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Besser mit dem Bus

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EKLAmE<br />

SinnloSe WettbeWerbe<br />

«Belohnungen<br />

sind Feinde<br />

der Neugier»<br />

Je mehr Wettbewerb, umso besser, haben<br />

die Neoliberalen jahrelang erfolgreich verkündet.<br />

Ökonomieprofessor Mathias Binswanger zeigt,<br />

dass so masslos Leerläufe produziert werden.<br />

INtervIeW: SuSaN BooS<br />

WOZ: Mathias Binswanger, Sie kritisieren in<br />

Ihrem Buch «Sinnlose Wettbewerbe» unter<br />

anderem den Wissenschaftsbetrieb. Sind Sie<br />

selbst Opfer von unsinnigen Wettbewerben?<br />

Mathias Binswanger: Der Begriff «Opfer»<br />

ist übertrieben, aber ich habe den Wettbewerb<br />

zu spüren bekommen.<br />

Wie?<br />

Um in der Wissenschaft Karriere zu machen,<br />

muss man heute auf Teufel komm raus<br />

Artikel publizieren, die dann häufig weder einen<br />

selbst noch sonst jemanden interessieren.<br />

Später merkte ich, dass es solche Phänomene<br />

auch in anderen Bereichen gibt.<br />

Welches Phänomen meinen Sie?<br />

Heute stehen alle Leute, die sich ausserhalb<br />

des Markts bewegen – also zum Beispiel<br />

Lehrer, Ärzte oder Wissenschaftler – unter<br />

<strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung:<br />

Sie leisten nicht genügend, solange man<br />

sie nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche antreibt.<br />

Also inszeniert man Wettbewerb, wo es keinen<br />

Markt gibt. In der Wissenschaft läuft dies zum<br />

Beispiel über Publikationen.<br />

Die, die viel publizieren, gelten als die Besten.<br />

Aber sind sie das auch?<br />

Eben nicht. Man möchte zwar hohe wissenschaftliche<br />

Qualität erzielen. Qualität kann<br />

man aber nicht messen, also nimmt man messbare<br />

Indikatoren – wie die Zahl der Publikationen.<br />

Zwangsläufig richten sich alle nach <strong>dem</strong>,<br />

was gemessen wird. Deshalb wird heute viel<br />

mehr publiziert als früher, nur werden diese<br />

Publikationen zum quantitativen Unsinn.<br />

Wissenschaftler beginnen etwa, ihre Erkenntnisse<br />

scheibchenweise zu veröffentlichen, da<strong>mit</strong><br />

sie es auf möglichst viele Publikationen<br />

bringen.<br />

Machen alle klaglos <strong>mit</strong>, weil sie hoffen, eine<br />

Professur zu ergattern?<br />

Wer eine Professur möchte, kann sich<br />

<strong>dem</strong> kaum entziehen.<br />

Und wenn man das Ganze kritisiert,<br />

riskiert man, als Versager zu gelten – man war<br />

halt nicht gut genug, um im Wettbewerb zu bestehen.<br />

Haben Sie brav unsinnige Artikel publiziert?<br />

Am Anfang habe ich auch <strong>mit</strong>gemacht.<br />

Heute publiziere ich aber nichts mehr, was<br />

mich nicht interessiert. Als Professor an der<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten<br />

