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Zeitschrift "Eindruck", EMBA Berlin (PDF-Datei; ca. 4

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Eindruck<br />

04 Vorwort<br />

05 „Wir sind zu Flüsterern geworden!“<br />

DDR-Aufarbeitung mit Rainer Eppelmann<br />

07 Die Abgründe der Staatssicherheit<br />

Ein Besuch im „Stasi-Knast“ <strong>Berlin</strong>-Hohenschönhausen<br />

09 Akten, Akten, Akten<br />

Der spezielle Geheimdienst der DDR<br />

11 Das (Über)Leben der Kunstgalerien<br />

Kunstszene <strong>Berlin</strong><br />

13 Malen mit Maus<br />

Digitale Kunst<br />

14 Das Universum begreifen<br />

Forschungszentrum CERN<br />

15 Eine Fotografenlegende<br />

Robert Lebeck<br />

16 <strong>Berlin</strong>, du bist so wunderbar…<br />

Tips für den Trip in die Hauptstadt<br />

Inhalt<br />

Impressum<br />

18 Das Auge isst mit<br />

Hooters in <strong>Berlin</strong><br />

Herausgeber <strong>EMBA</strong> GmbH<br />

Friedrichstraße 50-55 (Checkpoint Charlie), 10117 <strong>Berlin</strong><br />

Chefredakteur/Schlussredaktion Holger Doetsch (V.i.S.d.P.)<br />

Chef vom Dienst Maximilian Fritz<br />

Redaktion Annalena Jung, Franziska Seilkopf, David Koch, Maximilian Fritz<br />

Layout/Grafik/Bildredaktion/Cover Maximilian Fritz<br />

Druck digibook GmbH, Hollenstedt<br />

Stand <strong>Berlin</strong>, Sommer 2010<br />

Dieses Magazin ist im Rahmen eines Lehrprojekts der <strong>EMBA</strong> <strong>Berlin</strong> – Europäische Medien- und Business-<br />

Akademie, Friedrichstraße 50 - 55, 10117 <strong>Berlin</strong> (www.emba-medienakademie.de) entstanden.<br />

Seite 03<br />

19 Ein Friedhof der besonderen Art<br />

Interessantes über den Alten St.-Matthäus-Kirchhof<br />

20 „Randgruppe“ im Mainstream<br />

Schwule im Profifußball<br />

22 Eine etwas andere Zeitung<br />

Redaktionsbesuch bei der TAZ<br />

23 Politisches Urgestein<br />

Prof. Dr. Bernhard Vogel im Gespräch<br />

26 Das neue Sprachrohr der Mode<br />

Blogs und Modetrends<br />

27 Blogs sind kein Ersatz<br />

Jungdesigner und Blogger Konstantin Siegel<br />

28 Investigativer Journalismus<br />

Ein Blick hinter die Kulissen von Ulrich Meyers Akte<br />

29 Ein Buch entsteht<br />

Interview mit einem Schriftsteller<br />

Annalena Jung Franziska Seilkopf David Koch Maximilian Fritz Foto: Holger Doetsch


Seite 04 Eindruck<br />

Vier Studentinnen und<br />

Studenten, Annalena<br />

Jung, Franziska Seilkopf,<br />

David Koch und<br />

Maximilian Fritz, im Studiengang<br />

Angewandte<br />

Medien an der Europäischen<br />

Medien- und Business-<br />

Akademie (<strong>EMBA</strong>) in <strong>Berlin</strong> haben als<br />

Praxisprojekt „Eindruck“ entwickelt. „Eindruck“<br />

steht hier schlicht für ein einmalig<br />

erscheinendes Magazin – mit Beiträgen, die<br />

einen Eindruck hinterlassen sollen.<br />

Entstanden ist das Heft am Ende des ersten<br />

Semesters zu dem Module „Journalistische<br />

Grundlagen“. Damit ist es auch ein Ergebnis<br />

der Kernphilosophie der <strong>EMBA</strong>, aufbauend<br />

auf fundierter theoretischer und wissenschaftlicher<br />

Vermittlung der Lehrinhalte,<br />

Erlerntes praxisbezogen umzusetzen, gemäß<br />

dem Motto „Learning by doing“.<br />

Für den journalistischen Teil des Studiums<br />

bedeutet das beispielhaft: Es ist nicht nur<br />

wichtig für unsere Studierenden, dass sie<br />

verstehen, was eine Reportage ist und wie<br />

sie sich von anderen journalistischen Darstellungsformen<br />

unterscheidet. Es geht<br />

auch darum, ihnen zu zeigen, wie man eine<br />

Reportage gelungen formuliert, und was es<br />

beim Entstehungsprozess des Textes zu beachten<br />

gilt.<br />

Vorwort<br />

Die Studentinnen und Studenten der StudienrichtungPR-/Kommunikationsmanagement<br />

haben dabei Medienmacher kennengelernt,<br />

sie in ihren Redaktionen besucht,<br />

interviewt und gelernt, auch vor prominenten<br />

Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern<br />

keine Scheu zu haben. Für<br />

die Kooperation aller Beteiligten, insbesondere<br />

der Interviewpartner, möchte ich<br />

mich ganz herzlich bedanken.<br />

Dass die <strong>EMBA</strong> <strong>Berlin</strong> ihren Sitz inmitten<br />

von zahlreichen Zeitungs-, Online- und TV-<br />

Redaktionen, sowie in unmittelbarer Nähe<br />

zu Regierungsinstitutionen, Verbänden und<br />

Unternehmen hat, ist kein Zufall, sondern<br />

gehört zu einem umfassenden Konzept für<br />

ein Studium unter optimalen Bedingungen.<br />

Und auch für Eindruck hat es die Arbeit<br />

ganz zweifellos vereinfacht.<br />

Ein Dank auch an den verantwortlichen<br />

Dozenten Holger Doetsch, der die Studierenden<br />

mit dem für uns gewohnten Engagement<br />

tatkräftig angeleitet und beflügelt<br />

hat.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!<br />

Prof. Frank Heinrich<br />

Ein besonderer Dank geht an:<br />

Unsere Interviewpartnerinnen und Interviewpartner und an die, die uns den Weg zu ihnen bereitet<br />

haben: Monika Schoettel (Büro Prof. Dr. Vogel); Helvi Abs und Steffen Mayer (BStU); den Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern der <strong>Berlin</strong>er Galerie „<strong>Berlin</strong> Art Projects“; Karl-Heinz Richter (Stasigefängnis<br />

<strong>Berlin</strong>-Hohenschönhausen); Monika von Wahl, Dr. Dirk Klapperich (META Productions);<br />

Mirko Freiwald (Werkstattgalerie) und natürlich an die <strong>EMBA</strong> und vor allem an unseren Akademieleiter<br />

Prof. Frank Heinrich, sowie unseren Dozenten Holger Doetsch, die uns die Möglichkeit<br />

gegeben haben, dieses Magazin gestalten zu können.


Eindruck Seite 05<br />

DDR-Aufarbeitung mit Rainer Eppelmann<br />

„Wir sind zu<br />

Flüsterern geworden!“<br />

R<br />

ainer Eppelmann, evangelischer<br />

Pfarrer und ehrenamtlicher<br />

Vorsitzender des Vorstandes<br />

der Stiftung zur<br />

Aufarbeitung der Geschichte und<br />

der Folgen der SED-Diktatur,<br />

sprach mit uns über seine Vergangenheit<br />

in der DDR.<br />

Bei Recherchen über Sie taucht immer<br />

wieder der Begriff Staatsfeind<br />

Nr. 1 auf. Was hat es damit auf sich?<br />

Das hing sicherlich mit den Bluesmessen in<br />

meiner Kirchengemeinde zusammen. Da<br />

kamen Tausende aus der gesamten DDR,<br />

was die Stasi fürchterlich provoziert hat.<br />

Eine weitere Provokation war der „<strong>Berlin</strong>er<br />

Appell“, den ich zusammen mit Robert<br />

Havemann verfasst habe (siehe Kasten).<br />

Diesen Text haben wir über westliche Medien<br />

verbreitet, so dass dieser DDR-weit<br />

bekannt wurde, weil die allermeisten DDR-<br />

Bürger ihre Informationen aus den Westmedien<br />

bezogen. So wurde ich für die Stasi<br />

spätestens nach Havemanns Tod „Staatsfeind<br />

Nr. 1“. Grund genug für die, mein Leben<br />

verkürzen zu wollen.<br />

Da gab es einen fingierten Autounfall...<br />

Einige MfS-Mitarbeiter (s. Kasten) wurden<br />

bei illegalen Tätigkeiten erwischt und mussten<br />

der Stasi dann insgesamt ihre Vergehen<br />

gestehen, um nicht entlassen zu werden. Sie<br />

haben dann berichtet, sie hätten im Auftrag<br />

ihrer Vorgesetzten ein paar Modelle entwickeln<br />

sollen, wie man mich auf eine unauffällige<br />

Weise liquidieren könnte. Eine dieser<br />

Überlegungen war dieser Verkehrsunfall. Allerdings<br />

ist er in diesem Fall nicht durchgeführt<br />

worden, da nicht auszuschließen war,<br />

dass auch Unschuldige zu Schaden kommen,<br />

womit sie wohl meine Frau meinten,<br />

die öfter mit mir fuhr. Also hat mir wahrscheinlich<br />

meine Frau das Leben gerettet...<br />

Also hatte die Stasi so etwas wie<br />

Moral?<br />

Naja, ich hatte eher den Eindruck, dass sie<br />

so etwas wie Moral eben nicht hatten.<br />

Bei einem weiteren Versuch, mich zu töten<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Rainer Eppelmann<br />

(*12.02.1943 in <strong>Berlin</strong>) besuchte bis zur 11.<br />

Klasse eine Schule in Westberlin, was nach<br />

dem Mauerbau nicht mehr möglich war. Da<br />

er kein FDJ-Mitglied war, wurde es ihm verboten<br />

sein Abitur zu machen. Nach einer<br />

Maurerlehre studierte er Theologie und<br />

wurde Pfarrer der <strong>Berlin</strong>er Samaritergemeinde<br />

und Kreis-Jugendpfarrer in <strong>Berlin</strong>-<br />

Friedrichshain. Dort wurden die bekannten<br />

„Bluesmessen“ abgehalten. Er engagierte<br />

sich als DDR-Oppositioneller.<br />

hatte ich während der Fahrt auf einmal<br />

mein Lenkrad in den Händen…<br />

Zum Glück passierte das auf einem sandigen<br />

Waldweg, auf dem ich mit geringer<br />

Geschwindigkeit fuhr. Einen Tag vorher<br />

aber sind wir noch auf der Autobahn gefahren,<br />

und wenn das da passiert wäre,<br />

dann wäre es nicht nur mir, sondern auch<br />

meiner Frau und meinen vier Kindern<br />

schlecht ergangen.<br />

Sind sie von der Stasi abgehört worden?<br />

Meine gesamte Wohnung war verwanzt, sogar<br />

Schlafzimmer und Klo! Ihr Pech war<br />

nur, dass ich diese Wanzen gefunden habe.<br />

Allerdings war das Abhören auch nach<br />

DDR-Gesetzen verboten! Man durfte nur<br />

mit einer offiziellen Genehmigung abhören<br />

– allerdings die Staatssicherheit war ja der<br />

Staat im Staat gewesen.<br />

Ich brachte die Abhörmaßnahmen also zur<br />

Anzeige und als ich fragte, was unternommen<br />

würde, sagte mir der Staatsanwalt, das<br />

MfS hätte sich in jedem Einzelfall bei der<br />

deutschen Post der DDR eine Erlaubnis<br />

zum Abhören einholen müssen. Und da die<br />

Stasi so eine Erlaubnis nicht eingeholt habe,<br />

könne ich von denen auch nicht abgehört<br />

worden sein. Was für eine Logik...<br />

Noch mal zurück zu den „Bluesmessen“:<br />

Warum durften Sie diese Form<br />

des Gottesdienstes überhaupt abhalten?<br />

Die Kirche ist der einzige Raum gewesen,<br />

wo es zumindest stückweise möglich war,<br />

Grenzen zu überschreiten. Es gab in der<br />

DDR eine so genannte Veranstaltungsordnung,<br />

die regelte wer unter welchen Voraussetzungen<br />

eine Demonstration oder<br />

Veranstaltung durchführen konnte. Rein<br />

theoretisch konnte jeder DDR-Bürger so<br />

etwas anmelden, doch wurde es dann nicht<br />

genehmigt. Die Durchführung von Demonstrationen<br />

und Veranstaltungen war<br />

die Sache der Staatspartei SED und ihrer<br />

Organisationen, und die waren alle gleich<br />

geschaltet. Eine Ausnahme aber gab es da:<br />

Die Kirchen.<br />

Sie sprachen von „Grenzen“. Wie<br />

wurden diese überschritten?<br />

Ein Beispiel ist die praktische Bibelarbeit in<br />

den evangelischen Kirchen. Wir haben etwa<br />

junge Menschen danach gefragt, was ihre<br />

Hoffnungen, Ängste und Probleme sind. Sie<br />

meinten etwa, dass sie sich davor fürchten,<br />

zu kurz zu kommen. Sie hatten Angst, Probleme<br />

zu bekommen, weil sie etwas mit der<br />

Kirche zu tun haben, Angst, keine vernünftige<br />

Berufsausbildung machen oder nicht<br />

studieren zu können, Angst vor der Polizei<br />

oder der Staatsmacht. Damit bot die Kirche<br />

einen Raum dafür, dass gesagt werden<br />

konnte, was fast alle dachten. Außerhalb<br />

der Kirchen waren wir nämlich zu Flüsterern<br />

geworden! Natürlich hatten wir alle<br />

unsere Hoffnungen, Träume und Ängste im<br />

Kopf. Aber wir wussten, wenn man diese<br />

Gedanken zum Beispiel in einer Gaststätte<br />

laut sagt, wird man dafür bestraft. Es wurde<br />

sogar erzählt, dass Menschen bis zu fünf<br />

Jahre eingesperrt worden, weil sie einen<br />

politischen Witz erzählt hatten…


Seite 06 Eindruck<br />

Blieben viele Menschen den Messen<br />

fern, nachdem bekannt wurde, dass<br />

sie als Staatsfeind eingeschätzt wurden?<br />

Wer zu uns kam, wusste von dem Risiko,<br />

das er eingeht. Manche fühlten sich durchaus<br />

überfordert, andere sahen sich als Held.<br />

Manchmal war es auch frustrierend für die<br />

Besucher dieser Messen, denn sie merkten<br />

ja, dass sie zwar ein Risiko eingehen, sich<br />

aber in diesem Staat ungeachtet dessen<br />

überhaupt nichts verändert! Viele blieben<br />

dann irgendwann fern. Daher haben viele<br />

nur ein-, oder zweimal bei uns reingeguckt.<br />

Unser harter Kern bestand allenfalls aus 25<br />

Frauen und Männern.<br />

Gerd Poppe, auch er ein Bürgerrechtler, hat<br />

mal gesagt, es gab nur 500 bis 800 DDR-<br />

Bürger, die Mitte der 70er Jahre durch ihr<br />

öffentliches Auftreten zu erkennen gaben,<br />

dass sie mit der Entwicklung der DDR<br />

nicht einverstanden waren. Eine Massenbewegung<br />

ist es erst im Sommer 1989 geworden.<br />

Ein DDR-Bürger sagte mal: Uns wird<br />

eine Weltanschauung offenbart,<br />

ohne dass wir uns die Welt anschauen<br />

dürfen... Sie haben sich darüber<br />

mal bei Erich Honecker beklagt.<br />

Honecker war bei einem Staatsbesuch in<br />

Japan, wo ihm nach politischen Gesprächen<br />

auch Land und Leute gezeigt wurden. Beim<br />

Rückflug setzte er ein sogenanntes „Überflugtelegramm“<br />

an Japans Regierungschef<br />

ab und bedankte sich darin. Sinngemäß<br />

schrieb er: Ich habe mich natürlich auf diese<br />

Reise vorbereitet und mir viele Fotos<br />

angeschaut und viele Bücher gelesen, aber<br />

was sind Fotos und Bücher gegen das Erleben?<br />

Beeindruckend war natürlich das, was<br />

ich jetzt alles in der einen Woche erlebt<br />

habe.<br />

Dieses Telegramm stand am nächsten Tag in<br />

allen DDR-Zeitungen! Eine Unverschämtheit,<br />

denn jeder DDR-Bürger wusste ja,<br />

dass er hier nicht raus kommt!<br />

Ich habe dann in einem Brief an den Genos-<br />

sen Honecker meine „Freude“ darüber<br />

ausgedrückt, dass er so eine erfolgreiche<br />

Reise gehabt hat. Und mit dieser „Freude“<br />

habe ich dann auch meiner Hoffnung Ausdruck<br />

verliehen, dass nun die notwendigen<br />

Konsequenzen folgen, und er uns vergleichbare<br />

gute und hilfreiche Erfahrungen machen<br />

lässt. Eine Antwort bekam ich nie…<br />

Irgendwann wurde Ihnen dann nahe<br />

gelegt, entweder auszureisen oder<br />

ins Gefängnis zu gehen.<br />

Nachdem wir den „<strong>Berlin</strong>er Appell“ verfasst<br />

und veröffentlicht hatten, wurde ich<br />

drei Tage festgehalten. Die ersten Fragen<br />

des Vernehmers bezogen sich merkwürdigerweise<br />

darauf, ob wir irgendwelche wertvollen<br />

Kunstwerke oder Immobilien besitzen.<br />

Dafür gab es nur eine Erklärung: Die<br />

wollten mich abschieben. Aber die Mächtigen<br />

in der evangelische Kirche der DDR<br />

haben der Staatsführung dann klar gemacht,<br />

dass das nicht geht!<br />

Denn ich war im westlichen Ausland nicht<br />

unbekannt, und eine Sorge der Stasi war es,<br />

dass, sitze ich im Gefängnis oder würde ich<br />

abgeschoben, es im Ausland eine Diskussion<br />

darüber geben würde, und die wäre für<br />

die DDR und das Ansehen des Landes sicherlich<br />

nicht hilfreich gewesen.<br />

Der Deutsche Bundestag hat Sie<br />

zum Vorsitzenden der Stiftung Aufarbeitung<br />

gewählt. Was tut die Stiftung?<br />

Wir unterstützen und fördern etwa Bücher<br />

und andere wissenschaftliche Druckwerke,<br />

aber auch Dokumentarfilme für<br />

Multiplikatoren in Schulen und anderswo.<br />

Vieles kann im Schulunterricht verwendet<br />

werden. Weiterhin veranstalten und fördern<br />

wir Ausstellungen, die das Unrecht,<br />

das Menschen in der DDR angetan worden<br />

ist, thematisieren. Auch haben wir Gespräche<br />

mit der Kultusministerkonferenz<br />

geführt, die für die Inhalte der Bildung an<br />

Schulen zuständig ist. So gibt es in den 16<br />

Bundesländern keinen Lehrplan mehr, in<br />

Rainer Eppelmann (Mitte), Bürgerrechtler, Ex-Minister und Ex-Bundestagsabgeordneter, im Interview.<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Robert Havemann (*11.03.1910,<br />

†09.04.1982), bekennender Kommunist<br />

und Verfechter eines demokratischen Sozialismus,<br />

war anfangs noch SED-Mitglied und<br />

zeitweise Kontaktperson der Stasi. Als er<br />

mit der Vorgehensweise der Regierung unzufrieden<br />

wurde, gab er dies öffentlich<br />

kund und erhielt daraufhin Berufsverbot<br />

und Hausarrest. Nach Beendigung des Arrestes<br />

gründete er eine Friedensbewegung<br />

mit Gerd Poppe, Bärbel Bohley und dem<br />

Theologen Rainer Eppelmann, mit dem er<br />

den <strong>Berlin</strong>er Appell verfasste, ein Schriftstück,<br />

das zur Friedensschaffung durch Abrüstung<br />

in Ost und West aufruft.<br />

Das Ministerium für Staatssicherheit<br />

(kurz MfS; umgangssprachlich Stasi),<br />

gegründet am 08.02.1950, war als Geheimdienst<br />

tätig und zuständig für die Verfolgung<br />

politischer Straftaten. Es galt als „Schild und<br />

Schwert“ der Staatspartei SED und diente<br />

als Mittel zur Überwachung und Unterdrückung<br />

der DDR-Bürger und damit letztendlich<br />

dem Machterhalt. Zum Schluss waren<br />

es 91 000 hauptamtliche Spitzel. Der<br />

bekannteste Stasi-Chef Erich Mielke war<br />

von 1957 bis 1989 dort tätig.<br />

dem die Beschäftigung mit deutscher Nachkriegsgeschichte<br />

und damit die DDR-Geschichte<br />

fehlt. Trotzdem: Die meisten<br />

Jugendlichen wissen leider sehr wenig über<br />

die Nachkriegsgeschichte und die Geschichte<br />

der DDR, dies müssen wir ändern.<br />

Es wird Zeit, dass sich die Erwachsenen, die<br />

Eltern, Lehrer, sowie die Kirchen und Vereine<br />

darum kümmern. Denn noch besteht<br />

die Chance Menschen zu befragen, die in<br />

dieser Diktatur gelebt haben und darüber<br />

sehr gut erzählen könnten. Also: Die Vermittlung<br />

jüngerer deutscher Zeitgeschichte<br />

kann nicht mit dem 08. Mai 1949 aufhören.<br />

Es muss vermittelt werden, dass es eine<br />

zweite Diktatur in Deutschland gegeben<br />

hat, nämlich in der DDR. Die beiden Diktaturen<br />

lassen sich nur bedingt vergleichen -<br />

die Nazi-Diktatur war so barbarisch, so<br />

unmenschlich, dass sie uns fast ausradiert<br />

und aus der Völkergemeinschaft rausgeschmissen<br />

hätte. Die DDR-Diktatur hat 17<br />

Millionen Bürgern das Luftholen verboten<br />

und, um es zu wiederholen, uns zu „Flüsterern“<br />

gemacht!<br />

Franziska Seilkopf


Eindruck Seite 07<br />

Ein Besuch im „Stasi-Knast“ <strong>Berlin</strong>-Hohenschönhausen<br />

Die Abgründe der<br />

Staatssicherheit<br />

ennen Sie den Staats- und<br />

„KParteichef der ehemaligen<br />

DDR?“<br />

Schüler antwortet: „Nein, keine<br />

Ahnung.“<br />

Ein weiterer Schüler meldet sich:<br />

„Edmund Stoiber?!“ Schweigen.<br />

„Nein, es war Erich Honecker –<br />

können Sie etwas mit dem Namen<br />

anfangen?“<br />

Die Klasse unisono: „Nein.“<br />

Diese und ähnlich erschreckende Antworten<br />

erhielten zwei Journalisten in einer<br />

<strong>Berlin</strong>er Berufsschule 2004. Das Beunruhigende<br />

daran: die Schüler sind größtenteils<br />

Ostberliner und zu DDR-Zeiten geboren.<br />

Von der eigenen Geschichte haben sie keine<br />

Ahnung. Und so geht es nicht nur ihnen.<br />

Die DDR-Geschichte geht in den heutigen<br />

Geschichtsstunden unter. Die griechische<br />

Antike und der erste Weltkrieg werden gelehrt,<br />

die Weimarer Republik und letztendlich<br />

der Nationalsozialismus. Schnitt.<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Kein Durchgang, sondern eine Stehzelle.<br />

