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Besser mit dem Bus

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14 WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />

durch den Monat Mit Guy Krneta (teiL 2)<br />

Haben Sie<br />

Ihren Militärdienst<br />

verweigert?<br />

Der in Bern geborene Autor Guy Krneta (46) wundert sich,<br />

dass sein Grossvater nicht aus der Schweiz ausgeschafft<br />

wurde, und hat sich eigentlich auf seinen Gefängnisaufenthalt<br />

gefreut, der dann aber doch nicht ganz so lustig war.<br />

Von Jan JIrát (InterVIew) unD urSuLa Häne (Foto)<br />

Guy Krneta: «ich bin im Bewusstsein aufgewachsen, dass man nicht selbstverständlich<br />

Schweizer ist.»<br />

Jetzt müsse ich unbedingt sofort eine scharfe<br />

Kolumne über die Vergabe der Fussball-WM<br />

an den Wüstenstaat Katar schreiben, sagen in<br />

diesen Tagen viele Bekannte. Da nützt es auch<br />

nichts, wenn ich antworte, ich hätte sehr wenig<br />

Lust, im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

Fussball an Katar zu denken. Das<br />

sei doch genau der Punkt, meinen<br />

dann die Leute um mich herum.<br />

Eine Weltmeisterschaft im<br />

Fussball in einem Land auszutragen,<br />

in <strong>dem</strong> es etwa gleich viele<br />

lizenzierte Fussballer gebe wie in<br />

der Stadt Bern Securitaswächter,<br />

das sei doch ein Riesenskandal,<br />

und da könne man wieder sehen,<br />

wie korrupt der ganze Sport<br />

schon geworden sei und wie das<br />

Geld wieder einmal die Welt regiere und ein<br />

grosses Etcetera.<br />

Die Weltmeisterschaft, um die an hiesigen<br />

Stammtischen gestritten wird (und <strong>mit</strong><br />

Stammtischen sind auch all die Millionen von<br />

unsäglich blöden Blogs und Twittereien <strong>mit</strong>-<br />

Fussball und andere r andsportarten<br />

Der Sommer in zwölf Jahren<br />

PeDro Lenz will sich nicht über die WM in Katar aufregen<br />

Soll ich mich<br />

nun zwölf Jahre<br />

lang jeden Tag<br />

ärgern?<br />

gemeint), soll in zwölf Jahren stattfinden. Wer<br />

weiss heute schon, was in zwölf Jahren ist? Soll<br />

ich mich als Fussballfan nun zwölf Jahre lang<br />

täglich darüber ärgern, dass die Fussball-WM<br />

in zwölf Jahren in einem Land stattfindet, das<br />

bis heute kaum etwas <strong>mit</strong> Fuss-<br />

ball am Hut hatte? Soll ich mich<br />

zwölf Jahre lang täglich darüber<br />

ärgern, dass wir im Sommer<br />

2022, wenn nichts dazwischenkommt,<br />

in irgendeiner Gartenbeiz<br />

Direktübertragungen aus<br />

klimatisierten Stadien in Katar<br />

sehen werden? Soll ich mich<br />

zwölf Jahre lang jeden Tag fragen,<br />

ob es in Ordnung ist, dass<br />

die Fans, die 2022 aus aller Welt<br />

nach Katar reisen, kein Bier werden<br />

trinken dürfen, während wir Daheimgebliebenen<br />

uns bestimmt das eine oder andere<br />

