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reformiertes gemeindeblatt juni 2012 - Reformierte Kirche Thun

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DasThema<br />

Auf Spurensuche<br />

Oft nehmen wir die Spuren<br />

eines Menschen viel später<br />

wahr. Künstler wie Maler,<br />

Schriftsteller oder Komponisten<br />

werden erst Jahre nach<br />

ihrem Tod beachtet. Vordergründig<br />

sind es jedoch nur<br />

ihre Werke, die nun gehuldigt<br />

und zu unglaublichen Preisen<br />

gehandelt werden. Kürzlich nahmen wir Kenntnis,<br />

dass das Gemälde «Der Schrei» des norwegischen<br />

Malers Edvard Munch den Besitzer doch tatsächlich<br />

für 119,9 Millionen Dollars gewechselt hat.<br />

In den Todesanzeigen, die im <strong>Thun</strong>er Tagblatt oder<br />

im Amtsanzeiger publiziert werden, lesen wir von<br />

den Angehörigen über Spuren, die verstorbene<br />

Familienmitglieder hinterlassen. Vielleicht sind es<br />

kräftige Abdrücke, die noch lange sichtbar sind,<br />

vielleicht sind es aber auch ganz feine, unscheinbare<br />

Spuren. Jeder Mensch hat seine eigene Spur. Sie ist<br />

gelegt, wir können nicht darin weitergehen, können<br />

nur lernen, sie wahrzunehmen und zu erkennen.<br />

Da gibt es doch das «Totemügerli» von Franz Hohler.<br />

Eine berndeutsche Kurzgeschichte. Sie besteht<br />

zum Teil aus erfundenen Wörtern, die wie das Berndeutsch<br />

klingen, in das sie eingebettet sind. Deshalb<br />

kann man sich beim Anhören eine komplette Geschichte<br />

vorstellen. Das «Totenbeinli» ist ein traditionelles,<br />

schweizerisches Nussgebäck in Stengelform,<br />

das früher bei armen Leuten bei der Abdankung<br />

zum Kaffee serviert wurde. Dieser alte Brauch,<br />

wurde ca. so um 1500 zum ersten Mal erwähnt.<br />

Zum Thema Tod kommt mir spontan der «Totentanz»<br />

in den Sinn. Vor einigen Jahren besuchte ich<br />

die Aufführung des Stadttheaters Bern auf dem Berner<br />

Münsterplatz mit Matthias Gnädinger in der<br />

Rolle als Tod. In Bern gab es bis 1660 an der Klostermauer<br />

des ehemaligen Dominikanerklosters<br />

am Rande der Altstadt einen Totentanz mit Bildern<br />

und Begleitversen von Niklaus Manuel Deutsch (um<br />

1484–1530). Es ist der erste Totentanz in der<br />

langen Geschichte dieser Kunstgattung, bei dem der<br />

Künstler zweifelsfrei bekannt ist. In den 41 Szenen<br />

des eigentlichen Totentanzes tanzt der Tod mit<br />

Vertretern der einzelnen Stände. Er tanzt mit ihnen<br />

sozusagen aus dem Leben.<br />

Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sind lebendig. Sie<br />

haben sicher schon viele Begegnungen mit dem Tod<br />

erlebt. Abschied nehmen von einem Menschen,<br />

der uns nahestand ist etwas vom Schwierigsten.<br />

Manchmal kommt dieser Moment überraschend,<br />

manchmal sehnt man den Tod als Erlösung herbei,<br />

und doch ist es immer der falsche Zeitpunkt, wenn<br />

er eintritt. Vielleicht helfen uns die gelegten Spuren,<br />

uns mit der neuen Situation zu versöhnen und<br />

unseren Weg weiterzugehen. Ich wünsche Ihnen<br />

dazu viel Kraft und Vertrauen in Ihre eigene Spur.<br />

Christine Vogel<br />

2<br />

<strong>Kirche</strong>: Lust und Frust<br />

Der Tod begleitet uns durch das<br />

Zu dem Thema «<strong>Kirche</strong>: Lust und Frust»<br />

gehört auch die Auseinandersetzung mit<br />

dem Tod. In der heutigen Ausgabe möchten<br />

wir Denkanstösse geben. Anstösse, darüber<br />

nachzudenken, was der Tod für jeden Einzelnen<br />

von uns bedeutet. Nachdenken über den<br />

Tod Nahestehender oder über das eigene<br />

Sterben.<br />

Darüber darf gesprochen werden<br />

Die Natur steht in prächtiger Blüte, es spriesst und<br />

sprosst überall.Wer denkt da an Sterben oder Tod?<br />

Geschweige denn, wer spricht darüber? Genau<br />

letzteres ist der springende Punkt. In den vergangenen<br />