Warum kam es denn wirklich zum Mauerfall<br />

am 9. November 1989? Das wissen viele<br />

nicht und das Problem liegt nicht an dem<br />

fehlenden Interesse, sondern an den Lehrplänen.<br />

Es ist viel Stoff, was Geschichtslehrer<br />

in den Jahren unterbringen müssen, nur<br />

geschieht das oftmals auf Kosten der DDR,<br />

wie sie bei Umfragen selbst angeben.<br />

Gerade in <strong>Berlin</strong> kann man sehr viel über<br />

die jüngste deutsche Vergangenheit lernen.<br />

In der Gedenkstätte Hohenschönhausen,<br />

auch „Stasi-Knast“ genannt, werden in Führungen<br />

die Abgründe des Wirkens der<br />

Staatssicherheit vor Augen geführt.<br />

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)<br />

war die Geheimpolizei der SED und zuständig<br />

für die Überwachung der gesamten<br />

Bevölkerung. Wer sich dem Regime nicht<br />

fügen wollte oder versuchte zu flüchten,<br />

wurde in eines der 17 Untersuchungsgefängnisse<br />

des MfS gebracht. Der „Stasi-<br />

Knast“ Hohenschönhausen war die Zentrale.<br />

Von dort aus wurden alle Gefängnisse<br />

gesteuert.<br />

Menschenverachtend.<br />

Erschreckend.<br />

Nicht nachvollziehbar, was Menschen anderen<br />

Menschen mutwillig zufügen können.<br />

Solche Gedanken überkommen einen,<br />

wenn man an einer Führung im „Stasi-<br />

Knast“ teilnimmt. Die, die durch die Ausstellung<br />

führen, waren selbst einmal Häftlinge<br />

in der heutigen Gedenkstätte oder in<br />

anderen Stasi-Knästen. Sie berichten unverzerrt<br />

von den Grausamkeiten, die sie erlebt<br />

haben.<br />

So auch Karl-Heinz Richter, verurteilt wegen<br />

„versuchter Republikflucht“. Über 30<br />

Jahre lang sprach er nicht über seine Erlebnisse<br />

während der Inhaftierung, 2009 aber<br />

brach er sein Schweigen. „Die DDR wird<br />

heutzutage verschönt“, sagt der 63-Jährige.<br />

Er möchte Verklärungen in den Köpfen auflösen<br />

und aufzeigen, welche Leidenswege<br />

die SED-Diktatur verursachte.<br />

Die erste Station: Das „U-Boot“ im Altbau<br />

des ehemaligen Gefängnisses. Das Gebäude<br />

übernahm 1951 das Ministerium für Staatssicherheit<br />

von den Sowjets. „U-Boot“, so<br />

wurde der Keller von den Häftlingen genannt,<br />

denn man wurde gezwungen abzutauchen<br />

und hatte keinen Bezug mehr<br />

zur Außenwelt. Die Gefängniszellen sind<br />

kaum größer als eine Abstellkammer. Auf<br />

der einen Seite befindet sich eine Holzpritsche.<br />

Es ist es kahl, kalt, verliesartig. Ohne<br />

Fenster. Ohne Tageslicht.<br />

Verhört wurden die Häftlinge nachts, tagsüber<br />

galt ein Schlafverbot. Durch diese Foltermethode<br />

wollten die Verhörer von den<br />

Gefangenen eine möglichst schnelle Unterschrift<br />

ihrer Aussage erzwingen.<br />

Doch was, wenn man unschuldig war, wie<br />

unzählige Inhaftierte? „Entweder war man<br />

für oder gegen das System“, sagt Karl-<br />

Heinz Richter, „egal, ob Freidenker oder<br />

einfach politisch anders orientiert: Verhaftet<br />

wurde jeder wegen allem.“<br />

Für die Verurteilten bedeutet der „Stasi-<br />

Knast“ eine menschenunwürdige Lebenssituation.<br />

Kübel standen als Toilettenersatz in<br />

den Zellen. „Ein bestialischer Geruch“, so<br />

beschreibt es Richter. Mit zwölf Personen<br />

in einer „Großraumzelle“ zusammengefercht<br />

- kaum auszuhalten.<br />

Auch wenn es keine Belege dafür gibt, dass<br />

die Stasi die folgenden Folterungsmethoden<br />

selbst anwendete, gibt es entsprechende<br />

Einrichtungen, wie zum Beispiel die<br />

„Wasserzellen“. Das waren Zellen mit Installationen,<br />

durch die dem Häftling ununterbrochen<br />

ein Tropfen Wasser auf dem<br />

Hinterkopf prallte, was sich nach Stunden<br />

wie Hammerschläge anfühlte. Viele wurden<br />

wahnsinnig und drehten durch. Eine weitere<br />

Folterungsmethode war die sogenannte<br />

„Stehzelle“. Eingefercht zwischen zwei<br />

Türen mussten die Häftlinge auf engstem<br />

Raum stehen. Wenn man größer war, wurde<br />

man dazu genötigt sich tage- und nächtelang<br />

zu ducken (s. Bild).<br />

Ortswechsel. Vom Altbau aus gelangt man<br />

mit wenigen Schritten zum Neubau, der<br />

von Häftlingen errichtet wurde. Beide Gebäude<br />

sind heute noch im Originalzustand.<br />

In den 100 Zellen und 120 Vernehmerräumen<br />

wurden vor allem Republikflüchtlinge<br />

unter Arrest gestellt. „Es war ein geheimes<br />

Gefängnis“, so Richter. Unvorstellbar, aber<br />

wahr: Niemand wusste von dem Gefängnis.<br />

Es befand sich in einem Sperrgebiet der


Seite 08 Eindruck<br />

ehemaligen DDR und kein Außenstehender<br />

hatte Zutritt. Das Gebiet rund um das Gefängnis<br />

wurde mit Mehrfamilienhäusern bebaut,<br />

in denen die Gefängnisbeschäftigten<br />

mit ihren Familien wohnten. Zum Teil tun<br />

sie das noch heute.<br />

Der Neubau grenzt sich äußerlich sehr<br />

stark vom Altbau ab. Die Zellen sind nun<br />

größer und heller, mit Fenstern ausgestattet.<br />

Auf einigen Pritschen wurden Decken<br />

und Kissen gelegt. Eine Toilette gibt es auch.<br />

Der Geruch nach dem Reinigungsmittel<br />

„Wofasept“ verfolgt einen auch heute noch<br />

während des Rundganges.<br />

Auch wenn einem der Eindruck des Neubaus<br />

„humaner“ erscheint, blieben die Umgangsformen<br />

und Folterungen doch grausam.<br />

Es wurde nun vor allem psychisch<br />

gefoltert. Die Inhaftierten lebten in Ungewissheit,<br />

wussten nicht, wo sie sich überhaupt<br />

befanden, zusätzlich wurden sie isoliert,<br />

hatten keinen Bezug zu anderen<br />

Gefangenen. Schon im Vernehmungsraum<br />

begann die psychische Qual. Die Psychologen<br />

wandten spezielle angelernte Psychotricks<br />

an, um selbst den Unschuldigen ein<br />

schnelles Geständnis zu entlocken. Viele<br />

hielten die psychische Qual nicht aus und<br />

bejahten verzweifelt die vermeintlichen<br />

Vorwürfe. Dazu kam, dass bei einigen Neuinhaftierten,<br />

die im Vernehmerraum saßen,<br />

Telefonate inszeniert wurden, in denen es<br />

um schwere Familienunglücke ging. Dabei<br />

wurde der Häftling aber in Ungewissheit<br />

gelassen, ob es sich dabei um die eigenen<br />

Verwandten handelt oder nicht.<br />

Besonders perfide: Bei der „erkennungsdienstlichen<br />

Bestandsaufnahme“, sprich bei<br />

der Fotoaufnahme des Häftlings, vernahm<br />

Rudolf Bahro ein summendes Geräusch<br />

hinter ihm. Der Politiker und bekannte<br />

DDR-Dissident saß stundenlang auf einem<br />

Stuhl vor dem Fotoapparat und wartete.<br />

Was niemand ahnen konnte: Das Summen<br />

Vernehmerzimmer der Stasi.<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

kam von der radioaktiven Bestrahlung, der<br />

er ausgesetzt war. Rudolf Bahro erkrankte<br />

an Krebs.<br />

Er starb 1997 an den Folgen.<br />

Die Folterungen und die unmenschliche<br />

Lebenssituation haben bis heute Auswirkungen<br />

bei den Opfer. Richter etwa leidet<br />

an einem Waschzwang, der ihn dazu verleitet,<br />

morgens, mittags und abends zu duschen.<br />

Trotzdem fühlt er sich dreckig, erzählt<br />

er. Die mangelnden hygienischen<br />

Verhältnisse im „Stasi-Knast“ haben ihn geprägt.<br />

So auch die Isolation in den Dunkelkammern.<br />

Tage und Nächte waren die Inhaftierten<br />

in Kammern mit Zwangsjacken<br />

eingeschlossen. Nichts als Dunkelheit. Sie<br />

verloren ihr Zeitgefühl und allmählich den<br />

Verstand. Jahrelang konnte Richter nicht in<br />

der Dunkelheit sein, zu groß war die Angst<br />

davor.<br />

12 000 Gefangene wurden insgesamt im<br />

Neubau des Gefängnisses zwischen 1958<br />

und 1990 inhaftiert. Auch nach dem Mauerfall<br />

im November 1989 wurde das Gefängnis<br />

weitergeführt. Der „Stasi-Knast“ Hohenschönhausen,<br />

so wie die anderen<br />

Stasi-Gefängnisse, waren nun Teil der Verwaltungsarbeit<br />

des Ministeriums des Innern<br />

der DDR. Nachdem der letzte Häftling im<br />

Frühjahr 1990 entlassen wurde, wurde der<br />

„Stasi-Knast“ Hohenschönhausen Ende<br />

desselben Jahres geschlossen. Seit 1994 besteht<br />

die Gedenkstätte Hohenschönhausen<br />

und wirkt mit bei der Aufarbeitung der<br />

SED-Diktatur sowie deren Folgen. Bisher<br />

haben 1,7 Millionen Menschen, darunter<br />

vor allem Schüler und Studenten, den ehemaligen<br />

Knast besucht. Laut Prognosen<br />

wird im Herbst dieses Jahres der zweimillionste<br />

Besucher erwartet.<br />

Annalena Jung<br />

Gedenkstätte Hohenschönhausen<br />

Genslerstraße 66<br />

13055 <strong>Berlin</strong><br />

Tel.: 030 / 98 608 230<br />

www.stiftung-hsh.de<br />

• Führungen werden täglich angeboten.<br />

• Der Eintritt liegt bei vier Euro, ermäßigt zwei Euro.<br />

• Jeden Montag ist der Eintritt frei.<br />

Anfahrt:<br />

• S-Bahn bis Landsberger Allee von dort aus<br />

MetroTram 6 bis Haltestelle Genslerstraße<br />

• Metro Tram 5 und 6 vom Alexanderplatz bis<br />

Genslerstraße<br />

• Bus 256 vom Bahnhof Lichtenberg bis zur<br />

Haltestelle Liebenwalder Straße/Genslerstraße<br />

• Von Gesslerstraße cir<strong>ca</strong> 800 Meter per Fuß<br />

Foto: Maximilian Fritz


Eindruck Seite 09<br />

Ein spezieller Geheimdienst der DDR<br />

Akten, Akten, Akten<br />

I<br />

n <strong>Berlin</strong>-Lichtenberg, mit der<br />

Straßenbahn nur 15 Minuten<br />

vom Alexanderplatz entfernt, befindet<br />

sich die ehemalige Zentrale<br />

des Ministeriums für Staatssicherheit<br />

(MfS) der DDR. In dem riesigen<br />

Gebäudekomplex werden<br />

Hunderttausende Akten gelagert.<br />

Hier war außerdem das Büro des<br />

letzten Stasi-Ministers der DDR,<br />

Erich Mielke.<br />

Die Geschichte der Stasi beginnt am 8. Februar<br />

1950. Die SED, Staatspartei der DDR,<br />

gründete das MfS als Inlands- und Auslandsgeheimdienst<br />

sowie als Ermittlungsbehörde<br />

für „politische Straftaten“. Erster Minister<br />

für Staatssicherheit der DDR war<br />

Wilhelm Zaisser, der entlassen wurde, weil<br />

er die SED nicht ausreichend über Arbeiteraufstände<br />

(in den Tagen um den 17. Juni<br />

1953 kam es in der Deutschen Demokratischen<br />

Republik zu einer Welle von Streiks,<br />

Demonstrationen und Protesten – die<br />

Red.) informiert haben soll. Daraufhin wurde<br />

Ernst Wollweber Nachfolger von<br />

Zaisser. Wollweber wiederum wurde nach<br />

dem Vorwurf, einen Putsch zu planen, im<br />

Jahre 1957 von Mielke ersetzt. Mielke hatte<br />

das Amt des Ministers für Staatssicherheit<br />

bis zum 7. November 1989 inne.<br />

Mielke war ein ausgemachter Parteisoldat,<br />

der Erich Honecker, Generalsekretär der<br />

SED, jedoch nicht vollkommen untergeben<br />

war. In einem unscheinbaren Koffer führte<br />

er Beweise mit sich, aus denen hervorgeht,<br />

dass Honecker, „der große Antifaschist“, in<br />

der Nazizeit seine Mitstreiter verraten hatte.<br />

Einer der Verratenen, Bruno Baum, wurde<br />

deswegen zu 13 Jahre Zuchthaus verurteilt.<br />

Beim MfS wurde in verschiedenen Abteilungen<br />

mit den unterschiedlichsten Methoden<br />

gearbeitet. Dabei kam der Stasi zugute,<br />

dass sie handeln konnte wie sie wollte. Das<br />

diktatorische System der SED ließ das zu.<br />

Zu erkennen ist das an der Tatsache, dass<br />

die Verfassung der DDR erst an dritter<br />

Stelle kam – nach dem Programm der SED<br />

und den Beschlüssen des SED-Zentralkomitees<br />

und des Politbüros.<br />

Zur „Beweisfindung“ wurden die Menschen<br />

der DDR systematisch abgehört und<br />

bespitzelt. Filmmaterial wurde aufgezeichnet<br />

und die Post kontrolliert. Jugendliche<br />

wurden etwa bei den Konzerten der Beatles<br />

oder den Rolling Stones aufgezeichnet,<br />

um „nonkonformes“ Verhalten auszumachen.<br />

Verschiedene Werkzeuge kamen bei<br />

Wohnungsdurchsuchungen zum Einsatz.<br />

Türen wurden mit Schlüsselrohlingen oder<br />

Schlüsselkopien geöffnet und die Wohnung<br />

mit Kameras gefilmt. Bei Verhören und<br />

Wohnungsdurchsuchungen hatte die Stasi<br />

Geruchsproben mit Tüchern genommen,<br />

und diese in Einweggläsern konserviert. Sogenannte<br />

„Geruchsidentifizierungshunde“<br />

konnten die Gerüche der Betroffenen so<br />

noch nach zehn Jahren identifizieren. Fast<br />

immer wurden konspirative (geheime)<br />

Wohnungsdurchsuchungen und Verhaftungen<br />

durchgeführt, um kein Aufsehen zu<br />

erregen.<br />

Bei der Bespitzelung halfen Tausende IM,<br />

Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. In der gesamten<br />

DDR gab es Dienststellen des MfS<br />

und ein großes Netz an geheimen Treff-<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

punkten mit IM. Diese Inoffiziellen Mitarbeiter<br />

wurden oftmals auch im Ausland<br />

eingesetzt. Dadurch konnte die DDR-Stasi<br />

auch auf die politischen und gesellschaftlichen<br />

Prozesse in der Bundesrepublik<br />

Deutschland stark einwirken. Generaloberst<br />

Markus Wolf, ein Stellvertreter Mielkes,<br />

sagte einmal: „Wir sind mit Fraktionsstärke<br />

im Bundestag vertreten!“ Das lässt<br />

durchblicken, wie viel Druck die Stasi auf<br />

die westdeutsche Politik ausüben konnte.<br />

Dies gipfelte 1974 in dem Rücktritt Willy<br />

Brandts, dem damaligen Bundeskanzler.<br />

Brandt trat zurück, da sich sein persönlicher<br />

Berater, Günter Guillaume, als Stasispion<br />

entpuppte. Er wäre somit erpressbar<br />

gewesen. Erpressung war ebenfalls eine<br />

beliebte Arbeitsmethode des MfS.<br />

Die Zahlen der offiziellen und inoffiziellen<br />

Mitarbeiter des MfS zeigen den hohen Stellenwert<br />

des politischen Geheimdienstes.<br />

Im Jahre 1955 waren es noch 10.000 hauptamtliche<br />

Mitarbeiter. Im Jahr 1989 waren es<br />

dann 91.500 Mitarbeiter. Allein in <strong>Berlin</strong><br />

waren 39.000 Hauptamtliche tätig. 1989<br />

betrug die Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter<br />

191.000, davon waren zehn Prozent Jugendliche.<br />

Dazu der Vergleich mit der Bundesrepublik<br />

Deutschland, die, mit einer<br />

In der Stasi-Unterlagenbehörde in <strong>Berlin</strong> sind tausende Akten gelagert. Aneinandergereiht ergibt das 50 Kilometer.


Seite 10 Eindruck<br />

deutlich höheren Einwohnerzahl nur 6000<br />

offizielle Mitarbeiter in drei Geheimdiensten<br />

hatte, wobei die Stasi insgesamt<br />

nicht mit dem Geheimdienst von demokratischen<br />

Staaten verglichen werden kann.<br />

Alles was beobachtet wurde, Verurteilungen,<br />

Informationen über Mitarbeiter und<br />

Opfer, ist in Akten abgelegt worden.<br />

Nach dem Fall der Mauer im Herbst 1989<br />

fing die Stasi an ihre Akten zu vernichten. Es<br />

wurden Reißwölfe aus dem Westen besorgt.<br />

Nachdem die Reißwölfe heiß gelaufen<br />

waren wurde per Hand weiter vernichtet.<br />

Die Papierfetzen wurden dann auf<br />

Säcke verteilt, verbrannt oder in Papierfabriken<br />

gebracht.<br />

Am Morgen des 4. Dezember 1989 wurde<br />

die Bezirksstelle des MfS in Erfurt von Bürgern<br />

besetzt, nachdem bekannt geworden<br />

war, dass die Stasi-Akten vernichtet werden<br />

sollten. Am Abend desselben Tages<br />

wurden die Dienststellen in Leipzig und<br />

Rostock besetzt. Besetzungen in den anderen<br />

Bezirksstädten folgten, zuletzt am 15.<br />

Januar 1990 in der Zentrale in <strong>Berlin</strong>. Die<br />

Stasi öffnete die Tore der Zentrale, ließ die<br />

Menschen hinein und schickte diese erstmal<br />

in ein falsches Gebäude. Es flogen haufenweiße<br />

Schriftstücke in den Hof, aber<br />

kein brauchbares Material war zu finden.<br />

Einer Gruppe gelang es jedoch in das richtige<br />

Gebäude zu gelangen und die Vernichtungen<br />

der Akten zu stoppen.<br />

Heute sind noch 160 Kilometer Schriftgut<br />

(50 Kilometer alleine in <strong>Berlin</strong>), und tausende<br />

Bild- und Tonaufnahmen vorhanden. Es<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

