schon aus der Schweiz ausgewanderten Schriftstellers<br />
Rolf Lappert kaum oder gar nicht gekannt.<br />
Doch nicht zuletzt die Neuheit des 2008<br />
soeben erst begründeten Schwei<br />
zer Buchpreises katapultierte<br />
den 1958 in Zürich geborenen<br />
Lappert ins Zentrum des Literaturbetriebs.<br />
Plötzlich wollten<br />
alle wissen, wer der Autor war,<br />
der sich in einem kleinen Ort in<br />
Irland niedergelassen hatte, wo<br />
er sich – nach eigener Aussage –<br />
während langer Phasen mehrheitlich<br />
zwischen Schreibtisch<br />
und Kühlschrank hin und herbewegt.<br />
Bis zu diesem ihm fremden<br />
Rummel um seine Person veröffentlichte<br />
Lappert nicht nur mehrere Romane im kleinen<br />
Basler Verlag Nachtmaschine; schon in den<br />
neunziger Jahren stand er als Autor auf der<br />
Buchliste des Nagel&KimcheVerlags. Dann<br />
allerdings gab es eine über zehnjährige Pause,<br />
in der Lappert einen Jazzclub führte und später<br />
Benda Bilili<br />
Klänge aus der<br />
Milchpulverbüchse<br />
Eigentlich hatten Florent de la Tullaye und Renaud Barret<br />
einen Dokumentarfilm über Kinshasa im Kopf. Dann trafen sie<br />
in der kongolesischen Hauptstadt auf eine Gruppe von<br />
körperbehinderten Musikern. Daraus ist ein Bandporträt<br />
entstanden, das auch viel über die Stadt erzählt.<br />
Von Fredi Bosshard<br />
«Der Typ filmt uns. Wir könnten ihm die Tasche<br />
klauen, die Kamera, das Geld.» So lautet<br />
der Kommentar einiger Jugendlicher in den<br />
nächtlichen Strassen von Kinshasa, die sich<br />
fragen, was die Filmerei der Weissen soll. Die<br />
Kids müssen irgendwie überleben in dieser<br />
chaotischen und erbarmungslosen Umgebung<br />
der Hauptstadt der Demokratischen Republik<br />
Kongo. Sie sind einige der neun Millionen EinwohnerInnen,<br />
die gelernt haben, sich auf der<br />
Strasse durchzuschlagen.<br />
«Wir schlafen auf Karton, Alter», rufen<br />
sie der filmenden Crew zu. Ihre Analyse ist<br />
prägnant: «Nur Diebstahl funktioniert hier.»<br />
Sie stellen sich einem chromglänzenden, martialischen<br />
Offroader in den Weg, fordern nur<br />
einige Krümel vom Reichtum der hinter dunklen<br />
Scheiben verborgenen Insassen. Das Auto<br />
schiebt sie wie eine mobile Festung zur Seite<br />
und fährt weiter.<br />
Unruhiger Schlaf auf einem Karton<br />
Ungeduldig zieht<br />
Lappert an den<br />
Fäden des Stoffs<br />
und zerreisst<br />
dabei manches<br />
fein Gewobene.<br />
Es heisst, dass gegen 40 000 Strassenkinder in<br />
Kinshasa leben. Sie wurden von den Eltern verstossen<br />
oder sind der häuslichen Gewalt entflohen,<br />
wurden ausgesetzt und verlassen oder<br />
sind einfach auf der Suche nach einem kleinen<br />
Verdienst. Im Zentrum putzen sie Schuhe, bewachen<br />
gegen ein kleines Entgelt Parkplätze<br />
und die SUVs der Reichen, verkaufen Pillen<br />
und geröstete Insekten, betteln und stehlen.<br />
Schulen kennen sie meistens nur von aussen,<br />
und wenn etwas mehr übrig bleibt, helfen sie<br />
ihren Geschwistern, die noch nicht so strassentauglich<br />
sind. Die Strassenkinder sind permanent<br />
auf Achse, wirken gestresst und sind auf<br />
für das Schweizer Fernsehen Folgen für die Sitcom<br />
«Mannezimmer» schrieb.<br />
Von einer Insel auf die andere<br />
Es scheint, dass Lappert erst der Wegzug nach<br />
Irland wieder ein kontinuierlicheres Schreiben<br />
an einem grossen, eigenen Text ermöglichte.<br />
Jedenfalls entstand dort die Fi<br />
gur Wilbur, jener kleinwüchsige<br />
Antiheld aus «Nach Hause<br />
schwimmen». Die Grüne Insel<br />
ist nun auch in Lapperts neuem<br />
Roman «Auf den Inseln des letzten<br />
Lichts» erneut der Ausgangspunkt<br />
der Reisen der Hauptfiguren:<br />
Megan und Tobey O’Flynn,<br />
ein Geschwis terpaar, das sich<br />
sucht, nachreist, aber vielleicht<br />
für immer verloren hat. Doch Tobey<br />
gibt nicht auf und folgt Megans<br />
Spuren bis hin zu einer Insel,<br />
die zu den Philippinen gehört. Hier trifft er auf<br />
eine seltsame Gruppe von Menschen, WissenschaftlerInnen<br />
aus Europa und Asien, die <strong>mit</strong><br />
Hilfe einiger Filipinos eine Forschungsstation<br />
für Primaten zu unterhalten versuchen, die allerdings<br />
eindeutig bessere Tage gesehen hat.<br />
Bald nimmt auch Tobey die Lethargie gefangen,<br />
der Flucht vor einer gewalttätigen Polizei. Erst<br />
im Dunkel der Nacht verziehen sie sich in einen<br />
geschützten Winkel, legen sich zum unruhigen<br />
Schlaf auf einen der hart erkämpften Kartons.<br />
Körnige Aufnahmen aus <strong>dem</strong> nächtlichen<br />
Kinshasa stehen am Anfang des Films «Benda<br />
Bilili!» von Florent de la Tullaye und Renaud<br />
Barret. Die Filmer aus Frankreich hatten 2004<br />
ein Projekt zu einem Dokumentarfilm über<br />
die Stadt im Kopf, als sie <strong>mit</strong> den Dreharbeiten<br />
begannen. Bei ihren Recherchen sind sie auf<br />
die Kids und eine Gruppe von Behinderten in<br />
abenteuerlichen Rollstühlen gestossen, die im<br />
Zentrum von Kinshasa beim MandelaKreisel<br />
ihre Tage verbringen oder sich beim Zoo zum<br />
Musizieren treffen. Tullaye und Barret haben<br />
ihre Pläne modifiziert und über sechs Jahre an<br />
einem faszinierenden Bandporträt gearbeitet.<br />
Léon «Ricky» Likabu, der von allen Papa<br />
Ricky genannt wird, betreibt seinen mobilen<br />
Laden vom Rollstuhl aus. Er verkauft Zigaretten<br />
und schenkt Pastis aus, arbeitet zwischendurch<br />
als Schneider und Mechaniker. Der Gründer<br />
von Staff Benda Bilili hält die Gruppe zusammen<br />
und ist überzeugt, dass er und die anderen<br />
in der Band es eines Tages schaffen werden.<br />
Sie singen und träumen von der Hoffnung und<br />
vom Glück, das meist unverhofft kommt. Optimismus<br />
und Talent ist alles, was sie haben.<br />
Der Rollstuhl von Papa Ricky ist ein<br />
handgefertigtes Modell, das er und Freunde<br />
aus verschiedenen Veloteilen hergestellt haben.<br />
Sein Kollege Coco Ngambali Yakala, der ebenfalls<br />
an Polio leidet, ist berühmt für seinen frisierten<br />
Rollstuhl, der aus Mopedteilen gebaut<br />
wurde. Weil er sich aber oft kein Benzin leisten<br />
kann, ist der Gitarrist und Sänger, wie die<br />
die von den Menschen hier Besitz ergriffen hat.<br />
Seine Motivation, Megan zu suchen, schwindet.<br />
Zum einen mögen die aus der halben Welt<br />
zusammengewürfelten BewohnerInnen der Inseln<br />
– es spielt im Verlauf der Handlung noch<br />
eine kleinere Nachbarinsel eine Rolle – als Mikrokosmos<br />
für die gesamte Menschheit stehen;<br />
zum anderen gewinnt der Ort zuweilen die Bedeutung<br />
einer bruchstückhaften Allegorie auf<br />
das Geschichtenerzählen und das Schreiben<br />
an sich. So kommentiert etwa die Figur eines<br />
Inders oder Pakistani – ihre Identität bleibt<br />
letztlich ungeklärt –, die immer wieder neue<br />
Versionen ihrer Biografie kreiert, die Grundbedingungen<br />
des Erfindens überhaupt.<br />
Der Autor jagt seine Figuren<br />
Doch als hätte Lappert diesem vielschichtigen<br />
Bild, das sich in einem ruhigen Rhythmus zu<br />
entwickeln beginnt, nicht vertraut, zieht er ungeduldig<br />
an den Fäden des Stoffs und zerreisst<br />
dabei manches bereits fein Gewobene oder<br />
zerrt andeutungsvolle Muster ans grelle Licht,<br />
wo sie schnell verblassen. Tobeys Gefangensein<br />
in einer Art Loop, sein Einsinken in das Einerlei<br />
der feuchtwarmen Tage, kontrastiert und<br />
durchbricht der Roman immer wieder durch<br />
thrillerartige Plotelemente: So gerät Tobey wie<br />
anderen Mitglieder der Band, auf die Hilfe der<br />
Strassenkinder angewiesen. Diese schieben die<br />
Rollstühle über die unwegsamen Strassen von<br />
Kinshasa.<br />
Ein Zoo als Freiluftstudio<br />
«Ich erfinde nichts, meine Lieder handeln vom<br />
Leben», erklärt Papa Ricky, als er zu seinen<br />
Liedtexten befragt wird. Als ihm die Film leute<br />
den jungen Roger Landu vorstellen, auf den<br />
sie bei ihren Dreharbeiten aufmerksam wurden,<br />
erkennt Papa Ricky sofort dessen Talent<br />
und nimmt ihn unter seine Fittiche. Er wird<br />
der Strassenvater für den vom Land in die<br />
Stadt gekommenen Jungen, der Geld verdienen<br />
will, um seiner kranken Mutter zu helfen. Der<br />
Dreizehnjährige hat sich aus einer Milchpulverbüchse,<br />
einem gebogenen Aststück und einer<br />
Stahlseite eine improvisierte Laute gebaut,<br />
die er Satongé nennt und der er die unglaublichsten<br />
Töne entlockt. Er verleiht nach ersten<br />
scheuen und zögerlichen Versuchen <strong>mit</strong> seinen<br />
unverwechselbaren Klängen der Band bald ihren<br />
eigenen Touch.<br />
Tullaye und Barret motivieren Staff<br />
Benda Bilili, an ihrem Repertoire zu arbeiten<br />
und regelmässig zu proben. Sie stellen Studioaufnahmen<br />
in Aussicht und feilen gemeinsam<br />
<strong>mit</strong> den Musikern an den Arrangements. Das<br />
Projekt steht beinahe vor <strong>dem</strong> Aus, als 2005 das<br />
Wohnzentrum für Körperbehinderte, in <strong>dem</strong><br />
die meisten Band<strong>mit</strong>glieder und ihre Familien<br />
leben, durch einen Brand zerstört wird. Die Aufnahmen<br />
werden erst ein Jahr später wieder aufgenommen.<br />
Für einige Songs wird der Zoo, ein<br />
brachliegender Garten <strong>mit</strong> verfallenden Käfigen<br />
Kultur / Wissen 21<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
derholt in Lebensgefahr, weil er Geheimnisse<br />
der Forschungsstation erfährt. Und dann gerät<br />
er noch in die lokalen politischen Auseinandersetzungen<br />
hinein und wird als Geisel festgehalten.<br />
Derselbe sinnlose Aktivismus ergreift<br />
auch jenen dritten Teil des Romans, in <strong>dem</strong> von<br />
der einstigen Ankunft Megans auf der Insel erzählt<br />
wird: Lappert jagt seine Figuren von einer<br />
brenzligen Situation in die nächste – doch dabei<br />
verliert er sie immer mehr aus den Augen.<br />
Umso schmerzlicher empfindet man<br />
die Banalität solcher Plothascherei, nach<strong>dem</strong><br />
der Autor im <strong>mit</strong>tleren Teil des Buches in die<br />
irische Kindheit seines Geschwisterpaars zurückgeblendet<br />
und dabei an die Kraft seines<br />
musikalischen Sprachvermögens erinnert hat.<br />
Das Laute, Wichtigtuerische liegt diesem Autor<br />
nicht; das spürt man in diesen IrlandPassagen.<br />
Offensichtlich war Lappert da nicht nur geografisch<br />
näher an seinen Quellen.<br />
Rolf Lappert: «Auf den Inseln<br />
des letzten Lichts». Hanser. München<br />
2010. 544 Seiten. Fr. 37.90.<br />
Selbst gefertigte Rollstühle, stark gebrauchte Instrumente: Staff Benda Bilili. foto: Enrico Dagnino<br />
und einigen hungrigen Affen, zum Freiluftstudio.<br />
Kongolesischer Rumba mischt sich da <strong>mit</strong><br />
Vogelgezwitscher zu berauschender Musik.<br />
2009 erscheint die CD «Très Très Fort»<br />
von Staff Benda Bilili. Die Band erhält dafür<br />
den Weltmusikpreis Womex Award 2009 und<br />
geht auf Tour in Europa. Am Eurockéennes in<br />
Belfort spielen sie vor einem begeisterten Publikum.<br />
Ob der inzwischen neunzehnjährige<br />
Roger Landu <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> grossen Erfolg umgehen<br />
kann, rätseln die übrigen Band<strong>mit</strong>glieder, als<br />
sie in einem Hotelzimmer im eiskalten Oslo<br />
sitzen. Die Kinder von Papa Ricky und den anderen<br />
jedenfalls haben eine bessere Zukunft,<br />
da sind sie sich sicher.<br />
Aus <strong>dem</strong> Dokumentarfilm über die Stadt,<br />
die früher Léopoldville hiess, ist ein Film über<br />
die Band Staff Benda Bilili geworden. Tullaye<br />
und Barret haben sich viel Zeit genommen<br />
und sind zwischen 2004 und 2009 beinahe im<br />
Jahresrhythmus nach Kinshasa gereist. Zwischendurch<br />
haben sie in Paris gearbeitet und<br />
zusätzliche Mittel für den Film und die Tonaufnahmen<br />
organisiert. Die Bilder von «Benda<br />
Bilili!» erzählen mehr über die Stadt, als es das<br />
ursprünglich geplante Projekt hätte tun können.<br />
Die Musiker, ihre Familien und Kinder –<br />
die eigenen und die Strassenkinder – zeigen einen<br />
lebendigen Kosmos, in <strong>dem</strong> bei aller Armut<br />
und allem Leid der Optimismus nicht verloren<br />
gegangen ist.<br />
«Benda Bilili!». Frankreich 2010. Regie: Florent<br />
de la Tullaye und Renaud Barret. Ab 9. Dezember<br />
in Deutschschweizer Kinos.<br />
Staff Benda Bilili: «Très Très Fort». Crammed<br />
Discs / Musikvertrieb.<br />
Siehe «Mit der WOZ» auf Seite 27.