Spielchen werden schönsaufen müssen?<br />

Nein, ich weigere mich, mich so kurz<br />

nach <strong>dem</strong> Ausschafferei-Triumph wieder zu ärgern,<br />

wieder zu empören, wieder machtlos zu<br />

WOZ: Herr Krneta, Ihr Name klingt nicht nach<br />

Entlebuch oder Freiamt. Woher stammt der<br />

Name Krneta?<br />

Mein Grossvater auf der väterlichen Seite<br />

war Jugoslawe. Ein bosnischer Serbe aus Kroatien,<br />

wie man in heutiger Terminologie sagen<br />

würde. Er ist 1923 in die Schweiz ausgewandert,<br />

wo er nach <strong>dem</strong> Zweiten Weltkrieg als<br />

Staatenloser gelebt hat.<br />

Zu Beginn des Kriegs wollte mein Grossvater<br />

noch zurück, um für das damalige Königreich<br />

Jugoslawien zu kämpfen. Da er Schulden<br />

in der Schweiz hatte, durfte er aber nicht<br />

ausreisen.<br />

Wie bitte? Seine Schulden waren der Grund,<br />

weshalb Ihr Grossvater die Schweiz nicht verlassen<br />

durfte?<br />

Ja, heute würde er deswegen ausgeschafft.<br />

Mein Grossvater blieb übrigens den Rest seines<br />

Lebens staatenlos. Nach<strong>dem</strong> er meine Grossmutter<br />

geheiratet hatte, eine spätere Bundeshausjournalistin,<br />

wurde auch sie staatenlos.<br />

Das war damals gängige Praxis.<br />

Demnach müsste Ihr Vater also auch staatenlos<br />

sein.<br />

Zu Beginn der fünfziger Jahre trat ein<br />

entsprechendes Bundesgesetz in Kraft, dass<br />

eine Schweizerin, die einen Ausländer geheiratet<br />

hatte, ihr Bürgerrecht erleichtert zurückerhalten<br />

konnte. Das galt auch für die Kinder,<br />

nicht aber für den Ehemann.<br />

Sie selbst sind fast ganz Schweizer?<br />

Ich bin als Schweizer in Bern geboren, in<br />

einem gutbürgerlichen Umfeld. Die Staatenlosigkeit<br />

war keine Erfahrung für mich, nur<br />

das Wissen um die Geschichte meines Grossvaters.<br />

Ich bin im Bewusstsein aufgewachsen,<br />

dass man nicht selbstverständlich Schweizer<br />

ist. Dass es ein historischer Zufall ist, welchen<br />

Pass man besitzt.<br />

Für mich ist es unbegreiflich, wie jemand<br />

daraus Ansprüche ableiten kann. Ein Anrecht<br />

auf Privilegien. Das ist doch absurd!<br />

Ein gewisses politisches Bewusstsein war also<br />

schon früh vorhanden. Was waren die weiteren<br />

Ereignisse oder Erlebnisse, die Sie politisierten?<br />

Ich wurde Ende der siebziger Jahre <strong>mit</strong><br />

den Liedermachern kulturell sozialisiert, habe<br />

Songs geschrieben, die selbstverständlich sozialkritisch<br />

waren. Die Folkbewegung, die Friedensbewegung<br />

waren wichtig für mich.<br />

Prägend war für mich auch die Tschernobyl-Demo<br />

1987 auf <strong>dem</strong> Berner Bundesplatz.<br />

Und dann hat mich die Armee beschäftigt oder<br />

besser gesagt ihre Abschaffung.<br />

Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Sie <strong>mit</strong> dieser<br />