42 Millionen Karteikarten müssen den Stasiakten zugeordnet werden.<br />

wurde begonnen die zerstörten Akten wieder<br />

zusammenzusetzen und zu ordnen, ein<br />

Prozess, der bis heute andauert.<br />

Im Jahre 1993 wurde ausgerechnet, dass es<br />

alleine 375 Jahre dauern würde, die Schnipsel<br />

in den 15.000 Säcken zusammenzusetzen.<br />

Das Lesen und Sortieren ist dabei<br />

noch nicht mit eingerechnet. Mit moderner<br />

Technik kann die Zeit zum Zusammensetzen<br />

von 375 Jahren auf sechs bis sieben Jahre<br />

verkürzt werden. Anhand der Risskanten<br />

finden spezielle Maschinen heraus, welche<br />

Schnipsel zusammengehören. Nachdem die<br />

Papierschnipsel einges<strong>ca</strong>nnt wurden, werden<br />

die Daten auf einem Server gespeichert<br />

und können zusammengesetzt werden.<br />

Es wir aber noch Jahre dauern bis alle<br />

Akten gelesen und archiviert sind.<br />

Ein großer Teil erhaltener beziehungsweise<br />

neu zusammengesetzter Akten befindet<br />

sich in der ehemaligen MfS-Zenrale in Lichtenberg.<br />

Um die Übersicht zu gewährleisten,<br />

wird, wie schon zu Stasi-Zeiten, mit<br />

einem Karteikartensystem gearbeitet. Auf<br />

42 Millionen Karteikarten sind Namen, Geburtsorte,<br />

Anschriften und Berufe vermerkt.<br />

In der Decknamenkartei sind alle<br />

Decknamen der IM vermerkt und verweisen<br />

auf deren Akten.<br />

Zudem sind Personenkarteien vorhanden<br />

auf denen alle Verurteilungen von Betroffenen<br />

zu finden sind. Auf einer Karteikartei<br />

kann bis zu 40 Jahren „Rechtsprechung“<br />

notiert sein.<br />

Welche Menge an Akten sich in den ehemaligen<br />

Gebäuden des MfS befindet, lässt sich<br />

mit der Größe eines Magazinraumes verdeutlichen.<br />

Der Magazinraum ist 645 Quadratmeter<br />

groß und hat ein Fassungsvermögen<br />

von 8365 Meter Gleitregalanlagen.<br />

Die Beschaffenheit einer Akte ist meistens<br />

sehr ähnlich, sie besteht in der Regel aus<br />

drei Teilen: Der Vorlauf, in dem das Umfeld<br />

des Mitarbeiters erfasst ist, welcher Zielgruppe<br />

der Mitarbeiter angehört und welche<br />

Gespräche mit diesem geführt wurden.<br />

Zudem die Erklärung zur Mitarbeit des IM<br />

und die Aufzeichnungen und Berichte, die<br />

der IM angefertigt hat. Ein Inoffizieller Mitarbeiter<br />

hatte gesellschaftliche und berufliche<br />

Vorteile und bekam besondere Geschenke<br />

zum Geburtstag.<br />

Durch die Wiederherstellung der quasi<br />

schon zerstörten Akten kann jede Menge<br />

herausgefunden werden. So können Opfer<br />

erfahren, ob und von wem sie bespitzelt<br />

wurden. Sogar der Ehepartner oder andere<br />

Familienmitglieder werden dabei als Stasispitzel<br />

entlarvt. Außerdem hat man herausgefunden,<br />

dass in der DDR schon Kinder<br />

gedopt wurden, um bessere<br />

Sportleistungen zu bringen. Durch das Doping<br />

sind einige Kinder gestorben, meint<br />

der Mitarbeiter der BStU.<br />

Jeder hat das Recht seine Akte einzusehen<br />

und kann deshalb bei der BStU einen Antrag<br />

auf Einsicht stellen.<br />

David Koch<br />

Zentralstelle <strong>Berlin</strong><br />

Hausanschrift:<br />

Karl-Liebknecht-Straße 31-33<br />

10178 <strong>Berlin</strong><br />

Postanschrift:<br />

BStU<br />

10106 <strong>Berlin</strong><br />

Homepage: www.bstu.bund.de<br />

Telefon: (030) 23 24 - 50<br />

Fax: (030) 23 24 - 77 99<br />

E-Mail: post@bstu.bund.de


Eindruck Seite 11<br />

Kunstszene <strong>Berlin</strong><br />

Das (Über)Leben<br />

der Kunstgalerien<br />

B<br />

erlin bietet mit seinen unzähligen<br />

Museen, Sammlungen<br />

und Galerien eine vielseitige<br />

und kreative Kunstszene.<br />

Viele Künstler aus aller Welt sorgen<br />

für einen ständigen kreativen<br />

Nachschub für die verschiedensten<br />

Ausstellungen. Um einen<br />

kleinen Überblick zu erhalten, haben<br />

wir drei unterschiedliche Galerien<br />

besucht und auf uns wirken<br />

lassen.<br />

Es ist ganz schön was los in der Tucholskystraße.<br />

Alles hier scheint sich der Kunst<br />

verschrieben zu haben, was man an den<br />

großen Schaufenstern erkennen kann, in<br />

denen so manche Kunstwerke ausgestellt<br />

sind. Immer wieder ist in der Straße eine<br />

neue kleine Galerie zu entdecken. Mittendrin<br />

befindet sich unser erstes Ziel: Die<br />

[DAM]<strong>Berlin</strong>, die eine Gruppenausstellung<br />

Foto: Franziska Seilkopf<br />

Gewöhnungsbedürftige Kunstobjekte für die Wand.<br />

namens GaMe! zum Thema Computerspiele<br />

und elektronisches Spielzeug zeigt.<br />

Die Galerie ist Teil eines umfassenden Konzeptes<br />

der Kunstvermittlung, welches sich<br />

ausschließlich dem Einfluss des Computers<br />

und des Digitalen auf Kunst und Gesellschaft<br />

widmet, wie uns die Homepage verrät.<br />

Daher werden hier seit 2003 Ausstellungsstücke<br />

junger und zeitgenössischer<br />

Künstler gezeigt, die sich mit dem Thema<br />

digitale Kunst beschäftigen.<br />

Als wir durch die Tür treten, fallen uns zunächst<br />

ein paar Tierköpfe an der Wand gegenüber<br />

ins Auge: Ein Nashorn, ein Leopard<br />

und ein Zebra. Dabei handelt es sich nicht<br />

etwa um ausgestopfte Jagdtrophäen, son-<br />

dern um kleine Roboterköpfe, die uns nicht<br />

mehr aus den Augen lassen und unsere Bewegungen<br />

verfolgen. Während wir uns einen<br />

ersten Eindruck verschaffen, kommt<br />

eine freundliche Dame auf uns zu und animiert<br />

uns dazu, die Computerspiele, die Teil<br />

der Ausstellung sind, auszuprobieren. Gesagt<br />

- getan. Und so stürzen wir uns die<br />

nächsten Minuten abwechselnd in drei unterschiedliche<br />

Computerspiele. Nach dem<br />

Ausflug in die Welt der Spiele sehen wir<br />

uns in Ruhe die ausgestellten Bilder an, bei<br />

denen das Thema die Erschaffung künstlichen<br />

Lebens durch Klonen ist. So entsteht<br />

zum Beispiel aus den unterschiedlichen<br />

Komponenten Hund, Schwein, Mensch und<br />

Nacktheit ein „Flyingpig“. Zusätzlich sind<br />

Fotos ausgestellt, die Jugendliche auf einer<br />

LAN-Party zeigen. Die Atmosphäre in der<br />

Galerie ist sehr entspannt, ein kleiner Hocker<br />

lädt zum Verweilen vor einem Bildschirm<br />

ein, auf dem unterschiedliche animierte<br />

Welten zu sehen sind. Nur wenn<br />

jemand dem Sockel mit einem Hund-<br />

Schaukelpferd-Roboter zu nahe kommt,<br />

wird die Stille kurz von den mechanischen<br />

Geräuschen, die das „Tier“ beim Vor- und<br />

Zurückschaukeln erzeugt, unterbrochen.<br />

Nachdem wir uns alle Ausstellungsgegenstände<br />

angesehen haben, machen wir uns<br />

auf den Weg zu unserem zweiten Ziel: Eine<br />

Vernissage in einer Galerie in der Straße<br />

Unter den Linden namens Showroom.<br />

Dies ist einer von zwei Standorten, die die<br />

Galerie <strong>Berlin</strong> Art Projects in <strong>Berlin</strong> führt.<br />

Laut ihres Prospektes hat es sich diese zur<br />

Aufgabe gemacht, junge und internationale<br />

in <strong>Berlin</strong> arbeitende Künstler aufzubauen.<br />

Sie begleitet und fördert mit wechselnden<br />

Ausstellungen und Veranstaltungen die<br />

Künstler auf ihrem Weg in die internationale<br />

Kunstwelt.<br />

Als wir dort ankommen, ist es draußen bereits<br />

dunkel geworden und ein paar Neugierige<br />

stehen vor den großen, hell erleuchteten<br />

Schaufenstern. Sie spähen nach innen,<br />

um ein paar Blicke auf die ausgestellten Fotografien<br />

des Künstlers Carsten Sander<br />

werfen zu können. Wir haben heute das<br />

Privileg auf der Gästeliste zu stehen und<br />

betreten wenig später einen großen, offenen<br />

und hellen Raum, in dem mannsgroße<br />

Hochglanzfotos an den Wänden hängen.<br />

Das Motto der Ausstellung lautet to surface,<br />

was im Deutschen „zum Vorschein kommen“<br />

bedeutet. Es handelt sich um Portraitfotografien<br />

von bekannten Film- und<br />

Showgrößen, dargestellt auf eine ungewöhnliche<br />

und zum Teil sehr fantastische<br />

Art und Weise, zum Beispiel als Ritter, Kapitän<br />

oder Rotkäppchen. Anfangs ist die<br />

Galerie noch nicht überfüllt und wir nutzen<br />

die Gelegenheit, die Werke ausgiebig zu bewundern<br />

und hier und da ein paar Fotos für<br />

dieses Magazin zu schießen.<br />

Während im Hintergrund ein DJ beginnt<br />

Elektrobeats zu spielen, füllt sich die Galerie<br />

langsam mit immer mehr Gästen in<br />

feiner Abendgarderobe. Die Stimmen wer-<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Mirko Freiwald erläutert einer Besucherin iranische Kunst.<br />

den mit jedem Glas Wein etwas lauter, die<br />

Aussicht auf die Bilder dafür immer kleiner.<br />

Ein ganz besonderes Flair entsteht und man<br />

wird von der Aufregung, die in dem Raum<br />

durch das Stimmengewirr entsteht, mitgezogen.<br />

Zwischen den Gästen entdecken<br />

wir sogar den ein oder anderen Prominenten.<br />

Auch für die „Außenwelt“ wird es<br />

immer interessanter, was in dieser Galerie<br />

los ist, und so sieht man immer wieder<br />

plattgedrückte Nasen an den Schaufenstern.<br />

Allerdings: Wer sich die Bilder ohne<br />

Einladung ansehen möchte, der muss sich<br />

bis zum nächsten Tag gedulden. Erst dann<br />

wird die Ausstellung für die Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht und jeder kann sich die<br />

Fotografien von Nahem ansehen. Wer da-


Seite 12 Eindruck<br />

gegen versucht einen Prominenten zu sehen,<br />

der muss noch ein wenig vor den<br />

großen Scheiben verweilen. Mittlerweile<br />

wird es immer schwieriger einen Platz vor<br />

den Ausstellungsstücken zu ergattern, da<br />

die Zahl der Gäste immer größer wird und<br />

sich immer mehr „Gesprächstrauben“ vor<br />

diesen aufhalten.<br />

Rufus Beck vor seinem Portrait.<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Also machen wir uns auf zu unserer nächsten<br />

Vernissage. Sie findet in der Werkstattgalerie<br />

nahe dem Nollendorfplatz statt<br />

und trägt den Titel Iranian Bodies - iranische<br />

Körper. Die Ausstellung beschäftigt sich,<br />

wie es der Name bereits verrät, mit zeitgenössischer,<br />

iranischer Kunst. Diese beschäftigt<br />

sich - entgegen den meisten, heutzutage<br />

vorherrschenden westlichen Vorstellungen,<br />

häufig mit dem menschlichen Körper. Deshalb<br />

sind auf den Kohlezeichnungen, Acryl-,<br />

Print- und Ölbildern dieser Ausstellung nur<br />

leicht bekleidete oder nackte Menschen<br />

abgebildet.<br />

Als wir ankommen ist schon einiges los in<br />

der kleinen Galerie, die in mehrere Räume<br />

aufgeteilt ist. Wir gehen durch den vorderen<br />

geschäftigen Raum und entdecken im<br />

hinteren Teil der Galerie das Bild, das auf<br />

unserer Einladung zu sehen war. Mitten in<br />

diesem Raum ziehen eine weibliche und<br />

eine männliche Figur die Blicke der Besucher<br />

aus sich: sie bestehen aus einer Mischung<br />

aus Stahl, Holz, Pflaster, Fasern und<br />

Wachs.<br />

Unter den zahlreichen Gästen finden wir<br />

Mirko Freiwald, der Betreiber dieser Galerie.<br />

Er erklärt uns später auf unsere Frage,<br />

nach welchen Kriterien Künstler für die<br />

Ausstellungen ausgewählt werden, dass<br />

dies vollkommen unterschiedlich geschehe.<br />

Grundsätzlich gebe es ein Thema, nach dem<br />

die Kunstobjekte ausgesucht werden. Die<br />

Wahl erfolge dann zum Beispiel über Projektausschreibungen,<br />

eine persönliche Vorstellung<br />

des oder der Künstler, aber auch<br />

mittels eigener Suchen und auch auf Empfehlungen<br />

anderer hin. Ausstellungsgegenstände<br />

seien spezielle figurative Kunst, maleristische<br />

Fotografie, allgemeine Fotografie,<br />

seltener Skulpturen und Video. Grundsätzlich<br />

herrsche eine Offenheit gegenüber allen<br />

Weltbeiträgen - ausgewählt werde eben<br />

nach dem jeweiligen Thema.<br />

Als wir Freiwald fragen, wie Galerien überleben<br />

können erklärt er uns, dass dies<br />

hauptsächlich durch den Verkauf der ausgestellten<br />

Bilder möglich sei. Einen Anteil des<br />

Verkaufspreises erhält die ausstellende Galerie,<br />

die damit auch die Miete und Kosten<br />

wie Strom, Wasser und anderes ausgleicht.<br />

Daher sei es wichtig, sich zu einer renommierten<br />

Galerie zu entwickeln, um einen<br />

Gewinn erzielen zu können. Wirtschaftlich<br />

betrachtet benötige eine Galerie im Durchschnitt<br />

drei bis vier Jahre nach der Eröffnung,<br />

bis sie alle Investitionskosten „rein<br />

geholt“ hat.<br />

v. l. n. r.: Franziska Seilkopf, Holger Doetsch, Dieter „Didi“ Hallervorden, David Koch und Annalena Jung<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Allerdings müsse man nicht unbedingt<br />