22 WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Kinoprogramm von Donnerstag, 9. Dezember bis Mittwoch, 15. Dezember 2010<br />
Kanton Aargau<br />
freier film, aarau<br />
ffa@freierfilm.ch; Laurenzenvorstadt 85;<br />
www.freierfilm.ch<br />
Tägl. ohne Di 20.30<br />
Tamara Drewe R: St. Frears (England 2010)<br />
kino orienT, baDen<br />
Tel. 056 430 12 39; Landstrasse 2,<br />
Wettingen; www.orientkino.ch<br />
Do 15.00<br />
Gentlemen prefer blondes R: H. Hawks<br />
(USA 1953)<br />
Fr/Sa/Mo/Mi 20.30, So 19.00<br />
Home for Christmas R: B. Hamer (Norwegen<br />
2010)<br />
Cinéma oDeon, bruGG<br />
Tel. 056 450 35 65; Bahnhofplatz 11;<br />
www.odeon-brugg.ch<br />
Tägl. 20.15<br />
bal – Honig R: S. Kaplanoglu (TUR 2009)<br />
Fr/Sa/Mo/Di 18.00<br />
am anfang war das licht R: P. A. Straubinger<br />
(Ö 2010)<br />
Sa 15.00<br />
nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />
(CH 2009)<br />
Sa 23.00, So 17.00<br />
How about love R: St. Haupt (CH 2010)<br />
So 15.00<br />
Wildnis Schweiz R: R. Mäder (CH 2010)<br />
ODEONkinoreif?<br />
Mi 17.00<br />
kirschblüten Hanami R: D. Dörrie (D 2008)<br />
friCkS monTi, friCk<br />
Tel. 062 871 04 44; Kaistenbergstr. 5;<br />
www.fricks-monti.ch; Di Ruhetag<br />
Do/Fr/Sa/So 20.15<br />
Stichtag – Due Date<br />
Fr/Sa/So 17.30, So 10.30<br />
Wildnis Schweiz<br />
So 14.00<br />
Harry Potter 7<br />
Mo 20.15<br />
le Petit nicolas<br />
Kanton Appenzell<br />
Ausserrhoden<br />
kino roSenTal, HeiDen<br />
Tel. 071 891 36 36; Schulhausstrasse 9;<br />
www.kino-heiden.ch<br />
Fr 19.30–20.15 Uhr<br />
backstage Führung durch das Kino Rosental.<br />
Anmeldung erforderlich (071 891 36 36<br />
oder info@kino-heiden.ch). Inkl. Apéro und<br />
anschliessender Abendvorstellung.<br />
Fr 20.15<br />
Sennentuntschi<br />
Sa 17.15<br />
Wildnis Schweiz<br />
Sa 20.15<br />
reD – Älter. Härter. besser.<br />
So 15.00<br />
ich – einfach unverbesserlich<br />
(Despicable me)<br />
So 19.15<br />
Tamara Drewe<br />
Cinéclub<br />
Mi 20.15<br />
Tricks – Sztuczki<br />
Kanton Basel-Stadt /<br />
Basel-Land<br />
neueS kino, baSel<br />
Tel. 061 693 44 77; Klybeckstr. 247;<br />
www.neueskinobasel.ch<br />
Animationsfilme<br />
Do/Fr 21.00<br />
Jedné noci V Jednom meste – one<br />
night in a City R: J. Balej (Tschechien<br />
2007)<br />
Kurz & Knapp<br />
Sa 21.00<br />
baskische kurzfilme 8 Kurzfilme (Details<br />
auf www.kurzundknapp.ch)<br />
kulT.kino aTelier, baSel<br />
Tel. 061 272 87 81, Theaterpassage;<br />
www.kultkino.ch<br />
aTelier 1<br />
Do/Fr/Mo/Di/Mi 12.15, So 13.15<br />
beyond This Place R: K. La Belle<br />
Tägl. 15.00/19.00 (Do ohne 19.00)<br />
exit through the Giftshop R: Banksy<br />
Do 16.45/21.00, Fr-Mi 17.00/21.00<br />
Home for Christmas R: B. Hamer<br />
Do 18.30<br />
aisheen R: N. Wadimoff<br />
So 11.00<br />
ander R: R. Caton<br />
aTelier 2<br />
Tägl. 18.45, Do/Fr/Mo/Di/Mi 12.20<br />
benda bilili R: F. de la Tullaye<br />
Tägl. 14.45/20.45<br />
en Ganske Snill man R: H. Petter Moland<br />
Tägl. 17.00, So 11.00<br />
kinshasa Symphony R: Wischmann/Baer<br />
So 13.00<br />
Der kleine nick R: L. Tirar<br />
aTelier 3<br />
Tägl. 14.15<br />
Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />
Tägl. 16.00/18.15/20.30<br />
You will meet a tall dark stranger<br />
R: W. Allen<br />
kulT.kino Camera, baSel<br />
Tel. 061 272 87 81; Claraplatz;<br />
www.kultkino.ch<br />
Camera 1<br />
Tägl. 15.15/21.00<br />
länger leben R: L. Keiser<br />
Tägl. 17.15<br />
Sacred and Secret R: B. Gelpke<br />
reklame<br />
Fr-Mi 19.00<br />
aisheen R: N. Wadimoff<br />
So 11.15<br />
am anfang war das licht R: P. A. Straubinger<br />
So 13.00<br />
miral R: J. Schnabel<br />
Camera 2<br />
Tägl. 14.30/18.30 (Di ohne 18.30)<br />
bal R: S. Kaplanoglu<br />
Tägl. 16.45, Do 19.00, So 10.45<br />
nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />
Tägl. 20.45 (Di um 21.15)<br />
Somewhere R: S. Coppala<br />
So 12.15<br />
el Secreto De Sus ojos R: J. J. Campanella<br />
Di 18.30 as it is in Heaven Zyklus «Hinter<br />
<strong>dem</strong> Bild»<br />
kulT.kino Club, baSel<br />
Tel. 061 272 87 81; Marktplatz;<br />
www.kultkino.ch<br />
Tägl. 16.00/18.15/20.30<br />
Der letzte schöne Herbsttag R: Westhoff<br />
STaDTkino baSel<br />
Tel. 061 272 66 88, Klostergasse 5;<br />
www.stadtkinobasel.ch<br />
Josef Hader<br />
Fr 15.15<br />
indien R: P. Harather (1995)<br />
Fr 20.00, So 17.30<br />
Silentium R: W. Murnberger (2004)<br />
Sa 22.15<br />
Der Überfall R: F. Flicker (2000)<br />
Mo 19.00<br />
Die verrückte Welt der ute bock<br />
R: H. Allahyari (2010)<br />
Wunschfilmprogramm<br />
Fr 17.30<br />
Paper moon R: M. Bogdanovich (1973)<br />
Fr 22.15<br />
one flew over the Cuckoo's nest<br />
R: M. Forman (1975)<br />
Sa 14.30<br />
2001: a Space odyssey R: S. Kubrick<br />
(1968)<br />
Sa 17.30<br />
Der Himmel über berlin R: W. Wenders<br />
(1987)<br />
Sa 20.00<br />
Chinatown R: R. Polanski (1974)<br />
So 15.30<br />
les vacances de monsieur Hulot R: J. Tati<br />
(1953)<br />
So 20.00<br />
Seven Samurai R: A. Kurosawa (1954)<br />
Mo 21.00<br />
east of eden R: E. Kazan (1955)<br />
Mi 18.30<br />
To be or not to be R: E. Lubitsch (1942)<br />
Sélection «Le Bon Film»<br />
Do 18.30, So 13.30, Mi 21.00<br />
oscar niemeyer – Das leben ist ein<br />
Hauch R: F. Maciel (2007)<br />
Erlebte Schweiz<br />
Do 21.00<br />
Propaganda!? Auswahl an Filmbeispielen<br />
The Foreverending Story presents<br />
Di 19.00<br />
kantata Takwa R: G. Prakosa<br />
kino SPuTnik, lieSTal<br />
Tel. 061 921 14 17; im Kulturhaus Palazzo;<br />
www.palazzo.ch<br />
Fr-Mi 18.00<br />
Stationspiraten R: M. Schaerer<br />
Sa-Mi 20.15<br />
The kids are all right R: L. Cholodenko<br />
Sa/So 16.00<br />
i’lllusionniste R: S. Chomet<br />
So 13.45<br />
Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />
Landkino<br />
Do 20.15<br />
komm, süsser Tod R: W. Murnberger<br />
(Ö 2000)<br />
Kanton Bern<br />
CinémaTTe, bern<br />
Tel. 031 312 45 46, Wasserwerkgassse 7;<br />
www.cinematte.ch<br />
Song & Dance Men<br />
Do 21.00<br />
on/off: mark Stewart – from The Pop<br />
Group to the maffia R: T. Schifer (D 2009)<br />
Paris, mon Amour<br />
Fr/Sa 21.00, Mo 18.30<br />
amélie de montmartre<br />
R: J.-P. Jeunet (F 2001)<br />
So 16.00<br />
les enfants du Paradis R: M. Carné<br />
(F 1945)<br />
So 20.00, Mo 21.00<br />
la môme – la Vie en rose<br />
R: O. Dahan (F 2007)<br />
keller kino, bern<br />
Tel. 031 311 38 05; Kramgasse 26;<br />
www.kellerkino.ch<br />
Fr 18.00<br />
aisheen Vorprem. in Anw. von Reg. Nicolas<br />
Wadimoff<br />
Tägl. ohne Fr 19.00<br />
beyond this Place R: K. La Belle<br />
Tägl. 20.40<br />
Süt – milk R: S. Kaplanoglu<br />
Sa/So 16.00<br />
Sacred & Secret – Das geheime bali<br />
R: B. Gelpke<br />
Sa/So 17.30<br />
au revoir Taipei R: A. Chen<br />
So 10.30<br />
Wildnis Schweiz R: R. Mäder<br />
So 12.15<br />
film Socialisme R: J.-L. Godard<br />
Sonntag 14.10<br />
na Putu R: J. Zbanic<br />
liCHTSPiel/kinemaTHek, bern<br />
Tel. 031 381 15 05; Bahnstrasse 21;<br />
www.lichtspiel.ch<br />
So 20.00<br />
kurze filme aus <strong>dem</strong> lichtspiel-archiv<br />
Specials:<br />
Sa 20.00<br />
Volker Gerling erzählt Daumenkinogeschichten<br />
Südsee:<br />
Mo 20.00<br />
White Shadows in the South Seas R: W. S.<br />
Van Dyke (USA 1928)<br />
kino-kunSTmuSeum, bern<br />
Tel. 031 328 09 99; Hodlerstrasse 8;<br />
www.kinokunstmuseum.ch<br />
Sa 18.30<br />
andrej rublev R: A. Tarkovskij<br />
(UdSSR 1966)<br />
So 11.00<br />
lubitsch in berlin R: R. Fischer (D 2006)<br />
So 16.30<br />
Die Puppe R: E. Lubitsch (D 1919),<br />
Stummfilm <strong>mit</strong> Live-Klavierbegleitung von<br />
Christian Henking<br />
So 18.00<br />
kohlhiesels Töchter R: E. Lubitsch (D 1920),<br />
Stummfilm <strong>mit</strong> Live-Klavierbegleitung von<br />
Christian Henking<br />
Mo 18.30<br />
The Shop around the Corner<br />
R: E. Lubitsch (USA 1940)<br />
Mo/Di 21.00<br />
Design for living R: E. Lubitsch (USA 1933)<br />
Di 18.30<br />
Casablanca R: M. Curtiz (USA 1942)<br />
reiTSCHule, bern<br />
Tel. 031 311 41 48, www.kino.reitschule.ch<br />
Lustig ist das Zigeunerleben...?<br />
Fr 21.00<br />
Zigeuner R: St. Mucha (D 2007)<br />
Sa 21.00<br />
me, my Gypsi family and Woody Allen R:<br />
L. Halilovic (I 2009)<br />
filmPoDium, biel<br />
Tel. 032 322 71 01; Centre PasquART,<br />
Seevorstadt 73; www.pasquart.ch<br />
Julianne Moore<br />
Fr/Sa 20.30<br />
The big lebowski R: J. Coen<br />
(GB/USA 1998)<br />
So/Mo 20.30<br />
The end of the affair R: N. Jordan<br />
(GB/USA 1999)<br />
CHrÄmerHuuS, lanGenTHal<br />
Tel. 062 923 15 50; film@chraemerhuus.ch<br />
im Stadttheater Langenthal; Aarwangenstrasse<br />
8<br />
Mo 20.00<br />
lili marleen R. W. Fassbinder (D 1981)<br />
Cinema, meirinGen<br />
Tel. 033 971 16 33; Kirchgasse 7;<br />
www.cinema-meiringen.ch<br />
Do/Mo 20.15, So 19.00<br />
180° – Wenn deine Welt plötzlich kopf<br />
steht R: C. Inan<br />
Fr/Sa 20.15<br />
Wall Street: Geld schläft nicht R: O. Stone<br />
So 10.00<br />
Geburt R: E. Langjahr, S. Haselbeck<br />
Kanton Graubünden<br />
kino-THeaTer rÄTia, THuSiS<br />
Tel. 081 651 15 15; Obere Stallstrasse;<br />
www.kinothusis.ch<br />
Do 20.15, Fr 21.15, So 20.15<br />
Goethe! R: P. Stölzl (D 2010)<br />
Fr 14.00<br />
Grenzgänge <strong>mit</strong> andrea Vogel R: D.<br />
Gränicher (CH 2010)<br />
Fr 19.00, Sa 21.15, So 16.30<br />
Die 4. revolution – energy autonomy<br />
R: C.-A. Fechner (D 2010)<br />
Sa 19.00<br />
ladri di biciclette R: V. de Sica (I 1949)<br />
Kanton Luzern<br />
bourbaki, luZern<br />
Tel: 041 419 99 99; im Panorama,<br />
Löwenplatz 11; www.kinoluzern.ch<br />
bourbaki 1<br />
Tägl. 16.45/18.45, Fr-Mi 20.45<br />
You Will meet a Tall Dark Stranger<br />
R: W. Allen (USA/Sp 2010)<br />
Fr/Sa 22.45<br />
Sennentuntschi R: M. Steiner (CH 2010)<br />
Sa/So 14.00<br />
el secreto de sus ojos R: J. J. Campanella<br />
(ARG 2009)<br />
So 12.00 am anfang war das licht<br />
R: P. A. Straubinger (Ö 2010)<br />
bourbaki 2<br />
Tägl. 16.00/20.45 (Do 20.45 im BB1),<br />
Fr/Sa 23.00<br />
en ganske snill mann R: H. Petter Moland<br />
(NO 2010)<br />
Tägl. 18.15, Sa/So 14.00<br />
Stationspiraten R: M. Schaerer (CH 2010)<br />
So 12.00<br />
Wildnis Schweiz R: R. Mäder (CH 2010)<br />
bourbaki 3<br />
Tägl. 20.30, Sa/So 14.30<br />
Der letzte schöne Herbsttag R: R. Westhoff<br />
(D 2010)<br />
Tägl. 18.30, Do 20.30 (Do 20.30 im BB2),<br />
Fr-Mo 16.30, So 12.15<br />
beyond This Place R: K. La Belle (CH 2010),<br />
am Do, 20.30 Uhr, Premierenfeier in Anwesenheit<br />
des Regisseurs<br />
Fr/Sa 22.30<br />
The kids are all right R: L. Cholodenko<br />
(USA 2010)<br />
bourbaki 4<br />
Tägl. 20.30, Fr-Mi 16.30<br />
benda bilili R: F. De la Tullaye (F 2010)<br />
Tägl. 18.30, Fr/Sa 22.30, Sa/So 14.30<br />
exit Through The Gift Shop R: Bansky<br />
(USA/GB 2010)<br />
So 12.15<br />
Wätterschmöcker R: T. Horat (CH 2010)<br />
STaTTkino, luZern<br />
Tel. 041 410 30 60; im Panorama,<br />
Löwenplatz 11; www.stattkino.ch<br />
Do 18.30<br />
Yumurta / ei R: S. Kaplanoglu (Türkei 2007)<br />
Do/Mo/Di 20.30<br />
bal / Honig R: S. Kaplanoglu (Türkei 2010)<br />
So 19.00<br />
Hüllen R: M. Müller (CH 2010)<br />
So 20.30<br />
SÜT R: S. Kaplanoglu (2008)<br />
Cinedolcevita<br />
Di 14.30<br />
bellaria – So lange wir leben! R: D. Wolfsperger<br />
(D/Ö 2002<br />
Filmtage Luzern – Menschenrechte<br />
Fr 19.00<br />
la isla – archive einer Tragödie R: U.<br />
Stelzner (D/Guatemala 2009), <strong>mit</strong> Grusswort<br />
von Ruth-Gaby Vermot-Mangold, anschl.<br />
Gespräch <strong>mit</strong> Uli Stelzner, Ltg. Oswald Iten,<br />
NZZ international<br />
Sa 13.30<br />
Hotel Sahara R: B. Haasen (D 2008), <strong>mit</strong><br />
Vorfilm «Notunterkunft Uster» R: John,<br />
Bleiberecht Kollektiv (2010), um 15.30 Uhr<br />
anschl. Gesp. im Union (Löwenstrasse 16) <strong>mit</strong><br />
Johannes J. Frühbauer, Institut für Sozialethik<br />
der Theolog. Fakultät der Universität Luzern<br />
Sa 17.00, Mo-Mi 19.00<br />
Cash & marry R: A. Georgiev (Ö/Kroatien/<br />
Mazedonien 2009)<br />
Sa 19.30<br />
aisheen – still alive in Gaza R: N. Wadimoff<br />
(CH/Katar 2010), anschl. Gespräch<br />
<strong>mit</strong> Nicolas Wadimoff; Moderation: Peter<br />
Leimgruber<br />
So 11.00<br />
Sisters in law R: F. Ayisi, K. Longinotto<br />
(GB/Kamerun 2005), anschl. um 12.30 Uhr<br />
Gespräch im Union (Löwenstrasse 16) <strong>mit</strong><br />
Beatrice Ntuba, Richterin, Kamerun; Moderation:<br />
Cécile Bühlmann<br />
So 14.30<br />
letter to anna R: E. Bergkraut (CH 2008)<br />
So 16.00<br />
Coca – die Taube aus Tschetschenien<br />
R: E. Bergkraut (CH 2005), anschl. um 17.30<br />
Uhr Gespräch im Union (Löwenstrasse 16)<br />
<strong>mit</strong> Eric Bergkraut und Zainap Gaschaiewa,<br />
Tschetschenien; Moderation: Nina Schneider,<br />
Politologin<br />
Kanton St. Gallen<br />
kinok, ST. Gallen<br />
Tel. 071 245 80 72; in der Lokremise;<br />
Grünbergstrasse 7; www.kinok.ch<br />
Do 20.30, Sa 17.00, Di 18.30<br />
l’illusionniste R: S. Chomet (GB/F 2010)<br />
Fr 19.30<br />
Complices R: F. Mermoud (CH/F 2009)<br />
Fr 21.30, Mo 20.30<br />
Coeur animal R: S. Cornamusaz (CH 2009)<br />
Sa 21.00, Di 20.30<br />
micmacs à tire-larigot<br />
R: J.-P. Jeunet (F 2009)<br />
So 13.00<br />
Die frau <strong>mit</strong> den 5 elefanten<br />
R: V. Jendreyko (CH/D 2009)<br />
So/Mi 15.00<br />
morgen, findus, wird’s was geben<br />
R: J. Lerdam, A. Sørensen (DK/D/SVE 2006)<br />
Mo 18.15, Mi 20.30<br />
octubre R: D. & D. Vega Vidal (PER 2010)<br />
25 Jahre Kinok – Cinema Forever<br />
Do 18.00<br />
Chacun son cinéma R: Div. (F 2007)<br />
Fr 17.15<br />
bellaria – So lange wir leben! R: D. Wolfsperger<br />
(D/A 2002)<br />
Sa 19.00<br />
Purple rose of Cairo R: W. Allen<br />
(USA 1985)<br />
In Motion<br />
So 11.00<br />
Tanzfilme der Compagnie Philippe Saire<br />
R: P. Saire (CH 2010)<br />
So 17.15<br />
Spoerli – ich bin Tanzmacher<br />
R: W. Zeindler (CH 2010)<br />
So 19.00<br />