muss ich das zum Glück auch nicht tun.<br />

Wie wurden Sie dort Professor?<br />

Die Stelle war ausgeschrieben, ich habe<br />

mich beworben und die Stelle bekommen.<br />

In Ihrem Buch geht es oft um intrinsische<br />

Motivation. Ein furchtbarer Begriff für etwas<br />

Schönes: Leute tun etwas, weil sie es gerne<br />

tun, und nicht des Geldes wegen. Sie lehren an<br />

einer Fachhochschule – weil Sie es gerne tun<br />

oder weil Sie nichts <strong>Besser</strong>es gefunden haben?<br />

(Lacht.) Grundsätzlich machen wir ja<br />

heute fast dasselbe wie die Universitäten, auch<br />

wir betreiben Forschung. Ich geniesse an der<br />

Fachhochschule viel Freiheit und schätze das<br />

sehr – auch sehe ich, dass ich dort Kollegen und<br />

Kolleginnen habe, die ebenfalls <strong>mit</strong> Leidenschaft<br />

lehren und forschen.<br />

Die Schulen für Gestaltung sind ja inzwischen<br />

in die Fachhochschulen integriert. Angehende<br />

Grafiker und Künstlerinnen müssen Forschung<br />

betreiben. Ist das nicht ein Blödsinn?<br />

Da wären wir wieder beim Thema sinnlose<br />

Wettbewerbe: Verglichen <strong>mit</strong> anderen Ländern<br />

gibt es in der Schweiz relativ wenig Aka<strong>dem</strong>iker<br />

und Aka<strong>dem</strong>ikerinnen. Die Schweiz soll<br />

in Zukunft im internationalen Vergleich besser<br />

Mathias Binswanger<br />

Nach einem Volkswirtschaftsstudium an der<br />

Uni St. Gallen promovierte Mathias Binswanger<br />

(48) 1992 in Kassel zum Dr. rer.<br />

pol. Seit 1998 Professor für Volkswirtschaftslehre<br />

und Finance an der Fachhochschule<br />

Nordwestschweiz. Stiftungsrats<strong>mit</strong>glied<br />

der Oikos-Stiftung.<br />

Neuste Publikationen: «Die Tretmühlen des<br />

Glücks – Wir haben immer mehr und<br />

werden nicht glücklicher. Was können<br />

wir tun?» Freiburg 2006. «Globalisierung<br />

und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand<br />

durch weniger Freihandel». Wien 2009.<br />

«Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer<br />

mehr Unsinn produzieren». Freiburg<br />

2010. 239 Seiten. Fr. 30.50<br />

dastehen, deshalb werden nun aka<strong>dem</strong>ische<br />

Lehrgänge kreiert, auch in Bereichen, wo es<br />

überhaupt nicht passt. Angefangen bei den<br />

Pflegeberufen bis zu den Leuten, die Gestaltung<br />

lernen möchten. Sie alle müssen Bachelor­<br />

und Masterarbeiten schreiben, was bei diesen<br />

Berufen oft absurd ist; aber die Aka<strong>dem</strong>ikerquote<br />

der Schweiz steigt dadurch. Das führt zu<br />

sinnlos veraka<strong>dem</strong>isierten Ausbildungen, aber<br />

nicht zu besser ausgebildeten Leuten.<br />

Das Pflegepersonal profitiert doch, wenn es<br />

dank des Mastertitels eine höhere Reputation<br />

geniesst …<br />

Das ist Symptombekämpfung. Wieso<br />

hat man das Pflegepersonal überhaupt je abge­<br />

wertet? Über Jahrzehnte haben wir ver<strong>mit</strong>telt<br />

bekommen, man brauche eine möglichst hohe<br />

Ausbildung. Viele Berufe lernt man besser in<br />

der Praxis. Das ist bekannt, trotz<strong>dem</strong> macht<br />

man jetzt genau das Gegenteil.<br />

Wie schafft man es, Handwerksberufen wieder<br />

einen höheren Status zu verleihen?<br />

Im Moment passiert genau das Umgekehrte:<br />

Diese Berufe leiden unter einem Imageproblem.<br />

Jeder, der irgendwie die Möglichkeit<br />

hat, studiert heute. Handwerkliche Lehren machen<br />

nur noch die, die kein Studium schaffen,<br />

da geht die Qualität in den Handwerksberufen<br />

deutlich zurück. Man muss die Berufslehren<br />

wieder aufwerten, weil das duale Bildungssystem<br />

ein bewährtes und ausgezeichnetes System<br />

darstellt. Eine Berufslehre sollte nicht weniger<br />

wert sein als ein Studium. Ich sage das als Professor<br />

einer Fachhochschule! Es war einer der<br />

grossen Vorteile der Schweiz, dass sie sich der<br />

ganzen Aka<strong>dem</strong>isierung in der Vergangenheit<br />

weitgehend entzogen hat.<br />

Wie hat die Fachhochschule auf Ihr Buch reagiert?<br />

Offiziell gab es keine Reaktion, denn die<br />

Freiheit von Lehre und Forschung gilt nach wie<br />

vor. Nicht wenige Kollegen haben mir aber ihre<br />

Zustimmung zu den im Buch vertretenen Thesen<br />

signalisiert.<br />

Sie sprechen von inszenierten Wettbewerben.<br />

Wie sind die überhaupt entstanden?<br />

Sie entstanden vor <strong>dem</strong> Hintergrund von<br />

simplen Botschaften, welche neoliberale Ökonomen<br />

wie Milton Friedman verbreitet haben:<br />