Haltung den Militärdienst verweigert haben<br />

…<br />

fühlen und meine ganze Empörung einem derartigen<br />

Nebenschauplatz zu widmen. Denn all<br />

die Millionen von Fans, die sich jetzt darüber<br />

aufregen, dass 2022 in Katar Fussball gespielt<br />

werden wird, spielen das Spiel der Fifa <strong>mit</strong>.<br />

Das Spiel der Fifa hat eine einfache<br />

Grundregel. Diese lautet ungefähr so: «Fussball<br />

ist die Fifa, und die Fifa ist Fussball.» Die<br />

Fifa hat sich selbst und ihre Weltmeisterschaft<br />

in den letzten Jahrzehnten derart aufgeblasen,<br />

dass dabei fast vergessen geht, dass es schon<br />

vor, neben und ausserhalb der Fifa immer<br />

Fussball gegeben hat. Allein die Zeitungsartikel<br />

über diese Show, in der in Zürich 22 ältere<br />

Herren zwei Weltmeisterschaften vergaben,<br />

haben vermutlich mehr Raum eingenommen<br />

als die Regionalsportberichterstattung der<br />

letzten fünfzig Jahre.<br />

Fussball ist ein wunderbares, ein grossartiges,<br />

ein fantastisches Spiel. Er lässt sich<br />

auf <strong>dem</strong> Pausenhof eines Dorfschulhauses<br />

genauso gut spielen wie in Katar oder Korea.<br />

Aber wenn die Fifa Weltmeisterschaften vergibt<br />

und so tut, als gäbe es keine wichtigeren The-<br />

Ich hatte viel zu viel Angst vor <strong>dem</strong> Gefängnis<br />

und bin <strong>mit</strong> grosser Selbstver achtung<br />

in die Rekrutenschule eingerückt.<br />

Das Schlimmste war die Demütigung,<br />

eine Uniform tragen zu müssen. Und da<strong>mit</strong> in<br />

den Ausgang zu gehen oder im Zug zu sitzen.<br />

Als ich dann beim Theater war, konnte ich meine<br />

WKs immer wieder verschieben. Ein Jahr<br />

nach der Armeeabschaffungsinitiative, als ich<br />

wieder hätte einrücken müssen, rief die GSoA<br />

zur kollektiven Dienstverweigerung auf, um<br />

da<strong>mit</strong> die Einführung eines Zivildiensts durchzusetzen.<br />

Zusammen <strong>mit</strong> 1500 anderen habe<br />

ich diesen Aufruf unterzeichnet und den Dienst<br />

verweigert.<br />

Ich wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt.<br />

Da ich damals in Genf angemeldet<br />

war, konnte ich den Vollzug um vier Jahre aufschieben.<br />

Während dieser Zeit arbeitete ich<br />

dann als Dramaturg in Deutschland. 1996 bin<br />

ich in die Schweiz zurückgekehrt. Direkt ins<br />

Gefängnis.<br />

Und wie war es da?<br />

Es hat mich mehr aufgewühlt, als ich erwartet<br />

hatte. Ich dachte: Super, die Eidgenossenschaft<br />

bezahlt mir ein Schreibstipendium<br />

in Genf. Aber die entmündigende Situation,<br />

dass ich mich nicht frei bewegen konnte und<br />

nur eine bestimmte Anzahl Stunden draussen<br />

verbringen durfte, blockierte mich.<br />

Ich kam gar nicht recht zum Schreiben,<br />

notierte nur, was ich gerade erlebte oder was<br />

mir erzählt wurde. Ich bin aber überhaupt nicht<br />

schikaniert worden, wie das Dienstverweigerer<br />

zehn Jahre vorher noch erlebt hatten.<br />

Ihr Hauptanliegen ist heute nicht mehr die<br />

Abschaffung der Armee, sondern die Wahrung<br />

der Grund- und Menschenrechte. Als<br />

was verstehen Sie die Plattform Kunst+Politik<br />

eigentlich, die Sie massgebend <strong>mit</strong>initiiert<br />

haben?<br />

Als Zusammenschluss und Netz verschiedenster<br />

Künstlerinnen und Künstler, die sich<br />

für ein realistisches Schweizbild einsetzen, gegen<br />

die oberflächliche Swissnessbegeisterung<br />

und gegen ihre grausige Kehrseite, die Fremdenhetze.<br />

Kunst+Politik besteht seit Mai, wir hätten<br />

nie gedacht, welch unglaubliche Dynamik wir<br />

da<strong>mit</strong> auslösen würden. Wir wissen jetzt, dass<br />

es möglich ist, eine grosse Öffentlichkeit zu erreichen.<br />

Ich hoffe natürlich, dass das Netz nun<br />

wächst und weitere Künstlerinnen und Künstler<br />

dazukommen. Dass es uns gelingt, eine<br />

Plattform aufzubauen, <strong>mit</strong> der wir rasch reagieren<br />

und gemeinsam an vielen Orten auftreten<br />

können. Wir dürfen uns sicher nicht zu schade<br />

sein, auch plumpe und wenig künstlerische<br />

Mittel einzusetzen wie Aufrufe und Verlautbarungen.<br />

Daneben aber sollten wir neue Formen<br />

entwickeln, aktivistisch sein und gleichzeitig<br />

professionell.<br />

men auf der Welt, steht die ganze Weltpresse<br />

stramm. Und heute, wo so viele Zeitgenoss-<br />

Innen höchstens noch das Verfallsdatum auf<br />

den Joghurtdeckeln und die Bildlegenden in<br />

den Gratiszeitungen lesen, fragt dann niemand<br />

mehr danach, wie relevant die Meldung über<br />

Katar 2022 genau ist.<br />

Kann Katar eine Fussball-WM durchführen?<br />

Ist es ökologisch sinnvoll, in einem Land<br />

eine Fussball-WM auszutragen, in <strong>dem</strong> die<br />

Sta dien um zwanzig Grad heruntergekühlt<br />

werden sollen? Hat Katar den Vorzug gegenüber<br />

anderen Bewerbungen bekommen, weil<br />

das Land finanziell so potent ist? Das sind grob<br />

zusammengefasst die Fragen, die in diesen Tagen<br />

erörtert werden. Dabei würden wir besser<br />

fragen: Gibt es den Fussball dank der Fifa, oder<br />

ist es eher umgekehrt? Und wie lange wollen<br />

wir uns wegen zwei Dutzend älterer Männer in<br />

dunklen Anzügen ärgern, wenn derweil Millionen<br />

von Menschen auf der Welt <strong>mit</strong> Lust und<br />

Leidenschaft einem Ball nachjagen, ohne dabei<br />

einen müden Gedanken an die Fifa zu verschwenden?<br />

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt<br />

in Bern. Sein letztes Buch von 2010 heisst<br />

«Der Goalie bin ig».

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