la danse – le ballet de l’opéra de Paris<br />
R: F. Wiseman (F/USA 2009)<br />
Mi 18.30<br />
Tanzträume – Jugendliche tanzen «kontakthof»<br />
von Pina bausch R: A. Linsel, R.<br />
Hoffmann (D 2010)<br />
SPeCTrum filmTreff,<br />
raPPerSWil<br />
Schlosskino Rapperswil;<br />
www.spectrum-filmtreff.ch<br />
Mi 20.15<br />
Jaffa R: K. Yedaya (Israel 2009)<br />
Kanton Thurgau<br />
Cinema luna, frauenfelD<br />
Tel. 052 720 36 00; Bahnhofstrasse 57;<br />
www.cinemaluna.ch<br />
Tägl. 20.15<br />
benda bilili R: R. Barret, F. de la Tullaye<br />
(F/Kongo 2010)<br />
Kanton Zug<br />
kino GoTTHarD, ZuG<br />
Tel. 041 726 10 02, Gotthardstrasse 18;<br />
www.kinozug.ch<br />
Do/Fr/Mo/Di/Mi 18.00, Sa 17.00, So 14.30<br />
länger leben R: L. Keiser<br />
So 17.00<br />
Der letzte schöne Herbsttag<br />
R: R. Westhoff<br />
Tägl. ohne Mo 20.15<br />
You Will meet a Tall Dark Stranger<br />
R: W. Allen<br />
Im Gotthard um die Welt<br />
Sa 14.30, Mo 20.00<br />
ajami R: Sc. Copti u. Y. Shani<br />
Kanton Zürich<br />
WilDenmann, mÄnneDorf<br />
Tel. 044 920 50 55; Dorfgasse 42;<br />
www.kino-maennedorf.ch<br />
Do/Fr/Sa 20.15, So 15.00<br />
Sennentuntschi R: M. Steiner (CH 2010)<br />
Sa 17.15, So 18.15, Mi 20.15<br />
nel Giardino Dei Suoni R: N. Bellucci<br />
(CH 2009)<br />
filmPoDium, THalWil<br />
Schulhaus Feld; www.filmpodiumthalwil.ch<br />
Di 19.30<br />
meet Joe black R: M. Brest (USA 1998)<br />
kulTurraum THalWil<br />
Tel 044 720 84 00; Bahnhofstrasse 24,<br />
www.kulturraumthalwil.ch<br />
Vorschau:<br />
Mi, 19.01.2011, 15.00<br />
Happy feet Trickfilm (USA 2006)<br />
qToPia – kino+bar, uSTer<br />
im Qbus, Braschlergasse 10;<br />
www.qtopia.ch<br />
So 11.00<br />
Storm R: H.-Ch. Schmid (D/DK 2009)<br />
So, 18.30/21.00, Mo, 20.30<br />
Coeur animal R: S. Cornamusaz (CH 2009)<br />
kino niSCHe, WinTerTHur<br />
im Kulturzentrum Gaswerk,<br />
www.kinonische.ch<br />
Wunschprogramm<br />
So 19.30<br />
Der freund R: M. Levinsky (CH 2008)<br />
filmfoYer, WinTerTHur<br />
Tel. 052 212 11 69; Kino Loge 3,<br />
Oberer Graben 6; www.filmfoyer.ch<br />
Kultfilme am Rand<br />
Di 20.30<br />
all about eve R: J. L. Mankiewicz (USA<br />
1950), <strong>mit</strong> Vorfilm «Home Stories» v. M.<br />
Müller u. D. Schaefer (D 1990)<br />
Stadt Zürich<br />
arTHouSe alba<br />
Tel. 044 250 55 40, beim Central;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 15.15/20.30<br />
Home for Christmas<br />
Tägl. 18.00<br />
aisheen – Still alive in Gaza<br />
So-Mat. 11.45<br />
la Danse<br />
arTHouSe CommerCio<br />
Tel. 044 250 55 30; beim Stadelhofen;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 14.30/16.30<br />
am anfang war das licht<br />
Tägl. 18.30, So-Mat. 12.00<br />
nel Giardino dei Suoni<br />
Tägl. 20.30<br />
el Secreto de sus ojos<br />
arTHouSe le PariS<br />
Tel. 044 250 55 60; am Stadelhofen;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 15.00/18.00/20.30<br />
You will meet a tall dark Stranger<br />
Tägl. 12.15 LunchKino<br />
Des Hommes et des Dieux<br />
arTHouSe moVie<br />
Tel. 044 250 55 10, Im Nägelihof 4;<br />
www.arthouse.ch<br />
moVie 1<br />
Tägl. 14.30/18.45<br />
benda bilili!<br />
Tägl. 16.30/20.45<br />
The kids are all right<br />
Sa 11.00<br />
kill bill Vol. 1 Cinépassion, <strong>mit</strong> Kommentar<br />
v. Mirna Würgler<br />
So-Mat. 12.00<br />
film Socialisme<br />
moVie 2<br />
Tägl. 15.00/20.15<br />
Copie Conforme<br />
Tägl. 18.00, So-Mat. 12.30<br />
kinshasa Symphony<br />
Fr 22.30<br />
etienne!<br />
arTHouSe norD-SÜD<br />
Tel. 044 250 55 20; Limmatquai 16;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 15.00/18.00<br />
bal – Honey<br />
Tägl. 20.30<br />
Somewhere<br />
So-Mat. 12.30<br />
miral<br />
arTHouSe PiCCaDillY<br />
Tel.044 250 55 50; beim Stadelhofen;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 14.30/18.30/20.30<br />
Der letzte schöne Herbsttag<br />
Tägl. 16.30<br />
Sacred and Secret<br />
So-Mat. 12.00<br />
Wildnis Schweiz<br />
STuDio uTo<br />
Tel. 044 241 92 53; Kalkbreite;<br />
www.arthouse.ch<br />
Tägl. 15.00/20.30<br />
Sennentuntschi<br />
Tägl. 18.15<br />
Sommervögel<br />
So-Mat. 12.30<br />
How about love<br />
filmSTelle VSeTH/VSu<br />
Stutz2, CAB, Universitätstr. 6;<br />
www.filmstelle.ch<br />
On the Road Again<br />
Di 20.00<br />
Y tu mamá también R: A. Cuarón (Mexiko<br />
2001), <strong>mit</strong> Vorfilm «Männer am Meer» v. R.<br />
Caffi (D 2005)<br />
filmPoDium ZÜriCH<br />
Tel. 044 211 66 66; Nüschelerstr. 11;<br />
www.filmpodium.ch<br />
Woody Allen<br />
Fr 20.45<br />
match Point R: Allen (USA/GB 2005)<br />
Sa 20.45<br />
Sweet and lowdown R: Allen (USA 1999)<br />
So 15.00<br />
manhattan R: Allen (USA 1979)<br />
So 20.45<br />
interiors R: Allen (USA 1978)<br />
Mo 15.00, Mi 20.45<br />
Shadows and fog R: Allen (USA 1991)<br />
Di 18.15<br />
a midsummer night's Sex Comedy<br />
R: Allen (USA 1982)<br />
Abbas Kiarostami<br />
Fr 18.15, Mo 20.45, Mi 15.00<br />
Close-up R: Kiarostami (Iran 1991)<br />
Sa 15.00<br />
Ten R: Kiarostami (F/Iran/USA 2002)<br />
So 18.15<br />
Die erfahrung R: Kiarostami (Iran 1973),<br />
im Programm <strong>mit</strong> «Der Chor» und «Zwei<br />
Lösungen für ein Problem»<br />
Di 20.45<br />
five Dedicated to ozu R: Kiarostami (Iran/<br />
Japan/F 2003)<br />
Isa Hesse-Rabinovitch<br />
Sa 18.15<br />
Sirenen eiland R: Hesse-Rabinovitch (CH<br />
1981)<br />
So 12.00<br />
kurzfilme von isa Hesse-rabinovitch<br />
5 Filme<br />
Mo 18.15<br />
Schlangenzauber R: Hesse-Rabinovitch (CH<br />
1984), im Programm <strong>mit</strong> «Body, Body, Blues»<br />
Lateinamerikanische Klassiker<br />
Do 18.15<br />
Vorlesung martin lienhard <strong>mit</strong> Filmbeispielen<br />
Do 20.30<br />
Terra em transe R: Rocha (Brasilien 1967)<br />
Fr 15.00, Mi 18.15<br />
memorias del subdesarrollo R: Gutiérrez<br />
Alea (Kuba 1968)<br />
riffraff ZÜriCH<br />
Tel. 044 444 22 00; Ecke Langstrasse/<br />
Neu gasse; www.riffraff.ch<br />
riffraff 1<br />
Tägl. 15.00/18.30/20.30 (Mi 20.30 im RR2),<br />
Fr/Sa 22.30<br />
exit Trough The Gift Shop R: Banksy<br />
(USA/GB 2010)<br />
So 13.00<br />
urs fischer R: I. Schumacher (CH 2010)<br />
Mi 20.45<br />
Tournée R: M. Amalric (F 2010)<br />
riffraff 2<br />
Tägl. 15.00, Do-Di 20.30, Fr/Sa 23.15<br />
el secreto de sus ojos R: J. J. Campanella<br />
(Arg 2009)<br />
Tägl. 18.15<br />
Somewhere R: S. Coppola (USA 2010)<br />
So 13.00<br />
Die frau <strong>mit</strong> den 5 elefanten<br />
R: V. Jendreyko (CH 2009)<br />
riffraff 3<br />
Tägl. 14.30/18.45/21.00, Fr/Sa 23.30<br />
en Ganske Snill mann – ein mann von<br />
Welt R: H. Petter Moland (NO 2010), <strong>mit</strong><br />
Vorfilm «My Rabbit Hoppy» von A. Lucas<br />
(AU 2008)<br />
Tägl. 16.45, So 12.30<br />
l'illusionniste R: S. Chomet (GB/F 2010)<br />
riffraff 4<br />
Tägl. 14.30/18.45/20.45<br />
beyond This Place<br />
R: K. La Belle (CH 2010),<br />
Tägl. 16.30, Fr/Sa 22.45<br />
nowhere boy R: S. Taylor-Wood<br />
(GB/CA 2009)<br />
So 12.30<br />
kings of The Gambia R: D. Vogel<br />
(CH 2009)<br />
xenix ZÜriCH<br />
Tel. 044 242 04 11; am Helvetiaplatz;<br />
www. xenix.ch<br />
Die Schaurig-Schönen Filme des Tim Burton<br />
Do–Mi 17.15<br />
9 R: S. Acker (USA 2009)<br />
Do–So 19.00<br />
mars attacks! R: T. Burton (USA 1996)<br />
Do–So 21.00<br />
ed Wood R: T. Burton (USA 1994)<br />
Fr/Sa 23.30<br />
batman returns R: T. Burton<br />
(USA/GB 1992)<br />
So 14.30<br />
of Wizards and monsters – Tim burtons<br />
frühe (kurz-)filme R: T. Burton<br />
(USA 1982–1986)<br />
Mo–Mi 19.00<br />
Planet of the apes R: T. Burton (USA 2001)<br />
Mo–Mi 21.15<br />
Sleepy Hollow R: T. Burton (USA 1999)<br />
Dokfilm<br />
So 12.00<br />
Der letzte applaus – ein leben für den<br />
Tango R: G. Kral (D/ARG/J 2008/09)<br />
Kinderkino<br />
Mi 14.30<br />
Princess mononoke R: A. H. Miyazaki<br />
(J 1997)<br />
MASTER IN JOURNALISM.<br />
Einzigartig in der Schweiz – der Professional Master in Journalism. Die Kooperation zwischen maz, der Hamburg Media School und <strong>dem</strong> Institut für Journalistik der Uni Hamburg öffnet das Tor zum internationalen<br />
Markt und zu einer der führenden Medienstädte Europas. In <strong>dem</strong> praxisnahen Studiengang trainieren Hochschulabsolventen die Kunstgriffe des Handwerks in Hamburg und Luzern. Sie schreiben und<br />
recherchieren, sie produzieren Radio und Fernsehbeiträge und realisieren CrossmediaProjekte. Sie profitieren von den neusten Erkenntnissen der Journalismusforschung. Begleitet von in und ausländischen<br />
Medienprofis und Wissenschaftlern, getragen von Verlegern und Verbänden, von SRG und namhaften deutschen Medienunternehmen. Alles Weitere: www.maz.ch<br />
Murbacherstrasse 3, 6003 Luzern, 041 226 33 33, office@maz.ch, www.maz.ch
Zwangsernährung<br />
Würgen, Erbrechen,<br />
Zittern<br />
und das Gefühl,<br />
zu ersticken<br />
Wenn politische Gefangene in den Hungerstreik treten,<br />
greifen die Obrigkeiten zur Zwangsernährung. Dabei führt sie<br />
oft zum Tod. Genfer Ärzte zeigen in einem Artikel<br />
auf, was aus der Vergangenheit gelernt werden könnte.<br />
Von HElEn BrüGGEr<br />
Die aktuelle Debatte um Zwangsernährung,<br />
ausgelöst durch den Hungerstreik des Walliser<br />
Hanfbauern Bernard Rappaz, ist nicht neu.<br />
In vielen Ländern haben zahlreiche Gefangene<br />
in der Vergangenheit zum Mittel des Hungerstreiks<br />
gegriffen. Viele von ihnen sind zwangsernährt<br />
worden, <strong>mit</strong> oder gegen den Willen<br />
der Ärzte. Eine Gruppe von sieben Genfer Ärzt<br />
Innen, darunter Hans Wolff, der behandelnde<br />
Arzt von Rappaz (siehe Interview), erinnern<br />
in der neusten Ausgabe der «Revue médicale<br />
Suisse» daran, dass Zwangsernährung nicht<br />
nur ein politisches, ethisches und medizinisches<br />
Problem ist, sondern eine Tortur, die<br />
<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Tod enden kann.<br />
Der Hungerstreik als letztes Mittel von<br />
Machtlosen, schreiben die ÄrztInnen, wurde<br />
erstmals von englischen Frauenrechtlerinnen<br />
eingesetzt. Die Suffragetten, die wegen ihres<br />
Kampfs für das Frauenstimmrecht ins Gefängnis<br />
geworfen wurden, galten bis zum Ersten<br />
Weltkrieg für gewisse Ärzte als «abnormal aufgeregte<br />
Individuen», die es gegen ihren Willen<br />
zu «behandeln» galt, wenn sie in den Hungerstreik<br />
traten.<br />
Der «Fixierstuhl» von Guantánamo<br />
Was eine Zwangsernährung bedeutet, macht<br />
die von der «Revue médicale» zitierte Aussage<br />
einer Suffragette deutlich: «Das Einführen der<br />
Sonde durch die Nase war nur unangenehm.<br />
Doch als sie weiter hinabgestossen wurde, löste<br />
sie Würgen, Erbrechen, Zittern und das Gefühl<br />
von Ersticken aus. Im Kampf um Luft richtete<br />
ich mich auf, bis ich aufrecht stand, obwohl<br />
ich von vier Wärterinnen auf den Stuhl niedergedrückt<br />
wurde, danach sank ich erschöpft<br />
zurück. Nach<strong>dem</strong> die Sonde wieder herausgezogen<br />
worden war, hatte ich den Eindruck,<br />
asthmatisch zu sein, und konnte nur ganz<br />
oberflächlich atmen. Tief einatmen tat entsetzlich<br />
weh. Zwei Wärterinnen führten mich<br />
in die Zelle zurück, dort lag ich <strong>mit</strong> qualvollen<br />
Schmerzen, die immer stärker wurden.»<br />
Die Suffragetten gab es nach <strong>dem</strong> Ersten<br />
Weltkrieg nicht mehr, die Zwangsernährung<br />
wurde weiter angewendet. Etwa gegen hungerstreikende<br />
Mitglieder der Roten Armee Fraktion<br />
RAF in der Bundesrepublik Deutschland,<br />
gegen Mitglieder der spanischen Grapo, gegen<br />
IRAMitglied Bobby Sands, gegen die <strong>dem</strong>okratische<br />
Bewegung in der Türkei, zuletzt gegen<br />
die Gefangenen von Guantánamo, wo die amerikanische<br />
Armee gar den «Fixierstuhl» erfand:<br />
einen Stuhl, an den die Hungerstreikenden<br />
gefesselt wurden, um ihnen anschliessend gewaltsam<br />
eine Sonde einzuführen. Dabei ging<br />
es weniger um ihre Rettung als darum, den<br />
Protest zu brechen. Die Verantwortung für die<br />
Massnahme lag beim Militärkommandanten,<br />
die Militärärzte entschieden über die Art und<br />
Weise der Zwangsernährung.<br />
In allen Ländern, in denen sie angewandt<br />
wurde, löste die Zwangsernährung<br />
ethische, medizinische, juristische und politische<br />
Debatten aus. Im Vorkriegsengland de<br />
battierten Ärzte verschiedene Lehrmeinungen,<br />
in Deutschland führte sie zu einer politischen<br />
Polarisierung, in Spanien nötigte ein Entscheid<br />
des Verfassungsgerichts die Ärzte, Zwangsernährungen<br />
vorzunehmen. Besonders intensiv<br />
war die Auseinandersetzung zwischen Staatsräson<br />
und medizinischer Ethik in der Türkei.<br />
«Grauenhafter Leidensweg»<br />
Dort organisierte die <strong>dem</strong>okratische Bewegung<br />
in den Jahren 1996 und 2000 zwei grosse kollektive<br />
Hungerstreiks in den Gefängnissen<br />
und unter den Angehörigen der Gefangenen.<br />
Regierung und Justiz übten massiven Druck<br />
auf den türkischen Ärzteverband aus, der sich<br />
gegen die Zwangsernährung ausgesprochen<br />
hatte und seinen Mitgliedern verbot, Hungerstreikende<br />
ohne deren Einwilligung künstlich<br />
zu ernähren. Die Regierung drohte den Ärzten<br />
Strafverfolgung an und klagte gegen den Verband.<br />
Als sich die Streiks ausweiteten, machte<br />
sich die Regierung daran, das Strafgesetz zu<br />
verschärfen – nur schon der Aufruf zu einem<br />
Hungerstreik sollte <strong>mit</strong> Gefängnis bis zu zwanzig<br />
Jahren bestraft werden. Insgesamt etwa<br />
was Bernard rappaZ’ arZt sagt<br />
hundert Menschen starben in der Türkei an<br />
den Folgen der kollektiven Hungerstreiks. Der<br />
Konflikt ging bis vor den Europäischen Gerichtshof<br />
für Menschenrechte, der den Ärzten<br />
recht gab. 2003 ratifizierte das türkische Parlament<br />
eine Konvention, die Betroffenen erlaubt,<br />
eine medizinische Behandlung zu verweigern.<br />
«Man kennt heute das Schicksal von Hungerstreikenden,<br />
die einer Zwangsernährung unterworfen<br />