selbstständig sein, um eine Galerie zu betreiben.<br />

Da gebe es zum Beispiel auch institutionell<br />

geförderte Galerien oder Kunstvereine,<br />

die neben dem Verkauf der Werke<br />

auch durch Spenden finanziert werden.<br />

Oder man besitzt einen lukrativen Nebenerwerb,<br />

der es ermöglicht eine Galerie<br />

selbst zu finanzieren.<br />

Es herrscht hier in der Werkstattgalerie<br />

zwar nicht ganz so ein Tumult wie auf der<br />

Vernissage zuvor, aber auch hier verbergen<br />

zu späterer Stunde die Köpfe der Gäste so<br />

manchen Blick auf die Kunstwerke. Als wir<br />

alle Werke gesehen haben, beschließen wir,<br />

den Abend in einer gemütlichen Bar in der<br />

Nähe ausklingen zu lassen.<br />

Auf den ersten Blick haben wir heute drei<br />

ganz unterschiedliche Galerien gesehen.<br />

Die Unterschiede lagen in der Größe der<br />

Räumlichkeiten, den Besucherzahlen – die<br />

bei einer Eröffnung meist viel höher liegen,<br />

in der Wahl der Themen und den daher<br />

ausgestellten Kunstobjekten.<br />

Bei genauerer Betrachtung lassen sich jedoch<br />

die Ähnlichkeiten erkennen: Jede Galerie<br />

hegt eine besondere Liebe zur Kunst<br />

und auch zu den unterschiedlichen Arten<br />

der Künstler, diese darzustellen und auszudrücken.<br />

Für den einen Galerieinhaber ist<br />

es vielleicht wichtig, junge und unbekannte<br />

Künstler zu fördern, andere wiederum<br />

möchten nur ganz bestimmte Themen behandeln<br />

oder nur bestimmte Maltechniken<br />

zeigen. Allerdings haben sie alle ein gemeinsames<br />

Ziel: Sie wollen die Kunst der Öffentlichkeit<br />

zugänglich machen. Die<br />

Galeriebesucher sollen sich an den Kunstobjekten<br />

erfreuen, sich von ihnen inspirieren<br />

lassen. Die Ausstellungsstücke sollen<br />

aber auch neue Denkanstöße bringen, den<br />

Betrachter einen neuen Blick auf die Welt,<br />

mit all ihren positiven und negativen Veränderungen,<br />

werfen lassen oder auch einfach<br />

nur schockieren und wachrütteln.<br />

Wie Johann Wolfgang von Goethe einmal<br />

passend schrieb: Man weicht der Welt nicht<br />

sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft<br />

sich nicht sicherer mit ihr als durch die<br />

Kunst.<br />

Franziska Seilkopf


Eindruck Seite 13<br />

Digitale Kunst<br />

Malen mit Maus<br />

D<br />

ie Kunst ist ein Spiegel ihrer<br />

Zeit. Die gesellschaftlichen<br />

Umstände und die Verfügbarkeit<br />

der Produktionsmittel haben direkten<br />

Einfluss auf das geschaffene<br />

Kunstwerk. Nur allzu verständlich<br />

ist es dann, dass in einer<br />

Welt, in der das Leben zum Teil<br />

digital im Internet stattfindet,<br />

auch in der Kunst das Medium des<br />

Computers an Attraktivität gewinnt.<br />

Welche „Werkzeuge“ verwendet werden,<br />

um ein Kunstwerk zu schaffen, ist irrelevant.<br />

Allein das Ergebnis zählt. Dem Künstler<br />

sollte also niemand vorschreiben, ob er<br />

hierfür einen Pinsel, eine Fotokamera oder<br />

eben einen Computer benutzt. Die Musik-<br />

Szene macht es vor: Der Großteil der aktuellen<br />

Unterhaltungs-Musik besteht aus am<br />

Computer programmierten Melodien und<br />

Rhythmen, gespielt von digitalen Instrumenten.<br />

Ob Computergrafik, Animation, 3D, Software,<br />

Internet-Kunst, virtuelle Realität<br />

oder interaktive und computerunterstützte<br />

Kunst-Installation – die digitale Kunst bietet<br />

vielfältige Stilmittel. Digitale Kunst stellt<br />

eine Verbindung aus Wissenschaft und<br />

Kunst dar und ist somit weitgehend experimentell.<br />

Eine Maschine oder ein Computer<br />

wird darauf programmiert was er zu tun<br />

hat, worauf er es ausführt. Die ersten<br />

Zeichnungen die so entstanden, waren sogenannte<br />

Plotterzeichnungen, eine veraltete<br />

aber qualitativ hochwertige Technik. Wie<br />

auch bei anderen Computerprogrammen<br />

liegt einer Plotterzeichnung ein Algorithmus<br />

zu Grunde. Algorithmen sind komplexe Anweisungen<br />

in einer Computersprache, die<br />

sich viele Künstler autodidaktisch aneigneten.<br />

Ein vereinfachter Algorithmus kann<br />

beispielsweise eine Bauanleitung für ein Regal<br />

sein. Befolgt man die Anweisungen, so<br />

wird immer dasselbe Ergebnis erzielt. Der<br />

Künstler schreibt die Anweisung, den Algorithmus,<br />

und die Maschine führt ihn aus,<br />

zeichnet also das Bild. Oft spielt dabei auch<br />

der Zufall eine Rolle. Zufallsvariablen wer-<br />

den als künstlerisches Stilmittel eingesetzt,<br />

unter Anderem um ein entstehendes Werk<br />

Einzigartig zu gestalten. Vom Computer<br />

ausgeführte Zeichnungen könnten unendlich<br />

reproduziert werden, durch einen programmierten<br />

Zufall jedoch erhält jedes<br />

Werk eine individuelle Handschrift.<br />

Digitale Kunst wird neben realen und greifbaren<br />

Werken auch komplett elektronisch<br />

und virtuell realisiert. Man spricht von sogenannter<br />

Net Art, der Netzkunst, die ausschließlich<br />

im Internet zu finden ist. Dies<br />

meint nicht den Verkauf von Kunstwerken<br />

über das Word Wide Web, sondern die<br />

Darbietung von Kunst auf einer Internet-<br />

Plattform. Die Internet-Künstler Joan<br />

Heemskerk und Dirk Paesmans ließen sich<br />

von ihrem Besuch im Silicon Valley, Kalifornien,<br />

inspirieren, und gründeten daraufhin<br />

die Website wwwwwwwww.Jodi.org. Sie experimentierten<br />

mit vorhandenen HTML-<br />

Skripten, die sie bunt durcheinander<br />

mischten. Das Ergebnis erinnert an die<br />

Kunstform des Dadaismus. Auf dieser Website<br />

werden digitale Konstrukte aufgebrochen<br />

und scheinen das Internet wieder dekonstruieren<br />

zu wollen. Man glaubt, sich auf<br />

einer von Viren verseuchten Website wiederzufinden.<br />

Ein weiteres, auf den ersten Blick ebenfalls<br />

verstörendes Netzkunstwerk, ist die Website<br />

www.mouchette.org, kreiert von einem<br />

bis heute unbekannten Autor. Auf der Seite<br />

wird eine virtuelle Persönlichkeit namens<br />

Mouchette, französisch für „Kleine Fliege“,<br />

kreiert. Mouchette beruht sowohl auf<br />

einem Roman von Georges Bernanos aus<br />

dem Jahre 1937, als auch dem dazugehörigen<br />

Film von Robert Bresson von 1967.<br />

Ihre Person und Geschichte ist geprägt von<br />

Armut, Vergewaltigung, Depression und<br />

schließlich Selbstmord, was auf der Website<br />

mit grotesken Abbildungen und kleinen<br />

Fliegen, die als Links fungieren, thematisiert<br />

wird.<br />

Ebenfalls im Internet zu finden, genauer gesagt<br />

auf You-Tube, sind die computerbasierten<br />

Animationen von John Whitney wie<br />

„Arabesque“, „Catalog“ oder<br />

„Permutations“. Diese oft mit<br />

psychedelischer Musik unterlegten<br />

Video-Kunstwerke stellen<br />

erste Schritte dar, sich<br />

mit digitalen Mitteln<br />

künstlerisch<br />

cken.auszudrü-<br />

Digitale Kunst hat seitdem<br />

einen mühseligen<br />

Weg hin zu ihrer Anerkennung<br />

hinter sich. Der<br />

Einsatz von Maschinen und Computern galt<br />

in der Künstlerszene als verpönt, da in ihnen<br />

ein unkreatives, ausdrucks- und emotionsloses<br />

Arbeitsmittel gesehen wurde. Im<br />

Jahr 1971 in Frankreich erfuhr Manfred<br />

Mohr, ein Computerkünstler, dies am eigenen<br />

Leib. Bei einem Vortrag zu einem Digitalen<br />

Kunstwerk wurde er mit Tomaten<br />

beworfen und seine Produktionsmittel als<br />

„kapitalistisches Kriegswerkzeug“ beschimpft.<br />

Jedoch fanden solche Arbeiten Unterstützung<br />

in einer der ersten und wichtigsten<br />

Ausstellung zu diesem Thema, der Cybernetic<br />

Serendipity, die 1968 in London stattfand.<br />

Zudem wird alle zwei Jahre der mit 20.000<br />

Euro dotierte d.velop digital art award [ddaa]<br />

vom Digital Art Museum in <strong>Berlin</strong> [DAM]<br />

verliehen. Das DAM ist neben dem Zentrum<br />

für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe<br />

[ZKM] das bedeutendste Museum,<br />

welches sich der Digitalen Kunst verschrieben<br />

hat.<br />

Es ist für die Zukunft nur zu hoffen, dass<br />

weiter mit „digitalen Werkzeugen“ experimentiert<br />

wird, und sich die Skepsis am<br />

Kunstmarkt gegenüber der technoiden und<br />

neuartigen Ausdrucksform legen wird.<br />

Maximilian Fritz


Seite 14 Eindruck<br />

Forschungszentrum CERN<br />

Das Universum<br />

begreifen<br />

D<br />

as 1954 gegründete Forschungszentrum<br />

CERN (Conseil<br />

Européen pour la Recherche Nucléaire)<br />

bei Genf in der Schweiz ist eine<br />

europäische Organisation zur Aufklärung<br />

essenzieller wissenschaftlicher<br />

Fragen, um die Welt in ihrer<br />

Beschaffenheit besser verstehen<br />

zu können. Die Einrichtung ist unabhängig<br />

von kommerziellen Konzernen,<br />

um die Ergebnisse der<br />

Forschung öffentlich zugänglich<br />

machen zu können. Zudem werden<br />

im CERN zukünftige Wissenschaftler<br />

und Ingenieure ausgebildet.<br />

Dabei drängen sich<br />

wesentliche Fragen auf, um die<br />

Arbeitsweise des CERN zu verstehen.<br />

Was wird erforscht?<br />

Materie.<br />

7000 internationale Wissenschaftler wollen<br />

herausfinden, woraus Materie besteht, wie<br />

diese zusammengesetzt ist und reagiert.<br />

Jeder dem Menschen bekannten existierenden<br />

Form liegen vier Teilchen zu Grunde:<br />

Up-Quarks, Down-Quarks, Elektron<br />

und Elektron-Neutron. Diese Elemente bilden<br />

zusammen ein Atom. Atome bilden<br />

Moleküle, und Moleküle setzen sich letztlich<br />

zu greifbarer Materie zusammen. Erforscht<br />

werden viele der uns bekannten<br />

Teilchen und auch „exotische“ Kerne.<br />

Diese werden unter anderem auf ihre Beschaffenheit,<br />

Lebensdauer, Energie, Dichte<br />

und Strahlung hin untersucht.<br />

Wie wird geforscht?<br />

Mit einem Teilchenbeschleuniger.<br />

Der Hadron-Speicherring LHC (Large Hadron<br />

Collider) ist in einem unterirdischen,<br />

27 Kilometer langen Tunnel unter dem Forschungszentrum<br />

CERN installiert. In diesem<br />

wird Materie nahezu auf Lichtgeschwindigkeit<br />

beschleunigt. Dies geschieht<br />

durch das Erzeugen enormer elektromagnetischer<br />

Felder in der kreisförmigen<br />

Rohr-Konstruktion. Diese Felder übertragen<br />

Energie auf die Teilchen, die sich in dem<br />

Rohr befinden, und beschleunigen diese.<br />

Die Forschung besteht darin, die Materien<br />

kollidieren zu lassen. In der Rohr-Konstruktion<br />

dreht sich ein Teilchenstrahl mit 99,9<br />

Prozent der Lichtgeschwindigkeit im Kreis,<br />

wohingegen ein anderer Materie-Strahl in<br />

einer kleineren, zweiten Umlaufbahn in<br />

entgegengesetzter Richtung beschleunigt<br />

wird. Die zweite Materie wird darauf in den<br />

größeren Ring hinein geschossen, wo beide<br />

Strahlen frontal aufeinander prallen und reagieren.<br />

Hierbei kollidieren von 200 Milliarden<br />

Teilchen nur etwa 20. Durch diesen<br />

Prozess entstehen viele neue kleinere Teile<br />

und Energie wird freigesetzt. Dem Umwandeln<br />

von Masse (m) mit Lichtgeschwindigkeit<br />

(c) in Energie (E), liegt Albert Einsteins<br />

Formel E=mc 2 zu Grunde.<br />

Die Entstehung des neuen Produkts wird<br />

mit hoch aufwändigen technischen Sensoren<br />

von vier riesigen Detektoren gemessen<br />

und rekonstruiert. Die Auswertung der<br />

Daten gibt Aufschluss auf die Zusammensetzung<br />

und Reaktion der Teilchen. Die<br />

horrende Menge an erhobenen Daten<br />

könnten im Zeitraum eines Jahres einen 20<br />

Kilometer hohen Stapel an CDs füllen.<br />

Foto: Maximilien Brice © CERN<br />

Die LHC-Maschine, in der Materie zur Kollision gebracht wird.<br />

Wieso wird geforscht?<br />

Um Fragen des Universums zu beantworten.<br />

CERN liefert Kenntnisse über die Zusammensetzung<br />

von Materie und ihrer Entstehung.<br />

Im weiteren Sinne liefert dies Einsichten<br />

über die Entstehung der Welt. Im<br />

Forschungszentrum CERN werden unter<br />

anderem Elemente erzeugt, wie sie vermutlich<br />

kurz nach dem Urknall vorhanden waren.<br />

Das Wissen über Materie findet in unterschiedlichen<br />

Bereichen seine Anwendung.<br />

Ein am CERN entwickelter Teilchendetek-<br />

tor wird beispielsweise in der Medizin angewendet,<br />

um bestimmte Diagnosen stellen<br />

zu können. CERN war zudem „Geburtsort“<br />

des World Wide Web, welches dort<br />

entwickelt wurde, um Physikern die weltweite<br />

Kommunikation zu erleichtern. Erkenntnisse,<br />

welche im CERN gewonnen<br />

werden, finden des Weiteren in der Tief-<br />

Temperaturtechnik, Supra-Leitung, Vakuumtechnik,<br />

Mikroelektronik und im Bauingenieurswesen<br />

ihre Anwendung.<br />

Welche Gefahren gehen von der<br />

Forschung aus?<br />

Der Weltuntergang?<br />

Gewisse Experimente des Forschungszentrums<br />

CERN befassen sich mit der Produktion<br />

von Antiteilchen. Diese sind Teil der<br />

Antimaterie, welche das Negativ zu Materie<br />

darstellt. Antimaterie ist die Grundlage<br />

für ein Schwarzes Loch. Kritiker befürchten,<br />

dass Schwarze Löcher entstehen<br />

könnten, welche die Welt in sich „einsaugen“.<br />

Die Thematik der Antimaterie im Forschungszentrum<br />

CERN wurde unter anderem<br />

in Dan Browns Roman Illuminati<br />

behandelt. Wenn solche Schwarzen Löcher<br />

entstehen, werden diese jedoch so klein<br />

sein, dass sie sofort wieder verstrahlen<br />

würden, so der Forschungsphysiker des<br />

CERN, Dr. Rolf Landua in einem Interview<br />

des P.M.-Magazins. Landua argumentiert unter<br />

anderem so, dass, wenn Schwarze Löcher<br />

entstehen würden und potentiell gefährlich<br />

wären, die Erde gar nicht mehr<br />

existieren dürfte. Der Biochemiker und<br />

Chaosforscher Prof. Dr. Otto E. Rössler<br />

vermutet dagegen, dass diese Mini-Löcher<br />

nicht wie nach dem Astrophysiker Stephen<br />

Hawking sofort, sondern erst nach unendlich<br />

langer Zeit verstrahlen. Bis dahin<br />

könnten diese Löcher mit Materie in Berührung<br />

kommen, sie „auffressen“ und<br />

wachsen. Es gibt unterschiedliche Theorien,<br />

wie schnell so ein Loch wachsen kann und<br />

die Erde verschlingt. Es ist die Rede von bis<br />

zu fünf Milliarden Jahren – eine Zeit, in der<br />

die Erde von der Sonne ohnehin schon zerstört<br />

sein wird.<br />

Maximilian Fritz


Eindruck Seite 15<br />

Robert Lebeck<br />

Eine Fotografenlegende<br />

E<br />

s dauerte seine Zeit, bis der<br />

1929 in <strong>Berlin</strong> geborene Robert<br />

Lebeck von seinen Fotos leben<br />

konnte. Aber sein starker<br />

Wille und sein Talent, seine Umgebung<br />

so wahr zu nehmen, wie<br />

sie ist, sowie sein besonderer<br />

Charme haben ihn zu einem der<br />

bekanntesten Fotografen dieses<br />

Landes gemacht.<br />

Bereits als Kind träumte Robert Lebeck davon,<br />

zu verreisen und Abenteuer zu erleben.<br />

Ein paar Semester eines Völkerkundestudiums<br />

brachten ihn zwar theoretisch<br />

den Völkern und Kulturen der Welt näher,<br />

aber es sollte das Geschenk seiner ersten<br />

Frau Ruth zum 23. Geburtstag sein, das ihn<br />

zu einem der bedeutendsten Fotojournalisten<br />

der deutschen Nachkriegszeit<br />

machte: Eine Retina 1A. Dies war nicht seine<br />

erste Kamera, aber es war das erste Mal,<br />

dass er die beiliegende Gebrauchsanweisung<br />

aufmerksam las und seine Fotografien<br />

„brauchbar“ wurden. Einzig aus dieser Anweisung<br />

und dem genauen Studium der Arbeiten<br />

der Größen seines Fachs bestand<br />

seine autodidaktische Fotoschule.<br />

Schon bald entdeckten Chefredakteure<br />

sein Talent und er arbeitete für <strong>Zeitschrift</strong>en<br />

wie GEO, Revue, Kristall und Stern,<br />

und wurde für seine Leistungen als erster<br />

Fotojournalist überhaupt mit dem Henri-<br />

Nannen-Preis ausgezeichnet.<br />

Mit seinen Fotoreportagen, die ihn durch<br />

Afrika, Sowjetunion und Asien führten, ermöglichte<br />

er den Menschen in Deutschland<br />

Einblicke in andere Völker und Kulturen, die<br />

vielen nach dem zweiten Weltkrieg verwehrt<br />

blieben. Er brachte so ein Stück der<br />

fremden Welt nach Deutschland. Dabei<br />

zeigte er den Aufbau und Aufschwung eines<br />

Landes genauso, wie den Verfall und Abschwung.<br />

Er fotografierte Menschen mit<br />

Hoffnungen und Träumen, Obdachlose und<br />

Hungernde, wütende und lachende Menschen.<br />

Kurz gesagt, er lichtete die Menschen<br />

und ihr Land genau so ab, wie sie<br />

waren.<br />

Eines seiner berühmtesten Fotos entstand<br />

in den 1960er Jahren, als sich Europas Kolonialmächte<br />

aus den afrikanischen Gebieten<br />

zurückzogen: König Baudouin von Belgien<br />

fuhr mit seinem offenem Cabriolet bei<br />

einer Abschiedsparade durch die Straßen in<br />

Léopoldville, als ein junger Mann ihm seinen<br />

Degen, ein Zeichen der Macht, entriss<br />

und ihn somit sinnbildlich entwaffnete. Lebeck<br />

war genau zum richtigen Zeitpunkt<br />

zur Stelle und konnte so diesen sehr bedeutungsvollen<br />

Moment mit seiner Kamera<br />

festhalten.<br />

Dass dieses Foto entstehen konnte, ist zum<br />

einen Lebecks intuitiver Fähigkeit zu zuschreiben,<br />

genau im richtigen Moment<br />

nicht davor zurückzuschrecken, mit der Kamera<br />

einfach „drauf zu halten“ während<br />

etwas besonderes passiert. Zum anderen<br />

liegt es auch daran, dass Lebeck ein Glückspilz<br />

ist:<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Robert Lebeck in seinem Archiv.<br />