Markt ist gut, und Staat ist schlecht. Am Anfang<br />

hatten die Friedman­Anhänger wie die Regierung<br />

Thatcher zu Beginn der achtziger Jahre<br />

die Idee, man könne überall Markt einführen,<br />

zum Beispiel auch in der Forschung. Doch es<br />

zeigte sich bald, dass die Grundlagenforschung<br />

auf diese Weise verschwindet. Also hiess es danach:<br />

Wenn schon kein Markt, dann kann man<br />

doch wenigstens Wettbewerb einführen, um<br />

da<strong>mit</strong> auch ohne Markt Effizienz herzuzaubern.<br />

Man hat nicht gemerkt, dass das eigentlich<br />

ein Rückfall in die Planwirtschaft ist.<br />

Schon Lenin hat Anfang der zwanziger Jahre<br />

gesagt: Jetzt, wo wir die Revolution haben,<br />

müssen wir anfangen, den Wettbewerb einzuführen.<br />

Damals war Markt aus ideologischen<br />

Gründen nicht möglich, aber trotz<strong>dem</strong> wollte<br />

man Effizienz – und ist kläglich gescheitert.<br />

Kein Wettbewerb ohne messbare Leistung.<br />

Nur, wie misst man zum Beispiel die Leistung<br />

eines Lehrers?<br />

Das ist genau das Problem, diese Messbarkeitsillusion.<br />

Wenn jemand Autoscheiben<br />

FilmTage Luzern: Menschenrechte<br />

Wirtschaft 7<br />

WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

Mathias Binswanger: «Heute stehen alle, die sich ausserhalb des Markts bewegen – Lehrer, Ärzte,<br />

Wissenschaftler –, unter <strong>dem</strong> Generalverdacht der Leistungsverweigerung.» foto: LUKAS UNSELD<br />

10. bis 12. Dezember 2010 im stattkino | www.romerohaus.ch/filmtageluzern<br />

einbauen muss, lässt sich messen, wie viel er in<br />

einer Stunde schafft. Bei kreativen Leistungen<br />

funktioniert das nicht mehr. Man kann die<br />

Leute nicht <strong>mit</strong> Zuckerbrot und Peitsche zur<br />

Kreativität zwingen. Dadurch wird auch die intrinsische<br />

Motivation verdrängt: Die Leute, die<br />

die Arbeit eigentlich gerne machen, sind häufig<br />

die, die nach den messbaren Kriterien gar nicht<br />

so gut abschneiden – denen löscht es dann<br />

auch am schnellsten ab, und sie kündigen oder<br />

werden vertrieben. In der Medizin, der Wissenschaft<br />

und der Bildung ist man aber genau<br />

auf diese Leute angewiesen. Wer es nur fürs<br />

Geld macht, ist nicht der ideale Lehrer, Wissenschaftler<br />

oder Arzt.<br />

Verführen Leistungslöhne nicht grundsätzlich<br />

zum Lügen? Man darf ja nie eingestehen, dass<br />

man einen Fehler gemacht hat.<br />

Tatsächlich sind <strong>mit</strong> Leistungslöhnen<br />

die Anreize so gesetzt, dass es besser ist, wenn<br />

man lügt. Diese Kultur entsteht daraus, immer<br />

alle beurteilen zu müssen und ständig alles zu<br />

evaluieren. Man kann nicht jemanden einfach<br />

in Ruhe arbeiten lassen. Der Evaluationswahn<br />

ist unglaublich: Jeder muss immer wissen, wo<br />

er grad im Vergleich zu den anderen steht. Das<br />

ist aber Gift für die Kreativität.<br />

Wie kommt man da wieder raus?<br />

Man muss sich grundsätzlich von der<br />

Idee verabschieden, dass sich Qualität messen<br />

lässt. Zu<strong>dem</strong> sollte man nicht alle als potenzielle<br />

Drückeberger und Faulenzer behandeln.<br />

Die sogenannte Qualitätssicherung löst oft eine<br />

riesige Bürokratie aus, bringt aber nichts. Man<br />

belästigt alle <strong>mit</strong> Kontrollinstrumenten, die eigentlich<br />

nur für die fünf Prozent gedacht sind,<br />

die nicht korrekt arbeiten. Mit den wenigen,<br />

die immer wieder auffallen und für Reklamationen<br />

sorgen, soll man sich beschäftigen. Doch<br />

die überwiegende Mehrheit, die ihre Arbeit gut<br />

macht, die sollte man nicht ständig <strong>mit</strong> Massnahmen<br />

behelligen, die ihnen die Freude an der<br />

Arbeit verderben – und das dann als Qualitätskontrolle<br />

ausgeben.<br />

In Ihrem Buch sagen Sie: «Belohnungen sind<br />

Feinde der Neugier.» Sind Belohnungen schädlich?<br />

Es gibt ein schönes Beispiel: Wenn man<br />

den Kindern Aufgaben gibt und sie frei wählen<br />

lässt, wählen sie die schwierigen Aufgaben.<br />

Sobald man ihnen aber eine Belohnung in Aussicht<br />

stellt, wählen sie die leichten Aufgaben,<br />

weil sie die Belohnung bekommen wollen. Es<br />

gibt ja schon Ideen, man müsse Schüler, die gut<br />

abschneiden, für ihre gute Leistung bezahlen.<br />

Auch beim Lernen will man für immer mehr<br />

künstlichen Wettbewerb sorgen – da hat man<br />

sich ideologisch völlig verrannt.<br />

www.romerohaus.ch

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