worden sind», fasst die «Revue médicale»<br />
zusammen: «Das Los dieser Menschen,<br />
meistens politische Gefangene, wird als grauenhafter,<br />
erniedrigender Leidensweg beschrieben.»<br />
Zwangsernährte starben «entweder als<br />
direkte Folge einer falschen Wiederernährung<br />
oder als indirekte Folge der Komplikationen,<br />
die die Behandlung auslöste».<br />
Zwangsernährung ist Folter<br />
In der «Erklärung von Malta» hielt der<br />
Weltärztebund WMA schon 1991 fest: «Die<br />
Zwangsernährung trotz freiwilliger und erklärter<br />
Verweigerung ist nicht vertretbar.» Und<br />
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />
bestätigte in zwei Urteilen von 2005 und<br />
2007, dass die Zwangsernährung als Folter be<br />
»Unabhängig bleiben gegenüber der Justiz»<br />
WOZ: Die Walliser Justiz will Sie zwingen, den<br />
Hanfbauern Bernard Rappaz zwangsweise zu<br />
ernähren. Sie haben gegen diesen Befehl vor<br />
Bundesgericht rekurriert. Weshalb?<br />
Hans Wolff: Er ist medizinisch nicht<br />
ausführbar. Für jeden Patienten gilt: Ist er entscheidungsfähig,<br />
muss der Arzt seinen Willen<br />
respektieren. Wir dürfen Gefangene nicht anders<br />
behandeln als Personen in Freiheit. Die<br />
Antwort des Bundesgerichts auf meinen Rekurs<br />
steht noch aus.<br />
Im August hat das Bundesgericht entschieden,<br />
dass die Strafvollzugsbehörde eine<br />
Zwangsernährung anordnen muss, wenn das<br />
der einzige Weg ist, irreversible Schäden oder<br />
den Tod des Gefangenen zu vermeiden…<br />
In <strong>dem</strong> Entscheid steht auch, dass das unter<br />
Respektierung der medizinischen Standesregeln<br />
und der Würde des Betroffenen geschehen<br />
muss. Im vorliegenden Fall ist weder das<br />
Hans Wolff.<br />
Kultur / Wissen 23<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Antizwangsernährungsplakat Britannien, 1909. BILD: SUFFRAGETTES.NLS.UK<br />
eine noch das andere möglich. Wir befinden<br />
uns deshalb nicht im Widerspruch zum Bundesgericht,<br />
wenn wir eine Zwangsernährung<br />
verweigern. Nur im Widerspruch zur Interpretation<br />
der Walliser Justiz.<br />
Was hat Sie und Ihre KollegInnen dazu<br />
veranlasst, sich <strong>mit</strong> einem Artikel über historische<br />
Fälle von Zwangsernährung an die Öffentlichkeit<br />
zu wenden?<br />
Wir hatten den Eindruck, dass zu wenig<br />
bekannt ist, was eine Zwangsernährung bedeutet.<br />
Viele denken, das sei harmlos wie eine<br />
Blutentnahme. Das stimmt nicht. Es ist eine<br />
<strong>mit</strong> grosser Gewaltanwendung verbundene<br />
Handlung. Und sie ist gefährlich. Das Risiko zu<br />
sterben, kann bis zu sechzig Prozent betragen.<br />
Unsere Absicht war nicht, Bernard Rappaz <strong>mit</strong><br />
den geschilderten Fällen zu vergleichen. Wir<br />
nehmen nicht Stellung zum Kampf von Rappaz.<br />
Wie erleben Sie die Situation persönlich?<br />
Es ist sehr schwierig. Es wäre schwierig<br />
genug, wenn ich mich nicht auch noch gegen die<br />
Justiz verteidigen müsste. Als Arzt will ich <strong>dem</strong><br />
Patienten helfen, sein Leiden zu lindern. Wenn<br />
ein Patient das verweigert, stellt das die Grundfeste<br />
unseres Berufs in Frage. Wir haben immer<br />
und immer wieder, auch von Personen ausserhalb<br />
der Gefängnisabteilung, abklären lassen,<br />
ob Rappaz wirklich so weit gehen will.<br />
Wer kann Rappaz noch retten?<br />
Verschiedene Akteure könnten es, auch er<br />
selber. Ich will dazu jedoch nicht Stellung neh<br />
trachtet werden könne, wenn <strong>dem</strong> Inhaftierten<br />
Fesseln angelegt oder wenn ihm zwangsmässig<br />
eine Ernährungssonde eingelegt werde.<br />
In einem anderen Urteil entschied das<br />
Gericht, dass das Sterbenlassen eines Gefangenen<br />
nach einem Hungerstreik «nicht gegen<br />
die Menschenrechte verstösst, weil er während<br />
seiner Gefangenschaft Zugang zur gleichen<br />
Behandlung wie in der Freiheit hatte».<br />
Dies schrieb die deutschsprachige Ausgabe der<br />
«Schweizerischen Ärztezeitung» vom 29. September,<br />
die sich ebenfalls der Problematik des<br />
Hungerstreiks widmet.<br />
Für die Genfer Ärzte ist klar: Ein Hungerstreik<br />
gehört zum Recht auf Selbstbestimmung,<br />
zu den Grundrechten des Menschen. Und nur<br />
«die Unparteilichkeit des Medizinalpersonals<br />
und ihre grundlegende Unabhängigkeit von<br />
den Gefängnis, Justiz und Polizeibehörden»<br />
könne garantieren, dass den PatientInnen im<br />
Gefängnis die gleiche Qualität der medizinischen<br />
Pflege zuteil werde und sie die gleichen<br />
Rechte genössen wie PatientInnen in Freiheit.<br />
«Jeûne de protestation et alimentation forcée:<br />
relevé de pratiques historiques» in<br />
«Revue médicale Suisse», 1. Dezember 2010:<br />
http://revue.medhyg.ch<br />
men. Ich als Arzt kann ihn nicht gegen seinen<br />
Willen retten. Als Gefangener ist mein Patient<br />
abhängiger, verwundbarer als andere. Wenn<br />
ich ihn gegen seinen Willen künstlich ernähren<br />
würde, könnte das sein Vertrauen zu mir<br />
zerstören. Schlimmer: Alle Gefängnisinsassen<br />
müssten fürchten, dass Doktor Wolff sie eventuell<br />
gegen ihren Willen behandelt. Deshalb<br />
ist es so wichtig, dass die Gefängnismedizin<br />
vollständig unabhängig gegenüber den Justiz,<br />
Gefängnis und Polizeibehörden handeln kann.<br />
In der Schweiz ist das erst in drei Kantonen garantiert:<br />
Genf, Waadt und Wallis.<br />
Geht es im Konflikt um einen Kampf<br />
zwischen den Prinzipien der Justiz und den<br />
Prinzipien der Medizin, bei <strong>dem</strong> das Individuum<br />
auf der Strecke bleiben könnte?<br />
Das ist ganz und gar nicht so. Meine erste<br />
Sorge gilt meinem Patienten, nicht irgendwelchen<br />
Prinzipien. Darüber hinaus geht es<br />
um eine grundlegende Frage. Wenn mir heute<br />
die Justiz vorschreibt, wie ich einen Gefangenen<br />
behandeln muss, kann sie oder irgendeine<br />
andere Instanz mir morgen vorschreiben, wie<br />
ich einen übergewichtigen Patienten gegen seinen<br />
Willen behandeln muss. Das ist gegen die<br />
Grundrechte der Patienten und darf von einem<br />
Arzt niemals akzeptiert werden.<br />
IntE rVIEW: H E l E n BrüGGEr<br />
Hans Wolff ist der behandelnde Arzt von<br />
Bernard Rappaz in der Gefängnisabteilung<br />
des Genfer Kantonsspitals.
24<br />
Kleininserate<br />
Arbeit<br />
Ferien<br />
Schlafen natürlich!<br />
Genossenschaft Filmproduktionsfirma Wohnen 55+ in Zürich<br />
In Graubünden<br />
sucht<br />
(Bonaduz)<br />
entsteht ein Wohnprojekt<br />
für Menschen über 50.<br />
Wir suchen Mitbewohner-<br />
Innen. 081 252 81 23<br />
www.ingutergesellschaft.ch<br />
Café RebelDía<br />
fein | fair | bio<br />
T: 043 366 65 00<br />
F: 043 366 65 05<br />
info@gebana.com<br />
www.gebana.com<br />
rebeldia_ins woz 55x35.indd 1 22.2.2008 9:33:27 Uhr<br />
Kleininserate-Talon<br />
Inserateannahmeschluss:<br />
Dienstag der Erscheinungswoche, 12 Uhr<br />
Verrechnung:<br />
- Grundpreis 30 Franken für die ersten zwei Zeilen à 45 Zeichen inkl. Leerschläge. Danach<br />
5 Franken für jede weitere Zeile. Bei Logos 2.22 Franken pro mm Höhe.<br />
- 20 % Rabatt ab 3-maligem Erscheinen.<br />
- Chiffregebühr (Versand 2x in der Woche): 10 Franken.<br />
- Für das Kleininserat erhalten Sie eine Rechnung. Daueraufträge werden monatlich verrechnet.<br />
30.–<br />
35.–<br />
40.–<br />
45.–<br />
50.–<br />
55.–<br />
60.–<br />
65.–<br />
70.–<br />
75.–<br />
80.–<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Gewünschte Rubrik: Anzahl Veröffentlichungen:<br />
Rechnungsadresse:<br />
www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-naturbetten.ch<br />
Bild 3<br />
entrümple, entsorge und<br />
reinige gits no günstig bi eus<br />
079 501 33 33, www.allblitz.ch<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
HÜSLER NEST-CENTER WEIN Schaffhauserstrasse in der 119, BOX<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
www.chateaux-carton.ch<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
��������� ��� ��������������� Löwenstrasse �� ��� 9 b/Sihlporte, ��������<br />
����������������������<br />
Bild<br />
8001 4Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
���������������� ������� HÜSLER NEST-CENTER �� ������<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
�� ��� ����� ����� ��� 8057 �� Zürich, ��� Tel. ����� 044 350 ���� 53 90<br />
���������� � ���� ������������ ��������<br />
���� ���www.indigo-naturbetten.ch ������������ ��� ������������<br />
����������������<br />
����������� ��� ������� ������� ������<br />
�������������� ������������������ �������<br />
Kurse www.futon-tatami.ch<br />
����� ����<br />
Bild<br />
�� ��������� ������� 4���� ����<br />
�����������������������������������������������<br />
Clownkurs vom 26. Dez. bis 30. Dez. 2010 in<br />
����������������������<br />
AIDS, HAART und die<br />
Zürich Info: www.madamebissegger.ch<br />
����������������������������������������<br />
��������������������������������������������<br />
Mitochondrien:<br />
www.ummafrapp.de<br />
ich (37) suche für meine tochter ronja (7 monate)<br />
eine unterstützung, eine liebe frau, jünger<br />
oder älter, <strong>mit</strong> oder ohne kinder, die ab und zu<br />
URBANE GETRÄNKELIEFERUNGEN<br />
ronja zu sich nimmt oder sie von der krippe abholen<br />
kann. im raum luzern, 079 767 85 56.<br />
Buchhandlung für Alpine Literatur<br />
haus-, gastro- und festservice<br />
Ausflüge ins Gebirge<br />
044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />
Kunst<br />
BERLIN ATELIER Wochen-/Monateweise zu<br />
www.pizbube.ch<br />
vermieten: Atelierplätze. Auch für kleine<br />
Gruppen. Ebenerdig, hell, Räume <strong>mit</strong> guter<br />
Atmosphäre, Küche,<br />
����<br />
Terrasse/Garten,<br />
��������<br />
Telefon,<br />
Wlan. Falls erwünscht: Materialnutzung (Farben,<br />
Pinsel, Malgründe), künstlerische Beratung<br />
durch Malerin und Kunstprof. Atelierplatz ab 80 €/<br />
Woche. Angelika Margull 0049 170 5527707 /<br />
fein | fair | bio<br />
info@klasse-mappe.de<br />
T: 043 366 65 00<br />
F: 043 366 65 05<br />
info@gebana.com<br />
www.gebana.com<br />
Oder erfassen Sie Ihr Kleininserat auf www.woz.ch/inserate<br />
Senden Sie diesen Talon an:<br />
WOZ Die Wochenzeitung, Kleininserate, Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich.<br />
Fax 044 448 14 15, E-Mail klins@woz.ch<br />
����������������������������������������<br />
��������������������������������������������<br />
für Wohlstand Farbe in der jeder Schweiz Grösse bei.“<br />
Malerwerkstatt<br />
Konrad Stocker 044 242 16 36<br />
��������������<br />
Bild 3<br />
2 chlini eifachi Wönigli z Barcelona<br />
z<strong>mit</strong>zdrin ufem Dach gern für NR.<br />
www.zapfig.com/atico<br />
Gesundheit Schlafen natürlich!<br />
����� ����� All-Blitz-Transporte ��� ������ (ehemals ���<br />
de Blaui Blitz), Chlitranspört,<br />
����� ����� Züglete, � ������ ökologisch �� ������ sinnvoll ��<br />
Pepe, ����5 ������ entrümple, Jahre � ��� in entsorge d. ��� Schweiz �� und ��<br />
reinige gits no günstig bi eus<br />
Gepflegte Privatunterkünfte in den<br />
079 501 33 33, www.allblitz.ch<br />
Metropolen Europas für 2 bis 28 Tage, z. B.<br />
BuchhalterIn 20%<br />
„Ich bin Strassenbauer. Ich<br />
London, Amsterdam, Berlin, Rom,<br />
Barcelona, Schlafen hübsche Gästezi. natürlich!<br />
ab 15 € u. Apartm. für Farbe Schlafen in jeder natürlich! Grösse<br />
möchte Steuern bezahlen und<br />
Nähere Informationen:<br />
ab 22 € p. P./Nacht, Budapest, Prag, Wien,<br />
Malerwerkstatt<br />
ein Recht auf Zugang zur<br />
www.mirafilm.ch/jobs<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
Lissabon, Madrid ...! INTAS Berlin, Tel. 0049 30 Gute NachtINDIGO<br />
NATURWAREN<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
34 99 33-1, Fax -8, E-Mail: info@intasberlin.de Konrad Stocker Löwenstrasse 0449 b/Sihlporte, 242 16 36<br />
Bild 1<br />
UhrenGesundheit<br />
haben!“<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
Hotel Macun<br />
Bild<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
Traductions d‘allemand en français. Rapides, Schaffhauserstrasse fiables Südfrankreich 119, ein Platz der Ruhe und<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
Wer kann mir meine alte Tachenuhr flicken?<br />
et élégantes, par un traducteur expérimenté. 8057 Zürich, Tel. Erholung 044 350 53 auf 90 unserem Eselhof <strong>mit</strong> Natur- www.futon-tatami.ch<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90 Die kleine Oase im Unterengadin<br />
Chiffre Anlaufstelle 7024 für Sans-Papiers<br />
www.performare.ch. Tarifs de la Confédération. pool und 2 Ferienhäuschen am Fuss der<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
Pyrenäen. Näheres unter www.Eselhof.fr und www.indigo-naturbetten.ch Mussestunden im einzigartigen<br />
Rebgasse 1, 4058 Basel<br />
��������������<br />
+33468747992 – à bientôt!<br />
Bergdorf Tschlin geniessen -<br />
www.sans-papiers.ch<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
www.futon-tatami.ch<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, wandernd das Unterengadin<br />
Einfaches Ferienhaus für<br />
8001<br />
4 Pers.<br />
Zürich<br />
zwischen<br />
, Tel. 044<br />
Bellin-<br />
212 57 12 ����� ����� ��� 8001 Zürich ������ , Tel. 044 ��� 212 Wohnen<br />
Bücher<br />
zona und Locarno, nahe Badeteich und Wasser-<br />
entdecken 57 12 und abends sich Schlafen natürlich! Schlafen n<br />
Bild 5<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
Bild<br />
HÜSLER 6NEST-CENTER<br />
PC 40-327601-1<br />
fall, <strong>mit</strong> <strong>Bus</strong> gut erreichbar. Schaffhauserstrasse www.zapfig.com/ 119,<br />
Schaffhauserstrasse 119, verwöhnen lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />
In Haus-WG <strong>mit</strong> Garten in Aeugst a/A zu ver-<br />
chezfritz<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90 ����� ����� � ������ 8057 Zürich, �� ������ Tel. 044 350 ��53<br />
Gerichten 90 aus unserer<br />
mieten: Zimmer <strong>mit</strong> Galerie (725.–) und<br />