Er konnte damals nämlich nicht von einem<br />

leckeren Dessert lassen, verspätete sich so<br />

und bekam Baudouin nur noch von hinten<br />

zu sehen - was sich am Ende als der beste<br />

Platz für einen Fotografen herausstellte. Er<br />

selbst hat dazu passenderweise einmal gesagt:<br />

„Ohne Glück kannst du nichts werden“.<br />

Nicht nur mit seinen Reportagen-, sondern<br />

auch mit seinen Portraitfotografien hat sich<br />

Lebeck einen Namen gemacht. Die Liste<br />

portraitierter Prominenter ist lang: Alfred<br />

Hitchcock, Elvis Presley, Andy Warhol,<br />

Romy Schneider, Konrad Adenauer, Willy<br />

Brandt, Klaus Kinski, Joseph Beuys, Loriot,<br />

Sophia Loren, Maria Callas und viele, viele<br />

mehr.<br />

Eine ganz besondere Bindung hatte er zu<br />

Romy Schneider. Als sie 1976 in <strong>Berlin</strong><br />

„Gruppenbild mit Dame“ drehte, wurde er<br />

vom Stern beauftragt, Fotografien für eine<br />

Geschichte zu machen. Schon von Anfang<br />

an mochte Romy den unaufdringlichen Lebeck<br />

und flirtete gerne mit seiner Kamera.<br />

Dass Lebeck mehr als nur irgendein Fotograf<br />

für sie war, erkennt man an einem von<br />

ihr geschriebenen Zettel, den er eines<br />

Abends unter seiner Hotelzimmertür fand.<br />

Auf diesem stand geschrieben: „Du machst<br />

mir Angst, und ich mach mir Angst, vergiss<br />

mich schnell, aber bitte sag mir gute Nacht“.<br />

Er verstand, dass sie reden wollte und<br />

machte sich zusammen mit seiner Kamera<br />

auf den Weg in ihr Hotelzimmer. Sie redeten<br />

die ganze Nacht hindurch, tranken<br />

Rotwein und schossen ein paar Fotos, bis<br />

sie nebeneinander einschliefen.<br />

Das von gegenseitiger Zuneigung geprägte<br />

Verhältnis hielt von da an, ganz egal, wie lange<br />

sie sich nicht gesehen hatten. Sogar zu<br />

Zeiten, als Romy Schneider eine Abneigung<br />

gegen die Presse und ihre Fotografen hegte,<br />

freute sie sich dennoch ihren „Lebo“, wie<br />

sie ihn liebevoll nannte, zu sehen und sich<br />

von ihm für eine weitere Stern-Geschichte<br />

fotografieren zu lassen.<br />

Hätte man Romy gefragt, warum sie sich zu<br />

ihm hingezogen fühlte, sie hätte wohl<br />

geantwortet: Weil er so charmant ist. Weil<br />

er mir keine Anweisungen gibt wie ich mich<br />

inszenieren soll, sondern mir die Möglichkeit<br />

gibt, mich selbst darstellen zu können.<br />

Und weil er nie versucht hat, das Negative<br />

eines Menschen absichtlich darzustellen.<br />

Auf seinen Aufnahmen bin ich Ich!<br />

Robert Lebeck kann mittlerweile auf eine<br />

über 50 Jahre andauernde Karriere zurückblicken.<br />

Heute überlässt er es seinem Sohn<br />

Os<strong>ca</strong>r die Welt zu bereisen und Bilder zu<br />

knipsen – vielleicht einer der nächsten bedeutenden<br />

Fotojournalisten.<br />

Franziska Seilkopf


Seite 16 Eindruck<br />

Tips für den Trip in die Hauptstadt<br />

<strong>Berlin</strong>, du bist so<br />

wunderbar…<br />

D<br />

ass <strong>Berlin</strong> wunderbar ist,<br />

stellte nicht nur die Gruppe<br />

Kaiserbase mit ihrem gleichnamigen<br />

Songtitel klar. Die Hauptstadt<br />

Deutschlands hat mit ihren<br />

unterschiedlichen Bezirken und<br />

verschiedensten Sehenswürdigkeiten<br />

vieles zu bieten. Vor allem<br />

junge Menschen können in der<br />

Spreestadt einiges erleben: Tagsüber<br />

beim Sightseeing und Shopping,<br />

abends in coolen Bars und<br />

Clubs. Da <strong>Berlin</strong> für Vielfältigkeit<br />

steht, ist für jeden etwas dabei<br />

und niemand wird diese Stadt unverzaubert<br />

verlassen.<br />

Clubs, Diskotheken, Lounges<br />

40seconds<br />

Die Clublounge im 8. Stockwerk erreicht<br />

man über einen Aufzug. In den verschiedenen<br />

Bereichen des Clubs kann man Tanzen<br />

unter lauten Beats und den ein oder<br />

anderen Longdrink genießen. Auf der angrenzenden<br />

Terrasse können die Partygäste<br />

rauchen und über den Potsdamer Platz hinweg<br />

bis zum Alexanderplatz schauen. Classic<br />

House, Electro und R´n´B wird gespielt.<br />

Der Eintrittspreis liegt bei zehn Euro und<br />

die Longdrinkpreise starten bei acht Euro.<br />

Hier trifft man u. a. die Schickeria der Stadt.<br />

www.40seconds.de<br />

Potsdamer Straße 58<br />

10785 <strong>Berlin</strong>-Schöneberg<br />

Bellini Lounge<br />

Modernes Ambiente und gemütliche Clubsessel<br />

warten auf den Gast. An der Bar gibt<br />

es auch Sitzmöglichkeiten, von wo man den<br />

Barkeeper beim Cocktailmixen beobachten<br />

kann. Die Cocktailkarte ist üppig: Hier<br />

findet jeder seinen Lieblingscocktail. Bei ruhiger<br />

Loungemusik kann man sich optimal<br />

mit seinen Freunden unterhalten.<br />

Die Preise liegen bei sieben Euro und aufwärts.<br />

In der Happy Hour gibt es bis 21<br />

Uhr die Cocktails für 4,90 Euro.<br />

www.bellinilounge.de<br />

Oranienburger Straße 42/43<br />

10117 <strong>Berlin</strong><br />

Club der Visionäre<br />

Diese Lo<strong>ca</strong>tion ist besonders an warmen<br />

Sommertagen zu empfehlen. Der CdV ist<br />

weniger ein Club, sondern mehr eine<br />

Open-Air-Lounge. Der Eintritt ist frei. Die<br />

Lo<strong>ca</strong>tion liegt direkt an einem Neben-Kanal<br />

der Spree, weshalb man direkt am Wasser<br />

sitzt. Eine kleine Tanzfläche gibt es auch.<br />

Der CdV wird bevorzugt abends besucht,<br />

um dort etwas zu trinken und bei angenehmer<br />

Musiklautstärke zu reden.<br />

Musikstil: Minimal, Elektro<br />

www.clubdervisionaere.de<br />

Am Flutgraben<br />

12435 <strong>Berlin</strong>-Treptow<br />

Hackescher Markt und die<br />

Oranienburger Straße<br />

Diese Gegend bietet viele Möglichkeiten<br />

den Abend zu gestalten. Hier befinden sich<br />

Restaurants, Bars, Lounges und Clubs ganz<br />

in der Nähe. Wer gerne um die Häuser<br />

zieht und sich erstmal nicht festlegen<br />

möchte, ist hier genau richtig.<br />

S-Bahnhof Hackescher Markt<br />

(eine Station vom Alexanderplatz entfernt)<br />

S-Bahnhof Oranienburger Straße<br />

Simon-Dach-Straße<br />

und Umgebung<br />

Die Simon-Dach-Straße ist das Zentrum<br />

des Friedrichshainer Kiez. Ein Ort mit unzähligen<br />

Cocktail-, Sushi- und Shisha-Bars<br />

sowie originellen Restaurants. Neben der<br />

Vielzahl an Möglichkeiten zur Abendgestaltung<br />

gibt es auch einfallsreiche und individuelle<br />

Geschäfte zum Shoppen sowie kleine<br />

Kunstgalerien.<br />

Soda<br />

Über die Soda-Lobby gelangt man schnell<br />

zu den vielen Floors, in denen verschiedene<br />

Musikstile angeboten werden. Neben<br />

House, R´n´B und Black Music gibt es z.B.<br />

auch Salsa. Der Eintritt liegt bei zehn Euro,<br />

wobei Frauen bis ein Uhr kostenlos in den<br />

Club kommen. Die Longdrinkpreise starten<br />

bei cir<strong>ca</strong> acht Euro.<br />

www.soda-berlin.de<br />

Knaackstraße 97<br />

10435 <strong>Berlin</strong>-Prenzlauer Berg<br />

Tube<br />

Bei Hip Hop, R´n´B und Black Music gemischt<br />

mit dem richtigen Beat kann man bis<br />

in die Morgenstunden tanzen. Das edle Design<br />

des Clubs mit den gebogenen Wänden<br />

soll an die Londoner Tube-Stations erinnern.<br />

Die Getränkepreise sind Hauptstadtpreise,<br />

das heißt Longdrinks und Cocktails<br />

liegen bei 8,50 Euro und aufwärts. Der Eintritt<br />

kostet zehn Euro.<br />

www.tube-station.de<br />

Friedrichstraße 180<br />

10117 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

(der Eingang liegt etwas versteckt hinten im Gebäude)<br />

Watergate<br />

Weiter die Spree entlang liegt am Wassertor<br />

der gleichnamige Club „Watergate“.<br />

Die Musikrichtung: Elektro, House, Minimal,<br />

Techno, Drum`n`Base, manchmal auch Soul<br />

& R`n`B. Der Eintritt entspricht mit 10 €<br />

und nicht gerade günstigen Getränkepreisen<br />

dem Hauptstadtstandard. Das Ambiente<br />

besticht durch Style und Moderne, was<br />

jedoch nicht bedeutet, dass auch der<br />

Dress-Code und die Leute „versnobt“ sind.<br />

Der „Water-Floor“ bietet einen herrlichen<br />

Ausblick auf die Spree. Zudem kann man<br />

draußen auf einem angehängten Floß mit<br />

Sitzmöglichkeiten entspannen.<br />

www.water-gate.de<br />

Falckensteinstr.49<br />

10997 <strong>Berlin</strong>-Prenzlauer Berg


Eindruck Seite 17<br />

Week End<br />

Im 12. Stock des ehemaligen „Haus des<br />

Reisens“ am Alexanderplatz kann man<br />

ebenfalls ausgiebig feiern. Zudem wird ein<br />

imposanter Blick über <strong>Berlin</strong> geboten. Die<br />

große Dachterrasse einige Stockwerke höher<br />

lädt vor allem im Sommer neben dem<br />

Tanzen zum Relaxen ein. Gespielt wird<br />

feinster House, Electro und Techno. Der<br />

Eintritt sowie die Getränkepreise liegen bei<br />

den üblichen Clubpreisen dieser Stadt.<br />

www.week-end-berlin.de<br />

Am Alexanderplatz 5<br />

10178 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

Restaurants<br />

cha cha positive eating<br />

Thai Street Kitchen<br />

Die Küche verwendet frische, gesunde und<br />

leichte Zutaten. Gemüse, Obst, feinstes<br />

Fleisch und spezielle Gewürze sind ebenfalls<br />

Bestandteil der wohltuenden Gerichte:<br />

„Thai-Reis-Spaghetti mit Pfeffer-Bio-Hühnchen“<br />

oder „cha cha Gemüse-Frühlingsrollen-Salat“.<br />

Zu empfehlen ist die gelbe cha<br />

cha Limonade mit Aloe Vera Stückchen. „Bio“<br />

auf moderne Art im stylishen Ambiente.<br />

www.eatchacha.com<br />

Friedrichstraße 63<br />

10117 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

Mirchi Restaurant<br />

Das Restaurant bietet indische Küche an.<br />

Empfehlenswert sind nicht nur die Gerichte,<br />

sondern auch die Cocktails, von denen<br />

ausgewählte den gesamten Abend zum<br />

Happy-Hour-Preis von 4,90 Euro angeboten<br />

werden.<br />

www.amrit.de<br />

Oranienburger Straße 50<br />

10117 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

(Nähe U-Bhf. Oranienburger Tor)<br />

Oranienstraße 204<br />

10999 <strong>Berlin</strong>-Kreuzberg<br />

Sagano<br />

Wer lecker und preiswert im Westteil der<br />

Stadt Sushi und Cocktails trinken möchte,<br />

ist hier genau richtig. Das Sushi schmeckt<br />

lecker und ist qualitativ hochwertig. Junges<br />

Interior für junges Publikum.<br />

www.sagano.de<br />

Kurfürstendamm 182<br />

10707 <strong>Berlin</strong>-Charlottenburg<br />

(Nähe Olivaer Platz)<br />

Vapiano<br />

Auch die <strong>Berlin</strong>er Vapianos halten, was sie<br />

versprechen: Italienische Küche, preiswert,<br />

modernes Ambiente und zentral in der<br />

City gelegen.<br />

www.vapiano.com<br />

Vapiano <strong>Berlin</strong> 1<br />

Augsburger Straße 43<br />

(Nähe U-Bhf. Kurfürstendamm)<br />

Vapiano <strong>Berlin</strong> 2<br />

Potsdamer Platz 5<br />

Vapiano <strong>Berlin</strong> 3<br />

Mittelstraße 51-52<br />

(Nähe S+U-Bhf. Friedrichstraße)<br />

White Trash Fast Food<br />

Restaurant, Club und Tattoo Studio in einer<br />

Lo<strong>ca</strong>tion vereint. Das buntgemischte Design<br />

des Restaurants ist was fürs Auge – unbeschreiblich,<br />

davon muss man sich selbst<br />

überzeugen. Neben Steaks, werden auch<br />

Ceasar Salads, Burger und „Chilli Fries“ angeboten.<br />

Abwechselnd legen DJs ihre Musik<br />

auf: Underground, Indie, Mainstream, Country.<br />

www.whitetrashfastfood.com<br />

Schönhauser Allee 6/7<br />

10119 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

(Nähe U-Bhf. Rosa-Luxemburg-Platz)<br />

Shopping & Sightseeing<br />

In <strong>Berlin</strong> gibt es vieles zu entdecken. Empfehlenswert<br />

ist es daher, sich ab S+U-Bhf.<br />

Zoologischer Garten in die Buslinie 100<br />

zu setzen. Der Bus fährt in Richtung Alexanderplatz<br />

und hält an Stationen, die direkt<br />

an <strong>Berlin</strong>s schönen Sehenswürdigkeiten<br />

anknüpfen. Von West nach Ost zum<br />

BVG-Regeltarif. Eine teure Sightseeingtour<br />

kann man sich so sparen.<br />

Eine Station der Buslinie 100 ist Unter den<br />

Linden. Von dort aus geht es schnell in Richtung<br />

Brandenburger Tor oder Friedrichstraße,<br />

die einen in Großstadtfeeling<br />

versetzt und zum Shoppen verleitet, wie<br />

zum Beispiel in den Galeries Lafayette.<br />

Bleibt man im Bus sitzen und fährt weiter<br />

in Richtung Alexanderplatz, kann man<br />

den Fernsehturm, eines der Wahrzeichen in<br />

<strong>Berlin</strong>, besichtigen und sich im Alexa, dem<br />

großen Shoppingcenter, vergnügen.<br />

Vom Alexanderplatz aus ist es nicht weit<br />

zum Hackeschen Markt, in dessen<br />

Umgebung es viele Cafés und Läden gibt,<br />

die zum Shoppen einladen. Im Ostteil, vor<br />

allem in den Bezirken Mitte, Prenzlauer<br />

Berg und Friedrichshain, kann man sehr viel<br />

entdecken. Hier lohnt es sich spazieren zu<br />

gehen und die Augen nach kleinen Second-<br />

Hand-Läden und Cafés offen zu halten.<br />

Die Bergmannstraße (Nähe U-Bahnhof<br />

Mehringdamm) im Stadtteil Kreuzberg<br />

lädt mit ihren vielen Cafés und Restaurants<br />

ein zu verweilen. Die meisten Lokale bieten<br />

die Möglichkeit draußen auf der Straße zu<br />

sitzen und die Sonne zu genießen sowie die<br />

Passanten zu beobachten.<br />

Im Westen liegt der Kurfürstendamm,<br />

der bei einem <strong>Berlin</strong>-Trip immer einen<br />

Stopp wert ist. Zahlreiche Geschäfte, Cafés<br />

und Restaurant warten auf ihre Besucher.<br />

An schönen Tagen ist es sehr zu empfehlen,<br />

den gesamten Kurfürstendamm vom Ka-<br />

DeWe bis hin zum Halensee zu laufen:<br />

Großstadtfeeling, umgeben von schönen<br />

Altbauten.<br />

Annalena Jung<br />

Tip: In der City werden vor allem zum Wochenende<br />

hin Flyer verteilt, die bei Abgabe<br />

des Flyers in den Clubs eine Eintrittsermäßigung<br />

ermöglichen. Also: Augen auf!<br />

Die Stiftung Warentest gibt Neu-Studierenden<br />

wichtige Tipps zu den Themen „Geld“,<br />

„Jobs“, „Banken und Versicherungen“ etc.<br />

Zu finden auf www.test.de/studienbeginn.<br />

Auf der Homepage www.rabatte.unicum.<br />

de gibt es hilfreiche Informationen zum<br />

Thema „Gut und günstig im Studium“. Dort<br />

kann man sogar Hotels finden, bei denen<br />

man sich für einen Euro am Frühstücksbuffet<br />

satt essen kann.


Seite 18 Eindruck<br />

Hooters <strong>Berlin</strong><br />

Das Auge isst mit<br />

D<br />

as Auge isst mit, wie es schon<br />

auf der Speisekarte des 2009<br />

eröffneten Hooters Restaurants<br />

am <strong>Berlin</strong>er Tiergarten heißt. Damit<br />

ist gewiss nicht die ästhetische<br />

Aufbereitung der Speisen gemeint,<br />

sondern vielmehr das Umfeld,<br />

in dem das typisch amerikanische<br />

Essen genossen wird.<br />

Das erste in Deutschland eröffnete Restaurant<br />

der US amerikanischen Kette Hooters<br />

wurde in Neunkirchen im Saarland angelegt,<br />

passenderweise nahe der amerikanischen<br />

Air Base. Das <strong>Berlin</strong>er Hooters hat<br />

sich hingegen mit einem angehängten Biergarten<br />

„eingedeutscht“.<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Unschwer zu erkennen: Unsere Bedienung hieß Caro.<br />

Beim Betreten der Sports-Bar werden wir<br />

auf Englisch begrüßt, was ich in einem<br />

amerikanischen Restaurant sehr schätze.<br />

Die Begrüßung ist zudem dem internationalen<br />

Publikum angepasst. Das Ambiente ist<br />

ohne Veränderung aus den USA übernommen<br />

worden. An der Wand: Große amerikanische<br />

Verkehrsschilder, Neon-Werbe-<br />

Leuchten, Bilder von Stars und den<br />

Hooters-Girls und Fernseher auf denen<br />

Sport übertragen wird. Es wird laut Chart-<br />

Musik gespielt und auf den Tischen stehen<br />

sogenannte Bier-Pints (0,568 Liter). Dazwischen<br />

wuseln die immer gut gelaunten Bedienungen<br />

im einheitlichen knappen<br />

Hooters-Dress mit weißen Tank Tops und<br />

Hot Pants in dem bekannten Hooters-<br />

Orange.<br />

„Hi, ich bin Caro, euer Hooters-Girl für heute.“<br />

Sie schreibt ihren Namen auf den<br />

Bestellungs-Block und legt uns den Zettel<br />

auf den Tisch. Das Prinzip ist simpel aber<br />

effektiv. Der klischeehafte Männerwunsch<br />

nach Bier, Baseball und Busen bewegte sechs<br />

Amerikaner 1983 in Florida zur Gründung<br />

von Hooters, das bis heute mit 460 Restaurants<br />

in 27 Ländern vertreten ist. Weltweit<br />

wird dieselbe Erfolgsstrategie verfolgt: Mit<br />

dem Gast auf Tuchfühlung gehen. Der Restaurantname<br />

bedeutet umgangssprachlich<br />

einerseits Eule, die auch das Logo ziert, und<br />

andererseits ist Hooters ein Begriff für die<br />

Oberweite der Frauen. Die weiblichen<br />

Reize der Hooters-Girls sind unter anderem<br />

in unternehmensinternen Magazinen,<br />

Kalendern und Miss-Wahlen zu betrachten.<br />

Als Vorspeise wähle ich Sellerie-Karotten-<br />

Sticks mit Dip, die für ein gutes Gewissen<br />

vor den reichhaltigen Hauptspeisen sorgen.<br />

Vorsichtig bestelle ich die Chicken Wings<br />

mit dem Schärfegrad „Medium“. Wer einmal<br />

hier gegessen hat, weiß, dass der<br />

höchste der fünf Schärfestufen „911 Hot“<br />

eindeutig unter „Mutprobe“ einzuordnen<br />

ist. Die Chicken Wings sind etwas trocken,<br />

aber auf angenehme Weise knusprig. Leider<br />

habe ich vergessen den extra Wing-Dip zu<br />

bestellen, ohne den das Gericht etwas fade<br />

ist. Hierauf hätte mich jedoch auch die Bedienung<br />

aufmerksam machen können, die<br />

allgemein zwar sehr freundlich, aber auch<br />

unaufmerksam war. Die Spare Ribs hingegen<br />

sind mit einer saftigen Barbecue-Soße<br />

und Curley Fries zu empfehlen. Curley<br />

Fries sind zu einem Wirbel gedrehte<br />

Pommes Frittes, eine in Deutschland noch<br />

nicht sehr verbreitete Pommes-Variation,<br />

was definitiv nachzuholen ist. Die Portionen<br />

sind groß und nicht überteuert. Die<br />

billig wirkenden Küchenrollen, welche auf<br />

jedem Tisch als Serviertenersatz stehen,<br />

sind dringend notwendig, denn selbst Knigge<br />

sagt: Hähnchen isst man mit den Händen.<br />

Während des Essens wechselt die Beschallung<br />

zwischen unterhaltender Musik zu<br />

Sport-Reportern, die ein aktuell übertragenes<br />

Spiel kommentieren. Hin und wieder<br />

wird die Musik laut aufgedreht, wozu die<br />

wie Cheerleader gekleideten Bedienungen<br />

einen einstudierten „Klatsch-Hüpf-Tanz“<br />

aufführen um die Stimmung zu heben. Dabei<br />

wird klar, dass das Corporate Image der<br />

Hooters Filialen auf eine vorwiegend jüngere<br />

männliche Zielgruppe abgestimmt<br />

scheint, wohingegen in den US-Ketten auch<br />

viele Frauen und Familien anzutreffen sind.<br />

Die etwas irritierende Toiletten-Beschilderung<br />

„Most Men“ und „All Women“ kann<br />

scherzweise so interpretiert werden, dass<br />

das Lokal nichts dagegen hat, wenn auch<br />

mal Männer zusammen mit einer Frau auf<br />

der Damentoilette verschwinden. Dort, so<br />

habe ich es mir sagen lassen, finden sich im<br />

Waschbecken jedoch verloren gegangene<br />

Haare der Hooters-Girls wieder.<br />

Ein letztes Mal rumpelt die S-Bahn über<br />

unsere Köpfe hinweg und nachdem Caro<br />

fertig getanzt hat, lassen wir die Rechnung<br />

kommen. Diese wird mit Schnörkeln und<br />

einem Herzchen verziert überreicht in<br />

dem Wissen, dass das Trinkgeld entsprechend<br />

großzügig ausfallen wird. Alles in<br />

allem ist diese Art von Erlebnis-Gastronomie<br />

„Geschmacksache“, jedoch bin ich mir<br />

nach diesem Abend sicher, wo ich den<br />

nächsten Super Bowl verfolgen werde.<br />

Maximilian Fritz<br />

Hooters <strong>Berlin</strong><br />

S-Bahn Haltestelle Tiergarten<br />

Straße des 17. Juni 131<br />

Telefon (030) 310 17 011<br />

www.hooters-berlin.de


Eindruck<br />

Interessantes über den Alten St.-Matthäus-Kirchhof<br />

Ein Friedhof der<br />

besonderen Art<br />

D<br />

ass der Alte St.-Matthäus-<br />

Kirchhof im <strong>Berlin</strong>er Stadtteil<br />

Schöneberg Ungewöhnliches<br />

verbirgt, erkennt man auf den ersten<br />

Blick nicht. Stutzig wird man<br />

trotzdem, wenn einem bewusst<br />

wird, dass das Häuschen links neben<br />

dem Tor des Haupteingangs<br />

ein Café, das finovo, beherbergt.<br />

Bei Kaffee und Kuchen ist es hier<br />

möglich, gemütlich auf dem Friedhofsareal<br />

zusammen zu sitzen und<br />

über Gott, die Welt sowie den einen<br />

oder anderen verstorbenen<br />

Liebling zu reden.<br />

Dieser Kirchhof hat eine alte Geschichte:<br />

1856 gründete die evangelische St.-Matthäus<br />

Kirchengemeinde ihre Begräbnisstätte.<br />

Mit den Jahren ließen sich nicht nur Mitglieder<br />

der Gemeinde hier beerdigen, sondern<br />

auch „Außenstehende“, wodurch er<br />

erweitert werden musste. Zudem konnte<br />

die Kirchengemeinde Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

eine neue Kirche im italienischen<br />

Renaissance- und Barockstil errichten lassen,<br />

die sich auch heute noch in der Nähe<br />

des Haupteingangs befindet.<br />

Auch die Auswirkungen des Dritten Reiches<br />

machten vor dem Kirchhof nicht Halt.<br />

Ein Drittel der Ruhestätten wurden<br />

1938/39 zerstört und sollten Albert Speers<br />

Visionen weichen, da er für die Welthauptstadt<br />

Germania eine überdimensionale Autobahn<br />

plante. Das Ende des Krieges vereitelte<br />

diesen Plan. Trotzdem wurden<br />

aufgrund des Vorhabens zahlreiche Gräber<br />

versetzt.<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Die Skulptur für die „Sternenkinder“ hat Thekla Furch gestaltet.<br />

