«Heimat» ischt: s'Lebe i öserem Land - Heimatschutz AR
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Die Tradition zum Leben erwecken<br />
«Heimat, wirklich Heimat ist lebendige Tradition, Vergangenheit und Zukunft<br />
zugleich“, schrieb Hans Höhener 1984, damals Erziehungsdirektor, ins<br />
«Heimatbuch für Appenzeller“. Ein wahres Wort. Im Souvenirbusiness praktisch<br />
unbekannt. Wohin man schaut: Massenfabrikation, Erstarrung, vorgetäuschte<br />
Naivität. Für einen kleinen Bevölkerungsteil nur ist das Brauchtum<br />
noch mit dem realen Leben verknüpft. Was der symbolischen Kraft nichts<br />
anhaben kann. Im Gegenteil. Mehr und mehr Junge mögen es wieder bäuerisch.<br />
Die Rollen scheinen verteilt: zeitgenössisches Kunstschaffen hat innovativ,<br />
Kunsthandwerk traditionell zu sein. Als ob nicht gerade letzteres Bewegung<br />
bräuchte, neue Formen finden müsste. Das gelingt immer wieder, etwa den<br />
Musikern Ficht Tanner, Töbi Tobler, Noldi Alder. Dem Hackbrettforscher und<br />
Hackbrettbauer Werner Alder, der Kunsthandwerkerin Gret Zellweger.<br />
Oder Ueli Frischknecht. Vor unserem Treffen gab er seiner Guckkastenbühne<br />
für das szenische Musikwerk «Henry Dunant» in Heiden (Uraufführung<br />
30. Oktober) den letzten Schliff. Das komplizierte Konstrukt kostete den<br />
Erbauer ein paar schlaflose Nächte. Er liebt die Anspannung beim Nachdenken,<br />
Tüfteln, Entwerfen – die Ruhe und Entspanntheit beim Fertigen. Ihn<br />
reizen ausgefallene Wünsche, langwierige Prozesse, die zu einer gescheiten<br />
Lösung führen. Wie lässt sich eine Bühne erfinden, die täglich ihre Gestalt<br />
ändert («poleposition tanz», Basel 2008)? Wie bringt man einen vier Meter<br />
langen Esstisch über verwinkelte Treppen in einen Estrich?<br />
H E I M AT S C H U T Z BETRACHTUNG<br />
Gret Zellweger<br />
Kunstwerkstatt Teufen<br />
LASSET UNS AM ALTEN,<br />
SO ES GUT IST, HALTEN<br />
DOCH AUF ALTEM GRUND<br />
NEUES WIRKEN JEDE STUND<br />
Was bedeutet mir <strong>Heimatschutz</strong>?<br />
Heimat: Sehr viel. Die Berge, die Hügel, die Wälder<br />
und Weiden. Die Tiere, die Menschen und<br />
Dörfer, die Sicht auf den Alpstein und den Bodensee,<br />
Malerei, Gesang und Musik, so unverkennbar<br />
vertraut. Von überall komme ich gerne wieder<br />
hierher zurück.<br />
<strong>Heimatschutz</strong>: Elf Prozent des Gebäudebestandes,<br />
2727 Bauten (2006), sind kommunal oder kantonal<br />
geschützt.<br />
Was und wie viel soll geschützt werden?<br />
Unsere <strong>Land</strong>schaft ist eine Art Gesamtkunstwerk –<br />
finde ich. Lattenhäge, Staudenhecken, kleine<br />
Bauerngärten und mehr verschwinden allmählich;<br />
damit müssen wir leben. Trotzdem wollen wir Sorge<br />
tragen zu unserem Kunstwerk. Doch es ist nötig,<br />
dass wir es auch wagen, mit Traditionen zu brechen,<br />
weiter zu denken, damit es weiterlebt.<br />
Alles verändert sich schnell und ständig. Die Betten<br />
sind heute nicht mehr 1,70 m lang, wenn die<br />
Menschen 1,90 m gross werden. In Musik und Gesang<br />