���� ������ � ��� ��� �� �� Lovelove<br />
Doppelzimmer (825.–). Wir: w 23, w 26 + Hund<br />
Buchhandlung für Alpine Literatur www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-naturbetten.ch Küche...<br />
Genossenschaft<br />
und Katzen. Claudia, 079 721Kolumbien Wohnen 55+<br />
84 22 / bettina.stoffel@<br />
Ausflüge ins Gebirge<br />
Besch gärn i de Natur, Bärge, am Wasser, besch gmx.ch<br />
Hotel Macun<br />
Heller Saal für<br />
In Graubünden (Bonaduz)<br />
Bild 6<br />
chli sportlech? Bi romantisch, zärtlich, du gärn<br />
Die kleine Oase im Unterengadin<br />
snöbe, Seminare bike, und mag Chend u Tier. Suche dich, Frau, Wegen entsteht „Es Auslandaufenthalt kommt ein die Stunde, Wohnprojekt<br />
Zimmerwo zu ihr<br />
Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />
vermie-<br />
für e schöni Bez. Chiffre 7025<br />
ten in Zürich-Friesenberg. 1.1. bis 12.3.2011. In<br />
Mussestunden<br />
Bild<br />
im einzigartigen<br />
5<br />
www.pizbube.ch<br />
Arbeitsgruppen.<br />
uns helft, unsere Situation zu<br />
Schlafen natürlich!<br />
Schlafen natürlich!<br />
4-Zi.-Whg. für Menschen 440.–/mtl. 044 461über 47 33 (abends) 50.<br />
Bergdorf Tschlin geniessen -<br />
legalisieren.“<br />
Die Luft ist klar,<br />
oder sms auf 079 511 52 36.<br />
INDIGO NATURWAREN Wir suchen Mitbewohner- INDIG<br />
wandernd das Unterengadin<br />
der Himmel weit,<br />
���� ��������<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
Löwen<br />
entdecken und abends sich<br />
8001 Zürich , Innen.<br />
die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />
Anlaufstelle Tel. 044 212 57 12für<br />
081 Sans-Papiers 252 81 23 8001 Zü<br />
Hotel verwöhnen Macun lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />
Musik<br />
HÜSLER NEST-CENTER www.ingutergesellschaft.ch<br />
www.sans-papiers.ch<br />
HÜSLE<br />
Die Gerichten kleine aus Oase unserer im Unterengadin Schlafen natürlich!<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
Schaffh<br />
Wir freuen uns auf unsere Gäste! 8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
8057 Zü<br />
fein | fair | bio<br />
PC 40-327601-1<br />
A CAPPELLA-CHOR ZÜRICH<br />
Küche...<br />
Th. Ruf u. M. Meury 7559 Tschlin<br />
Mussestunden Schlafen im einzigartigen natürlich!<br />
Wir suchen 2 Tenöre www.indigo-naturbetten.ch www.indigo-na<br />
www.hotelmacun.ch<br />
Bergdorf Heller Saal Tschlin für geniessen -<br />
<strong>mit</strong> gutem Gehör und Chorerfahrung.<br />
Durst<br />
Repertoire: 081 866 geistl. 32 70 Musik / info@hotelmacun.ch<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
der Renaissance<br />
T: 043 366 65 00<br />
wandernd Seminare und das Unterengadin<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, Proben jeden Montagabend in Zürich.<br />
Antonio, 9 Jahre in Basel<br />
entdecken Arbeitsgruppen. und abends sich<br />
Bild 3<br />
F: 043 366 65 05<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
8 Konzerte pro Jahr / 044 422 21 78 /<br />
info@gebana.com URBANE GET RÄNKELIEFERUNGEN HÜSLER NEST-CENTER<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
„Ich arbeite als moderner Sklave<br />
079 586 09 67 / www.a-cappella-chor.ch /<br />
verwöhnen lassen <strong>mit</strong> kreativen<br />
Bild<br />
URBANE GETRÄNKELIEFERUNGEN<br />
www.gebana.com<br />
Schaffhauserstrasse Die 119,<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
Luft ist klar,<br />
esther.snozzi@bluewin.ch<br />
8057 Zürich, Tel. Gerichten 044 350 53 90<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
auf <strong>dem</strong> Bau, nur weil ich keine<br />
der Himmel<br />
aus<br />
weit,<br />
unserer<br />
Buchhandlung für Alpine Literatur<br />
haus-, gastro- und festservice Küche...<br />
Genossenschaft INDIGO Wohnen NATURWAREN<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
Bewilligung habe!“<br />
55+<br />
die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
haus-, gastro- und festservice<br />
www.sans-papiers.chAusflüge<br />
ins Gebirge<br />
044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
044 274 10 10 durst@intercomestibles.ch<br />
Heller Saal für INDIGO NATURWAREN In Graubünden (Bonaduz)<br />
Wir freuen uns Löwenstrasse auf unsere 9 Gäste! b/Sihlporte,<br />
HÜSLER NEST-CENTER Räume<br />
PC 40-327601-1<br />
Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />
Seminare Th. und Ruf u. M. Meury 8001 Zürich 7559 , Tschlin Tel. 044 212 57 12<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
entsteht ein 8057 Wohnprojekt<br />
Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
www.pizbube.ch<br />
ic_woz 55x15 mm 2007.indd 1 9.5.2007 9:11:28 UhrArbeitsgruppen.<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
www.hotelmacun.ch Immobilien<br />
Gesucht in Zürich: Sprechzimmer für<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
WEIN in der BOX<br />
für www.indigo-naturbetten.ch<br />
Menschen über 50. WAS ABER?<br />
Psychiaterin. 1 bis 3 Räume. Schlafen Zentral, hell und natürlich! Schlafen n<br />
081 866 32 70 / info@hotelmacun.ch<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
Die Luft ist klar,<br />
Grosses Haus an schönster Südwestlage, un- <strong>mit</strong> Charme. sabine.geistlich@hin.ch, Tel. 043<br />
Wir suchen Mitbewohner-<br />
Anlaufstelle für Sans-Papiers<br />
www.chateaux-carton.ch www.indigo-naturbetten.ch verbaubare Weitsicht, direkt am Waldrand, in 344 83 44.<br />
Beringen Kt. SH zu verkaufen. Kinder- und tier- ABER ABER ���� ��������<br />
der Himmel weit,<br />
www.sans-papiers.ch<br />
Innen. 081 252 81 23<br />
die Alpwiesen nah... uf und drby!<br />
freundlich, 35 Minuten bis Zürich-Kloten. Für<br />
PC 40-327601-1<br />
Infos und www.ingutergesellschaft.ch<br />
Besichtigung wählen Sie Tel. 056 534<br />
42 24.<br />
die kalte galerie<br />
fein | fair | bio<br />
Film Wir freuen uns auf unsere Gäste!<br />
Transporte<br />
www.biowein.ch<br />
Th. Ruf u. M. Meury 7559 Tschlin<br />
guter Wein, der besser ist<br />
TERRA VERDE • Fabrik am Wasser 55<br />
8049 Zürich • 044 342 10 00<br />
www.hotelmacun.ch<br />
081 866 32 70 / info@hotelmacun.ch<br />
Die schönsten<br />
Filme<br />
Kontakte<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
T: 043 366 65 00<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte, F: 043 366 65 05<br />
8001 Zürich , Tel. 044 info@gebana.com<br />
212 57 12<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
www.gebana.com<br />
Schaffhauserstrasse 119,<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
INDIG<br />
Löwen<br />
8001 Zü<br />
HÜSLE<br />
Schaffh<br />
8057 Zü<br />
auf DVD<br />
www.trigon-film.org<br />
WAS ABER?<br />
ABER ABER<br />
die kalte galerie<br />
��������������������<br />
������� �� ����� ������� �����������<br />
��������������������� ����� ��� ���� ����<br />
������ ��� ��� ������ ����������� ����<br />
Müllerstr. 25 8004 Zürich<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
Bild 5<br />
Schraube<br />
Schlafen natürlich!<br />
Insertionsbedingungen:<br />
INDIGO NATURWAREN<br />
Löwenstrasse 9 b/Sihlporte,<br />
Es gelten die Insertionsbedingungen der WOZ.<br />
8001 Zürich , Tel. 044 212 57 12<br />
HÜSLER NEST-CENTER<br />
Ihr Kleininserat findet sich auch 1 Woche lang auf www.woz.ch. Schaffhauserstrasse 119,<br />
8057 Zürich, Tel. 044 350 53 90<br />
www.indigo-naturbetten.ch<br />
„Warum werde ich ignoriert?<br />
Ich trage zum wirtschaftlichen<br />
Anlaufstelle für Sans-Papiers<br />
www.sans-papiers.ch<br />
061 / 681 56 10<br />
PC 40-327601-1<br />
locker?Für mich<br />
keine<br />
Behinderung.<br />
insieme setzt sich seit<br />
50 Jahren für Menschen <strong>mit</strong><br />
geistiger Behinderung ein.<br />
www.insieme.ch / PC 25–15000-6<br />
www.indigo-na<br />
Bild<br />
Schlafen n<br />
INDIG<br />
Löwen<br />
8001 Zü<br />
HÜSLE<br />
Schaffh<br />
8057 Zü<br />
www.indigo-na
kreuzWoz Nr . 487<br />
12<br />
15<br />
26<br />
28<br />
4<br />
9 10<br />
17<br />
33<br />
36<br />
waagrecht (i = j = y):<br />
23<br />
4 Wirkt auch bei Ebbe erhellend 9 War überhaupt<br />
das Wichtigste an Marx’ Genossen 12 Wer<br />
Fastfood als das versteht, hat im Frühenglisch<br />
gefehlt 13 Dieses Gewässer ist grösstenteils für<br />
Hyänen ein Genuss 14 Jedes Tramdepot umfasst<br />
auch einen Speicher 15 Ein naheliegender Grund,<br />
das Weite zu suchen 16 Süss, was in diesem<br />
Ort raffiniert ist 17 Hat im Winter wohl häufig<br />
Alpträume 19 Steht Pferden und Stoffen im<br />
Akkusativ sehr gut vor und an 23 Macht das Blicht<br />
kälter statt ein bisschen wärmer 24 Als Grussformel<br />
total diskreditiert 25 Soll, auf den Punkt<br />
gebracht, Staaten in Übersee verbinden 26<br />
Schweizerische Spielart eines ehemaligen deutschen<br />
Politikers 27 Auch so salopp gehobene<br />
Theorie ist grau 28 Wer sie kriegt, der regulär<br />
abbiegt 30 Auf <strong>dem</strong> Glatteis in Unterzahl ganz<br />
legal 33 Hilft BritInnen bei allzu trockenem<br />
Humor 34 Kurz sichtbarer Schweizermacher<br />
35 Pro-Specie-Rara-Pionier 36 Hilft der Geisha,<br />
zu Hause richtig Fuss zu fassen<br />
Lösung von kreuzWoz Nr. 486 (Woz Nr. 47/10)<br />
11<br />
senkrecht:<br />
1 Mit der Zeit, aber nie <strong>mit</strong> Eile 2 Kann erst wenn<br />
abgeschlossen richtig analysiert werden 3 Kein<br />
Omen, dieser Musikernomen, denn sein Träger ist<br />
schlagfertig und keineswegs unbeweglich 4 Kein<br />
grober Bestandteil der Luftverschmutzung<br />
5 Krampf, bei <strong>dem</strong> wir schliesslich gepflegt am<br />
verlängerten Rücken landen 6 MünchnerInnen<br />
erleben sie durchgehend 7 Wächst auf <strong>dem</strong><br />
Burgunderground 8 Ist nicht unbedingt sackstark,<br />
was bei den Grossverteilern an die Kasse kommt<br />
10 Worauf sich vielleicht ein Asket erholen kann<br />
11 Englische Überraschungsmomentaufnahme<br />
18 Ist als Malerei auch nicht direkt konkret<br />
20 Verhält sich am Strand generell zurückhaltend<br />
21 Da ist Vreneli in ihrem Gärtli im Element, sagt<br />
eventuell der Nichtglarner 22 Süsse Knacknuss<br />
29 Mit einem Teilchen versetzt dieser beziehungsreiche<br />
Gott Berge 31 So hiesse man in gehobenen<br />
Kreisen einen Faulpelz 32 Diese fast aussichtslose<br />
Lage ist in England verboten<br />
waagrecht: 4 HALBLEITER 8 ABERGLAUBE 12 SUPERLATIV 13 HELP 14 TUEREN 15 NIETE<br />
17 BANAL 18 SERA 19 BAUTE 21 TRABER 23 TORTE 24 SAEBEL 25 DATEI 27 NEL 28 EEL<br />
29 EGON 30 LOLLI 31 NOMEN senkrecht: 1 FABULIEREN 2 KLEPPER 3 HELLEBARDEN<br />
4 HASENSTALL 5 BRET 6 TUTEN 7 REVOLUTION 9 GRUEBELEI 10 AARAU 11 BINAER 16 TABELLE<br />
20 TOTEM 22 ABEL 23 TALON 26 EGEL<br />
Ich fuhr <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Velo nach Hause, da sah ich<br />
den Berg. Ich wunderte mich, dass ich ihn noch<br />
nie beachtet hatte. Er stand doch direkt nördlich<br />
meines Wohnorts, auf der anderen Seite<br />
des Tals: breit, bewaldet, <strong>mit</strong> einigen Felsen,<br />
aber oben flach, wie der Mont Raimeux bei<br />
Moutier. Es war ein Stück Jura, ohne Zweifel.<br />
Dabei hatte ich doch gelernt, der Jura höre in<br />
Regensberg auf. Offenbar stimmte das nicht.<br />
Morgen werde ich da wandern gehen, dachte<br />
ich.<br />
Ich wachte auf. Nördlich meines Wohnorts<br />
nur die Autobahn und abgeerntete Maisfelder.<br />
Der Jura hörte wieder bei Regensberg<br />
auf. Ich packte den Rucksack und fuhr nach<br />
Olten.<br />
5 6 7 8<br />
16<br />
1<br />
13 14<br />
18 19 20 21 22<br />
24 25<br />
27<br />
29 30 31 32<br />
34 35<br />
2 3<br />
In Olten beginnt der Berg tatsächlich direkt<br />
nördlich der Stadt. Über die Aare, an der<br />
Alternativen Bank und verwilderten Villengärten<br />
vorbei erreichte ich den Bannwald in einer<br />
Viertelstunde. Im Wald stand ein freundlicher<br />
Mann und erzählte allen, dass Gott sie liebe.<br />
Bald war ich völlig verschwitzt. Ich stieg hinauf<br />
zum Naturfreundehaus Rumpelweid und<br />
stellte mich in die Schlange für einen Most. Von<br />
ArbeiterInnenbewegung ist hier nichts mehr<br />
zu spüren – der beschnauzte Mann <strong>mit</strong> Dächlikäppli<br />
des Autorennstalls Sauber ist wohl eher<br />
kein Linker –, aber die Käseschnitten sind sensationell<br />
günstig. Ich stieg weiter, jetzt wurde<br />
es einsamer und hinter der Homberglücke auch<br />
kühler. Der Wanderweg Richtung Belchenflue<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Max Watts (1928–2010)<br />
Ein Weltbürger<br />
<strong>mit</strong> maximaler Leistung<br />
Er führte ein abenteuerliches Leben. Am 23. November starb Max Watts,<br />
der langjährige WOZ-Korrespondent in Australien.<br />
Von ViViEnnE PorzsoLt und norman BrEWEr<br />
Max wurde am 13. Juni 1928 als Thomas<br />
Schwätzer in eine jüdisch-säkulare Mittelklassefamilie<br />
in Wien geboren. Sein Vater Emil war<br />
Arzt, seine Mutter Giza Journalistin.<br />
Nach der Machtübernahme von Hitler in<br />
Österreich 1938 flüchtete die Familie von Max<br />
zuerst nach Frankreich, musste sich dann aber<br />
für die weitere Flucht trennen. Max ging <strong>mit</strong><br />
seinem Vater nach England, wo der Vater ihn<br />
in fremde Obhut gab und dann Selbstmord beging,<br />
weil er glaubte, die Visumsverlängerung<br />
für ihn und Max sei verweigert worden. Max<br />
fand später heraus, dass es im entsprechenden<br />
Bescheid einen Schreibfehler gegeben hatte.<br />
Der kleine Max wuchs in England in verschiedenen<br />
Heimen auf. Während des Kriegs<br />
erwarb er sich etwas Taschengeld, in<strong>dem</strong> er<br />
explodierte Mörsergranaten sammelte und<br />
Blindgänger suchte. Bereits im Alter von zwölf<br />
Jahren schloss er sich der Kommunistischen<br />
Jugend in England an – und wurde schon bald<br />
Bezirksleiter der Organisation.<br />
In der Kommunistischen Partei<br />
1944 konnte der 16-Jährige zu seiner Mutter<br />
und Schwester in die USA reisen, weil er sich<br />
für älter ausgab, als er war. Dort studierte er<br />
Politik, Ökonomie und Aviatik, qualifizierte<br />
sich als Drucker, engagierte sich<br />
in der Internationalen Typografiegewerkschaft<br />
und wurde<br />