Auf dem Friedhof befindet sich auch ein<br />

Gedenkstein für die verstorbenen Widerstandskämpfer<br />

in der NS-Zeit. Der Name<br />

Claus Schenk Graf von Stauffenberg fällt<br />

einem sofort ins Auge. Ihm wird ein besonderes<br />

Schicksal, verbunden mit dem St.-<br />

Matthäus-Kirchhof, zuteil: Nach seiner Exekution<br />

wurde er auf dem Firedhof begraben,<br />

aber kurz nach der Beerdigung von Nationalsozialisten<br />

wieder ausgegraben und an<br />

einen unbekannten Ort versetzt.<br />

Gräber bekannter Persönlichkeiten kann<br />

man auch auf dem Friedhof entdecken. Bei<br />

näherem Betrachten liest man Namen von<br />

Dichtern vorangegangener Jahrhunderte,<br />

aber auch von bekannten Künstlern. Die<br />

wohl prominentesten Literaten, die auf<br />

dem Alten St. Matthäus Kirchhof ihre letzte<br />

Rufe fanden, sind die Gebrüder Grimm, Jacob<br />

(1785-1863) und Wilhelm (1786-1859).<br />

Aber auch Friedrich Adolf Wilhelm Diesterweg<br />

(1790-1866), dessen Nachname auf<br />

vielen Grundschullehrbüchern erscheint,<br />

wurde auf dem Kirchhof beerdigt, genau so<br />

wie Friedrich Drake (1805-1882), ein Bildhauer,<br />

der die Viktoria auf der <strong>Berlin</strong>er Siegessäule<br />

erschuf, und Prof. Dr. Rudolf<br />

Virchow (1821-1902), der als Begründer<br />

der modernen Pathologie gilt.<br />

Ungewöhnlich mutet auch an, dass der<br />

„Denk mal positHIV“-Verein eine Grabpatenschaft<br />

übernommen hat und somit die<br />

Möglichkeit schuf, dass Schwule gemeinsam<br />

in einer Grabstelle ihre letzte Ruhe finden.<br />

Hier wurden schon einige, zum Teil auch<br />

sehr junge Homosexuelle beerdigt.<br />

Aufmerksamkeit muss man auch einer<br />

Seite 19<br />

Skulptur von Thekla Furch widmen. Das<br />

Kunstwerk ist Teil des Projekts „Sternenkinder“<br />

und befindet sich auf der Begräbnisanlage<br />

für Totgeburten und Föten. Hier<br />

haben Eltern die Möglichkeit, ihren verstorbenen<br />

Kindern eine Ruhestätte zu geben,<br />

da Totgeburten oder Föten nach deutschen<br />

Richtlinien grundsätzlich nicht beerdigt<br />

werden müssen.<br />

Möglich wird dies durch den EFEU e.V. Der<br />

gemeinnützige Verein kümmert sich um die<br />

Erhaltung und Pflege des Friedhofs, bietet<br />

u. a. Führungen an und schafft durch die<br />

Zusammenarbeit mit dem Café finovo einen<br />

Ort der Zusammenkunft, da die oberen<br />

Räume des Cafés für Beisetzungsfeiern,<br />

Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt<br />

werden können. Eine weitere Aufgabe vom<br />

EFEU e.V. ist die Vermittlung von Grabpatenschaften.<br />

Der Verein sucht Paten, die<br />

sich um den Erhalt einer Ruhestätte kümmern.<br />

Dafür können sie diese beim Todesfall<br />

als eigene Grabstelle nutzen. Auf dem<br />

Kirchhof lassen sich einige verfallene Grabanlagen<br />

entdecken. Mausoleen säumen die<br />

Wege durch die Grabmäler, die heute<br />

durch ihre Größe und kunstvolle Verzierungen<br />

auf ein einst prächtiges Aussehen<br />

verweisen. Viele haben jedoch einen hohen<br />

Restaurierungsbedarf, sodass mit etwa<br />

100.000 Euro Aufwand gerechnet werden<br />

muss. Auf dem Kirchhof gibt es imposante<br />

Wandgräber, die durch kunstvolle Gitter<br />

voneinander abgegrenzt werden, aber auch<br />

kleinere, nicht minder künstlerische Grabstätten,<br />

die zeigen, wie schöpferisch und<br />

kreativ Ruhestätten aussehen können.<br />

Nicht nur diese originellen Grabmäler lassen<br />

den Alten St.-Matthäus-Kirchhof als ungewöhnlichen<br />

Friedhof erscheinen.<br />

Wenn man nach einem Rundgang über den<br />

Friedhof zum Haupteingang wieder zurückkehrt,<br />

passiert man unweigerlich das Café<br />

finovo. Ein Friedhofs<strong>ca</strong>fé. Es ist untypisch,<br />

ungewöhnlich, aber eins ist es nicht: unpassend.<br />

Annalena Jung


Seite 20<br />

Schwule im Profifußball<br />

„Randgruppe“ im<br />

Mainstream<br />

E<br />

s ist eine der meist diskutierten<br />

Fragen im deutschen<br />

Fußball: Hat man als Homosexueller<br />

eine Chance, im<br />

Profifußball zu existieren und<br />

kann man es wagen sich zu outen?<br />

Der Deutsche Fußball Bund<br />

(DFB) und allen voran dessen<br />

Präsident Dr. Theo Zwanziger<br />

setzen sich für Toleranz gegenüber<br />

Homosexuellen ein. Jedoch<br />

gibt es auch Bedenken und verschiedene<br />

Meinungen auf Seiten<br />

der Trainer und Verantwortlichen.<br />

Zwanziger beschäftigt sich immer wieder<br />

mit dem Thema der sexuellen Orientierung<br />

im Fußball. Er stellte in seiner Rede vor<br />

dem Völklinger Kreis klar, dass die Würde<br />

eines jeden Menschen unantastbar sei. Es<br />

sei die Aufgabe der Zivilgesellschaft, zu der<br />

Fußball zweifellos gehöre, das deutlich zu<br />

machen. Fußball sei in Deutschland und der<br />

ganzen Welt sehr populär. Zwanziger führte<br />

weiter aus, dass neben dem sportlichen<br />

Vergnügen auch gesellschaftliche Beiträge<br />

geleistet werden müssten. Er nannte Beispiele,<br />

wie die Weltmeisterschaften 1954<br />

und 2006, die große gesellschaftliche Fortschritte<br />

in Deutschland gebracht hätten.<br />

Der Sieg der Weltmeisterschaft 1954 hätte<br />

ein neues Wir-Gefühl gebracht und ein<br />

neues Vertrauen in der schweren Nachkriegszeit<br />

herbeigeführt. Die Weltmeisterschaft<br />

2006 hätte in Deutschland ein neues<br />

Klima geschaffen und ein positives Bild im<br />

Ausland erzeugt. Wenn man als Fußballer<br />

solch eine Weltmeisterschaft im eigenen<br />

Land feiert, komme die Überlegung: Was<br />

kann für die Gesellschaft auch im Blick auf<br />

Toleranz und Akzeptanz getan werden?<br />

In den 1990er Jahren wäre man zur Einsicht<br />

gekommen: „Wenn man stark ist,<br />

muss man auch an die Schwächeren denken.“,<br />

so Zwanziger. Erste Projekte zur sozialen<br />

Verantwortung seien entstanden.<br />

1998 sei die Satzung des DFB erweitert<br />

worden. Der Verband trete entschieden jeder<br />

Art von Diskriminierung entgegen.<br />

Dies hätte nichts damit zu tun, dass man<br />

Politik machen wolle, aber der Sport müsse<br />

sich weiterentwickeln. Es ginge nicht darum,<br />

eine heile Welt auszurufen, sondern<br />

die Einstellung des DFB preiszugeben. Fußball<br />

sei sehr medienpräsent, es gebe also<br />

eine Chance einen Veränderungsprozess<br />

mitzugestalten. Jeder solle Fußball spielen<br />

können, Jungen und Mädchen egal welcher<br />

Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung.<br />

Man könne durch Projekte, Kommunikation<br />

und klare Orientierung manche<br />

Tabus relativieren und mit der Zeit sogar<br />

verschwinden lassen, so Zwanziger. In den<br />

letzten Jahren habe man den Trainern und<br />

jedem der Verantwortlichen klar gemacht,<br />

dass sexuelle Orientierung nie ein Merkmal<br />

oder Kennzeichen für Ausgrenzung sein<br />

dürfe. Ein entsprechender Prozess würde<br />

auch allmählich voran schreiten, jedoch sei<br />

man noch nicht am Ende. Im Amateurbereich<br />

sei Homosexualität kein großes Thema<br />

mehr, im Profibereich aber sei die Situation<br />

äußerst schwierig.<br />

Zudem meldete Zwanziger Bedenken an,<br />

die er an zwei Überlegungen fest mache.<br />

Die erste stimme ihn sehr nachdenklich,<br />

Foto: David Koch<br />

Stolz vor Gleichberechtigung?<br />

Eindruck<br />

wenn sie richtig sei, denn nach mehreren<br />

Gesprächen halte er es für möglich, dass es<br />

im Profifußball mit Sicherheit nicht viele<br />

schwule Spieler geben würde, da diese gar<br />

nicht soweit kommen würden. Denn neben<br />

außergewöhnlichem Talent brauche man in<br />

der Regel einen freien Kopf. Er könne sich<br />

vorstellen, dass, wenn man ein junger, hoch<br />

talentierter, aber schwuler Fußballspieler<br />

sei, die Jahre des Versteckspiels viel Kraft<br />

kosten würden. Diese Kraft könnte fehlen<br />

um die erste Geige im Profisport zu spielen.<br />

Dadurch wiederum würde Talent verloren<br />

gehen, das man gut gebrauchen könne.<br />

Zweitens: Wenn es wirklich homosexuelle<br />

Profis gibt, so führte Zwanziger weiter aus,<br />

befinden die sich auch in einem Team aus<br />

den unterschiedlichsten Kulturen. Bei manchen<br />

dieser Kulturen sehe man Homosexualität<br />

allerdings eher kritisch. Außerdem<br />

könne der Trainer noch so tolerant sein<br />

und bei einem Coming-Out helfen, am<br />

Ende zähle nur der Erfolg der Mannschaft.<br />

Wer möchte schon seine Karriere aufs<br />

Spiel setzen oder verantwortlich sein, wenn<br />

das Team nach dem Outing nicht mehr<br />

funktioniere? Das alles sei mit einzukalkulieren.<br />

Doch der Verband stehe zu dem, was er<br />

formuliert habe. Man orientiere sich in die<br />

richtige Richtung, brauche aber Zeit, um<br />

alle Beteiligten nicht zu überfordern. Ein<br />

DFB-Präsident könne kein Coming-Out<br />

herbeiführen, sondern nur das Signal senden,<br />

dass Homosexuelle nicht aussortiert<br />

würden. Es sei auch eine Aufgabe für spätere<br />

Generationen, weil aufzeigt werden<br />

müsse, dass das menschliche Miteinander<br />

nicht von der sexuellen Orientierung abhängig<br />

sei.<br />

Bekannte Trainer wie Felix Magath oder<br />

Jürgen Klopp sagen zu der Frage, ob denn<br />

die Bundesliga reif für Outings sei, folgendes:<br />

Magath: „In unserer Gesellschaft hat man<br />

es schwer, wenn man anders ist. Wir neigen<br />

dazu, Dinge aufzubauschen. Es gehört sehr<br />

viel Mut dazu, sich zu etwas zu bekennen.“


Eindruck Seite 21<br />

Klopp: „Unsere Gesellschaft ist schon lange<br />

bereit für Outings. Nur unser Fußball nicht!<br />

Was für Geschichten würden auch in den<br />

Medien entstehen, wenn sich der erste<br />

Spieler zu seiner Homosexualität bekennen<br />

würde. So etwas im Fußball sozialvertäglich<br />

zu äußern, das geht meiner Meinung<br />

noch nicht.“<br />

Aber vor nicht allzu langer Zeit gab es noch<br />

ganz andere Meinungen zum Thema Homosexualität<br />

im Profifußball. Im Jahr 2008<br />

sagte Christoph Daum, damals noch Trainer<br />

des 1. FC Köln, er hätte wirklich Bedenken,<br />

wenn von Theo Zwanziger irgendwelche<br />

Liberalisierungsgedanken einfließen<br />

sollen. Er würde den Schutz der Kinder<br />

über jegliche Liberalisierung stellen. Damit<br />

brachte er Homosexuelle in Verbindung<br />

mit Kindesmissbrauch. Beispiele für Homophobie<br />

gab es schon früher. Der ehemalige<br />

Libero des 1. FC Köln, Paul Steiner (von<br />

1981 bis 1991), fasste den verbreiteten Tenor<br />

in den achtziger Jahren so zusammen:<br />

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule<br />

Fußball spielen können.“ 1982 wurde in<br />

England Justin Fashanu von seinem Coach<br />

bei Nottingham Forrest beschimpft und<br />

vom Platz gestellt, nachdem er erfahren<br />

hatte, dass er schwul ist. Als erster und bislang<br />

einziger homosexueller Fußballprofi<br />

outete sich Fashanu 1990, und verkaufte<br />

seine Geschichte für 80.000 Britische Pfund<br />

an eine englische Boulevardzeitung. Acht<br />

Jahre später erhängte er sich in einer Londoner<br />

Garage. Er ertrug die Beleidigungen<br />

nicht mehr.<br />

Nur langsam setzte in den folgenden Jahren<br />

ein Umdenken ein. Der kroatische Fußballtrainer<br />

Otto Baric wurde als Erster wegen<br />

Homophobie vom europäischen Fußballverband<br />

Uefa verurteilt. „Ich sage das, was<br />

viele denken: Ich werde niemals einen<br />

Schwulen in meinem Team spielen lassen”,<br />

so äußerte sich Baric 2007 und musste<br />

3000 Schweizer Franken Strafe zahlen.<br />

Nach Meinung des FC St. Pauli- Präsidenten<br />

Corny Littmann wird Homosexualität weiter<br />

ein Tabu-Thema bleiben. Er könne verstehen,<br />

dass sich schwule Fußball-Profis<br />

nicht outen wollen. Die Gefahr, dass sie an<br />

den Pranger gestellt werden, sei hoch. Littmann,<br />

selber schwul, meint, wenn sich<br />

plötzlich einer oute, werde ihm ewig anhängen,<br />

der erste schwule Fußballer der<br />

Bundesliga gewesen zu sein. Ob ein junger<br />

Mensch mit diesem Prädikat wohl rumlaufen<br />

wolle?<br />

David Koch<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Beschimpfungen gehören im Stadion zum guten Ton


Seite 22<br />

Redaktionsbesuch bei der TAZ<br />

Eine etwas<br />

andere Zeitung<br />

E<br />

s ist Montag, 9:25 Uhr. Im tazpresso<br />

ist gerade nicht viel los.<br />

Es ist das hauseigene Café der taz,<br />

das von der Rudi-Dutschke-Straße<br />

aus einsehbar ist. Von dort aus<br />

kann die belebte Straße mit Menschen<br />

auf dem Weg zu ihrer Arbeit<br />

und Touristen, die vom nahen<br />

Checkpoint Charlie herüberkommen,<br />

beobachtet werden. Das tazpresso<br />

ist Sinnbild für enge Bindung<br />

zwischen Zeitung und<br />

Lesern, Schreibenden und zu Beschreibendem.<br />

Warum noch nicht soviel los ist, lässt sich<br />

vielleicht damit erklären, dass in wenigen<br />

Momenten die Redaktionssitzung der taz<br />

stattfindet. Ein Stockwerk über dem tazpresso<br />

befindet sich die Zeitung selbst. Es<br />

herrscht viel Bewegung. Die meisten machen<br />

sich in den Raum auf. Es dauert nicht<br />

lange, dann ist jeder Stuhl besetzt. Es ist erkennbar,<br />

dass hier kein Meeting von Bankern<br />

oder Managern vonstatten geht. Hier<br />

gibt es keinen Dresscode, die bunte Palette<br />

der Textilindustrie ist hier vertreten. Nachdem<br />

es einigermaßen still geworden ist, beginnt<br />

die Redaktionssitzung mit der Blattkritik<br />

der Zeitung vom Wochenende. Der<br />

Mitarbeiter, der für die heutige Blattkritik<br />

zuständig ist, geht die Zeitung von vorne<br />

nach hinten durch. Dabei scheint wichtig zu<br />

sein, dass die Artikel verständlich sind. Der<br />

Mitarbeiter macht keinen Hehl daraus,<br />

wenn er einen Artikel nicht verstanden hat<br />

und wenn ihm etwas nicht gefällt, doch er<br />

lobt auch das Positive, das Gelungene. Es<br />

wird die gesamte Zeitung bewertet und<br />

nicht nur der Teil, für den der Mitarbeiter<br />

selbst zuständig ist. Das verhindert einen<br />

„Tunnelblick“ und sorgt für eine objektivere<br />

Bewertung. Bei der Blattkritik wird<br />

nicht nur auf Inhalte geachtet, sondern<br />

auch auf Aufmacher, Überschriften, Bild,<br />

Unterzeilen und die Zuordnung von Fotos.<br />

Der Blattkritik folgt eine Diskussionsrunde,<br />

die anderen Redaktionsmitglieder kommentieren<br />

Teile der Zeitung vom Vortag<br />

aus ihrer Sicht. So entsteht eine Mischung<br />

aus Komplimenten, Kritik und Verbesse-<br />

rungsvorschlägen. Jeder darf seine Meinung<br />

sagen, keiner hält sich zurück. Der Chef<br />

vom Dienst erteilt jeweils das Wort, damit<br />

nicht alles durcheinander läuft. Es kristallisieren<br />

sich zwei größere Diskussionen heraus:<br />

Zum einen, ob die taz denn zu regional<br />

agiert. Was denken die Leser aus<br />

anderen Regionen über die Zeitung? Kommen<br />

die Inhalte auch außerhalb <strong>Berlin</strong>s an?<br />

Es wird gesagt, dass genauer darauf zu achten<br />

ist, um auch außerhalb der Region interessierte<br />

Leser zu erreichen und diese<br />

nicht mit zu vielen regionalen Artikeln zu<br />

konfrontieren. Die größte Diskussion jedoch<br />

gibt es zum Thema Onlineauftritt. Es<br />

wird kritisiert, dass nicht alle Artikel aus<br />

dem Printbereich online zu Verfügung stehen.<br />

Auch wird kritisiert, dass einige Beiträge<br />

zu wenig angeklickt werden. Es geht hin<br />

und her, es werden viele verschiedene<br />

Argumente gesammelt. Eine Redakteurin<br />

führt aus, die taz solle sich doch ein Beispiel<br />

an der New York Times nehmen, die nach einer<br />

Studie herausgefunden hat, dass man<br />

nicht nur nach den Klicks gehen kann, da<br />

interessierte Leser Artikel per mail weiter<br />

senden würden, um auch andere darauf<br />

aufmerksam zu machen. Außerdem wolle,<br />

so die Journalistin weiter, die taz doch gerade<br />

auch Minderheiten ansprechen. Wäh-<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

In der TAZ ist selbst das Chaos im Archiv Programm.<br />

Eindruck<br />

rend der Diskussion steht einer wütend auf<br />

und verlässt den Raum, um sich vor der Tür<br />

etwas lauter aufzuregen. Aus zeitlichen<br />

Gründen wird festgelegt, dass man eine extra<br />

Sitzung zum Onlineauftritt veranstalten<br />

will und man sich mit diesem Thema weiter<br />

beschäftigen muss.<br />

Am Ende werden die voraussichtlichen<br />

Themen der morgigen Zeitung von den<br />

verschiedenen Abteilungen vorgestellt. Es<br />

wird diskutiert was unbedingt rein muss,<br />

dazu in welcher Form oder ob man doch<br />

lieber etwas anderes nimmt. Dabei spielen<br />

schon konkrete Seitenzahlen eine Rolle<br />

und was kommentiert werden soll. Nachdem<br />

die Zeitung des kommenden Tages<br />

eine Inhaltsstruktur bekommen hat, wird<br />

die Sitzung beendet.<br />

Manche Sitzungsteilnehmer sieht man danach<br />

in dem jetzt immer voller werdenden,<br />

tazpresso. Es wird erst mal etwas getrunken<br />

oder gegessen und wohl noch ein wenig<br />

weiter diskutiert, bevor sie sich auf den<br />

Weg zum Arbeitsplatz machen, um ihren<br />

Teil der neuen taz mitzugestalten.<br />

David Koch


Eindruck Seite 23<br />

Prof. Dr. Bernhard Vogel im Gespräch<br />

Politisches<br />

Urgestein<br />

Prof. Dr. Bernhard Vogel<br />

Der Christdemokrat und promovierte Politikwissenschaftler<br />

Dr. phil. Bernhard Vogel<br />

(*19. Dezember 1932 in Göttingen) ist der<br />

einzige deutsche Politiker, der in zwei Bundesländern<br />

- Rheinland-Pfalz und Thüringen<br />

- Ministerpräsident war.<br />

Wie sein älterer Bruder Hans-Jochen, der<br />

bereits mit 34 Jahren sozialdemokratischer<br />

Oberbürgermeister von München wurde,<br />

und später gar zum SPD-Bundesvorsitzenden<br />

aufstieg, war auch Bernhard Vogel, der<br />

1960 in die CDU eingetreten war, ein politischer<br />

Frühstarter: mit 32 zog er in den<br />

Deutschen Bundestag ein, 1967 saß er mit<br />

gerade einmal 35 Jahren als Kultusminister<br />

im Landeskabinett von Rheinland-Pfalz. Da<br />

erst, so sagte er es der „Märkischen Oderzeitung“,<br />

habe er gewusst, „dass ich wohl<br />

dauerhaft in der Politik bleiben werde.“<br />

1976 beerbte Vogel, der bei Feind wie<br />

Freund als charmant, belesen, integer und<br />

glaubwürdig, dabei bisweilen aber auch als<br />

ungeduldig gilt, Helmut Kohl als Ministerpräsident.<br />

Als ihm seine Parteifreunde 1988<br />

bei einem Parteitag in Koblenz die Wiederwahl<br />

als CDU-Landeschef verweigerten,<br />

trat der Speyerer gedemütigt auch als Ministerpräsident<br />

von Rheinland-Pfalz zurück.<br />

Vier Monate nach seinem Sturz, im März<br />

1989, wurde er Chef der Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung, 1992, die Anführer der innerparteilichen<br />

Revolte von Koblenz waren da<br />

schon längst vergessen, wurde Vogel Thüringer<br />

Landeschef. Ein Amt, mit dem er<br />

dann absolute Mehrheiten gewann, und das<br />

er 2004 an seinen Ziehsohn Dieter Althaus<br />

weitergab. Vogel gilt als „Arbeitstier“. Die,<br />

die ihn kennen, bescheinigen ihm Pflichtbewusstsein<br />

und Selbstdisziplin.<br />

Heute ist der passionierte Wanderer und<br />

Bergsteiger, Weinkenner und Zigarrenliebhaber<br />

Ehrenvorsitzender der Konrad-<br />

Adenauer-Stiftung, viel gefragter Zeitzeuge<br />

und er verfasst regelmässig Kolumnen für<br />

Zeitungen. Sein Motto lautet: „Was du tust,<br />

das tue klug und bedenke das Ende.“<br />

Holger Doetsch<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Interview Bernhard Vogel<br />

