«Heimat» ischt: s'Lebe i öserem Land - Heimatschutz AR
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Krieger, Kanu, Göttertisch<br />
Ein Tisch auf dem Pausenplatz! Wie vom Himmel gefallen, als wär’s ein<br />
Göttertisch, so riesenhaft steht er neben dem modernen Schulhaus <strong>Land</strong>haus<br />
in Teufen: 7 Meter 80 lang, 2.60 hoch und 3.90 breit. Kein Spieltisch, kein<br />
Stammtisch, kein Runder Tisch für Kunstkonflikte. Kein «Tischchen deck<br />
Dich». Es gibt auch nichts vom Tisch zu wischen. Unter den Tisch kehren<br />
lässt sich vieles, auf die Sitzbänke der diagonal verstrebten Tischbeine passt<br />
eine ganze Schulklasse. Der Tisch, der kein Tisch sein will, ist eine Gegenwelt:<br />
Bühne, Dach, Unterschlupf, Märchenhaus – Heimat auf Zeit.<br />
Gefällig ist der sperrige Gigant aus Lärchenholz nicht, die Jury brauchte<br />
zwei Anläufe und einen Vermittler. Man reibt sich heiter irritiert die Augen,<br />
wie Alice im Wunderland, wo es auch nicht zugeht wie gewöhnlich und<br />
seltsame Gestalten rätselhafte Dinge tun. «Der Tisch war sehr lang, aber<br />
die drei sassen dicht nebeneinander an seinem äussersten Ende. ’Kein Platz,<br />
kein Platz!’ riefen sie, als sie Alice kommen sahen.»<br />
Die Immobilität fasziniert den Teufener Bildhauer Markus Müller. Die Skulptur,<br />
in diesem Fall der Tisch, bleibt, wo man ihn hingestellt hat, auch wenn<br />
sich ringsum alles verändert: Häuser, Strassen, Kleidermode. Jahre später<br />
scheine der Aufwand unverständlich für ein Objekt, «das man nun schrecklich<br />
findet». Doch weil es teuer war, und der Abbau auch nicht gratis wäre,<br />
bleibt es stehen, «bis man es eines Tages wieder gut oder zumindest erstaunlich<br />
findet». «Spannend», meint er, «dass die Skulptur das aushält.»<br />
Dem wackeren Krieger mit Morgenstern und Eichenlaub auf der Vögelinsegg<br />
scheint dies leichter zu fallen. Steht da, als wolle er bis in alle Ewigkeit an<br />
Wer bleibt, kann gehen<br />
07 Juli<br />
den Freiheitskampf der Appenzeller erinnern. Otto Steigers Schlachtdenkmal<br />
(1902/03), gehauen aus kostbarem Marmor, ist eine der zwei Skulpturen<br />
im Wanderführer «Kulturspur Appenzellerland. 50 Kulturobjekte entdekken».<br />
Die andere hingegen macht mobil: Roman Signers «Sport» (1993)<br />
neben der Laufbahn der Kantonsschule Trogen. Führt den einst militärisch<br />
geprägten Sportunterricht ad absurdum, listiger Gegenspieler zum gestählten<br />
Soldaten. Das schnittig rote Kanu, gefüllt mit Beton, hält nicht mal mit<br />
den Langsamsten mit, für die hundert Meter braucht es ein ganzes Jahr.<br />
Signer, Steiger, Müller? Die Kartenserie «Bemerkenswerte Kunst im öffentlichen<br />
Raum» erweitert auf ein gutes Dutzend. Kein üppig gedeckter Tisch.<br />
Ausserrhoden gibt für Kultur 53 Franken aus pro Kopf und Jahr (gesamtschweizerischer<br />
Durchschnitt 112 Franken) – zweitletzter Platz im Kantonsranking.<br />
Der Kunst-Parcours ist schnell durchmessen. Spallo Kolbs Brunnen auf dem<br />
Pausenplatz in Walzenhausen treffe ich verunziert mit geschmiedeten<br />
Rohren (Kerzen vielleicht?) und Sternen aus Ästen. Er war den Schülern im<br />
Advent zu wenig heimelig. Die Skulptur hat das Dorf entzweit.<br />
Droht das Neue, rücken die Ausserrhoder zusammen. Kein Platz für die<br />
zeitgemässe Alice im Wunderland. Brauchen wir nicht, glauben Appenzeller.<br />
Sie halten ihre heimische Welt für Wunder genug.<br />
Franziska Schläpfer<br />
H E I M AT S C H U T Z BETRACHTUNG<br />
H. R. Fricker<br />
Kunstschaffender Trogen<br />
«Ich bin leidenschaftlich gern ein Fremder. Nur in<br />
der Fremde ist der Fremde ein Fremder, sagte Karl<br />
Valentin. Folglich brauche ich eine Heimat. Weil<br />
ich gerne ein Fremder bin, muss ich gezwungenermassen<br />
mein Zuhause von Zeit zu Zeit verlassen<br />
um das Fremdsein geniessen zu können. Ich zelebriere<br />
das Fremdsein dort jeweils durch lange<br />
Spaziergänge und freue mich über jede Begegnung<br />
mit Einheimischen. Diese verwickle ich in<br />
lange Gespräche über sich selbst und den Ort an<br />
dem sie leben.<br />
Bin ich wieder Zuhause, lade ich gerne Fremde zu<br />
mir ein. Sie sollen ihre Fremde, meine Heimat,<br />
kennen lernen können. Ich führe sie in die Dörfer,<br />
spaziere mit ihnen durch die <strong>Land</strong>schaft, verschaf-<br />
Der «riesenhafte Tisch»<br />
auf dem Pausenplatz des<br />
Schulhauses <strong>Land</strong>haus in Teufen<br />
fe ihnen Begegnungen mit Einheimischen und<br />
berichte ihnen über mich und <strong>Land</strong> und Leute. Sie<br />
sollen sich hier fremd fühlen können.<br />
Es wirkt bedrohlich, wenn mich Leute aus meiner<br />
Umgebung als Fremden bezeichnen, obwohl ich<br />
seit 35 Jahren in Trogen lebe. Wäre ich auch hier<br />
ein Fremder, dann hätte ich kein Zuhause und<br />
könnte folglich kein Fremder mehr sein.»<br />
Seiten 16/17<br />
<strong>«Heimat»</strong> <strong>ischt</strong>:<br />
ösers Kunschtwerk<br />
Bild, Skulptur, Denkmal...<br />
07 Juli<br />
07 Waldstatt 07 Wald<br />
07 Urnäsch 07 Teufen 07 Grub<br />
07 Herisau 07 Bühler 07 Heiden<br />
07 Schwellbrunn 07 Gais 07 Wolfhalden<br />
07 Hundwil 07 Speicher 07 Lutzenberg<br />
07 Stein 07 Trogen 07 Walzenhausen<br />
07 Schönengrund 07 Rehetobel 07 Reute