werden verändernde Schritte gemacht. Und<br />
10 Oktober<br />
Handwerk: Ueli Frischknecht tüftelt<br />
an seiner Guckkastenbühne für das<br />
szenische Musikwerk «Henry Dunant»<br />
in Heiden<br />
Was hat er nicht alles entworfen, verworfen, ausgeführt! Schwebend Filigranes,<br />
geerdet Solides. Listig, klar, funktional. Besagte «Tafel», preisgekrönt.<br />
Möbel vom Drahtstuhl bis zum Schubladenständer. Spielerisches vom aufklappbaren<br />
Puppenhaus über Kletterturm bis zur Kugelwasserbahn*.<br />
Kleider sogar, etwa ein «Gwand» mit gestickter Bordüre. Ein Prunkstück<br />
zwischen Sennenhemd und Messgewand. Ueli Frischknecht betrachtet das<br />
Erbe mit den Augen des 30-Jährigen, respektvoll, aber ohne Ehrfurcht – und<br />
stützt sich auf Traditionen, ohne exakt zu wissen, auf welche. Ein philosophierender<br />
Zimmermann, Schneider, Designer, erpicht auf Neuland, fasziniert<br />
von menschlichen «Hilfskonstrukten» wie Hüllen und Räumen. Mehr noch<br />
als der Tisch interessiert ihn, «was mit der Tischgesellschaft und was mit<br />
dem Tisch im Raum passiert».<br />
In meinem Elternhaus versammelten wir uns am alten Hobelbank zum Essen.<br />
Das Bauernhaus war voller Handwerkskunst und Kunsthandwerk: gestrickte<br />
Wände, mühsam befreit von Tapetenschichten, alten Zeitungen, toten Mäusen.<br />
Schwere Zugläden, kunstvoll geschmiedete Türschlösser. Drei wohl<br />
abgestimmte Senntumsschellen. Gesticktes, Geschnitztes, naiv Gemaltes.<br />
Eines Tages richtete sich Johannes Rotach (1892-1981) vor dem «Hinterhof»<br />
ein. Er kauerte auf einem Hocker, schaute sichtlich irritiert auf die Fassade,<br />
dann auf seine blanke Unterlage. «Zu klein» für dieses Haus, nuschelte er<br />
verlegen, »muss einen grösseren Karton holen“ ...<br />
Franziska Schläpfer<br />
*www.kuwaba.ch<br />
trotzdem bekomme ich Hühnerhaut, wenn ein<br />
Stück Identität erhalten bleibt – das ist gut so. Die<br />
Senntumsmalerei kann in der alten Form – mit Ausnahmen<br />
– kaum mehr ehrliche Arbeit sein. Eine<br />
andere Lebensform, andere Materialien, neue<br />
Techniken lassen auch hier Neues gedeihen: Videofilme,<br />
Fotografie, Installationen usw.. Kunstschaffen<br />
kennt keinen <strong>Heimatschutz</strong>, der Einspruch erhebt,<br />
bis es allenfalls um einen Standort geht. Was<br />
wird wohl von der heutigen Kunst und Kultur in<br />
100 Jahren noch erhalten sein oder bestaunt werden?<br />
WAS VERGANGEN, KEHRT NICHT WIEDER,<br />
LEUCHTET ABER LANGE NOCH ZURÜCK.<br />
Wir brauchen eine Tradition, die nicht stehen<br />
bleibt, sondern weitergeht – und läuft und läuft<br />
und läuft...<br />
Seiten 22/23<br />
<strong>«Heimat»</strong> <strong>ischt</strong>:<br />
mis Lieblingsstock<br />
hand- oder kunsthandwerkliche<br />
Gegenstände und Materialien<br />
10 Oktober<br />
10 Waldstatt 10 Wald<br />
10 Urnäsch 10 Teufen 10 Grub<br />
10 Herisau 10 Bühler 10 Heiden<br />
10 Schwellbrunn 10 Gais 10 Wolfhalden<br />
10 Hundwil 10 Speicher 10 Lutzenberg<br />
10 Stein 10 Trogen 10 Walzenhausen<br />
10 Schönengrund 10 Rehetobel 10 Reute