schliesslich Organisator in der<br />
Elektrikergewerkschaft. Er trat<br />
der Kommunistischen Partei der<br />
USA bei, behielt aber, wie er später<br />
sagte, immer seinen eigenen<br />
(Dick-)Kopf und lehnte Dogmatismus<br />
und Sektierertum ab.<br />
Um nicht als Soldat für den<br />
Koreakrieg eingezogen zu werden,<br />
emigrierte er Anfang der<br />
fünfziger Jahre nach Israel. Doch<br />
auch dort sollte er schon bald<br />
Kriegsdienst leisten: «Ich kenne<br />
keine Koreaner. Und auch keine<br />
Max Watts.<br />
Araber. Und sie haben mir auch nie etwas getan»,<br />
begründete Max seine neuerliche Emigration<br />
nach Frankreich. In Paris studierte er Geophy<br />
sik, promovierte und lehrte dann an der<br />
Universität von Paris. Ein Verfahren, bei <strong>dem</strong><br />
durch Reflektion elektrischer Schockwellen Öl<br />
aufgespürt werden kann, brachte ihm einigen<br />
Ruhm und Geld. Sein Pseudonym, unter <strong>dem</strong> er<br />
später leben sollte, leitete sich aus seinem physikalischen<br />
Faible ab: MAXimum WATTage –<br />
maximale Leistung eben.<br />
kost uNd Logis<br />
die schweiz, verdichtet<br />
B Ettina dyttrich über den Jura bei Olten und den Jura im Traum.<br />
ist oft gesperrt; hier übt das Militär. Ich wollte<br />
eigentlich die erste Jurakette überqueren, aber<br />
die vielen Autos auf <strong>dem</strong> Parkplatz schreckten<br />
mich ab, darum stieg ich nach links ab, durch<br />
eine romantische, von Schützengräben unterhöhlte<br />
Landschaft und hinunter zu einer kleinen<br />
Klus. Dahinter dröhnen die Autos auf der<br />
A2 in den Hauensteintunnel, Richtung Basel.<br />
Ein Wegweiser zeigte mir den Weg zurück zum<br />
Rumpel, diesmal nahm ich den Abstieg über<br />
die Krete. Der Erlebnispfad im Bannwald ist<br />
wirklich schön, nicht nur für Kinder.<br />
Hätte ich Gäste aus <strong>dem</strong> Ausland, ich<br />
nähme sie <strong>mit</strong> auf diese Wanderung. Sie zeigt<br />
die Schweiz in verdichteter Form: Militär,<br />
Autobahn, und trotz<strong>dem</strong> ist die Landschaft<br />
25<br />
Mitte der fünfziger Jahre zog es ihn nach<br />
Kuba, wo er eine dauerhafte Anstellung als Geophy<br />
si ker angeboten bekam. Allerdings blieb er<br />
dort nicht lange. Er sehnte sich nach den Pariser<br />
Cafés, <strong>dem</strong> Philosophieren und Politisieren und<br />
seinen Freundinnen. Max war nie monogam.<br />
Gegen den Vietnamkrieg<br />
Mitte der sechziger Jahre unterstützte er von<br />
Paris aus den Widerstand der US-amerikanischen<br />
GIs gegen den Vietnamkrieg. Er war<br />
einer der Köpfe der Organisation Resistance<br />
Inside the Army (Rita). Der Widerstand innerhalb<br />
der US-Streitkräfte gegen den Vietnamkrieg<br />
war stark. Zeitweise gab es bis zu 400<br />
Antikriegszeitungen der GIs in Europa und den<br />
USA. Max sorgte dafür, dass die Deserteure Anwälte<br />
bekamen und Prominente wie Jane Fonda<br />
und Catherine Deneuve die Kriegsgegner politisch<br />
und finanziell unterstützten. Später sollte<br />
er seine Erfahrungen im 1989 ver öf fent lich ten<br />
Buch «US-Army-Europe – von der Desertion<br />
zum Widerstand in der Kaserne oder wie die<br />
U-Bahn zu Rita fuhr» verarbeiten.<br />
Sein Engagement gegen den Vietnamkrieg<br />
missfiel den französischen Behörden.<br />
Mehrmals wurde er verhaftet und deportiert.<br />
Er reiste jedoch immer wieder ein und klagte<br />
schliesslich erfolgreich gegen die<br />
Ausschaffung.<br />
Später verschlug es Max<br />
nach Heidelberg, <strong>dem</strong> Standort<br />
des Hauptquartiers der US-Armee<br />
in Europa. Max unterstützte<br />
auch dort die US-Soldaten. Er<br />
verdiente nun sein Geld als freier<br />
Journalist. Ein Coup gelang<br />
ihm, als er 1973 nachweisen<br />
konnte, dass die CIA sein Telefon<br />
in Deutschland illegal angezapft<br />
hatte. Es brachte ihm neben einer<br />
finanziellen Entschädigung aus<br />
Washington auch eine gewisse<br />
Berühmtheit ein.<br />
Max sah sich allerdings<br />
weiterhin von der CIA verfolgt. So beschloss er,<br />
nach Australien auszuwandern. Von hier aus<br />
schrieb er für australische und deutschsprachige<br />
Zeitungen. Sein erster WOZ-Artikel erschien<br />
1985, sein letzter im August dieses Jahres<br />
über die australischen Wahlen. Ausser<strong>dem</strong><br />
blieb Max politisch aktiv und unterstützte die<br />
Befreiungskämpfe in Bougainvilles, Osttimor<br />
und West-Papua.<br />
Max konnte letztlich nur der Krebs besiegen.<br />
noch recht schön; Aussicht auf die Alpen und<br />
ein AKW, etwas Geschichte <strong>mit</strong> den Naturfreunden,<br />
die (ausgerechnet!) ihr Haus einst illegal<br />
auf die Rumpelweid bauten, Magerwiesen und<br />
Autobahnlärm. Und günstige Käseschnitten.<br />
Und auf der Hauensteinstrasse fahren<br />
die Töffs jetzt auch im November. Rückkopplung<br />
heisst das im Klimajargon: wenn der<br />
Permafrostboden, von der Klimaerwärmung<br />
aufgetaut, seine gespeicherten Treibhausgase<br />
in die Atmosphäre entlässt und da<strong>mit</strong> die Klimaerwärmung<br />
weiter anheizt. Oder wenn<br />
Spätsommertemperaturen im November das<br />
Töfffahren zum Ganzjahressport werden lassen<br />
und da<strong>mit</strong> den November weiter erwärmen.<br />
Aber inzwischen ist es ja endlich kalt.<br />
Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.
26 Agenda Agenda 27<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
politour<br />
Bespitzelungen<br />
Bereits zum dritten Mal führt attac Bern eine<br />
SuppenznachtReihe durch. Der Titel der diesjährigen<br />
Veranstaltungen lautet: «Macht Alternativen!»<br />
Mit warmer Suppe im Bauch wird<br />
nach einer kurzen Einführung zu verschiedenen<br />
Themen diskutiert. Das nächste Thema: «Fichenaffäre<br />
und Nestlégate».<br />
Bern aki, Alpeneggstrasse 5, Mi, 15. Dezember,<br />
19 Uhr.<br />
China<br />
Mitte 2010 gab es eine Streikwelle in Chinas<br />
Fabriken. WanderarbeiterInnen erkämpften sich<br />
höhere Löhne und lösten eine weltweite Debatte<br />
über das Ende des chinesischen Niedriglohnmodells<br />
aus. Bei Assoziation A ist das Buch<br />
«Aufbruch der zweiten Generation, Wanderarbeit,<br />
Gender und Klassenzusammensetzung in<br />
China» erschienen. Pun Ngai und andere Autor<br />
Innen aus China analysieren das Schicksal und<br />
die Kämpfe verschiedener MigrantInnengruppen,<br />
darunter Bau, Fabrik und SexarbeiterInnen,<br />
und beleuchten die Hintergründe der aktuellen<br />
Streiks und Klassenbildungsprozesse in China.<br />
Der Über setzer wird das Buch präsentieren. Anschliessend<br />
wird über die Frage diskutiert, inwieweit<br />
sich heute in Zeiten der Krise und zunehmender<br />
sozialer Kämpfe in verschiedenen Teilen<br />
der Welt neue Formen der Bezugnahme, des<br />
Austauschs und der Unterstützung finden lassen.<br />
Zürich Infoladen Kasama, Militärstrasse 87a<br />
(im Innenhof), Fr, 10. Dezember, 19.30 Uhr<br />
Bern Infoladen Reitschule, Neubrückstrasse 8,<br />
Sa, 11. Dezember, 19.30 Uhr.<br />
Der diesjährige Friedensnobelpreis wird <strong>dem</strong><br />
Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo verliehen.<br />
Am Freitag findet in Oslo die Preisübergabe statt,<br />
<strong>mit</strong> Sicherheit in Abwesenheit des inhaftierten<br />
Liu Xiaobo. Schon kurz nach der Verkündung<br />
des Preisträgers hat China alle Staaten aufgefordert,<br />
keine Vertreter an die Feierlichkeiten zu<br />
entsenden, und seit<strong>dem</strong> ist es merkwürdig still<br />
geworden um Liu Xiaobo. Der Sinologe Thomas<br />
Geiger lädt ein zu einer Soirée rund um Liu Xiaobo,<br />
die Geschichte der chinesischen Dissidenten,<br />
die Charta 08, die heftigen Reaktionen der chinesischen<br />
Autoritäten und die kulturellen Hintergründe.<br />
Zürich Paranoia City Buch & Wein, Ankerstrasse 12,<br />
Fr, 10. Dezember, 20.30 Uhr.<br />
Klima<br />
Die Ausstellung «2 Grad» ermöglicht Einblicke in<br />
die Klimaforschung und zeigt, wie der Mensch<br />
rund um die Welt versucht, das Wetter zu beeinflussen.<br />
Im Rahmenprogramm gibt es die<br />
Podiumsdiskussion «Klimapolitik und Umweltschutz<br />
– eine ökonomische und politische Krise?»<br />
<strong>mit</strong> Marcel Hänggi (Wissenschaftsjournalist), Lucas<br />
Bretschger (ETH Zürich), Gabi Hildesheimer<br />
(Öbu Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften)<br />
und Regierungsrat Jörg Krähenbühl (BL). – Im<br />
Rahmen der Ausstellung findet auch der Kurzfilmwettbewerb<br />
«1 Minute –2 Grad» statt. Das<br />
Ziel besteht darin, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Handy einen Film zu<br />
produzieren, der nicht länger als eine Minute<br />
dauert und der den Begriff «2 Grad» umsetzt.<br />
Mitmachen können alle, zu gewinnen gibt es<br />
SBBReisegutscheine, Einsendeschluss ist der<br />
31. Dezember.<br />
Auflösung Personenrätsel<br />
Im Personenrätsel auf Seite 20 fragten wir nach der französischen Pädagogin, Schriftstellerin,<br />
Anarchistin und Feministin Louise Michel (1830–1905). In vielen französischen Städten tragen<br />
Strassen den Namen der Frau, für die Freiheit ohne Gleichheit nichts war. Zu Beginn der Pariser<br />
Commune hatte sie die bürgerlichen Truppen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Appell «Schiesst ihr auf uns, auf eure Brüder<br />
und Kinder?» zu entwaffnen versucht. Kurz danach wollte sie den damaligen Staatspräsidenten<br />
Adolphe Thiers töten, erkannte jedoch – wie sie in ihrer Autobiografie schrieb – in den gesellschaftlichen<br />
Strukturen das Hauptübel, weil in ihnen «selbst die Redlichen, einmal an die Macht<br />
ge kommen, zu Schurken werden».<br />
impressum<br />
Herausgeberin WOZ Die Wochenzeitung: Genossenschaft infolink,<br />
Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich. pakete und express: 8005 Zürich<br />
Die Genossen schaft infolink gehört aus schliesslich den<br />
ZeitungsmacherInnen. Die WOZ ist unabhängig; über inhaltliche<br />
Fragen entscheidet die Redaktions konferenz.<br />
Zentrale: Telefon 044 448 14 14, Fax 044 448 14 15, E‑Mail:<br />
woz@woz.ch Website: www.woz.ch inserate: 044 448 14 03,<br />
inserate@woz.ch Abos: 044 448 14 44, abo@woz.ch<br />
Basel Dreispitzareal, Florenzstrasse 1, Tor 13.<br />
Führungen: sonntags, jeweils 11 Uhr. Individuelle<br />
Führungen: 061 222 22 12 info@2grad.ch, Öff <br />
nungszeiten: Di–So, 10–17 Uhr, Do, 10–19.30 Uhr.<br />
www.2grad.ch. Die Ausstellung ist barrierefrei<br />
zugänglich. KlimaMenü (bio, vegi) für 17 Franken<br />
(ohne Getränke) jeden Dienstag 11.30–13.30 Uhr,<br />
Anmeldung jeweils bis Montag<strong>mit</strong>tag unter<br />
info@2grad.ch oder 061 222 22 12. Podium:<br />
So, 12. Dezember, 11 Uhr.<br />
Minen<br />
Im Tagebau, <strong>mit</strong> Einsatz von Chemikalien und<br />
sehr viel Wasser und Energie werden in ganz<br />
Südamerika Metalle abgebaut. Dagegen wächst<br />
der Widerstand. Eine Historikerin und ein Ethnologe<br />
berichten von einer Rundreise <strong>mit</strong> Station in<br />
Andalgalá (Argentinien), wo es im vergangenen<br />
Januar zu einem Aufstand gegen eine geplante<br />
Mine und die Behörden gekommen ist.<br />
Wetzikon KultiBeiz, Zürcherstrasse 42, Fr,<br />
10. Dezember, 19.30 Uhr. Zug Jugendzentrum i45,<br />
Industriestrasse 45, Di, 14. Dezember, 20 Uhr.<br />
luzern ROMP, Steinenstrasse 17, Do, 16. Dezember,<br />
19.30 Uhr.<br />
Soziale not<br />
Seit zwanzig Jahren haben auch in der Schweiz<br />
Erwerbslosigkeit, Armut und Prekarität deutlich<br />
zugenommen. Doch die offizielle Sozialstatistik<br />
liefert Zahlen, welche die wahren Ausmasse<br />
der Krise eher verschleiern. Sowohl die Arbeitslosenzahlen<br />
des Staatssekretariats für Wirtschaft<br />
(Seco) wie auch die Studien über Working Poor<br />
oder prekäre Beschäftigung zeichnen sich dadurch<br />
aus, dass wesentliche Dimensionen des<br />
Problems (Erwerbslosigkeit, Armut, Prekarität)<br />
ausgeblendet oder schöngeredet werden. Dazu<br />
hält Peter Streckeisen, Assistent am Institut für<br />
Soziologie, Basel. den Vortrag «Unsichtbare Not.<br />
Wenn die Statistik nur die halbe Wahrheit sagt».<br />
Basel Internetcafé Planet13, Klybeckstrasse 60,<br />
Mo, 13. Dezember, 19 Uhr.<br />
Südmexiko<br />
Peace Brigades International und Peace Watch<br />
Switzerland zeigen nach einem Einführungsreferat<br />
über Tourismus und Menschenrechte<br />
eine Diashow über den Einfluss des Tourismus in<br />
Südmexiko.<br />
Bern Progr, Waisenhausplatz 30, Do, 9. Dezember,<br />
19.15 Uhr.<br />
Wachstum<br />
Im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung über<br />
Auswege aus der ökonomischen Wachstumsillusion<br />
referiert Claudia von Werlhof (Professorin<br />
für Frauenforschung am Institut für Politikwissenschaft<br />
der Universität Innsbruck) über das<br />
Wirtschaften nach <strong>dem</strong> Patriarchat.<br />
Windisch FHNW, Klosterzelgstr. 2 (Audimax),<br />
Do, 16. Dezember, 17.15 Uhr.<br />
Wasser<br />
Eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang<br />
zu sauberem Trinkwasser. Täglich sterben 4000<br />
Kinder an den Folgen verschmutzten Wassers.<br />
Die Ausstellung «Wasser für alle» zeigt anhand<br />
von Hintergrundinformationen und Beispielen<br />
aus der Entwicklungszusammenarbeit auf, wie<br />
vielschichtig die Ursachen und Folgen der globalen<br />
Wasserkrise sind. Aber auch, was getan werden<br />
kann, um die Katastrophe abzuwenden. – Im<br />
Rahmenprogramm hält Rolf Weingartner (Leiter<br />
der Gruppe Hydrologie, Direktor Geografisches<br />
Institut, Universität Bern) den Vortrag «Wasser –<br />
das Kapital der Schweiz».<br />
st. Gallen Naturmuseum, Museumsstrasse 32,<br />
geöffnet Mo, 10–20 Uhr, Di–So, 10–17 Uhr. Private<br />
Gruppenführungen: 071 242 06 70. Die<br />
Ausstellung dauert bis 20. März 2011. Vortrag:<br />
Mi, 15. Dezember, 19 Uhr.<br />
Wemf-beglaubigte verkaufte Auflage: 14 512 reichweite: 96 000<br />
Jahresabo: 265 Franken, Ausbildungsabo: 160 Franken<br />
(Ausbildungsausweiskopie senden), probeabo: 8 Wochen für<br />
