«Heimat» ischt: s'Lebe i öserem Land - Heimatschutz AR

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Plötzlich diese Übersicht Ein Lieblingsort, kein Geheimtipp. Die Hundwilerhöhe, bescheidener Hügel mit grandioser Rundsicht, 1309 Meter über Meer, «Himmelreich» genannt vor der Teilung in zwei Halbkantone. Lockt mit Chäshörnli, Schoggicrème, pausenloser Gastfreundschaft. Zweite Heimat für viele. Stammgäste finden den Weg auch bei Hudelwetter, selbst im Winter – nicht nur zu den monatlichen «Gipfelgesprächen». Marlies Schoch, die weltoffene Seele des Hauses, ist Gastwirtin, Politikerin, Ratgeberin – grossherzige Menschenfreundin für alle und jeden. Von da oben betrachte ich das Land richtig heimatverliebt. An klaren Tagen verschwimmt das Naheliegende. Freie Sicht aufs Mittelmeer ist auch hier nicht zu haben, aber Ausblick von A bis Z, von Appenzell bis Zugspitze, Zitterklapfen, Zillertaler Alpen. Die Höhe beflügelt die Phantasie, schärft die Sinne für Unsichtbares, Verstecktes. «Plötzlich diese Übersicht»! Ich schmunzle mit den Künstlern Fischli/Weiss, die mit ihren tönernen Szenen ironisch die Stereotype unserer Wahrnehmung überlisten. «Plötzlich diese Klarsicht»! Ich krame Urs Widmers köstlich derben Appenzell-Schwank aus der Erinnerung. Im Ballon gondelt er über die Hügel. Betrachtet aus distanzierter Nähe das Land wie ein Pop-up-Bilderbuch, ein Klapp-Theater. Guckt in die gute Stube eines Innerrhoder Bauern, der angeblich dem Steueramt schreibt, in Wahrheit aber der Geliebten. «Innerrhoden bleibt Innerrhoden», denkt er, «darum habe ich immer eine Geliebte aus Ausserrhoden. Die sind dort alle ziemliche Luder, wenn auch nette, scharfe.» Während er zum Briefkasten geht, ver- Mein Lieblingsort 04 April gnügt seine Frau sich mit dem Briefträger. Zu dritt trinken sie noch ein paar Schnäpse, das stimmt vor allem den Briefträger redselig. Keine frechen Höhenflüge, eher heimelige Höhlengefühle bot die SAC-Hütte Chammhalden, vierzig Wanderminuten über der Schwägalp. Ort für harmlose Geschichten, bevölkert von Bergmännlein, Wurzelkindern, Wiesenzwergen. Kinderferienheimat: Petroleumlicht, kratzige Wolldecke, das Holzfeuer. Im Sommer via Girenspitz auf den Säntis kraxeln. Im Frühling fröhliche Skifahrten über letzte Schneeflecken, an Wolken blühender Krokusse vorbei. In der Schneehütte leben. Die Totenstille aushalten, wenn wir tagelang eingeschneit waren. Jahrzehnte später die Asche der Eltern in den Wind streuen. Heute sind die Berge entzaubert, die Drachen, Teufel, unerlösten Jungfrauen und sündigen Sennen sind vertrieben vom alpinen Exerzierplatz für Leistungshungrige. Der Alpstein als Kulisse für Events: E-Bike-Plausch, Alpolympiade. Mountainboarden mit dem «Alpstein-Event-Team». «Säntis-Challenge, the alpine Duathlon». «Auf Schwägalp und Säntis ist immer etwas los», sogar ein Töffgottesdienst auf dem Gipfel – mit Rockmusik. Wenn nach ein paar Zweiern in der Gaststube von Marlies Schoch die Klarsicht getrübt ist, kann es passieren, dass die alten Geister noch einmal ihre Spiele treiben – auf der Hundwilerhöhe, auf Chammhalden ganz bestimmt. Franziska Schläpfer H E I M AT S C H U T Z BETRACHTUNG Heinz Meier, Raumplaner, ehemaliger Gemeindepräsident von Rehetobel Wenn ich an meine Jugendzeit zurückdenke, mag es zutreffen, dass ich nur einen Lieblingsort bevorzugte, unsern Spielplatz vor dem Haus. Ein Ort wo wir uns mit gleich Gesinnten trafen. Mit dem Grösser werden, wuchs die Neugier nach neuen Orten. Da war auch der Pflanzgarten meines Grossvaters mit den schmackhaftesten Früchten die ich je kannte. Dieser Platz war jedoch nur saisonal so zu erfahren. Im Laufe der Jahre hat meine Mobilität zugenommen, Ausflüge und Reisen haben neue Orte erschlossen, mein Erfahrungsschatz