Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
12 International<br />
WOZ Nr. 49 9. Dezember 2010<br />
reklame<br />
Klimawandel und megastädte<br />
Der<br />
Cucaracha-<br />
Effekt<br />
Vor zwanzig Jahren galt Mexiko-Stadt als die<br />
giftigste Stadt der Welt. Inzwischen hat<br />
die Stadtregierung einiges verändert und<br />
ein ehrgeiziges Programm zum Klimaschutz<br />
entwickelt.<br />
Von BErnharD PöttEr, MExIko-StaDt<br />
Der Blick über die Müllkippe von Mexiko-Stadt<br />
reicht bis zum Horizont. Kilometerweit Sand<br />
und Erde, Kräuter und Traktorspuren: Bordo<br />
Poniente wirkt mehr wie eine vernachlässigte<br />
Wüste als wie ein Ort, an <strong>dem</strong> der Dreck von<br />
über zwanzig Millionen Menschen abgeladen<br />
wird. Nur in der Nähe der Eingangstore, wo<br />
die fünfzehn Meter mächtige Müllschicht noch<br />
nicht <strong>mit</strong> Sand bedeckt ist, sieht und riecht<br />
man, dass hier täglich 38 000 Tonnen Plastikmüll,<br />
Speisereste, Schutt und Dreck ankommen.<br />
Über <strong>dem</strong> Müllgebirge hängen Vogelschwärme,<br />
unten verschieben Bagger die Massen, dazwischen<br />
suchen Menschen nach Verwertbarem.<br />
Doch da<strong>mit</strong> ist bald Schluss. Bordo Poniente<br />
ist voll und soll in einem Jahr geschlossen<br />
werden. Ein kleiner Schritt in Richtung mehr<br />
Klimaschutz. Denn die riesige Deponie produziert<br />
grosse Mengen des Faulgases Methan,<br />
das bis jetzt abgefackelt oder als Klimagift in<br />
die Atmosphäre entlassen wird. Künftig soll<br />
es aufgefangen werden, in einem Kraftwerk<br />
Strom erzeugen und der Atmosphäre jährlich<br />
1,4 Millionen Tonnen CO2 ersparen. Die Pläne<br />
sind gemacht, der Zeitplan steht. Zur Umsetzung<br />
fehlen jedoch die technische Hilfe aus<br />
<strong>dem</strong> Ausland, Investitionskapital und staatliche<br />
Subventionen.<br />
4,5 Millionen Autos<br />
Mexiko-Stadt hat in den letzten zwanzig Jahren<br />
einen dramatischen Wandel durchgemacht:<br />
von der «giftigsten Stadt der Welt», wo die Vögel<br />
bei Smog tot vom Himmel fielen, zu einer<br />
Kommune, die von der Weltbank als Vorreiterin<br />
im Kampf gegen den Klimawandel gelobt<br />
wird. Der weitere Erfolg hängt von zwei Faktoren<br />
ab: Bekommt die Stadt ihr wahnwitziges<br />
Wachstum in den Griff? Und bekommt sie genügend<br />
Geld zur Umsetzung ihrer Projekte?<br />
Die Vision von einem schönen neuen Mexiko-Stadt<br />
hängt im Büro von Martha Delgado.<br />
Sie ist die Umweltministerin der Metropole. Der<br />
Blick aus ihrem Bürofenster im Rathaus fällt<br />
meist in einen grau verschleierten, diesigen<br />
Himmel. Auf <strong>dem</strong> Foto an der Wand allerdings<br />
Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den<br />
Recherchierfonds des Förder vereins ProWOZ.<br />
Dieser Fonds unterstützt Recherchen und<br />
Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten<br />
der WOZ übersteigen. Er speist sich aus<br />
Spenden der WOZ-Leser Innen.<br />
Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich,<br />
PC 80-22251-0<br />
zeigt sich die Stadt unter tiefblauem Himmel<br />
<strong>mit</strong> klarem Blick auf zwei schneebedeckte Vulkane<br />
– und weil das so selten vorkommt, ist das<br />
Foto datiert: 20. Februar 2010. «Wir planen die<br />
Revolution», sagt Delgado energisch, «denn so<br />
kann es nicht weitergehen.»<br />
Nur noch jeden zweiten Tag<br />
Was sie <strong>mit</strong> «so» meint, zeigt sich täglich auf<br />
den Strassen der Megastadt. Auf der zentralen<br />
Nord-Süd-Achse Avenida Insurgentes drängen<br />
sich auf sechs Spuren hupend<br />
Taxis, Minibusse, Baumaschinen,<br />
rostige Pick-up-Trucks und bullige<br />
Geländewagen. Zwischendrin<br />
versuchen PolizistInnen,<br />
<strong>mit</strong> viel Getriller das Chaos zu<br />
kontrollieren. Auf den engen<br />