25 Franken. Weitere Angebote für In‑ und Ausland auf<br />
www.woz.ch/abo.<br />
redaktion: schweiz: Susan Boos (sb), Bettina Dyttrich (dyt), Andreas<br />
Fagetti (fa), Dinu Gautier (dig), Stefan Keller (stk, Medien), Daniel Ryser<br />
(dr), Kaspar Surber (ks), Rachel Vogt (rv), Ruth Wysseier (rw)<br />
Wirtschaft: Carlos Hanimann (ch) international: Daniel Stern (ds),<br />
Yves Wegelin (yw), Sonja Wenger (sw) Kultur: Fredi Bosshard (ibo),<br />
Zeitreise in der Zürcher Gessnerallee: Der Performer Massimo Furlan rekonstruiert den Grand Prix<br />
Eurovision de la Chanson aus <strong>dem</strong> Jahr 1973. foto: PIERRE NYDEGGER<br />
kultour<br />
Performance<br />
Massimo Furlan<br />
Preisfrage: In welchem Jahr riss in Chile eine Militärdiktatur<br />
die Macht an sich, wurde der Welt<br />
die erste Ölkrise beschert und vertrat ein Sänger<br />
namens Patrick Juvet die Schweiz am Grand Prix<br />
Eurovision de la Chanson <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Lied «Je vais<br />
me marier, Marie»?<br />
Richtig: 1973. «1973» heisst auch die Theaterperformance,<br />
<strong>mit</strong> der der Schweizer Künstler<br />
Massimo Furlan den Grand Prix von 1973 in<br />
einem abendfüllenden Programm auf die Bühne<br />
zurückholt: nicht als billige Retroshow, sondern<br />
als sorgfältige Rekonstruktion. Furlans Anspruch<br />
ist es, die Historizität der Popkultur zu reflektieren<br />
und Mechanismen des Erinnerns und Vergessens<br />
erfahrbar zu machen. Gesungen wird live,<br />
in all den zungenbrecherischen Landes sprachen,<br />
den unsäglichen Kostümen und Frisuren – und<br />
fast alles von Furlan selbst.<br />
Auf der Bühne zu erleben als sie selbst<br />
sind überdies der Anthropo loge Marc Augé, der<br />
Philosoph Serge Margel und der Musikwissenschaftler<br />
Bastien Gallet. A dr<br />
«1973» in: Zürich Theaterhaus Gessnerallee<br />
Fr/Sa, 10./11. Dezember, 20 Uhr.<br />
www.massimofurlan.com / www.gessnerallee.ch<br />
Jan Jirát (jj), Adrian Riklin (adr), Silvia Süess (süs, abwesend)<br />
Wissen: Franziska Meister (mei) Bild: Alda Burkhardt (abwesend),<br />
Ursula Häne Abschluss: Armin Büttner (abü), Stefan Howald (sh),<br />
Roman Schürmann (sc) Bern: Dinu Gautier (dig) Genf: Helen<br />
Brügger (hb), Postfach 229, 1211 Genf 4, 079 543 46 06,<br />
helen.bruegger@infomaniak.ch redaktions leitung: Susan Boos,<br />
Roman Schürmann (stv.), Daniel Stern (stv.)<br />
Verlag und produktion: Aboservice: Ghislaine Flachsmann,<br />
Karin Hoffsten (kho) Buchhaltung: Erika Hauser, Desk, Archiv:<br />
Georg Bauer, Vasco Rasi, Iris Schär informatik: Martin Clalüna,<br />
Offene Bühne<br />
Play Yourself – von Frauen für Frauen<br />
Seit September findet im Frauenraum der Reitschule<br />
einmal pro Monat eine kleine, feine Veranstaltung<br />
unter <strong>dem</strong> Titel «Play Yourself» statt. Die<br />
offene Bühne im ersten Teil des Abends bietet<br />
Frauen Gelegenheit, ihre eigenen musikalischen<br />
Ideen zu testen. Im zweiten Teil dann werden die<br />
Instrumente von der Bühne ins Publikum gezügelt<br />
– ausprobieren, experimentieren, zusammen<br />
spielen … alles ist möglich. An den bisherigen<br />
drei Abenden soll sich Ausserordentliches ereignet<br />
haben: Eine Frau etwa – sie hat noch nie ein<br />
Instrument gespielt – hat sich ans Schlagzeug<br />
gesetzt, sich in simplen Rhythmen versucht und<br />
alsbald <strong>mit</strong> anderen zusammen gejammt.<br />
Die Veranstaltungen waren bislang gut<br />
besucht und zogen Mal für Mal neue Frauen an.<br />
Der Radius hat sich inzwischen nach Luzern und<br />
Zürich erweitert. Was als Experiment begann,<br />
wird im neuen Jahr eine Fortsetzung finden. Die<br />
letzte Gelegenheit im alten Jahr, in die Tasten<br />
zu greifen, ins Mikrofon zu säuseln oder sich<br />
eine Gitarre umzuhängen, bietet sich am nächsten<br />
Donnerstag. Ein paar Instrumente stehen<br />
zur Verfügung. Der Anlass ist ausschliesslich für<br />
Frauen. Anmelden kann frau sich vor Ort oder<br />
im Voraus per Mail. M ei<br />
«Play Yourself – offene Bühne & Improvisation<br />
von Frauen für Frauen» in: Bern, Frauenraum<br />
Reitschule, Do, 16. Dezember, ab 20 Uhr.<br />
Daten im nächsten Jahr: 17. März, 21. April,<br />
19. Mai und 16. Juni.<br />
Science Slam!<br />
Es ist eine schweizweite Premiere: Wissenschaftlerinnen<br />
und Forscher packen ein Mikrofon und<br />
beweisen <strong>dem</strong> Publikum <strong>mit</strong> Pipette, Power<br />
Point und präzisen Formulierungen, wie spannend<br />
ihre Forschungsthemen sind. Und das um<br />
die Wette. Wer gewinnt, entscheidet das Publikum.<br />
Genau zehn Minuten kriegt, wer sich aus<br />
<strong>dem</strong> Elfenbeinturm auf die Bühne wagt. Erlaubt<br />
ist alles – ausser, das Publikum zu langweilen.<br />
Lorenz Schori inserate: Roger Baldinger, Kilian Gasser, René Max<br />
Kindler, Cécile Knüsel, Roger Odermatt Korrektorat: Corinne Babst,<br />
Elsa Bösch, Marlene Kalt, Elisabeth Oberson Layout und Grafik:<br />
Helen Ebert Online: Ruedi Nöthiger, Daisy Sommer personal: Maha<br />
Al‑Wakeel Werbung: Claudia Gillardon, Camille Roseau Verlags-<br />
und produktionsgruppe: Maha Al‑Wakeel, Claudia Gillardon,<br />
Camille Roseau<br />
ständige <strong>mit</strong>arbeiterinnen: Tom Adler (Stuttgart), Subhi al‑Zobaidi<br />
(Ramallah), Florian Bachmann, Esther Banz (eb), Ulrike Baureithel<br />
(Berlin), Rea Brändle (brä), Sina Bühler (sib), Heiner <strong>Bus</strong>ch (bu), Thomas<br />
Filmtage Luzern zum Thema Menschenrechte: Szene <strong>mit</strong> Sainap Gaschaiwa (rechts) aus<br />
«Coca – die Taube aus Tschetschenien» von Eric Bergkraut.<br />
Offiziell übersetzt bedeutet Science Slam «Wissenschaftliches<br />
Kurzvortragsturnier» – allein<br />
schon diese Formulierung macht die Veranstaltung<br />
förderverdächtig, zum Beispiel durch den<br />
Schweizerischen Nationalfonds. Mögliches Ausschreibungsmotto:<br />
«für die verständlichste, unterhaltsamste<br />
und trotz<strong>dem</strong> unverfälschte Ver<strong>mit</strong>tlung<br />
von wissenschaftlichen Inhalten».<br />
Wer gespannt ist auf die kommunikativen<br />
Talente, die unter Laborkitteln und in vermeintlichen<br />
Bücherwürmern schlummern, verpasse<br />
auf keinen Fall die Premiere. Bereits zugesagt<br />
haben unter anderen eine Zahnmedizinerin, ein<br />
Kunsthistoriker und ein Schulsportforscher. Bestimmen<br />
Sie Ihren Favoriten selbst. M ei<br />
«Bühne frei fürs Wissen – der erste Science Slam<br />
an der Universität Bern» in: Bern, OnoTheater,<br />
Kramgasse 6, Fr., 10. Dezember, 20 Uhr.<br />
Lesung<br />
JörgSteinerSoiree<br />
Er gehört zu den grossen Erzählern der Schweizer<br />
Literatur in den vergangenen Jahrzehnten: Jörg<br />
Steiner hat sich in seinen Büchern immer wieder<br />
<strong>mit</strong> der sozialen Wirklichkeit auseinandergesetzt,<br />
in der gesellschaftliche AussenseiterInnen leben.<br />
Einem breiteren Publikum bekannt geworden<br />
ist er vor allem als Autor von Kinderbüchern <strong>mit</strong><br />
Illustrationen von Jörg Müller. Zuletzt sind bei<br />
Suhrkamp von ihm erschienen: «Wer tanzt schon<br />
zu Musik von Schostakowitsch?» (2000), «Mit deiner<br />
Stimme überlebe ich» (2005) und «in Kirschbaum<br />
am Pazifischen Ozean» (2008).<br />
Im Oktober feierte Steiner seinen 80. Geburtstag.<br />
Nun findet im Stadttheater in seiner<br />
Heimatstadt Biel, in der Steiner noch immer lebt<br />
und arbeitet, eine Soiree statt: Jüngere Kolleg<br />
Innen von Steiner lesen aus seinen Werken –<br />
und kommentieren sie erzählerisch: Dorothee<br />
Elmiger, Absolventin des ersten Jahrgangs des<br />
2006 gegründeten Literaturinstituts in Biel, Ruth<br />
Schweikert, die als Mentorin am Institut unterrichtet,<br />
Peter Weber, der daselbst auch schon als<br />
Gastdozent tätig war, sowie Studierende des Literaturinstituts.<br />
A dr<br />
«Jörg Steiner lesen» in: Biel Stadttheater<br />
Sa, 11. Dezember, 18.30 Uhr.<br />
Bürgisser, Heimo Claasen (Brüssel), Jean‑Arnault Dérens, Gerhard<br />
Dilger (Porto Alegre), Hans‑Ulrich Dillmann (Santo Domingo), Jürg<br />
Fischer (fi), Roland Fischer (fir), Jürg Frischknecht (jf), Dominik Gross<br />
(dgr), Hanspeter Guggenbühl (hpg), Wolfgang Hafner (wh), Marcel<br />
Hänggi (mh), Etrit Hasler, Ulrich Heyden (Moskau), Bert Hoffmann,<br />
Karin Hoffsten (kho), Ralph Hug (rh), Wolf Kantelhardt (Beijing), Toni<br />
Keppeler, Joseph Keve (Bombay), Andreas Kneubühler, Florianne<br />
Koechlin, Alice Kohli, Edith Krebs (ek), Geri Krebs, Hanspeter Künzler,<br />
Noëmi Landolt, Ralf Leonhard (Wien), Fredi Lerch (fl), Johanna Lier (jal),<br />
Nick Lüthi (nil), Patrik Maillard, Franz Moor (fm), Bahman Nirumand,<br />
Bert Noglik, Viktor Parma (vip, Bundeshaus), Dieter Sauter (Istanbul),<br />
Film<br />
Filmtage Luzern: Menschenrechte<br />
Anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte<br />
vom morgigen Freitag, 10. Dezember,<br />
finden in Luzern übers Wochenende erstmals<br />
die «Filmtage Luzern: Menschenrechte» statt.<br />
Drei Tage lang zeigt das Stattkino Dokumentar<br />
und Spielfilme, die das zuweilen abstrakt diskutierte<br />
Thema Menschenrechte konkret darstellen.<br />
Anschliessend finden dort oder im benachbarten<br />
Hörsaalzentrum Union Gespräche <strong>mit</strong> den FilmemacherInnen<br />
und ExpertInnen statt.<br />
Eröffnet werden die Filmtage am Freitagabend<br />
<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Film «La Isla – Archiv einer Tragödie»<br />
über das eigentlich geheime Archiv der<br />
Nationalpolizei in Guatemala. Danach stellt sich<br />
Regisseur Uli Stelzner den Fragen des NZZ<br />
Redaktors Oswald Iten. Am Samstag steht das<br />
Thema Migration im Zentrum. Gezeigt wird<br />
etwa der Dokumentarfilm «Hotel Sahara» über<br />
eine Stadt an der mauretanischen Küste, in der<br />
zahllose MigrantInnen zwischen Hoffnung und<br />
Angst von Europa träumen, oder – als exklusive<br />
Vorpremiere – «Aisheen – Still Alive in Gaza»<br />
(vgl. Kurzkritik auf dieser Seite). Wiederum finden<br />
ergänzend zu beiden Filmen Gesprächsrunden<br />
statt. Am Sonntag richtet sich der Blick auf<br />
Tschetschenien und Kamerun, zwei Regionen, in<br />
denen Menschen fernab der Weltöffentlichkeit<br />
gegen zum Teil massiven Widerstand um ihre<br />
grundlegenden Rechte kämpfen. Mit Beatrice<br />
Ntuba reist eigens für die Filmtage eine Frauenanwältin<br />
aus Kamerun an, um über die Lage in<br />
ihrer Heimat zu berichten.<br />
Der Anlass in Luzern <strong>mit</strong> seinem Fokus<br />
auf die Menschenrechte – organisiert vom Romerohaus,<br />
<strong>dem</strong> Institut für Sozialethik der Theologischen<br />
Fakultät der Universität Luzern sowie<br />
<strong>dem</strong> Stattkino – ist nach der Annahme der<br />
Ausschaffungsinitiative näher und dringlicher, als<br />
uns lieb sein kann. jj<br />
«Filmtage Luzern: Menschenrechte» in: luzern<br />
Stattkino, Löwenplatz 11, und Union, Löwenstrasse<br />
16, 10. bis 12. Dezember. www.romerohaus.ch<br />
Werner Scheurer (ws, Beirut), Bernhard Schmid (Paris), Zvi Schuldiner<br />
(Jerusalem), Benjamin Shuler (bs), Alexander J. Seiler, Wolfgang Storz<br />
(Frankfurt), Lotta Suter (Boston), Gian Trepp (gt), Wolf‑Dieter Vogel<br />
(Mexiko‑Stadt), Julian Weber (jul), Anna Wegelin (aw), Ruth Weiss,<br />
Rainer Werning, Dorothea Wuhrer (Sevilla), Pit Wuhrer (pw), Suzanne<br />
Zahnd (suz), Raphael Zehnder (rz), Raul Zelik (Medellín), Nicole Ziegler<br />
(niz), Andreas Zumach (Genf)<br />
Zeitungsdesign: Helen Ebert piktogramme: Anna Sommer<br />
Kolumnenporträts: Jeanette Besmer<br />
Druck: NZZ Print, Schlieren<br />
leserinnenBrieFe<br />
Autonomie für Lehrerinnen<br />
Bildungsbeilage der WOZ Nr. 44/10<br />
Parteien, Politiker, Bildungstheoretiker, Eltern und<br />
Lehrpersonen, alle wissen, wie die beste Schule<br />
sein sollte. Die Grabenkämpfe können nur aufhören,<br />
wenn Lehrpersonen ihrer Schule ein eigenes<br />
pädagogisches und strukturelles Profil geben<br />
können, das den Bedürfnissen ihrer Schülerinnen<br />
und Schüler entspricht. Eigenverantwortliche innovative<br />
Lehrpersonen dürfen nicht länger zu Befehlsempfängern<br />
degradiert werden. Bildung darf<br />
nicht weiter von einer überbordenden teuren<br />
Bildungsbürokratie diktiert werden. Das enge<br />
Korsett <strong>mit</strong> strengem Lehrplan und Zwangseinweisung<br />
der Lernenden muss gesprengt werden.<br />
Film<br />
«Das ist ‹Apokalypse Now›. Wenn das Ende der<br />
Welt existiert, dann ist es hier», sagte der Schweizer<br />
Regisseur Nicolas Wadimoff, als er 2009 zwei<br />
Wochen nach Ende des Kriegs in Gaza eintraf.<br />
Im Auftrag des arabischen Fernsehsenders al-<br />
Dschasira sollte er einen Dokumentarfilm über<br />
die Situation in Gaza drehen – als «Geschichtsdokument<br />
und für die Erinnerung».<br />
Doch welche Bilder kann und soll man zeigen?<br />
Die Zerstörungen an den Häusern und der<br />
Infrastruktur durch israelische Raketenangriffe<br />
sind zur Genüge dokumentiert. Die Geschichten<br />
der Menschen wiederholen sich. Politische Aussagen<br />
sind bedeutungslos angesichts von Resignation<br />
oder Wut der Bevölkerung. «Was also kann<br />
Kino in so einer Situation bewirken?», fragte sich<br />
Wadimoff, der seit über zwanzig Jahren Dokumentationen<br />
und Reportagen dreht.<br />
Der Titel «Aisheen – Still Alive in Gaza»<br />
zeigt, für welchen Ansatz er sich entschieden<br />
Buch<br />
Hansjörg Schneiders Basler Kommissar Peter<br />
Hunkeler geht in Pension. Er ist froh, denn er hat<br />
die Nase voll von seinem ausländerfeindlichen<br />
Chef. Darum nimmt er sich gleich noch eine<br />
Grippe. Ein aktueller Fall lässt ihn über das Theater<br />
nachdenken. Ein Intendant wurde ermordet,<br />
kurz nach der Premiere einer skandalösen Inszenierung<br />
von «König Ödipus». Als man die Leiche<br />
im Rhein fand, hatte sie leere Augenhöhlen. Eine<br />
Anspielung auf die Selbstblendung der antiken<br />
Gestalt, die sich ihrer Schuld nicht mehr entziehen<br />
konnte?<br />