ist weiter gewachsen. Meine Lebensumstände, Beziehungsfelder, Bedürfnisse und Interessen haben sich verändert. Viele Lieblingsorte, die meine Empfindungen und Wahrnehmungen für Orte ganz wesentlich geprägt haben, sind dazu gekommen, andere sind verschwunden. Die weisse Katze auf der Hundwilwerhöhe beim Bad an der Vorfrühlingssonne, während ihre schwarze Artgenossin dem Fotografen um die Beine streicht. Was ist es, was das Wohlbefinden an einem Ort verursacht? Für mich kann der Ort in einer unberührten, offenen, natürlichen Landschaft liegen oder auch in einer vielfältigen Kulturlandschaft, wenn die Kultivierung der Natur folgt und sich ihr anpasst. Er kann aber auch bebaut sein, wenn er mit den Menschen die ihn bewohnen und beleben authentisch ist und wenn Aussenräume und Bauten, die sie umgeben, in Harmonie zueinander stehen und gepflegt sind. Immer aber sind es auch die sich an diesen Orten aufhaltenden Menschen und ihr Verhalten, die prägen und mitverantwortlich sind, ob wir uns dort wohl fühlen. Für mich gibt es viele Lieblingsorte, sie können überall sein. Ich geniesse das Hier und das Dort, bin froh, dass mein Wohnort einer meiner Lieblingsorte ist, an dem ich mich täglich erfreuen kann, mir aber auch noch andere Perspektiven offen stehen. Seiten 10/11 «Heimat» ischt: min Lieblingsort im Garten, im Wald, auf dem Spaziergang... 04 April 04 Waldstatt 04 Wald 04 Urnäsch 04 Teufen 04 Grub 04 Herisau 04 Bühler 04 Heiden 04 Schwellbrunn 04 Gais 04 Wolfhalden 04 Hundwil 04 Speicher 04 Lutzenberg 04 Stein 04 Trogen 04 Walzenhausen 04 Schönengrund 04 Rehetobel 04 Reute
Wissen macht Bürger Der Titel ist abgekupfert. Arthur Sturzenegger publizierte unlängst die Geschichte der Lesegesellschaft Bach in Trogen: «Wissen, Macht, Bürger». Oder «Wissen macht Bürger»? Als lesesüchtiges Kind beneidete ich Familien, in denen die imposante Lesemappe zirkulierte. Später faszinierten mich diese «Urzellen der Demokratie», wie Lesegesellschaften oft genannt werden. Dass sie sich bis heute halten konnten, ist ein appenzellisches Phänomen. Die Aufklärung, der Kampf für die Demokratisierung der Macht, bereitete den Boden für diese bildungsbürgerliche Institution. Die Lesegesellschaft ersetzt die Hierarchie der Stände durch die Plausibilität des Arguments. Ende des 19. Jahrhunderts hatte jede Ausserrhoder Gemeinde (ausser Schönengrund) mindestens eine Lesegesellschaft. Politisch und konfessionell unabhängig, organisierten sie die Meinungsbildung via Diskussion, Lesemappe, Bibliothek. «Gegenseitige Belehrung durch Vortrag und Lesen» statuierte die Lesegesellschaft Bissau in Heiden. Je ländlicher allerdings, umso praktischer: In Aussertobel (Zelg-Wolfhalden) wollte man vor allem Kenntnisse «in Viehzucht, Obstbau und Waldkultur» verbessern. Für den Soziologen Thomas S. Eberle ist die politische Kultur nach wie vor «mehr von Aussprache als von Gesinnungsschablonen» geprägt. Der Konflikt zwischen sachbezogenem Entscheid und parteistrategischen Überlegungen sei den Appenzellern weitgehend fremd geblieben («Die Appenzeller Lesegesellschaften im Fernsehzeitalter»). Von den gut 60 Lesegesellschaften überlebten 28 in 14 Gemeinden – in Rehetobel sogar vier, je drei in Wolfhalden, Reute, Trogen, Herisau, Schwell- Heimat – Ort und Gefühl 05 Mai brunn. «Mitgestaltung des politischen Lebens» heisst es in Wald noch heute. Aber auch: «Suche nach neuen Vereinsaktivitäten». Die Foren, die einst liberale Ideen belebten, wandeln sich zunehmend zu Kultur- und Quartiervereinen. Der Glaube ist geschwunden, die freie Diskussion schaffe automatisch freiheitliche Zustände. Kantonsälteste ist die «Sonnengesellschaft» Speicher, 1820 begründet von Johann Heinrich Tobler. Er engagierte sich für eine moderne Kantonsverfassung, bemühte