Trottoirs schiebt sich eine Menschenmasse<br />
an den Autowerkstätten,<br />
Schnellrestaurants und<br />
fliegenden HändlerInnen vorbei.<br />
Durch alle Strassen fahren die<br />
Autolawinen im Schritttempo.<br />
Für die Menschen ist es normal,<br />
dass sie morgens und abends jeweils<br />
zwei Stunden zur Arbeit pendeln.<br />
Doch gerade hier ist auch Delgados Revolution<br />
unterwegs: In der Mitte der Strasse rauschen<br />
feuerrote Gelenkbusse auf einer eigenen<br />
Spur am Stau vorbei. Die Metrobusse gehören<br />
zum Plan der Stadtverwaltung, <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Bürgermeister<br />
Marcelo Ebrard Casaubon versucht,<br />
den Verkehr in den Griff zu bekommen. Denn<br />
fast die Hälfte aller klimaschädigenden Gase<br />
in Mexiko-Stadt kommt aus den Auspuffen<br />
der 4,5 Millionen Autos. Ebrard und Delgado<br />
haben versprochen, die Hauptstadt werde bis<br />
2012 ihre Emissionen um zwölf Prozent senken.<br />
In Mexiko-Stadt ist es gegenwärtig vier Grad<br />
Celsius wärmer als noch vor hundert Jahren: einerseits,<br />
weil die Stadt so schnell gewachsen ist<br />
und die Hitze speichert, andererseits wegen des<br />
Klimawandels.<br />
Die Entgiftungskur hat Mexiko-Stadt<br />
schon geschafft: Die Verwaltung vertrieb Mitte<br />
der neunziger Jahre die Bleischmelzen und die<br />
Ölraffinerie aus der Stadt und verbot verbleites<br />
Benzin. Seit<strong>dem</strong> sind die Werte für Schwefel,<br />
Blei, Ozon und Feinstaub massiv gesunken. Die<br />
Stadtverwaltung verweist stolz darauf, dass<br />
man die Grenzwerte für Ozon und Feinstaub<br />
nur noch jeden zweiten Tag überschreite. Sie<br />
baut die U-Bahn aus und fördert den <strong>Bus</strong>verkehr,<br />
hat alte Fahrzeuge aus <strong>dem</strong> Verkehr gezogen<br />
und will ein anderes Müllkonzept <strong>mit</strong><br />
mehr Recycling.<br />
Aber beim Kampf gegen die klimaschädigenden<br />
Gase braucht Mexiko-Stadt finanzielle<br />
Spenden Sie, da<strong>mit</strong> Pascal dabei sein kann.<br />
Smog bleibt ein Problem für Mexiko-Stadt – trotz verbessertem Umweltschutz. foto: Jorge Uzon, keystone<br />
Feuerrote<br />
Gelenkbusse<br />
rauschen auf<br />
einer eigenen<br />
Spur am<br />
Stau vorbei.<br />
Hilfe. Weil es vielen Kommunen so geht, hatten<br />
Delgado und Ebrard zwei Wochen vor <strong>dem</strong> Klimagipfel<br />
in Cancún KollegInnen aus aller Welt<br />
eingeladen. Im Mexiko-Stadt-Pakt forderten<br />
die KommunalpolitikerInnen direkten Zugriff<br />
auf internationale Klimaschutzgeldtöpfe.<br />
Auch die Weltbank vertritt die Meinung, dass<br />
sich solche Investitionen lohnen würden. Städte<br />
könnten einen entscheidenden Faktor im<br />
Kampf gegen die Erderwärmung spielen, heisst<br />
es in einem auf <strong>dem</strong> Klimagipfel veröffentlichten<br />
Bericht (vgl. «Radikale Neuplanung für<br />
Megastädte»). Die Kommunen<br />
seien gross genug, um etwas zu<br />
bewirken, und klein genug, um<br />
beweglich zu sein.<br />
Dennoch ist das Beispiel<br />
Mexiko-Stadt <strong>mit</strong> Skepsis zu betrachten.<br />
Die Stadt wächst jährlich<br />
um 300 000 Menschen und<br />
200 000 Autos. Sie hat bisher nur<br />
im Schnellverfahren nachgeholt,<br />
was in vielen Städten bereits<br />
umgesetzt wurde: Die Industrie<br />
wird aus der Innenstadt verdrängt<br />
und die Luftverschmutzung<br />
deutlich gesenkt, doch vor<br />
<strong>dem</strong> weiter wachsenden Verkehr kapitulieren<br />
die meisten.<br />
Mexiko-Stadt habe ein ehrgeiziges Programm<br />
zum Klimaschutz aufgelegt und die<br />
richtigen Massnahmen benannt, sagt der Umweltwissenschaftler<br />
Rodolfo Lacy. Dennoch<br />
hinke das Programm bei der Umsetzung noch<br />
weit hinterher. «Der Klima-Aktionsplan ist<br />
eine tolle Sache», sagt Lacy, «aber er wird kein<br />
Treibhausgas einsparen.» Die Regierung fördere<br />
zwar den öffentlichen Verkehr, baue aber<br />