Das Theater hat sich verändert, seit Hunkeler<br />
jung war, wie viele hat er den Anschluss verloren.<br />
Das gilt wohl auch für Schneider, der einst<br />
vor allem Dramatiker war, bekannt als Autor des<br />
«Sennentuntschi», der sich aber zunehmend der<br />
Prosa zugewandt hat. Mit seinem erfolgbringenden<br />
Kommissar Hunkeler wagt er sich in die<br />
heutige Theaterwelt, begegnet arroganten Dra-<br />
Mehr als nur überleben<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
«Aisheen – Still Alive in Gaza». Schweiz/Katar 2010. Regie: Nicolas Wadimoff.<br />
Ab 9. Dezember in Deutschschweizer Kinos.<br />
Hunkeler und das theater<br />
hat. «Die Menschen in Gaza wollen nicht nur<br />
überleben, sie wollen leben», sagt er. Und so zeigt<br />
Wadimoff in vielen kleinen, unkommentierten<br />
Episoden, wie die Menschen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Alltag<br />
nach <strong>dem</strong> Krieg umgehen. Er zeigt, wie der Besitzer<br />
eines zerstörten Vergnügungsparks <strong>mit</strong><br />
einfachen Mitteln versucht, sein Karussell zu reparieren.<br />
Junge Zoowärter kommen zu Wort, die<br />
lieber Ärzte als Freiheitskämpfer wären, und erzählen,<br />
wie sie den verhungerten Löwen ausgestopft<br />
haben. Wir sehen junge Fischer am Strand,<br />
Clowns im Gemeindezentrum, eine Mutter, die<br />
ihren verletzten Sohn pflegt, und begleiten eine<br />
Rapband, die über Widerstand und die Lust am<br />
Leben singt, zum Interview ins Lokalradio.<br />
Unaufgeregt und ohne lästiges Pathos lässt<br />
Wadimoff die Bilder für sich sprechen. Und genau<br />
das macht «Aisheen – Still Alive in Gaza» zu<br />
einem authentischen und tief bewegenden Fanal<br />
über die Sinnlosigkeit des Kriegs. SOnjA Wenger<br />
Hansjörg Schneider: «Hunkeler und die Augen des Ödipus». Roman. Diogenes Verlag.<br />
Zürich 2010. 240 Seiten. Fr. 35.90.<br />
Mit der WOZ ins Kino zu «Benda Bilili!»<br />
Der Film «Benda Bilili!» zeigt die Geschichte der Band Staff Benda Bilili (vgl. «Töne aus der Milchpulverbüchse»<br />
auf Seite 21) und kommt am 9. Dezember in die Deutschschweizer Kinos. Die WOZ<br />
verlost 5x2 Tickets für das Kino Ihrer Wahl und 5 Exemplare der CD «Très Très Fort». Melden<br />
Sie sich bis Mittwoch 15. Dezember, 11 Uhr, bei tickets@woz.ch oder unter Telefon 044 448 14 14.<br />
Nachdruck von Texten und Bildern: nur nach Absprache <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Verlag, Telefon 044 448 14 14, E‑Mail: woz@woz.ch<br />
Leserinnenbriefe: WOZ Die Wochenzeitung, Briefe, Hardturmstrasse<br />
66, 8031 Zürich; E‑Mail: briefe@woz.ch<br />
Förderverein/recherchierfonds: ProWOZ, Hardturmstrasse 66,<br />
8031 Zürich, www.prowoz.ch, PC 80‑22251‑0<br />
Herausgeberin «Le monde diplomatique»: «WOZ – Internationale<br />
Medienerzeugnisse AG» (IMAG) und «taz», Berlin, geben den<br />
Wenn Eltern und Lehrpersonen freiwillig jenes<br />
Schulmodell wählen können, das ihnen und den<br />
Lernenden am besten entspricht, ziehen sie am<br />
selben Strick. Davon profitiert am meisten das<br />
Kind. Entlasst die Schulen in die Freiheit!<br />
PiA AMACHer, eLternLOBBy.CH, r einACH<br />
Ich habe an der dargestellten «Schule für Offenes<br />
Lernen» gearbeitet. Nach einem dreiviertel<br />
Jahr war ich nicht mehr bereit, für das dortige<br />
Geschehen Verantwortung zu übernehmen<br />
und kündig te. Die Situation wurde für mich immer<br />
frustrierender, weil ich immer weniger einverstanden<br />
<strong>mit</strong> der pädagogischen Praxis der<br />
SOL war. Insbesondere wurde alles in höchstem<br />
Masse durch eine unberechenbar und autoritär<br />
agierende Schulleitung bestimmt. Die Spielräume<br />
von uns Lehrer Innen waren denkbar eng.<br />
So fand kein LehrerElternSchülerGespräch<br />
der Oberstufe ohne Beteiligung der Schulleitung<br />
statt – was ich als immensen Eingriff in die pädagogische<br />
Autonomie eines Lehrers ansehe.<br />
FrA n K Winter, WALdSHut<br />
maturgen, Regisseuren und Kritikern, die stolz<br />
darauf sind, das Bürgertum aufzuschrecken: Das<br />
Theater müsse «die Speerspitze sein, die in die<br />
eiternden Wunden der postkapitalistischen Gesellschaft<br />
stösst». Es fällt auf, dass diese Theaterleute<br />
alles Deutsche sind. Das riecht etwas nach<br />
Vorurteilen: böse deutsche Theatermänner kontra<br />
rabiate Basler Bürgerfrauen, wie Frau Sarasin,<br />
die <strong>dem</strong> Regisseur des «Ödipus» <strong>mit</strong> ihrem Granatring<br />
zwei Zähne ausschlägt. Aber waren es<br />
nicht anonyme Basler Bürgerinnen, die der Stadt<br />
2002 ein neues Schauspielhaus finanzierten?!<br />
Neben <strong>dem</strong> Theater ist der Rheinhafen<br />
Schauplatz des neuen Hunkeler-Krimis, eine<br />
Halbweltidylle, Fluchtpunkt für gescheiterte<br />
Existenzen und für Menschen, denen die kleinbürgerliche<br />
«Humanistenstadt» zu eng ist. Es<br />
wird wohl der Lieblingsort des Pensionärs Hunkeler<br />
sein. Aber was macht Hansjörg Schneider<br />
nach Hunkelers A bschied? e vA PF i Ster<br />
deutschsprachigen «Le Monde diplomatique» heraus. Erscheint<br />
monatlich als Beilage in der WOZ und kann auch separat abonniert<br />
werden. Redaktion: Sonja Wenger, Verlag: Camille Roseau<br />
Zentrale: Telefon 044 448 14 14, E‑Mail: diplo@woz.ch, Website:<br />
www.monde‑diplomatique.ch, inserate: diploinserate@woz.ch.<br />
Wemf-beglaubigte verkaufte Auflage: 16 316<br />
Jahresabo: 72 Franken, Ausbildungsabo: 48 Franken,<br />
probeabo: 3 Ausgaben für 10 Franken. Weitere Angebote für<br />
In‑ und Ausland auf www.woz.ch/abo.
28 Die Letzte<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
Milena schärer (4/4)<br />
Die Welt in tausend Jahren<br />
Endlich, ist man versucht zu sagen. Endlich<br />
hat sich jemand die Mühe genommen, all die<br />
verstreuten Schnipsel und Puzzleteilchen zu<br />
einem Gesamtbild zusammenzusetzen; zu jenem<br />
wenig erspriesslichen Bild, das die Schweizer<br />
Medien derzeit abgeben. Alleine das ist<br />
schon eine Leistung. Denn die kontinuierliche<br />
Berichterstattung über Medien fiel lange bevor<br />
es <strong>mit</strong> den wirklich einschneidenden Sparübungen<br />
losging <strong>dem</strong> Kostendruck zum Opfer.<br />
Richard Aschinger und Christian Campiche,<br />
zwei altgediente Zeitungsjournalisten,<br />
holen nun nach, was die Medien selbst nicht<br />
mehr zu leisten vermögen. «NewsFabrikanten<br />
– Schweizer Medien zwischen Tamedia und<br />
Tettamanti» zeichnet nüchtern nach, wie die<br />
grossen Medienunternehmen – wenn auch in<br />
unterschiedlichem Ausmass – den Journalismus<br />
immer stärker <strong>dem</strong> Gewinnstreben unterordnen.<br />
Faktenreich und umfassend dokumentiert<br />
gingen Aschinger und Campiche ans Werk<br />
und können aufgrund eigener Berufserfahrungen<br />
aus <strong>dem</strong> Vollen schöpfen. Etwa im Kapitel<br />
zur Verlagsodyssee des «Bunds» durch die<br />
Hände von Ringier, NZZ und Tamedia innert<br />
fünfzehn Jahren, die Richard Aschinger über<br />
reklame<br />
Medientagebuch<br />
Hoffen auf Morgen<br />
Nick LütH i über «NewsFabrikanten», eine nüchterne Analyse der Medienkrise<br />
Die Koalition<br />
gegen Korruption<br />
Unterstützen Sie uns: www.transparency.ch<br />
weite Strecken als Redaktor der Berner Tageszeitung<br />
selbst <strong>mit</strong>erlebt hatte.<br />
Von den aktuellen Entwicklungen in<br />
Basel überholt wurden die Buchautoren, was<br />
ihre Einschätzung der Figur von Tito Tettamanti<br />
angeht. Aschinger und Campiche präsentieren<br />
den Tessiner Financier als politischen<br />
Überzeugungstäter, der vom Rhein aus ins Mittelland<br />
vorstossen wolle. Mit <strong>dem</strong> Verkauf der<br />
«BaZ» an Moritz Suter scheint dieses Vorhaben<br />
zumindest vorübergehend gestoppt.<br />
Als zentralen Befund sehen die Autoren<br />
keine Fehlentwicklung, «sondern die Erfolgsstory<br />
der Liberalisierung der Medienwirtschaft».<br />
Für Nostalgie gebe es keinen Anlass.<br />
Auch der Zeitung auf Papier trauern Aschinger<br />
und Campiche nicht nach. Die Qualität der Medien<br />
sei keine Frage der Vertriebstechnologie.<br />
Es geht den beiden Medienkritikern also nicht<br />
darum, das Rad der Geschichte zurückzudrehen<br />
und die guten alten Zeiten (die es so gar<br />
nie gab) heraufzubeschwören, sondern <strong>mit</strong><br />
einer Zustandsbeschreibung eine Grundlage<br />
für die Diskussion der Frage zu schaffen, wie<br />
in Zukunft journalistisch aufbereitete Information<br />
mehr als nur ein industriell gefertigtes<br />
ich abonniere die WOZ<br />
inklusive «Le Monde diplomatique» (Monatszeitung)<br />
Produkt zur Gewinnoptimierung von ein paar<br />
Grosskonzernen sein könnte. Die Antworten<br />
hierauf klingen nicht besonders originell: Sie<br />
reichen von staatlicher Presseförderung bis zur<br />
Medienfinanzierung durch Stiftungen. Interessant<br />
ist dabei das Fazit, das direkt an die einleitende<br />
Absage an Nostalgie anknüpft: Aschinger<br />
und Campiche setzen grosse, wenn auch diffuse<br />
Hoffnungen auf den weiteren Verlauf der<br />
Digitalisierung der Medien sowie auf staatliche<br />
Fördermassnahmen. Ohne den teuren Druck<br />
und Vertrieb lasse sich «<strong>mit</strong> relativ wenig Geld<br />
viel Qualitätsinformation und Medienvielfalt<br />
‹kaufen›».<br />
Hoffen darf man bekanntlich immer, und<br />
den Autoren einen Vorwurf zu machen, dass<br />
ihnen nicht mehr einfällt als der Glaube an<br />
ein besseres Morgen, wäre unfair. Was man<br />
Aschinger und Campiche hingegen klar vorhalten<br />
muss, ist die unsorgfältige Präsentation<br />
ihres Werks. Zahlreiche Flüchtigkeitsfehler, ärgerliche<br />
Faktenfehler sowie eine Gesamtstruktur<br />
<strong>mit</strong> vielen redundanten Passagen, die eine<br />
Straffung gut vertragen hätte, werfen ein unvorteilhaftes<br />
Licht auf Journalisten, die sich in<br />
den Dienst der Qualitätsinformation stellen.<br />
Nick Lüthi ist Medienjournalist in Bern.<br />
Probe-Abo (8 Wochen), Fr. 25.– Halbjahres-Abo, Fr. 155.–<br />
Jahres-Abo, Fr. 265.–<br />
Jahres-Abo zum Ausbildungstarif, Fr. 160.– (Nachweis beilegen)<br />
Name / Vorname<br />
Strasse / Nr.<br />
PLZ / Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Senden an: WOZ Die Wochenzeitung, Abo-Service, Postfach, 8031 Zürich<br />
woznews<br />
Bewegende<br />
Während in Cancún der Klimagipfel tagt, macht<br />
sich in Europa ein – gerade vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />
der Klimaerwärmung – äusserst überraschendes<br />
geophysikalisches Phänomen bemerkbar,<br />
das ohne die Website des Schweizer<br />
Fernsehens unentdeckt geblieben wäre: «Während<br />
die Schweiz <strong>dem</strong> eisigen Griff des Winters<br />
langsam entrinnt, entspannt sich die Situation<br />
im Ausland nur zaghaft.» Noch wissen wir nicht,<br />
wohin die Schweiz unterwegs ist. An die Gestade<br />
des Mittelmeers? In Richtung Atlantik?<br />
Nur eines ist sicher: Ein Tapetenwechsel wird<br />
ihr guttun! k HO<br />
Unordentliche<br />
Als ob die Witterungsverhältnisse letzte Woche<br />
nicht schon beschwerlich genug gewesen<br />
wären, wurden die Räumungsarbeiten auf<br />
<strong>dem</strong> Flughafen Genf-Cointrin zusätzlich durch<br />
Falschparkierer behindert. Wie die oben genannte<br />
Website meldete, wurden «2000 Lastwagen<br />
voll Schnee entfernt». WOZ-Leser S.<br />
stellte die berechtigte Frage, wieso dort 2000<br />
Lastwagen herumstanden. Tja, logistisch können<br />
die Welschen von der Deutschschweiz<br />
noch was lernen. k HO<br />
Bundesrätliche<br />
Mitte Oktober – Hans-Rudolf Merz war noch<br />
im Amt, und strukturierte Produkte wurden<br />
schon wieder ohne Schamgefühl öffentlich<br />
angepriesen – sagte der jetzige alt Bundesrat<br />
in einer Werbebeilage zum Thema «Finanzanlagen»:<br />
«In einem Volk <strong>mit</strong> siebeneinhalb<br />
Millionen Einwohnern muss es sieben Persönlichkeiten<br />
geben, die Kritik einstecken können.»<br />
Leider konnten diese Leute bis heute nicht<br />
aufgespürt werden. Eventuell wurden sie versehentlich<br />
ausgeschafft. k HO<br />
transzendierte<br />
Mani Matters Lied «Dr Sidi Abdel Assar vo El<br />
Hama» wirft zurzeit an einer Oltener Primarschule<br />
hohe Wellen. Interessanter als der Bericht<br />
auf «Tages-Anzeiger Online» scheint uns<br />
die Legende unter <strong>dem</strong> Foto des vor fast vierzig<br />
Jahren tödlich verunglückten Künstlers:<br />
«Sein Lied sorgt für Diskussionsstoff: Der ehemalige<br />
Berner Mundartsänger Mani Matter.»<br />
Ehemalige Lehrer arbeiten vielleicht als Postboten,<br />
ehemalige Bäckerinnen als Architektinnen,<br />
doch was ist aus Mani Matter geworden? Ein<br />
Engel? Dank Reinkarnationslehre sind ja auch<br />
irdische Existenzformen denkbar. Wir vermuten,<br />
er ist Frölein Da Capo. k HO<br />
Unaussprechliche<br />
Für Empörung ist es jetzt zu spät. Aber es<br />
hat uns stark beschäftigt, was da laut «Quartierecho»<br />
im Zürcher Warenhaus abgegangen<br />
sein muss: «Beschenkt werden die Kinder am<br />
6. Dezember, wenn sie im Jelmoli auf den Samichlaus.»<br />
Was, bitte? AugenzeugInnen werden<br />
gebeten, sich umgehend an untenstehende<br />
Mailadresse zu wenden. k HO<br />
kynojuristische<br />
Von einer Leserin, die anonym bleiben möchte,<br />
da ohne Schweizer Pass, erreichte uns ein<br />
wichtiger Hinweis: «Nach<strong>dem</strong> das jahrelange<br />
Ringen um ein eidgenössisches Kampfhundegesetz<br />
zu keiner einvernehmlichen Lösung<br />
geführt hat, bleibt zu hoffen, dass Hasso und<br />
Waldi die kantonalen und ihre eigenen Grenzen<br />
kennen. Nur in einem Punkt konnte kantons-<br />
und partei übergreifend eine Einigung<br />
erzielt werden: Sollte sich ein Deutscher Schäferhund<br />
auf Schweizer Territorium unbotmässig<br />
verhalten, ist er unverzüglich und dauerhaft<br />
auszuschaffen.» k HO<br />
woznews@woz.ch<br />
in der nächsten woz<br />
Noch mehr kohle<br />
Wie die Bündner Repower<br />
<strong>mit</strong> dreckigem Strom Europa<br />
erobern will