sich um einen verfeinerten Chorgesang, organisierte 1825 das erste Kantonal-Sängerfest, vertonte im selben Jahr die Ode «An Gott» der deutschen Pädagogin und Dichterin Karoline Rudolphi, befreundet mit Klopstock, hochgeachtet als «weiblicher Sokrates». Ob die inbrünstig singenden Landsgemeindemänner die feminine Herkunft geahnt hatten? Frauen führen heute die «Sonnengesellschaft» – und nicht nur diese. «Treffen sich drei Schweizer, gründen sie einen Verein.» Der Spott kommt nicht von ungefähr. Verein ist Heimat, oft Freundschaft, stets Kitt. Hort zur Therapie von Heimweh? Auch das. Gleich hinter der Kantonsgrenze trifft man sich wieder: im Appenzellerverein Flawil, Gossau, Toggenburg. 22 Vereine vom Oberengadin bis ins Wallis repräsentieren die beiden Appenzell. «Fünf gute Gründe» nennt die Homepage: Pflege von Lebensart, Brauchtum, der Verbundenheit mit den Heimatkantonen, der Kameradschaft. Und, man höre, staune, «Pflege unserer Weltoffenheit». Franziska Schläpfer H E I M AT S C H U T Z BETRACHTUNG Marie-Theres Biasotto, Präsidentin Frauenzentrale Appenzell A. Rh. Heimat bedeutet wohl für die meisten Menschen jener Ort, der uns vertraut ist und an den wir uns durch Beziehungen und prägende Erlebnisse gebunden fühlen. Dies kann der Ort unserer Geburt oder ein selbst gewählter Ort sein, an dem wir Wurzeln geschlagen haben. Der Ort an dem wir leben oder an den es uns immer wieder hinzieht. Heimat ist ein Gefühl, das sich entwickeln muss, es braucht Zeit dazu. Heimat hat mit Liebe zu tun – Liebe zu einem Ort, einer Region aber auch zu Menschen, die wiederum mit diesem Ort verbunden sind. Der Heimatschutz pflegt die Häuser und Orte unserer Heimat, stellt sozusagen sicher, dass die Verbindung zur Vergangenheit gewährleistet bleibt, dass unsere Heimatgefühle nach wie vor an einen realen Ort gebunden sein können. Heimat als Gefühl betrachtet, bedingt aber auch eine stetige Weiterentwicklung. Beziehungen, die wir nicht pflegen, veröden mit der Zeit. So ist es auch Aufgabe des Heimatschutzes, immer wieder die Balance zwischen «Bewahren» und «Erneuern» zu finden. Die Vereine sind ein wichtiger Faktor für die Entwicklung von Heimatgefühlen. Dort, wo wir Teil einer Gemeinschaft sind, wo wir uns engagieren, Gemeinschaftliche Lektüre in einer Lesegesellschaft ca. 1920 (Staatsarchiv AR: Jb.6 Fotonachlass Rietmann, Herisau) sei es im Sport, in einem Kulturverein oder in der Politik, fühlen wir uns zu Hause. Wir sind bereit, etwas zu leisten für die Gemeinschaft, weil wir uns selbst als einen Teil dieser Gemeinschaft wahrnehmen. Die Frauenzentrale Appenzell Ausserrhoden ist einer dieser Vereine. Sie engagiert sich nicht nur für die Interessen und Anliegen der Frau, sondern ganz speziell auch für die Familie, die ein wichtiger Ort von Heimatgefühlen ist. So gesehen verfolgen sowohl der Heimatschutz als auch die Frauenzentrale AR das gleiche Ziel – die Erhaltung von Lebensräumen, in der sich Menschen wohl fühlen und damit auch ein Heimatgefühl entwickeln können. Seiten 12/13 «Heimat» ischt: min Verein Vereins- oder Klublokal, Spiel- und Turnplatz... 05 Mai 05 Waldstatt 05 Wald 05 Urnäsch 05 Teufen 05 Grub 05 Herisau 05 Bühler 05 Heiden 05 Schwellbrunn 05 Gais 05 Wolfhalden 05 Hundwil 05 Speicher 05 Lutzenberg 05 Stein 05 Trogen 05 Walzenhausen 05 Schönengrund 05 Rehetobel 05 Reute
Seite 1 und 2: Jubiläums-Unterstützung: Die Foto
Seite 3 und 4: Bloss kein Moderduft! Das Herz klop
Seite 5: Im Clinch zwischen Tradition und Fo
Seite 9 und 10: Krieger, Kanu, Göttertisch Ein Tis
Seite 11 und 12: «S’isch ase guet gse!» Abendson
Seite 13 und 14: Wo bleibt die «trauliche Heimeligk
Seite 15 und 16: H E I M A T S C H U T Z G E S C H I

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