Wenn sie jemandem begegnen würde,<br />

der keinerlei Ahnung von Politik<br />

hat, wie würden Sie ihm „Politik“<br />

erläutern?<br />

Politik ist, das Zusammenleben einer größeren<br />

Zahl von Menschen so zu ordnen,<br />

dass jeder seine Chance hat.<br />

Was sind für Sie Parteifreunde? Sind<br />

das richtige Freunde? Oder braucht<br />

man diese nur zur Umsetzung von<br />

Plänen?<br />

Parteifreunde sollen Menschen sein, die der<br />

gleichen Partei, wie man selber, angehören<br />

und mit denen man befreundet ist. Natürlich<br />

unterscheiden sich die Parteifreunde<br />

von Freundschaften außerhalb der Partei.<br />

Aber leider vor allem dadurch, dass der Begriff<br />

Parteifreund oft verwendet wird, wenn<br />

gar nicht Parteifreunde gemeint sind.<br />

Das heißt, man muss zwischen Parteifreunden<br />

und Freunden differenzieren?<br />

Man muss sich fragen, ob jeder, der sich als<br />

Parteifreund bezeichnet, auch tatsächlich<br />

ein Freund ist.<br />

Kann es auch parteiübergreifende<br />

Freundschaften geben?<br />

Ja, selbstverständlich. Es kann konfessionsübergreifend,<br />

staatenübergreifend, parteiübergreifend,<br />

geschlechterübergreifend und<br />

generationsübergreifend Freunde geben.<br />

Können Sie uns einen Namen nennen<br />

für eine parteiübergreifende<br />

Freundschaft die sie pflegen oder<br />

gepflegt haben?<br />

Beispielsweise hat mich über Jahrzehnte<br />

eine herzliche Freundschaft mit Johannes<br />

Rau verbunden. Obwohl Johannes Rau nun<br />

wirklich ein eingefleischter und überzeugter<br />

Sozialdemokrat war und ich mich<br />

von früher Jugend an den Zielen der CDU<br />

verbunden gefühlt habe.<br />

Warum sind Sie in die Politik gegangen<br />

– was waren Ihre Ziele und Wünsche?<br />

Ich habe zu keinem Tag beschlossen in die<br />

Politik zu gehen. Sondern der erste Schritt<br />

war, dass ein mit mir befreundeter KFZ-<br />

Meister in Heidelberg mich gewonnen hat,<br />

für den Heidelberger Stadtrat zu kandidieren.<br />

Nach der Zusage hat das bedeutet,<br />

dass ich der Partei, für die ich kandidiert<br />

habe, der CDU, auch beigetreten bin. Kein<br />

Mensch, am wenigstens ich selber, hat mit<br />

der Bereitschaft zur Stadtratskandidatur<br />

den Beschluss, ganz in die Politik zu gehen,<br />

vermutet. Ein paar Jahre später kamen Leute<br />

die mich von einem sozialen Seminar her<br />

kannten und sagten: „Wir suchen einen<br />

Bundestagskandidaten, wären sie nicht bereit?<br />

Sie halten immer so gute Reden über<br />

soziale Marktwirtschaft und christliche Soziallehre,<br />

haben sie nicht Lust zu kandidieren?“<br />

Nach einigem Überlegen habe ich<br />

gesagt: „Ach ja, vier Jahre könnte man praktische<br />

Erfahrung sammeln, bevor man wieder<br />

zurückkehrt zu der Absicht in der<br />

politischen Wissenschaft eine Habilitationsschrift<br />

zu schreiben.“ Auch da habe ich<br />

nicht entschieden in die Politik zu gehen.<br />

Dann bin ich nach ein paar Jahren aufgefordert<br />

worden Kultusminister in Rheinland-<br />

Pfalz zu werden. Das hat mich natürlich<br />

gereizt, damals mit 34 Jahren. Das war eine


Seite 24 Eindruck<br />

Chance die man nicht ohne weiteres wieder<br />

bekommt und ich habe zugesagt. Da<br />

hat mir dann langsam gedämmert, dass die<br />

Politik mein Beruf werden würde. Aber um<br />

es noch mal zu sagen, ich habe nie den Entschluss<br />

gefasst, Politiker zu werden.<br />

Hat Sie damals Helmut Kohl gefragt,<br />

ob sie für den Bundestag kandidieren<br />

wollen?<br />

Nein. Das wird immer wieder gerne erzählt.<br />

Weil es einmal irgendwer erzählt hat,<br />

schreiben es alle ab. Ich kannte Helmut<br />

Kohl aus der Studentenzeit. Er hatte etwas<br />

andere Schwerpunkte in den Studienfächern<br />

als ich. Aber wir waren gemeinsam,<br />

über mehrerer Semester, in einem Seminar<br />

von Dolf Sternberger. Da haben wir uns näher<br />

kennengelernt. Es ist richtig, dass, als<br />

die Speyerer und Neustädter, der pfälzische<br />

Teil von Rheinland-Pfalz, kamen und mich<br />

nach der Bereitschaft zur Bundestagskandidatur<br />

gefragt haben, sagten: „Wir müssen<br />

allerdings auch noch Helmut Kohl fragen.“<br />

Aber die Idee zu dieser Kandidatur ging damals<br />

von anderen aus.<br />

Warum haben sie sich für die CDU<br />

als ihre Partei entschieden und ihr<br />

Bruder Hans-Jochen für die SPD?<br />

Eine ebenso häufig gestellte, wie relativ einfach<br />

zu beantwortende Frage. Die Erklärung<br />

liegt nicht in unserem Elternhaus begründet,<br />

sondern in der Zeitgeschichte.<br />

Mein Bruder, der sieben Jahre älter ist als<br />

ich, war noch gezwungen in den letzten beiden<br />

Jahren des zweiten Weltkriegs teilzunehmen.<br />

Er kam aus dem Zweiten Weltkrieg<br />

1945 mit 19 Jahren zurück. Er war<br />

damals beeindruckt von dem, in der Tat beeindruckenden,<br />

Kurt Schumacher, dem Vorsitzenden<br />

der Sozialdemokratischen Partei<br />

in Deutschland, der im Krieg und im KZ<br />

ungeheuer gelitten hatte, und eine beispielgebende<br />

Figur gewesen ist, in der Situation<br />

des totalen Zusammenbruches des Deutschen<br />

Reiches. Ich bin zum Nachdenken<br />

über Politik und Geschichte Jahre später<br />

gekommen, nämlich in der Schule, als Konrad<br />

Adenauer bereits deutscher Bundeskanzler<br />

war. Sein Weg der Westintegration<br />

und der Sozialen Marktwirtschaft hat mich<br />

beeindruckt, seine Persönlichkeit hat mich<br />

begeistert. Außerdem bin ich in einer katholischen<br />

Schülergemeinschaft aufgewachsen,<br />

bei der die katholische Soziallehre eine<br />

große Rolle gespielt hat. Diese war auch bei<br />

der Gründung der CDU von Bedeutung.<br />

Deshalb war mir klar, dass, wenn ich einer<br />

Partei beitreten würde, für mich nur die<br />

CDU in Frage käme.<br />

Streiten Sie sich mit Ihrem Bruder<br />

über politische Fragen? Und stimmt<br />

es, dass Ihre Mutter Ihnen beiden<br />

verboten hat, zu Hause über Politik<br />

zu streiten?<br />

Zunächst hat die Tatsache, dass mein Bruder<br />

in die SPD eintrat und ich in die CDU,<br />

niemanden sonderlich aufgeregt. Man hat<br />

gedacht, der eine wird mal Rechtsanwalt,<br />

warum soll der nicht in der SPD sein, und<br />

der andere wird, wenn er es schafft, vielleicht<br />

mal Professor, warum soll der nicht<br />

in der CDU sein? Bedeutsam ist das erst<br />

geworden, als mein Bruder in sehr jungen<br />

Jahren Oberbürgermeister von München<br />

wurde, dies mit der Unterstützung der<br />

SPD, und ich ein paar Jahre später, als CDU<br />

Mitglied, Kultusminister von Rheinland-<br />

Pfalz. Da hat die Öffentlichkeit erstmals von<br />

dieser Tatsache Notiz genommen. Vorher<br />

hat das weder die Familie noch sonst wen<br />

sonderlich beschäftigt und aufgeregt. Wir<br />

haben dann, über Jahrzehnte, beide außerordentlich<br />

fordernde Aufgaben gehabt.<br />

Mein Bruder: Oberbürgermeister von<br />

München und <strong>Berlin</strong>, Bundesminister, Bundesvorsitzender<br />

der SPD, Kanzlerkandidat.<br />

Ich: Kultusminister und Ministerpräsident<br />

in Rheinland-Pfalz und Thüringen. Wir haben<br />

nicht wahnsinnig viel Zeit gehabt uns<br />

zu streiten und wenn wir uns bei Familienfeiern<br />

gesehen haben, dann haben wir uns,<br />

nicht weil unsere Mutter das angeordnet<br />

hätte, sondern mit Rücksicht auf unsere Eltern,<br />

vor allzu heftigem Streit zurückgehalten.<br />

Über Jahrzehnte haben wir wohl beide<br />

gemeint, der jeweils andere wird einsehen,<br />

dass er in der falschen Partei sei. Später hat<br />

sich diese Vorstellung gelegt, und wir haben<br />

begonnen zu respektieren, dass wir beide<br />

meinen, der jeweilige Bruder sei in der<br />

falschen Partei.<br />

In Rheinland-Pfalz haben Sie am 11.<br />

November 1988 nach dem Verlust<br />

der Parteiführung an Hans Otto<br />

Wilhelm Ihren Ministerpräsidentenposten<br />

abgegeben. Warum haben<br />

Sie das getan?<br />

Ich habe schon vor der entscheidenden<br />

Wahl auf dem Landesparteitag im November<br />

1988 erklärt, wenn ich nicht mehr das<br />

Vertrauen meiner Partei als Vorsitzender<br />

habe, dann kann ich auch nicht mehr Ministerpräsident<br />

des Landes sein. Man kann<br />

nicht mit zwei abgeschlagenen Armen führen<br />

und den Karren weiter ziehen. Dieser<br />

Überzeugung, der ich frühzeitig Ausdruck<br />

gegeben habe, bin ich auch danach treu geblieben.<br />

Man muss nicht Ministerpräsident<br />

und Parteivorsitzender sein. Wenn man<br />

aber, wie das bei mir der Fall war, beides<br />

war, muss zu Kenntnis genommen werden:<br />

Wenn die eigene Partei einen nicht mehr<br />

trägt kann dem Land nicht mehr gedient<br />

werden.<br />

Sie haben nach der Rücktrittsankündigung<br />

die Koblenzer Rhein-<br />

Mosel-Halle nach diesem Satz<br />

verlassen: „Gott schütze Rheinland-<br />

Pfalz!“. Dieser Ausruf ist oft interpretiert<br />

und auch fehlinterpretiert<br />

worden. Sagen Sie uns, was Sie damit<br />

genau gemeint haben?<br />

Zunächst ist es überraschenderweise in<br />

der Tat der Satz aus meinem politischen Leben,<br />

der am häufigsten zitiert wird. Dem<br />

entspricht nicht etwa eine grundsätzliche,<br />

lange Überlegung, so zu formulieren. Nach<br />

dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses<br />

habe ich um das Wort gebeten und habe<br />

eine kurze Stellungnahme abgegeben. Ich<br />

habe noch einmal betont, dass ich vom Amt<br />

des Ministerpräsidenten, wie angekündigt,<br />

zurücktreten werde, und habe dann mit<br />

diesem Satz diese kurze Rede beschlossen.<br />

Dies geschah aus dem Stegreif. Interpretieren<br />

muss man den Satz, wenn man ihn richtig<br />

interpretieren möchte, so, dass ich<br />

immerhin fast 22 Jahre dem Rheinland-Pfälzischen<br />

Kabinett angehört habe, fast zehn<br />

Jahre als Minister und zwölf Jahre als Ministerpräsident,<br />

das heißt mich mit Haut und<br />

Haar, bei Tag und Nacht, für das Land engagiert<br />

habe und das dieses jähe, von mir so<br />

nicht erwartete, Ende in mir große Sorgen<br />

hinterlassen hat, wie es weiter gehen wird?<br />

Es war kein geplanter Abschied, es war ein<br />

mutwillig herbeigeführter und spontaner<br />

Abschied. Daraus ist diese Formulierung<br />

entstanden.<br />

Haben sie nach dem Rücktritt gedacht,<br />

dass ihre politische Karriere<br />

da vorbei ist?<br />

Selbstverständlich. Ich war damals 57 Jahre<br />

alt und dachte, dass es vorbei ist. Ich habe<br />

mich schließlich überzeugen lassen und für<br />

das Amt des Vorsitzenden der Konrad-<br />

Adenauer-Stiftung kandidiert, zudem ich<br />

auch gewählt worden bin. Ich habe natürlich<br />

auch mein Landtagsmandat mit dem<br />

Ministerpräsidentenposten niedergelegt.<br />

Wie ist man an sie heran getreten,<br />

um sie als Ministerpräsident von<br />

Thüringen zu gewinnen? Und hat es<br />

sie verwundert?<br />

Im Januar 1992 ist Thüringens Ministerpräsident<br />

Josef Duchac zurückgetreten. Die<br />

Thüringer CDU und Thüringen haben nach


Eindruck Seite 25<br />

einem neuen Ministerpräsidenten Ausschau<br />

gehalten. Es fielen eine ganze Menge von<br />

Namen, jeden Tag neue, darunter auch meiner,<br />

weil davon auszugehen war, dass ich<br />

eine gewisse Regierungserfahrung hatte<br />

und wusste, wie es geht, Ministerpräsident<br />

zu sein. Diese Erfahrung hatte Herr Duchac<br />

nicht in diesem Maße mitgebracht. Auf<br />

Grund dessen kamen Thüringer Christdemokraten,<br />

insbesondere der damalige Parteivorsitzende<br />

Willibald Böck, auf die Idee,<br />

mich zu fragen, ob ich bereit sei. Ich habe<br />

die Angelegenheit selbstverständlich mit<br />

dem Bundesvorsitzenden und Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl besprochen, und bin an<br />

einem späten Sonntagabend in einem Telefonat<br />

zu dem Ergebnis gekommen, Nein, zu<br />

sagen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung stand<br />

vor völlig neuen Aufgaben, es schien plötzlich<br />

möglich, nicht nur in den neuen Bundesländern<br />

Bildungswerke einzurichten,<br />

sondern in ganz Osteuropa. Eine Vorstellung,<br />

die uns wenige Monate zuvor völlig<br />

utopisch erschienen war. Wir sind also zu<br />

dem Ergebnis gekommen, dass ich nicht<br />

nach Thüringen gehe. Am nächsten Morgen<br />

bin ich dann zu einer Besprechung mit der<br />

Leitung der Hanns-Seidel-Stiftung nach<br />

München gefahren, und bin dort sehr überrascht<br />

von den Gesprächspartnern empfangen<br />

worden. Diese sagten: „Im Radio<br />

hört man Sie gehen nach Thüringen und<br />

jetzt kommen sie hier her?“ Daraufhin<br />

sagte ich: „Nein, das hat sich erledigt, wir<br />

können unser Gespräch machen.“ Nachdem<br />

die Besprechung beendet war, sind wir<br />

in ein Wirtshaus gegangen. Dort hat mich<br />

dann ein Anruf erreicht aus dem Bundeskanzleramt.<br />

Die Führung der Thüringer<br />

CDU hatte sich bei dem Parteivorsitzenden<br />

eingefunden und sie seien zu dem Entschluss<br />

gekommen, dass man sich auf keine<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Lösung einigen könne, außer ich sei doch<br />

bereit mich zur Verfügung zustellen. Ich<br />

habe noch schnell die Suppe aufgegessen<br />

und bin dann nach Erfurt gefahren. In der<br />

Nacht hat die Parteiführung und die Fraktion<br />

beschlossen mich als Nachfolger vorzuschlagen.<br />

Dann musste noch der Koalitionspartner<br />

gewonnen werden, wir hatten<br />

damals eine Koalition mit der FDP. Das ist<br />

dann am nächsten Morgen gelungen, und<br />

am 5. Februar bin ich zum Ministerpräsidenten<br />

gewählt worden.<br />

Wie lange, haben sie gedacht, wird<br />

die DDR noch existieren, im Mai<br />

1989?<br />

Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht,<br />

jedes Jahr einmal für ein paar Tage in die<br />

DDR zu fahren. Ich war der Meinung, ein<br />

deutscher Ministerpräsident, der natürlich<br />

alle westdeutschen Länder kannte, müsste<br />

auch die ostdeutschen Länder kennen. In<br />

den elf Besuchen, die ich gemacht habe,<br />

zwischen 1976 und 1988 hat sich schon<br />

eine deutliche Veränderung vollzogen. Am<br />

Anfang haben die Leute es nicht gewagt,<br />

mich zu grüßen. Sie kannten mich ja aus<br />

dem Fernsehen, insbesondere durch die<br />

Mainzer Fastnacht, was sie alle gesehen hatten.<br />

Beim letzten Besuch 1988 in Halle sind<br />

Leute gekommen und haben Autogramme<br />

erbeten. Man hat gemerkt es ändert sich<br />

was, aber dass ein paar Monate später die<br />

Mauer fallen würde, habe ich mir nicht vorstellen<br />

können.<br />

Nun ein paar persönliche Fragen zu<br />

ihrer Person. Haben sie sich manchmal<br />

mehr Privatleben gewünscht?<br />

Ich hätte mir das sehr gewünscht, aber sie<br />

müssen sehen, es gibt Situationen, bei denen<br />

heißt es: Ganz oder gar nicht! Sie kön-<br />

Interview in der Konrad Adenauer Stiftung. Prof. Dr. Vogel (hinten rechts) ist dort inzwischen Ehrenvorsitzender.<br />

nen nicht Privatleben haben wollen, und<br />

Ministerpräsident sein. Als Ministerpräsident<br />

haben sie ein minimales Privatleben,<br />

und wenn sie das nicht haben wollen, dann<br />

dürfen sie auch nicht Ministerpräsident<br />

werden.<br />

Was machen sie in ihrer Freizeit?<br />

Ich bin auch als Ministerpräsident jeden<br />

Sommer ins Hochgebirge gefahren zum<br />

Bergsteigen. Ich habe versucht, so oft es<br />

geht zu schwimmen, habe mitunter Skat gespielt<br />

und versucht, über Geschichte, Politik<br />

und deutsche Literatur einen Überblick<br />

zu behalten und einiges auch gelesen.<br />

Was erwarten Sie heute von jungen<br />

Menschen, die ihren Weg in die Politik<br />

gehen wollen?<br />

Zunächst möchte ich die junge Generation<br />

dazu aufrufen: Es lohnt sich, sich zu engagieren!<br />

Es lohnt, sich für andere zu engagieren! Das<br />

kann auf vielfältigster Weise geschehen, und<br />

ist auch in der Politik möglich. Sollte sich<br />

jemand dazu entscheiden, sich in der Politik<br />

zu engagieren, dann rate ich ihm oder ihr,<br />

einen Beruf zu erlernen, in den er oder sie<br />

jeder Zeit zurückkehren kann. Politik-machen<br />

darf nicht zur Abhängigkeit führen.<br />

Wer also in die Politik geht, sollte seine Unabhängigkeit<br />

bewahren, und nicht vor der<br />

Partei betteln müssen, ein weiteres Mal nominiert<br />

zu werden.<br />

2012 werden sie 80 Jahre alt. Was<br />

wünschen sie sich?<br />

Zwei Jahre vor meinem 80. Geburtstag<br />

wünsche ich mir, dass ich ihn erlebe.<br />

Und dann?<br />

Das wird man sehen.<br />

David Koch


Seite 26 Eindruck<br />

Blogs und Modetrends<br />

Das neue Sprachrohr<br />

der Mode<br />

I<br />

mmer mehr junge Menschen<br />

aus der gesamten Welt entdecken<br />

ihren inneren Drang Persönliches<br />

auf der eigenen Website<br />

preiszugeben. Unterstützt durch<br />

Fotos entsteht so ein modernes<br />

elektronisches Tagebuch: Ein Blog.<br />

Modeblogs sind eine spezielle Form und<br />

sehr beliebt bei jungen Modeinteressierten.<br />

Die Mode steht als Passion im Vordergrund.<br />

Dabei ist es dem Blogger selbst überlassen,<br />

in welcher Art und Weise er seine Leidenschaft<br />

für dieses Genre präsentiert. Es gibt<br />

viele Modeblogs, in denen die Blogger<br />

selbst im Rampenlicht stehen und tagtäglich<br />

über ihren eigenen Style, über ihre neuesten<br />

Shoppingerrungenschaften und über<br />

das berichten, was in der Modewelt gerade<br />

so Weltbewegendes passiert. Andere widmen<br />

sich nur dem Geschehen im weltweiten<br />

Modebusiness und lassen sich selbst<br />

außen vor, auch wenn ab und an ein Stylingpost<br />

dazwischen rutscht. Ansonsten wird<br />

über die internationalen Fashion Weeks<br />

vor und hinter den Kulissen berichtet, die<br />

neuen Kollektionen der Designer kritisiert<br />

und Modetrends ausführlich beschrieben.<br />

Streetstyle-Blogs, so heißt das Phänomen,<br />

wurden eigenmächtig dafür angelegt, dass<br />

Blogger auf der gesamten Welt Modeinteressierte<br />

und kleidungstechnische Paradiesvögel<br />

auf der Straße ablichten.<br />

Aber: Entstehen die Trends nun auf der<br />

Straße oder sind Stars die Urheber der<br />

Trends wie es uns die Modemagazine nach<br />

wie vor kundtun? Sind es nicht die Designer,<br />

die die Modetrends mit ihren saisonalen<br />

Entwürfen herauf beschwören? Wir<br />

blättern durch bekannte <strong>Zeitschrift</strong>en und<br />

bekommen so einen Eindruck, was die VIPs<br />

gerade in ihrem begehbaren Kleiderschrank<br />

hängen haben. Bei vielen Fashionistas,<br />

wie die weiblichen, konsumfreudigen<br />

Modebegeisterten auch genannt werden,<br />

setzt sofort ein „Haben-wollen-Gefühl“<br />

ein. Und so sind es letztendlich die Modemagazine,<br />

die aus Kate Moss eine Modeikone<br />

und aus Sienna Miller ein It-Girl<br />

machten. Wobei nicht vergessen werden<br />

darf, dass sich hinter dem Style der Stars<br />

ihre Stylisten verbergen. Diese wiederum<br />

sind mit den bekanntesten Designer per<br />

Du und kleiden ihre Stylingschützlinge mit<br />

deren Entwürfen ein. Das System aus Stars-<br />

Stylisten-Designer kann einen verwirren.<br />

Foto: Annalena Jung<br />

Eine Modebloggerin bei der Arbeit.<br />

Fakt bleibt, dass die Blogger nun die ersten<br />

Reihen der Fashion Shows besetzen. So sah<br />

man im September 2009 bei der<br />

Dolce&Gabbana-Show die beiden Blogger<br />

Bryanboy und Tommy Ton neben Anna Wintour<br />

sitzen. Die Redakteurin der deutschen<br />

Madame und der Chef von Saks Fifth Avenue<br />

mussten mit der zweiten Reihe vorlieb<br />

nehmen. Ungewohnt, denn diese sitzen eigentlich<br />

in der front row. Die Kritiker sind<br />

zunehmend keine ausgebildeten Modespezialisten<br />

mehr, sondern Blogger. Direkt in<br />

der ersten Reihe twittern und bloggen sie<br />

direkt, was sie gerade auf den Catwalks gesehen<br />

haben: es werden Farben beschrieben<br />

und Schnitte analysiert. Die Designer<br />

haben begriffen, wie wichtig die Blogger für<br />

ihr Unternehmen sein können. Sehr gute<br />

Werbung ohne Kosten: Es wird über die<br />

jeweiligen Shows gebloggt, die neuen Kollektionen<br />

online gestellt und weltweit können<br />

alle Modeinteressierten das Neueste<br />

von den Catwalks sehen. Und später in den<br />

Geschäften kaufen.<br />

Mary Scherpe von dem Streetstyle-Blog Stil<br />

in <strong>Berlin</strong> geht es um „Mut zur Auffälligkeit“<br />

wie sie in einem Interview mit der Süddeutschen<br />

Zeitung sagte. Sie sucht Leute auf der<br />

Straße, die kleidungstechnisch nicht der<br />

Norm entsprechen. Trends zu zeigen oder<br />

gar zu setzen, spielt keine Rolle, denn die<br />

Kreativität des Kombinierens von Kleidungsstücken<br />

steht im Vordergrund. Es<br />

wird Individualität und kein Modetrend gesucht.<br />

Die Streetstyleblogger präsentieren den<br />

Style auf den Straßen dieser Welt und die<br />

Hochglanzmagazine den Style der Stars.<br />

Die Modeinteressierten verfügen so über<br />

ein großes Kontingent, aus dem sie die Modetrends<br />

schöpfen können. Inspiriert von<br />

jungen Menschen aus der gesamten Welt,<br />

abgelichtet auf der Straße, können sie<br />

durch die Modemagazine blättern und sich<br />

wiederum von Stars abgucken, was ihnen<br />

gefällt.<br />

Und die Designer der großen Modehäuser?<br />

Die stehen nach wie vor ganz oben an der<br />

Modeernährungskette. Ihre Kollektionen,<br />

ihre Schnitte und Farben inspirieren die gesamte<br />

Modeindustrie. Ihre Kollektionen<br />

lassen die Modetrends heranwachsen, denn<br />

die Designer waren es schließlich, die die<br />

70er und 80er, die Röhrenjeans und Leggins<br />

revolutionierten. Und wer trägt sie? Alle<br />

Modeinteressierten, egal, ob Star oder<br />

„Streetstyler“.<br />

Annalena Jung<br />

Interessante Mode-Blogs:<br />

www.thesartorialist.blogspot.com<br />

www.lesmads.de<br />

www.stilinberlin.blogspot.com<br />

www.fashionpuppe.com<br />

www.zeitgeschmack.blogspot.com


Eindruck Seite 27<br />

Jungdesigner und Blogger Konstantin Siegel<br />

Blogs sind<br />

kein Ersatz<br />

D<br />

er 26-Jährige studiert Modedesign<br />

an der Hochschule<br />

für Technik und Wirtschaft <strong>Berlin</strong><br />

(HTW). Momentan vertreibt er<br />

erfolgreich selbst gestaltete T-<br />

Shirts und Leinwände.<br />

Konstantin, handelt es sich bei deinem<br />

Blog „fashion illustration“ um<br />

einen Modeblog – ich frage das deshalb,<br />

weil du doch nur deine gemalten<br />

Werke hochlädst?<br />

Ja, ich bezeichne ihn als Modeblog, obwohl<br />

ich keine Stylings oder ähnliches zeige. Meine<br />

Illustrationen, die ich hochlade, können<br />

z.B. Designern als Inspiration dienen.<br />

Warum stellst du sie online?<br />

Mein Blog ist ein neues Projekt von mir. Ich<br />

habe ihn seit Anfang des Jahres und er steht<br />

im Gegensatz zu meiner Homepage mit<br />

meinem kleinen T-Shirt-Label. Ich nutze<br />

meinen Blog als Übung und möchte zeigen<br />

was ich kann.<br />

„one illustration a day“ – wie kamst<br />

Du auf diesen Claim?<br />

Einer von meinen Kollegen hatte einen<br />

Blog, für den er täglich neue Stylinginspirationen<br />

hochgeladen hat. Und das war auch<br />

eine Idee von mir. Jeden Tag neue Illustrationen<br />

erschaffen, etwas Neues zeigen. Sie<br />

unterscheiden sich, weil ich jeden Tag anders<br />

gelaunt bin. Mal sind die Illustrationen<br />

bunt, manchmal eher eintönig.<br />

Du hast auf deinem Blog zwei Illustrationen<br />

von Alexander McQueen<br />

gestellt. Hat er dir als Designer etwas<br />

bedeutet?<br />

Oh ja, natürlich. Sein Selbstmord war ein<br />

Schock für die ganze Modewelt. Ich war<br />

traurig, hab es zuerst nicht geglaubt, aber<br />

überall stand: „McQueen ist tot!“. Durch<br />

die Bilder habe ich meine Trauer verarbeitet,<br />

es ist eine Widmung für ihn. Die beste<br />

Show, die er in meinen Augen gemacht hat,<br />

war, als ein Model in einem weißen Tüllkleid<br />

auf den Runway ging und zwei Roboter es<br />

mit Farbe besprühten. Das war etwas Besonderes<br />

für mich, weil in diesem Moment<br />

all meine Leidenschaften vereint waren: ich<br />

als Airbrusher, Graffitikünstler und die<br />

Mode. Ein Kunstwerk wird vor den eigenen<br />

Augen erschaffen. Toll.<br />

Was inspiriert dich?<br />

Ich nehme meine Inspirationen von überall<br />

her. Es sind meistens Kleinigkeiten, die man<br />

tagtäglich sieht, in der U-Bahn zum Beispiel…<br />

Wie sieht es aus mit der Unabhängigkeit<br />

der Blogger?<br />

Ich persönlich bin unabhängig, aber ich<br />

denke, man kann nicht unabhängig arbeiten,<br />

wenn man z.B. von Designern zu den Fashionshows<br />

eingeladen wird. Meinen Blog mache<br />

ich nicht aus kommerziellen Gründen.<br />

Die Leute klicken aus Eigeninitiative meinen<br />

Blog an, aber um tausende Klicks zu<br />

bekommen, braucht man viel Promotion.<br />

Nimm z.B. den Blog Les Mads - die werden<br />

durch einen Verlag unterstützt, und da<br />

denke ich nicht, dass sie tun können, was<br />

sie wollen.<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Konstantin Siegel im Interview in der <strong>EMBA</strong>-Akademie.<br />