Wochen haben sich mir in meiner Arbeit verschiedenste<br />

Begegnungen ergeben, die eindrücklich<br />

zeigen, dass es wohl kaum je der falsche<br />

Zeitpunkt ist, über ein Thema zu sprechen, das in<br />

vielen Fällen zuerst eine Abwehrhaltung bewirkt.<br />

Ich möchte im Folgenden von Erlebnissen berichten,<br />

die eindrücklich zeigen, wie heilsam es sein<br />

kann ein Thema, das uns alle betrifft und das doch<br />

so oft ein Tabuthema ist, mindestens unter vier Augen<br />

anzusprechen. Denn auch wenn über Sterben<br />

oder Tod wenig gesprochen wird, schon gar nicht,<br />

wenn draussen die Natur in strahlender Blüte<br />

steht, so ist es doch keineswegs ein Thema, das<br />

nicht beschäftigen würde.<br />

«Ich möchte mit Ihnen sprechen.» Kurz und knapp<br />

war der Anruf, der mich vor einiger Zeit erreichte.<br />

Mehr wollte mir Herr R. am Telefon nicht sagen.Wir<br />

vereinbarten einen Termin. Ich war gespannt, mit<br />

welchem Anliegen ich konfrontiert werden würde.<br />

Was würde es wohl sein, das Herr R. mit mir besprechen<br />

wollte? Gut, ich wusste, wer Herr R. war.<br />

Gut 50-jährig, ein engagierter Mann. Familie, Beruf<br />

und ehrenamtliche Tätigkeiten brachte er spielend<br />

unter einen Hut. Was war es bloss, das ihn gerade<br />

zu mir führte? Wir waren uns doch immer mal wieder<br />

begegnet, seine geheimnisvolle Art war mir<br />

fremd.<br />

Ich traf Herrn R. zum vereinbarten Zeitpunkt. Es<br />

umgab ihn eine mysteriöse Stimmung. Noch bevor<br />

er sich auf den angebotenen Stuhl setzte, begann<br />

Herr R.: «Ich habe nicht mehr lange zu leben.» Es<br />

entstand eine längere Stille. «Das kann doch nicht<br />

sein», wollte ich sagen, verbot mir aber diese spontane<br />

Äusserung. Das war es also, was Herrn R. so<br />

bewegte. Ich konnte es nicht fassen. Dieser doch so<br />

kerngesund aussehende Mann war todkrank. Von<br />

aussen war ihm nichts anzusehen. Ja, vielleicht war<br />

er etwas abgemagert, aber wer denkt sich da<br />

schon etwas dabei?<br />

«Ich möchte gerne mit Ihnen über mein Sterben<br />

und meinen Tod sprechen», sagte Herr R. nach einer<br />

Weile.<br />

Daraufhin entstand ein Gespräch, so tief, so ehrlich<br />

und offen, wie ich es selten erlebe.<br />

Konfrontiert mit den Rändern des Lebens fand ein<br />

Gespräch statt, das seine Wirkung entfaltete hin zu<br />

weiteren Begegnungen, zu Gesprächen mit Familienangehörigen<br />

und schliesslich bis hinein zur Gestaltung<br />

des Abschieds, denn dieser liess nicht<br />

manchen Monat auf sich warten. Die Ehefrau von<br />

Herrn R. sagte mir neulich: «Die Leere, die entstanden<br />

ist, schmerzt. Aber seelisch geht es mir gut.<br />

Mein Mann und ich, wir haben über so vieles miteinander<br />

sprechen können, dass ich keinen Groll<br />

in mir trage, dass er verstorben ist. Aber die Leere,<br />

die tut weh.»<br />

«Nach meinem Ableben möchte ich, dass meine<br />

Asche auf einer Alpweide verstreut wird. Was meinen<br />

Sie dazu?» Ganz unverhofft wurde ich mit<br />

dieser Frage konfrontiert. Das ging mir etwas gar<br />

schnell. Ich sass bei Herrn und Frau X. am Stubentisch,<br />

weil es darum ging, einen zukünftig stattfindenden<br />

Anlass zu besprechen. Mitten im Gespräch,<br />

etwas aus dem Zusammenhang gerissen, tauchte<br />

diese Frage auf. Wohl schon vor meinem Eintreffen<br />

war klar, dass diese Frage gestellt werden wollte.<br />

Es stellte sich heraus, dass sich das Ehepaar X. in<br />

den vergangenen Tagen darüber unterhalten hatte,<br />

wie sich jedes seinen Abschied vorstellt. Dabei<br />

merkten sie, wie unterschiedlich ihre Ansichten<br />

waren und wie die Vorstellungen des einen mit<br />

jenen des andern nicht vereinbar waren und auf<br />

Unverständnis stiessen.<br />

Offenbar war es mir anzusehen, dass ich genau zu<br />

diesem Moment nicht mit dieser Frage gerechnet

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