die welt wird zur stadt<br />
gleichzeitig neue Umgehungsstrassen und erweitere<br />
die Stadtautobahn. «Bald sind Wahlen.<br />
Der Bürgermeister macht sich Hoffnung auf die<br />
Präsidentschaft und will die Mittelklasse nicht<br />
verschrecken.» Die Umweltpolitik der Hauptstadt<br />
leide unter <strong>dem</strong> «Cucaracha-Effekt»: So<br />
wie Kakerlaken weghuschen, sobald man das<br />
Licht macht, so vertreibe die Umweltpolitik<br />
im Zentrum die schmutzigen Firmen und dreckigen<br />
Autos nur in die Aussenbezirke.<br />
Ein Auto weniger<br />
Ähnlich kritisch ist auch Areli Carreón. Die<br />
Präsidentin der Velogruppe Biciteka steht in<br />
ihrer kleinen Werkstatt im Central del Pueblo,<br />
einem alten Palast aus der Kolonialzeit, in den<br />
Künstler und Aktivistinnen eingezogen sind.<br />
«Zehn Jahre lang sind wir wegen unserer Ideen<br />
ausgelacht worden», sagt Carreón. Sie lehnt ihr<br />
Velo <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Schild «Ein Auto weniger» an die<br />
Wand und legt den Helm ab. «Jetzt ist die Förderung<br />
für bessere Wege für Velos und Fussgänger<br />
offizielle Politik.» Gleichzeitig habe sich<br />
aber wenig daran geändert, dass die Verkehrspolitik<br />
vor allem durch die Windschutzscheibe<br />
betrachtet werde.<br />
So habe die Regierung 2007 versprochen,<br />
300 Kilometer Radwege zu bauen: «Bis<br />
jetzt sind es vier Kilometer», sagt Carreón. Und<br />
auch bezüglich des Vorzeigeprojekts «Metrobus»<br />
sind die Fahrrad-AztekInnen, wie sie sich<br />
nennen, geteilter Meinung: «Vorher waren die<br />
Fahrspuren breit genug, dass wir am Strassenrand<br />
fahren konnten», sagt sie. «Durch die eigene<br />
Spur für den Metrobus sind nun alle anderen<br />
Spuren so zusammengedrängt worden,<br />
dass wir keinen Platz mehr haben.»<br />
radikale neuplanung für Megastädte<br />
Die Bedeutung von Städten für den Klimawandel<br />
ist bisher unterschätzt worden. Sie<br />
sind weltweit die grössten Erzeuger von klimaschädlichen<br />
Gasen: Achtzig Prozent aller<br />
Treibhausgase entstünden in Ballungsgebieten,<br />
steht in einer jüngst veröffentlichten Studie der<br />
Weltbank. Bis 2040 werden sechs Milliarden<br />
Menschen, zwei Drittel der Weltbevölkerung,<br />
in städtischen Zentren wohnen. Doch auch die<br />
Folgen des Klimawandels setzen vor allem die<br />
Masse der armen Bevölkerung in den Megastädten<br />
unter Druck: steigende Hitze und mehr<br />
Niederschläge, neue Krankheiten und höhere<br />
Preise für Lebens<strong>mit</strong>tel. Deshalb müssten acht-<br />
zig der jährlich geplanten hundert Milliarden<br />
US-Dollar an Hilfe zur Anpassung an den Klimawandel<br />
für die Städte ausgegeben werden,<br />
fordert die Weltbank. Dafür brauche es aber<br />
auch eine radikale Neuplanung der Städte,<br />
schreibt der britische Umweltthinktank Forum<br />
for the Future in einer neuen Studie <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Titel «Megacities on the Move» (Megastädte<br />
auf <strong>dem</strong> Vormarsch). Statt neuen Strassen brauche<br />
es weniger Autobesitz und eine bessere<br />
Verkehrsleittechnik. Ausser<strong>dem</strong> sei die Heimarbeit<br />
zu fördern, sonst drohten den Städten<br />
«Staus, die nicht mehr beherrschbar sind».<br />
B E rnharD PöttE r<br />
Die Stiftung Cerebral hilft in der ganzen Schweiz Kindern wie Pascal und deren Familien. Zum<br />
Beispiel <strong>mit</strong> Massnahmen zur Förderung der Mobilität. Dazu brauchen wir Ihre Spende, ein Legat<br />
oder Unternehmen, die einzelne Projekte fi nanzieren. Helfen Sie uns zu helfen.<br />
Helfen verbindet<br />
Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind<br />
Erlachstrasse 14, Postfach 8262, 3001 Bern, Telefon 031 308 15 15, PC 80-48-4, www.cerebral.ch<br />
rz_09CER86.5 Inserate Cerebral_d_290x60_sw_zeitung.indd 1 07.09.09 10:42