Sterben Modemagazine aus?<br />

Modemagazine wird es immer geben. Vielleicht<br />

wird die Auflage geringer, aber ich<br />

denke, dass ein Modemagazin wie die Vogue<br />

in ein paar Jahren sogar selbst einen Blog<br />

führen wird. Heute kann jeder überall online<br />

sein und ich denke, die Magazine werden<br />

darauf reagieren. Ich persönlich habe<br />

lieber ein Magazin in der Hand und halte<br />

nicht viel von Modeblogs. Vor allem nicht,<br />

wenn eine Dreizehnjährige meint, (Konstantin<br />

Siegel bezieht sich auf Tavi Gevinson – die<br />

Red.) sie muss die Fashionshows kommentieren.<br />

Sie ist einfach noch ein Kind und<br />

deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass<br />

sie so ein enormes Wissen hat. Sie müsste<br />

ein Ausnahmetalent sein, um so über Mode<br />

entscheiden zu können. Ich musste sieben<br />

Semester studieren, um urteilen zu können.<br />

Ist Tavi denn ein Ausnahmetalent?<br />

Ich weiß es nicht. Ihr Blog ist nichts besonderes,<br />

finde ich, sie wird einfach von allen<br />

Seiten gepusht. Ich halte nicht viel davon,<br />

wenn man aus Schnipseln von der Wendy<br />

und Vogue Collagen bastelt. Vielleicht<br />

schreibt sie es auch gar nicht selbst. Ich hätte<br />

mit 13 eine ganz andere Wortwahl verwendet;<br />

wundert mich überhaupt, warum<br />

Blogger so hoch gejubelt werden. Auch<br />

wenn Blogs preiswerter sind, sie sind kein<br />

Ersatz für Magazine.<br />

Wo siehst du dich in zehn Jahren?<br />

Was sind deine Ziele und Wünsche?<br />

Ich habe mich für diesen Weg aus reiner<br />

Überzeugung entschieden, und wie viel<br />

Geld ich dabei verdiene spielt keine große<br />

Rolle. Ob ich jetzt der Überflieger der<br />

deutschen Kunstszene werde oder ob ich<br />

weiterhin einen Undergroundblog führe, ist<br />

mir egal. Ich möchte davon leben und meine<br />

Familie ernähren können. Außerdem<br />

möchte ich freiberuflich arbeiten. So soll es<br />

sein.<br />

Annalena Jung<br />

Zu finden ist Konstantin im Internet unter den Adressen:<br />

www.kasdesign.de<br />

www.daily-illustration.blogspot.com


Seite 28 Eindruck<br />

Ein Blick hinter die Kulissen von Ulrich Meyers Akte<br />

Investigativer<br />

Journalismus<br />

D<br />

as Sendeformat Akte existiert<br />

bereits seit 16 Jahren,<br />

ein Urgestein also in der schnelllebigen<br />

Fernsehlandschaft. „Akte<br />

20.10 – Reporter kämpfen für Sie!“<br />

behandelt persönliche Schicksalsfälle<br />

und deckt Gesetzeswidrigkeiten<br />

auf, die ohne die Recherche<br />

der Akte-Redaktion wohl nie enthüllt<br />

worden wären.<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Dirk Klapperich (l.) erklärt einen Arbeitsplatz in der Redaktion.<br />

In <strong>Berlin</strong> Charlottenburg am beschaulichen<br />

Lietzensee befindet sich META-Productions,<br />

das von Akte-Moderator Ulrich Meyer gegründete<br />

Medien-Unternehmen. Unter<br />

dem Dach des Hauses der Kuno-Fischer-<br />

Straße 6 befinden sich die Redaktion,<br />

Schnitträume, Tonstudio, Regie und Archive<br />

mit 60.000 Bändern, hauptsächlich von der<br />

SAT.1-TV-Sendung Akte. Neben Akte werden<br />

dort auch andere Formate für das<br />

deutsche Fernsehen produziert, die ähnliche<br />

Themen behandeln. Es geht um Missstände,<br />

um Rat in kritischen Lebenssituationen,<br />

um Täter und Opfer und darum, die<br />

Verantwortlichen zur Rede zu stellen.<br />

Der stellvertretende Redaktionsleiter und<br />

Chef vom Dienst der Akte Redaktion Dr.<br />

Dirk Klapperich nahm sich persönlich die<br />

Zeit, uns über den Alltag in einer Redaktion<br />

aufzuklären. Die Produktion einer jeden<br />

Sendung beginnt mit der Themenfindung.<br />

Ulrich Meyer und sein Team diskutieren anfänglich<br />

in den Redaktionssitzungen darüber,<br />

was die Menschen in Deutschland bewegen<br />

könnte. Heute tragen die Zuschauer<br />

ihr Anliegen direkt an Akte. Täglich erhält<br />

die Redaktion mittlerweile bis zu 300 e-<br />

Mails, sowie unzählige Anrufe und Faxe von<br />

Anfragen mit der Bitte über ihre Problematik<br />

zu berichten. Zudem gibt es einen Not-<br />

ruf-Button auf der Akte-Website von SAT.1,<br />

bei der jeder der Redaktion sein Problem<br />

schildern kann.<br />

Die Masse an Anfragen wird einem kritischen<br />

Filter unterzogen, um letztlich drei<br />

bis vier interessante Themen heraus zu kristallisieren.<br />

Dabei kommen Themen in Frage,<br />

welche persönliche Schicksale behandeln<br />

wie „Meine Versicherung zahlt nicht“<br />

oder „Ich wurde durch Internet-Portale<br />

abgezockt“. Sehenswert sind hier vor allem<br />

die Ungerechtigkeiten, welche sich in Grauzonen<br />

bewegen und die vom Gesetzgeber<br />

nicht immer klar definiert sind. Des Weiteren<br />

sollte die Person, deren Schicksal<br />

dann verfilmt wird, medientauglich auftreten<br />

können. Die Sachlage muss zudem im<br />

Vorfeld so recherchiert sein, dass alle Fakten<br />

abgeklärt und Unterlagen vorhanden<br />

sind. Themen, die eine mehrwöchige Recherche<br />

benötigen, kann man sich in der<br />

Fernsehe-Branche schlichtweg nicht leisten,<br />

abgesehen davon, dass das Format jede<br />

Woche am Dienstag erscheint und für Recherchen<br />

daher weniger als sieben Tage<br />

Zeit bleibt. Ein arbeitsintensives Unterfangen<br />

bei drei festangestellten Redakteuren,<br />

einem Kameramann und wenigen Praktikanten<br />

zur Unterstützung der Recherche.<br />

Mehrmals konnten durch Akte-Reportagen<br />

essenzielle Hinweise zur Aufklärung von<br />

Straftaten geliefert werden, was zum Beispiel<br />

zur Aufklärung eines Falls über Kin-<br />

Foto: Holger Doetsch<br />

Wo im Fernsehen die Geschichten entstehen.<br />

derpornografie führte. Daher wird die Akte-Redaktion<br />

öfter von polizeilichen<br />

Behörden kontaktiert, wenn diese Entsprechendes<br />

aus Sendungen erfuhren. Eine direkte<br />

Zusammenarbeit lehnt die Polizei jedoch<br />

ab. Auch sei es äußerst schwierig, so<br />

die Akte-Redaktion, polizeiliche Informationen<br />

zu bestimmten Fällen zu erhalten,<br />

dies besonders bei der <strong>Berlin</strong>er Polizei.<br />

Da das Sende-Format Akte 20.10 stark auf<br />

das Umfeld von rechtlichen Streitereien<br />

ausgelegt ist, müssen die Reporter bei heiklen<br />

Themen mit Bodyguards und versteckten<br />

Kameras arbeiten. Auch Medienrecht<br />

wird bei META-Productions groß<br />

geschrieben. Ein heikles Thema, das schnell<br />

zu Klagen seitens derer führt, die vor der<br />

Kamera von Akte zu Rede gestellt werden.<br />

Deren Gesichter müssen daher unkenntlich<br />

gemacht und ihre Stimmen nachgesprochen<br />

werden. Die rechtliche Vorgehensweise<br />

und die ausgewählten Sende-<br />

Themen werden stets mit Hilfe von jährlichen<br />

internen Medienrechts-Schulungen,<br />

sowie einer Münchner Anwaltskanzlei<br />

überprüft.<br />

Denn wo der „normale“ Bürger seinen gesetzlichen<br />

Rahmen nicht kennt, helfen –<br />

dem Akte-Claim entsprechend – die Reporter<br />

weiter und kämpfen für Sie!<br />

Maximilian Fritz


Eindruck Seite 29<br />

Interview mit einem Schriftsteller<br />

Ein Buch entsteht<br />

E<br />

s gibt unendlich viele Bücher<br />

auf dieser Welt. Doch welche<br />

Arbeit steckt eigentlich hinter<br />

einem fertigen Buch? Wie geht ein<br />

Schriftsteller vor? Um diese Fragen<br />

klären zu können, haben wir<br />

mit Holger Doetsch, der bereits<br />

sein zweites Buch geschrieben<br />

hat, gesprochen.<br />

Es ist morgens kurz vor zehn Uhr, als wir<br />

die <strong>Berlin</strong>er Wohnung von Holger Doetsch<br />

betreten. Er hat uns auf eine Tasse Tee eingeladen,<br />

um unsere Fragen zu beantworten.<br />

Er führt uns in sein Arbeitszimmer und das<br />

erste, was in diesem Raum unsere Aufmerksamkeit<br />

auf sich zieht, ist das riesengroße<br />

Bücherregal. Es erstreckt sich fast<br />

von einem Ende des Raumes bis zum anderen.<br />

Alle Regalreihen sind lückenlos gefüllt<br />

mit Weltliteratur, Biografien, Büchern über<br />

Kunst und Kultur und vieles mehr. Krimis<br />

oder Thriller dagegen findet man dazwischen<br />

kaum. Kleine eingerahmte Fotos und<br />

Bilder hängen an den Regalbrettern oder<br />

stehen vor den Büchern. Aus fast jedem der<br />

Bücher ragen Zeitungsartikel, die etwas mit<br />

dem Inhalt oder dem Autor zu tun haben<br />

und zum Teil auch von Doetsch selber verfasst<br />

worden sind. Es ist also nicht nur eine<br />

Bibliothek, sondern auch ein Archiv. Am<br />

Ende des Raumes befindet sich ein großer<br />

Holzschreibtisch, sein Arbeitstisch, die<br />

Wände sind mit Kunstwerken, Fotos und<br />

anderen Erinnerungsstücken verziert, unter<br />

dem Fenster steht eine Couch. Wir<br />

nehmen jeder auf einen der vier im Raum<br />

verteilten Sessel Platz, Holger, nachdem er<br />

uns mit Roibusch-Vanille-Tee versorgt hat,<br />

auf einem Stuhl vor seiner Bücherwand.<br />

Auf unsere erste Frage, welche Gedanken<br />

ihm durch den Kopf gehen, wenn er beginnt<br />

zu schreiben, antwortet er: „Zuerst entsteht<br />

die Idee. Die Idee, worüber man etwas<br />

schreiben und was einem selbst und<br />

anderen Freude und auch Sinn bereiten<br />

könnte.“ Seiner Meinung nach muss sich<br />

jeder Schriftsteller darüber im Klaren sein,<br />

was er seinen Lesern mitteilen möchte und<br />

welche Botschaft dahinter stecken soll.<br />

„Wenn ich diese Idee im Kopf habe mache<br />

ich mir permanent Notizen und baue sie<br />

später in meinem Buch ein.“ Nach der Ideenfindung,<br />

werden die Charaktere festgelegt<br />

und zum Schluss die Handlungsstränge<br />

in eine Reihenfolge gebracht. „Was ich<br />

überhaupt nicht weiß, ist das Ende.“<br />

Die Ideen für seine Bücher entstehen<br />

spontan. Man benötige dazu eine gewisse<br />

Intuition, die nicht jeder Mensch habe und<br />

auch nicht brauche. „Ich glaube ein guter<br />

Erzähler ist manchmal ein Spinner und auch<br />

umgekehrt, ein Spinner ist ein guter Erzähler.“<br />

Holger findet, dass ein guter Schriftsteller<br />

Bilder in Worte fassen können muss.<br />

Eine Authentizität könne nur entstehen,<br />

wenn der Leser spürt, dass die beschriebenen<br />

Dinge vom Autor selbst oder bei<br />

anderen erlebt wurden und nicht am<br />

Schreibtisch konstruiert worden sind. Nur<br />

dann weiß der Schriftsteller, welche Gefühle<br />

in bestimmten Situationen dahinter<br />

stecken und nur so könne ein gutes Buch<br />

entstehen. Da nicht jedem dieses Feingefühl<br />

zueigen ist, könne auch nicht jeder ein<br />

Buch schreiben, oder zumindest kein gutes.<br />

Was aber sind schlechte Bücher? „Bücher<br />

mit wirrer Handlung. Man kann sich überhaupt<br />

nicht in die Charaktere hinein versetzen.<br />

Es gibt eine unschlüssige Handlung<br />

oder es ist schlichtweg uninteressant“, ur-<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Des Schriftstellers antikes „Google“: Holger Doetsch vor seiner Bibliothek.<br />

teilt Doetsch. Nicht selten brauche man<br />

„eine gewisse Melancholie. Melancholie ist<br />

ein wichtiger Teil einer jeden Kunst.“<br />

Wenn er ein Buch zu schreiben beginnt, ist<br />

es für ihn sehr wichtig einen festen Tagesablauf<br />

zu haben, um nicht zu bequem zu<br />

werden und die Fertigstellung über einen<br />

langen Zeitraum hinauszuschieben. Es mögen<br />

ihm andere Schriftsteller widersprechen,<br />

aber er selbst geht davon aus: „Wenn<br />

du dir selber keinen positiven Druck<br />

machst, wird das nichts.“ Und: „Jeder<br />

schöpferische Akt ist auch eine Plage.“ Daher<br />

steht er morgens spätestens halb sechs<br />

Uhr auf und setzt sich nach einer Dusche<br />

und einem Kaffee an seinen besagten<br />

Schreibtisch im Arbeitszimmer und beginnt<br />

zu arbeiten. Meistens hält er das bis Mittag<br />

durch, denn nach 14 Uhr ist er, wie er selbst<br />

sagt „nicht mehr zu gebrauchen“ und beschäftigt<br />

sich mit anderen Dingen. Natürlich<br />

könne das nicht für jeden gelten, da<br />

nicht jeder ein Morgenmensch sei. Der<br />

eine könne morgens, der andere nachmittags<br />

oder abends besser arbeiten. Wichtig<br />

sei nur, dass man sich seinen Tag mit Rücksicht<br />

auf seinen Rhythmus einteilt.<br />

Eine Regel, die seiner Meinung nach während<br />

des Schreibens unbedingt eingehalten<br />

werden sollte: kein Alkohol oder andere


Seite 30 Eindruck<br />

Drogen. „Alkohol vernebelt die Sinne. Es<br />

mögen zwar manchmal tolle Sachen dabei<br />

zustande kommen – auch bei Verwendung<br />

anderer Drogen. Die Dinge werden vielleicht<br />

blumiger, aber sie werden dann eben<br />

auch verfälschter.“<br />

Viele Schriftsteller lassen sich von ihren<br />

Vorbildern inspirieren. So auch Holger Doetsch.<br />

Sein Vorbild heißt Hervé Guibert:<br />

„Ich beginne sogar mein Buch Ein lebendiger<br />

Tag mit seinem Lebensmotto: „Tout dire!“<br />

– alles sagen. Doetsch wurde bereits mit<br />

diesem und mit Charles Bukowski verglichen.<br />

Dieser verwendet sehr derbe Worte<br />

und beschreibt sehr hart die Dinge so, wie<br />

sie sind. „Also wenn man mit Leuten verglichen<br />

wird, ist es auf der einen Seite eine<br />

Pest, auf der anderen Seite bin ich so einer,<br />

der sich darüber freut,“ merkt er an.<br />

Eine weitere Sache bei der Entstehung<br />

eines Buches ist die Verlagswahl. Wir<br />

wollten wissen, ob man sich während des<br />

Schreibvorgangs bereits einen Verlag sucht<br />

oder erst, wenn man sein Buch bereits vollendet<br />

hat. Doetschs Antwort darauf: „Das<br />

ist unterschiedlich. Ich zum Beispiel habe<br />

nebenbei noch Vorlesungen und muss auch<br />

Geld verdienen – während das Buch entsteht<br />

verdient man ja nichts. Deswegen bin<br />

ich jemand, der die Verlagssuche und die<br />

Vertragsverhandlungen neben dem Entstehungsprozesses<br />

macht. Der Verlag gibt dann<br />

auch eine Deadline, d.h. einen Zeitpunkt, an<br />

dem das Buch spätestens fertig sein muss,<br />

vor. Bei der Berechnung dieser Deadline<br />

gilt die alte Regel: 20 Tage für das erste Lektorat<br />

und 20 weitere Tage für das zweite<br />

Lektorat und den Druck.“<br />

Wer sich also, so Doetschs Ratschlag, in<br />

seiner Inspiration nicht durch Einschrän-<br />

Foto: Maximilian Fritz<br />

Ein Autor bei der Arbeit.<br />

kungen beschneiden lassen will oder sich<br />

nicht in der Lage fühlt administrative Angelegenheiten<br />

nebenher zu erledigen, der<br />

sollte sich erst nach Vollendigung seines<br />

Buches einen Verlag suchen.<br />

Daraus entwickelte sich unsere nächste<br />

Frage: Wie ein Schriftsteller das Vertrauen<br />

eines Verlages erlangt, obwohl sein Buch<br />

noch in der Entstehung ist. „Man gibt dem<br />

Verlag Leseproben und erzählt natürlich,<br />

was der Inhalt des Buches sein soll. Der<br />

Verlag entscheidet dann, ob er mit dem<br />

vom Autor gewählten Thema gut werben<br />

kann – die Verleger denken natürlich auch<br />

betriebswirtschaftlich. Und im Zeitalter des<br />

Internets wird die Person gegoogelt um<br />

zum Beispiel feststellen zu können, ob bereits<br />

Schriftstücke vorhanden sind und ob<br />

derjenige wirklich etwas zu erzählen hat.“<br />

So gehen zumindest die seriösen Verlage<br />

vor. Es gibt aber auch Verlage, bei denen jeder,<br />

der ein Buch veröffentlichen möchte,<br />

für einen bestimmten Geldbetrag sein<br />

Werk drucken lassen kann. Dabei wird<br />

aber selten auf die Qualität des Geschriebenen<br />

geachtet.<br />

Hat man einen Verlag gefunden, werden die<br />

Vertragsverhandlungen geführt. Dabei wird<br />

festgelegt, welchen prozentualen Anteil der<br />

Autor beim Verkauf des Buches erhält. Doetsch<br />

erklärt: „Man bekommt zwischen<br />

zehn und höchstens vierzig Prozent. Dafür<br />

übernimmt der Verlag die Kosten für das<br />

Papier, den Druck oder auch die Präsentation<br />

eines Buches etwa auf einer Messe.“<br />

Von den Preisen im Geschäft erhält der<br />

Schriftsteller also nur einen Bruchteil. Daraus<br />

folgert er: „Reich wird man mit Büchern<br />

nicht, außer man heißt vielleicht Dan<br />

Brown oder so. Allerdings wird man innerlich<br />

reich. Und es ist wirklich ein geiles Gefühl,<br />

wenn man sagen kann, das hier ist<br />

mein neues Buch!“<br />

Bei den Verhandlungen mit dem Verlag geht<br />

es auch um Dinge wie das Cover sowie die<br />

Beschaffenheit des Buchs. Da gibt es einmal<br />

das sogenannte Hardcover, ein fester und<br />

robuster Umschlag, und zum anderen das<br />

Broschur, eine günstigere Alternative, aber<br />

auch wesentlich dünner und leichter zerstörbar.<br />

Meistens veröffentlichen die Verlage<br />

ihre Bücher erst im Hardcover und<br />

geben es dann als Taschenbuch heraus, um<br />

eine breitere Masse zu erreichen: „Mit Broschur<br />

verdient man weniger als mit Hardcover.<br />

Das sind harte Verhandlungen, die man<br />

mit dem Verlag führt. Und es gibt zum Beispiel<br />

Verlage, deren Philosophie ist es, keine<br />

Billigproduktionen herzustellen, sondern<br />

nur kunstvolle Dinge. Daher wird dort<br />

auch jede Neuauflage eines Buches wieder<br />

als Hardcover produziert. Dies ist der Fall<br />

bei meinem ersten Buch Elysander – deswegen<br />

arbeiten wir mit Studentenrabatten.“<br />

Als Holger Doetsch uns alle unsere Fragen<br />

beantwortet hat, zeigt er uns noch sein<br />

zweites Arbeitszimmer. Hier befinden sich<br />

sämtliche politische Bücher, die wieder zusammen<br />

mit Zeitungsausschnitten archiviert<br />

worden sind.<br />

Wir sehen uns gerade die Fotos an den<br />

Wänden an, während er dem Klingeln an<br />

seiner Haustür nachgeht. Kurze Zeit später<br />

kommt er mit einem Päckchen in den Händen<br />

zurück und sagt: „Wenn ihr Glück habt<br />

werdet ihr gleich die ersten sein, die mein<br />

neues Buch zu sehen bekommen.“ So richtig<br />

daran zu glauben scheint er dabei selber<br />

nicht. Er macht das Paket auf und tatsächlich:<br />

Es ist das erste gedruckte Exemplar<br />

seines neuen Buches Ein lebendiger Tag, das<br />

er in seinen Händen hält. Mit einem strahlenden<br />

Gesicht bewundert er zunächst den<br />

Einband von vorne und hinten bevor er die<br />

Plastikfolie entfernt. Zum ersten Mal hält er<br />

nun sein druckfrisches „Baby“ in den Händen.<br />

Mit vor Freude leicht zittrigen Fingern<br />

blättert er zum ersten Mal durch die Seiten<br />

und riecht sogar daran. All die Arbeit und<br />

der Stress bis zur Fertigstellung sind in diesem<br />

Moment vergessen.<br />

Wir wollen ihn die ersten Minuten mit seinem<br />

neuen Buch alleine genießen lassen<br />

und verabschieden uns schnell.<br />

Franziska Seilkopf

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