Nummer 157 - Nordfriisk Instituut
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Kommentar<br />
Auf die Menschen<br />
kommt es an<br />
Wohl nie zuvor in der Geschichte<br />
hat sich das alltägliche Leben in<br />
unseren Breiten so schnell und<br />
zugleich so gründlich gewandelt<br />
wie in den letzten Jahrzehnten.<br />
In NORDFRIESLAND 113 schilderte<br />
Ellin Nickelsen das ländliche Föhr<br />
ihrer Kinderzeit um 1960. Damals<br />
war es noch nicht soviel anders,<br />
so arbeitete sie heraus, wie in den<br />
1920er Jahren, von denen der Fahretofter<br />
Max Lorenzen in seinem<br />
Buch „Eine Kindheit hinter den<br />
Deichen Nordfrieslands“ berichtet.<br />
Seither aber ist das gesellschaftliche<br />
Leben in Nordfriesland<br />
– das gilt gewiss auch für andere<br />
Regionen – von Grund auf anders<br />
geworden. In der kürzlich erschienenen<br />
„Geschichte Nordfrieslands<br />
von 1918 bis in die Gegenwart“<br />
befasst sich der Abschnitt „Gesellschaft<br />
und Kultur im Wandel“ mit<br />
diesen Entwicklungen.<br />
Der Anteil der in der Landwirtschaft<br />
Tätigen an der Erwerbsbevölkerung<br />
ist inzwischen auf einen<br />
niedrigen einstelligen Prozentsatz<br />
geschrumpft. Heutige Bauern sind<br />
auch in Nordfriesland Unternehmer.<br />
War noch bis in die 1980er<br />
Jahre hinein vielleicht ein gewisser<br />
Rückstand hinsichtlich der Teilhabe<br />
Häägar<br />
Wat jeft<br />
et tu Kofi?<br />
an der globalen Vernetzung spürbar,<br />
gehören die elektronischen Verbindungen<br />
rund um die Welt heute<br />
auch hier zur absoluten Normalität.<br />
Vieles ehemals Selbstverständliche<br />
ist verschwunden oder kann nur<br />
erhalten werden, wenn sich neue<br />
Formen dafür finden. Andererseits<br />
gab es nie zuvor so viele technische<br />
Möglichkeiten und so vielgestaltige<br />
Anknüpfungspunkte für soziale<br />
Aktivitäten wie gerade heutzutage.<br />
Einerseits ist das Friesische nicht<br />
mehr die allgemeine Umgangssprache<br />
entlang der Küste und in den<br />
Utlanden zwischen Husum und<br />
der dänischen Grenze wie noch<br />
vor wenigen Generationen. Auch<br />
zur Erhaltung des Plattdeutschen<br />
sind große Anstrengungen nötig.<br />
Andererseits war nie zuvor so klar<br />
und durch weltweite Forschungen<br />
in solchem Maße gesichert, wie<br />
wertvoll die kleinen Sprachen etwa<br />
für die geistige Entwicklung von<br />
Kindesbeinen an sein können. Nie<br />
zuvor wurde – um nur ein Beispiel<br />
aus dem weiten bunten Feld der<br />
Sprachpflege zu nennen – eine<br />
solche Vielfalt etwa von Lehr- und<br />
Lernmitteln für die kleinen Sprachen<br />
angeboten.<br />
Einerseits klagen viele Vereine<br />
darüber, dass sich immer weniger<br />
Menschen bereit erklären, durch<br />
Arbeitsleistung zum Vereinsleben<br />
beizutragen oder in den Vorständen<br />
Verantwortung zu übernehmen.<br />
Als eine Ursache dafür wird<br />
andererseits angeführt, dass es<br />
noch nie zuvor eine solche Fülle<br />
von Zusammenschlüssen gab, in<br />
denen Menschen mitwirken können.<br />
In NORDFRIESLAND 156 schrieb<br />
Thomas Steensen – auch dies nur<br />
Honi liirt köökin<br />
en maaket üüs Rööraier.<br />
ein Teilaspekt des ehrenamtlichen<br />
Bereiches – über die zahlreichen<br />
gerade in Nordfriesland wirkenden<br />
Stiftungen. Ein weiteres Beispiel:<br />
An manchen Orten – so in Niebüll<br />
und in Husum – sind aktive<br />
Bürgerinnen und Bürger dabei,<br />
Möglichkeiten für die Einrichtung<br />
von Anlaufstellen auszuloten, bei<br />
denen die Fäden von Verwaltung,<br />
Ehrenamt und gemeinnützigen<br />
Institutionen zusammenlaufen.<br />
Einerseits ist vom traditionellen,<br />
letztlich immer noch von bäuerlichen<br />
Formen geprägten Gemeinschaftsleben<br />
in den Dörfern fast<br />
nichts geblieben. Eingekauft etwa<br />
wird nicht mehr beim Höker, sondern<br />
im Supermarkt im nächsten<br />
Gewerbegebiet. Dorthin fährt man<br />
mit dem Auto. Andererseits finden<br />
sich neue, zeitgemäßere Wege, die<br />
ländlichen Gemeinden lebendig zu<br />
erhalten. Karin Haug berichtet in<br />
dieser Ausgabe (S. 11-16) über das<br />
in diesem Zusammenhang stehende<br />
Projekt der MarktTreffs.<br />
An diesem Punkt wird deutlich,<br />
dass sich die Politik der Probleme<br />
bewusst ist und zu handeln versucht.<br />
Das gilt auch für die anderen<br />
genannten Beispiele Sprachpflege<br />
und Ehrenamt. Ohne zentral<br />
vermittelte Impulse und ohne Hilfe<br />
durch die Öffentlichkeit sind die<br />
notwendigen neuen Wege sehr viel<br />
schwerer zu finden. Aber keine<br />
staatliche Förderung kann zum<br />
Beispiel den Spaß an der Sprache in<br />
der friesischen Familie, die Freude<br />
am Ausprobieren selbstverantwortlicher<br />
ehrenamtlicher Vorhaben<br />
und die Pfiffigkeit der MarktTreff-<br />
Betreiber ersetzen. Auf die Menschen<br />
kommt es an. Fiete Pingel<br />
Mama, skel em bi Rööraier<br />
di Skel fuarof ofnem?<br />
2 Nordfriesland <strong>157</strong> � März 2007