Zeitschrift "Eindruck", EMBA Berlin (PDF-Datei; ca. 4
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Eindruck<br />
Interessantes über den Alten St.-Matthäus-Kirchhof<br />
Ein Friedhof der<br />
besonderen Art<br />
D<br />
ass der Alte St.-Matthäus-<br />
Kirchhof im <strong>Berlin</strong>er Stadtteil<br />
Schöneberg Ungewöhnliches<br />
verbirgt, erkennt man auf den ersten<br />
Blick nicht. Stutzig wird man<br />
trotzdem, wenn einem bewusst<br />
wird, dass das Häuschen links neben<br />
dem Tor des Haupteingangs<br />
ein Café, das finovo, beherbergt.<br />
Bei Kaffee und Kuchen ist es hier<br />
möglich, gemütlich auf dem Friedhofsareal<br />
zusammen zu sitzen und<br />
über Gott, die Welt sowie den einen<br />
oder anderen verstorbenen<br />
Liebling zu reden.<br />
Dieser Kirchhof hat eine alte Geschichte:<br />
1856 gründete die evangelische St.-Matthäus<br />
Kirchengemeinde ihre Begräbnisstätte.<br />
Mit den Jahren ließen sich nicht nur Mitglieder<br />
der Gemeinde hier beerdigen, sondern<br />
auch „Außenstehende“, wodurch er<br />
erweitert werden musste. Zudem konnte<br />
die Kirchengemeinde Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
eine neue Kirche im italienischen<br />
Renaissance- und Barockstil errichten lassen,<br />
die sich auch heute noch in der Nähe<br />
des Haupteingangs befindet.<br />
Auch die Auswirkungen des Dritten Reiches<br />
machten vor dem Kirchhof nicht Halt.<br />
Ein Drittel der Ruhestätten wurden<br />
1938/39 zerstört und sollten Albert Speers<br />
Visionen weichen, da er für die Welthauptstadt<br />
Germania eine überdimensionale Autobahn<br />
plante. Das Ende des Krieges vereitelte<br />
diesen Plan. Trotzdem wurden<br />
aufgrund des Vorhabens zahlreiche Gräber<br />
versetzt.<br />
Foto: Maximilian Fritz<br />
Die Skulptur für die „Sternenkinder“ hat Thekla Furch gestaltet.<br />
Auf dem Friedhof befindet sich auch ein<br />
Gedenkstein für die verstorbenen Widerstandskämpfer<br />
in der NS-Zeit. Der Name<br />
Claus Schenk Graf von Stauffenberg fällt<br />
einem sofort ins Auge. Ihm wird ein besonderes<br />
Schicksal, verbunden mit dem St.-<br />
Matthäus-Kirchhof, zuteil: Nach seiner Exekution<br />
wurde er auf dem Firedhof begraben,<br />
aber kurz nach der Beerdigung von Nationalsozialisten<br />
wieder ausgegraben und an<br />
einen unbekannten Ort versetzt.<br />
Gräber bekannter Persönlichkeiten kann<br />
man auch auf dem Friedhof entdecken. Bei<br />
näherem Betrachten liest man Namen von<br />
Dichtern vorangegangener Jahrhunderte,<br />
aber auch von bekannten Künstlern. Die<br />
wohl prominentesten Literaten, die auf<br />
dem Alten St. Matthäus Kirchhof ihre letzte<br />
Rufe fanden, sind die Gebrüder Grimm, Jacob<br />
(1785-1863) und Wilhelm (1786-1859).<br />
Aber auch Friedrich Adolf Wilhelm Diesterweg<br />
(1790-1866), dessen Nachname auf<br />
vielen Grundschullehrbüchern erscheint,<br />
wurde auf dem Kirchhof beerdigt, genau so<br />
wie Friedrich Drake (1805-1882), ein Bildhauer,<br />
der die Viktoria auf der <strong>Berlin</strong>er Siegessäule<br />
erschuf, und Prof. Dr. Rudolf<br />
Virchow (1821-1902), der als Begründer<br />
der modernen Pathologie gilt.<br />
Ungewöhnlich mutet auch an, dass der<br />
„Denk mal positHIV“-Verein eine Grabpatenschaft<br />
übernommen hat und somit die<br />
Möglichkeit schuf, dass Schwule gemeinsam<br />
in einer Grabstelle ihre letzte Ruhe finden.<br />
Hier wurden schon einige, zum Teil auch<br />
sehr junge Homosexuelle beerdigt.<br />
Aufmerksamkeit muss man auch einer<br />
Seite 19<br />
Skulptur von Thekla Furch widmen. Das<br />
Kunstwerk ist Teil des Projekts „Sternenkinder“<br />
und befindet sich auf der Begräbnisanlage<br />
für Totgeburten und Föten. Hier<br />
haben Eltern die Möglichkeit, ihren verstorbenen<br />
Kindern eine Ruhestätte zu geben,<br />
da Totgeburten oder Föten nach deutschen<br />
Richtlinien grundsätzlich nicht beerdigt<br />
werden müssen.<br />
Möglich wird dies durch den EFEU e.V. Der<br />
gemeinnützige Verein kümmert sich um die<br />
Erhaltung und Pflege des Friedhofs, bietet<br />
u. a. Führungen an und schafft durch die<br />
Zusammenarbeit mit dem Café finovo einen<br />
Ort der Zusammenkunft, da die oberen<br />
Räume des Cafés für Beisetzungsfeiern,<br />
Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt<br />
werden können. Eine weitere Aufgabe vom<br />
EFEU e.V. ist die Vermittlung von Grabpatenschaften.<br />
Der Verein sucht Paten, die<br />
sich um den Erhalt einer Ruhestätte kümmern.<br />
Dafür können sie diese beim Todesfall<br />
als eigene Grabstelle nutzen. Auf dem<br />
Kirchhof lassen sich einige verfallene Grabanlagen<br />
entdecken. Mausoleen säumen die<br />
Wege durch die Grabmäler, die heute<br />
durch ihre Größe und kunstvolle Verzierungen<br />
auf ein einst prächtiges Aussehen<br />
verweisen. Viele haben jedoch einen hohen<br />
Restaurierungsbedarf, sodass mit etwa<br />
100.000 Euro Aufwand gerechnet werden<br />
muss. Auf dem Kirchhof gibt es imposante<br />
Wandgräber, die durch kunstvolle Gitter<br />
voneinander abgegrenzt werden, aber auch<br />
kleinere, nicht minder künstlerische Grabstätten,<br />
die zeigen, wie schöpferisch und<br />
kreativ Ruhestätten aussehen können.<br />
Nicht nur diese originellen Grabmäler lassen<br />
den Alten St.-Matthäus-Kirchhof als ungewöhnlichen<br />
Friedhof erscheinen.<br />
Wenn man nach einem Rundgang über den<br />
Friedhof zum Haupteingang wieder zurückkehrt,<br />
passiert man unweigerlich das Café<br />
finovo. Ein Friedhofs<strong>ca</strong>fé. Es ist untypisch,<br />
ungewöhnlich, aber eins ist es nicht: unpassend.<br />
Annalena Jung